HENSCHE RECHTSANWÄLTE, FACHANWALTSKANZLEI FÜR ARBEITSRECHT

 

OLG Frank­furt/Main, Ur­teil vom 21.09.2010, 1 U 184/10

   
Schlagworte: Betriebsrat
   
Gericht: Oberlandesgericht Frankfurt/Main
Aktenzeichen: 1 U 184/10
Typ: Urteil
Entscheidungsdatum: 21.09.2010
   
Leitsätze:

1. Der Betriebsrat ist im Rahmen der ihm nach dem BetrVG obliegenden Aufgaben, seines gesetzlichen Wirkungskreises teilrechtsfähig und insofern in der Lage, Verträge über zugehörige Hilfsgeschäfte zu schließen. Die Entgeltforderung aus dem Hilfsgeschäft, etwa dem Beratungsvertrag, richtet sich demgemäß gegen den Betriebsrat. Seine Mitglieder haften für derartige Verbindlichkeiten grundsätzlich nicht persönlich.

2. Eine Zahlungsklage des Beraters gegen den Betriebsrat ist wegen fehlenden Rechtsschutzbedürfnisses unzulässig, wenn der Betriebsrat die Abtretung seines gegen den Arbeitgeber gerichteten Freistellungsanspruchs angeboten hat.

Vorinstanzen: Landgericht Frankfurt/Main, Urteil vom 29. Juni 2010, 2/23 O 453/08
   

OLG Frank­furt am Main, 21.09.2010 - 1 U 184/10

Leit­satz

1. Der Be­triebs­rat ist im Rah­men der ihm nach dem Be­trVG ob­lie­gen­den Auf­ga­ben, sei­nes ge­setz­li­chen Wir­kungs­krei­ses teil­rechtsfähig und in­so­fern in der La­ge, Verträge über zu­gehöri­ge Hilfs­geschäfte zu schließen. Die Ent­gelt­for­de­rung aus dem Hilfs­geschäft, et­wa dem Be­ra­tungs­ver­trag, rich­tet sich dem­gemäß ge­gen den Be­triebs­rat. Sei­ne Mit­glie­der haf­ten für der­ar­ti­ge Ver­bind­lich­kei­ten grundsätz­lich nicht persönlich.

2. Ei­ne Zah­lungs­kla­ge des Be­ra­ters ge­gen den Be­triebs­rat ist we­gen feh­len­den Rechts­schutz­bedürf­nis­ses un­zulässig, wenn der Be­triebs­rat die Ab­tre­tung sei­nes ge­gen den Ar­beit­ge­ber ge­rich­te­ten Frei­stel­lungs­an­spruchs an­ge­bo­ten hat.

Te­nor:

Die Be­ru­fung der Kläge­rin ge­gen das am 29.6.2010 verkünde­te Ur­teil der 23. Zi­vil­kam­mer des Land­ge­richts Frank­furt am Main wird mit der Maßga­be zurück­ge­wie­sen, dass die Kla­ge, so­weit sie ge­gen den Be­klag­ten zu 3. ge­rich­tet ist, als un­zulässig ver­wor­fen wird.

Die Kläge­rin hat die Kos­ten des Be­ru­fungs­ver­fah­rens ein­sch­ließlich der außer­ge­richt­li­chen Kos­ten der Streit­hel­fe­rin der Be­klag­ten zu tra­gen.

Das Ur­teil ist vorläufig voll­streck­bar. Die Kläge­rin darf die Voll­stre­ckung durch Si­cher­heits­leis­tung in Höhe von 120% des aus dem Ur­teil voll­streck­ba­ren Be­tra­ges ab­wen­den, wenn nicht die Be­klag­ten oder ih­re Streit­hel­fe­rin vor der Voll­stre­ckung Si­cher­heit in Höhe von 120% des je­weils zu voll­stre­cken­den Be­tra­ges leis­ten.

Die Re­vi­si­on wird zu­ge­las­sen.

