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ARBEITSRECHT AKTUELL // 15/278

Min­dest­lohn für Zei­tungs­zu­stel­ler

Zei­tungs­zu­stel­ler, die per Hand Wer­be­pro­spek­te in die aus­zu­tei­len­den Zei­tun­gen ein­sor­tie­ren, kön­nen den vol­len Min­dest­lohn von 8,50 EUR ver­lan­gen: Ar­beits­ge­richt Nien­burg, Ur­teil vom 14.08.2015, 2 Ca 151/15
Zeitungslektüre Newsletter Oh­ne Dum­ping­löh­ne kei­ne Pres­se­frei­heit?

05.10.2015. Seit neun Mo­na­ten gilt in Deutsch­land der all­ge­mei­ne Min­dest­lohn nach dem Min­dest­l­ohn­ge­setz (Mi­LoG).

§ 1 Abs.1 Mi­LoG schreibt vor, dass al­le Ar­beit­neh­mer ei­nen An­spruch auf ein Ar­beits­ent­gelt in Hö­he des Min­dest­lohns ha­ben. Und die­ser be­trägt, so § 1 Abs.2 Mi­LoG, ab An­fang 2015 pro St­un­de 8,50 EUR brut­to.

Doch es gibt Aus­nah­men. So ha­ben Zei­tungs­zu­stel­ler ge­mäß § 24 Abs.2 Mi­LoG für ei­ne Über­gangs­zeit nur ei­nen ver­rin­ger­ten Min­dest­lohn­an­spruch

Un­ter wel­chen Vor­aus­set­zun­gen Zei­tungs­zu­stel­ler doch den re­gu­lä­ren Min­dest­lohn ver­lan­gen kön­nen, zeigt das Ar­beits­ge­richt Nien­burg: Ar­beits­ge­richt Nien­burg, Ur­teil vom 14.08.2015, 2 Ca 151/15.

Wie weit reicht die Aus­nah­me­re­ge­lung für Zei­tungs­aus­träger beim Min­dest­lohn?

§ 24 Abs.2 Mi­LoG enthält ei­ne Aus­nah­me­re­ge­lung vom Min­dest­lohn zu­las­ten von Zei­tungs­zu­stel­lern. Sie müssen sich für ei­ne Über­g­angs­zeit von drei Jah­ren (An­fang 2015 bis En­de 2017) mit ei­nem ge­rin­ge­ren Lohn als 8,50 EUR zu­frie­den ge­ben.

Der über­g­angs­wei­se Min­dest­lohn beträgt

  • im Jahr 2015 6,38 EUR (ent­spricht 75 Pro­zent des ge­setz­li­chen Min­dest­lohns)
  • im Jahr 2016 7,23 EUR (ent­spricht 85 Pro­zent des ge­setz­li­chen Min­dest­lohns)
  • im Jahr 2017 8,50 EUR (das ent­spricht 100 Pro­zent des der­zei­ti­gen ge­setz­li­chen Min­dest­lohns, doch wird der Min­dest­lohn im Jah­re 2017 vor­aus­sicht­lich höher sein).

Nach der Be­gründung des Aus­schus­ses für Ar­beit und So­zia­les soll die Aus­nah­me­re­ge­lung da­zu die­nen, die Pres­se­frei­heit (Art.5 Abs.1 Satz 2 Grund­ge­setz - GG) zu schützen.

Denn oh­ne Zei­tungs­zu­stel­lung kei­ne funk­tio­nie­ren­de freie Pres­se, so die of­fi­zi­el­le Ar­gu­men­ta­ti­on. Und da der Min­dest­lohn die Zu­stel­lung und da­mit die Zei­tun­gen teu­rer macht, wäre die freie Pres­se in länd­li­chen und struk­tur­schwa­chen Re­gio­nen durch den Min­dest­lohn von 8,50 EUR für Zei­tungs­zu­stel­ler be­droht. Da­her gibt es ei­ne stu­fen­wei­se An­he­bung des Min­dest­lohns für die Zei­tungs­zu­stel­lung, die 2015 zunächst nur 6,38 EUR brut­to be­kom­men.

