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Ham­bur­ger Zahn­gold­fall geht in die nächs­te Run­de

Auch wenn sich ein Kre­ma­to­ri­um das Zahn­gold Ver­stor­be­ner nicht an­eig­nen darf, müs­sen es die An­ge­stell­ten an das Kre­ma­to­ri­um her­aus­ge­ben: Bun­des­ar­beits­ge­richt, Ur­teil vom 21.08.2014, 8 AZR 655/13
Sterbehilfe

22.08.2014. Das Zahn­gold in der Asche Ver­stor­be­ner ist her­ren­los, d.h. es ge­hört erst ein­mal nie­man­dem. We­der dem Be­trei­ber ei­nes Kre­ma­to­ri­ums noch den An­ge­hö­ri­gen des Ver­stor­be­nen steht ein Ei­gen­tums­recht zu.

Die­se Rechts­la­ge dür­fen An­ge­stell­te ei­nes Kre­ma­to­ri­ums al­ler­dings nicht zu ih­ren Guns­ten aus­nut­zen, in­dem sie die Asche Ver­stor­be­ner fled­dern und sich durch den Ver­kauf des Zahn­gol­des ei­nen Ne­ben­er­werb ver­schaf­fen.

Tun sie das trotz­dem, haf­ten sie ih­rem Ar­beit­ge­ber, dem Kre­ma­to­ri­um, auf Scha­dens­er­satz: Bun­des­ar­beits­ge­richt, Ur­teil vom 21.08.2014, 8 AZR 655/13.

Auf wel­cher recht­li­chen Grund­la­ge kann ein Kre­ma­to­ri­um ver­lan­gen, dass sei­ne Ar­beit­neh­mer Edel­me­tallrückstände aus der Kre­ma­ti­ons­a­sche her­aus­ge­ben?

Lei­chen und Lei­chen­tei­le sind Persönlich­keitsrückstände und gehören da­her nie­man­dem, d.h. ein Ei­gen­tum an ih­nen gibt es nicht. An­ders ist es mit Zahn­gold, das sich nach der Einäsche­rung in der Asche Ver­stor­be­ner be­fin­det. Die­ses Gold ist ei­ne Sa­che, d.h. ein körper­li­cher Ge­gen­stand im Sin­ne von § 90 Bürger­li­ches Ge­setz­buch (BGB), an dem ein Ei­gen­tums­recht be­ste­hen kann.

Frag­lich ist nur, wem es zu­steht.

Dem Ver­stor­be­nen je­den­falls nicht, denn er ist ja tot und kann kein Ei­gen­tum mehr ha­ben.

Den Er­ben eben­falls nicht, denn künst­li­che Körper­tei­le gehören zum Leich­nam und sind da­her nicht Teil des Nach­las­ses, der mit dem Tod des Erb­las­sers gemäß § 1922 BGB auf die Er­ben über­geht.

Der Be­trei­ber des Kre­ma­to­ri­ums könn­te sich zwar mögli­cher­wei­se auf § 958 Abs.1 BGB be­ru­fen, wo­nach man durch In­be­sitz­nah­me Ei­gen­tum an her­ren­lo­sen Sa­chen er­wer­ben kann. Dem steht aber § 958 Abs.2 BGB ent­ge­gen, d.h. das An­eig­nungs­recht der Er­ben oder der Per­so­nen, die zur To­tenfürsor­ge be­rech­tigt sind. Hat der Kre­ma­to­ri­ums­be­trei­ber kei­ne ver­trag­li­chen Ver­ein­ba­run­gen mit ih­nen über das Zahn­gold ge­schlos­sen, kann er es sich nicht an­eig­nen, d.h. er kann durch In­be­sitz­nah­me kein Ei­gen­tums­recht be­gründen.

Was in Be­zug auf das An­eig­nungs­recht für den Be­trei­ber ei­nes Kre­ma­to­ri­ums gilt, gilt erst für des­sen Ar­beit­neh­mer. Auch sie können nicht auf­grund der Her­ren­lo­sig­keit (= Ei­gentümer­lo­sig­keit) des in der Asche be­find­li­chen Zahn­gol­des "ein­fach zu­grei­fen" und da­durch Ei­gen­tum er­wer­ben.

