06.03.2014. Wer seine arbeitsvertraglichen Pflichten so massiv verletzt, dass dem Arbeitgeber die Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses bis zum Ablauf der Kündigungsfrist nicht zuzumuten ist, kann außerordentlich und mit sofortiger Wirkung (fristlos) gekündigt werden.
Arbeitnehmer, die seit Jahrzehnten beschäftigt und daher ordentlich unkündbar sind, können auf diese Weise bei erheblichen Pflichtverletzungen "Knall auf Fall" ihren Job verlieren.
Eine wiederholte und massive sexuelle Belästigung ist eine solche Pflichtverletzung: Landesarbeitsgericht Niedersachsen, Urteil vom 06.12.2013, 6 Sa 391/13.
Wenn unerwünschte sexuell bestimmte Berührungen oder Bemerkungen sexuellen Inhalts bezwecken oder bewirken, dass die Würde des Betroffenen verletzt wird, liegt eine "sexuelle Belästigung" im Sinne von § 3 Abs.4 Allgemeines Gleichbehandlungsgesetz (AGG) vor.
Wer eine solche sexuelle Belästigung als Arbeitnehmer im Betrieb verübt, verstößt in erheblicher Weise gegen seine arbeitsvertraglichen Pflichten. Daher riskiert er eine Abmahnung, in schwerwiegenden Fällen aber auch eine fristlose Kündigung aus verhaltensbedingten Gründen.
Das Recht zur außerordentlichen fristlosen Kündigung ergibt sich aus § 626 Bürgerliches Gesetzbuch (BGB) und greift auch gegenüber ordentlich unkündbaren Arbeitnehmern.
Fraglich ist in jedem Einzelfall, welche Reaktion des Arbeitgebers rechtlich korrekt ist - eine bloße Abmahnung oder eine fristlose Kündigung. Da eine fristlose Kündigung den Arbeitnehmer schwerer belastet als eine Abmahnung, muss die Belästigung dementsprechend "massiv" sein.
Außerdem kommt es auch darauf an, wie lange der belästigende Arbeitnehmer bereits beschäftigt ist und ob es in der Vergangenheit ähnliche Vorfälle gab oder aber nicht. Denn auch wenn ein bestimmter Pflichtverstoß im Allgemeinen ein wichtiger Grund für eine außerordentliche Kündigung im Sinne von § 626 Abs.1 BGB ist, kann die Interessenabwägung zugunsten des Arbeitnehmers ausgehen, d.h. sein Fortsetzungsinteresse kann im Einzelfall das Beendigungsinteresse des Arbeitgebers überwiegen.
Wie eine aktuelle Entscheidung des Landesarbeitsgerichts (LAG) Niedersachsen zeigt, schützt bei wiederholten und massiven sexuellen Belästigungen auch eine über 30jährige Betriebszugehörigkeit nicht vor einer Kündigung.
Im Streitfall hatte ein über 30 Jahre lang beschäftigter und daher tariflich unkündbarer 53jähriger Krankenpfleger im Oktober 2012 eine 18jähriger Schwesternschülerin sexuell belästigt. Am 15.10.2012 hatte er sie im Frühstücksraum, in dem sie sich alleine aufgehalten hatten, auf ihre Oberweite angesprochen und gefragt, ob diese „echt“ sei und er ihre Brüste berühren dürfe.
Am Folgetag setzte er noch eins drauf und nahm die Auszubildende in einem Nebenraum in den Arm, fasste ihr an die Brust und versuchte, sie zu küssen. Dieser Situation konnte sich die Auszubildende entziehen und informierte die Stationsleitung und die Pflegefachleitung über den Vorfall.
In den nächsten Tagen wurde der Pfleger dazu angehört und sodann nach Anhörung des Betriebsrats am 01.11.2012 außerordentlich gekündigt. Dagegen erhob er Kündigungsschutzklage und konnte in erster Instanz vor dem Arbeitsgericht Braunschweig gewinnen, weil das Arbeitsgericht die Kündigung als unverhältnismäßig bewertete - eine Abmahnung sei ausreichend gewesen (Urteil vom 19.02.2013, 8 Ca 441/12). Davon ermuntert klagte er in einem weiteren Prozess seinen laufenden Annahmeverzugslohn von November 2012 bis Juni 2013 ein und hatte auch damit Erfolg (Arbeitsgericht Braunschweig, Urteil vom 15.08.2013, 8 Ca 139/13).