§ 24 Abs. 2 Satz 2 Mi­LoG stellt klar, wer un­ter die­se Aus­nah­me­re­ge­lung fällt. Da­nach sind

"Zei­tungs­zu­stel­le­rin­nen und Zei­tungs­zu­stel­ler [...] Per­so­nen, die in ei­nem Ar­beits­verhält­nis aus­sch­ließlich pe­ri­odi­sche Zei­tun­gen oder Zeit­schrif­ten an End­kun­den zu­stel­len; dies um­fasst auch Zu­stel­le­rin­nen und Zu­stel­ler von An­zei­gen­blättern mit re­dak­tio­nel­lem In­halt."

An­ge­sichts die­ser Re­ge­lung fragt sich, was al­les un­ter "Zu­stel­len" fällt. Ist da­mit die rei­ne Ver­teiltätig­keit ge­meint oder fal­len auch Hilfs- und Ne­bentätig­kei­ten wie das Be­la­den von Wa­gen usw. dar­un­ter?

Un­klar ist auch, wann das Zu­stel­len von Wer­be­pro­spek­ten von der Aus­nah­me­re­gel um­fasst ist. Denn nach § 24 Abs.2 Satz 2 Mi­LoG gilt der ver­rin­ger­te Min­dest­lohn

  • "aus­sch­ließlich"
  • für das "Zu­stel­len"
  • von "pe­ri­odi­schen Zei­tun­gen und Zeit­schrif­ten" so­wie
  • von "An­zei­geblättern mit re­dak­tio­nel­lem In­halt".

Hier kann man ar­gu­men­tie­ren, dass das Zu­stel­len von Wer­be­pro­spek­ten, die un­selbständi­ger Teil ei­ner "nor­ma­len" Zei­tung sind, zum Zei­tungs­zu­stel­len da­zu­gehört. Denn wenn so­gar An­zei­geblätter (mit re­dak­tio­nel­lem Teil) un­ter § 24 Abs.2 Satz 2 Mi­LoG fal­len, soll­te das erst Recht für Wer­be­pro­spek­te gel­ten, die Be­stand­teil ei­ner "nor­ma­len" Zei­tung sind.

Aber wie steht es mit Wer­be­pro­spek­ten, die we­der druck­tech­nisch als Be­stand­teil zu ei­ner Zei­tung gehören noch fest mit ihr ver­bun­den sind (z.B. durch ei­ne Ver­klam­me­rung), son­dern per Hand vom Zu­stell­bo­ten in die Zei­tung ein­ge­legt wer­den? Zu die­ser Fra­ge hat das Ar­beits­ge­richt Nien­burg Stel­lung ge­nom­men: Ar­beits­ge­richt Nien­burg, Ur­teil vom 14.08.2015, 2 Ca 151/15.

Im Streit: Zei­tungs­zu­stel­ler ver­teilt zusätz­lich Wer­be­pro­spek­te, die er per Hand in die Zei­tun­gen ein­le­gen muss

Der Kläger ar­bei­te­te seit April 2014 als Zei­tungs­zu­stel­ler. Er teil­te an sechs Ta­gen in der Wo­che Ta­ges­zei­tun­gen und An­zei­geblätter aus. Die Wer­be­pro­spek­te la­gen da­bei nicht im­mer in die Zei­tung, wenn sie am Ab­la­de­punkt an­ge­lie­fert wur­den. Teil­wei­se muss­ten der Kläger sie per Hand in die Zei­tung ein­le­gen. 

Der Ar­beit­ge­ber zahl­te un­ter Be­ru­fung auf den ver­min­der­ten Min­dest­lohn gemäß § 24 Abs. 2 Satz 2 Mi­LoG pro St­un­de 6,38 EUR. Außer­dem er­hielt der Zu­stel­ler für Wer­be­ka­ta­lo­ge ei­nen Stück­lohn von 0,06 EUR pro Ka­ta­log.

Der Kläger war der Mei­nung, dass die Aus­nah­me­re­ge­lung des § 24 Abs.2 Satz 2 Mi­LoG auf ihn nicht an­zu­wen­den sei und klag­te da­her vor dem Ar­beits­ge­richt Nien­burg ei­ne Lohn­nach­zah­lung auf der Grund­la­ge des Min­dest­lohns von 8,50 EUR ein.

