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BAG, Ur­teil vom 08.09.2011, 2 AZR 543/10

   
Schlagworte: Chefarzt, Kündigung: Verhaltensbedingt, Kirche, AVR, Kündigung: Kirche
   
Gericht: Bundesarbeitsgericht
Aktenzeichen: 2 AZR 543/10
Typ: Urteil
Entscheidungsdatum: 08.09.2011
   
Leitsätze: Auch bei Kündigungen wegen Enttäuschung der berechtigten Loyalitätserwartungen eines kirchlichen Arbeitgebers kann die stets erforderliche Interessenabwägung im Einzelfall zu dem Ergebnis führen, dass dem Arbeitgeber die Weiterbeschäftigung des Arbeitnehmers zumutbar und die Kündigung deshalb unwirksam ist. Abzuwägen sind das Selbstverständnis der Kirchen einerseits und das Recht des Arbeitnehmers auf Achtung seines Privat- und Familienlebens andererseits.
Vorinstanzen: Arbeitsgericht Düsseldorf, Urteil vom 30.07.2009, 6 Ca 2377/09
Landesarbeitsgericht Düsseldorf, Urteil vom 1.07.2010, 5 Sa 996/09
Nachgehend Bundesverfassungsgericht, Beschluss vom 22.10.20142 BvR 661/12
   

BUN­DES­AR­BEITS­GERICHT


2 AZR 543/10
5 Sa 996/09
Lan­des­ar­beits­ge­richt
Düssel­dorf

 

Im Na­men des Vol­kes!

Verkündet am
8. Sep­tem­ber 2011

UR­TEIL

Schmidt, Ur­kunds­be­am­tin

der Geschäfts­stel­le

In Sa­chen

Be­klag­te, Be­ru­fungskläge­rin und Re­vi­si­onskläge­rin,

pp.

Kläger, Be­ru­fungs­be­klag­ter und Re­vi­si­ons­be­klag­ter,

hat der Zwei­te Se­nat des Bun­des­ar­beits­ge­richts auf­grund der münd­li­chen Ver­hand­lung vom 8. Sep­tem­ber 2011 durch den Vor­sit­zen­den Rich­ter am Bun­des­ar­beits­ge­richt Kreft, den Rich­ter am Bun­des­ar­beits­ge­richt Schmitz-Scho­le­mann und die Rich­te­rin am Bun­des­ar­beits­ge­richt Ber­ger so­wie die eh­ren­amt­li­chen Rich­ter Dr. Grim­berg und Dr. Nie­b­ler für Recht er­kannt:



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Die Re­vi­si­on der Be­klag­ten ge­gen das Ur­teil des Lan­des­ar­beits­ge­richts Düssel­dorf vom 1. Ju­li 2010 - 5 Sa 996/09 - wird auf ih­re Kos­ten zurück­ge­wie­sen.


Von Rechts we­gen!

Tat­be­stand

Die Par­tei­en strei­ten über die Wirk­sam­keit ei­ner or­dent­li­chen Kündi­gung der Be­klag­ten.

Der Kläger ist seit dem Jah­re 2000 im ka­tho­li­schen S-Kran­ken­haus in D als Chef­arzt der Ab­tei­lung In­ne­re Me­di­zin („Ab­tei­lungs­arzt“) beschäftigt. Träge­rin des Kran­ken­hau­ses ist die Be­klag­te.

Nach dem Ar­beits­ver­trag der Par­tei­en leis­ten die Mit­ar­bei­ter ih­ren Dienst im Geist christ­li­cher Nächs­ten­lie­be; als wich­ti­ger Grund zur außer­or­dent­li­chen Kündi­gung ist ua. „Le­ben in kirch­lich ungülti­ger Ehe oder eheähn­li­cher Ge­mein­schaft“ vor­ge­se­hen.

Nach Art. 3 Abs. 2 der auf das Ar­beits­verhält­nis an­wend­ba­ren Grund­ord­nung des kirch­li­chen Diens­tes vom 22. Sep­tem­ber 1993 (GrO) können kirch­li­che Dienst­ge­ber pas­to­ra­le, ka­te­che­ti­sche so­wie in der Re­gel er­zie­he­ri­sche und lei­ten­de Auf­ga­ben nur ei­ner Per­son über­tra­gen, die der ka­tho­li­schen Kir­che an­gehört. Art. 4 Abs. 1 GrO for­dert von den ka­tho­li­schen Mit­ar­bei­tern, dass sie die Grundsätze der ka­tho­li­schen Glau­bens- und Sit­ten­leh­re an­er­ken­nen und be­ach­ten. Bei lei­ten­den ka­tho­li­schen Mit­ar­bei­tern, zu de­nen ua. Ab­tei­lungsärz­te gehören, ist das persönli­che Le­bens­zeug­nis iSd. Grundsätze der ka­tho­li­schen Glau­bens- und Sit­ten­leh­re er­for­der­lich.

Nach Art. 5 Abs. 1 GrO muss der Dienst­ge­ber, wenn ein Mit­ar­bei­ter die Beschäfti­gungs­an­for­de­run­gen nicht mehr erfüllt, durch Be­ra­tung zu er­rei­chen ver­su­chen, dass die­ser den Man­gel auf Dau­er be­sei­tigt. Als letz­te Maßnah­me kommt ei­ne Kündi­gung in Be­tracht. Gem. Art. 5 Abs. 2 GrO ist der Ab­schluss


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ei­ner nach dem Glau­bens­verständ­nis und der Rechts­ord­nung der Kir­che ungülti­gen Ehe ein schwer­wie­gen­der Loya­litäts­ver­s­toß, der ei­ne Kündi­gung recht­fer­ti­gen kann. In die­sem Fall ist nach Art. 5 Abs. 3 Satz 1 GrO die Wei­ter­beschäfti­gung ua. dann aus­ge­schlos­sen, wenn der Loya­litäts­ver­s­toß von lei­tend täti­gen Mit­ar­bei­tern be­gan­gen wird. Le­dig­lich aus schwer­wie­gen­den Gründen des Ein­zel­falls kann aus­nahms­wei­se von der Kündi­gung ab­ge­se­hen wer­den (Art. 5 Abs. 3 Satz 2 GrO). Im Fall des Ab­schlus­ses ei­ner nach dem Glau­bens­verständ­nis und der Rechts­ord­nung der Kir­che ungülti­gen Ehe schei­det ei­ne Wei­ter­beschäfti­gung je­den­falls dann aus, wenn sie un­ter öffent­li­ches Ärger­nis er­re­gen­den oder die Glaubwürdig­keit der Kir­che be­ein­träch­ti­gen­den Umständen ge­schlos­sen wird (Art. 5 Abs. 5 GrO).

