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LAG Rhein­land-Pfalz, Ur­teil vom 15.11.2011, 3 Sa 493/11

   
Schlagworte: Minusstunden, Arbeitszeitkonto, Arbeitszeit
   
Gericht: Landesarbeitsgericht Rheinland-Pfalz
Aktenzeichen: 3 Sa 493/11
Typ: Urteil
Entscheidungsdatum: 15.11.2011
   
Leitsätze:
Vorinstanzen: Arbeitsgericht Mainz, Urteil vom 21.07.2011, 9 Ca 2529/10
   

Ak­ten­zei­chen:
3 Sa 493/11
9 Ca 2529/10
ArbG Mainz
Ent­schei­dung vom 15.11.2011

Te­nor:
Die Be­ru­fung der Be­klag­ten ge­gen das Ur­teil des Ar­beits­ge­richts Mainz vom 21. Ju­li 2011 - 9 Ca 2529/10 - wird kos­ten­pflich­tig zurück­ge­wie­sen.
Die Re­vi­si­on wird nicht zu­ge­las­sen.

Tat­be­stand:
Die Par­tei­en strei­ten über die Be­rech­ti­gung ei­nes Lohn­ein­be­halts auf­grund von Mi­nus­stun­den.

Die Kläge­rin war bei der Be­klag­ten, die ei­ne öffent­li­che Ba­de­an­stalt be­treibt, auf­grund Ar­beits­ver­trags vom 14. Mai 2008 (Bl. 40 bis 45 d.A.) seit 01. Ju­li 2008 als Fach­an­ge­stell­te für Bäder­be­trie­be beschäftigt. Der Ar­beits­ver­trag der Par­tei­en enthält u. a. fol­gen­de Re­ge­lun­gen:

"(…)

§ 3

Ar­beits­zeit

Die re­gelmäßige Ar­beits­zeit beträgt 40 Wo­chen­stun­den. Die Ar­beit­neh­me­rin ist ver­pflich­tet, so­weit ge­setz­lich zulässig, Nacht-, Wech­sel­schicht und Sonn- bzw. Fei­er­tags­ar­beit so­wie Mehr- und Übe­r­ar­beit zu leis­ten, wenn der Ar­beit­ge­ber dies (aus be­trieb­li­chen Gründen) an­ord­net.


§ 4

Vergütung

Für ih­re Tätig­keit erhält die Ar­beit­neh­me­rin ein mo­nat­li­ches Ge­halt von 1.780,00 € brut­to. Die Vergütung ist je­weils am letz­ten ei­nes Mo­nats fällig.

Mit die­ser Brut­to­vergütung sind die aus be­trieb­li­chen Gründen an­fal­len­den und vom Ar­beit­neh­mer zu leis­ten­den Über- und Mehr­ar­beits­stun­den so­wie Sonn- und Fei­er­tags­ar­beit ab­ge­gol­ten.

Die Zah­lung der Vergütung er­folgt bar­geld­los. Frau C. wird in­ner­halb von 10 Ta­gen nach Be­ginn des Ar­beits­verhält­nis­ses ein Kon­to er­rich­ten und die Kon­to­num­mer mit­tei­len.

(…)


§ 10

Sons­ti­ges

Al­le ge­gen­sei­ti­gen Ansprüche aus dem Ar­beits­verhält­nis ver­fal­len, wenn sie nicht in­ner­halb von 3 Mo­na­ten nach Fällig­keit schrift­lich gel­tend ge­macht wer­den.

(…)


§ 11

Ver­tragsände­run­gen

Ne­ben­ab­re­den und Ände­run­gen die­ses Ver­trags bedürfen zu ih­rer Rechts­wirk­sam­keit der Schrift­form.

