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ARBEITSRECHT AKTUELL // 14/364

EuGH zum Be­triebs­über­gang im Kon­zern

Die be­herr­schen­de Stel­lung des Be­triebs­ver­äu­ße­rers ge­gen­über dem Er­wer­ber steht ei­nem Be­triebs­über­gang nicht ent­ge­gen: Eu­ro­päi­scher Ge­richts­hof, Ur­teil vom 06.03.2014, C-458/12 (Ama­to­ri gg. Tele­com Ita­lia)
Zwei Firmenschilder, eines durchgestrichen

29.10.2014. Wird ein Be­trieb oder Be­triebs­teil ver­kauft, tritt der Er­wer­ber au­to­ma­tisch in die be­ste­hen­den Ar­beits­ver­hält­nis­sen ein, d.h. an den Rech­ten und Pflich­ten aus den be­ste­hen­den Ar­beits­ver­trä­gen än­dert sich nichts.

Von die­sem ju­ris­ti­schen Schutz ha­ben Ar­beit­neh­mer aber bei Be­triebs­über­gän­gen von ei­ner Kon­zern­mut­ter auf ein Toch­ter­un­ter­neh­men oft we­nig, denn ih­re Si­tua­ti­on ist bei der Kon­zern­mut­ter so oder so vor­aus­sicht­lich bes­ser als bei ei­nem Toch­ter­un­ter­neh­men.

Da­her weh­ren sich Ar­beit­neh­mer, die von ei­ner sol­chen "Aus­töch­te­rung" be­trof­fen sind, manch­mal mit dem Ar­gu­ment ge­gen die Über­lei­tung ih­rer Ar­beits­ver­hält­nis­se, dass ein Be­triebs- oder Be­triebs­teil­über­gang in Wahr­heit gar nicht vor­liegt, weil es gar kei­nen über­gangs­fä­hi­gen Be­triebs­teil gibt und/oder weil die Kon­zern­mut­ter wei­ter­hin das Sa­gen hat.

In ei­nem ak­tu­el­len Fall hat der Eu­ro­päi­sche Ge­richts­hof (EuGH) deut­lich ge­macht, dass das Eu­ro­pa­recht kaum Stüt­zen für sol­che Ar­gu­men­te ent­hält: EuGH, Ur­teil vom 06.03.2014, C-458/12 (Ama­to­ri gg. Tele­com Ita­lia).

Ver­bie­tet das Eu­ro­pa­recht die ge­setz­li­che Über­lei­tung von Ar­beits­verhält­nis­sen von ei­ner Kon­zern­mut­ter auf ei­ne Kon­zern­toch­ter, wenn gar kein über­g­angsfähi­ger Be­trieb vor­liegt?

Gemäß § 613a Abs.1 Satz 1 Bürger­li­ches Ge­setz­buch (BGB) tritt der Er­wer­ber ei­nes Be­triebs oder Be­triebs­teils kraft Ge­set­zes in die Stel­lung des al­ten Ar­beit­ge­bers, des Be­triebs­veräußerers, ein. Die­se Re­ge­lung ent­spricht den eu­ro­pa­recht­li­chen Vor­ga­ben, die sich aus der Richt­li­nie 2001/23/EG des Ra­tes vom 12.03.2001 zur An­glei­chung der Rechts­vor­schrif­ten der Mit­glied­staa­ten über die Wah­rung von Ansprüchen der Ar­beit­neh­mer beim Über­gang von Un­ter­neh­men, Be­trie­ben oder Un­ter­neh­mens- oder Be­triebs­tei­len (Richt­li­nie 2001/23/EG) er­ge­ben. Denn Art.3 Abs.1 Satz 1 der Richt­li­nie 2001/23/EG lau­tet:

"Die Rech­te und Pflich­ten des Veräußerers aus ei­nem zum Zeit­punkt des Über­gangs be­ste­hen­den Ar­beits­ver­trag oder Ar­beits­verhält­nis ge­hen auf­grund des Über­gangs auf den Er­wer­ber über."