Ar­beits­ge­richt Nien­burg: Zei­tungs­aus­träger, die Wer­be­pro­spek­te per Hand in die Zei­tun­gen ein­le­gen und die­se dann zu­stel­len, können 8,50 EUR Min­dest­lohn ver­lan­gen

Das Ar­beits­ge­richt Nien­burg gab dem Zei­tungs­aus­träger Recht und ver­ur­teil­te den Ar­beit­ge­ber zu ei­ner Lohn­nach­zah­lung von 619,90 EUR brut­to für die Zeit von Ja­nu­ar bis Mai 2015. Da­bei leg­te das Ge­richt ei­nen St­un­den­lohn von 8,50 EUR brut­to zu­grun­de, d.h. den nor­ma­len Min­dest­lohn.

Denn, so das Ar­beits­ge­richt Nien­burg: Zum "Zu­stel­len" gehören zwar auch Hilfs- und Ne­bentätig­kei­ten wie das Be­pa­cken des Wa­gens, nicht aber das Ein­sor­tie­ren von Wer­be­pro­spek­ten in die Zei­tun­gen, die aus­ge­tra­gen wer­den sol­len. Die­ses "Kon­fek­tio­nie­ren" kann nämlich vom Aus­tra­gen ge­trennt und durch drit­te Per­so­nen er­le­digt wer­den. Und da Aus­nah­me­re­ge­lun­gen wie § 24 Abs.2 Satz 2 Mi­LoG eng aus­zu­le­gen sind, fällt das "händi­sche" Ein­sor­tie­ren von Pro­spek­ten in die Zei­tun­gen nicht mehr un­ter die Aus­nah­me­vor­schrift.

Ergänzend be­ruft sich das Ar­beits­ge­richt auf den Zweck der Aus­nah­me­re­ge­lung. Mit § 24 Abs.2 Satz 2 Mi­LoG woll­te der Ge­setz­ge­ber er­rei­chen, dass ak­tu­el­len Pres­se­pro­duk­te die Le­ser recht­zei­tig er­rei­chen. Da­her ist es sinn­voll, die Aus­nah­me­re­ge­lung nur auf sol­che Ar­bei­ten zu er­stre­cken, die für die recht­zei­ti­ge Aus­lie­fe­rung der Zei­tun­gen selbst er­for­der­lich sind, und da­zu gehört das Kon­fek­tio­nie­ren von Wer­be­ma­te­ri­al nicht.

Fa­zit: Das Ar­beits­ge­richt Nien­burg be­tont, dass sich das Wört­chen "aus­sch­ließlich" in § 24 Abs.2 Satz 2 Mi­LoG so­wohl auf die Ar­beit des Zu­stel­lens als auch auf die aus­zu­tra­gen­den Pro­duk­te be­zieht. Zei­tungs­zu­stel­ler sind die­ser Les­art zu­fol­ge Ar­beit­neh­mer, die

  • aus­sch­ließlich pe­ri­odi­sche Zei­tun­gen oder Zeit­schrif­ten aus­tra­gen (al­so z.B. kei­ne Wer­be­ka­ta­lo­ge), und die da­bei
  • aus­sch­ließlich mit Ar­bei­ten der Zu­stel­lung an End­kun­den be­fasst sind (al­so z.B. nicht mit dem Ein­sor­tie­ren von Wer­be­pro­spek­ten in die Zei­tun­gen).

Da­her un­terfällt auch das Ver­tei­len von Zei­tun­gen, in die Wer­be­pro­spek­te be­reits vor­ab ma­schi­nell ein­ge­schos­sen sind, dem Min­dest­lohn. Denn sol­che Pro­duk­te be­ste­hen nicht "aus­sch­ließlich" aus pe­ri­odi­schen Zei­tun­gen oder Zeit­schrif­ten und sie sind auch kei­ne "An­zei­gen­blätter mit re­dak­tio­nel­lem In­halt" im Sin­ne von § 24 Abs.2 Satz 2, 2. Halb­satz Mi­LoG.

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Letzte Überarbeitung: 13. November 2020

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