HENSCHE RECHTSANWÄLTE, FACHANWALTSKANZLEI FÜR ARBEITSRECHT

 

LAG Ba­den-Würt­tem­berg, Ur­teil vom 17.09.2009, 11 Sa 40/09

   
Schlagworte: Betriebsübergang
   
Gericht: Landesarbeitsgericht Baden-Württemberg
Aktenzeichen: 11 Sa 40/09
Typ: Urteil
Entscheidungsdatum: 17.09.2009
   
Leitsätze: 1. Beruft sich der Arbeitnehmer im Kündigungsschutzprozess darauf, der Betrieb sei vom bisherigen Arbeitgeber nicht stillgelegt sondern auf einen neuen Inhaber übertragen worden, so muss der Arbeitgeber, der eine Kündigung wegen beabsichtigter Stilllegung behauptet, ausschließen, dass es sich bei der von ihm behaupteten Stilllegungsabsicht in Wahrheit um eine beabsichtigte Betriebsveräußerung handelt; denn Betriebsstilllegung und Betriebsveräußerung schließen sich aus.

2. Ordnet sich eine Konzerntochter dem Plan der Konzernmutter unter, die Produktion bestimmter Teile an ihrem Betriebsstandort einzustellen und das damit befasste Personal zu entlassen, alle benötigten Maschinen an eine Konzernschwester zu veräußern, die sie an ihrem Betriebsstandort zur Produktion der gleichen Teile aufstellt und den Know-how-Trägern Arbeitsverträge anbietet, so spricht so viel für eine beabsichtigte Teil-Betriebsveräußerung, dass das Argument, in dem Betrieb der Konzernschwester werde keine eigenständige Betriebsabteilung aufgebaut, die Annahme einer Veräußerungsabsicht nicht entkräftet.

3. Die vorstehenden Grundsätze gelten auch dann, wenn ein Betriebsübergang ins Ausland behauptet ist. § 613 a BGB gilt nach der Regelanknüpfung des Art. 30 EGBGB auch bei Betriebsveräußerungen ins Ausland. Entscheidend ist, ob der Sachvortrag des Arbeitnehmers die Erfüllung der Tatbestandsvoraussetzungen des § 613 a BGB als möglich erscheinen lässt. Davon ist jedenfalls dann auszugehen, wenn der übertragende und der übernehmende Betrieb sich in einer Entfernung von nur wenigen Kilometern diesseits und jenseits der Grenze befinden..

Vorinstanzen: Arbeitsgericht Freiburg, Urteil vom 13.03.2009, 14 Ca 520/08
   

Lan­des­ar­beits­ge­richt

Ba­den-Würt­tem­berg

- Kam­mern Frei­burg -

 

Verkündet

am 17.09.2009

Ak­ten­zei­chen:

11 Sa 40/09

14 Ca 520/08 (ArbG Frei­burg)
(Bit­te bei al­len Schrei­ben an­ge­ben!)

Ur­kunds­be­am­tin der Geschäfts­stel­le

 

Im Na­men des Vol­kes

In dem Rechts­streit

- Kläger/Be­ru­fungskläger -

Proz.-Bev.:

ge­gen

- Be­klag­te/Be­ru­fungs­be­klag­te -

Proz.-Bev.:

hat das Lan­des­ar­beits­ge­richt Ba­den-Würt­tem­berg
- Kam­mern Frei­burg - 11. Kam­mer -
durch den Vor­sit­zen­den Rich­ter
am Lan­des­ar­beits­ge­richt Bern­hard,
den eh­ren­amt­li­chen Rich­ter Adam
und die eh­ren­amt­li­che Rich­te­rin Meßmer
auf die münd­li­che Ver­hand­lung vom 17.09.2009

für Recht er­kannt:

1. Auf die Be­ru­fung des Klägers wird das Ur­teil des Ar­beits­ge­richts Frei­burg vom 13.03.2009, Az. 14 Ca 520/08, ab­geändert.

Es wird fest­ge­stellt, dass das Ar­beits­verhält­nis der Par­tei­en durch die Kündi­gun­gen der Be­klag­ten vom 24. u. 27.10.2008 nicht auf­gelöst wur­de.

2. Im übri­gen wird die Kla­ge ab­ge­wie­sen. Die wei­ter­ge­hen­de Be­ru­fung wird zurück­ge­wie­sen.

3. Die Kos­ten des Rechts­streits trägt die Be­klag­te.

4. Die Re­vi­si­on wird zu­ge­las­sen.

 

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Ur­teil vom 17.09.2009 - 11 Sa 40/09 -

Tat­be­stand

Die Par­tei­en strei­ten darüber, ob ihr Ar­beits­verhält­nis durch die Kündi­gun­gen der Be­klag­ten vom 24. und 27.10.2008 zum 28.02.2009 be­en­det wur­de.

Der 44-jähri­ge ver­hei­ra­te­te Kläger war seit 09.06.1998 bei der Be­klag­ten als Sa­les Ma­na­ger ge­gen ei­ne Brut­to­mo­nats­vergütung von zu­letzt 6.666,66 € beschäftigt.

Bei der Be­klag­ten wa­ren bis En­de 2008 ins­ge­samt 30 Ar­beit­neh­mer in zwei weit­ge­hend selbständig or­ga­ni­sier­ten Teil­be­rei­chen tätig. In ei­nem Teil­be­reich, ge­nannt B., be­fass­ten sich 22 Ar­beit­neh­mer mit der Pro­duk­ti­on und dem Ver­trieb von Klap­pen­ven­ti­len vor al­lem für die Phar­ma­in­dus­trie. Der an­de­re Teil­be­reich ver­trieb Pul­ver­tech­no­lo­gie­an­la­gen für die che­mi­sche In­dus­trie. Von den dor­ti­gen acht Ar­beit­neh­mern wa­ren sechs im Außen­dienst ein­ge­setzt und zwei im kaufmänni­schen In­nen­dienst. Der Kläger war dem Be­reich B. zu­ge­ord­net und ar­bei­te­te teil­wei­se von zu Hau­se aus (ho­me-of­fice).

Die Be­klag­te ist Teil der in­ter­na­tio­nal ope­rie­ren­den Un­ter­neh­mens­grup­pe G. Group AG, die Al­lein­ge­sell­schaf­te­rin der Be­klag­ten ist und un­ter ih­rem Dach Un­ter­neh­men in Deutsch­land, Bel­gi­en, Eng­land und der Schweiz ver­eint. Ei­nes die­ser Un­ter­neh­men ist die G. AG in Bu. bei Ba.. Die G. Group AG hat ih­re Tätig­keit in ver­schie­de­ne Geschäfts­be­rei­che, so­ge­nann­te Di­vi­sio­nen, auf­ge­teilt, dar­un­ter die H-Di­vi­si­on (Phar­ma Sys­tems) und die P-Di­vi­si­on (Pro­zess En­gi­nee­ring). Bei der Be­klag­ten war der Teil­be­reich B. der H-Di­vi­si­on der zwei­te Teil­be­reich der P-Di­vi­si­on zu­gehörig.

Am 22.10.2008 er­fuhr ei­ner der Geschäftsführer der Be­klag­ten, Herr L., von dem wei­te­ren Geschäftsführer der Be­klag­ten, Herrn Y., dass der Geschäfts­be­reich B. der Be­klag­ten in M. nicht fort­geführt wer­den sol­le. Noch am glei­chen Ta­ge stell­te die Be­klag­te An­trag beim In­te­gra­ti­ons­amt zur Kündi­gung ei­ner schwer­be­hin­der­ten Mit­ar­bei­te­rin. Am 24.10.2008 wur­de den Mit­ar­bei­tern auf ei­ner Be­triebs­ver­samm­lung die Kündi­gungs­ab­sicht mit­ge­teilt. Fer­ner er­stat­te­te die Be­klag­te an die­sem Ta­ge ei­ne Mas­sen­ent­las­sungs­an­zei­ge hin­sicht­lich 22 be­ab­sich­tig­ter Kündi­gun­gen. Un­ter dem 24.10.2008 kündig­te die Be­klag­te 20 der 22 Mit­ar­bei­tern des Be­reichs B. or­dent­lich. Ei­ne

 

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Ur­teil vom 17.09.2009 - 11 Sa 40/09 -

wei­te­re or­dent­li­che Kündi­gung wur­de un­ter dem 27.10.2008 nach­ge­scho­ben. Un­ter den gekündig­ten war auch der Kläger, des­sen Ar­beits­verhält­nis am 28.02.2009 en­den soll­te.