Ei­ne ungülti­ge Ehe schließt nach ka­tho­li­schem Rechts­verständ­nis (vgl. Ca­non [Can.] 1085 § 1 Co­dex Iu­ris Ca­no­ni­ci [CIC]), wer durch das Band ei­ner frühe­ren Ehe ge­bun­den ist. Ei­ne neue Ehe­sch­ließung ist auch dann nicht er­laubt, wenn ei­ne frühe­re Ehe aus ir­gend­ei­nem Grund nich­tig oder auf­gelöst wor­den ist, die Nich­tig­keit bzw. die Auflösung der frühe­ren Ehe aber noch nicht rechtmäßig und si­cher fest­steht, Can. 1085 § 2 CIC.

Nach­dem sich sei­ne ers­te Ehe­frau im Jah­re 2005 von ihm ge­trennt hat­te, leb­te der Kläger mit sei­ner jet­zi­gen Frau von 2006 bis 2008 un­ver­hei­ra­tet zu­sam­men. Das war der Be­klag­ten nach den Fest­stel­lun­gen des Lan­des­ar­beits­ge­richts seit Herbst 2006 be­kannt. Nach der Schei­dung von sei­ner ers­ten Ehe­frau An­fang 2008 hei­ra­te­te der Kläger im Au­gust 2008 sei­ne jet­zi­ge Frau stan­des­amt­lich. Da­von er­fuhr die Be­klag­te spätes­tens im No­vem­ber 2008. In den fol­gen­den Wo­chen fan­den so­wohl zwi­schen den Par­tei­en als auch auf Sei­ten der Be­klag­ten Erörte­run­gen und Be­ra­tun­gen statt. Nach Anhörung der bei ihr be­ste­hen­den Mit­ar­bei­ter­ver­tre­tung (MAV), die von ei­ner Stel­lung­nah­me ab­sah, kündig­te die Be­klag­te das Ar­beits­verhält­nis im März 2009 frist­ge­recht zum 30. Sep­tem­ber 2009.

Da­ge­gen hat der Kläger Kündi­gungs­schutz­kla­ge er­ho­ben. Er hat die Auf­fas­sung ver­tre­ten, die Kündi­gung sei so­zi­al un­ge­recht­fer­tigt. Die er­neu­te Hei­rat stel­le kei­nen Kündi­gungs­grund dar. Er sei als Chef­arzt we­der lei­ten­der An­ge­stell­ter noch Träger der kirch­li­chen Verkündi­gung iSd. Art. 5 Abs. 3 GrO.


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Die Kündi­gung ver­s­toße ge­gen den Gleich­be­hand­lungs­grund­satz. Die Be­klag­te ha­be an­de­re ge­schie­de­ne und wie­der­ver­hei­ra­te­te Chefärz­te durch­aus ein­ge­stellt oder wei­ter­beschäftigt oder beschäfti­ge sie so­gar der­zeit. Ein et­wai­ges Kündi­gungs­recht ha­be die Be­klag­te über­dies ver­wirkt. Er ha­be sich nicht kir­chen­feind­lich ver­hal­ten. Die Tren­nung sei nicht öffent­lich ge­wor­den. Sie ha­be auch bei der Be­leg­schaft kein Ärger­nis er­regt.

Der Kläger hat be­an­tragt 

1. fest­zu­stel­len, dass das Ar­beits­verhält­nis zwi­schen den Par­tei­en durch die or­dent­li­che Kündi­gung der Be­klag­ten vom 30. März 2009 zum 30. Sep­tem­ber 2009 nicht be­en­det wor­den ist;

2. für den Fall des Ob­sie­gens mit dem Fest­stel­lungs­an­trag die Be­klag­te zu ver­pflich­ten, ihn über den 30. Sep­tem­ber 2009 hin­aus als Lei­ten­den Arzt Ab­tei­lung me­di­zi­ni­sche Kli­nik (In­ne­re Me­di­zin) am S-Kran­ken­haus in D bis zum rechts­kräfti­gen Ab­schluss des Kündi­gungs­schutz­pro­zes­ses wei­ter­zu­beschäfti­gen.

Die Be­klag­te hat be­an­tragt, die Kla­ge ab­zu­wei­sen. Sie hat die Auf­fas­sung ver­tre­ten, die Kündi­gung sei so­zi­al ge­recht­fer­tigt. Der Kläger sei ei­ne ungülti­ge Ehe iSd. ka­tho­li­schen Kir­chen­rechts ein­ge­gan­gen und ha­be da­durch in er­heb­li­cher Wei­se ge­gen sei­ne Ver­pflich­tun­gen aus dem Ar­beits­verhält­nis ver­s­toßen. Der Kläger sei als lei­ten­der Mit­ar­bei­ter iSd. Art. 5 Abs. 3 GrO an­zu­se­hen. Sie ha­be das Kündi­gungs­ver­fah­ren nach Kennt­nis von der Wie­der­ver­hei­ra­tung zügig vor­an­ge­trie­ben. Ein Großteil der vom Kläger be­nann­ten ge­schie­de­nen und wie­der­ver­hei­ra­te­ten Chefärz­te sei nicht ka­tho­lisch. An­de­re ar­bei­te­ten in Kran­kenhäusern, die nicht in ih­rer Träger­schaft stünden. Herr Dr. B sei En­de 2003 aus­ge­schie­den. Zu­dem ha­be er sei­ne Wie­der­ver­hei­ra­tung erst ei­nen Mo­nat vor sei­nem al­ters­be­ding­ten Aus­schei­den an­ge­zeigt; mit Rück­sicht auf das kurz be­vor­ste­hen­de Aus­schei­den sei in die­sem Fall von ei­ner Kündi­gung ab­ge­se­hen wor­den. Al­len­falls bei dem schon in den 80er Jah­ren ver­stor­be­nen Chef­arzt Dr. S könne ein ver­gleich­ba­rer Sach­ver­halt an­ge­nom­men wer­den. Da­mals ha­be die Grund­ord­nung des kirch­li­chen Diens­tes aber noch nicht ge­gol­ten.


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Das Ar­beits­ge­richt hat nach den Kla­ge­anträgen er­kannt. Das Lan­des­ar­beits­ge­richt hat - nach Durchführung ei­ner Be­weis­auf­nah­me - die Be­ru­fung der Be­klag­ten zurück­ge­wie­sen. Mit der Re­vi­si­on ver­folgt die Be­klag­te ih­ren An­trag, die Kla­ge ab­zu­wei­sen, wei­ter.


Ent­schei­dungs­gründe

Die Re­vi­si­on ist un­be­gründet. Ob ein mögli­ches Kündi­gungs­recht der Be­klag­ten ver­wirkt wäre, kann da­hin ste­hen. Die Kündi­gung ist so­zi­al un­ge­recht­fer­tigt iSd. § 1 KSchG. Der Kläger hat zwar ge­gen Loya­litätsan­for­de­run­gen ver­s­toßen. Die­ser Ver­s­toß führt aber un­ter den hier ge­ge­be­nen Umständen nicht zur Wirk­sam­keit der Kündi­gung: Die er­for­der­li­che um­fas­sen­de Abwägung der recht­lich geschütz­ten In­ter­es­sen bei­der Par­tei­en geht zu Guns­ten des Klägers aus.

