15.11.2012. Arbeitgeber versuchen mit guten Gründen, in einem Bewerbungsgespräch oder mit Hilfe von Bewerberfragebögen herauszufinden, ob ein Stellenbewerber für die Stelle geeignet ist oder nicht. Und natürlich möchte man mit "schwarzen Schafen" keinen Arbeitsvertrag abschließen.
Bewerber mit Vorstrafen haben es daher schwer, eine Stelle zu bekommen. Und da viele Bestrafungen mit der Zuverlässigkeit des Bewerbers für eine bestimmte Stelle nichts zu tun haben, darf der Arbeitgeber nur nach "einschlägigen" Vorstrafen fragen: Ein Kraftfahrer darf zu Straßenverkehrsdelikten befragt werden, ein Buchhalter zu Vermögensdelikten usw.
Diese Beschränkungen der Auskunftspflicht von Stellenbewerbern gelten natürlich auch für die Frage, ob in der Vergangenheit Ermittlungsverfahren gegen den Bewerber geführt worden sind. Denn dass die Polizei oder die Staatsanwaltschaft ein Ermittlungsverfahren geführt hat, besagt für sich genommen gar nichts, denn solche Verfahren müssen aufgrund jeder noch so unsinnigen Strafanzeige geführt werden - und werden daher oft ergebnislos eingestellt.
Der Arbeitgeber sollte es sich daher im Allgemeinen verkneifen, Bewerber nach Ermittlungsverfahren zu befragen, wie ein heute ergangenes Urteil des Bundesarbeitsgericht (BAG) zeigt: BAG, Urteil vom 15.11.2012, 6 AZR 339/11.
Im Bewerbungsverfahren und bei einem Vorstellungsgespräch müssen Bewerber nur zulässige Fragen des Arbeitgebers wahrheitsgemäß beantworten. Bei unzulässigen Fragen haben Bewerber „Recht zur Lüge“, denn das bloße Nicht-Beantworten einer unzulässigen Frage hätte denselben negativen Effekt wie eine richtige Antwort.
Fragt der Arbeitgeber nach Vorstrafen, muss er daher gezielt nach den Strafen fragen, auf die es bei der zu besetzenden Stelle ankommt. So darf der Arbeitgeber z.B. einen Bewerber, der sich als Kassierer bewirbt, nach Verurteilungen wegen Diebstahls, Unterschlagung oder Betrugs fragen. Und bei Tätigkeiten, bei denen der Bewerber Kontakt zu Kindern und Jugendlichen hat, ist die Frage nach Strafen wegen Sexualdelikten und Körperverletzungsdelikten zulässig.
Und es gibt eine weitere Einschränkung: Vorgänge, die nicht im Führungszeugnis stehen, muss der Arbeitnehmer auch dann nicht angegeben, wenn sie einschlägige Delikte betreffen: Daher darf angehender Kassierer eine Verurteilung wegen Diebstahls zu 30 Tagessätzen verschweigen.
Vor diesem Hintergrund ist klar, dass auch Fragen nach laufenden oder in der Vergangenheit einmal geführten Ermittlungsverfahren der Staatsanwaltschaft nur in engen Grenzen zulässig sind. Erstens dürfen überhaupt nur Bewerber auf Stellen in "sicherheitsrelevanten" oder pädagogischen Bereichen nach Ermittlungsverfahren befragt werden, und das auch nur mit der weiteren Einschränkung, dass nur nach stellenspezifischen Delikten gefragt werden darf.
Gegen diese Grundsätze hatte das Land Nordrhein-Westfalen (NRW) gravierend verstoßen.
Im Fall des BAG ging es um einen Ingenieur, der sich im Sommer 2009 mit Ende 40 als sog. Seiteneinsteiger als Lehrer an einer Hauptschule in Nordrhein-Westfalen (NRW) bewarb.
Vor seiner Einstellung wurde er aufgefordert, auf einem Vordruck zu erklären, ob er vorbestraft sei. Außerdem sollte er versichern, dass gegen ihn kein Ermittlungsverfahren der Staatsanwaltschaft anhängig sei oder innerhalb der letzten drei Jahre anhängig gewesen sei.
Der Ingenieur unterschrieb den Vordruck und machte dabei keine Angaben zu Ermittlungsverfahren. Diese Erklärung war nicht richtig, denn in Wahrheit waren in den letzten Jahrens insgesamt fünf Ermittlungsverfahren wegen geringfügiger Delikte gegen ihn geführt worden, die allesamt eingestellt worden waren.
