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BAG, Ur­teil vom 19.04.2012, 2 AZR 258/11

   
Schlagworte: Kündigung: Verhaltensbedingt, Kündigung: Stalking, Stalking, Belästigung
   
Gericht: Bundesarbeitsgericht
Aktenzeichen: 2 AZR 258/11
Typ: Urteil
Entscheidungsdatum: 19.04.2012
   
Leitsätze:
Vorinstanzen: Arbeitsgericht Wiesbaden, Urteil vom 31.3.2010, 7 Ca 3503/09
Hessisches Landesarbeitsgericht, Urteil vom 03.11.2010, 2 Sa 979/10
   


BUN­DES­AR­BEITS­GERICHT


2 AZR 258/11
2 Sa 979/10 Hes­si­sches
Lan­des­ar­beits­ge­richt

 

Im Na­men des Vol­kes!

Verkündet am

19. April 2012

UR­TEIL

Schmidt, Ur­kunds­be­am­tin

der Geschäfts­stel­le

In Sa­chen

be­klag­tes, be­ru­fungs­be­klag­tes und re­vi­si­ons­kla­gen­des Land,

pp.

Kläger, Be­ru­fungskläger und Re­vi­si­ons­be­klag­ter,

hat der Zwei­te Se­nat des Bun­des­ar­beits­ge­richts auf­grund der münd­li­chen Ver­hand­lung vom 19. April 2012 durch den Vor­sit­zen­den Rich­ter am Bun­des­ar­beits­ge­richt Kreft, den Rich­ter am Bun­des­ar­beits­ge­richt Dr. Ey­lert, die Rich­te­rin am Bun­des­ar­beits­ge­richt Ra­chor so­wie die eh­ren­amt­li­chen Rich­ter Frey und Dr. Grim­berg für Recht er­kannt:
 


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1. Auf die Re­vi­si­on des be­klag­ten Lan­des wird das Ur­teil des Hes­si­schen Lan­des­ar­beits­ge­richts vom 3. No­vem­ber 2010 - 2 Sa 979/10 - im Kos­ten­punkt und in­so­weit auf­ge­ho­ben, als es auf die Be­ru­fung des Klägers das Ur­teil des Ar­beits­ge­richts Wies­ba­den vom 31. März 2010 - 7 Ca 3503/09 - ab­geändert und fest­ge­stellt hat, dass das Ar­beits­verhält­nis der Par­tei­en durch die Kündi­gung des be­klag­ten Lan­des vom 13. No­vem­ber 2009 nicht auf­gelöst wor­den ist.


2. Die Sa­che wird im Um­fang der Auf­he­bung zur neu­en Ver­hand­lung und Ent­schei­dung - auch über die Kos­ten der Re­vi­si­on - an das Lan­des­ar­beits­ge­richt zurück­ver­wie­sen.

Von Rechts we­gen!

Tat­be­stand

Die Par­tei­en strei­ten über die Wirk­sam­keit ei­ner außer­or­dent­li­chen frist­lo­sen Kündi­gung, hilfs­wei­se ei­ner außer­or­dent­li­chen Kündi­gung mit so­zia­ler Aus­lauf­frist.


Der im Jahr 1957 ge­bo­re­ne Kläger ist ver­hei­ra­tet, geh­be­hin­dert und mit ei­nem Grad von 80 als schwer­be­hin­der­ter Mensch an­er­kannt. Er war beim be­klag­ten Land seit 1989 als Ver­wal­tungs­an­ge­stell­ter beschäftigt. Seit dem Jahr 2005 war er beim staat­li­chen Im­mo­bi­li­en­ma­nage­ment, Nie­der­las­sung W (im Fol­gen­den: Im­mo­bi­li­en­ma­nage­ment), tätig. Auf das Ar­beits­verhält­nis fand kraft ar­beits­ver­trag­li­cher Be­zug­nah­me der Bun­des­an­ge­stell­ten-Ta­rif­ver­trag (BAT) An­wen­dung. Nach § 53 BAT war der Kläger or­dent­lich nicht mehr künd­bar.


Im Jahr 2007 be­schwer­te sich ei­ne beim Im­mo­bi­li­en­ma­nage­ment als Leih­ar­beit­neh­me­rin beschäftig­te Mit­ar­bei­te­rin bei der Lei­tung der Nie­der­las­sung über den Kläger. Sie fühl­te sich von ihm belästigt. Es kam zu ei­nem Ver­fah­ren vor der Be­schwer­de­stel­le nach dem All­ge­mei­nen Gleich­be­hand­lungs­ge­setz

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(AGG). Mit Schrei­ben vom 19. April 2007 teil­te die Be­schwer­de­stel­le dem Kläger mit, dass die Mit­ar­bei­te­rin we­der dienst­lich noch pri­vat Kon­takt mit ihm wünsche und die­ser Wunsch vor­be­halt­los zu re­spek­tie­ren sei. Ei­ne un­mit­tel­ba­re dienst­li­che Kon­takt­auf­nah­me mit der Mit­ar­bei­te­rin ha­be „auf je­den Fall zur Ver­mei­dung ar­beits­recht­li­cher Kon­se­quen­zen zu un­ter­blei­ben“.