I. Das Recht der Be­klag­ten zum Aus­spruch der or­dent­li­chen Kündi­gung dürf­te ent­ge­gen der Auf­fas­sung des Klägers nicht ver­wirkt sein. Die Be­klag­te hat die Kündi­gung nicht mit il­loya­ler Ver­spätung aus­ge­spro­chen. Nach­dem sie im No­vem­ber 2008 von der Wie­der­ver­hei­ra­tung er­fah­ren hat­te, muss­te sie nicht nur das in der Grund­ord­nung vor­ge­schrie­be­ne be­ra­ten­de Gespräch mit dem Kläger führen, son­dern auch den Auf­sichts­rat be­tei­li­gen und ei­ne Stel­lung­nah­me des Ge­ne­ral­vi­kars ein­ho­len. An­ge­sichts der - auch für die Be­klag­te und das Kran­ken­haus - weit­rei­chen­den Fol­gen des Kündi­gungs­ent­schlus­ses ist es nicht zu be­an­stan­den, dass sie da­bei um­sich­tig und oh­ne Hast vor­ging. Letzt­lich kommt es auf ei­ne et­wai­ge Ver­wir­kung des Kündi­gungs­rechts nicht an. Die Kündi­gung ist aus an­de­ren Gründen un­wirk­sam.

II. Die Kündi­gung ist so­zi­al un­ge­recht­fer­tigt iSd. § 1 KSchG. Die­se Be­stim­mung fin­det auf das Ar­beits­verhält­nis der Par­tei­en An­wen­dung.


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oder (nur) aus Gründen in der Per­son des Klägers be­din­gen kann, braucht da­bei nicht ent­schie­den zu wer­den (2 a). Die Kündi­gung war nicht schon we­gen Ver­s­toßes ge­gen § 1 KSchG, §§ 1, 7 AGG so­zi­al un­ge­recht­fer­tigt. Zu der in der Kündi­gung lie­gen­den un­ter­schied­li­chen Be­hand­lung we­gen der Re­li­gi­on war die Be­klag­te an sich nach § 9 Abs. 2 AGG be­rech­tigt (2 b). Je­doch führt die Abwägung der bei­der­sei­ti­gen In­ter­es­sen zur So­zi­al­wid­rig­keit der Kündi­gung (2 c).

2. Ei­ne Kündi­gung ist aus Gründen im Ver­hal­ten des Ar­beit­neh­mers gemäß § 1 Abs. 2 Satz 1 KSchG so­zi­al ge­recht­fer­tigt, wenn der Ar­beit­neh­mer ei­ne Ver­trags­pflicht er­heb­lich - in der Re­gel schuld­haft - ver­letzt hat, die zu­mut­ba­re Möglich­keit ei­ner an­de­ren, zukünf­ti­ge Störun­gen zu­verlässig aus­sch­ließen­den Beschäfti­gung nicht be­steht und die Lösung des Ar­beits­verhält­nis­ses in Abwägung der In­ter­es­sen bei­der Ver­trags­tei­le bil­li­gens­wert und an­ge­mes­sen er­scheint. Auch die er­heb­li­che Ver­let­zung ei­ner ver­trag­li­chen Ne­ben­pflicht kann ei­ne Kündi­gung so­zi­al recht­fer­ti­gen (BAG 9. Ju­ni 2011 - 2 AZR 284/10 - Rn. 34, DB 2011, 2724; 28. Ok­to­ber 2010 - 2 AZR 293/09 - Rn. 12, AP KSchG 1969 § 1 Ver­hal­tens­be­ding­te Kündi­gung Nr. 62 = EzA KSchG § 1 Ver­hal­tens­be­ding­te Kündi­gung Nr. 78). Vor­aus­set­zung ist, dass der Ar­beit­neh­mer sich rechts­wirk­sam zu dem be­an­stan­de­ten Tun oder Un­ter­las­sen hat ver­pflich­ten können. Ob dies mit Blick auf das Ver­spre­chen, nicht er­neut zu hei­ra­ten, un­ter dem Re­gime staat­li­chen Rechts möglich ist, er­scheint nicht un­zwei­fel­haft.

Ei­ne Kündi­gung ist aus Gründen in der Per­son des Ar­beit­neh­mers be­dingt, wenn der Ar­beit­neh­mer auf­grund persönli­cher Ei­gen­schaf­ten - oh­ne dass ihm das vor­werf­bar wäre - nicht (mehr) in der La­ge ist, die Leis­tung ver­trags­ge­recht zu erfüllen (BAG 18. Ja­nu­ar 2007 - 2 AZR 731/05 - Rn. 15, BA­GE 121, 32). Vor­aus­ge­setzt ist ei­ne Nicht- oder Schlech­terfüllung der ge­schul­de­ten Leis­tung, et­wa weil der Ar­beit­neh­mer ei­ner be­ruf­li­chen An­for­de­rung nicht (mehr) ent­spricht.

Da die Kündi­gung im Streit­fall auf ei­ner Un­gleich­be­hand­lung be­ruht, sind zur nähe­ren Be­stim­mung ih­rer so­zia­len Recht­fer­ti­gung die Vor­schrif­ten des AGG her­an­zu­zie­hen (BAG 6. No­vem­ber 2008 - 2 AZR 523/07 - BA­GE 128, 238). Die stets not­wen­di­ge Abwägung der recht­lich geschütz­ten In­ter­es­sen der


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Par­tei­en muss bei Kündi­gun­gen aus kir­chen­spe­zi­fi­schen Gründen dem Selbst­verständ­nis der Kir­chen ein be­son­de­res Ge­wicht bei­mes­sen (BVerfG 4. Ju­ni 1985 - 2 BvR 1718/83 ua. - zu B II 1 e der Gründe, BVerfGE 70, 138). Die Ar­beits­ge­rich­te ha­ben zwi­schen dem Recht der Ar­beit­neh­mer auf Ach­tung ih­res Pri­vat- und Fa­mi­li­en­le­bens (Art. 8 EM­RK) ei­ner­seits und den nach Art. 9 EM­RK (Re­li­gi­ons­frei­heit) und Art. 11 EM­RK (Ver­ei­ni­gungs­frei­heit) geschütz­ten Rech­ten der Re­li­gi­ons­ge­mein­schaft an­de­rer­seits ab­zuwägen. Die­ses Abwägungs­ge­bot folgt auch aus der Recht­spre­chung des Eu­ropäischen Ge­richts­hofs für Men­schen­rech­te (EGMR 3. Fe­bru­ar 2011 - 18136/02 - EzA BGB 2002 § 611 Kirch­li­che Ar­beit­neh­mer Nr. 17; 23. Sep­tem­ber 2010 - 425/03 - NZA 2011, 277; 23. Sep­tem­ber 2010 - 1620/03 - NZA 2011, 279), de­ren Be­ach­tung ver­fas­sungs­recht­lich ge­bo­ten ist (BVerfG 14. Ok­to­ber 2004 - 2 BvR 1481/04 - BVerfGE 111, 307).

