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LAG Ber­lin-Bran­den­burg, Ur­teil vom 18.02.2010, 5 Sa 2573/09

   
Schlagworte: Betriebsübergang: Widerspruch
   
Gericht: Landesarbeitsgericht Berlin-Brandenburg
Aktenzeichen: 5 Sa 2573/09
Typ: Urteil
Entscheidungsdatum: 18.02.2010
   
Leitsätze: Der Abschluss eines Auflösungsvertrages mit dem Betriebserwerber begründet das Umstandsmoment bei der Verwirkung des Rechts zum Widerspruch gegen den Betriebsübergang.
Vorinstanzen: Arbeitsgericht Berlin, Urteil vom 15.10.2009, 35 Ca 10744/09
   

Lan­des­ar­beits­ge­richt

Ber­lin-Bran­den­burg

 

Verkündet

am 18.02.2010

Geschäfts­zei­chen (bit­te im­mer an­ge­ben)

5 Sa 2573/09

35 Ca 10744/09
Ar­beits­ge­richt Ber­lin

F.
Ver­wal­tungs­an­ge­stell­te
als Ur­kunds­be­am­ter/in
der Geschäfts­stel­le


Im Na­men des Vol­kes

 

Ur­teil

In Sa­chen

pp 

hat das Lan­des­ar­beits­ge­richt Ber­lin-Bran­den­burg, 5. Kam­mer,
auf die münd­li­che Ver­hand­lung vom 18. Fe­bru­ar 2010
durch die Vor­sit­zen­de Rich­te­rin am Lan­des­ar­beits­ge­richt M. als Vor­sit­zen­de
so­wie die eh­ren­amt­li­chen Rich­ter V. und V.

für Recht er­kannt:

I.
Die Be­ru­fung der Kläge­rin ge­gen das Ur­teil des Ar­beits­ge­richts Ber­lin vom 15.10.2009 – 35 Ca 10774/09 – wird auf ih­re Kos­ten zurück­ge­wie­sen.

II.
Die Re­vi­si­on wird zu­ge­las­sen.

 

- 3 -

T a t b e s t a n d

Die Par­tei­en strei­ten um das Fort­be­ste­hen ih­res Ar­beits­verhält­nis­ses nach ei­nem Be­triebsüber­gang.

Die 1975 ge­bo­re­ne Kläge­rin war nach ei­ner seit 1992 be­ste­hen­den Tätig­keit bei der Deut­schen T. AG seit dem 01.04.2004, zu­letzt auf Grund­la­ge des Ar­beits­ver­tra­ges vom 6.01.2006 (Bl. 5 bis 7 d. A.), ge­gen ein mo­nat­li­ches Brut­to­ar­beits­ent­gelt von zu­letzt 3.083,00 € bei der Be­klag­ten als Call­cen­ter-Agen­tin tätig.

Mit Schrei­ben vom 25.10.2008 (Bl. 8 bis 13 d. A.) in­for­mier­ten die Be­klag­te und die TE. ser­vice cen­ter Ber­lin GmbH (im fol­gen­den: TE.) die Kläge­rin und an­de­re Mit­ar­bei­ter über ei­nen zum 01.12.2008 be­vor­ste­hen­den Be­triebsüber­gang auf die­ses Un­ter­neh­men.

Ab 01.12.2008 ar­bei­te­te die Kläge­rin bei der TE..

Die Be­klag­te eröff­ne­te zum 01.04.2009 ei­nen Be­trieb in Hen­nigs­dorf.

Die TE. kündig­te am 02.04.2009 die Stand­ort­schließung zum 30.06.2009 an. Am 13.05.2009 schloss die Kläge­rin mit der TE. ei­nen Auflösungs­ver­trag zum 30.06.2009 (Bl. 183 bis 187 d. A.), der u. a. bei Aus­schei­den aus dem Be­trieb ei­ne ein­ma­li­ge Son­der­zah­lung in Höhe von 5.576,42 € brut­to so­wie in ana­lo­ger An­wen­dung von §§ 9, 10 KSchG ei­ne Ab­fin­dung in Höhe von 7.578,39 € brut­to be­inhal­te­te. In der Fol­ge­zeit schloss sie zu ei­nem zwi­schen den Par­tei­en strei­tig ge­blie­be­nen Zeit­punkt für die Zeit ab dem 01.07.2009 ei­nen Ar­beits­ver­trag mit der D + S eu­ro­pe Frank­furt (Oder).