Vor die­sem Hin­ter­grund ist frag­lich, auf wel­cher recht­li­chen Grund­la­ge der Be­trei­ber ei­nes Kre­ma­to­ri­ums von sei­nen An­ge­stell­ten ver­lan­gen kann, dass sie das in der Asche Ver­stor­be­ner be­find­li­che Zahn­gold an ihn, den Ar­beit­ge­ber, her­aus­ge­ben.

Der Ham­bur­ger Kre­ma­to­ri­ums­fall: An­ge­stell­ter des Öjen­dor­fer Kre­ma­to­ri­ums ent­wen­det an­schei­nend über Jah­re hin­weg Zahn­gold und ver­kauft es zu­sam­men mit sei­ner Le­bens­gefähr­tin

Im Streit­fall hat­te ein im Kre­ma­to­ri­um Öjen­dorf beschäftig­ter An­ge­stell­ter an­schei­nend über Jah­re hin­weg er­heb­li­che Men­gen Zahn­gold aus der Asche Ver­stor­be­ner ent­wen­det, ob­wohl ihm sein Ar­beit­ge­ber dies mehr­fach schrift­lich durch Dienst­an­wei­sun­gen un­ter­sagt hat­te. Das Gold hat­te sei­ne Le­bens­gefähr­tin an­schei­nend an ei­ne Gold­han­dels­fir­ma ver­kauft, wie sich aus Zah­lungs­be­le­gen die­ser Fir­ma er­gab.

Im Zu­ge von po­li­zei­li­chen Haus­durch­su­chun­gen wur­den bei an­de­ren Mit­ar­bei­tern des Kre­ma­to­ri­ums mehr als 4,7 kg Zahn­gold und 145.740,00 EUR in bar auf­ge­fun­den. Meh­re­re Mit­ar­bei­ter wur­den vorläufig fest­ge­nom­men.

Am 20.08.2010 wur­de auch bei dem An­ge­stell­ten ei­ne Haus­durch­su­chung durch­geführt. Da­bei wur­den ei­ne Lis­te mit Geld­beträgen und ein Um­schlag mit Hin­wei­sen zu Aus­lands­im­mo­bi­li­en­be­sitz si­cher­ge­stellt. Der An­ge­stell­te wur­de auf­grund die­ser Vorfälle am 20.10.2010 frist­los gekündigt.

Die Le­bens­gefähr­tin des An­ge­stell­ten hat­te, so je­den­falls der Vor­trag des Kre­ma­to­ri­ums, von 2003 bis 2010 ins­ge­samt über 31,7 kg Edel­me­tall im Wert von 273.682,97 EUR an die Gold­han­dels­fir­ma ver­kauft. Auf die­sen Be­trag ver­klag­te das Kre­ma­to­ri­um den An­ge­stell­ten und sei­ne Le­bens­gefähr­tin, die al­ler­dings im Ver­lauf des Pro­zes­ses 2012 ver­starb.

Das Ar­beits­ge­richt Ham­burg wies die Kla­ge ab, weil es mein­te, dem Kre­ma­to­ri­um stünden an dem Zahn­gold kei­ne Rech­te zu (Ur­teil vom 12.09.2012, 3 Ca 248/12). Das in der Be­ru­fung zuständi­ge Lan­des­ar­beits­ge­richt (LAG) Ham­burg ver­ur­teil­te den Ex-An­ge­stell­ten da­ge­gen zur Zah­lung von 255.610,41 EUR (LAG Ham­burg, Ur­teil vom 26.06.2013, 5 Sa 110/12).