Gründe

A. Die Kläge­rin berät Be­triebsräte ins­be­son­de­re zu be­triebs­wirt­schaft­li­chen Fra­gen. Sie nimmt den Be­klag­ten zu 3. als Be­triebs­rat, die Be­klag­ten zu 1. und 2. als des­sen Vor­sit­zen­den bzw. stell­ver­tre­ten­de Vor­sit­zen­de zum Zeit­punkt der Auf­trags­er­tei­lung auf Zah­lung des Be­ra­tungs­ho­no­rars in An­spruch.

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Die Streit­hel­fe­rin der Be­klag­ten, ei­ne AG mit mehr als 300 Ar­beit­neh­mern, plan­te im Jah­re 2007 ver­schie­de­ne Um­struk­tu­rie­rungs­maßnah­men, die zum Ab­bau und zur Ver­le­gung zahl­rei­cher Ar­beitsplätze ins Aus­land führen soll­ten. Der Be­klag­te zu 3. be­schloss, sich im Ver­fah­ren über ei­nen In­ter­es­sen­aus­gleich von der Kläge­rin be­triebs­wirt­schaft­lich be­ra­ten zu las­sen; den ent­spre­chen­den Auf­trag er­teil­te der Be­klag­te zu 1. Nach­dem die Kläge­rin ih­re Be­ra­tungs­leis­tun­gen er­bracht hat­te, rech­ne­te sie die­se ge­genüber dem Be­klag­ten zu 3. in ei­ner Ge­samthöhe von 86.762,90 € auf der Ba­sis von „Ta­ge­wer­ken“ bzw. „Mann­ta­gen“ ab (Bl. 42 ff. d. A.). Der Be­klag­te zu 1. reich­te die­se Rech­nun­gen an die Streit­hel­fe­rin zum Aus­gleich wei­ter. Die Streit­hel­fe­rin zahl­te nicht, u. A. weil sie der An­sicht war, die Kläge­rin ha­be ih­re Leis­tun­gen un­zu­rei­chend do­ku­men­tiert und nach­ge­wie­sen. Der Be­klag­te zu 3. be­schloss, sei­nen ge­gen die Streit­hel­fe­rin ge­rich­te­ten An­spruch auf Er­stat­tung der bzw. Frei­stel­lung von den durch die kläge­ri­sche Be­ra­tungs­leis­tung ent­stan­de­nen Kos­ten an die Kläge­rin ab­zu­tre­ten. Die Kläge­rin lehn­te die­ses An­ge­bot ab.

We­gen der Ein­zel­hei­ten des erst­in­stanz­li­chen Sach- und Streit­stan­des nimmt der Se­nat auf den Tat­be­stand des land­ge­richt­li­chen Ur­teils Be­zug.

Das Land­ge­richt hat die Kla­ge ab­ge­wie­sen. Die Be­klag­ten zu 1. und 2. sei­en nicht pas­siv le­gi­ti­miert. Der Be­klag­te zu 3. könne we­gen sei­ner ein­ge­schränk­ten Rechts- und Vermögensfähig­keit nicht auf Zah­lung, son­dern nur auf Ab­tre­tung sei­nes ge­gen die Streit­hel­fe­rin ge­rich­te­ten Frei­stel­lungs­an­spruchs in An­spruch ge­nom­men wer­den; ein An­spruch auf Ab­tre­tung sei nicht gel­tend ge­macht wor­den, ab­ge­se­hen da­von, dass der Be­klag­te zu 3. die­se be­reits an­ge­bo­ten ha­be.

Die Kläge­rin be­gründet ih­re Be­ru­fung mit Rechts­ausführun­gen. Das Land­ge­richt hätte nicht durch die Ein­zel­rich­te­rin ent­schei­den dürfen, son­dern die Sa­che we­gen be­son­de­rer recht­li­cher Schwie­rig­keit der Kam­mer zur Über­nah­me vor­le­gen müssen.