Mit an­walt­li­chem Schrei­ben vom 18.05.2009 an die Be­klag­te (Bl. 15 bis 17 d. A.) wi­der­sprach die Kläge­rin dem Be­triebsüber­gang auf die TE..

Mit der am 09.06.2009 beim Ar­beits­ge­richt Ber­lin ein­ge­gan­ge­nen Kla­ge hat die Kläge­rin Fest­stel­lung des Fort­be­ste­hens ih­res Ar­beits­verhält­nis­ses mit der Be­klag­ten be­gehrt und die Kla­ge später­hin auf Ver­ur­tei­lung der Be­klag­ten zu ih­rer Wei­ter­beschäfti­gung als Call­cen­ter-Agen­tin am Stand­ort Hen­nigs­dorf er­wei­tert.

Die Kläge­rin hat ge­meint, sie ha­be dem Be­triebsüber­gang auf die TE. we­gen der dies­bezüglich un­vollständi­gen und ir­reführen­den In­for­ma­ti­on auch im Mai 2009 noch wi­der­spre­chen können. Auf Ver­wir­kung könne sich die Be­klag­te nicht be­ru­fen, da sie zu der

 

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Auf­he­bungs­ver­ein­ba­rung un­ter Dro­hung mit ei­ner frist­lo­sen Kündi­gung oh­ne Einräum­ung ei­ner Über­le­gungs­frist ge­zwun­gen wor­den sei.

Die Be­klag­te hat ge­meint, der Wi­der­spruch der Kläge­rin sei ver­spätet ge­we­sen, da die Un­ter­rich­tung über den Be­triebsüber­gang nicht un­vollständig und ir­reführend ge­we­sen sei. Zu­dem ha­be die Kläge­rin ihr Wi­der­spruchs­recht we­gen des Zeit­ab­laufs und des­halb ver­wirkt, weil sie im Mai die ein­ver­nehm­li­che Auflösung des Ar­beits­verhält­nis­ses mit TE. zum 30.06.2009 und den Be­ginn ei­nes neu­en Ar­beits­verhält­nis­ses mit ei­nem an­de­ren Kon­zern­un­ter­neh­men ab dem 01.07.2009 ver­ein­bart ha­be.

Mit Ur­teil vom 15.10.2009 – 35 Ca 10744/09 –, auf des­sen Tat­be­stand (Bl. 87 bis 89 d. A.) we­gen der wei­te­ren Ein­zel­hei­ten des Vor­trags der Par­tei­en in ers­ter In­stanz Be­zug ge­nom­men wird, hat das Ar­beits­ge­richt Ber­lin die Kla­ge ab­ge­wie­sen. Zur Be­gründung hat es im We­sent­li­chen aus­geführt, das Wi­der­spruchs­recht der Kläge­rin sei un­abhängig von Zwei­feln an ei­ner un­zu­rei­chen­den Un­ter­rich­tung der Kläge­rin über den Be­triebsüber­gang auf die TE. je­den­falls ver­wirkt, weil die Kläge­rin erst fast sie­ben Mo­na­te nach der Un­ter­rich­tung und fast sechs Mo­na­te nach dem Be­triebsüber­gang den Wi­der­spruch erklärt ha­be, was das Zeit­mo­ment be­gründe, und über­dies das Um­stands­mo­ment erfüllt sei, weil die Kläge­rin be­reits vor Erklärung des Wi­der­spruchs über ihr Ar­beits­verhält­nis mit der TE. durch Ab­schluss ei­nes Auf­he­bungs­ver­tra­ges und Ein­gang ei­nes neu­en Ar­beits­verhält­nis­ses dis­po­niert ha­be. So­fern die­se Verträge un­ter (Zeit-)Druck ge­schlos­sen wor­den sei­en, ha­be sie nicht de­ren An­fech­tung vor­ge­tra­gen. Eben­so wie der Be­triebsüber­neh­mer ha­be des­halb auch die Be­klag­te dar­auf ver­trau­en können, dass die Kläge­rin das Fort­be­ste­hen des Ar­beits­verhält­nis­ses nicht mehr re­kla­mie­ren wer­de. We­gen der wei­te­ren Ein­zel­hei­ten der Be­gründung wird auf die Ent­schei­dungs­gründe des erst­in­stanz­li­chen Ur­teils (Bl. 89 bis 91 d. A.) Be­zug ge­nom­men.

