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ARBEITSRECHT AKTUELL // 15/042

Kei­ne Ur­laubs­kür­zung bei Teil­zeit­ar­beit

Ei­ne Ver­rin­ge­rung der Ar­beits­zeit darf nicht zum Weg­fall be­ste­hen­der Ur­laubs­ta­ge füh­ren: Bun­des­ar­beits­ge­richt, Ur­teil vom 10.02.2015, 9 AZR 53/14 (F)
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11.02.2015. Ei­ne Ar­beits­zeit­re­du­zie­rung, die mit ei­ner Ver­rin­ge­rung der wö­chent­li­chen Ar­beits­ta­ge ver­bun­den ist, darf nicht zum Weg­fall be­reits er­wor­be­ner Ur­laubs­ta­ge füh­ren.

Das hat das Bun­des­ar­beits­ge­richt (BAG) in ei­nem Ur­teil vom gest­ri­gen Ta­ge im An­schluss ei­ne Ent­schei­dung des Eu­ro­päi­schen Ge­richts­hofs (EuGH) vom Som­mer 2013 (EuGH, Be­schluss vom 13.06.2013, C-415/12 - Bran­des) klar­ge­stellt: BAG, Ur­teil vom 10.02.2015, 9 AZR 53/14 (F), (Pres­se­mit­tei­lung des BAG).

Wie sind of­fe­ne Ur­laubs­ansprüche bei ei­ner Ver­rin­ge­rung der Ar­beits­zeit um­zu­rech­nen?

Ar­beit­neh­mer ha­ben ei­nen An­spruch auf ei­nen be­zahl­ten Jah­res­ur­laub im Um­fang von min­des­tens vier Wo­chen. Das schreibt das Eu­ro­pa­recht vor (Art.7 der Richt­li­nie 2003/88/EG), und nach dem deut­schen Bun­des­ur­laubs­ge­setz (BUrlG) gilt nichts an­de­res, vgl. § 1 BUrlG und § 3 Abs.1 BUrlG.

Al­ler­dings gewährt das BUrlG den Ar­beit­neh­mern kei­nen nach Wo­chen be­rech­ne­ten Ur­laub, son­dern ei­nen Ur­laubs­an­spruch von 24 Werk­ta­gen, wo­bei „Werk­ta­ge“ die sechs Ta­ge von Mon­tag bis Sams­tag sind, aus­ge­nom­men ge­setz­li­che Fei­er­ta­ge. Ei­ne Wo­che oh­ne ge­setz­li­che Fei­er­ta­ge hat so­mit sechs Werk­ta­ge und ein deut­scher Ar­beit­neh­mer dem­nach ei­nen vierwöchi­gen ge­setz­li­chen Min­des­t­ur­laubs­an­spruch, denn 24 Werk­ta­ge Ur­laub ent­spre­chen (24 : 6 =) vier Ur­laubs­wo­chen.

Wer we­ni­ger als sechs Ta­ge pro Wo­che ar­bei­tet muss die­se vier Ur­laubs­wo­chen dann wie­der mit sei­nen wöchent­li­chen Ar­beits­ta­gen mul­ti­pli­zie­ren, um die An­zahl sei­ner in­di­vi­du­el­len Ur­laubs­ta­ge zu be­rech­nen. Bei ei­ner Fünf-Ta­ge-Wo­che hat man ei­nen ge­setz­li­chen Ur­laub von (4 Wo­chen x 5 Ar­beits­ta­ge =) 20 Ar­beits- bzw. Ur­laubs­ta­gen, bei ei­ner Vier-Ta­ge-Wo­che ei­nen An­spruch von (4 Wo­chen x 4 Ar­beits­ta­ge =) 16 Ar­beits- bzw. Ur­laubs­ta­gen usw.

Ge­setz­lich nicht ge­re­gelt ist die Fra­ge, was mit of­fe­nen Ur­laubs­ansprüchen pas­siert, wenn der Ar­beit­neh­mer ei­ne Ar­beits­zeit­ver­rin­ge­rung in An­spruch nimmt und sich da­her die An­zahl sei­ner Wo­chen­ar­beits­ta­ge re­du­ziert, z.B. von fünf auf drei Ta­ge pro Wo­che. Hier gibt es zwei Be­rech­nungs­me­tho­den:

Aus Ar­beit­ge­ber­sicht würde man so rech­nen: Wer bei ei­ner Fünf­ta­ge­wo­che z.B. 30 Ta­ge Rest­ur­laub aus Voll­zeit-Zei­ten hat, hat da­mit ei­nen Ur­laubs­an­spruch von (30 : 5 =) sechs Wo­chen. Die sechs Wo­chen ent­spre­chen bei ei­ner Drei­ta­ge­wo­che (6 Wo­chen x 3 Ar­beits­ta­ge =) 18 Ur­laubs­ta­gen. Dem­ent­spre­chend ge­rin­ger fällt das Ur­laubs­ent­gelt aus, d.h. es wer­den nur 18 statt 30 Ta­ge Ur­laub be­zahlt.