Be­gründung des LAG: Das strei­ti­ge Zahn­gold war zwar her­ren­los und ei­ne An­eig­nung durch den Kre­ma­to­ri­ums­be­trei­ber auf­grund der Rech­te Drit­ter aus­ge­schlos­sen, doch kann der Kre­ma­to­ri­ums­be­trei­ber, wenn sei­ne An­ge­stell­ten das Gold an sich neh­men, als Ar­beit­ge­ber gemäß § 667 BGB Her­aus­ga­be ver­lan­gen. Denn nach die­ser Vor­schrift ist der Be­auf­trag­te (= Ar­beit­neh­mer) ver­pflich­tet, dem Auf­trag­ge­ber (= Ar­beit­ge­ber) al­les her­aus­zu­ge­ben, was er zur Ausführung des Auf­trags erhält und/oder was er aus der Geschäfts­be­sor­gung er­langt.

BAG: Auch wenn sich ein Kre­ma­to­ri­um das Zahn­gold Ver­stor­be­ner nicht an­eig­nen darf, müssen es die An­ge­stell­ten an das Kre­ma­to­ri­um her­aus­ge­ben

Das BAG bestätig­te die Ur­teils­be­gründung des LAG Ham­burg. Neh­men Ar­beit­neh­mer, so das BAG, Zahn­gold aus der Kre­ma­ti­ons­a­sche an sich, kann der Be­trei­ber des Kre­ma­to­ri­ums als Ar­beit­ge­ber die Her­aus­ga­be ver­lan­gen. Rechts­grund­la­ge für die­sen An­spruch ist § 667 BGB. Ist die Her­aus­ga­be des ent­wen­de­ten Zahn­gol­des unmöglich, weil es in­zwi­schen ver­kauft wur­de, ist der Ar­beit­neh­mer zum Scha­dens­er­satz ver­pflich­tet.

Trotz­dem hob das BAG das Ur­teil des LAG Ham­burg auf und ver­wies den Recht­streit zurück an das LAG. Denn der Be­trei­ber des Kre­ma­to­ri­ums hat­te 2010 ge­wech­selt, d.h. seit­dem wird es von ei­nem Toch­ter­un­ter­neh­men be­trie­ben. Da­her war mögli­cher­wei­se nicht mehr der ursprüng­li­che Kläger, son­dern des­sen Rechts­nach­fol­ger bzw. Toch­ter­fir­ma an­spruchs­be­rech­tigt.

Zur Be­gründung ver­weist das BAG auf § 613a BGB, d.h. auf den Be­triebsüber­g­angs­pa­ra­gra­phen. An­schei­nend ist das BAG der An­sicht, der An­spruch auf Scha­dens­er­satz könn­te 2010 als ein­heit­li­cher An­spruch vom dem kla­gen­den (ursprüng­li­chen) Kre­ma­to­ri­ums­be­trei­ber auf den Be­triebsüber­neh­mer über­ge­gan­gen sein, d.h. auf des­sen Toch­ter­un­ter­neh­men.

Fa­zit: Mit dem vor­lie­gen­den Ur­teil hat das BAG ent­ge­gen an­ders­lau­ten­den Gerüch­ten mit­nich­ten fest­ge­stellt, dass Kre­ma­to­ri­en das Zahn­gold von To­ten nach der Einäsche­rung an sich neh­men und ver­wer­ten können. Denn ein sol­ches Recht des Öjen­dor­fer Kre­ma­to­ri­ums be­stand hier im Streit­fall wahr­schein­lich gar nicht, und es ist auch un­er­heb­lich für den hier strei­ti­gen Her­aus­ga­be- bzw. Scha­dens­er­satz­an­spruch. Die­ser An­spruch be­steht al­lein des­halb, weil der ver­klag­te Kre­ma­to­ri­ums­an­ge­stell­te das Zahn­gold bei der Ar­beit an sich ge­nom­men bzw. "er­langt" hat­te und es da­her auf­grund von § 667 BGB an sei­nen Ar­beit­ge­ber her­aus­ge­ben muss.

Nähe­re In­for­ma­tio­nen fin­den Sie hier:

Hin­weis: In der Zwi­schen­zeit, d.h. nach Er­stel­lung die­ses Ar­ti­kels, hat das BAG sei­ne Ent­schei­dungs­gründe veröffent­licht. Das vollständig be­gründe­te Ur­teil des BAG fin­den Sie hier:

Letzte Überarbeitung: 5. Juni 2020

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