Mit Schrei­ben vom 8. Ok­to­ber 2009 wand­te sich ei­ne an­de­re, seit Fe­bru­ar 2009 beim Im­mo­bi­li­en­ma­nage­ment als Leih­ar­beit­neh­me­rin beschäftig­te Mit­ar­bei­te­rin an des­sen Di­rek­tor. Die­ser lei­te­te das Schrei­ben am 12. Ok­to­ber 2009 an die zuständi­ge Per­so­nal­ab­tei­lung in der Zen­tra­le wei­ter. In dem Schrei­ben erklärte die Mit­ar­bei­te­rin, dass sie sich durch den Kläger in un­erträgli­cher Art und Wei­se belästigt und be­drängt fühle. Ob­wohl sie sich ihm ge­genüber deut­lich ab­wei­send geäußert ha­be, su­che er wei­ter­hin Kon­takt zu ihr. In der Zeit von Mit­te Ju­ni 2009 bis An­fang Ok­to­ber 2009 hat­te der Kläger - un­strei­tig - ins­ge­samt mehr als 120 E-Mails, MMS und SMS an die Mit­ar­bei­te­rin ver­sandt. Das be­klag­te Land teil­te dem Kläger am 13. Ok­to­ber 2009 mit, dass ei­ne Be­schwer­de ge­gen ihn vor­lie­ge, der Sach­ver­halt aber noch auf­geklärt wer­den müsse. Als „So­fort­maßnah­me“ ord­ne­te es an, dass der Kläger mit so­for­ti­ger Wir­kung je­den dienst­li­chen und pri­va­ten Ver­kehr mit der Be­schwer­deführe­rin zu un­ter­las­sen ha­be und nur in dienst­li­chen Din­gen über Drit­te Kon­takt zu ihr auf­neh­men dürfe. Am 15. Ok­to­ber 2009 hörte das be­klag­te Land die Mit­ar­bei­te­rin an, die ihm am 16. Ok­to­ber 2009 den ge­sam­ten E-Mail-Ver­kehr mit dem Kläger über­ließ. Noch am sel­ben Tag wur­de der Kläger schrift­lich über die ge­gen ihn er­ho­be­nen Vorwürfe in­for­miert. Er er­hielt Ge­le­gen­heit zur Stel­lung­nah­me bis zum 23. Ok­to­ber 2009. Mit Schrei­ben von die­sem Ta­ge, das beim be­klag­ten Land am 26. Ok­to­ber 2009 ein­ging, nahm er zu den Vorwürfen Stel­lung.


Mit Schrei­ben vom 29. Ok­to­ber 2009 hörte das be­klag­te Land den Per­so­nal­rat der Nie­der­las­sung W zu ei­ner - nach noch ein­zu­ho­len­der Zu­stim­mung des In­te­gra­ti­ons­amts - be­ab­sich­tig­ten außer­or­dent­li­chen frist­lo­sen Tat-, hilfs­wei­se Ver­dachtskündi­gung, hilfs­wei­se je­weils mit so­zia­ler Aus­lauf­frist bis zum 30. Ju­ni 2010 an. Der Per­so­nal­rat stimm­te der Kündi­gung tags dar­auf zu. Mit Schrei­ben vom 30. Ok­to­ber 2009 hörte das be­klag­te Land auch die ört­li­che
 


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Schwer­be­hin­der­ten­ver­tre­tung an. Mit wei­te­rem Schrei­ben vom sel­ben Ta­ge be­an­trag­te es beim In­te­gra­ti­ons­amt die Zu­stim­mung, die die­ses am 13. No­vem­ber 2009 er­teil­te.


Noch mit Schrei­ben vom 13. No­vem­ber 2009 erklärte das be­klag­te Land ge­genüber dem Kläger die außer­or­dent­li­che frist­lo­se Kündi­gung, hilfs­wei­se die außer­or­dent­li­che Kündi­gung un­ter Ein­hal­tung ei­ner so­zia­len Aus­lauf­frist zum 30. Ju­ni 2010.


Da­ge­gen hat der Kläger recht­zei­tig Kla­ge er­ho­ben. Er hat die An­sicht ver­tre­ten, die Vor­aus­set­zun­gen für ei­ne außer­or­dent­li­che Kündi­gung lägen nicht vor. Das be­klag­te Land ha­be die Zwei­wo­chen­frist des § 626 Abs. 2 BGB nicht ge­wahrt. Im Übri­gen feh­le es an ei­nem wich­ti­gen Grund. Nach­dem die be­tref­fen­de Mit­ar­bei­te­rin An­fang Sep­tem­ber 2009 erklärt ha­be, kei­nen pri­va­ten Kon­takt mehr mit ihm zu wünschen, ha­be er nur noch we­ni­ge Ma­le den Kon­takt zu ihr ge­sucht. Das be­klag­te Land ha­be ihn al­len­falls ab­mah­nen dürfen. Dass er zu ei­ner Ver­hal­tensände­rung in der La­ge sei, zei­ge sein Ver­hal­ten nach Er­halt des Schrei­bens vom 19. April 2007, wel­ches frei­lich sei­ner­seits ge­ra­de kei­ne Ab­mah­nung dar­stel­le. Im Übri­gen sei der Per­so­nal­rat nicht ord­nungs­gemäß be­tei­ligt wor­den.


Der Kläger hat - so­weit für das Re­vi­si­ons­ver­fah­ren von In­ter­es­se - be­an­tragt


fest­zu­stel­len, dass das Ar­beits­verhält­nis zwi­schen den Par­tei­en durch die außer­or­dent­li­che Kündi­gung des be­klag­ten Lan­des vom 13. No­vem­ber 2009 we­der frist-los noch mit Ab­lauf des 30. Ju­ni 2010 be­en­det wor­den ist.

Das be­klag­te Land hat be­an­tragt, die Kla­ge ab­zu­wei­sen. Es hat die Auf­fas­sung ver­tre­ten, be­reits die außer­or­dent­li­che frist­lo­se Kündi­gung sei un­ter al­len recht­li­chen Ge­sichts­punk­ten wirk­sam. Ein wich­ti­ger Grund für ei­ne außer­or­dent­li­che Kündi­gung lie­ge vor. Ei­ner (wei­te­ren) Ab­mah­nung ha­be es nicht be­durft, nach­dem der Kläger sich be­reits im Jahr 2007 in ver­gleich­ba­rer Wei­se pflicht­wid­rig ver­hal­ten ha­be.
 