Aus Ar­beit­neh­mer­sicht würde man da­ge­gen so rech­nen: Er­wor­ben wur­den während der fünftägi­gen Voll­zeit-Beschäfti­gung 30 „ech­te“ Ur­laubs­ta­ge. Nimmt man die­sen Rest­ur­laub nach dem Wech­sel in Teil­zeit bzw. in ei­ne Drei­ta­ge­wo­che in An­spruch, hat man An­spruch auf (30 : 3 =) zehn Wo­chen Ur­laub. Auf­grund des größeren „Rest­ur­laubs­kon­tos“ kann man da­her während sei­ner Teil­zeit­beschäfti­gung länger Ur­laub ma­chen, steht sich aber fi­nan­zi­ell im Er­geb­nis nicht bes­ser, denn 30 Ta­ge be­zahl­te Frei­stel­lung blei­ben 30 Ta­ge be­zahl­te Frei­stel­lung.

Auf der Grund­la­ge ei­ner EuGH-Vor­la­ge des Ar­beits­ge­richts Nien­burg (Be­schluss vom 04.09.2012, 2 Ca 257/12 Ö, wir be­rich­te­ten in Ar­beits­recht ak­tu­ell: 12/350 Höhe des Ur­laubs­an­spruchs beim Wech­sel von Voll- in Teil­zeit) hat der EuGH im Ju­ni 2013 ent­schie­den, dass Ar­beit­neh­mer durch den Wech­sel von Voll­zeit in Teil­zeit kei­ne Ur­laubs­ta­ge ver­lie­ren dürfen, die sie während ih­rer Voll­zeittätig­keit er­wor­ben ha­ben (EuGH, Be­schluss vom 13.06.2013, Rechts­sa­che C-415/12 - Bran­des, wir be­rich­te­ten in Ar­beits­recht ak­tu­ell: 13/186 Ur­laub bei Teil­zeit).

Nun­mehr war das BAG am Zug, die­se Vor­ga­be des EuGH in das deut­sche Ar­beits­recht zu über­neh­men.

Im Streit: Wech­sel ei­nes Ta­rif­an­ge­stell­ten im öffent­li­chen Dienst von ei­ner Fünf­ta­ge­wo­che in ei­ne Vier­ta­ge­wo­che

Ein Ar­beit­neh­mer, auf des­sen Ar­beits­verhält­nis der Ta­rif­ver­trag für den öffent­li­chen Dienst (TVöD) an­zu­wen­den ist, wech­sel­te ab dem 15.07.2010 in ei­ne Teil­zeittätig­keit und ar­bei­te­te da­her nicht mehr wie bis­her an fünf, son­dern nur noch an vier Ta­gen in der Wo­che. Im TVöD ist vor­ge­se­hen, dass sich "bei ei­ner an­de­ren Ver­tei­lung der wöchent­li­chen Ar­beits­zeit als auf fünf Ta­ge in der Wo­che" der Ur­laubs­an­spruch des Ar­beit­neh­mers "ent­spre­chend" verändert, d.h. "erhöht oder ver­min­dert" (§ 26 Abs.1 Satz 4 TVöD).

Während sei­ner Voll­zeittätig­keit im Jahr 2010 nahm der Ar­beit­neh­mer kei­nen Ur­laub. Sein Ar­beit­ge­ber mein­te, ihm stünden an­ge­sichts des ta­rif­li­chen An­spruchs von 30 Ur­laubs­ta­gen bei ei­ner Fünf­ta­ge­wo­che nach sei­nem Wech­sel in die Teil­zeittätig­keit im Jahr 2010 nur 24 Ur­laubs­ta­ge zu (30 Ur­laubs­ta­ge : fünf Ar­beits­ta­ge x vier Ar­beits­ta­ge).