In der Zeit vom 17. bis 23.12.2008 wur­den durch die Schwei­zer Fir­ma F. AG die für die Pro­duk­ti­on bzw. Mon­ta­ge be­nut­zen An­la­gen, Ma­schi­nen und Werk­zeu­ge so­wie das La­ger ab­ge­baut, ver­la­den und ab­trans­por­tiert. Sie wa­ren veräußert wor­den an die Fir­ma G. AG in Bu., wo sie in der Fol­ge­zeit in­stal­liert wur­den. Die lau­fen­den Pro­jek­te der Be­klag­ten aus dem Teil­be­reich B. wur­den auf die G. AG über­tra­gen. Kun­den und Lie­fe­ran­ten wur­den da­hin­ge­hend in­for­miert, dass die geschäft­li­chen Ak­ti­vitäten ab 01.10.2009 in Bu., Schweiz kon­zen­triert, dass al­le be­ste­hen­den Verträge naht­los über­nom­men würden und als neue Rech­nungs­an­schrift die der G. AG in der Schweiz gel­te. Von den gekündig­ten Mit­ar­bei­tern der Be­klag­ten er­hiel­ten 11, dar­un­ter der Kläger, un­ter dem Da­tum der aus­ge­spro­che­nen Kündi­gung, al­so dem 24.10.2008, ein Ar­beits­ver­trags­an­ge­bot der Fir­ma G. AG in Bu.. Sechs ehe­ma­li­ge Mit­ar­bei­ter der Be­klag­ten sind in­fol­ge des­sen seit­her in der Schwei­zer Fir­ma tätig, die übri­gen lehn­ten - wie der Kläger - das Ver­trags­an­ge­bot ab.

Der Kläger hat sich ge­gen die Kündi­gun­gen der Be­klag­ten ge­wandt, die er für rechts­un­wirk­sam hielt. Die Kündi­gun­gen sei­en we­gen feh­ler­haf­ter Mas­sen­ent­las­sungs­an­zei­ge un­wirk­sam, ins­be­son­de­re aber sei­en sie nicht be­triebs­be­dingt. Die Be­klag­te ha­be kei­ne un­ter­neh­me­ri­sche Ent­schei­dung ge­trof­fen, die zum Weg­fall des Ar­beits­plat­zes des Klägers geführt ha­be. Ei­ne Still­le­gung sei we­der be­schlos­sen noch in Gang ge­setzt wor­den. Viel­mehr ha­be die Be­klag­te den Teil­be­reich B. an die G. AG in Bu. veräußert und da­mit ei­nen Be­triebsüber­gang be­wirkt. Die ge­sam­te Fer­ti­gungs­li­nie wer­de in der Schweiz eins zu eins fort­geführt. Der Be­triebs­teil B. sei als Gan­zes zu ei­nem ein­heit­li­chen Kauf­preis, der auch be­zahlt wor­den sei, ver­kauft wor­den. Bei der Über­neh­me­rin ha­be es zu­vor kei­nen dem ver­la­ger­ten Be­triebs­teil ent­spre­chen­den Be­trieb ge­ge­ben, wes­halb die Über­neh­me­rin auch auf das know how in Form der qua­li­fi­zier­ten Mit­ar­bei­ter an­ge­wie­sen ge­we­sen sei. Der über­tra­ge­ne Be­triebs­teil sei nicht zer­schla­gen wor­den. Die Kündi­gung sei des­halb auch nach § 613 Abs. 4 BGB un­wirk­sam, weil sie we­gen ei­nes Be­triebsüber­gangs aus­ge­spro­chen wor­den sei. Hier­an ände­re auch nichts, dass der Be­triebsüber­gang in die Schweiz er­folgt sei. Im Schwei­zer Ob­li­ga­tio­nen­recht gel­te mit dem dor­ti­gen Ar­ti­kel 333 ei­ne ent­spre­chen­de Re­ge­lung. Sch­ließlich ha­be die Be­klag­te nach ei­ge­ner Aus­sa­ge kei­ne So­zi­al­aus­wahl vor­ge­nom­men, der Kläger sei aber ver­gleich­bar mit und schutzwürdi­ger als die nicht ent­las­se­nen

 

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Ur­teil vom 17.09.2009 - 11 Sa 40/09 -

Mit­ar­bei­ter H. und R. aus dem Be­reich der Pul­ver­be­schich­tung, in dem er wei­ter­beschäftigt wer-den könne.

Der Kläger hat fol­gen­de Anträge ge­stellt:

1. Es wird fest­ge­stellt, dass das zwi­schen den Par­tei­en be­ste­hen­de Ar­beits­verhält­nis durch die Kündi­gung vom 24.10.2008 nicht auf­gelöst wer­den wird.

2. Es wird fest­ge­stellt, dass das zwi­schen den Par­tei­en be­ste­hen­de Ar­beits­verhält­nis durch die Kündi­gung vom 27.10.2008 nicht auf­gelöst wer­den wird.

3. Es wird fest­ge­stellt, dass das zwi­schen den Par­tei­en be­ste­hen­de Ar­beits­verhält­nis auch nicht durch an­de­re Be­en­di­gungs­tat­bestände en­det, son­dern dass es über den 31.03.2009 hin­aus fort­be­steht.

Die Be­klag­te hat be­an­tragt,

die Kla­ge ab­zu­wei­sen.

Sie hat be­haup­tet, be­reits im Sep­tem­ber 2008 sei auf der Kon­zern­ebe­ne ei­ne Re­struk­tu­rie­rung des Be­reichs H-Di­vi­si­on be­schlos­sen wor­den. Am 08.09.2008 ha­be ei­ne Sit­zung der G. Group AG statt­ge­fun­den. Dort sei be­schlos­sen wor­den, den H-Be­reich in ei­ner Geschäfts­ein­heit mit den Stand­or­ten Bu., W. (Bel­gi­en) und E. (Eng­land) zu­sam­men zu le­gen. Zur Um­set­zung die­ser Re­struk­tu­rie­rungs­maßnah­me ha­be der Geschäftsführer der Be­klag­ten, Herr Y., be­schlos­sen, den zur H-Di­vi­si­on gehören­den Be­reich B. bis spätes­tens 31.12.2008 still zu le­gen. Die Sch­ließung des Be­triebs­teils B. der Be­klag­ten ha­be sich seit En­de Sep­tem­ber 2008 ent­spre­chend der un­ter­neh­me­ri­schen Ent­schei­dung voll­zo­gen, seit Ja­nu­ar 2009 sei­en kei­ne Pro­duk­ti­ons­mit­tel im Be­trieb M. mehr vor­han­den, der Großteil der be­triebs­be­dingt gekündig­ten Ar­beit­neh­mer sei frei­ge­stellt. Ei­ne bloße Ver­la­ge­rung des Be­triebs in die Schweiz sei nicht er­folgt, ein die Iden­tität des Be­triebs­teils B. wah­ren­der Wie­der­auf­bau sei nicht er­folgt, viel­mehr sei­en die Be­triebs­mit­tel in die be­reits vor­han­de­ne be­trieb­li­che Ein­heit der G. AG in Bu. in­te­griert wor­den, wo im De­zem­ber 2008 97 Ar­beit­neh­mer beschäftigt ge­we­sen sei­en. Die dort vor­han­de­ne Or­ga­ni­sa­ti­on wer­de auch für Ar­bei­ten im Geschäfts­feld B. mit ge­nutzt. Ei­ne or­ga­ni­sa­to­ri­sche ei­genständi­ge be­trieb­li­che Ein­heit, die dem ge­schlos­se­nen Be­triebs­teil B. in M. entspräche, exis­tie­re bei der G. AG in Bu. nicht. Es wür-

 

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Ur­teil vom 17.09.2009 - 11 Sa 40/09 -

den auch nicht sämt­li­che noch bei der Be­klag­ten im Teil­be­reich B. an­ge­fal­le­nen Ar­bei­ten aus­geführt, di­ver­se Tätig­kei­ten wie ins­be­son­de­re Kon­struk­ti­ons- und Ent­wick­lungs­ar­bei­ten sei­en an an­de­re Dienst­leis­ter aus­ge­la­gert wor­den. Der Kläger sei sei­ner Dar­le­gungs- und Be­weis­last für die Vor­aus­set­zun­gen des § 613 Abs. 4 BGB auch nicht nach­ge­kom­men. § 613 a BGB sei im Übri­gen auf grenzüber­schrei­ten­de Maßnah­men nicht an­wend­bar. Das Er­geb­nis der So­zi­al­aus­wahl sei nicht zu be­an­stan­den, der Kläger sei ei­ner höhe­ren Hier­ar­chie­ebe­ne zu­gehörig als die Mit­ar­bei­ter des Be­reichs der P-Di­vi­si­on und da­mit nicht mit die­sen zu ver­glei­chen. Die Mas­sen­ent­las­sungs­an­zei­ge sei ord­nungs­gemäß er­stat­tet wor­den.