(…)"

Die Be­klag­te er­stellt ei­nen Jah­res­dienst­plan, der un­ter Berück­sich­ti­gung der im Ver­lauf des Jah­res un­ter­schied­li­chen Nach­fra­ge bzw. des un­ter­schied­li­chen An­ge­bots ih­rer Dienst­leis­tun­gen ge­rin­ge­re Ar­beits­zei­ten in den Win­ter­mo­na­ten und erhöhte Ar­beits­zei­ten in den Som­mer­mo­na­ten vor­sieht. Die Dienst­pläne für den be­tref­fen­den Mo­nat wer­den von der Be­klag­ten je­weils ei­nen Mo­nat im Vor­aus er­stellt. In den Ka­len­der­mo­na­ten Ja­nu­ar, Fe­bru­ar, März und April sieht der Dienst­plan vor, dass der be­tref­fen­de Mit­ar­bei­ter an man­chen Ta­gen acht St­un­den und an man­chen Ta­gen über­haupt nicht ar­bei­tet. Es wer­den sog. Mi­nus­stun­den ver­bucht, wenn in den be­tref­fen­den Mo­na­ten we­ni­ger als die re­gelmäßige Ar­beits­zeit ge­ar­bei­tet wird. Während der Hoch­sai­son in den Mo­na­ten Mai bis Sep­tem­ber wer­den die Mit­ar­bei­ter von der Be­klag­ten so ein­ge­setzt, dass auch mit den in den ver­blei­ben­den Mo­na­ten Ok­to­ber bis De­zem­ber zu ver­bu­chen­den Mi­nus­stun­den, die sich auf­grund der wet­ter-/tem­pe­ra­tur­be­ding­ten Nach­fra­gesi­tua­ti­on er­ge­ben, ei­ne gleichmäßige Ar­beits­be­las­tung während ei­nes Ka­len­der­jah­res ent­steht. Für je­den Mo­nat des Ka­len­der­jah­res wird die Vergütung in glei­cher und ver­ein­bar­ter Höhe be­zahlt. Die­se be­trieb­li­che Re­ge­lung war der Kläge­rin be­kannt.

Die Kläge­rin schied auf­grund ih­rer Kündi­gung zum 15. Mai 2010 aus ih­rem Ar­beits­verhält­nis bei der Be­klag­ten aus. Mit den Ab­rech­nun­gen für die Mo­na­te April und Mai 2010 be­hielt die Be­klag­te von der Ar­beits­vergütung der Kläge­rin ei­nen Be­trag in Höhe von 1.372,75 € brut­to für 118,75 Mi­nus­stun­den ein, die sich auf dem Ar­beits­zeit­kon­to der Kläge­rin auf­grund ih­rer dienst­planmäßigen Ar­beits­ein­tei­lung er­ge­ben hat­ten.

Mit Schrei­ben vom 26. Mai 2010 for­der­te die Kläge­rin die Be­klag­te auf, ihr den vol­len Rest­lohn oh­ne Ab­zug zu zah­len. Dem kam die Be­klag­te nicht nach. Die dar­auf­hin vor­ge­richt­lich er­folg­te an­walt­li­che Kor­re­spon­denz en­de­te mit dem Schrei­ben des Pro­zess­be­vollmäch­tig­ten der Kläge­rin vom 27. Au­gust 2010 an den Pro­zess­be­vollmäch­tig­ten der Be­klag­ten.

Mit ih­rer am 20. De­zem­ber 2010 beim Ar­beits­ge­richt Mainz ein­ge­gan­ge­nen Kla­ge, die der Be­klag­ten am 23. De­zem­ber 2010 zu­ge­stellt wor­den ist, ver­folgt die Kläge­rin ih­re For­de­rung auf Aus­zah­lung der ein­be­hal­te­nen Vergütung in Höhe von 1.372,75 € brut­to wei­ter.