Ge­gen die­ses, der Kläge­rin am 29.10.2009 zu­ge­stell­te Ur­teil rich­tet sich ih­re am 27.11.2009 beim Lan­des­ar­beits­ge­richt ein­ge­gan­ge­ne Be­ru­fung, die sie mit am 29.12.2009 ein­ge­gan­ge­nem Schrift­satz be­gründet hat.

Die Kläge­rin hat vor­ge­tra­gen, das Ar­beits­ge­richt ha­be die Grundsätze der In­for­ma­ti­ons­pflicht ver­kannt. Das In­for­ma­ti­ons­schrei­ben über den Be­triebsüber­gang sei un­zu­rei­chend, feh­ler­haft und ir­reführend ge­we­sen, was näher aus­geführt wird. Die TE. könne sich nicht auf Umstände der Ver­wir­kung be­ru­fen, da sie arg­lis­tig ge­han­delt und die Ar­beit­neh­mer un­ter An­dro­hung frist­lo­ser Kündi­gun­gen und oh­ne Einräum­ung ei­ner Über­le­gungs­frist zur Un­ter­zeich­nung der Auflösungs­verträge genötigt ha­be. Ei­ne An­fech­tung des

 

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Ar­beits­ver­tra­ges sei nicht prak­ti­ka­bel, da ihr da­mit die Exis­tenz­grund­la­ge ent­zo­gen wer­de. Nur wenn die Be­klag­te ei­ner Beschäfti­gung in Hen­nigs­dorf zu­ge­stimmt hätte, wäre ei­ne An­fech­tung möglich ge­we­sen. Sie ha­be die Be­klag­te un­mit­tel­bar nach Ab­schluss des Auf­he­bungs­ver­tra­ges über den hierfür aus­geübten Zwang un­ter­rich­tet, wes­halb bei die­ser kein Ver­trau­en ha­be be­gründet wer­den können, dass sie ihr Wi­der­spruchs­recht nicht ausüben wer­de. Am Stand­ort Hen­nigs­dorf der Be­klag­ten be­ste­he wei­ter­hin ein Auf­sto­ckungs­be­darf um 100 Ar­beit­neh­mer. Zu­letzt hat die Kläge­rin in der münd­li­chen Ver­hand­lung vor dem Be­ru­fungs­ge­richt erklärt, der neue Ar­beits­ver­trag sei erst nach dem Wi­der­spruch, und zwar am 20.05.2009 ab­ge­schlos­sen wor­den. Auch be­hal­te sie sich im Hin­blick auf den bis­her vor­lie­gen­den Nicht­ab­lauf der An­fech­tungs­frist noch vor, den Auflösungs­ver­trag mit der TE. an­zu­fech­ten.

Die Kläge­rin und Be­ru­fungskläge­rin be­an­tragt,

1.
Die erst­in­stanz­li­che Ent­schei­dung wird auf­ge­ho­ben.

2.
Es wird fest­ge­stellt, dass das Ar­beits­verhält­nis zwi­schen den Par­tei­en über
den 01.12.2008 hin­aus fort­be­steht.

3.
Die Be­klag­te wird ver­ur­teilt, die Kläge­rin für die Dau­er des Rechts­streits zu
den bis­he­ri­gen Ar­beits­be­din­gun­gen als Call­cen­ter-Agen­tin am Stand­ort
Hen­nigs­dorf wei­ter­zu­beschäfti­gen.

Die Be­klag­te und Be­ru­fungs­be­klag­te be­an­tragt,

die Be­ru­fung zurück­zu­wei­sen.

Die Be­klag­te meint, das Ar­beits­ge­richt ha­be zu Recht ei­ne Ver­wir­kung an­ge­nom­men. Das durch den Be­triebsüber­gang nicht be­en­de­te Ar­beits­verhält­nis der Kläge­rin sei durch Auf­he­bungs­ver­trag zum 30.06.2009 wirk­sam be­en­det wor­den. Da­mit ha­be die Kläge­rin nach der Recht­spre­chung des BAG in ei­ner den Be­triebsüber­gang ak­zep­tie­ren­den Wei­se über das Ar­beits­verhält­nis dis­po­niert. Ih­re Be­haup­tung, die Auf­he­bungs­verträge sei­en un­ter Druck un­ter­zeich­net wor­den, sei sub­stanz­los, die an­geb­li­che Dro­hung mit frist­lo­ser Kündi­gung we­nig glaubwürdig. Je­den­falls ha­be sie die an­geb­li­che Dro­hung nicht zum An­lass