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Das Ar­beits­ge­richt hat die Kla­ge ab­ge­wie­sen. Das Lan­des­ar­beits­ge­richt hat ihr statt­ge­ge­ben. Mit der Re­vi­si­on be­gehrt das be­klag­te Land die Wie­der­her­stel­lung der erst­in­stanz­li­chen Ent­schei­dung.

Ent­schei­dungs­gründe

Die Re­vi­si­on ist be­gründet. Sie führt zur Auf­he­bung des Be­ru­fungs­ur­teils (§ 562 Abs. 1 ZPO) und zur Zurück­ver­wei­sung der Sa­che an das Lan­des­ar­beits­ge­richt (§ 563 Abs. 1 Satz 1 ZPO). Mit der von ihm ge­ge­be­nen Be­gründung durf­te das Lan­des­ar­beits­ge­richt der Kla­ge nicht statt­ge­ben. Ob die Kündi­gung das Ar­beits­verhält­nis der Par­tei­en be­en­det hat, steht noch nicht fest.


I. Auf der Grund­la­ge der bis­he­ri­gen Fest­stel­lun­gen durf­te das Lan­des­ar­beits­ge­richt nicht an­neh­men, es feh­le für die außer­or­dent­li­che Kündi­gung vom 13. No­vem­ber 2009 an ei­nem wich­ti­gen Grund iSv. § 54 Abs. 1 BAT, § 626 Abs. 1 BGB.


1. Gemäß § 626 Abs. 1 BGB - und dem in­halts­glei­chen § 54 Abs. 1 BAT - kann das Ar­beits­verhält­nis aus wich­ti­gem Grund oh­ne Ein­hal­tung ei­ner Kündi­gungs­frist gekündigt wer­den, wenn Tat­sa­chen vor­lie­gen, auf­grund de­rer dem Kündi­gen­den un­ter Berück­sich­ti­gung al­ler Umstände des Ein­zel­falls und un­ter Abwägung der In­ter­es­sen bei­der Ver­trags­tei­le die Fort­set­zung des Ar­beits­verhält­nis­ses bis zum Ab­lauf der Kündi­gungs­frist oder bis zu der ver­ein­bar­ten Be­en­di­gung des Ar­beits­verhält­nis­ses nicht zu­ge­mu­tet wer­den kann. Dafür ist zunächst zu prüfen, ob der Sach­ver­halt oh­ne sei­ne be­son­de­ren Umstände „an sich“, dh. ty­pi­scher­wei­se als wich­ti­ger Grund ge­eig­net ist. Als­dann be­darf es der wei­te­ren Prüfung, ob dem Kündi­gen­den die Fort­set­zung des Ar­beits­verhält­nis­ses un­ter Berück­sich­ti­gung der kon­kre­ten Umstände des Falls und un­ter Abwägung der In­ter­es­sen bei­der Ver­trags­tei­le - je­den­falls bis zum Ab­lauf der Kündi­gungs­frist - zu­mut­bar ist oder nicht (BAG 9. Ju­ni 2011 - 2 AZR 323/10 - Rn. 14, AP BGB § 626 Nr. 236 = EzA BGB 2002 § 626 Nr. 36; 10. Ju­ni 2010 - 2 AZR 541/09 - Rn. 16, BA­GE 134, 349).
 


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a) Bei der Prüfung, ob dem Ar­beit­ge­ber ei­ne Wei­ter­beschäfti­gung des Ar­beit­neh­mers trotz Vor­lie­gens ei­ner er­heb­li­chen Pflicht­ver­let­zung je­den­falls bis zum Ab­lauf der Kündi­gungs­frist zu­mut­bar ist, ist in ei­ner Ge­samtwürdi­gung das In­ter­es­se des Ar­beit­ge­bers an der so­for­ti­gen Be­en­di­gung des Ar­beits­verhält­nis­ses ge­gen das In­ter­es­se des Ar­beit­neh­mers an des­sen Fort­be­stand ab­zuwägen. Es hat ei­ne Be­wer­tung des Ein­zel­falls un­ter Be­ach­tung des Verhält­nismäßig­keits­grund­sat­zes zu er­fol­gen (BAG 9. Ju­ni 2011 - 2 AZR 323/10 - Rn. 26, AP BGB § 626 Rn. 236 = EzA BGB 2002 § 626 Nr. 36; 10. Ju­ni 2010 - 2 AZR 541/09 - Rn. 34, BA­GE 134, 349). Da­bei las­sen sich die Umstände, an­hand de­rer zu be­ur­tei­len ist, ob dem Ar­beit­ge­ber die Wei­ter­beschäfti­gung zu­mut­bar ist oder nicht, nicht ab­sch­ließend fest­le­gen. Zu berück­sich­ti­gen sind aber re­gelmäßig das Ge­wicht und die Aus­wir­kun­gen ei­ner Ver­trags­pflicht­ver­let­zung, der Grad des Ver­schul­dens des Ar­beit­neh­mers, ei­ne mögli­che Wie­der­ho­lungs­ge­fahr so­wie die Dau­er des Ar­beits­verhält­nis­ses und des­sen störungs­frei­er Ver­lauf (BAG 9. Ju­ni 2011 - 2 AZR 323/10 - Rn. 27, aaO; 10. Ju­ni 2010 - 2 AZR 541/09 - Rn. 34, aaO). Ei­ne außer­or­dent­li­che Kündi­gung kommt nur in Be­tracht, wenn es kei­nen an­ge­mes­se­nen Weg gibt, das Ar­beits­verhält­nis fort­zu­set­zen, weil dem Ar­beit­ge­ber sämt­li­che mil­de­ren Re­ak­ti­onsmöglich­kei­ten un­zu­mut­bar sind (BAG 9. Ju­ni 2011 - 2 AZR 323/10 - Rn. 27, aaO; 16. De­zem­ber 2010 - 2 AZR 485/08 - Rn. 24, AP BGB § 626 Nr. 232 = EzA BGB 2002 § 626 Nr. 33; 10. Ju­ni 2010 - 2 AZR 541/09 - Rn. 34, aaO).