Sie hat erst­in­stanz­lich vor­ge­tra­gen, der von der Be­klag­ten vor­ge­nom­me­ne Lohn­ab­zug sei un­zulässig. Falls der Ar­beit­neh­mer selbst gar nicht die Möglich­keit ge­habt ha­be, sei­ne Ar­beits­zeit zu be­stim­men und so Mi­nus­stun­den ab­zu­bau­en, könne er die der ver­ein­bar­ten Ar­beits­zeit ent­spre­chen­de Vergütung auch dann ver­lan­gen, wenn es der Ar­beit­ge­ber versäumt ha­be, Ar­beit im ver­ein­bar­ten zeit­li­chen Um­fang zu­zu­wei­sen. Da sie in der Be­stim­mung ih­rer Ar­beits­zei­ten nicht frei ge­we­sen sei, dürfe bei ihr kei­ne Ver­rech­nung vor­ge­nom­men wer­den.

Die Kläge­rin hat be­an­tragt,
die Be­klag­te zu ver­ur­tei­len, an sie 1.372,75 € brut­to nebst Zin­sen in Höhe von 5 Pro­zent­punk­ten über dem Ba­sis­zins­satz seit dem 01. Ju­ni 2010 zu zah­len.

Die Be­klag­te hat be­an­tragt,
die Kla­ge ab­zu­wei­sen.

Sie hat er­wi­dert, das ne­ga­ti­ve Zeit­gut­ha­ben sei der Sa­che nach ein Lohn­vor­schuss des Ar­beit­ge­bers, der vom Ar­beit­neh­mer aus­zu­glei­chen sei. Im Übri­gen sei die For­de­rung auf­grund der Ver­fall­klau­sel im Ar­beits­ver­trag ver­fal­len bzw. je­den­falls ver­wirkt. Im Hin­blick dar­auf, dass die an­walt­li­che Kor­re­spon­denz mit dem Schrei­ben des Pro­zess­be­vollmäch­tig­ten der Kläge­rin vom 27. Au­gust 2010 ge­en­det ha­be, ha­be sie da­von aus­ge­hen können, dass die Kläge­rin ih­re ver­meint­li­chen Ansprüche nicht wei­ter gel­tend ma­chen wer­de.

Mit Ur­teil vom 21. Ju­li 2011 - 9 Ca 2529/10 - hat das Ar­beits­ge­richt Mainz der Kla­ge statt­ge­ge­ben und zur Be­gründung aus­geführt, dass die Be­klag­te zu dem von ihr vor­ge­nom­me­nen Ein­be­halt im Hin­blick auf den ne­ga­ti­ven Stand des geführ­ten Ar­beits­zeit­kon­tos nicht be­rech­tigt ge­we­sen sei. Ein ne­ga­ti­ves Gut­ha­ben auf ei­nem Ar­beits­zeit­kon­to dürfe nur dann bei Be­en­di­gung des Ar­beits­verhält­nis­ses mit Vergütungs­ansprüchen ei­ner Ar­beit­neh­me­rin ver­rech­net wer­den, wenn die Ent­ste­hung die­ses Ne­ga­tiv­sal­dos al­lein auf der Ent­schei­dung der Ar­beit­neh­me­rin be­ru­he. Falls ein ne­ga­ti­ves Zeit­gut­ha­ben im Hin­blick auf die Aus­las­tung des Ar­beit­ge­bers oder des­sen Ent­schei­dung zur Ar­beits­ein­tei­lung ent­stan­den sei, be­deu­te die Ver­rech­nung mit Ent­gelt­ansprüchen der Ar­beit­neh­me­rin ei­ne Abwälzung des vom Ar­beit­ge­ber zu tra­gen­den Wirt­schafts­ri­si­kos un­ter Um­ge­hung von § 615 BGB. Die Ansprüche der Kläge­rin sei­en auch nicht nach § 10 des Ar­beits­ver­tra­ges ver­fal­len, weil die­se ih­re For­de­rung be­reits mit Schrei­ben vom 26. Mai 2010 gel­tend ge­macht ha­be. Es sei auch kei­ne Ver­wir­kung ein­ge­tre­ten, weil es in­so­weit schon am Zeit­mo­ment feh­le.

