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ARBEITSRECHT AKTUELL // 14/110

Kün­di­gung oh­ne So­zi­al­aus­wahl?

Oh­ne ver­gleich­ba­re Ar­beit­neh­mer ist kei­ne So­zi­al­aus­wahl nö­tig, aber dar­auf soll­ten sich Ar­beit­ge­ber nicht ver­las­sen: Lan­des­ar­beits­ge­richt Schles­wig-Hol­stein, Ur­teil vom 28.01.2014, 1 Sa 230/13
Zwei Gruppen von je drei Arbeitnehmern mit Helm, Bekleidung der beiden Gruppen unterschiedlich

30.03.2014. Ar­beit­ge­ber, die ei­ne be­triebs­be­ding­te Kün­di­gung aus­spre­chen, müs­sen ei­ne So­zi­al­aus­wahl zwi­schen den in Be­tracht kom­men­den "Kün­di­gungs­kan­di­da­ten" vor­neh­men. Das schreibt § 1 Abs.3 Kün­di­gungs­schutz­ge­setz (KSchG) vor.

Die­se Pflicht be­steht na­tür­lich nur, wenn es mehr mit­ein­an­der ver­gleich­ba­re, für die Kün­di­gung in Be­tracht kom­men­de Ar­beit­neh­mer als weg­fal­len­de Ar­beits­plät­ze gibt. Ist der Ar­beit­ge­ber (zu­recht) der Mei­nung, der aus be­trieb­li­chen Grün­den zu kün­di­gen­de Ar­beit­neh­mer sei mit kei­nem Kol­le­gen ver­gleich­bar, ist ei­ne So­zi­al­aus­wahl nicht er­for­der­lich.

Ei­ne sol­che Ver­tei­di­gung im Kün­di­gungs­schutz­pro­zess ist für den Ar­beit­ge­ber aber ge­fähr­lich, wie ei­ne ak­tu­el­le Ent­schei­dung des Lan­des­ar­beits­ge­richts (LAG) Schles­wig-Hol­stein zeigt: LAG Schles­wig-Hol­stein, Ur­teil vom 28.01.2014, 1 Sa 230/13.

Be­triebs­be­ding­te Kündi­gung oh­ne So­zi­al­aus­wahl - geht das?

Ei­ne be­triebs­be­ding­te Kündi­gung ist wirk­sam bzw. so­zi­al ge­recht­fer­tigt,

  • wenn der Ar­beit­ge­ber ei­ne Un­ter­neh­mer­ent­schei­dung ge­trof­fen hat, die den Be­darf für die Ar­beits­leis­tung des gekündig­ten Ar­beit­neh­mers dau­er­haft ent­fal­len lässt, und
  • wenn es kei­ne an­der­wei­ti­ge Möglich­keit der Wei­ter­beschäfti­gung auf ei­nem frei­en, d.h. ak­tu­ell zu be­set­zen­den Ar­beits­platz gibt, und
  • wenn der Ar­beit­ge­ber bei der Aus­wahl zwi­schen den mögli­chen Kündi­gungs­kan­di­da­ten ei­ne So­zi­al­aus­wahl vor­ge­nom­men hat.

Zur So­zi­al­aus­wahl schreibt § 1 Abs.3 KSchG vor:

"Ist ei­nem Ar­beit­neh­mer aus drin­gen­den be­trieb­li­chen Er­for­der­nis­sen im Sin­ne des Ab­sat­zes 2 gekündigt wor­den, so ist die Kündi­gung trotz­dem so­zi­al un­ge­recht­fer­tigt, wenn der Ar­beit­ge­ber bei der Aus­wahl des Ar­beit­neh­mers die Dau­er der Be­triebs­zu­gehörig­keit, das Le­bens­al­ter, die Un­ter­halts­pflich­ten und die Schwer­be­hin­de­rung des Ar­beit­neh­mers nicht oder nicht aus­rei­chend berück­sich­tigt hat; (...). Der Ar­beit­neh­mer hat die Tat­sa­chen zu be­wei­sen, die die Kündi­gung als so­zi­al un­ge­recht­fer­tigt im Sin­ne des Sat­zes 1 er­schei­nen las­sen."

Es gibt Fälle, in de­nen die Pflicht zur So­zi­al­aus­wahl kei­nen Sinn er­gibt und da­her entfällt, so z.B. bei ei­ner kom­plet­ten Be­triebs­sch­ließung: Wenn al­le Ar­beit­neh­mer ei­nes Be­triebs ent­las­sen wer­den müssen, ist kei­ne Aus­wahl vor­zu­neh­men.

Ei­ne So­zi­al­aus­wahl ist auch dann nicht möglich und da­her nicht er­for­der­lich, wenn der Ar­beit­ge­ber aus be­trieb­li­chen Gründen ei­nen Ar­beit­neh­mer kündigt, den er gemäß Ar­beits­ver­trag nur auf ei­nem ganz spe­zi­el­len Ar­beits­platz ein­set­zen kann, so dass er kei­ne Be­rech­ti­gung hat, ihn per Wei­sung auf ei­nen an­de­ren Ar­beits­platz zu ver­set­zen.

