HENSCHE RECHTSANWÄLTE, FACHANWALTSKANZLEI FÜR ARBEITSRECHT

 

LAG Köln, Ur­teil vom 20.01.2012, 3 Sa 408/11

   
Schlagworte: Bagatellkündigung, Abmahnung, Kündigung: Bagatelle, Kündigung: Fristlos
   
Gericht: Landesarbeitsgericht Köln
Aktenzeichen: 3 Sa 408/11
Typ: Urteil
Entscheidungsdatum: 20.01.2012
   
Leitsätze:

1. Das Aufladen des privaten elektrischen Rasierapparates am Arbeitsplatz stellt keinen Grund für eine außerordentliche Kündigung dar.

2. Verlässt ein Arbeitnehmer seinen Büroarbeitsplatz unerlaubt eine Stunde vor Dienstschluss und entstehen hierdurch keine betrieblichen Auswirkungen, berechtigt dies den Arbeitgeber ohne vorherige Abmahnung regelmäßig nicht zum Ausspruch einer Kündigung.

3. Gibt ein Arbeitnehmer im Rahmen von gerichtlichen Vergleichsgesprächen über eine Auflösung des Arbeitsverhältnisses gegen Zahlung einer Abfindung erzielten Zwischenverdienst bewusst zu niedrig an und täuscht er hierdurch seinen Arbeitgeber, ist der Vergleich anfechtbar und das Verfahren fortzuführen.

Vorinstanzen: Arbeitsgericht Aachen, Urteil vom 1.10.2010, 5 Ca 1826/10
   

3 Sa 408/11

5 Ca 1826/10
Ar­beits­ge­richt Aa­chen

Verkündet am 20. Ja­nu­ar 2012

Ur­kunds­be­am­tin
der Geschäfts­stel­le

 

LAN­DES­AR­BEITS­GERICHT KÖLN

IM NA­MEN DES VOL­KES

UR­TEIL

In dem Rechts­streit

- Be­klag­ter und Be­ru­fungskläger -

Pro­zess­be­vollmäch­tig­te:

g e g e n

- Kläger und Be­ru­fungs­be­klag­ter -

Pro­zess­be­vollmäch­tig­te:

hat die 3. Kam­mer des Lan­des­ar­beits­ge­richts Köln auf die münd­li­che Ver­hand­lung vom 20.01.2012 durch den Vor­sit­zen­den Rich­ter am Lan­des­ar­beits­ge­richt Dr. K als Vor­sit­zen­den so­wie die eh­ren­amt­li­chen Rich­ter S und S

für R e c h t er­kannt:

I. Es wird fest­ge­stellt, dass der Rechts­streit durch den Ver­gleich vom 16.03.2011 nicht be­en­det wor­den ist.

II. Auf die Be­ru­fung des Be­klag­ten wird das Ur­teil des Ar­beits­ge­richts Aa­chen vom 01.10.2010 – 5 Ca 1826/10 d – teil­wei­se ab­geändert und ins­ge­samt wie folgt neu ge­fasst:

1. Es wird fest­ge­stellt, dass das Ar­beits­verhält­nis des Klägers durch die schrift­li­che außer­or­dent­li­che Kündi­gung vom 19.04.2010 nicht be­en­det wor­den ist, son­dern bis zum 31.05.2010 fort­be­stan­den hat.

2. Der Be­klag­te wird ver­ur­teilt, an den Kläger Ar­beits­ent­gelt in Höhe von ins­ge­samt 2.374,10 € brut­to zuzüglich Zin­sen in Höhe von 5 Pro­zent­punk­ten über dem je­wei­li­gen Ba­sis­zins­satz seit dem 17.09.2010 zu zah­len.



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3. Im Übri­gen wird die Kla­ge ab­ge­wie­sen.

4. Die Wi­der­kla­ge wird ab­ge­wie­sen.

III. Die wei­ter­ge­hen­de Be­ru­fung des Be­klag­ten wird zurück­ge­wie­sen.

IV. Die erst­in­stanz­li­chen Kos­ten tra­gen der Kläger zu 65 % und der Be­klag­te zu 35 %, die Kos­ten des Be­ru­fungs­ver­fah­rens tra­gen der Kläger zu 80 % und der Be­klag­te zu 20 %.

V. Die Re­vi­si­on wird nicht zu­ge­las­sen.

T a t b e s t a n d

Die Par­tei­en strei­ten in der Be­ru­fungs­in­stanz zunächst über die Wirk­sam­keit ei­nes zweit­in­stanz­lich ge­schlos­se­nen Pro­zess­ver­gleichs. Für den Fall der be­gründe­ten Ver­gleichs­an­fech­tung geht der Streit in der Sa­che über die Wirk­sam­keit zwei­er frist­lo­ser, hilfs­wei­se frist­ge­rech­ter Kündi­gun­gen, die be­fris­te­te Wei­ter­beschäfti­gung des Klägers so­wie rest­li­che Vergütungs­ansprüche.

Der Kläger war seit dem 05.05.2009 bei dem be­klag­ten Rechts­an­walt auf der Grund­la­ge ei­nes bis zum 04.05.2011 be­fris­te­ten An­stel­lungs­ver­tra­ges als Rechts­an­walts­fach­an­ge­stell­ter beschäftigt. Sein mo­nat­li­cher Brut­to­ver­dienst be­trug 1.150 € zuzüglich ei­ner pau­scha­len Fahrt­kos­ten­er­stat­tung in Höhe von 74,10 € mo­nat­lich. Mit Schrei­ben vom 19.04.2010 kündig­te der Be­klag­te das Ar­beits­verhält­nis frist­los, hilfs­wei­se frist­ge­recht. Im Lau­fe des erst­in­stanz­li­chen Ver­fah­rens sprach der Be­klag­te mit Schrift­satz vom 29.09.2010 ei­ne wei­te­re frist­lo­se, hilfs­wei­se frist­ge­rech­te Kündi­gung aus. Mit Schrei­ben 17.03.2011 hat der Be­klag­te das Ar­beits­verhält­nis noch­mals frist­los gekündigt. Die­ses Kündi­gungs­schrei­ben hat der Be­klag­te dem Kläger per
Ein­schrei­ben/Rück­schein über­sandt. Der Kläger hat den ein­ge­schrie­be­nen Brief



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nicht ab­ge­holt. Ei­ne wei­te­re Wie­der­ho­lungskündi­gung er­folg­te im Be­ru­fungs­ver­fah­ren mit Schrift­satz vom 12.04.2011.