 

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ge­nom­men, den Auf­he­bungs­ver­trag an­zu­fech­ten. Ei­ne „arg­lis­ti­ge“ Hand­lungs­wei­se könne we­der der TE. noch ihr selbst un­ter­stellt wer­den. Die Be­triebs­sch­ließung der TE. sei zu­dem von Ver­hand­lun­gen über ei­nen In­ter­es­sen­aus­gleich und So­zi­al­plan be­glei­tet wor­den, die zeit­nah un­ter­zeich­ne­ten Auf­he­bungs­verträge hätten re­gelmäßig ei­ne Ab­fin­dung ent­hal­ten. Auch sei­en die neu­en An­stel­lungs­verträge in fast al­len Fällen, so auch bei der Kläge­rin, erst nach Ab­lauf ei­ner Über­le­gungs­frist von ei­ner Wo­che un­ter­zeich­net wor­den. Die Kläge­rin ha­be zu­dem zum 01.07.2009 ein neu­es Ar­beits­verhält­nis ge­schlos­sen, was zwangsläufig bei ihr zu dem Ein­druck geführt ha­be, dass sie nicht mehr in An­spruch ge­nom­men wer­de.

We­gen der wei­te­ren Ein­zel­hei­ten des Vor­brin­gens der Par­tei­en in der Be­ru­fungs­in­stanz wird auf die Schriftsätze der Kläge­rin und Be­ru­fungskläge­rin vom 29.12.2009 (Bl. 126 bis 140 d. A.) und vom 15.02.2010 (BL. 176 bis 187 so­wie Bl. 191 bis 193 d. A.) so­wie der Be­klag­ten und Be­ru­fungs­be­klag­ten vom 05.02.2010 (Bl. 154 bis 163 d. A.) und das Pro­to­koll der münd­li­chen Ver­hand­lung vom 18.02.2010 (Bl. 194 bis 195 d. A.) Be­zug ge­nom­men.

 

E n t s c h e i d u n g s g r ü n d e

Die gemäß §§ 8 Abs. 2, 64 Abs. 2 b) ArbGG statt­haf­te, gemäß §§ 66 Abs. 1 Satz 1 und 2, 64 Abs. 6 Satz 1 ArbGG i. V. m. §§ 519, 520 ZPO form- und frist­ge­recht ein­ge­leg­te und be­gründe­te, so­mit zulässi­ge Be­ru­fung der Kläge­rin blieb in der Sa­che er­folg­los.

I.

1.

Die Kla­ge ist zulässig. Ins­be­son­de­re hat die Kläge­rin das be­son­de­re Fest­stel­lungs­in­ter­es­se des § 256 ZPO für ih­ren Fest­stel­lungs­an­trag, da das Fort­be­ste­hen ih­res Ar­beits­verhält­nis­ses zwi­schen den Par­tei­en strei­tig ist und hier­von ei­ne Viel­zahl von Ansprüchen der Kläge­rin ge­gen die Be­klag­te auch in der Zu­kunft abhängt.

2.

Der Fest­stel­lungs­an­trag der Kläge­rin war in­des un­be­gründet.

Da­bei konn­te da­hin­ste­hen, ob die Un­ter­rich­tung der Kläge­rin über den am 01.12.2008 er­folg­ten Be­triebsüber­gang auf die TE. den An­for­de­run­gen des § 613 a BGB ent­spro­chen

 

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hat und da­durch die ein­mo­na­ti­ge Wi­der­spruchs­frist des § 613 a Abs. 6 Satz 1 BGB für die Kläge­rin in Gang ge­setzt wur­de, da das Wi­der­spruchs­recht der Kläge­rin ge­gen den Be­triebsüber­gang im Zeit­punkt der Erklärung des Wi­der­spruchs je­den­falls ver­wirkt war.