a) Mit der Wie­der­ver­hei­ra­tung hat der Kläger ge­gen sei­ne Loya­litätsob­lie­gen­heit aus dem Ar­beits­ver­trag (§ 10 Abs. 4 Nr. 2) und ge­gen die dar­in in Be­zug ge­nom­me­ne Grund­ord­nung (Art. 5 Abs. 2 GrO) ver­s­toßen. Durch die Ein­ge­hung sei­ner zwei­ten (stan­des­amt­li­chen) Ehe hat der Kläger den Grund­satz der Un­auflöslich­keit der Ehe ver­letzt. Die­ser zählt zu den we­sent­li­chen Grundsätzen der ka­tho­li­schen Glau­bens- und Sit­ten­leh­re. Er wird in den Vor­schrif­ten des Co­dex Iu­ris Ca­no­ni­ci von 1983 be­kräftigt (CIC Can. 1055, 1056, 1134 und ins­be­son­de­re Can. 1141, nach dem die gültig ge­schlos­se­ne und voll­zo­ge­ne Ehe zwi­schen Ge­tauf­ten durch kei­ne men­sch­li­che Ge­walt und aus kei­nem Grun­de, außer durch den Tod, auf­gelöst wer­den kann). Das Ver­bot der Wie­der­ver­hei­ra­tung gilt nach der ka­tho­li­schen Glau­bens­leh­re auch in der Zeit, in der ein ein­ge­lei­te­tes Ehe­nich­tig­keits­ver­fah­ren noch nicht er­folg­reich be­en­det ist. Im Streit­fall lag da­her zum Zeit­punkt der Kündi­gung ein Ver­s­toß ge­gen Can. 1085 § 2 CIC vor (vgl. BAG 16. Sep­tem­ber 2004 - 2 AZR 447/03 - Rn. 48, AP BGB § 611 Kir­chen­dienst Nr. 44 = EzA BGB 2002 § 242 Kündi­gung Nr. 5). 


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(1) Dem Kläger steht frei­lich das Recht auf freie Ent­fal­tung sei­ner Persönlich­keit gemäß Art. 2 Abs. 1 GG und auf Schutz der Ehe (Art. 6 Abs. 1 GG) zu. Die­se Grund­rech­te um­fas­sen re­gelmäßig auch die Frei­heit, ei­ne zwei­te Ehe ein­zu­ge­hen. Die Ge­stal­tung des pri­va­ten Le­bens­be­reichs steht außer­halb der Ein­fluss­sphäre des Ar­beit­ge­bers und wird durch ar­beits­ver­trag­li­che Pflich­ten nur in­so­weit ein­ge­schränkt, wie sich das pri­va­te Ver­hal­ten auf den be­trieb­li­chen Be­reich aus­wirkt und dort zu Störun­gen führt. Berührt außer­dienst­li­ches Ver­hal­ten den ar­beits­ver­trag­li­chen Pflich­ten­kreis nicht, so ist der Ar­beit­ge­ber re­gelmäßig nicht be­rech­tigt, die ihm be­kannt ge­wor­de­nen Umstände aus der Pri­vat­sphäre des Ar­beit­neh­mers durch den Aus­spruch ei­ner Kündi­gung zu miss­bil­li­gen (BAG 10. Sep­tem­ber 2009 - 2 AZR 257/08 - Rn. 20, AP KSchG 1969 § 1 Ver­hal­tens­be­ding­te Kündi­gung Nr. 60 = EzA KSchG § 1 Ver­hal­tens­be­ding­te Kündi­gung Nr. 77; 16. Sep­tem­ber 2004 - 2 AZR 447/03 - Rn. 43, AP BGB § 611 Kir­chen­dienst Nr. 44 = EzA BGB 2002 § 242 Kündi­gung Nr. 5).

(2) Die Grund­rech­te des Ar­beit­neh­mers nach Art. 2 Abs. 1, Art. 6 Abs. 1 GG be­ste­hen je­doch nicht un­ein­ge­schränkt. Nach dem Be­schluss des Bun­des­ver­fas­sungs­ge­richts vom 4. Ju­ni 1985 (- 2 BvR 1718/83 ua. - BVerfGE 70, 138), dem das Bun­des­ar­beits­ge­richt in ständi­ger Recht­spre­chung ge­folgt ist (so zB BAG 21. Fe­bru­ar 2001 - 2 AZR 139/00 - Rn. 53, AP BGB Kir­chen­dienst § 611 Nr. 29 = EzA BGB § 611 Kirch­li­che Ar­beit­neh­mer Nr. 47; 24. April 1997 - 2 AZR 268/96 - AP BGB § 611 Kir­chen­dienst Nr. 27 = EzA BGB § 611 Kirch­li­che Ar­beit­neh­mer Nr. 43; 18. No­vem­ber 1986 - 7 AZR 274/85 - AP GG Art. 140 Nr. 35 = EzA BGB § 611 Kirch­li­che Ar­beit­neh­mer Nr. 26), kommt das durch Art. 140 GG iVm. Art. 137 Abs. 3 WRV ver­fas­sungs­recht­lich verbürg­te Selbst-ord­nungs- und Selbst­ver­wal­tungs­recht ne­ben den ver­fass­ten Kir­chen auch den ih­nen zu­ge­ord­ne­ten, ins­be­son­de­re ka­ri­ta­ti­ven Ein­rich­tun­gen zu (BVerfG 4. Ju­ni 1985 - 2 BvR 1718/83 ua. - Rn. 59, aaO). Die Ver­fas­sungs­ga­ran­tie des kirch­li­chen Selbst­be­stim­mungs­rechts gewähr­leis­tet den Kir­chen darüber zu be­fin­den, wel­che Diens­te es in ih­ren Ein­rich­tun­gen ge­ben soll und in wel­chen Rechts­for­men sie wahr­zu­neh­men sind. Die Kir­chen können sich da­bei der staat­li­chen Pri­vat­au­to­no­mie be­die­nen, um ein Ar­beits­verhält­nis zu be­gründen und zu re­geln (BVerfGE 4. Ju­ni 1985 - 2 BvR 1718/83 ua. - Rn. 58, aaO).