We­gen des wei­te­ren erst­in­stanz­li­chen strei­ti­gen und un­strei­ti­gen Vor­brin­gens so­wie der erst­in­stanz­lich ge­stell­ten Anträge wird gemäß § 69 Abs. 2 ArbGG auf den Tat­be­stand des an­ge­foch­te­nen Ur­teils Be­zug ge­nom­men.

Mit die­sem Ur­teil hat das Ar­beits­ge­richt die Un­wirk­sam­keit bei­der Kündi­gun­gen fest­ge­stellt und den Be­klag­ten zur Wei­ter­beschäfti­gung des Klägers bis zum Ab­lauf der ver­trag­li­chen Be­fris­tung so­wie zur Zah­lung von 5.284,35 € brut­to nebst Zin­sen ver­ur­teilt. Die wei­ter­ge­hen­de Kla­ge hat das Ar­beits­ge­richt eben­so ab­ge­wie­sen wie die Wi­der­kla­ge des Be­klag­ten. We­gen der Be­gründung im Ein­zel­nen wird auf das erst­in­stanz­li­che Ur­teil (Bl. 109 ff. d. A.) Be­zug ge­nom­men. Ge­gen die­ses ihm am 02.11.2010 zu­ge­stell­te Ur­teil hat der Be­klag­te be­reits am 14.10.2010 Be­ru­fung ein­ge­legt und die­se am 08.11.2010 be­gründet.

In der münd­li­chen Be­ru­fungs­ver­hand­lung am 16.03.2011 hat der Kläger auf Nach­fra­ge des Ge­richts un­ter an­de­rem zu Pro­to­koll erklärt, er ha­be in der Zeit vom 19.07.2010 bis 28.02.2011 bei ei­nem In­kas­so­un­ter­neh­men in K ge­ar­bei­tet. Das Ar­beits­verhält­nis sei aus be­trieb­li­chen Gründen be­en­det wor­den und er ha­be in die­sem Ar­beits­verhält­nis in der Zeit vom 19.07.2010 bis 30.09.2010 2.060,25 € brut­to ver­dient. Auf die­ser Grund­la­ge ha­ben die Par­tei­en fol­gen­den Ver­gleich ge­schlos­sen:

"1. Die Par­tei­en sind sich ei­nig, dass das zwi­schen ih­nen be­ste­hen­de Ar­beits­verhält­nis auf­grund or­dent­li­cher, ar­beit­ge­ber­sei­ti­ger Kündi­gung vom 19.04.2010 zum 30.09.2010 sein En­de ge­fun­den hat. Das Ar­beits­verhält­nis ist bis zum Be­en­di­gungs­zeit­punkt ver­trags­gemäß ab­ge­wi­ckelt auf­grund der kläger­seits voll­streck­ten erst­in­stanz­lich ti­tu­lier­ten Kla­ge­for­de­rung.



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2. Der Be­klag­te ver­pflich­tet sich, zum Aus­gleich für den Ver­lust des Ar­beits­plat­zes an den Kläger ei­ne Ab­fin­dung in Höhe von 1.800,00 € brut­to zu zah­len.

3. Der Kläger reicht an den Be­klag­ten das ihm zum Be­en­di­gungs­zeit­punkt 19.04.2010 er­teil­te Zeug­nis zurück. Der Be­klag­te ver­pflich­tet sich, dem Kläger ein in­halt­lich gleich­lau­ten­des Zeug­nis un­ter dem Aus­stel­lungs­da­tum 30.09.2010 zu er­tei­len.

4. We­gen der erst­in­stanz­li­chen Kos­ten bleibt es bei der Kos­ten­ent­schei­dung des Ar­beits­ge­richts. Die Kos­ten des Be­ru­fungs­ver­fah­rens und des Ver­gleichs tra­gen der Kläger zu 1/4 und der Be­klag­te zu 3/4.

5. Da­mit ist der Rechts­streit 3 Sa 1277/10 er­le­digt."

Die­sen Ver­gleich hat der Be­klag­te am dar­auf­fol­gen­den Tag mit Schrift­satz vom 17.03.2011 we­gen Täuschung und Be­trugs an­ge­foch­ten.

Der Be­klag­te trägt vor, der Kläger ha­be ent­ge­gen sei­ner An­ga­ben in der ers­ten In­stanz und vor dem Be­ru­fungs­ge­richt in den Mo­na­ten Ju­li bis Sep­tem­ber 2010 ein an­der­wei­ti­ges Brut­to­ein­kom­men in Höhe von ins­ge­samt 3.785,30 € er­zielt. Das Ar­beits­verhält­nis mit dem In­kas­s­obüro sei auch nicht aus be­triebs­be­ding­ten Gründen be­en­det wor­den. Auffällig sei in­so­weit, dass die Pro­zess­be­vollmäch­tig­te des Klägers trotz mehr­fa­cher Nach­fra­ge die ent­spre­chen­den Ab­rech­nungs­be­le­ge nicht vor­ge­legt ha­be. Der Kläger täusche so wis­sent­lich und wil­lent­lich die Ge­rich­te un­ter Dar­stel­lung fal­scher Zah­len und fal­scher Umstände. Ins­ge­samt lie­ge der Ver­dacht na­he, dass der Kläger an­der­wei­tig 1.100 € net­to ha­be er­zie­len können, um sei­nen Le­bens­un­ter­halt zu be­strei­ten, so dass kein An­nah­me­ver­zugs­lohn­an­spruch be­ste­he. Das lau­fen­de pro­zess­betrüge­ri­sche Ver­hal­ten des Klägers ha­be ei­ne Be­weis­last­um­kehr zur Fol­ge.