Bezüglich wei­te­rer Ein­zel­hei­ten des Par­tei­en­vor­brin­gens wird auf die erst­in­stanz­lich ge­wech­sel­ten Schriftsätze nebst An­la­gen und auf den Tat­be­stand des ar­beits­ge­richt­li­chen Ur­teils ver­wie­sen.

Das Ar­beits­ge­richt hat die Kla­ge ab­ge­wie­sen und dies wie folgt be­gründet:

Die Kündi­gung vom 24.10.2008 ha­be das Ar­beits­verhält­nis nicht wirk­sam be­en­det, weil sie am feh­len­den Vor­trag der Be­klag­ten zur vor­her­ge­hen­den Er­stat­tung des Mas­sen­ent­las­sungs­an­zei­ge ge­schei­tert sei. Da­ge­gen sei die Kündi­gung vom 27.10.2008 rechts­wirk­sam ge­we­sen.

Ein Ver­s­toß ge­gen die An­zei­ge­pflicht nach § 17 Abs. 1 S. 1 KSchG ha­be nicht vor­ge­le­gen, da die Be­klag­te vor Kündi­gungs­aus­spruch ei­ne Mas­sen­ent­las­sungs­an­zei­ge er­stat­tet ha­be. Auch ge­gen die Ent­las­sungs­sper­re des § 18 KSchG sei nicht ver­s­toßen wor­den, weil das Ge­setz den Aus­spruch der Kündi­gung vor Ab­lauf der Sperr­frist nicht ver­bie­te. Es müsse le­dig­lich die Kündi­gungs­frist außer­halb der Sperr­frist en­den.

Die Kündi­gung schei­te­re nicht an § 613 a Abs. 4 BGB. In­so­weit sei schon pro­ble­ma­tisch die An­wen­dung deut­schen Rechts im Hin­blick auf den grenzüber­schrei­ten­den Be­zug, da deut­sches Recht grundsätz­lich nur im deut­schen Staats­ge­biet gel­te. Da­mit ste­he schon das Ter­ri­to­ria­litätsprin­zip des deut­schen Rechts ei­ner An­wen­dung des §§ 613 a BGB ent­ge­gen. Im übri­gen würde das Ar­beits­verhält­nis nur mit ei­ner In­haltsände­rung über­ge­hen, weil der Ar­beits­ver­trag ei­ne Tätig-keit im Aus­land nicht vor­se­he. Die An­wend­bar­keit des § 613 a BGB auf grenzüber­schrei­ten­de Sach­ver­hal­te außer­halb der EU würde zur Trans­for­ma­ti­on deut­schen Rechts in ei­ne frem­de Rechts­ord­nung führen, was we­der dem Ord­re Pu­blic zu ent­neh­men sei noch völker­recht­li-

 

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Ur­teil vom 17.09.2009 - 11 Sa 40/09 -

chen/trans­na­tio­na­len oder bi­la­te­ra­len Grundsätzen ent­spre­che. Um­ge­kehrt stünde der Ar­beit­neh­mer schutz­los, wenn ein statt­ge­ben­des Ur­teil fest­stell­te, dass das Ar­beits­verhält­nis in Deutsch­land be­en­det sei und oh­ne den Schutz des § 613 a BGB oder der EG-Richt­li­nie 2001/23 EWG auf ei­nen ausländi­schen Ar­beit­ge­ber über­ge­gan­gen sei. Sch­ließlich schei­te­re ein Be­triebsüber­gang auch dar­an, dass die wirt­schaft­li­che Ein­heit nicht ge­wahrt sei, wenn ei­ne Be­triebs­still­le­gung mit ei­ner Be­triebs­ver­la­ge­rung un­ter räum­lich großer Ent­fer­nung oder grenzüber­schrei­ten­dem Sach­ver­halt zu­sam­men­tref­fe, weil in der­ar­ti­gen Kon­stel­la­tio­nen da­von aus­zu­ge­hen sei, dass der Be­trieb vollständig auf­gelöst wer­de. Die be­trieb­li­che Ge­mein­schaft wer­de da­her bei ei­ner Teil­still­le­gung un­ter Teil­be­triebs­ver­la­ge­rung in solch ei­nem Fall auf­gelöst.

Die Kündi­gung der Be­klag­ten sei auch so­zi­al ge­recht­fer­tigt, weil ihr drin­gen­de be­trieb­li­che Er­for­der­nis­se zu­grun­de lägen. Die­se sei­en in der von der Be­klag­ten be­ab­sich­tig­ten Be­triebs­still­le­gung zum 31.12.2008 zu se­hen. Die Be­klag­te ha­be ih­ren Still­le­gungs­be­schluss und ihr schlüssi­ges Still­le­gungs­kon­zept hin­rei­chend dar­ge­legt, sie ha­be am 22.10. ei­nen An­trag beim In­te­gra­ti­ons­amt ge­stellt, durch ei­nen ih­rer Geschäftsführer dem an­de­ren die Still­le­gungs­ent­schei­dung mit­ge­teilt und die­sen mit der Durchführung der Ab­wick­lung be­traut. Sie ha­be am 24.10. und 27.10. 20 Ar­beit­neh­mern gekündigt und gleich­falls am 24.10. ei­ne Mas­sen­ent­las­sungs­an­zei­ge er­stat­tet so­wie ei­ne Be­triebs­ver­samm­lung ab­ge­hal­ten. Un­strei­tig ha­be die Be­klag­te nach dem 31.12.2008 kei­ne ih­rer bis­he­ri­gen be­trieb­li­chen Ak­ti­vitäten im Be­reich B. mehr ent­fal­tet, nach­dem al­le we­sent­li­chen Be­triebs­mit­tel in die Schweiz trans­fe­riert wor­den sei­en. Da­mit ha­be ei­ne Auflösung der be­ste­hen­den Be­triebs- und Pro­duk­ti­ons­ge­mein­schaft des Teil­be­triebs B. zum Ab­lauf der Kündi­gungs­frist der kla­gen­den Par­tei vor­ge­le­gen. Die So­zi­al­aus­wahl sei nicht zu be­an­stan­den. Der Kläger ha­be auf den Vor­trag der Be­klag­ten, als Sa­les Ma­na­ger lie­ge er auf ei­ner höhe­ren Hier­ar­chie­stu­fe als die Mit­ar­bei­ter in der P-Di­vi­si­on nicht wei­ter vor­ge­tra­gen und da­mit sei­ner Be­weis­last hin­sicht­lich der Ver­gleich­bar­keit nicht genügt. Sch­ließlich sei auch die Kündi­gungs­frist zu­tref­fend be­mes­sen. Es gel­te die ge­setz­li­che Kündi­gungs­frist, die nach ei­nem Ge­samt­ver­gleich von Kündi­gungs­frist und -ter­min güns­ti­ger sei als die ver­trag­lich ver­ein­bar­te.

Mit sei­ner am 20.05.2009 beim Lan­des­ar­beits­ge­richt ein­ge­gan­ge­nen und am 21.07.2009 nach ent­spre­chen­der Verlänge­rung der Frist be­gründe­ten Be­ru­fung ge­gen das ihm am 21.04.2009 zu­ge­stell­te Ur­teil des Ar­beits­ge­richts ver­folgt der Kläger sein Be­geh­ren auf Fest­stel­lung der Un­wirk­sam­keit der bei­den aus­ge­spro­che­nen Kündi­gun­gen wei­ter.

 

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Ur­teil vom 17.09.2009 - 11 Sa 40/09 -

Hin­sicht­lich der Kündi­gung vom 24.10.2008 mo­niert er die feh­len­de Fest­stel­lung der Un­wirk­sam­keit der Kündi­gung im Ur­teil trotz de­ren aus­drück­li­cher An­nah­me durch das erst­in­stanz­li­che Ge­richt.