Der Ar­beit­neh­mer mein­te da­ge­gen, ei­ne sol­che Kürzung sei­nes Ur­laubs­an­spruchs sei un­zulässig, so­dass er im Jahr 2010 An­spruch auf 27 Ur­laubs­ta­ge ha­be. Für das ers­te Halb­jahr 2010 be­an­spruch­te er die Hälf­te von 30 Ur­laubs­ta­gen, d.h. 15 Ur­laubs­ta­ge, für die zwei­te Jah­reshälf­te ver­lang­te er - auf der Grund­la­ge ei­nes re­du­zier­ten Jah­res­ur­laubs­an­spruchs von (30 : 5 x 4 =) 24 Ar­beits- bzw. Ur­laubs­ta­gen - den hal­ben Jah­res­ur­laubs­an­spruch, d.h. (24 : 2 =) 12 Ar­beits- bzw. Ur­laubs­ta­ge.

Ins­ge­samt kam er so auf (15 + 12 =) 27 Ar­beits- bzw. Ur­laubs­ta­ge für 2010, von de­nen der Ar­beit­ge­ber 24 gewährt hat­te, so dass drei strei­tig blie­ben. Die­se drei Ta­ge klag­te er vor dem Ar­beits­ge­richt Frank­furt am Main mit Er­folg ein (Ur­teil vom 28.02.2012, 8 Ca 5832/11), während das Hes­si­sche Lan­des­ar­beits­ge­richt (LAG) die Kla­ge ab­wies (Ur­teil vom 30.10.2012, 13 Sa 590/12).

BAG: Ei­ne Ver­rin­ge­rung der Ar­beits­zeit darf nicht zum Weg­fall be­reits er­wor­be­ner Ur­laubs­ta­ge führen

Das BAG hob das LAG-Ur­teil auf und gab dem Ar­beit­neh­mer Recht. In der der­zeit al­lein vor­lie­gen­den Pres­se­mel­dung des BAG heißt es zur Be­gründung:

Zwar schreibt § 26 Abs.1 TVöD u.a., dass sich der für die Fünf­ta­ge­wo­che fest­ge­leg­te Er­ho­lungs­ur­laub nach ei­ner Ver­tei­lung der wöchent­li­chen Ar­beits­zeit auf we­ni­ger als fünf Ta­ge in der Wo­che ver­min­dert, so das BAG. Die Ta­rif­norm ist je­doch nach An­sicht des BAG we­gen des Ver­bots der Dis­kri­mi­nie­rung von Teil­zeit­kräften un­wirk­sam, so­weit sie da­zu führt, dass die Zahl der während der Voll­zeittätig­keit er­wor­be­nen Ur­laubs­ta­ge nach dem Wech­sel in die Teil­zeit ver­min­dert wird.

An die­ser Stel­le folgt das BAG aus­drück­lich dem EuGH: Kann ein voll­zeit­beschäftig­ter Ar­beit­neh­mer, be­vor er in ei­ne Teil­zeit­ar­beit mit we­ni­ger Wo­chen­ar­beits­ta­gen wech­selt, sei­nen Ur­laub nicht (vollständig) neh­men, darf der Ar­beit­ge­ber nach der EuGH-Recht­spre­chung die be­reits er­wor­be­nen Ur­laubs­ta­ge nicht we­gen des Über­gangs in ei­ne Teil­zeit­beschäfti­gung kürzen, so das BAG. Auf­grund die­ser Recht­spre­chung kann "an der bis­he­ri­gen Recht­spre­chung des Bun­des­ar­beits­ge­richts nicht fest­ge­hal­ten wer­den", der zu­fol­ge die Ur­laubs­ta­ge in ei­ner sol­chen Si­tua­ti­on grundsätz­lich um­zu­rech­nen wa­ren.

Fa­zit: Je­de Ar­beits­zeit­ver­rin­ge­rung, die mit ei­ner Ver­rin­ge­rung der wöchent­li­chen Ar­beits­ta­ge ver­bun­den ist, darf nicht da­zu führen, dass der Ar­beit­neh­mer be­reits er­wor­be­ne Ur­laubs­ta­ge ver­liert. Die an­ders­lau­ten­den Aus­sa­gen ei­nes BAG-Ur­teils aus dem Jah­re 1998 (BAG, Ur­teil vom 28.04.1998, 9 AZR 314/97) sind da­mit über­holt.

Nähe­re In­for­ma­tio­nen fin­den Sie hier:

Hin­weis: In der Zwi­schen­zeit, d.h. nach Er­stel­lung die­ses Ar­ti­kels, hat das BAG sei­ne Ent­schei­dungs­gründe veröffent­licht. Das vollständig be­gründe­te Ur­teil des BAG fin­den Sie hier:

Letzte Überarbeitung: 4. Juni 2019

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