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Zur Be­gründung der außer­or­dent­li­chen, hilfs­wei­se frist­ge­rech­ten Kündi­gun­gen trägt der Be­klag­te vor, der Kläger sei we­gen des Auf­la­dens ei­nes I-PODs am persönli­chen Rech­ner des Be­klag­ten münd­lich im De­zem­ber 2009 ab­ge­mahnt wor­den. Am 16.12.2009 sei der Kläger we­gen psy­chi­scher Pro­ble­me vor­mit­tags nicht zur Ar­beit er­schie­nen, oh­ne ei­ne ärzt­li­che Ar­beits­unfähig­keits­be­schei­ni­gung vor­zu­le­gen. Hierfür ha­be er ihm ei­nen hal­ben Tag Ur­laub ge­stri­chen. Im März 2010 ha­be er den Kläger noch­mals ein­dring­lichst und mit der ge­bo­te­nen Schärfe münd­lich zu­recht­ge­wie­sen, weil die­ser nach der Mit­tags­pau­se während der Ar­beits­zeit un­ter dem Vor­wand, Milch für den Büro­kaf­fee zu kau­fen, persönli­che Einkäufe bei dem be­nach­bar­ten Su­per­markt er­le­digt ha­be. Grund für die Kündi­gung sei, dass der Kläger am 15.04.2010 heim­lich sei­nen Elek­tro­ra­sie­rer im Büro auf­ge­la­den und sich da­mit am Strom der Kanz­lei be­rei­chert ha­be. Am 16.04.2010 ha­be der Kläger sei­nen Ar­beits­platz weit vor 16 Uhr ver­las­sen, oh­ne dies mit dem Be­klag­ten oder der Büro­vor­ste­he­rin ab­zuklären. Der Be­klag­te meint, das un­ein­sich­ti­ge und hals­star­ri­ge Ver­hal­ten des Klägers zei­ge, dass jeg­li­che wei­te­re ver­trau­ens­vol­le Zu­sam­men­ar­beit mit dem Kläger un­zu­mut­bar sei. Vom heim­li­chen re­gelmäßigen La­den des IPODs und des Ra­sie­rers bis zum Griff in die Kas­se sei es nicht mehr weit.

Der Be­klag­te ist wei­ter der Auf­fas­sung, An­nah­me­ver­zugs­ansprüche des Klägers bestünden je­den­falls nicht, da der Kläger an­der­wei­ti­ge Einkünf­te ver­schwei­ge. Das gel­te um­so mehr, als der Kläger trotz mehr­ma­li­ger Nach­fra­ge kei­ne Ver­dienstab­rech­nun­gen vor­ge­legt ha­be. Auch der un­strei­ti­ge Ver­dienst des Klägers als sog. 400 €-Kraft im Club "Das Ding" sei an­zu­rech­nen.

Der Be­klag­te be­an­tragt,

1. fest­zu­stel­len, dass das Ver­fah­ren durch den Ver­gleich vom 16.03.2011 nicht be­en­det wor­den ist;

2. un­ter Abände­rung des erst­in­stanz­li­chen Ur­teils vom 01.10.2010 – 5 Ca 1826/10 d – die Kla­ge ins­ge­samt ab­zu­wei­sen.



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Der Kläger be­an­tragt,

1. fest­zu­stel­len, dass der Recht­streit durch den Ver­gleich vom 16.03.2011 er­le­digt wur­de;

2. hilfs­wei­se, die Be­ru­fung des Be­klag­ten zurück­zu­wei­sen;

fest­zu­stel­len, dass das Ar­beits­verhält­nis des Klägers durch die schrift­li­che außer­or­dent­li­che Kündi­gung des Be­klag­ten vom 17.03.2011 nicht auf­gelöst wor­den ist;

fest­zu­stel­len, dass das Ar­beits­verhält­nis des Klägers durch die im Schrift­satz vom 12.04.2011 aus­ge­spro­che­ne außer­or­dent­li­che Kündi­gung des Be­klag­ten nicht auf­gelöst wor­den ist;

3. den Be­klag­ten zu ver­ur­tei­len, dem Kläger Aus­kunft zu ge­ben, zu wel­chem Zeit­punkt er von dem In­halt der dem Kläger von der Fir­ma PRO­TEC­TA In­kas­so GmbH für die Mo­na­te Ju­li bis Sep­tem­ber 2010 er­teil­ten Ge­halts­ab­rech­nun­gen Kennt­nis hat, wie er in de­ren Be­sitz ge­kom­men ist und wel­che Da­ten des Klägers wie und wann an ihn über­mit­telt und ge­spei­chert wur­den.