Bezüglich der Kündi­gung vom 27.10.2008 ak­zep­tiert er die Ausführun­gen des Ar­beits­ge­richts zur Fra­ge der Mas­sen­ent­las­sungs­an­zei­ge und der Ent­las­sungs­sper­re, hält aber an sei­ner Auf­fas­sung fest, die Kündi­gung sei we­gen ei­nes Be­triebsüber­gangs er­folgt und des­halb nach § 613 a Abs. 4 BGB un­wirk­sam. § 613 a BGB und da­mit deut­sches Recht fin­de An­wen­dung, weil der für die ob­jek­ti­ve An­knüpfung maßgeb­li­che ver­trag­li­che Erfüllungs­ort sich in Deutsch­land be­fin­de. Ent­ge­gen der Auf­fas­sung des Ar­beits­ge­richts sei­en die Grundsätze des Sa­chen­rechts, ins­be­son­de­re das Recht der be­le­ge­nen Sa­che, nicht auf das Ar­beits­recht über­trag­bar. Je­den­falls wenn die be­trieb­li­che Ein­heit trotz Grenzüber­schrei­tung am neu­en Ort er­hal­ten blei­be, sei § 613 a BGB bei ei­ner grenzüber­schrei­tend aus der Bun­des­re­pu­blik Deutsch­land her­aus er­fol­gen­den Ver­la­ge­rung an-zu­wen­den, in­fol­ge des­sen die über­ge­gan­ge­nen Ar­beits­verhält­nis­se auch nach der Ver­la­ge­rung deut­schem Pri­vat­recht un­terlägen. Dem ste­he das Ter­ri­to­ria­litätsprin­zip nicht ent­ge­gen. Denn die­ses Prin­zip sei für das öffent­li­che Recht maßgeb­lich, dem schon auf­grund der Ent­ste­hungs­ge­schich­te der Vor­schrift der § 613 a BGB nicht zu­gehörig sei. Die Recht­spre­chung des Bun­des­ar­beits­ge­richts, wo­nach ein Be­triebsüber­gang im Fal­le ei­ner Ver­la­ge­rung ins Aus­land in den meis­ten Fällen von vorn­her­ein aus­zu­sch­ließen sei, weil bei ei­ner nicht un­er­heb­li­chen lo­ka­len Verände­rung des Be­triebs­orts die al­te Be­triebs­ge­mein­schaft zu­meist auf­gelöst wer­de, könne auf den vor­lie­gen­den Fall nicht über­tra­gen wer­den, nach­dem die Ent­fer­nung zwi­schen al­ter und neu­er Ar­beitsstätte ge­ra­de nur 58,8 km be­tra­ge und die Fahr­zeit 46 Mi­nu­ten pro Weg. Dies gel­te im Fall des Klägers in be­son­de­rem Maße, weil sich des­sen Ar­beits­be­din­gun­gen - Beschäfti­gung im ho­me-of­fice - durch die Ver­la­ge­rung des Stand­or­tes über­haupt nicht verändern würden. Tatsächlich sei von ei­nem Be­triebsüber­gang im Sin­ne des § 613 a BGB aus­zu­ge­hen, was sich un­schwer im Rah­men ei­ner 7-Punk­te-Prüfung mit an­sch­ließen­der Ge­samt­be­wer­tung er­ge­be. So sei die Art des be­trof­fe­nen Teil­be­triebs iden­tisch, al­le ma­te­ri­el­len Be­triebs­mit­tel sei­en un­strei­tig über­ge­gan­gen, die Über­neh­me­rin ha­be der Mehr­heit der Be­leg­schaft, dar­un­ter al­len know-how-Trägern die Wei­ter­beschäfti­gung an­ge­bo­ten. Die Kund­schaft sei kom­plett über­ge­gan­gen. Die vor und nach Über­gang ver­rich­te­ten Tätig­kei­ten sei­en iden­tisch. Ei­ne Un­ter­bre­chung der Tätig­keit ha­be nicht statt­ge­fun­den. Die Über­neh­me­rin spre­che in ih­rer Selbst­dar­stel­lung im In­ter­net eben­so von ei­nem Um­zug, wie die Be­klag­te im Rah­men der Kom­mu­ni­zie­rung ge­genüber ih­ren Kun­den.

 

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Ur­teil vom 17.09.2009 - 11 Sa 40/09 -

Die Kündi­gung der Be­klag­ten sei auch so­zi­al un­ge­recht­fer­tigt im Sin­ne des § 1 Abs. 1 und Abs. 3 KSchG. Das Ar­beits­ge­richt ge­he rechts­ir­rig von ei­ner Be­triebs­teil­still­le­gung aus, ob­wohl die Kläge­rin ei­nen an­geb­li­chen Still­le­gungs­be­schluss be­strit­ten, die Be­klag­te für ei­nen sol­chen kei­nen Be­weis er­bracht ha­be. In Wahr­heit ha­be die Be­klag­te bzw. de­ren Geschäftsführung le­dig­lich ei­nen Be­schluss über die Be­triebs­teilüber­tra­gung des Geschäfts­be­reichs B. an die G. AG Bu. ge­fasst. Des­halb könne die Kündi­gung des Klägers nicht auf ei­nen Still­le­gungs­be­schluss gestützt wer­den. Hin­sicht­lich der So­zi­al­aus­wahl ha­be das Ar­beits­ge­richt rechts­feh­ler­haft über­se­hen, dass die Be­klag­te ei­ne sol­che schon gar nicht vor­ge­nom­men ha­be.

Der Kläger stellt die Anträge:

1. Es wird fest­ge­stellt, dass das zwi­schen den Par­tei­en be­ste­hen­de Ar­beits­verhält­nis durch die Kündi­gung vom 24.10.2008 nicht auf­gelöst wur­de.

2. Es wird fest­ge­stellt, dass das zwi­schen den Par­tei­en be­ste­hen­de Ar­beits­verhält­nis durch die Kündi­gung vom 27.10.2008 nicht auf­gelöst wur­de.

3. Es wird fest­ge­stellt, dass das zwi­schen den Par­tei­en be­ste­hen­de Ar­beits­verhält­nis über den 31.03.2009 hin­aus fort­be­steht.

4. Die Be­klag­te trägt die Kos­ten des Rechts­streits.

Die Be­klag­te be­an­tragt,

die Be­ru­fung zurück­zu­wei­sen.

Sie ist der Mei­nung, das Ar­beits­ge­richt ha­be rechts­feh­ler­frei fest­ge­stellt, dass die streit­ge­genständ­li­che Kündi­gung als be­triebs­be­ding­te Kündi­gung wirk­sam sei. So sei das Ar­beits­ge­richt zu Recht zu dem Er­geb­nis ge­langt, dass kein Ver­s­toß ge­gen § 613 a Abs. 4 BGB vor­lie­ge, weil auf­grund des grenzüber­schrei­ten­den Cha­rak­ters der im Streit ste­hen­den Maßnah­me § 613 a BGB von vorn­her­ein kei­ne An­wen­dung fin­de und im übri­gen ein Be­triebsüber­gang auf­grund der tat-

 

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sächli­chen Umstände nicht statt­ge­fun­den ha­be. Ge­gen­tei­li­ges ha­be der Kläger schon nicht sub­stan­ti­iert vor­ge­tra­gen, ob­schon ihn in­so­weit die Dar­le­gungs- und Be­weis­last tref­fe.

Ein Be­triebsüber­gang ha­be auch nicht statt­ge­fun­den, weil die Be­klag­te ih­re be­trieb­li­che Ein­heit B. mit Wir­kung zum 31.12.2008 vollständig ge­schlos­sen ha­be. Zwin­gen­de Vor­aus­set­zung ei­nes Be­triebsüber­gangs sei, dass die wirt­schaft­li­che Ein­heit un­be­scha­det des Über­gangs ih­re Iden­tität be­wah­re. In Ab­gren­zung hier­zu lie­ge ei­ne Still­le­gung ei­nes Be­triebs(teils) vor, wenn die Iden­tität der wirt­schaft­li­chen Ein­heit da­durch auf­ge­ho­ben wer­de, dass der Be­triebs­teil nicht un­er­heb­lich räum­lich ver­legt so­wie die al­te Be­triebs­ge­mein­schaft tatsächlich auf­gelöst wer­de und der Auf­bau ei­ner we­sent­li­chen neu­en Be­triebs­ge­mein­schaft er­fol­ge. Ei­ne wirt­schaft­li­che Ein­heit wah­re dem­nach ins­be­son­de­re dann nicht ih­re Iden­tität, wenn, wie im vor­lie­gen­den Streit­fall ge­ge­ben, die Tätig­kei­ten auf­grund ei­nes geänder­ten Kon­zepts und ei­ner an­ders­ar­ti­gen Ar­beits- und Or­ga­ni­sa­ti­ons­struk­tur we­sent­lich geändert würden. Ein Be­triebs­teilüber­gang schei­de im­mer dann aus, wenn die bis­he­ri­gen be­trieb­li­chen Mit­tel nach ih­rer Veräußerung in ei­ne be­reits vor­han­de­ne be­trieb­li­che Or­ga­ni­sa­ti­on ein­ge­glie­dert würden und da­durch der bis­he­ri­ge Funk­ti­ons­zu­sam­men­hang auf­gelöst wer­de. Die Be­klag­te aber ha­be den Be­triebs­teil B. still­ge­legt, die die­sem Be­reich zu­ge­ord­ne­ten Ma­schi­nen an die G. AG veräußert. Die­se wie­der­um ha­be die von der Be­klag­ten er­wor­be­nen Pro­duk­ti­ons­mit­tel vollständig in den bei ihr be­reits vor­han­de­nen Or­ga­ni­sa­ti­ons­ab­lauf ih­res Be­trie­bes, in dem zu­vor be­reits 97 Ar­beit­neh­mer tätig wa­ren, ein­ge­glie­dert. Die G. AG ha­be sich kei­ner­lei Ar­beits­or­ga­ni­sa­ti­on der Be­klag­ten zu ei­gen ge­macht. Dem­gemäß fehl­ten jeg­li­che An­halts­punk­te für das Vor­lie­gen ei­nes Be­triebsüber­gangs. Im übri­gen sei mit dem Bun­des­ar­beits­ge­richt da­von aus­zu­ge­hen, dass dann, wenn ein Be­triebsüber­gang mit ei­ner we­sent­li­chen Ände­rung des Leis­tungs­or­tes ein­her­ge­he, nur die Ar­beits­verhält­nis­se der­je­ni­gen Ar­beit­neh­mer nach § 613 a Abs. 1 BGB über­ge­hen, die be­reit sei­en ih­re Ar­beits­leis­tun­gen am neu­en Ar­beits­ort zu er­brin­gen. Ge­ra­de dies aber ha­be der Kläger ab­ge­lehnt. Dem­zu­fol­ge sei die Kündi­gung drin­gen­den be­trieb­li­chen Er­for­der­nis­sen ge­schul­det, weil die Be­klag­te die un­ter­neh­me­ri­sche Ent­schei­dung ge­trof­fen ha­be, ih­ren Be­reich B. zu schließen, wo­durch der Beschäfti­gungs­be­darf für den Kläger mit Wir­kung ab 01.01.2009 ent­fal­len sei.