b) Ei­ner Ab­mah­nung be­darf es in An­se­hung des Verhält­nismäßig­keits­grund­sat­zes nur dann nicht, wenn ei­ne Ver­hal­tensände­rung in Zu­kunft selbst nach Ab­mah­nung nicht zu er­war­ten steht oder es sich um ei­ne so schwe­re Pflicht­ver­let­zung han­delt, dass ei­ne Hin­nah­me durch den Ar­beit­ge­ber of­fen­sicht­lich - auch für den Ar­beit­neh­mer er­kenn­bar - aus­ge­schlos­sen ist (BAG 9. Ju­ni 2011 - 2 AZR 381/10 - Rn. 18, AP BGB § 626 Nr. 234 = EzA BGB 2002 § 626 Nr. 35; 10. Ju­ni 2010 - 2 AZR 541/09 - Rn. 37, BA­GE 134, 349). Dies gilt grundsätz­lich auch bei Störun­gen im Ver­trau­ens­be­reich (BAG 9. Ju­ni 2011 - 2 AZR 381/10 - Rn. 18, aaO; 12. Mai 2010 - 2 AZR 845/08 - Rn. 29, AP BGB § 626 Nr. 230 = EzA BGB 2002 § 626 Nr. 31).


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c) Dem Be­ru­fungs­ge­richt kommt bei der im Rah­men von § 626 Abs. 1 BGB vor­zu­neh­men­den In­ter­es­sen­abwägung ein Be­ur­tei­lungs­spiel­raum zu. Die Würdi­gung des Be­ru­fungs­ge­richts wird in der Re­vi­si­ons­in­stanz dar­auf­hin über­prüft, ob es bei der Un­ter­ord­nung des Sach­ver­halts un­ter die Rechts­nor­men Denk­ge­set­ze oder all­ge­mei­ne Er­fah­rungssätze ver­letzt und ob es al­le vernünf­ti­ger­wei­se in Be­tracht zu zie­hen­den Umstände wi­der­spruchs­frei berück­sich­tigt hat (BAG 9. Ju­ni 2011 - 2 AZR 323/10 - Rn. 29, AP BGB § 626 Nr. 236 = EzA BGB 2002 § 626 Nr. 36; 10. Ju­ni 2010 - 2 AZR 541/09 - Rn. 17, BA­GE 134, 349). Ei­ne ei­ge­ne Abwägung durch das Re­vi­si­ons­ge­richt ist dann möglich, wenn die des Be­ru­fungs­ge­richts feh­ler­haft oder un­vollständig ist und sämt­li­che re­le­van­ten Tat­sa­chen fest­ste­hen (BAG 9. Ju­ni 2011 - 2 AZR 323/10 - Rn. 29, aaO; 10. Ju­ni 2010 - 2 AZR 541/09 - Rn. 33, aaO).


2. Auch un­ter Berück­sich­ti­gung die­ses ein­ge­schränk­ten Prüfungs­maßstabs hält die Würdi­gung des Lan­des­ar­beits­ge­richts, man­gels ein­schlägi­ger Ab­mah­nung sei die Kündi­gung des be­klag­ten Lan­des vom 13. No­vem­ber 2009 we­gen Feh­lens ei­nes wich­ti­gen Grun­des iSv. § 54 Abs. 1 BAT, § 626 Abs. 1 BGB un­wirk­sam, auf der Ba­sis sei­ner bis­her ge­trof­fe­nen Fest­stel­lun­gen ei­ner re­vi­si­ons­recht­li­chen Über­prüfung nicht stand. Die An­nah­me, ei­ne Ab­mah­nung sei im Streit­fall nicht ent­behr­lich ge­we­sen, wird von den bis­he­ri­gen Fest­stel­lun­gen nicht ge­tra­gen.


a) Im Er­geb­nis zu­tref­fend hat das Lan­des­ar­beits­ge­richt an­ge­nom­men, bei dem Schrei­ben der Be­schwer­de­stel­le vom 19. April 2007 ha­be es sich nicht um ei­ne Ab­mah­nung ge­han­delt.


aa) Dies folgt ent­ge­gen der Auf­fas­sung des Lan­des­ar­beits­ge­richts al­ler­dings nicht dar­aus, dass das Schrei­ben nicht auf die Ände­rung ei­nes ge­ne­rel­len Ver­hal­tens auch ge­genüber an­de­ren Beschäftig­ten des be­klag­ten Lan­des ab­ziel­te. Für die Erfüllung der Warn­funk­ti­on ei­ner Ab­mah­nung ist es nicht er­for­der­lich, dass der Ar­beit­ge­ber die zu un­ter­las­sen­de Pflicht­ver­let­zung los­gelöst vom kon­kre­ten Ver­s­toß ge­ne­ra­li­sie­rend be­schreibt. Der mit ei­ner Ab­mah­nung ver­bun­de­ne Hin­weis auf ei­ne Be­stands­gefähr­dung des Ar­beits­verhält­nis­ses im Wie­der­ho­lungs­fall er­streckt sich grundsätz­lich auch auf ver­gleich­ba­re
 