Die Einschätzung, dass ei­ne ar­beits­ver­trag­li­che Ver­set­zungsmöglich­keit in­ner­halb des­sel­ben Be­triebs nicht be­steht, ist aber im­mer recht­lich wack­lig, denn die Ar­beits­ge­rich­te schrei­ben das Ver­set­zungs­recht des Ar­beit­ge­bers groß.

Die­se Be­rech­ti­gung, die aus dem Wei­sungs­recht des Ar­beit­ge­bers gemäß § 106 Ge­wer­be­ord­nung (Ge­wO) folgt, wird im Kündi­gungs­schutz­pro­zess um ei­ne be­triebs­be­ding­te Kündi­gung zum recht­li­chen Nach­teil für den Ar­beit­ge­ber: Denn wenn er ver­set­zen kann, statt be­triebs­be­dingt zu kündi­gen, dann muss er das zur Ver­mei­dung ei­ner Kündi­gung auch tun.

Der Fall des LAG Schles­wig-Hol­stein: Ei­ner von acht Ver­triebs­mit­ar­bei­tern mit ar­beits­ver­trag­lich nicht fest­ge­leg­tem Ver­triebs­ge­biet wird oh­ne So­zi­al­aus­wahl be­triebs­be­dingt gekündigt

Im Streit­fall ging es um ei­nen mehr als fünf Jah­re beschäftig­ten Ver­triebs­mit­ar­bei­ter, des­sen Ver­triebs­ge­biet im we­sent­li­chen in Hes­sen lag. Der Ar­beit­ge­ber, der mehr als zehn Ar­beit­neh­mer beschäftig­te und da­her das KSchG be­ach­ten muss­te, kündig­te nach Anhörung des Be­triebs­rats das Ar­beits­verhält­nis be­triebs­be­dingt im De­zem­ber 2012 mit or­dent­li­cher Kündi­gungs­frist zu En­de Fe­bru­ar 2013. Grund für die Kündi­gung war die Un­ter­neh­mer­ent­schei­dung, das Ver­triebs­ge­biet des Ar­beit­neh­mers we­gen schlech­ter Zah­len künf­tig durch ei­nen frei­en Han­dels­ver­tre­ter be­treu­en zu las­sen.

Ab Ju­ni 2013 war ei­ne freie Stel­le als Ver­trieb­ler zu be­set­zen, al­ler­dings mit Süddeutsch­land und Öster­reich als Ver­triebs­ge­biet. Da­her mein­te der Ar­beit­ge­ber, hier läge zu viel Zeit zwi­schen dem End­ter­min gemäß Kündi­gung (En­de Fe­bru­ar) und dem Frei­wer­den der Stel­le (An­fang Ju­ni), d.h. ei­ne so lan­ge Über­brückung sei ihm nicht zu­zu­mu­ten.

Außer­dem nahm er kei­ne So­zi­al­aus­wahl vor und hat­te den Be­triebs­rat im Rah­men der Anhörung auch ent­spre­chend in­for­miert. Denn, so der Ar­beit­ge­ber: Ei­ne Be­fug­nis, dem Ver­triebs­mit­ar­bei­ter per Wei­sung ein an­de­res Ver­triebs­ge­biet zu­zu­wei­sen, hat­te er (an­geb­lich) nicht, so dass der gekündig­te Ver­trieb­ler mit sei­nen Ver­triebs­kol­le­gen (an­geb­lich) auch nicht ver­gleich­bar war.

Das Ar­beits­ge­richt Elms­horn gab der Kündi­gungs­schutz­kla­ge statt (Ur­teil vom 06.06.2013, 3 Ca 2171 d/12). Denn der Ar­beit­ge­ber hat­te sehr wohl das Recht zur Ver­set­zung in ein an­de­res Ver­triebs­ge­biet, so dass ei­ne So­zi­al­aus­wahl hätte vor­ge­nom­men wer­den müssen, so das Ar­beits­ge­richt.

LAG Schles­wig-Hol­stein: Ar­beit­neh­mern im Ver­trieb­saußen­dienst kann in der Re­gel ein an­de­res Ver­triebs­ge­biet zu­ge­wie­sen wer­den

Auch das LAG gab dem kla­gen­den Ver­triebs­mit­ar­bei­ter recht, denn der Ar­beit­ge­ber hat­te bei sei­ner Kündi­gung zwei Feh­ler ge­macht:

Ers­tens hätte er dem Kläger die ab Ju­ni 2013 zu be­set­zen­de freie Stel­le als Ver­triebs­mit­ar­bei­ter für das Ge­biet Süddeutsch­land und Öster­reich an­bie­ten müssen. Die drei Mo­na­te, die der Ar­beit­ge­ber da­bei hätte über­brücken müssen, wa­ren ihm zu­zu­mu­ten, denn die­se Über­brückungs­zeit war nicht länger als die übli­che Ein­ar­bei­tungs­zeit für neu ein­ge­stell­te Ver­trieb­ler (hier: drei bis sechs Mo­na­te).