Bezüglich wei­te­rer Ein­zel­hei­ten des Par­tei­vor­brin­gens in der Be­ru­fung wird auf de­ren Be­gründung und die Er­wi­de­rung hier­auf so­wie den wei­te­ren Schrift­satz der Kläge­rin vom 07.09.2009 ver­wie­sen.

 

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Ent­schei­dungs­gründe

Der Kläger hat sei­ne an sich statt­haf­te Be­ru­fung form- und frist­ge­recht ein­ge­legt und aus­geführt. Sie ist da­mit pro­blem­los zulässig. Die Be­ru­fung ist aber auch im we­sent­li­chen be­gründet. Ent­ge­gen der Auf­fas­sung des Ar­beits­ge­richts ist mit dem Kläger da­von aus­zu­ge­hen, dass sein Ar­beits­verhält­nis durch die Kündi­gun­gen der Be­klag­ten vom 24. und 27.10.2008 nicht auf­gelöst wur­de. Al­ler­dings kann ein Fort­be­stand des Ar­beits­verhält­nis­ses zwi­schen den Par­tei­en über den 31.03.2009 hin­aus nicht fest­ge­stellt wer­den.

1. Das Ar­beits­verhält­nis zwi­schen den Par­tei­en en­de­te nicht durch die Kündi­gung der Be­klag­ten vom 24.10.2008. Die Wirk­sam­keit die­ser Kündi­gung schei­tert schon dar­an, dass die Be­klag­te nach dem von ihr nicht be­strit­te­nen Vor­brin­gen des Klägers der Pflicht zur Mas­sen­ent­las­sungs­an­zei­ge nach §§ 17, 18 KSchG nicht in er­for­der­li­chem Maße, ins­be­son­de­re nicht recht­zei­tig nach­ge­kom­men ist. Die Kündi­gung ist des­halb nach § 134 BGB un­wirk­sam, der dies­bezügli­chen Fest­stel­lung des Ar­beits­ge­richts in den Ent­schei­dungs­gründen, die al­ler­dings im Te­nor kei­nen Nie­der­schlag ge­fun­den hat, ist die Be­klag­te auch in der Be­ru­fungs­in­stanz nicht ent­ge­gen­ge­tre­ten.

2. Die Wirk­sam­keit der Kündi­gung der Be­klag­ten vom 27.10.2008 ist zwar nicht we­gen ei­nes Ver­s­toßes ge­gen die An­zei­ge­pflicht nach § 17 Abs. 1 S. 1 KSchG rechts­un­wirk­sam, ih­re Wirk­sam­keit schei­tert auch nicht an der Ent­las­sungs­sper­re des § 18 KSchG, sie ist je­doch als so­zi­al un­ge­recht­fer­tigt i. S. d. § 1 Abs. 1 KSchG zu be­trach­ten, weil die Be­klag­te nicht schlüssig dar­le­gen konn­te, dass sie durch drin­gen­de be­trieb­li­che Er­for­der­nis­se, die ei­ner Wei­ter­beschäfti­gung des Klägers im Be­trieb ent­ge­gen­ste­hen würden, be­dingt ist (§ 1 Abs. 2 S. 1 KSchG).

a) Dass die Kündi­gung der Be­klag­ten vom 27.10.2008 nicht an den Vor­schrif­ten zur Mas­sen­ent­las­sungs­an­zei­ge (§ 17 und § 18 KSchG) schei­tert, hat das Ar­beits­ge­richt mit über­zeu­gen­der Be­gründung fest­ge­stellt. Dies­bezüglich kann voll­umfäng­lich auf die Ent­schei­dungs­gründe des an­ge­grif­fe­nen Ur­teils ver­wie­sen wer­den. Der- Kläger hat die Rechts­auf­fas­sung des Ar­beits­ge­richts hier­zu ak­zep­tiert und ist ihr nicht ent­ge­gen­ge­t­re-ten.

 

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b) Die Kündi­gung der Be­klag­ten vom 27.10.2008 ist nicht durch drin­gen­de be­trieb­li­che Gründe be­dingt und da­her so­zi­al un­ge­recht­fer­tigt (§ 1 Abs. 2 S. 1 KSchG). Die Be­klag­te ist ih­rer Dar­le­gungs­last für das Vor­lie­gen drin­gen­der be­trieb­li­cher Gründe nicht aus­rei­chend nach­ge­kom­men. Sie hat zwar ei­ne zum Zeit­punkt des Kündi­gungs­aus­spruchs be­ab­sich­tig­te Still­le­gungs­ab­sicht be­haup­tet, hat da­bei aber die Be­haup­tung des Klägers, zum maßgeb­li­chen Zeit­punkt ha­be in Wahr­heit die Ab­sicht be­stan­den, den (Teil-)Be­trieb zu veräußern, nicht ent­kräften können. Hier­an ändert auch nichts die Tat­sa­che, dass die vom Kläger be­haup­te­te Veräußerungs­ab­sicht auf ei­nen grenzüber­schrei­ten­den Be­triebsüber­gang aus­ge­rich­tet war, weil auch bei ei­nem sol­chen die Be­klag­te an die Vor­schrift des § 613 a BGB ge­bun­den ist.

aa) Die Be­klag­te hat be­haup­tet, vor Aus­spruch der Kündi­gung sei die un­ter­neh­me­ri­sche Ent­schei­dung ge­trof­fen wor­den, den Be­triebs­teil B. der Be­klag­ten in M. still­zu­le­gen. Zu den drin­gen­den be­trieb­li­chen Er­for­der­nis­sen gehört die Still­le­gung des ge­sam­ten Be­triebs durch den Ar­beit­ge­ber. Un­ter Be­triebs­stil­le­gung ist die Auflösung der zwi­schen Ar­beit­ge­ber und Ar­beit­neh­mer be­ste­hen­den Be­triebs- oder Pro­duk­ti­ons­ge­mein­schaft zu ver­ste­hen, die ih­re Ver­an­las­sung und zu­gleich ih­ren un­mit­tel­ba­ren Aus­druck dar­in fin­det, dass der Un­ter­neh­mer die bis­he­ri­ge wirt­schaft­li­che Betäti­gung in der ernst­li­chen Ab­sicht ein­stellt, die Ver­fol­gung des bis­he­ri­gen Be­triebs­zwecks dau­ernd oder für ei­ne ih­rer Dau­er nach un­be­stimm­te wirt­schaft­lich nicht un­er­heb­li­che Zeit­span­ne nicht wei­ter zu ver­fol­gen. Der Ar­beit­ge­ber muss endgültig ent­schlos­sen sein, den Be­trieb still­zu­le­gen. Da­bei ist der Ar­beit­ge­ber nicht ge­hal­ten, ei­ne Kündi­gung erst nach Durchführung der Still­le­gung aus­zu­spre­chen. Es kommt auch ei­ne Kündi­gung we­gen be­ab­sich­tig­ter Still­le­gung in Be­tracht. Wird die Kündi­gung auf die künf­ti­ge Ent­wick­lung der be­trieb­li­chen Verhält­nis­se gestützt, so kann sie aus­ge­spro­chen wer­den, wenn die be­trieb­li­chen Umstände greif­ba­re For­men an­ge­nom­men ha­ben. Ei­ne Still­le­gungs­ab­sicht des Ar­beit­ge­bers liegt aber nicht vor, wenn die­ser be­ab­sich­tigt, sei­nen Be­trieb zu veräußern. Die Veräußerung des Be­triebs al­lein ist - wie sich aus der Wer­tung des § 613 a BGB er­gibt - kei­ne Still­le­gung, weil die Iden­tität des Be­triebs ge­wahrt bleibt und le­dig­lich ein Be­triebs­in­ha­ber­wech­sel statt­fin­det. Be­triebs­veräußerung und Be­triebs­still­le­gung schließen sich al­so sys­te­ma­tisch aus. Da­bei kommt es auf das