Ge­gen das ihr am 03. Au­gust 2011 zu­ge­stell­te Ur­teil des Ar­beits­ge­richts hat die Be­klag­te mit Schrift­satz vom 23. Au­gust 2011, beim Lan­des­ar­beits­ge­richt Rhein­land-Pfalz am glei­chen Tag ein­ge­gan­gen, Be­ru­fung ein­ge­legt und die­se zu­gleich be­gründet.

Die Be­klag­te trägt vor, das Ar­beits­ge­richt ha­be zu Un­recht die sai­son­be­ding­te und der Kläge­rin be­kann­te un­ter­schied­li­che Nach­fra­ge nach ih­ren Dienst­leis­tun­gen als mögli­che Recht­fer­ti­gung für das ein­geführ­te Ent­loh­nungs­sys­tem nicht berück­sich­tigt. Im Hin­blick dar­auf, dass die von ihr be­trie­be­ne Ba­de­an­stalt sai­son­be­dingt un­ter­schied­lich aus­ge­las­tet sei, müsse sich ihr Be­trieb der un­ter­schied­li­chen Aus­las­tung beim Ar­beits­ein­satz an­pas­sen. Ihr Ent­loh­nungs­sys­tem kom­me auch dem wohl­ver­stan­de­nen In­ter­es­se der Be­leg­schaft ent­ge­gen, weil hier­mit die sai­so­nal sonst er­heb­lich un­ter­schied­li­chen Lohnhöhen aus­ge­gli­chen würden. Ei­ne sol­che be­trieb­li­che Übung bin­de auch die Kläge­rin. Die vom Ar­beits­ge­richt her­an­ge­zo­ge­ne Recht­spre­chung des Bun­des­ar­beits­ge­richts be­tref­fe Fra­gen des Ta­rif­ver­trags­rechts und ei­ne sai­so­nal gleichmäßig beschäftig­te Fri­seu­se. Dem­ge­genüber sei sie auf­grund ih­res Geschäfts­be­reichs im Ka­len­der­jahr un­ter­schied­lich aus­ge­las­tet. Das Ar­beits­ge­richt ha­be zu Un­recht ih­ren Vor­trag zu der ge­schil­der­ten be­trieb­li­chen Übung nicht in den Tat­be­stand des an­ge­foch­te­nen Ur­teils auf­ge­nom­men und ih­ren dar­auf ge­rich­te­ten An­trag auf Tat­be­stand­sergänzung vom 10. Au­gust 2011 (Bl. 57, 58 d.A.) zurück­ge­wie­sen.

Die Be­klag­te be­an­tragt,
das Ur­teil des Ar­beits­ge­richts Mainz vom 21. Ju­li 2011 - 9 Ca 2529/10 - ab­zuändern und die Kla­ge ab­zu­wei­sen.

Die Kläge­rin be­an­tragt,
die Be­ru­fung zurück­zu­wei­sen.

Sie er­wi­dert, nach der Ent­schei­dung des Bun­des­ar­beits­ge­richts stel­le es ei­ne un­zulässi­ge Ver­la­ge­rung des un­ter­neh­me­ri­schen Ri­si­kos auf den Ar­beit­neh­mer dar, wenn die­ser sich Mi­nus­stun­den ab­zie­hen las­sen sol­le, ob­wohl er auf de­ren Ent­ste­hung kei­nen Ein­fluss ha­be.

We­gen der wei­te­ren Ein­zel­hei­ten des Sach- und Streit­stan­des wird auf die Schriftsätze der Par­tei­en nebst An­la­gen so­wie auf die Sit­zungs­pro­to­kol­le Be­zug ge­nom­men.

Ent­schei­dungs­gründe:
Die gemäß § 64 Abs. 1 und 2 Buchst. b ArbGG statt­haf­te Be­ru­fung der Be­klag­ten ist form- und frist­ge­recht ein­ge­legt so­wie be­gründet wor­den (§§ 66 Abs. 1, 64 Abs. 6 ArbGG i.V.m. §§ 519, 520 ZPO).