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(3) Be­die­nen sich die Kir­chen wie je­der­mann der Pri­vat­au­to­no­mie zur Be­gründung von Ar­beits­verhält­nis­sen, so fin­det auf die­se das staat­li­che Ar­beits­recht An­wen­dung. Die Ein­be­zie­hung der kirch­li­chen Ar­beits­verhält­nis­se in das staat­li­che Ar­beits­recht hebt in­des­sen de­ren Zu­gehörig­keit zu den „ei­ge­nen An­ge­le­gen­hei­ten“ der Kir­che iSv. Art. 140 GG, Art. 137 Abs. 3 WRV nicht auf. Das ermöglicht es den Kir­chen, in den Schran­ken des für al­le gel­ten­den Ge­set­zes den kirch­li­chen Dienst nach ih­rem Selbst­verständ­nis zu re­geln und da­zu die spe­zi­fi­schen Ob­lie­gen­hei­ten kirch­li­cher Ar­beit­neh­mer ver­bind­lich zu ma­chen. Wer­den Loya­litätsan­for­de­run­gen in ei­nem Ar­beits­ver­trag fest­ge­legt, nimmt der kirch­li­che Ar­beit­ge­ber nicht nur die all­ge­mei­ne Ver­trags­frei­heit für sich in An­spruch; er macht zu­gleich von sei­nem ver­fas­sungs­kräfti­gen Selbst­be­stim­mungs­recht Ge­brauch (BVerfG 4. Ju­ni 1985 - 2 BvR 1718/03 ua. - Rn. 59, BVerfGE 70, 138).

(4) Wel­che kirch­li­chen Grund­ver­pflich­tun­gen als Ge­gen­stand des Ar­beits­verhält­nis­ses be­deut­sam sein können, rich­tet sich nach den von der ver­fass­ten Kir­che an­er­kann­ten Maßstäben. Da­ge­gen kommt es we­der auf die Auf­fas­sung der ein­zel­nen be­trof­fe­nen kirch­li­chen Ein­rich­tun­gen, bei de­nen die Mei­nungs­bil­dung von ver­schie­de­nen Mo­ti­ven be­ein­flusst sein kann, noch auf die­je­ni­ge brei­ter Krei­se un­ter Kir­chen­mit­glie­dern oder gar ein­zel­ner, be­stimm­ten Ten­den­zen ver­bun­de­ner Mit­ar­bei­ter an (BAG 21. Fe­bru­ar 2001 - 2 AZR 139/00 - Rn. 53, AP BGB § 611 Kir­chen­dienst Nr. 29 = EzA BGB § 611 Kirch­li­che Ar­beit­neh­mer Nr. 47). Die Ar­beits­ge­rich­te ha­ben die vor­ge­ge­be­nen kirch­li­chen Maßstäbe für die Be­wer­tung ein­zel­ner Loya­litätsan­for­de­run­gen zu­grun­de zu le­gen, so­weit die Ver­fas­sung das Recht der Kir­che an­er­kennt, hierüber selbst zu be­fin­den. Es bleibt da­nach grundsätz­lich den ver­fass­ten Kir­chen über­las­sen, ver­bind­lich zu be­stim­men, was die „Glaubwürdig­keit der Kir­che und der Ein­rich­tung, in der sie beschäftigt sind“ (vgl. Art. 4 Abs. 4, Art. 5 Abs. 5 GrO) er­for­dert, wel­ches die zu be­ach­ten­den „Grundsätze der ka­tho­li­schen Glau­bens- und Sit­ten­leh­re“ sind (vgl. Art. 4 Abs. 1 GrO) und wel­che „Loya­litäts­verstöße“ (vgl. Art. 5 Abs. 2 GrO) aus „kir­chen­spe­zi­fi­schen Gründen“ als „schwer­wie­gend“ an­zu­se­hen sind. Auch die Ent­schei­dung darüber, ob und wie in­ner­halb der im kirch­li­chen Dienst täti­gen Mit­ar­bei­ter ei­ne Ab­stu­fung der Loya­litätsan­for­de­run- 


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gen ein­grei­fen soll (vgl. Art. 5 Abs. 3 und Abs. 4 GrO), ist grundsätz­lich ei­ne dem kirch­li­chen Selbst­be­stim­mungs­recht un­ter­lie­gen­de An­ge­le­gen­heit (vgl. BAG 21. Fe­bru­ar 2001 - 2 AZR 139/00 - aaO; bestäti­gend: EGMR 3. Fe­bru­ar 2011 - 18136/02 - EzA BGB 2002 § 611 Kirch­li­che Ar­beit­neh­mer Nr. 17).

bb) Nach den da­mit maßgeb­li­chen kirch­li­chen Vor­schrif­ten liegt ein Loya­litäts­ver­s­toß vor.

(1) Die nach Art. 5 Abs. 2 GrO ge­ne­rell als Kündi­gungs­grund in Be­tracht kom­men­de Wie­der­hei­rat ei­nes ver­hei­ra­te­ten Ar­beit­neh­mers recht­fer­tigt nach Art. 5 Abs. 3 Satz 1 GrO ei­ne Kündi­gung, wenn der be­trof­fe­ne Mit­ar­bei­ter „lei­tend tätig“ ist. Die Wahr­neh­mung ei­ner „mis­sio ca­no­ni­ca“ ist nicht er­for­der­lich. Nach Art. 5 Abs. 3 Satz 2 GrO kann von ei­ner Kündi­gung al­ler­dings aus­nahms­wei­se ab­ge­se­hen wer­den, wenn schwer­wie­gen­de Gründe des Ein­zel­falls die Kündi­gung als un­an­ge­mes­sen er­schei­nen las­sen.

(2) Der Kläger als Ab­tei­lungs­arzt für „In­ne­re Me­di­zin“ ist lei­ten­der Mit­ar­bei­ter iSd. Art. 5 Abs. 3 Satz 1 Alt. 1 GrO. Das zeigt Buchst. A Ziff. 6 der auf den Ar­beits­ver­trag an­wend­ba­ren Grund­ord­nung für ka­tho­li­sche Kran­kenhäuser in Nord­rhein-West­fa­len vom 5. No­vem­ber 1996. Da­nach sind lei­tend täti­ge Mit­ar­bei­ter im Sin­ne der ge­nann­ten Grund­ord­nung ua. die Ab­tei­lungsärz­te. Gem. § 1 Abs. 1 des Dienst­ver­trags ist der Kläger Ab­tei­lungs­arzt.

(3) Ein Aus­nah­me­fall nach Art. 5 Abs. 3 Satz 2 GrO liegt nicht vor. Die Be­ur­tei­lung des Lan­des­ar­beits­ge­richts, die Be­klag­te ha­be das Vor­lie­gen von Aus­nah­me­tat­beständen zu Recht ver­neint, ist re­vi­si­ons­recht­lich nicht zu be­an­stan­den.