Die­se au­to­ma­ti­sche Über­lei­tung der Ar­beits­verhält­nis­se auf den Be­triebs­er­wer­ber soll die be­trof­fe­nen Ar­beit­neh­mer schützen: Denn würden ih­re Ar­beits­verhält­nis­se nicht zu­sam­men mit dem veräußer­ten Be­trieb auf den Be­triebs­er­wer­ber über­ge­hen, könn­te der Be­triebs­veräußerer Kündi­gun­gen aus­spre­chen, weil er in­fol­ge der Be­triebs­veräußerung kei­ne Beschäfti­gungsmöglich­kei­ten mehr hätte. Da die Ar­beits­verhält­nis­se aber mit al­len ver­trag­li­chen Ansprüchen auf den Er­wer­ber über­ge­lei­tet wer­den, dro­hen (je­den­falls theo­re­tisch) we­der Lohn­sen­kun­gen noch Kündi­gun­gen.

Das ist aus Ar­beit­neh­mer­sicht schon ein­mal gut. Noch bes­ser ist es al­ler­dings, die­sen "Schutz" gar nicht in An­spruch neh­men zu müssen, je­den­falls dann, wenn es um ei­nen Wech­sel von ei­ner Kon­zern­mut­ter auf ei­ne Toch­ter­ge­sell­schaft geht. Bleibt man bei der Mut­ter­ge­sell­schaft, ist man dort nämlich al­le­mal bes­ser auf­ge­ho­ben als bei ei­ner Toch­ter.

Frag­lich ist, ob die Richt­li­nie 2001/23/EG an die­ser Stel­le Gren­zen für ei­ne ju­ris­tisch au­to­ma­ti­sche und da­mit den Ar­beit­neh­mern auf­ge­zwun­ge­ne Über­lei­tung von Ar­beits­verhält­nis­sen enthält. An­ders ge­sagt: Würde es ge­gen die Richt­li­nie ver­s­toßen, den Ar­beit­neh­mern kraft ge­setz­li­cher Re­ge­lung auch dann ei­nen neu­en Ar­beit­ge­ber vor die Na­se zu set­zen, wenn gar kei­ne über­g­angsfähi­ge be­trieb­li­che Ein­heit be­stand und/oder wenn die Über­lei­tung fragwürdig ist, weil die veräußern­de Kon­zern­mut­ter vor wie nach dem an­geb­li­chen "Über­gang" der Lei­tungs­macht das Sa­gen hat?

Der Fall Lo­ren­zo Ama­to­ri und Kol­le­gen ge­gen Tele­com Ita­lia: Die Tele­com zau­bert ei­ne Spar­te "IT Ope­ra­ti­ons" aus dem Hut und bringt sie als Sach­ein­la­ge in ei­ne Toch­ter­ge­sell­schaft ein

In dem ita­lie­ni­schen Streit­fall teil­te die Tele­com Ita­lia im Fe­bru­ar 2010 ih­ren Un­ter­neh­mens­be­reich "In­for­ma­ti­on Tech­no­lo­gy" in et­wa zehn Un­ter­be­rei­che auf, dar­un­ter ei­ne Spar­te „IT Ope­ra­ti­ons“. Im Zu­ge die­ser Um­struk­tu­rie­rung wur­den der Spar­te "IT Ope­ra­ti­ons" auch Ar­beit­neh­mer zu­ge­ord­net, die mit Ausführungs­auf­ga­ben be­traut wa­ren und de­ren Ab­tei­lung „Soft­ware and test fac­to­ry“ hieß.

Ob­wohl die Ar­beit­neh­mer der Ab­tei­lung „Soft­ware and test fac­to­ry“ der Spar­te „IT Ope­ra­ti­ons“ zu­ge­ord­net wa­ren, hat­ten sie wie bis­her eng mit den Kol­le­gen an­de­rer Spar­ten zu­sam­men­zu­ar­bei­ten, vor al­lem mit Kol­le­gen der Spar­te „Pro­jekt­pla­nung“.

