HENSCHE RECHTSANWÄLTE, FACHANWALTSKANZLEI FÜR ARBEITSRECHT

ARBEITSRECHT AKTUELL // 12/232

Kün­di­gung we­gen Dieb­stahl

Strom­dieb­stahl im Ba­ga­tell­be­reich ist kein Kün­di­gungs­grund: Lan­des­ar­beits­ge­richt Köln, Ur­teil vom 20.01.2012, 3 Sa 408/11
Rechte Hand mit roter Karte Das Auf­la­den ei­nes Han­dys oder Ra­sie­rers im Be­trieb ist kein gro­bes Foul.

16.06.2012. Ei­ne frist­lo­se Kün­di­gung we­gen ei­nes ge­ring­fü­gi­gen Dieb­stahls kön­nen Ar­beit­ge­ber seit dem grund­le­gen­den Ur­teil des Bun­des­ar­beits­ge­richts (BAG) im Fall der Ber­li­ner Kai­ser´s-Kas­sie­re­rin Bar­ba­ra ("Em­me­ly") Em­me nicht mehr so leicht vor Ge­richt recht­fer­ti­gen. Denn seit dem Em­me­ly-Ur­teil des BAG (Ur­teil vom 10.06.2010, 2 AZR 541/09) neh­men die Ge­rich­te die Auf­ga­be ei­ner In­ter­es­sen­ab­wä­gung bei au­ßer­or­dent­li­chen Kün­di­gun­gen erns­ter als bis­her.

Ge­ring­fü­gi­ge fi­nan­zi­el­le Über­grif­fe von Ar­beit­neh­mern füh­ren da­her heu­te im Re­gel­fall nicht mehr zum Ver­lust des Ar­beits­plat­zes. Ar­beit­ge­ber, die trotz­dem mit ei­ner Kün­di­gung re­agie­ren, zie­hen da­her vor Ge­richt meist den Kür­ze­ren, wie ein ak­tu­el­les Ur­teil des Lan­des­ar­beits­ge­richt (LAG) Köln zeigt: LAG Köln, Ur­teil vom 20.01.2012, 3 Sa 408/11.

Frist­lo­se Kündi­gung we­gen ei­nes Dieb­stahls im Ba­ga­tell­be­reich?

Ar­beit­ge­ber können auf ei­nen Pflicht­ver­s­toß mit ei­ner außer­or­dent­li­che Kündi­gung re­agie­ren und das Ar­beits­verhält­nis frist­los be­en­den, wenn ih­nen die wei­te­re Zu­sam­men­ar­beit kei­nen Tag länger zu­ge­mu­tet wer­den kann. Da­zu müssen gemäß § 626 Abs.1 Bürger­li­ches Ge­setz­buch (BGB) zwei Vor­aus­set­zun­gen erfüllt sein:

Ers­tens muss der Pflicht­ver­s­toß un­abhängig von den Umständen des Ein­zel­falls so schwer­wie­gend sein, dass ei­ne so­for­ti­ge Ent­las­sung in Be­tracht kommt, und zum an­de­ren muss bei Abwägung al­ler As­pek­te des Ein­zel­falls das Kündi­gungs­in­ter­es­se des Ar­beit­ge­bers letzt­lich schwe­rer wie­gen als das In­ter­es­se des Ar­beit­neh­mers an ei­ner Fort­setzng des Ar­beits­verhält­nis­ses.

Wird vor Ge­richt um ei­ne Kündi­gung we­gen ei­nes Dieb­stahl im Ba­ga­tell­be­reich ge­strit­ten, be­ru­fen sich Ar­beit­ge­ber meist auf ei­nen an­geb­li­chen Ver­trau­ens­ver­lust. Denn der Grund für ei­ne sog. Ba­ga­tell-Kündi­gung ist nicht ein "Scha­den" von ei­ni­gen Eu­ro oder Cent, son­dern das un­gu­te Gefühl, dem Ar­beit­neh­mer nicht mehr trau­en zu können. Ar­beit­neh­mer ih­rer­seits ar­gu­men­tie­ren meist, dass al­les ein Miss­verständ­nis ge­we­sen sei und sie der strei­ti­gen Lap­pa­lie kei­ne Be­deu­tung bei­ge­mes­sen hätten.

Seit dem Em­me­ly-Ur­teil des BAG müssen sich Ar­beit­ge­ber oft vom Ar­beits­ge­richt anhören, ein ein­ma­li­ger und un­ty­pi­scher Aus­rut­scher im Ba­ga­tell­be­reich könne nicht zu ei­nem vollständi­gen Ver­trau­ens­ver­lust führen. Die­se Be­wer­tung neh­men die Ge­rich­te meist auf der zwei­ten Stu­fe der Fall­be­ur­tei­lung vor, d.h. bei der Abwägung der In­ter­es­sen im Ein­zel­fall. Oft sind die Anlässe für ei­ne Ba­ga­tell-Kündi­gung aber so merkwürdig, dass man eben­so gut auch sa­gen könn­te, es lie­ge be­reits "an sich" kein wich­ti­ger Grund für ei­ne außer­or­dent­li­che Kündi­gung vor. So hat das LAG Köln hier ar­gu­men­tiert.

