24.04.2013. Betriebsrenten werden in aller Regel in Großunternehmen sowie auf der Grundlage komplizierter Versorgungsordnungen gewährt.
Manche dieser Versorgungsordnungen sehen vor, dass Betriebsrentner für den Teil ihres Einkommens, der über der Beitragsbemessungsgrenze (BBG) in der gesetzlichen Rentenversicherung liegt, eine höhere Betriebsrente erhalten, weil die gesetzliche Rentenversicherung für diesen Einkommensteil ja keine Rente gewährt. Wird die BBG angehoben, führt das dazu, dass die Betriebsrente sinkt.
Da die BBG im Jahre 2003 abweichend von den sonstigen "normalen" Anhebungen außerplanmäßig besonders deutlich angehoben wurde, besteht seit Jahren Streit darüber, ob die rentenpflichtigen Arbeitgeber ihren Betriebsrentnern dafür einen Ausgleich gewähren müssen. Nein, müssen sie nicht, so das Bundesarbeitsgericht (BAG) in einer Entscheidung vom gestrigen Tage: BAG, Urteil vom 23.04.2013, 3 AZR 475/11.
Die BBG in der gesetzlichen Rentenversicherung (GRV) legt fest, bis zu welcher Höhe Löhne bzw. Gehälter der Rentenversicherung unterliegen. Arbeitnehmer, deren Einkommen darüber liegen, fallen zwar nicht aus der GRV heraus, aber Rentenbeiträge werden nur auf den Teil ihres Einkommens berechnet und abgeführt, der der BBG entspricht. Der darüber liegende Teil des Einkommens ist rentenversicherungsfrei, d.h. darauf bezogen werden keine Beiträge abgeführt, aber natürlich auch keine Rentenleistungen erbracht.
Normalerweise steigt die BBG von Jahr zu Jahr nur ein wenig, denn nach § 159 Satz 1 Sechstes Buch Sozialgesetzbuch (SGB VI) wird sie zum 1. Januar eines jeden Jahres in dem Verhältnis angehoben (bzw. theoretisch auch gesenkt), in dem die Bruttoeinkommen je Arbeitnehmer im vergangenen zu den Bruttoeinkommen im davor liegenden Kalenderjahr stehen. Abweichend von dieser jahrzehntelang praktizierten allmählichen Anhebung wurde die BBG im Jahre 2003 außerplanmäßig aus politischen Gründen um 500,00 EUR monatlich, d.h. um 6.000,00 EUR pro Jahr angehoben, um der GRV auf einen Schlag erhebliche Mehreinnahmen zu bescheren.
Die Dummen waren und sind diejenigen ehemals besser verdienenden Betriebsrentner, der Betriebsrenten gemäß einer gespaltenen Rentenformel berechnet werden, d.h. die für den über der BBG liegenden Teil ihres Einkommens eine höhere Betriebsrente erhalten als für den darunter liegenden Teil. Ihre Betriebsrenten sanken auf einmal drastisch, teilweise um bis zu 200,00 EUR und mehr.
Das BAG hielt das in zwei Entscheidungen aus dem Jahre 2009 für unangemessen und entschied, dass Versorgungsordnungen mit einer gespaltenen Rentenformel durch die Sondererhöhung der BBG im Jahre 2003 "regelmäßig lückenhaft geworden" und daher "entsprechend dem ursprünglichen Regelungsplan zu ergänzen" seien (BAG, Urteil vom 21.04.2009, 3 AZR 695/08, Leitsatz 1., BAG, Urteil vom 21.04.2009, 3 AZR 471/07).
Diese Rechtsprechung ist überwiegend kritisiert worden. Insbesondere haben viele Landesarbeitsgerichte (LAGs) abweichend entschieden (so z.B. das LAG Rheinland-Pfalz, Urteil vom 02.02.2012, 2 Sa 566/11). Denn mit der ansonsten anerkannten Rechtsprechung zu sog. Regelungslücken in Verträgen konnte man diese beiden BAG-Urteile kaum vereinbaren, auch wenn sie aus Sicht der betroffenen Betriebsrentner natürlich gut und gerecht waren.