(4) Die Kündi­gung er­weist sich nicht als un­verhält­nismäßig we­gen Miss­ach­tung der Ver­fah­rens­vor­schrift des Art. 5 Abs. 1 GrO. Nach Art. 5 Abs. 1 GrO muss der kirch­li­che Dienst­ge­ber, wenn ein Mit­ar­bei­ter die Beschäfti­gungs­an­for­de­run­gen nicht mehr erfüllt, durch „Be­ra­tung“, dh. „ein klären­des Gespräch“ ver­su­chen, dass der Mit­ar­bei­ter die­sen Man­gel auf Dau­er be­sei­tigt. Im vor­lie­gen­den Fall ist die Be­klag­te die­ser Ver­pflich­tung im Gespräch vom 26. Ja­nu­ar 2009 nach­ge­kom­men.


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b) Die Kündi­gung ist nicht we­gen Ver­s­toßes ge­gen §§ 1, 7 AGG un­ge­recht­fer­tigt iSd. § 1 KSchG. Die mit ihr ver­bun­de­ne Un­gleich­be­hand­lung des Klägers we­gen sei­ner Re­li­gi­on ist nach § 9 Abs. 2 AGG ge­recht­fer­tigt.

aa) Liegt - wie hier - ei­ne Nicht­ach­tung von Loya­litätsan­for­de­run­gen vor, so ist die wei­te­re Fra­ge, ob sie ei­ne Kündi­gung des kirch­li­chen Ar­beits­verhält­nis­ses sach­lich recht­fer­tigt, nach den kündi­gungs­schutz­recht­li­chen Vor­schrif­ten des § 1 KSchG und des § 626 BGB zu be­ant­wor­ten. Die­se un­ter­lie­gen als für al­le gel­ten­des Ge­setz iSd. Art. 137 Abs. 3 Satz 1 WRV um­fas­sen­der ar­beits­ge­richt­li­cher An­wen­dungs­kom­pe­tenz (BVerfG 7. März 2002 - 1 BvR 1962/01 - EzA BGB § 611 Kirch­li­che Ar­beit­neh­mer Nr. 47a; BAG 21. Fe­bru­ar 2001 - 2 AZR 139/00 - AP BGB § 611 Kir­chen­dienst Nr. 29 = EzA BGB § 611 Kirch­li­che Ar­beit­neh­mer Nr. 47). Die Ge­rich­te müssen je­doch auch in die­sem Rah­men dem in Art. 137 Abs. 3 WRV gewähr­leis­te­ten Selbst­be­stim­mungs­recht der Re­li­gi­ons­ge­mein­schaf­ten Rech­nung tra­gen (BVerfG 4. Ju­ni 1985 - 2 BvR 1718/83 ua. - BVerfGE 70, 138). Da­bei sind in Fällen, in de­nen die Kündi­gung ei­ne Be­nach­tei­li­gung iSd. §§ 1 ff. AGG mit sich bringt, für die Fra­ge der so­zia-len Recht­fer­ti­gung nach § 1 KSchG die Vor­schrif­ten des All­ge­mei­nen Gleich­be­hand­lungs­ge­set­zes vom 14. Au­gust 2006 (BGBl. I S. 1897) her­an­zu­zie­hen (BAG 6. No­vem­ber 2008 - 2 AZR 523/07 - BA­GE 128, 238).

bb) Die hier vor­lie­gen­de Be­nach­tei­li­gung des Klägers führt nicht nach § 1 KSchG iVm. §§ 1, 7, 9 AGG zur So­zi­al­wid­rig­keit der Kündi­gung.

(1) Die Kündi­gung stellt zwar ei­ne un­mit­tel­ba­re Be­nach­tei­li­gung des Klägers we­gen der Re­li­gi­on iSd. § 3 Abs. 1 AGG dar. Dem Kläger wäre nicht we­gen Wie­der­ver­hei­ra­tung gekündigt wor­den, wenn er nicht ka­tho­lisch wäre.

(2) Die Be­nach­tei­li­gung ist je­doch nach § 9 Abs. 2 AGG ge­recht­fer­tigt. 

(a) Nach § 9 Abs. 2 AGG berührt das Ver­bot un­ter­schied­li­cher Be­hand­lung we­gen der Re­li­gi­on nicht das Recht der Re­li­gi­ons­ge­mein­schaf­ten und der ih­nen zu­ge­ord­ne­ten Ein­rich­tun­gen iSd. § 9 Abs. 1 AGG, von ih­ren Beschäftig­ten ein loya­les und auf­rich­ti­ges Ver­hal­ten im Sin­ne ih­res je­wei­li­gen Selbst­verständ­nis­ses ver­lan­gen zu können. Die Vor­schrift will Art. 4 Abs. 2 der Richt­li­nie


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2000/78/EG des Ra­tes vom 27. No­vem­ber 2000 um­set­zen. Da­nach können - so­fern die Be­stim­mun­gen die­ser Richt­li­nie im Übri­gen ein­ge­hal­ten wer­den - die Kir­chen und an­de­re öffent­li­che oder pri­va­te Or­ga­ni­sa­tio­nen, de­ren Ethos auf re­li­giösen Grundsätzen oder Welt­an­schau­un­gen be­ruht, im Ein­klang mit den ein­zel­staat­li­chen ver­fas­sungs­recht­li­chen Be­stim­mun­gen und Rechts­vor­schrif­ten von den für sie ar­bei­ten­den Per­so­nen ver­lan­gen, dass sie sich loy­al und auf­rich­tig im Sin­ne des Ethos der Or­ga­ni­sa­ti­on ver­hal­ten. Ob da­durch al­lein un­ter­schied­li­che Be­hand­lun­gen we­gen der Re­li­gi­on oder auch Be­nach­tei­li­gun­gen aus an­de­ren Gründen (zB we­gen der se­xu­el­len Iden­tität) er­laubt wer­den (vgl. ausführ­lich Thüsing Ar­beits­recht­li­cher Dis­kri­mi­nie­rungs­schutz Rn. 487 ff. mwN) kann da­hin­ste­hen, da die un­ter­schied­li­che Be­hand­lung hier aus­sch­ließlich we­gen der Re­li­gi­on er­folgt.

(b) Im Streit­fall hat der Kläger sich il­loy­al im Sin­ne des Ethos der Be­klag­ten ver­hal­ten. Die Be­klag­te sieht, wie aus dem Ar­beits­ver­trag, der Grund­ord­nung und den Vor­schrif­ten des Cor­pus Iu­ris Ca­no­ni­ci her­vor­geht, für lei­ten­de Mit­ar­bei­ter die Wie­der­ver­hei­ra­tung Ge­schie­de­ner als ei­nen schwe­ren Ver­s­toß ge­gen zen­tra­le An­for­de­run­gen ih­rer Glau­bens- und Sit­ten­leh­re an. Da­nach kommt der Ehe nicht ei­ne for­mel­le Funk­ti­on im Sin­ne ei­nes frei zu schließen­den und auch wie­der zu lösen­den pri­vat­recht­li­chen Ver­tra­ges zu, son­dern sie ist als Sa­kra­ment un­auflöslich und in­te­gra­ler Be­stand­teil der gött­li­chen Schöpfungs-und Erlösungs­ord­nung (Thüsing Ar­beits­recht­li­cher Dis­kri­mi­nie­rungs­schutz Rn. 491). Die­se Vor­ga­be muss von der staat­li­chen Ge­walt ge­ach­tet wer­den. Die er­neu­te Hei­rat ei­nes nach kirch­li­chem Verständ­nis Ver­hei­ra­te­ten ist ein schwe­rer und erns­ter Ver­s­toß ge­gen die Loya­litätsan­for­de­run­gen (HWK/An­nuß/Rupp 4. Aufl. § 9 AGG Rn. 5; AGG/Voigt 3. Aufl. § 9 AGG Rn. 33; Bau­er/Göpfert/Krie­ger AGG 3. Aufl. § 9 Rn. 17).