 

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tatsächli­che Vor­lie­gen des Kündi­gungs­grun­des, nicht auf die vom Ar­beit­ge­ber ge­ge­be­ne Be­gründung an. Ei­ne vom Ar­beit­ge­ber mit ei­ner Still­le­gungs­ab­sicht be­gründe­te Kündi­gung ist nur dann so­zi­al ge­recht­fer­tigt, wenn die ge­plan­te Maßnah­me sich als Be­triebs­still­le­gung und nicht als Be­triebs­veräußerung dar­stellt, weil die für die Fortführung des Be­triebs we­sent­li­chen Ge­genstände ei­nem Drit­ten über­las­sen wer­den sol­len, der Veräußerer die­sen Vor­gang aber recht­lich un­zu­tref­fend als Be­triebs­still­le­gung be­wer­tet (vgl. BAG, 16.05.2002, NZA 2003, 93; BAG 09.02.1994, NZA 1994, 686).

Im Kündi­gungs­schutz­ver­fah­ren nach § 1 Abs. 2 KSchG hat der Ar­beit­ge­ber die Tat­sa­chen zu be­wei­sen, die die Kündi­gung be­din­gen und es ist sei­ne Auf­ga­be, vor­zu­tra­gen und nach­zu­wei­sen, dass die Kündi­gung so­zi­al ge­recht­fer­tigt ist. Fehlt es dar­an, ist der Kündi­gungs­schutz­kla­ge statt­zu­ge­ben, oh­ne dass es der Fest­stel­lung be­darf, dass der tra­gen­de Be­weg­grund für die Kündi­gung ein Be­triebsüber­gang ist (vgl. BAG, 16.05.2002, NZA 2003, 93; BAG, 05.12.1985, NZA 1986, 522). Die Ver­tei­lung der Dar­le­gungs­last be­deu­tet im vor­lie­gen­den Fal­le so­mit: Be­ruft der Ar­beit­neh­mer sich im Rah­men ei­nes Kündi­gungs­schutz­pro­zes­ses dar­auf, der Be­trieb sei vom bis­he­ri­gen Ar­beit­ge­ber nicht still­ge­legt son­dern an ei­nen neu­en In­ha­ber über­tra­gen wor­den, so muss der Ar­beit­ge­ber, der ei­ne Kündi­gung we­gen be­ab­sich­tig­ter Still­le­gung be­haup­tet, aus­sch­ließen, .dass es sich bei der von ihm be­haup­te­ten Still­le­gungs­ab­sicht in Wirk­lich­keit um ei­ne be­ab­sich­tig­te Be­triebs­veräußerung han­del­te. Ei­ne sol­che, die be­ab­sich­tig­te Be­triebs­veräußerung be­inhal­ten­de Ent­schei­dung und de­ren in Gang ge­setz­te Um­set­zung aus­zu­sch­ließen, ist der Be­klag­ten nicht ge­lun­gen.

Nach dem ei­ge­nen Vor­brin­gen der Be­klag­ten war die be­haup­te­te un­ter­neh­me­ri­sche Ent­schei­dung nicht le­dig­lich dar­auf ge­rich­tet, die Pro­duk­ti­on und den Be­trieb von Klap­pen­ven­ti­len er­satz­los ein­zu­stel­len, sämt­li­ches Per­so­nal zu ent­las­sen und die zur Her­stel­lung der Ven­ti­le er­for­der­li­chen Ma­schi­nen und sons­ti­gen Pro­duk­ti­ons­mit­tel an ir­gend­je­man­den zu veräußern. Teil des Plans der Be­klag­ten, die sich in­so­weit der Kon­zer­n­ent­schei­dung un­ter­ord­ne­te, war viel­mehr, al­le ma­te­ri­el­len Be­triebs­mit­tel an die Kon­zern­schwes­ter G. P. in Bu. in der Schweiz zu veräußern, da­mit die Pro­duk­ti­on nicht mehr am Stand­ort der Be­klag­ten in M., son­dern künf­tig

 

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in der Schweiz er­fol­gen und ver­trie­ben wer­den soll­te. Teil der zwei­fels­frei auch der Be­klag­ten be­kann­ten Kon­zern­stra­te­gie muss ge­we­sen sein, dass die Be­klag­te nicht nur al­len Mit­ar­bei­tern des Teil­be­reichs B. kündig­te, son­dern darüber hin­aus, dass die Fir­ma G. P. in Bu. ei­nem Großteil der sel­bi­gen Mit­ar­bei­ter, ins­be­son­de­re den know-how-Trägern noch am glei­chen Tag, an dem die Be­klag­te die Kündi­gun­gen aus­sprach, ein Ver­trags­an­ge­bot zur Auf­nah­me der Tätig­keit in Bu., Schweiz zu un­ter­brei­ten. Da die Kündi­gung der Be­klag­ten dem Kläger am 24.10.2008 zu­ging und dies der maßgeb­li­che Zeit­punkt ist, zu dem die Still­le­gungs­ab­sicht be­stan­den ha­ben müss­te, um die Kündi­gung so­zi­al recht­fer­ti­gen zu können, er­gibt sich aus dem Da­tum des Ver­trags­an­ge­bots an den Kläger sei­tens der Fir­ma G. P. in Bu. zwang­los, dass die tatsächli­che Pla­nung auch der Be­klag­ten als Kon­zern­toch­ter der G. Group AG je­den­falls ne­ben der Veräußerung al­ler ma­te­ri­el­len Be­triebs­mit­tel auch die Beschäfti­gung des Klägers bei der G. P. in Bu. vor­sah. Be­reits dies spricht da­ge­gen, dass die Be­klag­te zum Zeit­punkt des Kündi­gungs­aus­spruchs zu ei­ner Be­triebs­still­le­gung, nicht aber zu ei­ner Be­triebs­veräußerung ent­schlos­sen war. Die­ser An­schein wird durch die Fol­ge­ak­ti­vitäten verstärkt. Nach un­wi­der­spro­che­ner Dar­le­gung des Klägers hat die G. nicht nur die ma­te­ri­el­len Be­triebs­mit­tel der bei der Be­klag­ten un­strei­tig selbständi­gen Ab­tei­lung B. über­nom­men. Viel­mehr ist die Kund­schaft kom­plett über­ge­gan­gen, wur­den die lau­fen­den Pro­jek­te über­tra­gen, sind al­le Verträge über­nom­men wor­den, wur­den die Lie­fe­ran­ten über­nom­men, wur­de die ge­sam­te Fer­ti­gungs­li­nie eins zu eins fort­geführt, gab es bei der G. bis zur Über­tra­gung kei­ne dem Be­triebs­teil B. ent­spre­chen­de Tätig­keit, fand ei­ne Un­ter­bre­chung der­sel­ben nicht statt, wur­de der Pro­dukt­na­me B. fort­geführt, sprach die G. AG in ih­ren An­schrei­ben an Kun­den und Lie­fe­ran­ten selbst von ei­nem „Um­zug" von M. nach Bu.. All die­ses Fak­to­ren spre­chen un­ter Berück­sich­ti­gung des auch vom Bun­des­ar­beits­ge­richt ver­wand­ten so­ge­nann­ten 7-Punk­te-Ka­ta­logs (Art des Be­triebs oder Un­ter­neh­mens, Über­gang oder Nichtüber­gang der ma­te­ri­el­len Be­triebs­mit­tel wie Gebäude und be­weg­li­che Güter so­wie de­ren Wert und Be­deu­tung, Über­nah­me der im­ma­te­ri­el­len Be­triebs­mit­tel und de­ren Wert so­wie der vor­han­de­nen Or­ga­ni­sa­ti­on, Wei­ter­beschäfti­gung der Haupt­be­leg­schaft, Über­nah­me der Kund­schaft und Lie­fe­ran­ten­be­zie­hun­gen, Grad der Ähn­lich­keit zwi­schen der vor und der nach dem Über­gang ver­rich­te­ten Tätig­keit, Dau­er der Un­ter­bre­chung der Tätig­keit) bei ei­ner er­for­der­li­chen Ge-

 

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samt­abwägung der Umstände des Ein­zel­falls für das Vor­lie­gen ei­nes Be­triebs-über­gangs.