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Pflicht­ver­let­zun­gen. Es reicht aus, dass die je­wei­li­gen Pflicht­wid­rig­kei­ten aus dem­sel­ben Be­reich stam­men und so­mit ge­ge­be­ne Ab­mah­nungs- und po­ten­ti­el­le Kündi­gungs­gründe in ei­nem in­ne­ren Zu­sam­men­hang ste­hen (BAG 9. Ju­ni 2011 - 2 AZR 323/10 - Rn. 31, AP BGB § 626 Nr. 236 = EzA BGB 2002 § 626 Nr. 36; 13. De­zem­ber 2007 - 2 AZR 818/06 - Rn. 41, AP KSchG 1969 § 4 Nr. 64 = EzA KSchG § 4 nF Nr. 82).

bb) Ent­ge­gen der - Tei­len des Schrift­tums fol­gen­den - Auf­fas­sung des Klägers fehlt dem Schrei­ben vom 19. April 2007 auch nicht des­halb der Ab­mah­nungs­cha­rak­ter, weil die dar­in für den Wie­der­ho­lungs­fall ent­hal­te­ne An­dro­hung von „ar­beits­recht­li­chen Kon­se­quen­zen“ zur Erfüllung der Warn­funk­ti­on ei­ner Ab­mah­nung nicht aus­rei­chend wäre.


(1) Nach der Recht­spre­chung des Bun­des­ar­beits­ge­richts gehört zu den un­ver­zicht­ba­ren Vor­aus­set­zun­gen ei­ner ord­nungs­gemäßen Ab­mah­nung ne­ben der Rüge ei­nes ge­nau zu be­zeich­nen­den Fehl­ver­hal­tens (Rüge­funk­ti­on) der Hin­weis auf die Be­stands- oder In­halts­gefähr­dung des Ar­beits­verhält­nis­ses für den Wie­der­ho­lungs­fall (kündi­gungs­recht­li­che Warn­funk­ti­on) (BAG 18. No­vem­ber 1986 - 7 AZR 674/84 - zu II 5 der Gründe, AP KSchG 1969 § 1 Ver­hal­tens¬be­ding­te Kündi­gung Nr. 17 = EzA BGB § 611 Ab­mah­nung Nr. 4). Der Ar­beit­ge­ber muss in ei­ner für den Ar­beit­neh­mer hin­rei­chend deut­lich er­kenn­ba­ren Art und Wei­se sei­ne Be­an­stan­dun­gen vor­brin­gen und da­mit deut­lich - wenn auch nicht ex­pres­sis ver­bis - den Hin­weis ver­bin­den, im Wie­der­ho­lungs­fall sei der In­halt oder der Be­stand des Ar­beits­verhält­nis­ses gefähr­det (BAG 17. Fe­bru­ar 1994 - 2 AZR 616/93 - zu II 1 der Gründe, BA­GE 76, 35). Der Se­nat hat ei­ner „ord­nungs­gemäßen Ab­mah­nung“ ein „nur als Ab­mah­nung be­zeich­ne­tes Schrei­ben“ ge­genüber­ge­stellt, in wel­chem nicht aus­drück­lich auf kündi­gungs­recht­li­che Kon­se­quen­zen hin­ge­wie­sen, son­dern nur „mit wei­te­ren recht­li­chen Schrit­ten“ für den Wie­der­ho­lungs­fall ge­droht wor­den war (vgl. BAG 15. März 2001 - 2 AZR 147/00 - EzA BGB § 626 nF Nr. 185; vgl. auch 8. De­zem­ber 1988 - 2 AZR 294/88 - EzAÜG AÜG § 10 Fik­ti­on Nr. 60). Die An­dro­hung „ar­beits­recht­li­cher Schrit­te“ sei zur Erfüllung der Warn­funk­ti­on hin­ge­gen aus­rei­chend (BAG 31. Ja­nu­ar 1985 - 2 AZR 486/83 - zu B I 2 der Gründe, AP MuSchG 1968



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§ 8a Nr. 6 mit zust. Anm. Bemm; vgl. auch 30. Mai 1996 - 6 AZR 537/95 - zu II 1 der Gründe, AP BGB § 611 Ne­bentätig­keit Nr. 2 = EzA BGB § 611 Ab­mah­nung Nr. 34: An­dro­hung „in­di­vi­du­al­recht­li­cher Kon­se­quen­zen“).