Zwei­tens hätte der Ar­beit­ge­ber ei­ne So­zi­al­aus­wahl durchführen müssen. Denn bei Ar­beit­neh­mern im Ver­trieb­saußen­dienst kon­kre­ti­siert sich der Ar­beits­ort, so das LAG, im All­ge­mei­nen nicht auf sein ak­tu­el­les Ver­triebs­ge­biet. Al­lein des­halb, weil der Kläger hier im Streit­fall in sei­nem Ver­triebs­ge­biet schon mehr als fünf Jah­re ar­bei­te­te und dort auch mit sei­ner Fa­mi­lie wohn­te, war das Ver­set­zungs­recht des Ar­beit­ge­bers nicht ein­ge­schränkt.

Da­mit liegt das LAG auf der Li­nie der Recht­spre­chung an­de­rer Ge­rich­te. So hat­te das LAG München vor ei­ni­gen Jah­ren ent­schie­den, dass Ver­triebs­mit­ar­bei­ter im All­ge­mei­nen nicht ver­lan­gen können, dass ih­nen ihr Ver­triebs­ge­biet nicht ge­nom­men wird (LAG München, Ur­teil vom 13.08.2009, 3 Sa 91/09, wir be­rich­te­ten in Ar­beits­recht ak­tu­ell: 09/209 Kein An­spruch auf Bei­be­hal­tung des bis­he­ri­gen Ver­triebs­ge­biets).

Und das Bun­des­ar­beits­ge­richt (BAG) hat erst im Au­gust letz­ten Jah­res klar­ge­stellt, dass so­gar die aus­drück­li­che ver­trag­li­che Fest­le­gung ei­nes Beschäfti­gungs­or­tes nur den Ort der erst­ma­li­gen Ar­beits­auf­nah­me be­zeich­nen kann, d.h. das Ver­set­zungs­recht des Ar­beit­ge­bers nicht be­schränkt (BAG, Ur­teil vom 28.08.2013, 10 AZR 569/12 - wir be­rich­te­ten in Ar­beits­recht ak­tu­ell: 14/064 Ver­set­zung an ei­nen an­de­ren Ar­beits­ort).

Im Er­geb­nis hat der Ar­beit­ge­ber hier ziem­lich viel falsch ge­macht.

Ers­tens hätte er sich mit sei­ner Stel­len­aus­schrei­bung zum Ab­lauf der Kündi­gungs­frist Zeit las­sen müssen und/oder er hätte sich über­le­gen müssen, ob er für Süddeutsch­land und Öster­reich wirk­lich je­man­den mit den­sel­ben Qua­li­fi­ka­tio­nen sucht wie sie der gekündig­te Ver­triebs­mit­ar­bei­ter hat­te.

Zwei­tens hätte er ei­ne So­zi­al­aus­wahl vor­neh­men müssen, denn bei deutsch­land­weit ein­heit­li­cher Steue­rung ei­nes Ver­trieb­saußen­diens­tes ist von ei­nem deutsch­land­weit täti­gen Be­trieb aus­zu­ge­hen, so dass in­ner­halb die­ses Be­triebs ei­ne So­zi­al­aus­wahl zwi­schen den mit­ein­an­der ver­gleich­ba­ren Ar­beit­neh­mern durch­zuführen ist. Und da der Ar­beit­ge­ber im Ver­lauf des Ar­beits­verhält­nis­ses das Ver­triebs­ge­biet des Klägers oh­ne Ver­tragsände­rung er­wei­tert hat­te, konn­te er nicht wirk­lich glau­ben, zur ein­sei­ti­gen Ver­set­zung per Wei­sung nicht be­rech­tigt zu sein.

Drit­tens hätte er dem Be­triebs­rat bei der Anhörung gemäß § 102 Be­triebs­ver­fas­sungs­ge­setz (Be­trVG) mit­tei­len und später im Pro­zess vor­tra­gen sol­len, dass er zwar da­von aus­ge­he, ei­ne So­zi­al­aus­wahl sei nicht nötig, dass der Ar­beit­neh­mer aber auch bei ei­ner So­zi­al­aus­wahl den Kürze­ren ge­zo­gen hätte, weil die mögli­cher­wei­se ver­gleich­ba­ren Ver­triebs­kol­le­gen, die mögli­cher­wei­se so­zi­al we­ni­ger schutz­bedürf­tig sind, al­le­samt un­ver­zicht­ba­re Leis­tungs­träger im Sin­ne von § 1 Abs.3 Satz 2 KSchG sind.

Fa­zit: Be­triebs­be­ding­te Kündi­gun­gen oh­ne So­zi­al­aus­wahl bzw. oh­ne zu­min­dest vor­sorg­li­che So­zi­al­aus­wahl soll­te man als Ar­beit­ge­ber bes­ser las­sen.

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Letzte Überarbeitung: 28. Februar 2018

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