2.1

Nach der Recht­spre­chung des BAG kann das Wi­der­spruchs­recht des Ar­beit­neh­mers ge­gen den Über­gang sei­nes Ar­beits­verhält­nis­ses auf den neu­en Be­triebs­in­ha­ber bei ei­nem Be­triebsüber­gang nach § 613 a BGB grundsätz­lich ver­wir­ken. Mit der Ver­wir­kung als Son­der­fall der un­zulässi­gen Rechts­ausübung (§ 242 BGB) wird die il­loy­al ver­späte­te Gel­tend­ma­chung von Rech­ten aus­ge­schlos­sen. Sie dient dem Ver­trau­ens­schutz und ver­folgt nicht den Zweck, den Schuld­ner stets dann von ei­ner Ver­pflich­tung zu be­frei­en, wenn des­sen Gläubi­ger sei­ne Rech­te länge­re Zeit nicht gel­tend ge­macht hat. Der Be­rech­tig­te muss viel­mehr un­ter Umständen untätig ge­blie­ben sein, die den Ein­druck er­weckt ha­ben, dass er sein Recht nicht mehr gel­tend ma­chen wol­le, so­dass der Ver­pflich­te­te sich dar­auf ein­stel­len durf­te, nicht mehr in An­spruch ge­nom­men zu wer­den (Um­stands­mo­ment). Das Er­for­der­nis des Ver­trau­ens­schut­zes auf Sei­ten des Be­rech­tig­ten muss hier­bei der­art über­wie­gen, dass ihm die Erfüllung des An­spru­ches nicht mehr zu­zu­mu­ten ist (vgl. Ur­teil des BAG vom 23.07.2009 – 8 AZR 538/08 -, NZA 2010, S. 89 ff.).

An der da­her grundsätz­lich be­ste­hen­den Möglich­keit auch ei­ner Ver­wir­kung des Wi­der­spruchs­rechts des Ar­beit­neh­mers bei ei­nem Be­triebsüber­gang hat das BAG nach In­kraft­tre­ten der Absätze 5 und 6 des § 613 a BGB und der da­mit ein­geführ­ten Wi­der­spruchs­frist von ei­nem Mo­nat nach Zu­gang der Un­ter­rich­tung über den Be­triebsüber­gang fest­ge­hal­ten, weil je­des Recht nur un­ter Berück­sich­ti­gung der Grundsätze von Treu und Glau­ben aus­geübt wer­den kann. Der ge­setz­li­chen Re­ge­lung ist al­ler­dings für das Zeit­mo­ment der Ver­wir­kung kei­ne fest­ste­hen­de Frist zu ent­neh­men, viel­mehr ist auf die kon­kre­ten Umstände des Ein­zel­fal­les ab­zu­stel­len. Je stärker das ge­setz­te Ver­trau­en oder die Umstände, die ei­ne Gel­tend­ma­chung des Rechts für den An­spruchs­geg­ner un­zu­mut­bar ma­chen, des­to schnel­ler kann ein An­spruch ver­wir­ken (vgl. Ur­teil des BAG vom 15.02.2007 – 8 AZR 431/06 -, EzA § 613 a BGB 2002 Nr. 64). Für das Um­stands­mo­ment reicht es nicht aus, dass ein über den Be­triebsüber­gang un­zu­rei­chend in­for­mier­ter Ar­beit­neh­mer über länge­re Zeit bei dem neu­en Be­triebs­in­ha­ber wi­der­spruchs­los wei­ter­ge­ar­bei­tet hat, da das Ziel, falsch un­ter­rich­te­ten Ar­beit­neh­mern das Wi­der­spruchs­recht zu er­hal­ten, da­mit un­ter­lau­fen würde. Auch steht die zwi­schen­zeit­li­che Be­en­di­gung des Ar­beits­verhält­nis­ses ei­ner Ausübung des auch nach­ver­trag­lich fort­be­ste­hen­den Wi­der­spruchs­rechts im Grund­satz nicht ent­ge­gen (vgl. Ur­tei­le des BAG vom 24.07.2008 – 8 AZR 755/07 -, EzA

 

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§ 613 a BGB 2002 Nr. 94 so­wie vom 20.03.2008 – 8 AZR 1016/06, NZA 2008, S. 1354 ff.). Hat je­doch der Ar­beit­neh­mer selbst über die Be­en­di­gung des Ar­beits­verhält­nis­ses dis­po­niert, in­dem er bei­spiels­wei­se ei­nen Auf­he­bungs­ver­trag mit dem Be­triebs­er­wer­ber ge­schlos­sen hat, recht­fer­tigt dies grundsätz­lich das Ver­trau­en des frühe­ren Ar­beit­ge­bers in die Nicht­ausübung des Wi­der­spruchs­rechts, selbst wenn ihm die­ser Um­stand nicht be­kannt war, da sich neu­er und al­ter Ar­beit­ge­ber in­fol­ge ih­rer ge­samt­schuld­ne­risch be­ste­hen­den Un­ter­rich­tungs­pflicht nach § 613 a Abs. 5 BGB wech­sel­sei­tig auf die Kennt­nis des je­weils an­de­ren von die­sem Ar­beit­neh­mer­ver­hal­ten be­ru­fen können (vgl. Ur­teil des BAG vom 02.04.2009 – 8 AZR 262/07 -, NZA 2009, S. 1149 ff.).