Die hier­nach zulässi­ge Be­ru­fung hat aber in der Sa­che kei­nen Er­folg.

Die zulässi­ge Kla­ge ist be­gründet.

Die Kläge­rin hat gemäß § 611 Abs. 1 BGB ei­nen An­spruch auf Aus­zah­lung des von der ver­ein­bar­ten Vergütung mit den Ab­rech­nun­gen für die Mo­na­te April und Mai 2010 ein­be­hal­te­nen Be­trags in Höhe von 1.372,75 € brut­to. Die Be­klag­te war zu dem von ihr vor­ge­nom­me­nen Lohn­ein­be­halt im We­ge ei­ner Ver­rech­nung von 118,75 Mi­nus­stun­den nicht be­rech­tigt.

1. Nach § 3 Satz 1 des Ar­beits­ver­trags der Par­tei­en beträgt die re­gelmäßige Ar­beits­zeit 40 Wo­chen­stun­den. Im Übri­gen sieht § 3 Satz 2 des Ar­beits­ver­tra­ges die Ver­pflich­tung der Ar­beit­neh­me­rin zur Leis­tung von ge­setz­lich zulässi­ger Mehr­ar­beit vor, wenn der Ar­beit­ge­ber dies aus be­trieb­li­chen Gründen an­ord­net. Re­ge­lun­gen über die Führung ei­nes Ar­beits­zeit­kon­tos sind im Ar­beits­ver­trag nicht ent­hal­ten. Nach dem Ar­beits­ver­trag der Par­tei­en hat die Kläge­rin ei­nen An­spruch auf Beschäfti­gung in dem gemäß § 3 ver­ein­bar­ten Um­fang der Ar­beits­zeit von 40 Wo­chen­stun­den ge­gen Zah­lung der hierfür ver­ein­bar­ten Mo­nats­vergütung.

Liegt - wie hier - die Ver­ant­wor­tung für die Ar­beits­zu­wei­sung und -ein­tei­lung al­lein beim Ar­beit­ge­ber, gerät die­ser nach § 296 Satz 1 BGB in An­nah­me­ver­zug, wenn er den Ar­beit­neh­mer aus be­trieb­li­chen Gründen nicht im Um­fang der ver­ein­bar­ten Ar­beits­zeit ein­set­zen kann, oh­ne dass es ei­nes An­ge­bots der Ar­beits­leis­tung be­darf (vgl. BAG 26. Ja­nu­ar 2011 - 5 AZR 819/09 - Rn. 19, NZA 2011, 640). Kommt der Ar­beit­ge­ber mit der An­nah­me der Diens­te in Ver­zug, so kann der Ar­beit­neh­mer nach § 615 Satz 1 BGB für die in­fol­ge des An­nah­me­ver­zugs nicht ge­leis­te­ten Diens­te die ver­ein­bar­te Vergütung ver­lan­gen, oh­ne zur Nach­leis­tung ver­pflich­tet zu sein. Nach dem Ar­beits­ver­trag der Par­tei­en war die Kläge­rin nicht zur Nach­leis­tung der aus be­trieb­li­chen Gründen aus­ge­fal­le­nen Ar­beits­zei­ten ver­pflich­tet.

2. Die Be­klag­te war auf­grund des von ihr geführ­ten Ar­beits­zeit­kon­tos nicht zur Ver­rech­nung von Mi­nus­stun­den be­rech­tigt.

