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ARBEITSRECHT AKTUELL // 11/203

El­tern­zeit: BAG er­leich­tert Ver­län­ge­rung der El­tern­zeit

Ar­beit­ge­ber muss sich über ei­nen An­trag auf Ver­län­ge­rung der El­tern­zeit stets ernst­haf­te Ge­dan­ken ma­chen: Bun­des­ar­beits­ge­richt, Ur­teil vom 18.10.2011, 9 AZR 315/10
Mann und Frau mit Kinderwagen Die Be­treu­ung des Nach­wuch­ses führt oft zum Streit mit dem Ar­beit­ge­ber

19.10.2010. Ar­beit­neh­mer kön­nen El­tern­zeit bis drit­ten Le­bens­jahr des Kin­des ver­lan­gen. Für das ers­te Jahr sorgt der Staat mit dem El­tern­geld für ei­ne Ein­kom­mens­si­che­rung, da­nach muss man die El­tern­zeit selbst fi­nan­zie­ren.

Da­bei müs­sen sich Ar­beit­neh­mer nur für die ers­ten zwei Jah­re nach der Ge­burt des Kin­des fest­le­gen, wann und wie lan­ge sie El­tern­zeit neh­men wol­len, d.h. ob und wie lan­ge sie im drit­ten Le­bens­jahr El­tern­zeit neh­men wol­len, müs­sen sie sich erst spä­ter über­le­gen.

Vie­le El­tern ent­schei­den sich mit Blick auf das El­tern­geld erst ein­mal nur für ei­ne ein­jäh­ri­ge El­tern­zeit, wol­len dann aber spä­ter ver­län­gern. Das ist im Ge­setz so nicht vor­ge­hen: § 16 Abs. 1 Satz 1 Bun­des­el­tern­geld- und El­tern­zeit­ge­setz (BEEG) ver­langt, dass die Fest­le­gung der Dau­er der El­tern­zeit in­ner­halb des ers­ten Zwei­jah­res­zeit­raums nach der Ge­burt ei­ne ver­bind­li­che Fest­le­gung dar­über ent­hält, für wel­che Zei­ten El­tern­zeit ge­nom­men wer­den soll. Ei­ne spä­te­re Ver­län­ge­rung setzt vor­aus, dass der Ar­beit­ge­ber zu­stimmt (§ 16 Abs.3 Satz 1 BEEG).

Frag­lich ist, ob der Ar­beit­ge­ber über ei­nen An­trag auf El­tern­zeit-Ver­län­ge­rung nach Gut­dün­ken bzw. voll­kom­men frei ent­schei­den kann oder ob er da­bei ei­ne ernst­haf­te Ab­wä­gung der ei­ge­nen In­ter­es­sen und der des Ar­beit­neh­mers vor­neh­men muss, d.h. ob er "nach bil­li­gem Er­mes­sen" (§ 315 Abs.3 Bür­ger­li­ches Ge­setz­buch - BGB) ent­schei­den muss.

Dann hät­te der Ar­beit­neh­mer ei­nen An­spruch auf Ver­län­ge­rung, falls ei­ne Ver­wei­ge­rung der Ver­län­ge­rung voll­kom­men ein­sei­tig bzw. "un­bil­lig" wä­re. So sieht es das Bun­des­ar­beits­ge­richt (BAG) in ei­nem Ur­teil­vom gest­ri­gen Ta­ge (Ur­teil vom 18.10.2011, 9 AZR 315/10).

Verlänge­rung der El­tern­zeit - ins Be­lie­ben des Ar­beit­ge­bers ge­stellt?

Da das BEEG in den ers­ten zwei Le­bens­jah­ren des Kin­des we­der ei­nen An­spruch des Ar­beit­neh­mers auf Verlänge­rung der (ein­mal fest­ge­leg­ten) El­tern­zeit vor­sieht noch ei­nen An­spruch dar­auf, dass der Ar­beit­ge­ber über ei­ne sol­che Bit­te nach bil­li­gem Er­mes­sen ent­schei­det, sieht es auf den ers­ten Blick so aus, als hätte der Ar­beit­ge­ber hier voll­kom­men freie Hand. Die­se An­sicht hat tatsächlich das Lan­des­ar­beits­ge­richt (LAG) Ba­den-Würt­tem­berg ver­tre­ten (Ur­teil vom 14.04.2010, 10 Sa 59/09, wir be­rich­te­ten darüber in Ar­beits­recht ak­tu­ell: 10/231 Ar­beit­ge­ber muss El­tern­zeit­verlänge­rung nicht im­mer zu­stim­men).