Im Streitfall ging es um einen Betriebsrentner, der seit Anfang 2006 von seinem beklagten Ex-Arbeitgeber eine Betriebsrente erhielt, und zwar auf der Grundlage einer gespaltenen Rentenformel. Der Arbeitgeber hatte die Betriebsrente unter Berücksichtigung der BBG-Erhöhung 2003 berechnet, d.h. in einer für den Rentner ungünstigen Weise. Ohne Berücksichtigung der BBG-Erhöhung 2003 hätte der Rentner eine um 58,83 EUR höhere monatliche Betriebsrente erhalten.
Diesen Differenzbetrag klagte er ein und zog vor dem Arbeitsgericht Stuttgart (Urteil vom 23.09.2010, 4 Ca 11368/09) sowie in der Berufung vor dem LAG Baden-Württemberg den Kürzeren (LAG Baden-Württemberg, Urteil vom 10.05.2011, 2 Sa 115/10). Beide Gerichte wollten den Vorgaben des BAG aus dem Jahre 2009 nicht folgen. Dabei ging das LAG allerdings nicht offen auf Konfrontationskurs zum BAG, sondern bemühte sich, sein Urteil mit Unterschieden zwischen der hier im Streitfall geltenden Versorgungsordnung und der Versorgungsordnung zu begründen, über die das BAG 2009 zu entscheiden hatte.
Auch vor dem BAG ging der Betriebsrentner gestern als Verlierer vom Platz. In der derzeit allein vorliegenden Pressemeldung des BAG heißt es dazu:
Eine vor dem 01.01.2003 getroffene Versorgungsvereinbarung, die für den Teil des versorgungsfähigen Einkommens oberhalb der BBG in der GRV höhere Versorgungsleistungen vorsieht als für den darunter liegenden Teil (sog. gespaltene Rentenformel), ist nach der außerplanmäßigen Anhebung der BBG zu Anfang 2003 nicht ergänzend dahin auszulegen, dass die Betriebsrente so zu berechnen ist, als wäre diese Anhebung der BBG nicht erfolgt.
Damit gibt das BAG seine gegenteilige Rechtsprechung aus den o.g. beiden Urteilen aus dem Jahre 2009 ausdrücklich auf. Denn die damalige Begründung, dass bestehende Versorgungsordnungen aufgrund der Anhebung der BBG 2003 "lückenhaft" geworden sein sollen, war und ist nicht überzeugend.
Daher könnte sich ein Anspruch von Betriebsrentnern auf eine höhere Betriebsrente wegen Anhebung der BBG 2003 "allenfalls nach den Regeln über die Störung der Geschäftsgrundlage (§ 313 BGB) ergeben", so das BAG. Das aber setzt nach der Rechtsprechung eine ungeplante Minderung der Betriebsrenten um 30 oder 40 Prozent voraus. Hier dagegen konnte der klagende Betriebsrentner "nur" eine Minderung seiner Betriebsrente um etwa sechs bis acht Prozent geltend machen. Auch das ist viel, aber nicht genug, um von einer Störung der Geschäftsgrundlage sprechen zu können.
Fazit: Abgesehen von seltenen Extremfällen können Betriebsrentner mit gespaltener Rentenformel von ihren Ex-Arbeitgebern keinen finanziellen Ausgleich für die Erhöhung der Beitragsbemessungsgrenze 2003 verlangen.
Nähere Informationen finden Sie hier:
Hinweis: In der Zwischenzeit, d.h. nach Erstellung dieses Artikels, hat das Gericht seine Entscheidungsgründe schriftlich abgefasst und veröffentlicht. Die Entscheidungsgründe im Volltext finden Sie hier:
Letzte Überarbeitung: 13. Oktober 2016
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