Der Be­klag­te zu 3. ha­be als Be­ra­tungs­ho­no­rar ver­trags­gemäß ei­ne Zah­lung und nicht nur ei­ne Ab­tre­tung ge­schul­det; die Fra­ge, ob er hier­zu außer­stan­de sei, sei dem Voll­stre­ckungs­ver­fah­ren vor­zu­be­hal­ten. Die Be­klag­ten zu 1. und 2. haf­te­ten für die Schuld des Be­klag­ten zu 3. ana­log § 128 HGB ; die An­nah­me des Land­ge­richts, ei­ne persönli­che Haf­tung der Mit­glie­der ei­nes Be­triebs­rats für des­sen Rechts­hand­lun­gen mit Außen­wir­kung las­se Be­ein­träch­ti­gun­gen der Funk­ti­onsfähig­keit von Be­triebsräten be­sor­gen, sei in tatsäch­li­cher Hin­sicht un­zu­rei­chend fun­diert.

Die Kläge­rin be­an­tragt,

un­ter Auf­he­bung des land­ge­richt­li­chen Ur­teils die Be­klag­ten als Ge­samt­schuld­ner zu ver­ur­tei­len, an die Kläge­rin
1. 86.762,90 € nebst 8 Pro­zent­punk­ten Zin­sen ober­halb des Ba­sis­zins­sat­zes aus
- 52.276,70 € seit dem 25.2.2008, - 34.486,20 € seit dem 7.4.2008,
2. 1.999,32 € vor­ge­richt­li­che Rechts­an­walts­kos­ten nebst 5 Pro­zent­punk­ten Zin­sen ober­halb des Ba­sis­zins­sat­zes hier­aus seit Rechtshängig­keit zu zah­len.

Die Be­klag­ten und ih­re Streit­hel­fe­rin be­an­tra­gen,

die Be­ru­fung zurück­zu­wei­sen.

Sie ver­tei­di­gen das land­ge­richt­li­che Ur­teil.

Die Be­klag­ten ha­ben in der Be­ru­fungs­ver­hand­lung auf Be­fra­gen des Se­nats klar­ge­stellt, dass sie – in­so­weit übe­rein­stim­mend mit dem Vor­trag ih­rer Streit­hel­fe­rin – den zeit­li­chen Auf­wand der Kläge­rin für die streit­ge­genständ­li­chen Be­ra­tungs­leis­tun­gen be­strei­ten. Der Be­klag­te zu 3. hat der Kläge­rin – eben­falls in der Be­ru­fungs­ver­hand­lung – noch­mals die Ab­tre­tung sei­nes Frei­stel­lungs­an­spruchs ge­gen sei­ne Streit­hel­fe­rin an­ge­bo­ten.

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B. Die Be­ru­fung der Kläge­rin ist zulässig, aber nicht be­gründet. Das Land­ge­richt hat die Kla­ge je­den­falls im Er­geb­nis zu Recht ab­ge­wie­sen. Die Be­klag­ten zu 1. und 2. schul­den der Kläge­rin das die­ser gebühren­de Be­ra­tungs­ho­no­rar nicht; Schuld­ner der Kläge­rin ist viel­mehr al­lein der Be­klag­te zu 3. So­weit die Kla­ge ge­gen die­sen ge­rich­tet ist, ist sie man­gels Rechts­schutz­bedürf­nis­ses un­zulässig; die Kläge­rin ist ge­hal­ten, auf der Grund­la­ge der Ab­tre­tung des dem Be­klag­ten zu 3. zu­ste­hen­den Frei­stel­lungs­an­spruchs die Streit­hel­fe­rin der Be­klag­ten vor dem zuständi­gen Ar­beits­ge­richt in An­spruch zu neh­men. Im Ein­zel­nen:

I. Die Be­set­zungsrüge der Kläge­rin greift nicht durch. Ei­ne feh­ler­haf­te Be­set­zung des Erst­ge­richts stellt ei­nen we­sent­li­chen Ver­fah­rens­man­gel dar, der nur im Fal­le der Not­wen­dig­keit ei­ner um­fang­rei­chen und aufwändi­gen Be­weis­auf­nah­me ei­ne Zurück­ver­wei­sung nach § 538 Abs. 2 S. 1 Nr. 1 ZPO recht­fer­tigt; hier­aus folgt, dass das Be­ru­fungs­ge­richt die ord­nungs­gemäße Be­set­zung des Erst­ge­richts da­hin ge­stellt sein las­sen und selbst ei­ne Ent­schei­dung zur Sa­che tref­fen kann (vgl. BGH NJW 2008, 1672; KG BauR 2009, 1931 ). Von die­ser Be­fug­nis hat der Se­nat Ge­brauch ge­macht. An­ge­sichts des­sen ist das Verhält­nis zwi­schen § 348 Abs. 4 ZPO und Art. 101 Abs. 1 S. 2 ZPO hier eben­so we­nig zu ver­tie­fen wie die Fra­ge, ob ei­ne Vor­la­ge der Sa­che an die Kam­mer zur Über­nah­me nach § 348 Abs. 3 S. 1 Nr. 2 ZPO ge­bo­ten ge­we­sen wäre.

II. Die Kla­ge ist un­be­gründet, so­weit sie ge­gen die Be­klag­ten zu 1. und 2. ge­rich­tet ist. Ver­trags­part­ner der Kläge­rin und da­mit de­ren Vergütungs­schuld­ner ( § 611 Abs. 1 Halbs. 2 BGB ) ist aus­sch­ließlich der Be­klag­te zu 3. Für ei­ne auf die­sen Ho­no­raran­spruch be­zo­ge­ne persönli­che Haf­tung der Be­klag­ten zu 1. und 2. fehlt ei­ne ge­setz­li­che Grund­la­ge.

1. Der als Dienst­ver­trag im Sin­ne des § 611 BGB ein­zu­ord­nen­de Be­ra­tungs­ver­trag ist zwi­schen der Kläge­rin und dem Be­klag­ten zu 3. zu­stan­de ge­kom­men. Die­ser schul­det der Kläge­rin das Ho­no­rar.

a) Die Aus­le­gung der bei­der­sei­ti­gen Ver­trags­erklärun­gen lässt bei der ge­bo­te­nen Berück­sich­ti­gung ih­rer Be­gleit­umstände ( § 164 Abs. 1 S. 2 BGB ) kei­nen vernünf­ti­gen Zwei­fel dar­an, dass der Be­klag­te zu 3. als Gre­mi­um den Be­ra­tungs­auf­trag an die Kläge­rin er­teil­te und nicht et­wa der die Wil­lens­erklärung ab­ge­ben­de Be­klag­te zu 1. persönlich. Der Be­klag­te zu 3. hat­te be­schlos­sen, sich zur Vor­be­rei­tung der Ver­hand­lun­gen über ei­nen In­ter­es­sen­aus­gleich in Ausübung sei­nes aus § 111 S. 2 Be­trVG fol­gen­den Rechts fach­kun­di­ger Hil­fe der Kläge­rin zu ver­si­chern. Die Be­ra­tung soll­te dem Be­klag­ten zu 3. zur Erfüllung sei­ner im In­ter­es­se der Be­leg­schaft wahr­zu­neh­men­den Auf­ga­ben, nicht dem Be­klag­ten zu 1. persönlich er­teilt wer­den, zu­gu­te kom­men. Ge­ne­rell ist es ei­ne Er­fah­rungs­tat­sa­che, dass Be­triebs­rats­mit­glie­der nur ganz aus­nahms­wei­se pri­vat­recht­li­che Ver­pflich­tun­gen in fi­nan­zi­el­ler Hin­sicht zu über­neh­men be­reit sind (vgl. BAG AP Nr. 7 zu § 87 Be­trVG 1972 „Be­triebs­kan­ti­ne“ [un­ter II 1 b cc der Ent­schei­dungs­gründe]); im Streit­fall sind be­son­de­re Umstände, die un­zwei­fel­haft auf ei­nen Wil­len des Be­klag­ten zu 1. schließen ließen, sich persönlich zu ver­pflich­ten, we­der vor­ge­tra­gen noch sonst er­sicht­lich. Die Be­klag­te zu 2. kommt als Ver­trags­part­ne­rin von vorn­her­ein nicht in Be­tracht, weil sie kei­ne Wil­lens­erklärung ab­ge­ge­ben, son­dern sich dar­auf be­schränkt hat, dem Be­schluss des Be­klag­ten zu 3. über die Be­auf­tra­gung der Kläge­rin zu­zu­stim­men.