a) Die Ein­rich­tung ei­nes Ar­beits­zeit­kon­tos, ins­be­son­de­re die Möglich­keit ei­nes ne­ga­ti­ven Kon­to­stan­des, be­darf ei­ner ent­spre­chen­den Ver­ein­ba­rung der Ar­beits­ver­trags­par­tei­en. Ein Ar­beits­zeit­kon­to gibt den Um­fang der vom Ar­beit­neh­mer ge­leis­te­ten Ar­beit wie­der und kann abhängig von der nähe­ren Aus­ge­stal­tung in an­de­rer Form den Vergütungs­an­spruch des Ar­beit­neh­mers aus­drücken. Die Be­las­tung ei­nes Ar­beits­zeit­kon­tos mit Mi­nus­stun­den setzt folg­lich vor­aus, dass der Ar­beit­ge­ber die­se St­un­den im Rah­men ei­ner ver­ste­tig­ten Vergütung ent­lohnt hat und der Ar­beit­neh­mer zur Nach­leis­tung ver­pflich­tet ist, weil er die in Mi­nus­stun­den aus­ge­drück­te Ar­beits­zeit vor­schuss­wei­se vergütet er­hal­ten hat (BAG 26. Ja­nu­ar 2011 - 5 AZR 819/09 - Rn. 13, NZA 2011, 640). Ei­ne Zah­lung durch den Ar­beit­ge­ber ist dann ein Vor­schuss, wenn sich bei­de Sei­ten bei der Aus­zah­lung darüber ei­nig wa­ren, dass es sich um ei­ne Vor­weg­leis­tung han­delt, die bei Fällig­keit der For­de­rung ver­rech­net wird (BAG 13. De­zem­ber 2000 - 5 AZR 334/99 - Rn. 36, NZA 2002, 390). Dies kann ins­be­son­de­re der Fall sein, wenn der Ar­beit­neh­mer al­lein darüber ent­schei­den kann, ob ei­ne Zeit­schuld ent­steht und er da­mit ei­nen Vor­schuss erhält. Hin­ge­gen kommt es zu kei­nem Vergütungs­vor­schuss, wenn sich der das Ri­si­ko der Ein­satzmöglich­keit bzw. des Ar­beits­aus­falls tra­gen­de Ar­beit­ge­ber nach § 615 Satz 1 und 3 BGB im An­nah­me­ver­zug be­fun­den hat (BAG 26. Ja­nu­ar 2011 - 5 AZR 819/09 - Rn. 13, NZA 2011, 640).