Gut zwei Mo­na­te nach die­ser Um­struk­tu­rie­rung, En­de April 2010, brach­te die Tele­com Ita­lia die Spar­te „IT Ope­ra­ti­ons“ als Sach­ein­la­ge in ei­ne Toch­ter­ge­sell­schaft ein, die TIIT, die un­ter Be­ru­fung auf die ita­lie­ni­schen Ge­set­zes­vor­schrif­ten zum Be­triebsüber­gang als neu­er Ar­beit­ge­ber der Beschäftig­ten der Spar­te „IT Ope­ra­ti­ons“ auf­trat.

Herr Ama­to­ri und 74 sei­ner Kol­le­gen wa­ren da­mit nicht ein­ver­stan­den und zo­gen vor das Tri­bu­na­le di Tren­to, um den Fort­be­stand ih­rer Ar­beits­verhält­nis­se mit der Tele­com Ita­lia fest­stel­len zu las­sen. Da­bei be­rie­fen sie sich dar­auf, dass die Spar­te "IT Ope­ra­ti­ons" vor der Ein­brin­gung in das Ka­pi­tal der Tele­com-Toch­ter­ge­sell­schaft TIIT gar kei­ne funk­tio­nell selbständi­ge Un­ter­ab­tei­lung von Tele­com Ita­lia ge­we­sen sei und dass Tele­com Ita­lia nach wie vor das Sa­gen ha­be.

Das Tri­bu­na­le di Tren­to hielt es für möglich, dass nach den ita­lie­ni­schen Ge­set­zes­vor­schrif­ten über den Be­triebsüber­gang ein Ar­beit­ge­ber­wech­sel statt­ge­fun­den hat­te, hielt das aber für eu­ro­pa­recht­lich be­denk­lich. Da­her frag­te es den EuGH, ob die Richt­li­nie 2001/23/EG ei­nem au­to­ma­ti­schen Ar­beit­ge­ber­wech­sel oh­ne Ein­verständ­nis der Ar­beit­neh­mer ent­ge­gen­steht,

  • falls es vor dem (an­geb­li­chen) "Be­triebsüber­gang" gar kei­ne funk­tio­nell selbständi­ge wirt­schaft­li­che Ein­heit ge­ge­ben hat, und/oder
  • falls das veräußern­de Un­ter­neh­men nach dem Über­gang ei­ne star­ke be­herr­schen­de Stel­lung ge­genüber dem Er­wer­ber ein­nimmt, die durch ei­ne en­ge Ver­bin­dung in Form ei­nes Auf­trags­verhält­nis­ses und ei­ne Ver­men­gung des Un­ter­neh­mens­ri­si­kos zu­tra­ge tritt.

EuGH: Auch wenn kein Be­triebsüber­gang im Sin­ne der Richt­li­nie 2001/23/EG vor­liegt, können die Mit­glieds­staa­ten in ähn­li­chen Fällen Ar­beits­verhält­nis­se auf ei­nen neu­en Ar­beit­ge­ber über­ge­hen las­sen

Der EuGH be­ant­wor­te­te bei­de Vor­la­ge­fra­gen des Tri­bu­na­le di Tren­to im Sin­ne der Tele­com Ita­lia.

Wenn es vor ei­nem un­ter­neh­me­ri­schen Zu­sam­men­schluss kei­ne funk­tio­nell selbständi­ge wirt­schaft­li­che Ein­heit, d.h. kei­nen Be­trieb oder Be­triebs­teil im Sin­ne der Richt­li­nie 2001/23/EG gab, und wenn in­fol­ge­des­sen kein Be­triebsüber­gang im Sin­ne die­ser Richt­li­nie vor­liegt, dann schreibt die Richt­li­nie den Mit­glieds­staa­ten eben nichts vor. Sie ver­bie­tet es da­her den Mit­glieds­staa­ten nicht, die Ar­beit­neh­mer auch in sol­chen Fällen durch ei­ne au­to­ma­ti­sche ge­setz­li­che Über­lei­tung ih­rer Ar­beits­verhält­nis­se zu "schützen".