Der Kläger hält den ge­richt­li­chen Ver­gleich vom 16.03.2011 für rechts­wirk­sam. Er trägt vor, bei der Nach­fra­ge der erst­in­stanz­li­chen Kam­mer­vor­sit­zen­den in der münd­li­chen Ver­hand­lung nach sei­nem Zwi­schen­ver­dienst sei er da­von aus­ge­gan­gen, dass er den tatsächlich er­hal­te­nen Be­trag ha­be an­ge­ben sol­len. Auch während der Ver­hand­lung in der zwei­ten In­stanz sei ihm nicht be­wusst ge­we­sen, dass nach dem Brut­to­ver­dienst ge­fragt wor­den sei. Sei­ne ver­se­hent­li­che An­ga­be des Net­to­ver­diens­tes möge



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ent­schul­digt wer­den. Der Kläger be­strei­tet in­so­weit, dass der Be­klag­te erst am 17.03.2011, al­so nach dem Ver­gleich, Kennt­nis da­von er­hal­ten ha­be, dass es sich bei dem vom Kläger ir­rig an­ge­ge­be­nen Be­trag von 2.060,25 € nicht um den Brut­to­be­trag der an­der­wei­ti­gen Einkünf­te ge­han­delt ha­be. Dem­ent­spre­chend ha­be der Kläger den Be­klag­ten we­der täuschen wol­len, noch ha­be er bei ihm über­haupt ei­nen Irr­tum ver­ur­sa­chen können. Kei­nes­falls könne der Be­klag­te durch ei­ne Hand­lung des Klägers zum Ab­schluss des Ver­gleichs ver­an­lasst wor­den sein.

In der Sa­che tritt der Kläger dem ar­beits­ge­richt­li­chen Ur­teil bei. Er hält zunächst jeg­li­chen neu­en Tat­sa­chen­vor­trag des Be­klag­ten in der Be­ru­fungs­in­stanz we­gen pro­zes­sua­ler Ver­spätung für un­zulässig. Im Übri­gen ist er der Auf­fas­sung, ein Grund für ei­ne außer­or­dent­li­che Kündi­gung des Ar­beits­verhält­nis­ses lie­ge we­der im Hin­blick auf die Ge­scheh­nis­se am 15.04.2010 noch bezüglich der­je­ni­gen des Fol­ge­ta­ges vor. Die Kündi­gung sei je­den­falls un­verhält­nismäßig. Die hilfs­wei­se erklärten or­dent­li­chen Kündi­gun­gen gin­gen ins Lee­re, da das Recht zur or­dent­li­chen Kündi­gung ar­beits­ver­trag­lich nicht wirk­sam ver­ein­bart wor­den sei. Dem Kläger ste­he da­her rest­li­che Vergütung in Höhe von 5.284,35 € zu.

Hin­sicht­lich der späte­ren Fol­gekündi­gung rügt der Kläger, dass ihm das wei­te­re Kündi­gungs­schrei­ben vom 17.03.2011 nicht zu­ge­gan­gen sei. Auch ei­ne Zu­gangs­ver­ei­te­lung sei nicht ge­ge­ben, da er nach dem ge­richt­li­chen Ver­gleich nicht mehr mit ei­ner wei­te­ren Kündi­gung ha­be rech­nen müssen.

Das Ge­richt hat Be­weis er­ho­ben gemäß Be­weis­be­schluss vom 01.06.2011 durch Ver­neh­mung der Zeu­gin K. We­gen des Er­geb­nis­ses der Be­weis­auf­nah­me wird auf das Sit­zungs­pro­to­koll vom 20.01.2012 (Bl. 450 ff. d. A.) ver­wie­sen. We­gen der wei­te­ren Ein­zel­hei­ten des Sach- und Streit­stan­des wird auf die ge­wech­sel­ten Schriftsätze nebst An­la­gen so­wie die Sit­zungs­nie­der­schrif­ten Be­zug ge­nom­men.


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E n t s c h e i d u n g s g r ü n d e

I. Die Be­ru­fung des Be­klag­ten ist zulässig, weil sie statt­haft (§ 64 Abs. 1 und 2 ArbGG) und frist- so­wie form­ge­recht ein­ge­legt und be­gründet wor­den ist (§§ 66 Abs. 1, 64 Abs. 6 S. 1 ArbGG, 519, 520 ZPO).

II. Das Rechts­mit­tel hat auch in der Sa­che teil­wei­se Er­folg.

1. Der Fest­stel­lungs­an­trag des Be­klag­ten ist be­gründet. Der Pro­zess­ver­gleich vom 16.03.2011 ist un­wirk­sam, weil die An­fech­tung des Be­klag­ten be­rech­tigt ist. Der Kläger hat den Be­klag­ten durch arg­lis­ti­ge Täuschung zum Ab­schluss des Ver­gleichs be­stimmt. Die An­fech­tung be­wirkt gemäß § 142 Abs. 1 BGB die Nich­tig­keit des Ver­gleichs.

a. Gemäß § 123 BGB kann auch ein ge­richt­li­cher Ver­gleich an­ge­foch­ten wer­den, wenn ei­ne Par­tei vom Pro­zess­geg­ner oder ei­nem Drit­ten, des­sen Ver­hal­ten sich der Pro­zess­geg­ner zu­rech­nen las­sen muss, durch arg­lis­ti­ge Täuschung zum Ab­schluss ei­nes Ver­gleichs be­stimmt wor­den ist. Das folgt aus der Dop­pel­na­tur des Pro­zess­ver­gleichs (BAG, Ur­teil vom 15.05.1997 - 2 AZR 43/96, NZA 1998, 33; BAG, Ur­teil vom 23.11.2006 - 6 AZR 394, NZA 2007, 466 je­weils mit wei­te­ren Nach­wei­sen aus der Recht­spre­chung). Der Streit um die Wirk­sam­keit des Ver­gleichs ist in dem­sel­ben Ver­fah­ren aus­zu­tra­gen, das durch den Ver­gleich be­en­det wer­den soll­te (vgl. BAG, a. a. O.).

b. Gemäß § 123 Abs. 1 BGB kann der­je­ni­ge, der zur Ab­ga­be ei­ner Wil­lens­erklärung durch arg­lis­ti­ge Täuschung be­stimmt wor­den ist, die Erklärung an­fech­ten.