(2) Im Schrift­tum wird zu­meist in Übe­rein­stim­mung mit der Recht­spre­chung des Bun­des­ar­beits­ge­richts ver­langt, dass die Ab­mah­nung ei­nen Hin­weis auf die Gefähr­dung von In­halt oder Be­stand des Ar­beits­verhält­nis­ses ent­hal­ten muss, um ih­re kündi­gungs­recht­li­che Warn­funk­ti­on zu erfüllen (Adam AuR 2001, 41; Kitt­ner/Däubler/Zwan­zi­ger-Dei­nert 8. Aufl. KSchR § 314 BGB Rn. 56; APS/ Dörner/Vos­sen 4. Aufl. § 1 KSchG Rn. 348; Ha­Ko-Fie­big/Zim­mer­mann 4. Aufl. § 1 KSchG Rn. 244; KR-Fi­scher­mei­er 9. Aufl. § 626 BGB Rn. 270; v. Ho­y­nin­gen-Hue­ne RdA 1990, 193, 198; Thüsing/Laux/Lembke, Liebs­cher KSchG 2. Aufl. § 1 Rn. 389; v. Ho­y­nin­gen-Hue­ne/Linck KSchG 14. Aufl. § 1 Rn. 495; ErfK/Müller-Glöge 12. Aufl. § 626 BGB Rn. 25; SPV/Preis 10. Aufl. Rn. 8, 1205). Dafür sei zwar nicht un­be­dingt die aus­drück­li­che An­dro­hung ei­ner Kündi­gung not­wen­dig, der Ar­beit­ge­ber müsse aber in ei­ner dem Ar­beit­neh­mer deut­lich er­kenn­ba­ren Art und Wei­se kon­kret be­stimm­te Leis­tungs- oder Ver­hal­tensmängel be­an­stan­den und da­mit den ein­deu­ti­gen und un­miss­verständ­li­chen Hin­weis ver­bin­den, bei künf­ti­gen gleich­ar­ti­gen Ver­trags­ver­let­zun­gen sei­en In­halt und Be­stand des Ar­beits­verhält­nis­ses gefähr­det (Ha­Ko-Fie­big/Zim­mer­mann aaO; KR-Fi­scher­mei­er § 626 BGB Rn. 273 mwN ua. auf BAG 15. Au­gust 1984 - 7 AZR 228/82 - BA­GE 46, 163; v. Ho­y­nin­gen-Hue­ne/ Linck KSchG § 1 Rn. 497). Das In­aus­sicht­stel­len kon­kre­ter kündi­gungs­recht­li­cher Maßnah­men, et­wa ei­ner außer­or­dent­li­chen oder or­dent­li­chen Kündi­gung bzw. ei­ner Be­en­di­gungs- oder Ände­rungskündi­gung, sei hin­ge­gen nicht er­for­der­lich (Kitt­ner/Däubler/Zwan­zi­ger-Dei­nert aaO; APS/Dörner/Vos­sen aaO; Ha­Ko-Fie­big/Zim­mer­mann aaO; Thüsing/Laux/Lembke, Liebs­cher aaO); es rei­che die An­dro­hung „kündi­gungs­recht­li­cher Kon­se­quen­zen“ (Ha­Ko-Fie­big/Zim­mer­mann aaO; Thüsing/Laux/Lembke, Liebs­cher aaO). Zum Teil wird auch der Hin­weis auf „ar­beits­recht­li­che Kon­se­quen­zen“ für aus­rei­chend ge­hal­ten (Be­cker­le Die Ab­mah­nung 10. Aufl. S. 127 ff.; Kitt­ner/Däubler/Zwan­zi­ger-Dei­nert KSchR § 314 BGB Rn. 60) oder, je­den­falls un­ter be­son­de­ren Umständen, die Ankündi­gung „ar­beits­recht­li­cher Schrit­te“ (v. Ho­y­nin­gen-Hue­ne/Linck

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KSchG § 1 Rn. 497 un­ter Hin­weis auf BAG 31. Ja­nu­ar 1985 - 2 AZR 486/83 - AP MuSchG 1968 § 8a Nr. 6; Th. Wolf Zur Ab­mah­nung als Vor­aus­set­zung der ver­hal­tens­be­ding­ten Kündi­gung durch den Ar­beit­ge­ber S. 164). Nach an­de­rer An­sicht genügt die Ankündi­gung „ar­beits­recht­li­cher Kon­se­quen­zen“ nicht, da da­durch nicht hin­rei­chend deut­lich ge­macht wer­de, dass der Be­stand des Ar­beits­verhält­nis­ses als sol­cher auf dem Spiel ste­he; ar­beits­recht­li­che Kon­se­quen­zen könn­ten auch Ver­set­zun­gen, Um­set­zun­gen oder wei­te­re Ab­mah­nun­gen sein (Ha­Ko-Fie­big/Zim­mer­mann aaO; Thüsing/Laux/Lembke, Liebs­cher aaO).


(3) Nach zu­tref­fen­der Auf­fas­sung kann schon die An­dro­hung „ar­beits­recht­li­cher Kon­se­quen­zen“ ei­ne hin­rei­chen­de War­nung vor ei­ner Be­stands­gefähr­dung des Ar­beits­verhält­nis­ses sein. Mit ei­ner sol­chen For­mu­lie­rung wird aus­ge­drückt, dass der Ar­beit­neh­mer im Wie­der­ho­lungs­fall mit al­len denk­ba­ren ar­beits­recht­li­chen Fol­gen bis hin zu ei­ner Be­en­di­gung des Ar­beits­verhält­nis­ses rech­nen muss. Ei­ne aus­drück­li­che Kündi­gungs­an­dro­hung ist dafür nicht er­for­der­lich. Es ist aus­rei­chend, wenn der Ar­beit­neh­mer er­ken­nen kann, der Ar­beit­ge­ber wer­de im Wie­der­ho­lungs­fall mögli­cher­wei­se auch mit ei­ner Kündi­gung re­agie­ren.


cc) Das Schrei­ben vom 19. April 2007 stellt gleich­wohl kei­ne Ab­mah­nung dar. Es fehlt an ei­ner Rüge vor­he­ri­gen Fehl­ver­hal­tens. In dem Schrei­ben ist als Er­geb­nis des Be­schwer­de­ver­fah­rens le­dig­lich do­ku­men­tiert, dass die be­trof­fe­ne Mit­ar­bei­te­rin kei­nen Kon­takt mehr mit dem Kläger wünsche. Zwar wird außer­dem - zur Ver­mei­dung „ar­beits­recht­li­cher Kon­se­quen­zen“ - die Be­ach­tung die­ses Wun­sches der Mit­ar­bei­te­rin für die Zu­kunft ver­langt. Das Schrei­ben enthält aber nicht die ein­deu­ti­ge Be­wer­tung, dass das vor­an­ge­gan­ge­ne Ver­hal­ten des Klägers ei­ne Pflicht­ver­let­zung dar­ge­stellt ha­be.

b) Die wei­te­re An­nah­me des Lan­des­ar­beits­ge­richts, ei­ne Ab­mah­nung sei im Streit­fall auch nicht ent­behr­lich ge­we­sen, hält da­ge­gen - auf der Ba­sis der bis­her ge­trof­fe­nen Fest­stel­lun­gen - ei­ner re­vi­si­ons­recht­li­chen Über­prüfung nicht stand.