Dem hat die Be­klag­te le­dig­lich ent­ge­gen­ge­setzt, ei­ne ei­genständi­ge be­trieb­li­che Ein­heit B. exis­tie­re in der Schweiz nicht. Die Be­triebs­mit­tel sei­en in die dort vor­han­de­ne Ein­heit in­te­griert wor­den. Es würden auch nicht mehr al­le im Teil­be­trieb B. an­ge­fal­le­nen Ar­bei­ten aus­geführt, viel­mehr sei­en di­ver­se Tätig­kei­ten wie Kon­struk­ti­ons- und Ent­wick­lungs­ar­bei­ten an Dritt­dienst­leis­ter aus­ge­la­gert. Die­se von der Be­klag­ten an­ge­spro­che­nen Ge­sichts­punk­te genügen nicht, um die vom Kläger un­be­strit­ten an­geführ­ten und die fest­ste­hen­den Hin­wei­se auf ei­ne mögli­che be­ab­sich­tig­te Be­triebs­veräußerung zu ent­kräften und das Be­ru­fungs­ge­richt da­von zu über­zeu­gen, dass in Wirk­lich­keit ei­ne Teil­be­triebs­still­le­gung von der Be­klag­ten be­ab­sich­tigt ge­we­sen wäre. Dass die Aus­la­ge­rung von Ent­wick­lungs- und Kon­struk­ti­onstätig­kei­ten durch die G. AG an Dritt­dienst­leis­ter be­reits Teil des Kon­zern­kon­zep­tes ge­we­sen wäre, ist noch nicht ein­mal be­haup­tet. Mögli­cher­wei­se ist die Ver­ga­be von Teil­auf­ga­ben le­dig­lich dem Um­stand ge­schul­det, dass ein Teil der Mit­ar­bei­ter der Be­klag­ten dem Ver­trags­an­ge­bot der G. AG nicht ge­folgt ist. Maßgeb­lich ist je­doch, dass es auf die Bei­be­hal­tung der von der Be­klag­ten ver­nein­ten or­ga­ni­sa­to­ri­schen Selbständig­keit des bis­her selbständi­gen Teil­be­triebs B. nun­mehr bei der G. AG nicht an­kommt. Ent­schei­dend ist viel­mehr die Bei­be­hal­tung des Funk­ti­ons- und Zweck­zu­sam­men­hangs zwi­schen den ver­schie­de­nen über­tra­ge­nen Fak­to­ren, der es dem Er­wer­ber er­laubt, die­se Fak­to­ren, auch wenn sie in ei­ne an­de­re Or­ga­ni­sa­ti­ons­struk­tur ein­ge­glie­dert wer­den, zur Ver­fol­gung ei­ner be­stimm­ten wirt­schaft­li­chen Tätig­keit zu nut­zen (vgl. BAG 22.01.2009, 8 AZR 158/07, NZA 2009, 905). Un­ter Berück­sich­ti­gung des un­strei­ti­gen Sach­ver­halts und des Vor­trags der Be­klag­ten spricht aber mehr dafür, dass der Zu­sam­men­hang der funk­tio­nel­len Ver­knüpfung der Wech­sel­be­zie­hung und ge­gen­sei­ti­gen Ergänzung zwi­schen den für ei­nen Be­triebsüber­gang maßgeb­li­chen Fak­to­ren be­ste­hen ge­blie­ben ist und dass dies je­den­falls zum Zeit­punkt des Kündi­gungs­aus­spruchs auch so ge­plant war. Der Kern der wirt­schaft­li­chen Ein­heit des Teil­be­triebs B. der Be­klag­ten be­stand aus sei­ner or­ga­ni­sa­to­ri­schen Ge­samt­heit von Per­so­nen und Sa­chen zur auf Dau­er an­ge­leg­ten Ausübung ei­ner wirt­schaft­li­chen Tätig­keit mit ei­ge­ner Ziel­set­zung. Die im Teil­be­trieb beschäftig­ten Per­so­nen soll­ten Druck­klap-

 

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pen­ven­ti­le für die Phar­ma­in­dus­trie her­stel­len und ver­trei­ben. Nach der Pla­nung des Kon­zern, dem die Be­klag­te an­gehörte, und des­sen Pla­nung sie zwangsläufig zu über­neh­men hat­te, soll­ten al­le we­sent­li­chen Be­triebs­mit­tel an die G. AG ver­kauft wer­den. Die un­ter Ver­wen­dung die­ser Be­triebs­mit­tel bis­her bei der Be­klag­ten durch­geführ­te Pro­duk­ti­ons- und Ver­triebstätig­keit soll­te bei der G. AG wei­ter-geführt wer­den. Ein nach Zahl und Sach­kun­de we­sent­li­cher Teil des Per­so­nals, das von der Be­klag­ten ge­zielt bei die­ser Tätig­keit ein­ge­setzt war, soll­te von der G. AG über­nom­men wer­den. Dies al­les spricht auch bei ei­ner Ein­glie­de­rung der über­tra­ge­nen Ein­heit in die Struk­tur der G. AG dafür, dass die Be­klag­te ih­ren Be­trieb nicht zer­schla­gen, al­so still­le­gen, son­dern viel­mehr un­ter dem Dach des Kon­zerns auf die G. AG in der Schweiz über­tra­gen woll­te. Je­den­falls ist die Be­wer­tung der von der Be­klag­ten be­haup­te­ten un­ter­neh­me­ri­schen Ent­schei­dung zum Zeit­punkt des Kündi­gungs­aus­spruchs in die­sem Sin­ne so sehr in Be­tracht zu zie­hen, dass von der schlüssi­gen Dar­le­gung ei­ner zum glei­chen Zeit­punkt be­ab­sich­tig­ten (Teil-)Be­triebs­still­le­gung nicht aus­ge­gan­gen wer­den kann.

bb) Dass die in Be­tracht zu zie­hen­de, zum Zeit­punkt der Kündi­gung be­ste­hen­de Ab-sicht der Be­klag­ten ih­ren Teil­be­trieb B. zu veräußern, die der An­nah­me ei­ner be-ab­sich­tig­ten Teil­be­triebs­still­le­gung ent­ge­gen­steht, ei­ne grenzüber­schrei­ten­de Kom­po­nen­te be­inhal­tet, steht dem vor­ge­fun­de­nen Er­geb­nis nicht ent­ge­gen. § 613 a BGB fin­det dem Grund­satz nach auch bei grenzüber­schrei­ten­den Be­triebsäußerun­gen An­wen­dung, die Tat­be­stands­vor­aus­set­zun­gen des § 613 a BGB im kon­kre­ten Fall sind trotz der Grenzüber­schrei­tung nicht aus­ge­schlos­sen.

(1) § 613 a BGB gilt auch bei Be­triebs­veräußerun­gen ins Aus­land. Nach der Re­ge­lan­knüpfung des Art. 30 EGBGB wird das Recht des Staa­tes zur An­wen­dung ge­bracht, in dem der Ar­beit­neh­mer in Erfüllung des Ver­tra­ges gewöhn­lich sei­ne Ar­beit ver­rich­tet. Das auf den Ar­beits­ver­trag an­zu­wen­den­de Recht ändert sich al­so nicht des­halb, weil der Er­wer­ber ei­nem an­de­ren ein­zel­staat­li­chen Recht un­ter­liegt. Dies gilt je­den­falls, so­weit, wie im Vor­lie­gen-den, kei­ne Rechts­wahl ge­trof­fen wor­den ist. Auch die Recht­spre­chung des Bun­des­ar­beits­ge­richts geht of­fen­sicht­lich da­von aus, dass für den deut­schen Veräußerer die Pflich­ten aus § 613 a BGB nicht des­halb ent­fal­len, weil ein

 