2.2

Bei An­wen­dung die­ser Grundsätze war das Wi­der­spruchs­recht der Kläge­rin im Zeit­punkt ih­res Wi­der­spruchs ge­gen den Über­gang ih­res Ar­beits­verhält­nis­ses ge­genüber der Be­klag­ten ver­wirkt.

Die Kläge­rin hat nach dem In­for­ma­ti­ons­schrei­ben der Be­klag­ten und der TE. vom 25.10.2008 ei­ne für die Ver­wir­kung er­heb­li­che Zeit­span­ne, nämlich fast sie­ben Mo­na­te ver­strei­chen las­sen, bis sie am 18.05.2009 den Wi­der­spruch erklärte. Dies ent­spricht na­he­zu dem Sie­ben­fa­chen der ge­setz­li­chen Wi­der­spruchs­frist und war des­halb für die Erfüllung des Zeit­mo­ments grundsätz­lich aus­rei­chend.

Auch war das Um­stands­mo­ment im vor­lie­gen­den Fall da­durch ge­ge­ben, dass die Kläge­rin vor Erklärung des Wi­der­spruchs selbst über ihr Ar­beits­verhält­nis dis­po­niert hat­te, in­dem sie mit der TE. am 13.05.2009 ei­nen Auf­he­bungs­ver­trag ab­ge­schlos­sen, und da­mit durch ei­ne ei­ge­ne Wil­lens­erklärung über die Be­en­di­gung des Ar­beits­verhält­nis­ses dis­po­niert hat. Da­mit hat die Kläge­rin die Ak­zep­tanz der TE. als neu­er Ar­beit­ge­be­rin in aus­schlag­ge­ben­der Wei­se do­ku­men­tiert. In­so­weit kam es nicht dar­auf an, ob die Be­klag­te selbst zum Zeit­punkt der Erklärung des Wi­der­spruchs be­reits Kennt­nis vom Ab­schluss die­ses Auf­he­bungs­ver­tra­ges hat­te, da hierfür die Kennt­nis der TE. genügte. Auch war es un­er­heb­lich, dass und zu wel­chem ge­nau­en Zeit­punkt die Kläge­rin darüber hin­aus in der Fol­ge­zeit ei­nen neu­en Ar­beits­ver­trag mit ei­nem Drit­ten ge­schlos­sen hat­te, da dies die Auf­he­bung des Ar­beits­verhält­nis­ses mit der TE. und ggf. mit der Be­klag­ten nicht berühr­te.

Die Be­haup­tung der Kläge­rin, die TE. ha­be die Ar­beit­neh­mer un­ter An­dro­hung frist­lo­ser Kündi­gun­gen und oh­ne Gewährung ei­ner Über­le­gungs­frist zur Un­ter­zeich­nung der Auflösungs­verträge genötigt, war für das Vor­lie­gen des Um­stands­mo­ments eben­falls nicht

 

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be­deut­sam. Die­se Umstände konn­ten, so­weit sie vor­ge­le­gen ha­ben, das Ver­trau­en der TE. dar­auf, dass die Kläge­rin kei­ne wei­te­ren Ansprüche aus dem Ar­beits­verhält­nis mehr ge­gen sie gel­tend wer­de, weil sie von des­sen Be­en­di­gung aus­ging, nicht erschüttern, da die Kläge­rin den Auflösungs­ver­trag trotz der von ihr be­haup­te­ten Tat­sa­chen nicht an­ge­foch­ten hat. Zu­dem ent­hielt der Auflösungs­ver­trag zusätz­li­che Ansprüche auf Son­der­zah­lung und auf Zah­lung ei­ner Ab­fin­dung, den Ver­zicht auf die ge­richt­li­che Gel­tend­ma­chung des Fort­be­stan­des des Ar­beits­verhält­nis­ses so­wie in § 3 aus­drück­lich ei­ne weit­ge­hen­de Aus­gleichs­klau­sel. Auch die Be­klag­te konn­te des­halb dar­auf ver­trau­en, dass die Kläge­rin die TE. als neu­en Ar­beit­ge­ber endgültig an­er­kannt hat­te und dass das Ar­beits­verhält­nis nach dem Ab­schluss des Auflösungs­ver­tra­ges mit der TE. sei­tens der Kläge­rin endgültig be­en­det war.