Ei­ne sol­che Täuschung kann durch Vor­spie­ge­lung oder Ent­stel­lung von Tat­sa­chen er­fol­gen, wo­bei sich die­se auf nach­prüfba­re Umstände und nicht nur auf bloße Wert­ur­tei­le be­zie­hen müssen (Pa­landt/El­len­ber­ger, BGB, 70. Aufl., § 123 Rn. 3). Arg­lis­tig ist ei­ne Täuschung, wenn der Täuschen­de weiß oder bil­li­gend in Kauf nimmt, dass sei­ne Be­haup­tun­gen nicht der Wahr­heit ent­spre­chen (BAG, Ur­teil vom 12.05.2011 - 2 AZR 479/09, NZA-RR 2012, 43).



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Sch­ließlich muss die Täuschung für die an­ge­foch­te­ne Wil­lens­erklärung des Getäusch­ten ursächlich ge­we­sen sein. Ei­ne Wil­lens­erklärung kann nur dann an­ge­foch­ten wer­den, wenn der An­fech­ten­de ei­nem auf die Be­stim­mung des Wil­lens ge­rich­te­ten Ver­lan­gen nach­ge­ge­ben und die Wil­lens­erklärung nicht aus ei­ge­ner, selbständi­ger Über­le­gung ab­ge­ge­ben hat (BAG, Ur­teil vom 23.11.2006 - 6 AZR 394/06, BA­GE 120,251; BAG, Ur­teil vom 12.05.2010 - 2 AZR 544/08, NZA 2010, 1250).

c. Bei An­wen­dung die­ser Grundsätze ist von ei­ner er­heb­li­chen, arg­lis­ti­gen Täuschung des Klägers beim Ab­schluss des ge­richt­li­chen Ver­gleichs vom 16.03.2011 aus­zu­ge­hen.

Für den Be­klag­ten war der Um­fang des vom Kläger er­ziel­ten Zwi­schen­ver­diens­tes die ent­schei­den­de Grund­la­ge für die kon­kre­te Aus­ge­stal­tung des Ver­gleichs in fi­nan­zi­el­ler Hin­sicht. Das hat der Be­klag­te in der münd­li­chen Ver­hand­lung am 16.03.2011 deut­lich zum Aus­druck ge­bracht. Er woll­te nämlich zunächst den Ab­schluss des Ver­gleichs von der Vor­la­ge ent­spre­chen­der Ver­dienst­be­schei­ni­gun­gen durch den Kläger abhängig ma­chen. Erst nach­dem der Vor­sit­zen­de den Kläger kon­kret zu sei­nem im Zeit­raum vom 19.07. bis 30.09.2010 er­ziel­ten Zwi­schen­ver­dienst be­fragt und die­sen er­mahnt hat­te, dass ei­ne fal­sche An­ga­be ei­nen Pro­zess­be­trug be­deu­ten würde, und nach­dem die Erklärun­gen des Klägers wört­lich pro­to­kol­liert wor­den wa­ren, hat der Be­klag­te dem Ver­gleich in der pro­to­kol­lier­ten Fas­sung zu­ge­stimmt.

Die An­ga­ben des Klägers zu sei­nem Brut­to­ver­dienst wa­ren ob­jek­tiv falsch. Der Kläger hat erst­ma­lig im erst­in­stanz­li­chen Kam­mer­ter­min am 01.10.2010 auf Nach­fra­ge des Ge­richts be­haup­tet, er ha­be vom 19.07.2010 bis 30.09.2010 ei­nen Zwi­schen­ver­dienst in Höhe von 2.060,25 € brut­to er­zielt. Nach­dem der Be­klag­te die­se An­ga­be in der Be­ru­fungs­be­gründung an­ge­zwei­felt hat­te, hat der Kläger die­sen Be­trag auf er­neu­te Nach­fra­ge des Vor­sit­zen­den der Be­ru­fungs­kam­mer mehr als fünf Mo­na­te später in der ers­ten Be­ru­fungs­ver­hand­lung aus­drück­lich wie­der­holt. Er hat da­mit be­wusst und ge­wollt ge­han­delt. Ei­ne irrtümli­che Falsch­an­ga­be ist aus­ge­schlos­sen.



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Ins­be­son­de­re ge­hen die Erklärungs­ver­su­che der Pro­zess­be­vollmäch­tig­ten des Klägers ins Lee­re, der Kläger ha­be sich hin­sicht­lich der An­ga­be des Brut­to- und Net­to­be­trags ge­irrt. Denn nach den nun­mehr vor­lie­gen­den Ver­dienstab­rech­nun­gen der Fir­ma P I GmbH steht fest, dass es sich bei dem vom Kläger an­ge­ge­be­nen Be­trag von 2.060,25 € auch nicht um sei­nen Net­to­ver­dienst in dem frag­li­chen Zeit­raum ge­han­delt hat. Die­ser be­trug nämlich 2.610,36 €.

Letzt­lich meint der Kläger auch zu Un­recht, es feh­le an der Kau­sa­lität im vor­ge­nann­ten Sinn. Dem Be­klag­ten war die tatsächli­che Höhe des Zwi­schen­ver­diens­tes des Klägers im frag­li­chen Zeit­raum vor Ab­schluss des Ver­gleichs am 16.03.2011 nicht be­kannt. Das steht nach dem Er­geb­nis der Be­weis­auf­nah­me zur Über­zeu­gung des Be­ru­fungs­ge­richts fest.