Im Klar­text würde das heißen: Stimmt ein Ar­beit­ge­ber ei­ner Verlänge­rung der El­tern­zeit nicht zu, braucht der hierfür kei­ner­lei Be­gründung zu ge­ben. Nur in ex­tre­men Aus­nah­mefällen, wenn die Ab­leh­nung schi­kanös bzw. "rechts­miss­bräuch­lich" wäre, kann ein An­spruch auf El­tern­zeit-Verlänge­rung trotz ab­leh­nen­der Hal­tung des Ar­beit­ge­bers ein­mal ge­ge­ben sein.

Ei­ne sol­che Hand­ha­bung des Ge­set­zes wäre al­ler­dings ei­ne große Härte für be­trof­fe­ne Ar­beit­neh­mer. Denn hin­ter ei­nem An­trag auf El­tern­zeit-Verlänge­rung ste­hen meist trif­ti­ge fa­mi­liäre Gründe, und "ein­fach so" ver­zich­tet auch kein Ar­beit­neh­mer auf Ar­beit und Ge­halt. An­de­rer­seits hat sich der Ar­beit­ge­ber zwar auf die zunächst gewähl­te kur­ze El­tern­zeit ein­ge­stellt, doch ist nicht ein­zu­se­hen, war­um das ei­ner vernünf­ti­gen Abwägungs­ent­schei­dung ent­ge­gen­ste­hen soll­te.

BAG: Ar­beit­ge­ber müssen über ei­nen An­trag auf Verlänge­rung der El­tern­zeit "nach bil­li­gem Er­mes­sen" ent­schei­den, d.h. sich ernst­haf­te Ge­dan­ken ma­chen

Der Fall,über den das LAG Ba­den-Würt­tem­berg in dem o.g. Ur­teil vom 14.04.2010 (10 Sa 59/09) ent­schie­den hat­te und der jetzt dem BAG vor­lag, be­traf ei­ne Ar­beit­neh­me­rin, die sich zunächst auf zwölf Mo­na­te El­tern­zeit nach der Ge­burt ih­res fünf­ten Kin­des fest­ge­legt hat­te. Ge­gen En­de die­ser zwölf Mo­na­te bat sie um Verlänge­rung der El­tern­zeit um wei­te­re zwölf Mo­na­te, da ihr Kind chro­nisch krank war.

Der Ar­beit­ge­ber ver­wei­ger­te die Zu­stim­mung, wor­auf­hin die Ar­beit­neh­me­rin nicht zur Ar­beit kam und prompt ei­ne Ab­mah­nung er­hielt. Sie zog vor Ge­richt mit dem Ziel, ei­ne El­tern­zeit-Verlänge­rung zu er­rei­chen. Außer­dem wehr­te sie sich ge­gen die Ab­mah­nung.

Das Ar­beits­ge­richt Frei­burg (Breis­gau) gab ihr Recht (Ur­teil vom 01.09.2009, 8 Ca 109/09), während das LAG Ba­den-Würt­tem­berg wie erwähnt pro Ar­beit­ge­ber ent­schied.

Vor dem BAG wie­der­um hat­te die Ar­beit­neh­me­rin Er­folg. Das BAG hob das LAG-Ur­teil auf und ver­wies den Rechts­streit zurück an das LAG zur wei­te­ren Sach­ver­halts­aufklärung und Ent­schei­dung. Da­bei stell­te das BAG klar, dass Ar­beit­ge­ber nach bil­li­gem Er­mes­sen ent­spre­chend § 315 Abs. 3 BGB darüber zu ent­schei­den ha­ben, ob sie ei­ner Verlänge­rung der El­tern­zeit zu­stim­men oder nicht.

Fa­zit: Mit der vor­lie­gen­den Ent­schei­dung hat das BAG die Verlänge­rung der El­tern­zeit we­sent­lich er­leich­tert. Zwar müssen sich El­tern nach wie vor ver­bind­lich ent­schei­den, wie lan­ge sie in den ers­ten zwei Le­bens­jah­ren ih­res Kin­des El­tern­zeit neh­men möch­ten, doch kann der Ar­beit­ge­ber auf­grund die­ses BAG-Ur­teils Anträge auf El­tern­zeit-Verlänge­rung nicht mehr wie bis­her ein­fach ab­schmet­tern, oh­ne sich ernst­haf­te Ge­dan­ken darüber zu ma­chen, ob im Ein­zel­fall sei­ne (be­trieb­li­chen) In­ter­es­sen oder die (fa­mi­liären) In­ter­es­sen des Ar­beit­neh­mers vor­ran­gig sind.

Nähe­re In­for­ma­tio­nen fin­den Sie hier:

Hin­weis: In der Zwi­schen­zeit, d.h. nach Er­stel­lung die­ses Ar­ti­kels, hat das Ge­richt sei­ne Ur­teils­gründe veröffent­licht. Das vollständig be­gründe­te Ur­teil fin­den Sie hier:

Letzte Überarbeitung: 17. Mai 2016

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