So­weit die Kläge­rin in ih­rem Wi­der­spruchs­schrei­ben un­ter Hin­weis auf die feh­len­de Einräum­ung ei­ner Be­ra­tungs- und Über­le­gungs­frist bei Ver­ein­ba­rung des Auflösungs­ver­tra­ges mit der TE. aus­drück­lich ih­re Ab­sicht zur „vor­ran­gi­gen“ Ver­fol­gung von Ansprüchen ge­gen die Be­klag­te erklärt hat, ver­moch­te dies den Um­stand ih­rer zu­vor be­reits er­folg­ten endgülti­gen Dis­po­si­ti­on über das Ar­beits­verhält­nis nicht mehr zu be­sei­ti­gen. Die Kläge­rin hat der Be­klag­ten we­der in dem Wi­der­spruchs­schrei­ben noch später­hin ein­deu­tig ih­re Ab­sicht erklärt, den Auflösungs­ver­trag an­zu­fech­ten.

Auch die Tat­sa­che, dass es der Kläge­rin im Hin­blick auf die ge­schil­der­ten Umstände mögli­cher­wei­se noch of­fen­stand, den Auflösungs­ver­trag nach § 123 BGB an­zu­fech­ten, was je­den­falls der TE. be­kannt sein konn­te, und dass sie sich in der münd­li­chen Ver­hand­lung vor dem Be­ru­fungs­ge­richt des­sen An­fech­tung aus­drück­lich vor­be­hal­ten hat, konn­te an der Be­gründung des Um­stands­mo­ments durch die­se Dis­po­si­ti­on der Kläge­rin über das Ar­beits­verhält­nis nichts ändern. Hierfür konn­te es al­lein auf die bei Erklärung des Wi­der­spruchs vor­lie­gen­den Tat­sa­chen, nicht aber auf künf­ti­ge Ver­hal­tens­wei­sen der Kläge­rin an­kom­men. So­weit § 124 Abs. 1 BGB die An­fech­tung ei­ner nach § 123 BGB an­fecht­ba­ren Wil­lens­erklärung bin­nen Jah­res­frist er­laubt, konn­te sich dies auf das Ver­trau­en der Be­klag­ten in die Endgültig­keit der Dis­po­si­ti­on der Kläge­rin über das Ar­beits­verhält­nis da­her nicht aus­wir­ken. Das Er­for­der­nis des Ver­trau­ens­schut­zes auf Sei­ten der Be­klag­ten über­wog in­so­fern das Bedürf­nis der Kläge­rin, sich die Möglich­keit der An­fech­tung des Auflösungs­ver­tra­ges noch of­fen zu hal­ten. Es war der Be­klag­ten we­gen der aus dem mögli­chen Fort­be­ste­hen des Ar­beits­verhält­nis­ses mit der Kläge­rin re­sul­tie­ren­den Dis­po­si­tio­nen je­den­falls nicht zu­zu­mu­ten, ih­rer­seits ab­zu­war­ten, ob die­se den Auflösungs­ver­trag mit der TE. noch in­ner­halb der Jah­res­frist an­fech­ten würde.

 

- 10 - 

3.

Da das Ar­beits­verhält­nis der Par­tei­en in­fol­ge der Ver­wir­kung des Wi­der­spruchs­rechts der Kläge­rin so­mit nicht über den 01.12.2008 hin­aus fort­be­stand, war auch ein An­spruch auf vorläufi­ge Wei­ter­beschäfti­gung nicht ge­ge­ben.

Ei­nem der­ar­ti­gen An­spruch stand zu­dem § 2 II des Ar­beit­ver­tra­ges der Par­tei­en ent­ge­gen, wo­nach sich die Be­klag­te ein weit­ge­hen­des Wei­sungs­recht vor­be­hal­ten hat. In­so­weit be­stand oh­ne­hin kei­ne Ver­pflich­tung der Be­klag­ten, die Kläge­rin am Stand­ort Hen­nigs­dorf wei­ter­zu­beschäfti­gen.