Das LAG Niedersachsen hob beide Urteile auf und wies die Klagen ab. Denn die fristlose Kündigung war wirksam, so das LAG, und daher bestanden auch keine Lohnansprüche für die Zeit nach Ausspruch der Kündigung.
Eine Abmahnung hielt das LAG für nicht erforderlich. Denn dem Kläger hätte auch ohne Abmahnung klar sein müssen, dass er mit seinem Fehlverhalten das Arbeitsverhältnis gefährdet.
Bei der Interessenabwägung verweist das LAG darauf, dass die Belästigungen sehr massiv waren und fortgesetzt verübt wurde. Daher bewertete das Gericht das Beendigungsinteresse trotz der langen Beschäftigungsdauer und des fortgeschrittenen Alters des Klägers als vorrangig. Schließlich hätte der Kläger im Falle einer Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses immer wieder einmal Gelegenheit, von Dritten unbeobachtet weibliche Beschäftigte zu belästigen.
Fazit: Das Urteil ist richtig, denn das Fehlverhalten des Pflegers war so schwerwiegend, dass dem Arbeitgeber im Streitfall eine weitere Beschäftigung nicht zuzumuten war. Arbeitgeber sind nämlich verpflichtet, sexuelle Übergriffe nach Möglichkeit zu verhindern. Hier bestand aber angesichts des großen Anteils weiblicher Pflegekräfte keine Möglichkeit, den Kläger so einzusetzen, dass jeder Kontakt zu weiblichen Beschäftigten ausgeschlossen wäre.
Aus Sicht des Pflegers ist der Prozessverlauf allerdings eine Katastrophe, die ihre Ursache darin hat, dass er bzw. Anwalt es unterlassen hat, zusammen mit dem Kündigungsschutzantrag einen Antrag auf vorläufige Weiterbeschäftigung zu stellen. Hätte er das getan, hätte er nach dem Urteil erster Instanz damit drohen können, die titulierte Pflicht zur Weiterbeschäftigung zu vollstrecken, so dass man sich wahrscheinlich auf eine beiderseits gesichtswahrende Beendigung des Arbeitsverhältnisses (ohne Abfindung) hätte einigen können. Es wäre dann gar nicht erst zu einem Urteil des LAG gekommen.
So muss der Pfleger nicht nur mit dem Verlust des Arbeitsplatzes zurechtkommen, den er sich selbst zuzuschreiben hat, sondern auch mit einem Zeugnis, das nach über 30jähriger Beschäftigung den 01.11.2012 als Austrittsdatum ausweist. Diese Erschwerung des beruflichen Fortkommens, an der der Arbeitgeber kein Interesse hat und die auch unter dem Aspekt einer künftigen Verhaltensänderung im Beruf nicht sinnvoll ist, hätte bei sachgerechter Prozessführung vermieden werden können.
Dass der Streit über eine fristlose Kündigung wegen sexueller Belästigungen je nach den Umständen des Einzelfalls auch zugunsten des gekündigten Arbeitnehmers ausgehen kann, zeigt eine Anfang 2013 ergangene Entscheidung des LAG Baden-Württemberg (Urteil vom 01.02.2013, 12 Sa 90/11). Hier war ein 55jähriger und ordentlich unkündbarer städtischer Arbeiter wegen fortgesetzter, teilweise erheblicher sexueller Belästigungen fristlos gekündigt worden.
Er konnte seinen Kündigungsschutzprozess sowohl vor dem Arbeitsgericht Heilbronn als auch vor dem LAG Baden-Württemberg gewinnen, weil sich die Belästigungen über einen längeren Zeitraum hinweg verübt wurden, aber vom Arbeitgeber trotz Kenntnis einzelner Vorfälle nicht geahndet worden waren, und weil der Arbeitnehmer an einem anderen Arbeitsplatz hätte eingesetzt werden können und dann keinen Kontakt mehr mit den belästigten Kolleginnen gehabt hätte. Daher hätte eine Abmahnung genügt, so das LAG.
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