Außer­dem bestätigt der Ge­richts­hof sei­ne bis­he­ri­ge Recht­spre­chung, der zu­fol­ge ein Be­triebsüber­gang auch dann vor­lie­gen kann, wenn der Veräußerer ei­ne Kon­zern­mut­ter­ge­sell­schaft und der Er­wer­ber ei­ne Toch­ter­ge­sell­schaft ist. Denn auch und ge­ra­de in sol­chen Fällen soll­ten die be­trof­fe­nen Ar­beit­neh­mer gemäß Art.3 Abs.1 Satz 1 der Richt­li­nie 2001/23/EG geschützt wer­den.

Das EuGH-Ur­teil bestätigt, dass die Richt­li­nie 2001/23/EG kei­ne Grund­la­ge für die Möglich­keit ei­nes Wi­der­spruchs der Ar­beit­neh­mer ge­gen die Über­lei­tung ih­rer Ar­beits­verhält­nis­se auf den Be­triebs­er­wer­ber enthält. Die nach deut­schen Recht be­ste­hen­de Wi­der­spruchsmöglich­keit (§ 613a Abs.6 BGB) geht da­her über die Vor­ga­ben des EU-Rechts hin­aus.

Und so­gar dort, wo § 613a BGB nicht gilt wie bei ge­setz­li­chen Über­lei­tun­gen von Ar­beits­verhält­nis­sen, lässt sich dem deut­schen Ver­fas­sungs­recht ein Ve­to­recht der Ar­beit­neh­mer ge­genüber ei­nem ih­nen auf­ge­zwun­ge­nen Ar­beit­ge­ber­wech­sel ent­neh­men, wie das Bun­des­ver­fas­sungs­ge­richt (BVerfG) vor ei­ni­gen Jah­ren ent­schie­den hat (BVerfG, Be­schluss vom 25.01.2011, 1 BvR 1741/09 - wir be­rich­te­ten darüber in Ar­beits­recht ak­tu­ell: 11/108 Bun­des­ver­fas­sungs­ge­richt: Wi­der­spruchs­recht auch bei Pri­va­ti­sie­rung auf­grund Ge­set­zes).

Fa­zit: Hätte sich der ita­lie­ni­sche Vor­la­ge­fall in Deutsch­land ab­ge­spielt, hätten die be­trof­fe­nen Ar­beit­neh­mer ein­fach der Über­lei­tung ih­rer Ar­beits­verhält­nis­se auf die Toch­ter­ge­sell­schaft wi­der­spre­chen können und wären da­durch bei ih­rem bis­he­ri­gen Ar­beit­ge­ber, der Mut­ter­ge­sell­schaft ge­blie­ben.

Trotz des Wi­der­spruchs­rechts lohnt es sich aus Ar­beit­neh­mer­sicht, das Vor­lie­gen ei­nes vom Ar­beit­ge­ber be­haup­te­ten Be­triebsüber­gangs an­walt­lich über­prüfen zu las­sen, wenn man mit ihm nicht ein­ver­stan­den ist. Denn wenn gar kein über­g­angsfähi­ger Be­trieb oder Be­triebs­teil exis­tiert, ist § 613a Abs.1 BGB nicht an­wend­bar, und dann muss ein Wi­der­spruch ge­gen die ar­beit­ge­ber­sei­tig be­haup­te­te Über­lei­tung des Ar­beits­verhält­nis­ses nur vor­sorg­lich erklärt wer­den. Das stärkt die Ver­hand­lungs­po­si­ti­on des Ar­beit­neh­mers, wenn der Ar­beit­ge­ber im wei­te­ren Ver­lauf ei­ne be­triebs­be­ding­te Kündi­gung aus­spricht, weil er in­fol­ge ei­nes - an­geb­li­chen - Be­triebsüber­gangs kei­ne Beschäfti­gungsmöglich­kei­ten mehr sieht.

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Letzte Überarbeitung: 2. September 2019

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