Die Zeu­gin K hat aus­ge­sagt, sie sei von dem ihr bis da­hin un­be­kann­ten Be­klag­ten an­ge­ru­fen wor­den. An das ge­naue Da­tum konn­te sie sich nicht er­in­nern. Wohl wuss­te sie noch, dass sie nur ein­mal mit dem Be­klag­ten te­le­fo­niert ha­be. Die­ser ha­be nämlich in der Fol­ge­zeit noch mehr­mals ver­sucht mit ihr zu spre­chen. Sie ha­be dies aber un­ter­las­sen, weil sie nichts mehr zu der An­ge­le­gen­heit ha­be sa­gen wol­len. An den In­halt des Te­le­fo­nats konn­te sich die Zeu­gin gut er­in­nern. Das erklärte sie da­mit, dass sie sich im Nach­hin­ein geärgert ha­be, dass sie ei­nem Drit­ten über die Einkünf­te des Klägers Aus­kunft er­teilt hat­te. So er­in­ner­te sich die Zeu­gin, dass der Be­klag­te von ei­nem Ge­richts­ter­min be­rich­tet ha­be, in dem der Kläger von Dum­pinglöhnen der P ge­spro­chen ha­be. Auf die Bit­te des Be­klag­ten ha­be sie die­sem dann die Ver­dienstab­rech­nun­gen des Klägers per Te­le­fax über­sandt. Die­se Be­kun­dun­gen der Zeu­gin wa­ren un­ein­ge­schränkt glaub­haft. Die Kam­mer sieht auch kei­ne An­halts­punk­te, die Zwei­fel an der Glaubwürdig­keit der Zeu­gin be­gründen könn­ten. Im Ge­gen­teil hat die Zeu­gin äußerst glaub­haft be­schrie­ben, dass sie sich letzt­lich von dem Be­klag­ten über­rum­pelt gefühlt und so sei­ner­zeit spon­tan und unüber­legt ge­han­delt hat. Ge­ra­de die­se glei­cher­maßen glaub­haft ge­schil­der­ten nachträgli­chen Be­den­ken bestäti­gen aus Sicht der Kam­mer den Wahr­heits­ge­halt der Zeu­gen­aus­sa­ge. An­halts­punk­te dafür, dass die Zeu­gin dem Be­klag­ten die In­for­ma­ti­on über den Ver­dienst des



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Klägers be­reits vor dem 16.03.2011 er­teilt hat, er­ge­ben sich da­mit in kei­ner­lei Hin­sicht.

d. Mit der Wirk­sam­keit der An­fech­tung steht so­mit fest, dass der Pro­zess­ver­gleich auch als Pro­zess­hand­lung un­wirk­sam ist. Sei­ne pro­zess­be­en­den­de Wir­kung ist nicht ein­ge­tre­ten. Die Rechtshängig­keit des ursprüng­li­chen Kündi­gungs­schutz­pro­zes­ses be­steht da­mit fort.

2. Auch die wei­ter­ge­hen­de Be­ru­fung des Be­klag­ten hat in der Sa­che teil­wei­se Er­folg. Das gilt zunächst hin­sicht­lich der Kündi­gungs­schutz­anträge des Klägers. Die Kündi­gung des Be­klag­ten vom 19.04.2010 ist zwar als außer­or­dent­li­che Kündi­gung rechts­un­wirk­sam, hat aber das Ar­beits­verhält­nis des Klägers als hilfs­wei­se or­dent­li­che Kündi­gung zum 31.05.2010 be­en­det. Sämt­li­che Fol­gekündi­gun­gen ge­hen im Hin­blick auf die­se Be­en­di­gung des Ar­beits­verhält­nis­ses ins Lee­re.

a. Die außer­or­dent­li­che Kündi­gung vom 19.04.2010 ist un­wirk­sam und hat das Ar­beits­verhält­nis des Klägers nicht mit so­for­ti­ger Wir­kung be­en­det, denn es fehlt am Vor­lie­gen ei­nes wich­ti­gen Kündi­gungs­grun­des.

aa. Gemäß § 626 Abs. 1 BGB kann ein Ar­beits­verhält­nis aus wich­ti­gem Grund oh­ne Ein­hal­tung ei­ner Kündi­gungs­frist gekündigt wer­den, wenn Tat­sa­chen vor­lie­gen, auf­grund de­rer dem Kündi­gen­den un­ter Berück­sich­ti­gung al­ler Umstände des Ein­zel­falls und un­ter Abwägung der In­ter­es­sen bei­der Ver­trags­tei­le die Fort­set­zung des Ar­beits­verhält­nis­ses bis zum Ab­lauf der Kündi­gungs­frist nicht zu­ge­mu­tet wer­den kann. Da­bei ist nach ständi­ger Recht­spre­chung des Bun­des­ar­beits­ge­richts ei­ne zwei­stu­fi­ge Prüfung durch­zuführen. Zunächst ist zu prüfen, ob ein be­stimm­ter Sach­ver­halt oh­ne die be­son­de­ren Umstände des Ein­zel­falls an sich ge­eig­net ist, ei­nen Kündi­gungs­grund zu bil­den. Liegt ein sol­cher Sach­ver­halt vor, be­darf es der wei­te­ren Prüfung, ob die Fort­set­zung des Ar­beits­verhält­nis­ses un­ter Berück­sich­ti­gung der kon­kre­ten Umstände des Ein­zel­falls un­ter Abwägung der In­ter­es­sen bei­der Ver­trags­tei­le zu­mut­bar ist oder nicht (vgl. bei­spiels­wei­se BAG, Ur­teil vom 17.04.2006 – 2 AZR 415/05 -, EzA § 626 BGB 2002 Nr. 17;



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BAG, Ur­teil vom 28.08.2008 – 2 AZR 15/07 -, EzA § 626 BGB 2002 Nr. 22; BAG, Ur­teil vom 10.06.2010 – 2 AZR 541/09 -, EzA § 626 BGB 2002 Nr. 32; Ur­teil vom 09.06.2011 – 2 AZR 381/10 -, NZA 2011, 1027 je­weils mit wei­te­ren Nachw.).

bb. Der Be­klag­te be­gründet die Kündi­gung da­mit, dass der Kläger am 15.04.2010 un­be­rech­tig­ter­wei­se im Büro sei­nen pri­va­ten Ra­sier­ap­pa­rat auf­ge­la­den und am dar­auf­fol­gen­den Tag, dem 16.04.2010, mehr als ei­ne St­un­de vor Dienst­schluss die Kanz­leiräume ver­las­sen ha­be, oh­ne dies mit dem Be­klag­ten oder der Büro­vor­ste­he­rin ab­geklärt zu ha­ben.