b) Der Be­klag­te zu 3. schei­det nicht des­halb als Ver­trags­part­ner der Kläge­rin aus, weil er nicht rechtsfähig wäre und dem­gemäß kei­ne Verträge schließen, durch sol­che we­der Ansprüche er­wer­ben noch Ver­bind­lich­kei­ten be­gründen könn­te. Rich­tig ist viel­mehr, dass der Be­triebs­rat im Rah­men der ihm nach dem Be­trVG ob­lie­gen­den Auf­ga­ben, sei­nes ge­setz­li­chen Wir­kungs­krei­ses teil­rechtsfähig (vgl. BAG, a. a. O. [un­ter II 2 a der Ent­schei­dungs­gründe]; AP Be­trVG 1972 § 40 Nr. 71 [un­ter B II 1 der Ent­schei­dungs­gründe]; NZA 2005, 123, 124 [BAG 29.09.2004 - 1 ABR 30/03] ; AP Be­trVG 1972 § 54 Nr. 12 [Tz. 50]; LG Lüne­burg, Urt. v. 25.10.2007 – 4 O 160/07, ju­ris-Rn. 24 ff.; Hes­si­scher VGH, Be­schluss v. 03.08.2009 - 1 A 1474/09.Z , ju­ris-Rn. 2; Fit­ting, Be­trVG, 25. Aufl. 2010, § 1 Rn. 205 ff.; Oet­ker NZA 2002, 465, 471 f.; Ri­char­di, Be­trVG, 12. Aufl. 2010, Einl. Rn. 111 ff.) und in­so­fern in der La­ge ist, Verträge über zu­gehöri­ge Hilfs­geschäfte zu schließen (so aus­drück­lich Fit­ting, a. a. O. Rn. 207; Oet­ker, a. a. O.; Ri­char­di, a. a. O., Rn. 113; ähn­lich BAG NZA 2005, 123, 124 [BAG 29.09.2004 - 1 ABR 30/03] [„außer­halb sei­nes ge­setz­li­chen Wir­kungs­krei­ses nicht“]; AP Be­trVG 1972 § 54 Nr. 12 [Tz. 48, 50, zur Be­schaf­fung ei­nes Ver­samm­lungs­rau­mes]; LG

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Lüne­burg, a. a. O., ju­ris-Rn. 26; LAG Hamm Beck­RS 2009, 74322 [un­ter B II 1 der Ent­schei­dungs­gründe, zur Bu­chung ei­ner Schu­lung]); die Ent­gelt­for­de­rung aus dem Hilfs­geschäft, et­wa dem Be­ra­tungs­ver­trag, rich­tet sich dem­gemäß ge­gen den Be­triebs­rat (vgl. Fit­ting, a. a. O., § 40 Rn. 17, § 111 Rn. 124; Oet­ker, a. a. O., 472). § 40 Abs. 1 Be­trVG be­gründet ei­nen ge­gen den Ar­beit­ge­ber ge­rich­te­ten An­spruch des Be­triebs­rats auf Frei­stel­lung von Kos­ten, die ihm zur Wahr­neh­mung sei­ner Auf­ga­ben ent­stan­den sind, et­wa durch die Be­auf­tra­gung von sach­verständi­gen Be­ra­tern in der Art der Kläge­rin (vgl. BAG AP Nr. 55 zu § 80 Be­trVG 1972 [un­ter B I der Gründe]; LAG Hamm Beck­RS 2005, 43283 [un­ter B II 1, 3 der Gründe]; Fit­ting, a. a. O., § 1 Rn. 207, § 40 Rn. 16); der Frei­stel­lungs­an­spruch ver­wan­delt sich nach ei­ner Ab­tre­tung an den Be­ra­ter in des­sen Hand zu ei­nem Zah­lungs­an­spruch ge­gen den Ar­beit­ge­ber (vgl. BAG AP Nr. 55 zu § 80 Be­trVG 1972 [un­ter B I der Ent­schei­dungs­gründe]; AP Be­trVG 1972 § 40 Nr. 71 [un­ter B II 3 der Ent­schei­dungs­gründe]). Die­ser in der Recht­spre­chung ge­si­cher­te Frei­stel­lungs­an­spruch setzt den­knot­wen­dig ei­ne Ver­bind­lich­keit des Be­triebs­rats vor­aus, von der der Ar­beit­ge­ber die­sen frei­zu­stel­len hat, auf die sich die Frei­stel­lung be­zieht (so zu­tr. Fit­ting, a. a. O., § 1 Rn. 207). Die Ge­gen­an­sicht, die den Ar­beit­ge­ber als ein­zig mögli­chen Ver­trags­part­ner des vom Be­triebs­rat ein­ge­schal­te­ten Be­ra­ters an­sieht (vgl. et­wa Bes­gen, in:

Be­ckOK Be­trVG, Stand: 01.06.2011, Edi­ti­on 20, § 1 Rn. 54, 56; Koch, in: Er­fur­ter Kom­men­tar zum Ar­beits­recht, 11. Auf­la­ge 2011, § 1 Rn. 18) über­zeugt schon des­halb nicht, ab­ge­se­hen da­von, dass ei­ne Ver­tre­tungs­macht des Be­triebs­rats für den Ar­beit­ge­ber kaum zu be­gründen ist (vgl. LG Lüne­burg, a. a. O., ju­ris-Rn. 32).

2. Für die Ho­no­rar­schuld des Be­klag­ten zu 3. haf­ten die Be­klag­ten zu 1. und 2. nicht.

a) Dem Be­trVG ist ei­ne persönli­che Ein­stands­pflicht der Mit­glie­der des Be­triebs­ra­tes für die von die­sem im Rah­men sei­nes ge­setz­li­chen Wir­kungs­krei­ses be­gründe­ten Ver­bind­lich­kei­ten nicht zu ent­neh­men. Für ei­ne Haf­tung nach ge­sell­schafts- oder ver­eins­recht­li­chen Grundsätzen, ins­be­son­de­re für ei­ne ent­spre­chen­de An­wen­dung des § 128 HGB ist kein Raum. Der Be­triebs­rat un­ter­schei­det sich grund­le­gend von ei­ner Ge­sell­schaft bürger­li­chen Rechts oder ei­ner OHG. Sei­ne recht­li­che Struk­tur wird durch das Be­trVG in ei­genständi­ger, von ge­sell­schafts­recht­li­chen Grund­mus­tern ab­wei­chen­der Wei­se ab­sch­ließend ge­prägt. Die in ihm ver­bun­de­nen Per­so­nen ha­ben sich nicht ver­trag­lich zur Förde­rung ei­nes ge­mein­sa­men Zwe­ckes ver­bun­den; ih­re Zu­gehörig­keit zu die­sem Gre­mi­um be­ruht viel­mehr we­sent­lich auf dem Wil­len Drit­ter, der wählen­den Be­leg­schaft. Die im land­ge­richt­li­chen Ur­teil sinn­gemäß an­ge­stell­te Erwägung, die Funk­ti­onsfähig­keit des Be­triebs­rats dürfe durch persönli­che Haf­tungs­ri­si­ken aus Rechts­geschäften mit Außen­wir­kung nicht be­ein­träch­tigt wer­den (vgl. ähn­lich Fit­ting, a. a. O., § 1 Rn. 206), hat an­ge­sichts des­sen al­len­falls ergänzen­de Be­deu­tung.