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aa) Es steht nicht fest, wel­chen Kündi­gungs­sach­ver­halt das Lan­des­ar­beits­ge­richt die­ser Würdi­gung zu­grun­de ge­legt hat. Es hat da­hin­ge­stellt sein las­sen, ob das Ver­hal­ten des Klägers ge­genüber der be­trof­fe­nen Mit­ar­bei­te­rin ei­ne Straf­tat oder je­den­falls ei­ne schwer­wie­gen­de Pflicht­ver­let­zung dar­ge­stellt oder zu­min­dest ei­nen ent­spre­chen­den Ver­dacht be­gründet ha­be. Es hat an­ge­nom­men, der Kläger ha­be, selbst wenn nur sein Sach­vor­trag als wahr un­ter­stellt wer­de, die ihm auf­grund des Ar­beits­ver­trags ob­lie­gen­den Ver­hal­tens­pflich­ten in je­dem Fall ver­letzt. Es hat aber nicht gewürdigt, ob nicht auf Ba­sis des Vor­brin­gens des be­klag­ten Lan­des von ei­ner er­heb­lich schwe­rer wie­gen­den Pflicht­ver­let­zung aus­zu­ge­hen wäre. Fest­ge­stellt sind nur die mehr als 120 vom Kläger an die be­trof­fe­ne Mit­ar­bei­te­rin ge­sand­ten Nach­rich­ten. Nach dem vom Lan­des­ar­beits­ge­richt in Be­zug ge­nom­me­nen erst­in­stanz­li­chen Vor­brin­gen des be­klag­ten Lan­des hat­te sich der Kläger je­doch im­mer wie­der auch auf an­de­re Wei­se, wie et­wa durch un­erwünsch­te persönli­che Kon­takt­auf­nah­men, auf­ge­drängt. Das be­klag­te Land hat ua. gel­tend ge­macht, der Kläger ha­be sich ge­gen den aus­drück­lich erklärten Wil­len der Mit­ar­bei­te­rin wie­der­holt und zu­neh­mend ag­gres­siv und auf­dring­lich in ihr Pri­vat­le­ben ein­ge­mischt. Um sie zu wei­te­rem pri­va­ten Kon­takt mit ihm zu be­we­gen, ha­be er ihr ua. da­mit ge­droht, er könne dafür sor­gen, dass sie kei­ne An­stel­lung beim Land be­kom­me, und wer­de ih­ren Ehe­mann, der über kei­ne un­be­fris­te­te Auf­ent­halts­er­laub­nis verfügte, bei der Po­li­zei und der Ausländer­behörde an­zei­gen. Bei der Mit­ar­bei­te­rin ha­be dies mas­si­ve Angst­zustände ver­ur­sacht.


bb) So­weit das Lan­des­ar­beits­ge­richt an­ge­nom­men hat, dem Kläger ha­be die Dis­tanz­lo­sig­keit sei­nes Ver­hal­tens und die da­mit ein­her­ge­hen­de Pflicht­ver­let­zung „auf­grund des schlei­chen­den Pro­zes­ses“ ent­ge­hen können, steht dies im Wi­der­spruch zu sei­ner Fest­stel­lung, die be­trof­fe­ne Mit­ar­bei­te­rin ha­be dem Kläger An­fang Sep­tem­ber 2009 den „ein­deu­ti­gen“ Hin­weis ge­ge­ben, nur noch im un­be­dingt not­wen­di­gen dienst­li­chen Rah­men mit ihm Kon­takt ha­ben zu wol­len. War­um dem Kläger die Pflicht­wid­rig­keit und der be­drängen­de Cha­rak­ter sei­nes Ver­hal­tens auch nach die­sem Hin­weis nicht er­kenn­bar ge­we­sen sein sol­len, ist nicht er­sicht­lich. Nach dem vom Ar­beits­ge­richt zu­grun­de ge­leg­ten Sach­ver­halt war aus den dem Hin­weis nach­fol­gen­den Nach­rich­ten ge­ra­de nicht

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her­aus­zu­le­sen, der Kläger ha­be, wie von ihm be­haup­tet, wei­ter­hin le­dig­lich ei­nen rein freund­schaft­li­chen Kon­takt ge­wollt. Die Nach­rich­ten hätten viel­mehr ei­nen dro­hen­den Cha­rak­ter an­ge­nom­men. Ab­wei­chen­de Fest­stel­lun­gen hat das Lan­des­ar­beits­ge­richt nicht ge­trof­fen.


cc) Das Lan­des­ar­beits­ge­richt hat zu­dem nicht aus­rei­chend ge­prüft, ob ei­ne Ab­mah­nung im Streit­fall des­halb ent­behr­lich war, weil dem Kläger schon auf­grund des im Jahr 2007 durch­geführ­ten Be­schwer­de­ver­fah­rens und des Schrei­bens der Be­schwer­de­stel­le vom 19. April 2007 be­wusst sein muss­te, dass die Ver­let­zung der Pri­vat­sphäre von Mit­ar­bei­te­rin­nen durch be­harr­li­che Kon­takt­auf­nah­me ge­gen de­ren Wil­len ei­ne schwer­wie­gen­de Pflicht­ver­let­zung dar­stell­te, de­ren aber­ma­li­ge Hin­nah­me durch das be­klag­te Land aus­ge­schlos­sen wäre. Dem stünde nicht ent­ge­gen, dass sich das Schrei­ben nur mit dem zu re­spek­tie­ren­den Wunsch der da­mals be­trof­fe­nen Mit­ar­bei­te­rin be­fass­te. Der Kläger konn­te nicht an­neh­men, das be­klag­te Land würde den ent­spre­chen­den Wunsch ei­ner an­de­ren Mit­ar­bei­te­rin nicht für glei­cher­maßen ver­bind­lich hal­ten.