(c) Die um­strit­te­ne Fra­ge, ob und in wel­chem Um­fang Art. 4 Abs. 2 der Richt­li­nie 2000/78/EG es ge­bie­tet, dass die nach § 9 AGG vom Ar­beit­ge­ber ge­stell­te be­ruf­li­che An­for­de­rung zu­gleich die Vor­aus­set­zun­gen ei­ner nach der Art der Tätig­keit ge­recht­fer­tig­ten An­for­de­rung erfüllt (vgl. et­wa AGG/Voigt § 9 Rn. 22 ff.; Bau­er/Göpfert/Krie­ger AGG § 9 Rn. 13 ff.; Mohr/v. Fürs­ten­berg BB


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2008, 2122; BT-Drucks. 16/1780 S. 35 f.; Schrei­ben der Kom­mis­si­on der Eu­ropäischen Uni­on vom 31. Ja­nu­ar 2008 zu dem am 28. Ok­to­ber 2010 ein­ge­stell­ten Ver­trags­ver­let­zungs­ver­fah­ren 2007/2362 zu Nr. 2), kann da­hin­ste­hen. Ei­ne Aus­le­gungs­fra­ge iSd. Art. 267 AEUV stellt sich, wie die Prüfung durch den Se­nat er­ge­ben hat, nicht. Im Streit­fall ist das Ver­bot der Wie­der­ver­hei­ra­tung auch nach der Art der vom Kläger aus­geübten Tätig­keit ge­recht­fer­tigt. Die Ein­hal­tung der ka­tho­li­schen Glau­bens- und Sit­ten­leh­re ist zwar nicht Vor­aus­set­zung für die Ausübung des Heil­be­rufs im rein prak­ti­schen Sin­ne. Der Kläger ist je­doch als Chef­arzt Vor­ge­setz­ter zahl­rei­cher Mit­ar­bei­ter und verkörpert ih­nen ge­genüber und auch ge­genüber den Pa­ti­en­ten und ih­ren An­gehöri­gen so­wie in der Öffent­lich­keit in be­son­de­rem Maße das Ethos der Be­klag­ten. Sein Ver­hal­ten wird von sei­nen Mit­ar­bei­tern und von den Pa­ti­en­ten und ih­ren An­gehöri­gen der Be­klag­ten zu­ge­rech­net. Die Be­klag­te als ju­ris­ti­sche Per­son ver­mit­telt ethi­sche Glaubwürdig­keit in her­aus­ra­gen­dem Maß durch ihr Führungs­per­so­nal. Die­se in mehr­fa­cher Hin­sicht be­son­de­re Funk­ti­on recht­fer­tigt es, dass die Be­klag­te von den­je­ni­gen Mit­ar­bei­tern, die sie mit der Wahr­neh­mung der Lei­tungs­auf­ga­ben be­traut, ei­ne Iden­ti­fi­ka­ti­on mit den Kern­punk­ten der ka­tho­li­schen Glau­bens- und Sit­ten­leh­re for­dert. Auch der Eu­ropäische Ge­richts­hof für Men­schen­rech­te geht da­von aus, dass be­son­de­re be­ruf­li­che An­for­de­run­gen nicht nur dann ge­ge­ben sind, wenn sie ein gleich­sam hand­werk­li­ches Er­for­der­nis dar­stel­len, son­dern auch, wenn sie im Ein­klang mit der Richt­li­nie 2000/78/EG auf den re­li­giösen Grundsätzen des Ar­beit­ge­bers und der Be­deu­tung der Tätig­keit des be­tref­fen­den Ar­beit­neh­mers für die­sen be­ru­hen (so für das Ge­bot der ehe­li­chen Treue nach dem Verständ­nis der Mor­mo­nen­kir­che EGMR 23. Sep­tem­ber 2010 - 425/03 - NZA 2011, 277; vgl. auch EGMR 3. Fe­bru­ar 2011 - 18136/02 - EzA BGB 2002 § 611 Kirch­li­che Ar­beit­neh­mer Nr. 17).

c) Liegt da­nach ein Loya­litäts­ver­s­toß des Klägers vor, der an sich ge­eig­net ist, die or­dent­li­che Kündi­gung nach § 1 KSchG zu recht­fer­ti­gen, so er­gibt doch die Abwägung der bei­der­sei­ti­gen In­ter­es­sen der Par­tei­en, dass der Be­klag­ten die Fort­set­zung des Ar­beits­verhält­nis­ses zu­mut­bar ist.


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aa) Zu Guns­ten der Be­klag­ten wiegt die un­ver­kenn­ba­re Schwe­re des Loya­litäts­ver­s­toßes. Die Be­klag­te hat als ka­tho­li­sche Ein­rich­tung das vom Grund­ge­setz gestütz­te Recht, auch als sol­che zu wir­ken und in Er­schei­nung zu tre­ten. Sie ver­steht ihr ka­ri­ta­ti­ves Tun im Sin­ne der Erfüllung ei­nes re­li­giösen Auf­tra­ges. Nach der ka­tho­li­schen Sit­ten­leh­re gehören Nächs­ten­lie­be und die Un­auflöslich­keit der Ehe als Tei­le zu der­sel­ben, um­fas­sen­den, nicht verfügba­ren und ein­heit­li­chen Auf­fas­sung vom Men­schen als Geschöpf Got­tes. Art. 9 und Art. 11 EM­RK gewähr­leis­ten, dass sich Men­schen auf­grund ei­ner sie ver­bin­den­den re­li­giösen Auf­fas­sung zu­sam­men­fin­den und ih­re An­ge­le­gen­hei­ten nach Maßstäben ord­nen können, die nicht vom Staat oder der je­weils herr­schen­den öffent­li­chen Mei­nung über die Na­tur des Men­schen kor­ri­giert wer­den dürfen. Das gilt auch dann, wenn die be­tref­fen­den Auf­fas­sun­gen ei­ner Bevölke­rungs­mehr­heit un­plau­si­bel, rückwärts­ge­rich­tet oder ir­ra­tio­nal er­schei­nen mögen.

bb) Ent­schei­dend ge­schwächt wird das In­ter­es­se der Be­klag­ten an der Auflösung des Ar­beits­verhält­nis­ses al­ler­dings durch drei Umstände, aus de­nen her­vor­geht, dass sie selbst die Auf­fas­sung ver­tritt, ei­ner aus­nahms­lo­sen Durch­set­zung ih­rer sitt­li­chen Ansprüche zur Wah­rung ih­rer Glaubwürdig­keit nicht im­mer zu bedürfen.