b) Die Not­wen­dig­keit ei­ner persönli­chen Haf­tung der Be­triebs­rats­mit­glie­der lässt sich auch nicht auf die Bil­lig­keits­erwägung der Kläge­rin stützen, der Be­ra­ter ha­be un­zu­rei­chen­den Ein­blick in die Tat­sa­chen, die für den Be­stand und den Um­fang des dem Be­triebs­rat ge­gen den Ar­beit­ge­ber nach § 40 Abs. 1 Be­trVG zu­ste­hen­den Frei­stel­lungs­an­spruchs maßge­bend sind. Nach der Recht­spre­chung des BAG (AP Be­trVG 1972 § 40 Nr. 71, un­ter B II 2 b bb (3) der Gründe), der der Se­nat auch in­so­weit folgt, fällt die Be­ur­tei­lung des Um­fangs die­ses Frei­stel­lungs­an­spruchs, hier des ex an­te aus Sicht des Be­triebs­rats ver­tret­bar als er­for­der­lich ein­geschätz­ten Be­ra­tungs­auf­wan­des in den Ri­si­ko­be­reich des vom Be­triebs­rat be­auf­trag­ten an­walt­li­chen Be­ra­ters. Für die Kläge­rin, die sich ge­ra­de auf die be­triebs­wirt­schaft­li­che Be­ra­tung von Be­triebsräten spe­zia­li­siert hat, kann nichts An­de­res gel­ten. Je­den­falls ei­nen auf die Be­ra­tung von Be­triebsräten spe­zia­li­sier­ten Sach­verständi­gen trifft ei­ne dienst­ver­trag­li­che Ne­ben­pflicht des In­halts, den Be­triebs­rat vor hin­sicht­lich sei­ner Er­for­der­lich­keit und da­mit hin­sicht­lich sei­ner Er­stat­tungsfähig­keit zwei­fel­haf­tem Be­ra­tungs­auf­wand zu war­nen; ei­ne Ver­let­zung die­ser Ver­pflich­tung hat ei­nen Scha­dens­er­satz­an­spruch auf Be­frei­ung von den Ho­no­rar­tei­len zur Fol­ge, die auf den nicht ver­tret­bar als er­for­der­lich an­zu­se­hen­den Be­ra­tungs­auf­wand ent­fal­len. Ei­ne dies­bezügli­che Be­ra­tung hat die Kläge­rin dem Be­klag­ten zu 3. un­strei­tig nicht er­teilt. Die Fra­ge des er­for­der­li­chen Auf­wands im Ein­zel­fall darf zu­dem nicht mit der des ge­setz­li­chen Wir­kungs­krei­ses des Be­triebs­rats ver­mengt wer­den. Der ge­setz­li­che Wir­kungs­kreis ist mit den Auf­ga­ben be­schrie­ben, die der Be­triebs­rat nach dem Be­trVG hat; es ist möglich, dass der Be­triebs­rat zur Lösung ei­ner der­ar­ti­gen Auf­ga­be ei­nen

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auch aus der maßge­ben­den Sicht ex an­te un­ver­tret­ba­ren Auf­wand be­treibt. Die Di­ver­genz zwi­schen sei­ner – im Aus­gangs­punkt, ab­ge­se­hen vom o. a. Scha­dens­er­satz­an­spruch – höhe­ren Ho­no­rar­schuld und sei­nem Er­stat­tungs­an­spruch fällt in den Ri­si­ko­be­reich des be­son­ders fach­kun­di­gen Be­ra­ters.

III. Die Kla­ge ist un­zulässig, so­weit sie ge­gen den Be­klag­ten zu 3. ge­rich­tet ist. Es fehlt in­so­weit am Rechts­schutz­bedürf­nis.

1. Den Grundsätzen über das Er­for­der­nis des Rechts­schutz­bedürf­nis­ses liegt der Ge­dan­ke zu­grun­de, dass nie­mand die Ge­rich­te als Teil der Staats­ge­walt unnütz, schlecht­hin sinn­los bemühen (vgl. BGHZ 54, 181, 184 ; BGH NJW 1978, 2031, 2032 [BGH 14.03.1978 - VI ZR 68/76] ; 1996, 2035, 2037; st. Rspr.) und dass der Gläubi­ger den Schuld­ner nicht unnötig mit ei­nem Pro­zess be­hel­li­gen darf (vgl. BGHR ZPO vor § 1/Rechts­schutz­in­ter­es­se Voll­stre­ckungs­ti­tel 1). Leis­tungs­kla­gen die­nen der Durch­set­zung ei­nes be­haup­te­ten An­spruchs. Ihr We­sen liegt dar­in, dass der Gläubi­ger „auf Be­frie­di­gung“ klagt und der Schuld­ner „zur Be­frie­di­gung“ des Gläubi­gers ver­ur­teilt wird. Be­darf es ei­ner sol­chen Ver­ur­tei­lung „zur Be­frie­di­gung“ des Gläubi­gers schon nach sei­nem ei­ge­nen Vor­brin­gen nicht, so fehlt das Rechts­schutz­bedürf­nis, wenn der Leis­tungs­an­spruch gleich­wohl ge­richt­lich gel­tend ge­macht wird, oh­ne dass es auf ei­ne Erfüllung im Sin­ne des § 362 BGB an­kommt (vgl. BGHR ZPO vor § 1/Rechts­schutz­bedürf­nis Leis­tungs­kla­ge 1).