4.

Aus die­sen Gründen war die Be­ru­fung der Kläge­rin zurück­zu­wei­sen.

II.

Die Kos­ten­ent­schei­dung folgt aus § 97 ZPO.

III.

Die Re­vi­si­on wur­de we­gen der grundsätz­li­chen Be­deu­tung der Rechts­fra­ge, ob al­lein die mögli­che An­fecht­bar­keit ei­nes zu­vor ab­ge­schlos­se­nen Auflösungs­ver­tra­ges mit dem Be­triebs­er­wer­ber ei­ner Ver­wir­kung des Wi­der­spruchs­rechts des Ar­beit­neh­mers nach § 613 a Abs. 6 BGB ent­ge­gen­steht, zu­ge­las­sen.

 


Rechts­mit­tel­be­leh­rung

Ge­gen die­ses Ur­teil kann von d. Kläge­rin bei dem

Bun­des­ar­beits­ge­richt,

Hu­go-Preuß-Platz 1, 99084 Er­furt

(Post­adres­se: 99113 Er­furt),

Re­vi­si­on ein­ge­legt wer­den.

Die Re­vi­si­on muss in­ner­halb

ei­ner Not­frist von ei­nem Mo­nat

schrift­lich beim Bun­des­ar­beits­ge­richt ein­ge­legt wer­den.

 

- 11 - 

Sie ist gleich­zei­tig oder in­ner­halb

ei­ner Frist von zwei Mo­na­ten

schrift­lich zu be­gründen.

Bei­de Fris­ten be­gin­nen mit der Zu­stel­lung des in vollständi­ger Form ab­ge­setz­ten Ur­teils, spätes­tens aber mit Ab­lauf von fünf Mo­na­ten nach der Verkündung.

Die Re­vi­si­ons­schrift muss die Be­zeich­nung des Ur­teils, ge­gen das die Re­vi­si­on ge­rich­tet wird und die Erklärung ent­hal­ten, dass ge­gen die­ses Ur­teil Re­vi­si­on ein­ge­legt wer­de.

Die Re­vi­si­ons­schrift und die Re­vi­si­ons­be­gründung müssen von ei­nem Pro­zess­be­vollmäch­tig­ten un­ter­zeich­net sein. Als sol­che sind außer Rechts­anwälten nur fol­gen­de Stel­len zu­ge­las­sen, die zu­dem durch Per­so­nen mit Befähi­gung zum Rich­ter­amt han­deln müssen:

• Ge­werk­schaf­ten und Ver­ei­ni­gun­gen von Ar­beit­ge­bern so­wie Zu­sam­men­schlüsse sol­cher Verbände für ih­re Mit­glie­der oder für an­de­re Verbände oder Zu­sam­men­schlüsse mit ver­gleich­ba­rer Aus­rich­tung und de­ren Mit­glie­der,
• ju­ris­ti­sche Per­so­nen, de­ren An­tei­le sämt­lich im wirt­schaft­li­chen Ei­gen­tum ei­ner der vor­ge­nann­ten Or­ga­ni­sa­tio­nen ste­hen, wenn die ju­ris­ti­sche Per­son aus­sch­ließlich die Rechts­be­ra­tung und Pro­zess­ver­tre­tung die­ser Or­ga­ni­sa­ti­on und ih­rer Mit­glie­der oder an­de­rer Verbände oder Zu­sam­men­schlüsse mit ver­gleich­ba­rer Aus­rich­tung und de­ren Mit­glie­der ent­spre­chend de­ren Sat­zung durchführt, und wenn die Or­ga­ni­sa­ti­on für die Tätig­keit der Be­vollmäch­tig­ten haf­tet.

Für d. Be­klag­te ist kein Rechts­mit­tel ge­ge­ben.
Auf die Möglich­keit der Nicht­zu­las­sungs­be­schwer­de gem. § 72 a ArbGG wird hin­ge­wie­sen.

Der Schrift­form wird auch durch Ein­rei­chung ei­nes elek­tro­ni­schen Do­ku­ments i. S. d. § 46b ArbGG genügt. Nähe­re In­for­ma­tio­nen da­zu fin­den sich auf der In­ter­net­sei­te des Bun­des­ar­beits­ge­richts un­ter www.bun­des­ar­beits­ge­richt.de.
 

M.

V.

V.

 

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