b) Im Streit­fall hat die Be­klag­te nicht dar­ge­legt, dass zwi­schen den Par­tei­en ei­ne Ver­ein­ba­rung darüber ge­trof­fen wor­den ist, ob und ggf. un­ter wel­chen Vor­aus­set­zun­gen in wel­chem Um­fang ein ne­ga­ti­ver Stand auf dem Ar­beits­zeit­kon­to möglich sein soll. Im Hin­blick dar­auf, dass die Par­tei­en im Ar­beit­ver­trag ei­ne re­gelmäßige Wo­chen­ar­beits­zeit von 40 St­un­den - und nicht et­wa ei­ne Jah­res­ar­beits­zeit mit Re­ge­lun­gen über die Führung ei­nes Ar­beits­zeit­kon­tos - ver­ein­bart ha­ben, be­gründet al­lein die von der Be­klag­ten in ih­rem Be­trieb prak­ti­zier­te Ar­beits­zeit­re­ge­lung ("be­trieb­li­che Übung") oh­ne Zu­stim­mung der Kläge­rin kei­ne Be­rech­ti­gung der Be­klag­ten zur Ver­rech­nung von Mi­nus­stun­den, die nicht auf Wunsch der Kläge­rin, son­dern aus­sch­ließlich aus be­trieb­li­chen Gründen (ge­rin­ge­re Aus­las­tung des Be­triebs auf­grund der wet­ter-/tem­pe­ra­tur­be­ding­ten Nach­fra­gesi­tua­ti­on) ent­stan­den sind. Al­lein der Um­stand, dass der Kläge­rin die dar­ge­stell­te "be­trieb­li­che Übung" der Be­klag­ten be­kannt war und sie der in der Ver­ant­wor­tung der Be­klag­ten lie­gen­den Ar­beits­ein­tei­lung nicht wi­der­spro­chen hat, lässt noch nicht den Schluss dar­auf zu, dass die Kläge­rin auch mit ei­nem Ne­ga­tiv­kon­to ein­ver­stan­den war, zu­mal des­sen Fol­gen, ins­be­son­de­re ei­ne Ver­pflich­tung zum fi­nan­zi­el­len Aus­gleich von Mi­nus­stun­den, in An­be­tracht der in glei­cher und ver­ein­bar­ter Höhe ge­zahl­ten Vergütung bis zur Be­en­di­gung des Ar­beits­verhält­nis­ses nicht her­vor­ge­tre­ten sind. Die Be­klag­te hat dies­bezüglich le­dig­lich vor­ge­tra­gen, dass der Kläge­rin die Aus­wir­kung die­ser Re­ge­lung "anläss­lich ih­res Aus­schei­dens" erklärt wor­den sei. Ei­ne erst im Nach­hin­ein er­folg­te Erklärung der Be­klag­ten, wel­che Aus­wir­kun­gen die von ihr prak­ti­zier­te Re­ge­lung ih­rer An­sicht nach ha­ben kann, ist un­er­heb­lich und be­sagt nicht, dass auch die Kläge­rin bei An­fall der Mi­nus­stun­den der Ent­ste­hung ei­nes ne­ga­ti­ven Stands auf ih­rem Ar­beits­zeit­kon­to zu­ge­stimmt hat. Da­nach kann im Streit­fall nicht an­ge­nom­men wer­den, dass die Kläge­rin da­mit ein­ver­stan­den war, dass bei ei­ner aus be­trieb­li­chen Gründen er­folg­ten Un­ter­schrei­tung der im Ar­beits­ver­trag ver­ein­bar­ten Ar­beits­zeit ei­ne Zeit­schuld ent­steht und sie da­mit ei­nen aus­gleichs­pflich­ti­gen Vor­schuss erhält.

Ent­ge­gen der An­nah­me der Be­klag­ten kann die in § 3 des Ar­beits­ver­trags der Par­tei­en ver­ein­bar­te Ar­beits­zeit­re­ge­lung, die nur ei­ne An­ord­nung von Mehr­ar­beit, aber kei­ne Un­ter­schrei­tung der fest­ge­leg­ten re­gelmäßigen Ar­beits­zeit von 40 Wo­chen­stun­den vor­sieht, nicht durch ei­ne "be­trieb­li­che Übung" zum Nach­teil der Kläge­rin ab­geändert wer­den. Im Hin­blick dar­auf, dass die Mi­nus­stun­den nicht auf Wunsch der Kläge­rin, son­dern aus be­trieb­li­chen Gründen auf­grund der von der Be­klag­ten je­weils ei­nen Mo­nat im Vor­aus er­stell­ten Dienst­pläne zur Ar­beits­ein­tei­lung ent­stan­den sind, be­wirkt die Zu­las­sung ei­nes ne­ga­ti­ven Ar­beits­zeit­kon­tos für die Kläge­rin nach­tei­li­ge Fol­gen, die nach ih­rem Ar­beits­ver­trag nicht ein­tre­ten.