2. Die Kla­ge ge­gen den Be­klag­ten zu 3. ist in die­sem Sin­ne unnütz und schlecht­hin sinn­los un­abhängig da­von, ob die­ser – wo­zu der Se­nat mit der Kläge­rin neigt – Zah­lung des Ho­no­rars schul­det oder – wie das Land­ge­richt dies an­ge­nom­men hat – nur ei­ne Ab­tre­tung des ge­gen die Streit­hel­fe­rin als Ar­beit­ge­be­rin ge­rich­te­ten Frei­stel­lungs­an­spruchs. Da der Be­klag­te zu 3. wie je­der Be­triebs­rat ab­ge­se­hen von sei­nen aus § 40 Abs. 1 Be­trVG fol­gen­den Ansprüchen von Ge­set­zes we­gen dau­er­haft vermögens­los ist, könn­te auch die Voll­stre­ckung ei­nes Zah­lungs­ur­teils al­lein zur Pfändung und Über­wei­sung des Frei­stel­lungs­an­spruchs führen, des­sen Ab­tre­tung der Be­klag­te zu 3. der Kläge­rin be­reits vor­ge­richt­lich und noch­mals in der Be­ru­fungs­ver­hand­lung an­ge­bo­ten hat. Auch ein Zah­lungs­ur­teil ge­gen den Be­klag­ten zu 3. würde für die Kläge­rin nichts an der Not­wen­dig­keit ändern, die Streit­hel­fe­rin vor dem Ar­beits­ge­richt auf Zah­lung in An­spruch zu neh­men, ih­re im ar­beits­ge­richt­li­chen Ver­fah­ren an­fal­len­den Kos­ten zu tra­gen und den Be­weis für die Tat­sa­chen zu führen, die den über­wie­se­nen An­spruch aus § 40 Abs. 1 Be­trVG ge­gen die Streit­hel­fe­rin be­gründen. Die Kla­ge ge­gen den Be­klag­ten zu 3. ist dem­gemäß er­sicht­lich un­ge­eig­net, die La­ge der Kläge­rin hin­sicht­lich der Be­frie­di­gung ih­rer Ho­no­rar­for­de­rung ge­genüber der La­ge zu ver­bes­sern, die bestünde, wenn sie sein Ab­tre­tungs­an­ge­bot an­ge­nom­men hätte. Die Kläge­rin hat ge­gen den Be­klag­ten zu 3. kei­nen durch­setz­ba­ren An­spruch dar­auf, dass er sei­ner­seits die Streit­hel­fe­rin vor dem Ar­beits­ge­richt auf Frei­stel­lung in An­spruch nimmt.

IV. Der Se­nat lässt die Re­vi­si­on nach § 543 Abs. 2 ZPO zu, weil die ent­schei­dungs­er­heb­li­chen Fra­gen der Haf­tung des Be­triebs­rats und sei­ner Mit­glie­der für auf der ex­ter­nen Be­ra­tung des Be­triebs­rats be­ru­hen­de Ver­bind­lich­kei­ten in Recht­spre­chung und Schrift­tum nicht aus­rei­chend geklärt sind. Die übri­gen Ne­ben­ent­schei­dun­gen fol­gen aus §§ 97 Abs. 1 , 101 Abs. 1 , 708 Nr. 11 , 711 ZPO .

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