Ein ge­ringfügi­ger Strom­dieb­stahl ist kein wich­ti­ger Grund für ei­ne frist­lo­se Kündi­gung

Im Streit­fall hat­te ein Rechts­an­walt ei­nem An­ge­stell­ten außer­or­dent­lich frist­los gekündigt und oben­drein or­dent­lich un­ter Be­ach­tung der Kündi­gungs­frist, weil der An­ge­stell­te sei­nen Ra­sier­ap­pa­rat am Ar­beits­platz auf­ge­la­den hat­te. Außer­dem hat­te er un­be­rech­tig­ter­wei­se sei­nen Ar­beits­platz ei­ne St­un­de vor Dienst­schluss ver­las­sen, oh­ne da­mit al­ler­dings be­trieb­li­che Störun­gen zu ver­ur­sa­chen.

So­wohl das Ar­beits­ge­richt Aa­chen (Ur­teil vom 01.10.2010, 5 Ca 1826/10) als auch das LAG Köln hiel­ten die frist­lo­se Kündi­gung für un­wirk­sam. Das LAG stell­te da­bei so­gar klar, dass der an­geb­li­che „Strom­dieb­stahl“ ei­ne Lap­pa­lie war, die noch nicht ein­mal „an sich“ für ei­ne frist­lo­se Kündi­gung genügt. Und we­gen des vor­zei­ti­gen Ver­las­sens des Ar­beits­plat­zes wäre ein Per­so­nal­gespräch oder ei­ne Ab­mah­nung die rich­ti­ge Re­ak­ti­on ge­we­sen, so das Ge­richt. Da für das Ar­beits­verhält­nis das Kündi­gungs­schutz­ge­setz nicht galt, war al­ler­dings die or­dent­li­che Kündi­gung wirk­sam.

Der Fall ist auch aus ei­nem an­de­ren Grund in­ter­es­sant: Die Par­tei­en hat­ten sich nämlich, be­vor das LAG über die Kündi­gun­gen ent­schei­den muss­te, auf ei­nen Ver­gleich mit Ab­fin­dungs­re­ge­lung ge­ei­nigt, und die­sen Ver­gleich hat­te der An­walt an­ge­foch­ten, weil der Ar­beit­neh­mer nach­weis­lich fal­sche An­ga­ben zu dem Ver­dienst ge­macht hat­te, den er nach der frist­lo­sen Kündi­gung bei an­de­ren Ar­beit­ge­bern er­zielt hat­te. Die An­fech­tung des Ver­gleichs hielt das LAG für wirk­sam, denn mit sei­nen fal­schen An­ga­ben zum Zwi­schen­ver­dienst hat­te der Ar­beit­neh­mer den An­walt getäuscht und oh­ne die­se Täuschung wäre der Ver­gleich nicht zu­stan­de ge­ko­men.

Fa­zit: Außer­or­dent­li­che Kündi­gun­gen we­gen Klei­nig­kei­ten ha­ben heu­te meist kei­ne Chan­ce mehr, vor Ge­richt zu be­ste­hen. Das soll­te Ar­beit­neh­mer aber nicht da­zu ver­lei­ten, vor Ge­richt die Un­wahr­heit zu sa­gen, denn sonst dro­hen wei­te­re Kündi­gun­gen. Und auch ein Ab­fin­dungs­ver­gleich kann dann un­ter Umständen we­gen arg­lis­ti­ger Täschung gemäß § 123 BGB an­ge­foch­ten wer­den.

Nähe­re In­for­ma­tio­nen fin­den Sie hier:

Letzte Überarbeitung: 30. September 2016

Weitere Auskünfte erteilen Ihnen gern:

Dr. Martin Hensche
Rechtsanwalt
Fachanwalt für Arbeitsrecht

Kontakt:
030 / 26 39 620
hensche@hensche.de
Christoph Hildebrandt
Rechtsanwalt
Fachanwalt für Arbeitsrecht

Kontakt:
030 / 26 39 620
hildebrandt@hensche.de
Nina Wesemann
Rechtsanwältin
Fachanwältin für Arbeitsrecht

Kontakt:
040 / 69 20 68 04
wesemann@hensche.de
Bewertung: 4.0 von 5 Sternen (5 Bewertungen)

Auf Facebook teilen Auf Google+ teilen Ihren XING-Kontakten zeigen Beitrag twittern

 

Für Personaler, betriebliche Arbeitnehmervertretungen und andere Arbeitsrechtsprofis: "Update Arbeitsrecht" bringt Sie regelmäßig auf den neusten Stand der arbeitsgerichtlichen Rechtsprechung. Informationen zu den Abo-Bedingungen und ein kostenloses Ansichtsexemplar finden Sie hier:

Alle vierzehn Tage alles Wichtige
verständlich / aktuell / praxisnah

HINWEIS: Sämtliche Texte dieser Internetpräsenz mit Ausnahme der Gesetzestexte und Gerichtsentscheidungen sind urheberrechtlich geschützt. Urheber im Sinne des Gesetzes über Urheberrecht und verwandte Schutzrechte (UrhG) ist Rechtsanwalt und Fachanwalt für Arbeitsrecht Dr. Martin Hensche, Lützowstraße 32, 10785 Berlin.

Wörtliche oder sinngemäße Zitate sind nur mit vorheriger schriftlicher Genehmigung des Urhebers bzw. bei ausdrücklichem Hinweis auf die fremde Urheberschaft (Quellenangabe iSv. § 63 UrhG) rechtlich zulässig. Verstöße hiergegen werden gerichtlich verfolgt.

© 1997 - 2024:
Rechtsanwalt Dr. Martin Hensche, Berlin
Fachanwalt für Arbeitsrecht
Lützowstraße 32, 10785 Berlin
Telefon: 030 - 26 39 62 0
Telefax: 030 - 26 39 62 499
E-mail: hensche@hensche.de