Bei­de Gründe sind be­reits "an sich" un­ge­eig­net, ei­nen Grund für ei­ne außer­or­dent­li­che Kündi­gung zu be­gründen. Der ers­te Um­stand der "Strom­un­ter­schla­gung" stellt an­ge­sichts der mit dem La­de­vor­gang für den Be­klag­ten ver­bun­de­nen äußerst ge­ringfügi­gen wirt­schaft­li­chen Be­las­tung of­fen­sicht­lich ei­ne Lap­pa­lie dar. Selbst wenn man die Vor­aus­set­zun­gen der ers­ten Prüfungs­stu­fe be­ja­hen würde, wäre die Re­ak­ti­on des Be­klag­ten je­den­falls of­fen­sicht­lich un­verhält­nismäßig. Auch der zwei­te Vor­wurf, der Kläger ha­be un­be­rech­tig­ter­wei­se mehr als ei­ne St­un­de vor Dienst­schluss sei­nen Ar­beits­platz ver­las­sen, ver­mag die An­for­de­run­gen, die an ei­nen "an sich" zur Kündi­gung be­rech­ti­gen­den Grund zu stel­len sind, nicht zu erfüllen. Auch hier hätte es zunächst ei­nes klären­den Per­so­nal­gesprächs bzw. des Aus­spruchs ei­ner deut­li­chen Ab­mah­nung be­durft. Das gilt um­so mehr, als nach dem ei­ge­nen Vor­trag des Be­klag­ten das Ver­hal­ten des Klägers nicht zu nach­tei­li­gen be­trieb­li­chen Aus­wir­kun­gen geführt hat. Auch hier hat der Be­klag­te mit dem Aus­spruch der außer­or­dent­li­chen, frist­lo­sen Kündi­gung deut­lich über­re­agiert.

b. Dem­ge­genüber ist die hilfs­wei­se erklärte or­dent­li­che Kündi­gung rechts­wirk­sam und hat das Ar­beits­verhält­nis des Klägers zum 31.05.2010 be­en­det.

aa. Ent­ge­gen der Rechts­auf­fas­sung des Ar­beits­ge­richts ha­ben die Par­tei­en in dem be­fris­tet ab­ge­schlos­se­nen schrift­li­chen Ar­beits­ver­trag die Möglich­keit der or­dent­li­chen Kündi­gung wirk­sam ver­ein­bart. Der schrift­li­che Ar­beits­ver­trag



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enthält in § 2 un­ter der Über­schrift "Pro­be­zeit/Kündi­gungs­fris­ten" fol­gen­de Re­ge­lung:

"Das auf zunächst 6 Mo­na­te be­fris­te­te An­stel­lungs­verhält­nis gilt als Pro­be­zeit und wird da­nach bis zum 04.05.11 be­fris­tet.
Während der Pro­be­zeit können bei­de Par­tei­en den An­stel­lungs­ver­trag nur un­ter Ein­hal­tung ei­ner Frist von 2 Wo­chen kündi­gen.
Wird das Ar­beits­verhält­nis über die je­wei­li­gen Be­fris­tun­gen hin­aus fort­ge­setzt, gel­ten die ge­setz­li­chen Kündi­gungs­fris­ten."

Die Re­ge­lung im drit­ten Ab­satz des § 2 ist ein­deu­tig. Die Par­tei­en ha­ben aus­drück­lich die Gel­tung der ge­setz­li­chen Kündi­gungs­fris­ten, al­so § 622 BGB, ver­ein­bart. Dass in Satz 1 des drit­ten Ab­sat­zes der Be­griff der Be­fris­tun­gen im Plu­ral ver­wandt wird, ist unschädlich und führt nicht zu ei­ner Mehr­deu­tig­keit der Ver­trags­klau­sel. Die­se knüpft viel­mehr er­kenn­bar an die im zwei­ten Ab­satz ver­ein­bar­te Kündi­gungs­frist in der Pro­be­zeit an und ermöglicht die or­dent­li­che Kündi­gung, wenn das Ar­beits­verhält­nis über die Pro­be­zeit hin­aus fort­ge­setzt wird. Zusätz­lich ha­ben die Par­tei­en dann noch ver­ein­bart, dass die ge­setz­li­chen Kündi­gungs­fris­ten auch dann zur An­wen­dung kom­men sol­len, wenn das be­fris­te­te Ar­beits­verhält­nis selbst über das ver­ein­bar­te Be­fris­tungs­en­de hin­aus wei­ter fort­geführt wird. Das würde zwar oh­ne die­se Re­ge­lung oh­ne­hin kraft Ge­set­zes gel­ten, die Wie­der­ho­lung ei­ner ge­setz­li­chen Re­ge­lung im Ar­beits­ver­trag ist aber grundsätz­lich recht­lich un­pro­ble­ma­tisch.

bb. Die Par­tei­en ha­ben in der münd­li­chen Be­ru­fungs­ver­hand­lung am 01.06.2011 un­strei­tig ge­stellt, dass die An­wen­dungs­vor­aus­set­zun­gen des Kündi­gungs­schutz­ge­set­zes nicht erfüllt sind. Da das Ar­beits­verhält­nis des Klägers im Kündi­gungs­zeit­punkt noch kei­ne zwei Jah­re be­stand, gilt gemäß § 622 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 BGB ei­ne Kündi­gungs­frist von ei­nem Mo­nat zum Mo­nats­en­de. Das Ar­beits­verhält­nis en­de­te mit­hin am 31.05.2010. Ei­ne Be­fas­sung mit den vor­sorg­lich be­klag­ten­seits aus­ge­spro­che­nen Fol­gekündi­gun­gen erübrigt sich da­mit.