(1) Dies zeigt sich dar­an, dass die Be­klag­te nach Art. 3 Abs. 2 GrO mit lei­ten­den Tätig­kei­ten auch nicht­ka­tho­li­sche Per­so­nen be­trau­en kann. Der ka­tho­li­sche Glau­be ist nur re­gelmäßige Vor­aus­set­zung für die Über­tra­gung von Lei­tungs­auf­ga­ben. Die Be­klag­te ist al­so durch die Grund­ord­nung nicht ge­zwun­gen, ihr „Wohl und We­he“ ge­wis­ser­maßen be­din­gungs­los mit dem Le­bens­zeug­nis ih­rer lei­ten­den Mit­ar­bei­ter für die ka­tho­li­sche Sit­ten­leh­re zu ver­knüpfen.

(2) Durch die­se Rechts­la­ge ist es auch zu erklären, dass die Be­klag­te mehr­fach Chefärz­te beschäftigt hat bzw. beschäftigt, die als Ge­schie­de­ne er­neut ge­hei­ra­tet ha­ben. Es han­delt sich in­so­weit über­wie­gend um nicht­ka­tho­li­sche Ar­beit­neh­mer bzw. ka­tho­li­sche Ar­beit­neh­mer in be­son­de­ren Le­bens­la­gen, de­nen ge­genüber sie ent­we­der von vorn­her­ein nicht die stren­ge Be­fol­gung der ka­tho­li­schen Glau­bens- und Sit­ten­leh­re ver­langt oder mit Rück­sicht auf be­son-

 

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de­re Ge­ge­ben­hei­ten nicht durch­set­zen zu müssen glaub­te. Rich­tig ist, dass dar­in - an­ders als es das Lan­des­ar­beits­ge­richt ge­se­hen hat - kein Ver­s­toß ge­gen den ar­beits­recht­li­chen Gleich­be­hand­lungs­grund­satz ge­fun­den wer­den kann. Das ändert aber nichts dar­an, dass die Be­klag­te das Ethos ih­rer Or­ga­ni­sa­ti­on durch ei­ne dif­fe­ren­zier­te Hand­ha­bung bei der An­wen­dung und Durch­set­zung ih­res le­gi­ti­men Loya­litäts­bedürf­nis­ses selbst nicht zwin­gend gefähr­det sieht.

(3) Die Be­klag­te hat nach den Fest­stel­lun­gen des Lan­des­ar­beits­ge­richts den nach dem Ver­trag der Par­tei­en der Wie­der­ver­hei­ra­tung gleich­wer­ti­gen Ver­s­toß des ehe­lo­sen Zu­sam­men­le­bens des Klägers seit dem Herbst 2006 ge­kannt und hin­ge­nom­men. Auch das zeigt, dass sie selbst ih­re mo­ra­li­sche Glaubwürdig­keit nicht aus­nahms­los bei je­dem Loya­litäts­ver­s­toß als erschüttert be­trach­tet, son­dern sich, mögli­cher­wei­se an­ge­sichts der aus­ge­prägten Ver­diens­te des Klägers um die Pa­ti­en­ten und ih­res ei­ge­nen mit die­sen Ver­diens­ten ver­bun­de­nen Rufs, durch­aus zu un­ter­schei­den ge­stat­tet.

Schon bei Ein­be­zie­hung nur die­ser Umstände ist schwer er­kenn­bar, war­um ihr die Beschäfti­gung des Klägers nun­mehr un­zu­mut­bar sein soll­te.

cc) Der Be­klag­ten ist die Wei­ter­beschäfti­gung des Klägers je­den­falls dann zu­mut­bar, wenn des­sen Be­lan­ge ge­gen die ih­ren ab­ge­wo­gen wer­den.

Zu Guns­ten des Klägers fällt sein grund­recht­lich und durch Art. 8, Art. 12 EM­RK geschütz­ter Wunsch in die Waag­scha­le, in ei­ner nach bürger­li­chem Recht ge­ord­ne­ten Ehe mit sei­ner jet­zi­gen Frau zu le­ben. Auch de­ren Recht, die Form des Zu­sam­men­le­bens mit dem von ihr gewähl­ten Part­ner im ge­setz­lich vor­ge­se­he­nen Rah­men zu be­stim­men, ver­dient Ach­tung. Frei­lich hat der Kläger als Ka­tho­lik durch den Ver­trags­schluss mit der Be­klag­ten in die Ein­schränkung sei­nes Rechts auf Ach­tung des Pri­vat- und Fa­mi­li­en­le­bens ein­ge­wil­ligt. Wenn er an der Erfüllung sei­ner re­li­giösen Pflicht aus Gründen, die den in­ners­ten Be­zirk des Pri­vat­le­bens be­tref­fen, ge­schei­tert ist, so ge­schah dies je­doch nicht aus ei­ner ab­leh­nen­den oder auch nur gleichgülti­gen Hal­tung her­aus. Der Kläger stellt die mit sei­ner Re­li­gi­ons­zu­gehörig­keit ver­bun­de­nen ethi­schen Pflich­ten nicht in Ab­re­de und hat sich zu kei­nem Zeit­punkt ge­gen die

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kirch­li­che Sit­ten­leh­re aus­ge­spro­chen oder ih­re Gel­tung oder Zweckmäßig­keit in Zwei­fel ge­zo­gen. Im Ge­gen­teil ver­sucht er, den ihm nach ka­no­ni­schem Recht ver­blie­be­nen Weg zur kir­chen­recht­li­chen Le­ga­li­sie­rung sei­ner Ehe zu be­schrei­ten. Sei­ne Leis­tung und sein Ein­satz für die ihm an­ver­trau­ten Pa­ti­en­ten, für sei­ne Mit­ar­bei­ter und für sie selbst wer­den von der Be­klag­ten an­er­kannt. Störun­gen des Leis­tungs­aus­tauschs be­ste­hen nicht. Ir­gend­wel­che auch nur leich­ten Ir­ri­ta­tio­nen bei Mit­ar­bei­tern oder Pa­ti­en­ten we­gen des Kündi­gungs­sach­ver­halts sind nicht er­kenn­bar.

An­ge­sichts des­sen ist die aus­ge­spro­che­ne Kündi­gung so­zi­al nicht ge­recht­fer­tigt.

III. Die Kos­ten der Re­vi­si­on fal­len der Be­klag­ten nach § 97 Abs. 1 ZPO zur Last.

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