Aufgrund seiner Angaben wurde der Ingenieur zum 15.09.2009 befristet für ein Jahr eingestellt. Im Oktober 2009 erhielt die zuständige Bezirksregierung einen anonymen Hinweis, der sie veranlasste, die Staatsanwaltschaft um Mitteilung strafrechtsrelevanter Vorfälle zu bitten.
Daraufhin übersandte die Staatsanwaltschaft eine Vorgangsliste mit mehreren nach §§ 153 ff. Strafprozessordnung (StPO) eingestellten Ermittlungsverfahren. Das nahm das Land NRW als Arbeitgeber zum Anlass, das Arbeitsverhältnis außerordentlich und fristlos zu kündigen. Hilfsweise für den Fall der Unwirksamkeit der fristlosen Kündigung kündigte das Land ordentlich und erklärte die Anfechtung des Arbeitsvertrags. Grund dafür war, dass der Arbeitnehmer die Frage nach Ermittlungsverfahren falsch beantwortet habe.
Der Ingenieur klagte gegen die Kündigungen und die Anfechtung und konnte vor dem Arbeitsgericht Detmold einen Teilerfolg verbuchen, da das Arbeitsgericht nur die ordentliche Probezeitkündigung für rechtens hielt, die fristlose Kündigung und die Anfechtung dagegen für unwirksam (Urteil vom 28.04.2010, 2 Ca 1577/09). Das mit der Berufung befasste Landesarbeitsgericht (LAG) Hamm ging noch einen Schritt weiter und erklärte auch die fristgerechte Kündigung für unwirksam (LAG Hamm, Urteil vom 10.03.2011, 11 Sa 2266/10).
Auch das BAG entschied gegen das beklagte Land. Zur Begründung heißt es dazu in der derzeit allein vorliegenden Pressemeldung des BAG:
Eine Erhebung von Daten, wie sie die unspezifizierte Frage nach Ermittlungsverfahren darstellt, ist nach den datenschutzrechtlichen Bestimmungen in Nordrhein-Westfalen nur zulässig,
Hier lag keine Erlaubnis durch Rechtsvorschriften vor, so das BAG, denn Informationen zu abgeschlossenen Ermittlungsverfahren sind für die Bewerbung um eine Stelle als Lehrer nicht erforderlich. Daher greift der Rechtfertigungsgrund des § 29 des Datenschutzgesetzes Nordrhein-Westfalen nicht ein. Und eingewilligt in die Datenerhebung hatte der Bewerber hier im Streitfall auch nicht.
Daher hatte das Land NRW mit der Befragung gegen datenschutzrechtliche Gesetzesvorschriften verstoßen. Aber damit nicht genug: Das BAG wirft dem Land einen Verstoß "gegen die objektive Wertordnung des Grundgesetzes" vor. Denn das Grundgesetz (GG) beinhaltet auch das Grundrecht auf informationelle Selbstbestimmung, das ein Teil des allgemeinen Persönlichkeitsrechts ist und durch Art. 2 Abs. 1 GG geschützt ist.
Daher kommt das BAG zu dem Ergebnis, dass die streitigen Kündigungen unwirksam waren, weil sie "sittenwidrig" im Sinne von § 138 Abs. 1 Bürgerliches Gesetzbuch (BGB) waren.
Das gilt auch für die ordentliche Kündigung, obwohl ordentliche Kündigungen während der ersten sechs Monate im Allgemeinen wirksam sind, weil der Arbeitnehmer ja noch keinen Kündigungsschutz hat. Denn die Entscheidung, das Arbeitsverhältnis zu beenden, hatte das Land ausschließlich auf die wahrheitswidrige Beantwortung der Frage nach Ermittlungsverfahren gestützt.
Fazit: Das BAG ist offenbar "nicht amüsiert". Dass Arbeitgeber Bewerber nicht ohne jede sachliche Eingrenzung nach allen möglichen Ermittlungsverfahren fragen dürfen, versteht sich von selbst, so dass eine solche Fragerei im Land NRW ein Skandal ist. Daher hat das BAG dem Land zurecht den harten Vorwurf der "Sittenwidrigkeit" seiner Beendigungserklärungen gemacht. Und aufgrund dessen war auch die ordentliche Kündigung unwirksam.
Nähere Informationen finden Sie hier:
Hinweis: In der Zwischenzeit, d.h. nach Erstellung dieses Artikels, hat das BAG seine Entscheidungsgründe veröffentlicht. Das vollständig begründete Urteil des BAG finden Sie hier:
Letzte Überarbeitung: 14. Juni 2015
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