c) Hin­zu kommt noch, dass in § 11 des Ar­beits­ver­tra­ges ver­ein­bart ist, dass Ne­ben­ab­re­den und Ände­run­gen die­ses Ver­trags zu ih­rer Rechts­wirk­sam­keit der Schrift­form bedürfen. Zwar können die Par­tei­en den Form­zwang je­der­zeit auf­he­ben. Ei­ne still­schwei­gen­de Auf­he­bung ist an­zu­neh­men, wenn die Par­tei­en die Maßgeb­lich­keit der münd­li­chen Ver­ein­ba­rung übe­rein­stim­mend ge­wollt ha­ben. Dies gilt auch dann, wenn sie an den Form­zwang nicht ge­dacht ha­ben. Er­for­der­lich ist aber ei­ne bei­der­seits als ver­bind­lich ge­woll­te Ver­ein­ba­rung (Pa­landt BGB 69. Aufl. § 125 Rn. 19 m.w.N.). Im Streit­fall lässt sich ei­ne sol­che Ver­ein­ba­rung zur Un­ter­schrei­tung der ver­ein­bar­ten Wo­chen­ar­beits­zeit durch ei­ne ein­ver­nehm­li­che Zu­las­sung ei­nes ne­ga­ti­ven Ar­beits­zeit­kon­tos nicht fest­stel­len. Bei ei­ner für den Ar­beit­neh­mer nach­tei­li­gen Re­ge­lung muss der Ar­beit­ge­ber er­war­ten, dass sein Ar­beit­neh­mer sich dar­auf verlässt, dass er nach­tei­li­ge Ver­tragsände­run­gen nur hin­neh­men muss, wenn die­se schrift­lich zu­stan­de kom­men (vgl. BAG 24. No­vem­ber 2004 - 10 AZR 202/04 - Rn. 41, NZA 2005, 349; LAG Rhein­land-Pfalz 29. Ok­to­ber 2009 - 10 Sa 467/09 - Rn. 49, [ju­ris]). Die Be­klag­te hätte vor Einführung ei­nes Ar­beits­zeit­kon­tos, das in Ab­wei­chung von dem Ar­beits­ver­trag der Par­tei­en auch ei­nen ne­ga­ti­ven Kon­to­stand zulässt, ei­ne ent­spre­chen­de Ver­ein­ba­rung schließen müssen, in der kon­kret fest­ge­legt ist, un­ter wel­chen Vor­aus­set­zun­gen in wel­chem Um­fang ei­ne Zeit­schuld ent­ste­hen kann, die nach wel­cher mögli­chen Ar­beits­zeit­ver­tei­lung in­ner­halb wel­chen Aus­gleichs­zeit­raums auf wel­che Wei­se aus­ge­gli­chen wird. Dar­an fehlt es. Man­gels Ver­ein­ba­rung der Par­tei­en über ein Ar­beits­zeit­kon­to und des­sen Mo­da­litäten, ins­be­son­de­re der Möglich­keit ei­ner Ent­ste­hung von ne­ga­ti­ven Zeit­gut­ha­ben, kann of­fen blei­ben, ob und ggf. un­ter wel­chen Vor­aus­set­zun­gen vor­for­mu­lier­te Ver­trags­be­stim­mun­gen, die den Ar­beit­neh­mer zum fi­nan­zi­el­len Aus­gleich ei­nes ne­ga­ti­ven Ar­beits­zeit­gut­ha­bens bei sei­nem Aus­schei­den ver­pflich­ten, zulässig sind, ins­be­son­de­re ei­ner In­halts­kon­trol­le nach §§ 307 ff BGB stand­hal­ten.

3. Der Kla­ge­an­spruch ist nicht nach § 10 a des Ar­beits­ver­trags ver­fal­len, weil er un­strei­tig von der Kläge­rin mit Schrei­ben vom 26. Mai 2010 ge­genüber der Be­klag­ten gel­tend ge­macht wor­den ist. Ei­ne Ver­wir­kung kommt nicht in Be­tracht, weil es gemäß den Ausführun­gen des Ar­beits­ge­richts be­reits an dem hierfür er­for­der­li­chen Zeit­mo­ment fehlt.

4. Der Zins­an­spruch er­gibt sich aus §§ 286 Abs. 1 und 2 Nr. 1, 288 Abs. 1, 247 BGB.


Die Kos­ten­ent­schei­dung folgt aus § 97 Abs. 1 ZPO.

Ei­ne Zu­las­sung der Re­vi­si­on war nicht ver­an­lasst, weil hierfür die ge­setz­li­chen Vor­aus­set­zun­gen (§ 72 Abs. 2 ArbGG) nicht vor­lie­gen.

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