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ausländi­scher Er­wer­ber be­tei­ligt ist. Wäre dem nicht so, hätte das Bun­des­ar­beits­ge­richt in den Ent­schei­dun­gen vom 25.05.2000 - 8 AZR 335/99 - und 16.05.2002, NZA 2003, 93, die Vor­schrift des § 613 a BGB nicht in­halt­lich prüfen müssen. Es ist al­so da­von aus­zu­ge­hen, dass nach Art. 30 Abs. 2 Nr. 1 EGBGB ein Ver­trag zur Er­brin­gung von Ar­beits­leis­tung für ei­nen in Deutsch­land ansässi­gen Be­trieb bei Feh­len ei­ner aus­drück­li­chen oder still­schwei­gen­den Rechts­wahl im Sin­ne von Art. 27 Abs. 1 EGBGB grundsätz­lich deut­schem Recht un­ter­liegt, weil sich der für die ob­jek­ti­ve An­knüpfung maßgeb­li­che ver­trag­li­che Erfüllungs­ort in Deutsch­land be­fin­det. Bei der nor­ma­ler­wei­se ge­ge­be­nen Sach­ver­halts­kon­stel­la­ti­on, dass auf die Ar­beits­verhält­nis­se der in ei­nem deut­schen Be­trieb täti­gen Ar­beit­neh­mer deut­sches Recht An­wen­dung fin­det, ist § 613 a BGB schon von da­her grundsätz­lich auch bei grenzüber­schrei­ten­den Ver­la­ge­run­gen an­zu­wen­den (vgl. Coh­nen, Be­triebs­ver­la­ge­run­gen ins Aus­land und § 613 a BGB, in: Fest­schrift zum 25¬jähri­gen Be­ste­hen der Ar­beits­ge­mein­schaft Ar­beits­recht im Deut­schen An­walts­ver­ein, 2006, s. 599). Weil im übri­gen § 613 a BGB zu den zwin­gen­den Ar­beit­neh­mer­schutz­vor­schrif­ten im Sin­ne von Art. 30 Abs. 1 EGBGB gehört, ist § 613 a BGB nach deut­schem Kol­li­si­ons­recht für in Deutsch­land täti­ge Ar­beit­neh­mer bei ei­ner grenzüber­schrei­ten­den Ver­la­ge­rung so­mit auch un­abhängig von ei­ner et­wai­gen Rechts­wahl zu be­ach­ten (Coh­nen, a. a. 0., S. 600).

(2) Die tat­be­stand­li­chen Vor­aus­set­zun­gen des § 613 a BGB sind im vor­lie­gen­den Fal­le auch un­ter Berück­sich­ti­gung des mögli­chen grenzüber­schrei­ten­den Be­triebsüber­gangs erfüllt. Dass der Kläger den ihm an­ge­bo­te­nen Ar­beits­ver­trag der G. AG nicht an­ge­nom­men hat, hin­dert die An­wen­dung des § 613 a BGB nicht. Der Be­triebsüber­gang ist tat­be­stand­lich nicht von der Ein­wil­li­gung des Ar­beit­neh­mers abhängig. Die Ver­la­ge­rung der be­trieb­li­chen Tätig­keit von M. nach Bu. führt nicht zu ei­ner Un­zu­mut­bar­keit der Wei­ter­beschäfti­gung für die Be­leg­schaft wie in den vom Bun­des­ar­beits­ge­richt ent­schie­de­nen Fällen (Ber­lin nach Ly­on oder Of­fen­bach nach Öster­reich). Bei ei­ner Ent­fer­nung von 59 km und ei­ner Fahr­zeit von 46 Mi­nu­ten ist we­der ein Um­zug der Beschäftig­ten er­for­der­lich noch ein un­zu­mut­ba­rer Auf­wand zur

 

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Er­rei­chung der neu­en Ar­beits­stel­le in Be­tracht zu zie­hen. Für den Kläger, der im ho­me-of­fice für die Be­klag­te ge­ar­bei­tet hat, gilt dies im verstärk­ten Maße.

Die kon­kre­te Verände­rung des Be­triebs­sit­zes ändert nicht per se die Wah­rung der Iden­tität, in­so­weit un­ter­schei­den sich bei grenzüber­schrei­ten­den Ver­la­ge­run­gen die An­for­de­run­gen nicht ge­genüber de­nen, an ei­ne in­ner­halb Deutsch­lands er­fol­gen­de Be­triebs­ver­la­ge­rung. Zur Fest­stel­lung der Iden­titäts­wah­rung sind al­so die vom BAG über­nom­me­nen Prüfkri­te­ri­en (7-Punk­te-Ka­ta­log) her­an­zu­zie­hen, wie sie un­ter Ziff. 1 der Ent­schei­dungs­gründe ge­prüft wur­den und die Möglich­keit der An­nah­me ei­nes Be­triebsüber­gangs be­ste­hen ließen.

Dass die Richt­li­nie 2001/23/EG auf den streit­ge­genständ­li­chen Vor­gang kei­ne An­wen­dung fin­det, weil es sich um ei­ne grenzüber­schrei­ten­de Maßnah­me in die Schweiz han­delt, spielt vor­lie­gend kei­ne Rol­le. Die An­wend­bar­keit des § 613 a BGB er­gibt sich be­reits aus Art. 30 Abs. 1 EGBGB, ei­ne Zu­hil­fe­nah­me der eu­ropäischen Richt­li­ni­en ist nicht er­for­der­lich. Im grenzüber-schrei­ten­den Ver­kehr mit der Schweiz ist aber zusätz­lich bestäti­gend zu berück­sich­ti­gen, dass nach Schwei­zer Recht ei­ne dem § 613 a BGB ver­gleich­ba­re Re­ge­lung in § 333 des Schwei­zer Ob­li­ga­tio­nen­rechts be­steht, wes­halb auch in­so­weit die Ein­wen­dun­gen, es könne ei­nem schwei­zer Über­neh­mer nicht deut­sches Recht auf­ge­zwun­gen wer­den, kei­ne prak­ti­sche Be­deu­tung zu­kommt, ab­ge­se­hen da­von, dass auch § 613 a BGB den vom Be­triebsüber­gang be­trof­fe­nen Ar­beit­neh­mer, gleichgültig ob der Be­trieb im In­land oder ins Aus­land ver­la­gert wird, nur vorüber­ge­hen­den Schutz gewährt.

3. So­weit der Kläger mit sei­nem An­trag Zif­fer 3 fest­ge­stellt ha­ben woll­te, dass sein Ar­beits­verhält­nis über den 31.03.2009 hin­aus fort­be­steht, ist die Kla­ge vom Ar­beits­ge­richt zu Recht ab­ge­wie­sen wor­den. Nach ei­ge­nem Vor­brin­gen des Klägers hat ein grenzüber­schrei­ten­der Be­triebsüber­gang statt­ge­fun­den. So­weit da­bei die tat­be­stand­li­chen Vor­aus­set­zun­gen des § 613 a BGB erfüllt sind, ist das Ar­beits­verhält­nis mit al­len Rech­ten und Pflich­ten auf den Be­triebs­er­wer­ber über­ge­gan­gen. Ein grenzüber­schrei­ten­der Be­triebsüber­gang hat al­so zur Fol-

 

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ge, dass das Ar­beits­verhält­nis nicht mit der Be­klag­ten son­dern mit der Fir­ma G. AG fort­be­steht. Die­se Fir­ma aber hat der Kläger nicht ver­klagt, so­dass ein Fort­be­stand des Ar­beits­verhält­nis­ses mit die­ser im vor­lie­gen­den Ver­fah­ren nicht fest­ge­stellt wer­den kann.

Da die Par­tei­en mit ih­rem Streit­be­geh­ren teils ob­sieg­ten und teils un­ter­la­gen, hat­ten sie nach § 92 ZPO die Kos­ten an­tei­lig zu tra­gen.

Rechts­mit­tel­be­leh­rung

Ge­gen die­ses Ur­teil können d. Par­tei­en nach Maßga­be ih­rer Zu­las­sung im Ur­teils­te­nor schrift­lich Re­vi­si­on ein­le­gen. Die Re­vi­si­on muss in­ner­halb ei­ner Frist von ei­nem Mo­nat, die Re­vi­si­ons­be­gründung in­ner­halb ei­ner Frist von zwei Mo­na­ten bei dem

Bun­des­ar­beits­ge­richt

Hu­go-Preuß-Platz 1

99084 Er­furt

ein­ge­hen.

Bei­de Fris­ten be­gin­nen mit der Zu­stel­lung des in vollständi­ger Form ab­ge­fass­ten Ur­teils, spätes­tens aber mit Ab­lauf von fünf Mo­na­ten nach der Verkündung.

Die Re­vi­si­on und die Re­vi­si­ons­be­gründung müssen von ei­nem Pro­zess­be­vollmäch­tig­ten un­ter­zeich­net sein. Als Pro­zess­be­vollmäch­tig­te sind nur zu­ge­las­sen:

a. Rechts­anwälte,
b. Ge­werk­schaf­ten und Ver­ei­ni­gun­gen von Ar­beit­ge­bern so­wie Zu­sam­men­schlüsse sol­cher Verbände für ih­re Mit­glie­der oder für an­de­re Verbände oder Zu­sam­men­schlüsse mit ver­gleich­ba­rer Aus­rich­tung und de­ren Mit­glie­der,
c. ju­ris­ti­sche Per­so­nen, die die Vor­aus­set­zun­gen des § 11 Abs. 2 Satz 2 Nr. 5 ArbGG erfüllen.

In den Fällen der lit. b und c müssen die han­deln­den Per­so­nen die Befähi­gung zum Rich­ter­amt ha­ben.

 

Bern­hard

Adam

Meßmer

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