c) Auch die Würdi­gung des Lan­des­ar­beits­ge­richts, das Fehl­ver­hal­ten des Klägers stel­le sich nicht als so gra­vie­rend dar, dass sei­ne Wei­ter­beschäfti­gung dem be­klag­ten Land „un­ter kei­nen Umständen zu­zu­mu­ten“ sei, hält ei­ner re­vi­si­ons­recht­li­chen Über­prüfung nicht stand. Es ist er­neut nicht er­sicht­lich, wel­ches Fehl­ver­hal­ten das Lan­des­ar­beits­ge­richt sei­ner Be­wer­tung zu­grun­de ge­legt hat. Der Un­zu­mut­bar­keit ei­ner Wei­ter­beschäfti­gung des Klägers steht je­den­falls nicht not­wen­dig ent­ge­gen, dass die­ser auf die ent­spre­chen­de Auf­for­de­rung des be­klag­ten Lan­des vom 13. Ok­to­ber 2009 hin jeg­li­che Kon­takt­auf­nah­me mit der be­trof­fe­nen Mit­ar­bei­te­rin un­ter­las­sen hat. Da­durch ist nicht aus­ge­schlos­sen, dass der Kläger den Wunsch ei­ner an­de­ren Mit­ar­bei­te­rin, ih­re Pri­vat­sphäre zu re­spek­tie­ren, künf­tig wie­der­um so­lan­ge miss­ach­ten wird, wie ihn das be­klag­te Land nicht auf­for­dert, ihm nach­zu­kom­men.

II. Die an­ge­grif­fe­ne Ent­schei­dung er­weist sich nicht aus an­de­ren Gründen als rich­tig oder sonst zur End­ent­schei­dung reif. Ob die Kündi­gung des be­klag­ten Lan­des vom 13. No­vem­ber 2009 das Ar­beits­verhält­nis der Par­tei­en auf­gelöst hat, kann noch nicht be­ur­teilt wer­den.



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1. Der Se­nat kann nicht selbst ent­schei­den, ob dem be­klag­ten Land un­ter Berück­sich­ti­gung al­ler Umstände des Ein­zel­falls und un­ter Abwägung der In­ter­es­sen bei­der Ver­trags­tei­le ei­ne Wei­ter­beschäfti­gung des Klägers iSv. § 54 Abs. 1 BAT, § 626 Abs. 1 BGB un­zu­mut­bar war.


a) Der Kündi­gungs­sach­ver­halt ist bis­her nicht um­fas­send fest­ge­stellt. Ob ei­ne Ab­mah­nung an­ge­sichts der Schwe­re der Pflicht­ver­let­zun­gen des Klägers und des im Jahr 2007 durch­geführ­ten Be­schwer­de­ver­fah­rens ent­behr­lich war, kann der Se­nat da­her nicht ab­sch­ließend würdi­gen. Für die neue Ver­hand­lung und Ent­schei­dung wird das Lan­des­ar­beits­ge­richt die nach­fol­gen­den Erwägun­gen zu berück­sich­ti­gen ha­ben.

b) Stellt ein Ar­beit­neh­mer ei­ner Kol­le­gin un­ter be­wuss­ter Miss­ach­tung ih­res ent­ge­gen­ste­hen­den Wil­lens im Be­trieb oder im Zu­sam­men­hang mit der ge­schul­de­ten Tätig­keit be­harr­lich nach, ist dies an sich als wich­ti­ger Grund für ei­ne außer­or­dent­li­che Kündi­gung iSv. § 626 Abs. 1 BGB ge­eig­net. Da­bei kommt es nicht ent­schei­dend auf die straf­recht­li­che Würdi­gung an (vgl. § 238 StGB), son­dern auf die mit die­sem Ver­hal­ten ver­bun­de­ne Störung des Be­triebs­frie­dens. In ei­nem der­ar­ti­gen Ver­hal­ten liegt nicht nur ei­ne Ver­let­zung des Persönlich­keits­rechts der Be­trof­fe­nen, son­dern zu­gleich ei­ne er­heb­li­che Ver­let­zung der Pflicht zur Rück­sicht­nah­me auf die be­rech­tig­ten In­ter­es­sen des Ar­beit­ge­bers gemäß § 241 Abs. 2 BGB. Die­ser hat die In­te­gritätsin­ter­es­sen sei­ner Mit­ar­bei­ter zu schützen. Ob das Nach­stel­len zur außer­or­dent­li­chen Kündi­gung be­rech­tigt, ist abhängig von den Umständen des Ein­zel­falls, ins­be­son­de­re vom Aus­maß und von der In­ten­sität der Pflicht­ver­let­zung und de­ren Fol­gen - vor al­lem für die be­trof­fe­nen Mit­ar­bei­ter -, ei­ner et­wai­gen Wie­der­ho­lungs­ge­fahr und dem Grad des Ver­schul­dens. Die für die­se Würdi­gung re­le­van­ten Umstände sind des­halb fest­zu­stel­len.

2. Das Lan­des­ar­beits­ge­richt hat - nach sei­ner Rechts­auf­fas­sung kon­se­quent - bis­lang nicht ge­prüft, ob das be­klag­te Land die Kündi­gungs­erklärungs­frist gemäß § 54 Abs. 2 BAT, § 626 Abs. 2 BGB, § 91 Abs. 5 SGB IX ge­wahrt und den Per­so­nal­rat ord­nungs­gemäß be­tei­ligt hat. Soll­te es bei der neu­en
 


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Ver­hand­lung und Ent­schei­dung zu dem Er­geb­nis kom­men, dass ein wich­ti­ger Grund für die außer­or­dent­li­che Kündi­gung iSv. § 54 Abs. 1 BAT, § 626 Abs. 1 BGB be­stand, wird es dies nach­zu­ho­len ha­ben.

Kreft 

Ey­lert 

Ra­chor

Frey 

Grim­berg

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