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3. Der Kläger hat ge­gen den Be­klag­ten für die Zeit vom 01.04.2010 bis 31.05.2010 ei­nen An­spruch auf rest­li­che Vergütung in Höhe von 2.374,10 € brut­to. Die­ser An­spruch folgt für den Zeit­raum vom 01. bis 19.04.2010 aus § 611 Abs. 1 BGB in Ver­bin­dung mit dem Ar­beits­ver­trag so­wie für die Zeit da­nach un­ter dem Ge­sichts­punkt des An­nah­me­ver­zu­ges aus § 615 Satz 1 BGB.

An­nah­me­ver­zug im Sin­ne des § 615 Satz 1 BGB liegt im­mer dann vor, wenn der Ar­beit­neh­mer ar­bei­ten will, der Ar­beit­ge­ber den Ar­beit­neh­mer je­doch nicht beschäfti­gen kann oder will. Für die­sen Fall ord­net § 615 Satz 1 BGB an, dass der Ar­beit­neh­mer die Vergütung ver­lan­gen kann, oh­ne zur Nach­leis­tung der Ar­beit für die Zeiträume, in de­nen der Ar­beit­ge­ber sie nicht an­ge­nom­men hat, ver­pflich­tet zu sein. Haupt­an­wen­dungs­fall des An­nah­me­ver­zugs ist die Nicht­beschäfti­gung des Ar­beit­neh­mers nach Aus­spruch ei­ner ar­beit­ge­ber­sei­ti­gen Kündi­gung, die sich im Nach­hin­ein als un­wirk­sam her­aus­stellt.

Die­se Vor­aus­set­zun­gen sind hier erfüllt. Die außer­or­dent­li­che Kündi­gung des Be­klag­ten vom 19.04.2010 ist rechts­un­wirk­sam und hat das Ar­beits­verhält­nis des Klägers erst zum 31.05.2010 be­en­det. Der Be­klag­te be­fand sich mit­hin für die Dau­er der Kündi­gungs­frist im An­nah­me­ver­zug.

Da­nach schul­det der Be­klag­te dem Kläger für den Mo­nat April 2010 die ver­trag­lich ver­ein­bar­te Vergütung in Höhe von 1.150 € brut­to zuzüglich der glei­cher­maßen ver­ein­bar­ten Fahrt­kos­ten­pau­scha­le in Höhe von 74,10 € brut­to. Ob­wohl es sich bei letz­te­rer um ei­ne Auf­wands­entschädi­gung han­delt und dem Kläger auf­grund der außer­or­dent­li­chen Kündi­gung ein sol­cher Auf­wand nach dem 19.04.2010 nicht mehr ent­stan­den ist, ist der Be­klag­te zur un­gekürz­ten Zah­lung der Fahrt­kos­ten ver­pflich­tet, da er die­se pau­schal ver­ein­bart hat. Für den dar­auf­fol­gen­den Mo­nat Mai schul­det der Be­klag­te je­doch nur das rei­ne Ge­halt in Höhe von 1.150 €. Die Fahrt­kos­ten­pau­scha­le fällt we­gen ih­res Entschädi­gungs­cha­rak­ters nicht an.

An­der­wei­ti­ge an­re­chen­ba­re Einkünf­te im Sin­ne von § 615 Satz 2 BGB hat der Kläger in den Mo­na­ten April und Mai 2010 un­strei­tig nicht er­zielt. Der



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Ver­dienst aus der Ne­bentätig­keit im Rah­men des 400-Eu­ro-Jobs ist nicht an­re­chen­bar. In­so­weit wird auf die zu­tref­fen­de Be­gründung im erst­in­stanz­li­chen Ur­teil Be­zug ge­nom­men. Auch die vom Be­klag­ten an­geführ­te Be­weis­last­um­kehr greift nicht ein.

4. Der Zins­an­spruch folgt aus §§ 291, 288 BGB.

5. Wei­ter­ge­hen­de Zah­lungs­ansprüche des Klägers be­ste­hen auf­grund der Be­en­di­gung des Ar­beits­verhält­nis­ses zum 31.05.2010 nicht. Das Glei­che gilt für den zweit­in­stanz­lich erst­mals hilfs­wei­se vom Kläger ge­stell­ten Aus­kunfts­an­spruch. Auch die­ser be­trifft ei­nen nach Be­en­di­gung des Ar­beits­verhält­nis­ses lie­gen­den Zeit­raum. Im Übri­gen fehlt es in­so­weit auch an ei­ner An­spruchs­grund­la­ge.

III. Die Kos­ten­ent­schei­dung be­ruht auf §§ 64 Abs. 6 ArbGG, 92 Abs. 1 ZPO.

Die Re­vi­si­on war nicht nach § 72 Abs. 2 ArbGG zu­zu­las­sen. Ins­be­son­de­re ging es nicht um ei­ne Rechts­fra­ge von grundsätz­li­cher Be­deu­tung, da die ent­schei­dungs­er­heb­li­chen Rechts­fra­gen höchst­rich­ter­lich geklärt sind und die Ent­schei­dung im Übri­gen auf den be­son­de­ren Umständen des Ein­zel­falls be­ruht.


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Rechts­mit­tel­be­leh­rung

Ge­gen die­se Ent­schei­dung ist ein Rechts­mit­tel nicht ge­ge­ben. Auf die Möglich­keit der Nicht­zu­las­sungs­be­schwer­de gemäß § 72a ArbGG wird hin­ge­wie­sen.

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