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ARBEITSRECHT AKTUELL // 16/146

Miss­bräuch­li­che Be­fris­tung bei zu kur­zer Lauf­zeit

Bleibt die Be­fris­tungs­dau­er weit hin­ter dem vor­aus­sicht­li­chen Be­darf zu­rück, ist die Be­fris­tung miss­bräuch­lich: Lan­des­ar­beits­ge­richt Köln, Ur­teil vom 15.10.2015, 7 Sa 532/15
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02.05.2016. Stützt der Ar­beit­ge­ber die mehr­fa­che Be­fris­tung ei­nes Ar­beits­ver­trags auf ei­nen sach­li­chen Grund, kommt es zwar im Prin­zip nur auf das Vor­lie­gen ei­nes Sach­grun­des bei Ab­schluss der letz­ten Ver­trags­ver­län­ge­rung an.

Rei­hen sich al­ler­dings zu vie­le Be­fris­tun­gen an­ein­an­der (Ket­ten­be­fris­tung), kann ei­ne miss­bräuch­li­che und da­mit un­wirk­sa­me Be­fris­tung vor­lie­gen, wie das Bun­des­ar­beits­ge­richt (BAG) Mit­te 2012 in ei­nem Grund­satz­ur­teil ent­schie­den hat (BAG, Ur­teil vom 18.07.2012, 7 AZR 443/09 - Kü­cük, wir be­rich­te­ten in: Ar­beits­recht ak­tu­ell 12/263: Ket­ten­be­fris­tung kann Miss­brauch sein).

Seit­dem ha­ben sich die Ar­beits­ge­rich­te im­mer wie­der mit der Fra­ge be­schäf­tigt, wie hoch die Ge­samt­dau­er der Ver­trä­ge und die An­zahl der hin­ter­ein­an­der ge­schal­te­ten Ver­län­ge­run­gen sein muss, um von ei­nem Miss­brauch des Be­fris­tungs­rechts spre­chen zu kön­nen.

In ei­nem ak­tu­el­len Fall hat das Lan­des­ar­beits­ge­richt (LAG) Köln ein­mal um­ge­kehrt ar­gu­men­tiert: Auch wenn die Zeit­dau­er der Be­fris­tung weit hin­ter dem vom Ar­beit­ge­ber an­ge­nom­me­nen Ar­beits­be­darf zu­rück­bleibt, d.h. wenn die Ver­trags­dau­er zu kurz ist, kann ein Rechts­miss­brauch vor­lie­gen: LAG Köln, Ur­teil vom 15.10.2015, 7 Sa 532/15.

Kann die Dau­er ei­ner Be­fris­tung hin­ter der vor­aus­sicht­li­chen Dau­er des Mehr­be­darfs an Ar­beits­leis­tung zurück­blei­ben?

Bei Neu­ein­stel­lun­gen kann der Ar­beit­ge­ber oh­ne Sach­grund be­fris­te­te Ar­beits­verträge ab­sch­ließen, al­ler­dings nur bis zu ma­xi­mal zwei Jah­ren, § 14 Abs.2 Teil­zeit- und Be­fris­tungs­ge­setz (Tz­B­fG). Ar­beit­ge­ber, die die­se Gren­ze über­schrei­ten wol­len, brau­chen für ih­re Zeit­verträge ei­nen sach­li­chen Grund, und hier bie­tet § 14 Abs.1 Satz 2 Tz­B­fG acht ver­schie­de­ne Sach­gründe an.

Vor al­lem öffent­li­che Ar­beit­ge­ber ma­chen von Sach­grund­be­fris­tun­gen häufig Ge­brauch, und die­se wie­der­um stützen sie oft auf den Sach­grund der Ver­tre­tungs­be­fris­tung (§ 14 Abs.1 Satz 2 Nr.3 Tz­B­fG). Da­nach ist die Be­fris­tung zulässig, wenn "der Ar­beit­neh­mer zur Ver­tre­tung ei­nes an­de­ren Ar­beit­neh­mers beschäftigt wird".

Be­liebt ist bei öffent­li­chen Ar­beit­ge­bern auch der Sach­grund des vorüber­ge­hen­den Mehr­be­darfs gemäß § 14 Abs.1 Satz 2 Nr.1 Tz­B­fG. Die­se Vor­schrift er­laubt ei­ne Be­fris­tung, wenn "der be­trieb­li­che Be­darf an der Ar­beits­leis­tung nur vorüber­ge­hend be­steht".

Zum Sach­grund der Ver­tre­tungs­be­fris­tung, d.h. zu § 14 Abs.1 Satz 2 Nr.3 Tz­B­fG, hat das BAG schon vor länge­rer Zeit ent­schie­den, dass die vom Ar­beit­ge­ber gewähl­te Ver­trags­lauf­zeit hin­ter der vor­aus­sicht­li­chen Dau­er des Ver­tre­tungs­be­darfs zurück­blei­ben kann. Fällt z.B. ein Ar­beit­neh­mer we­gen ei­ner Aus­lands­auf­ent­hal­tes vor­aus­sicht­lich für drei Jah­re aus, kann der Ar­beit­ge­ber ei­ne Ver­tre­tungs­kraft zunächst ein­mal nur für ein oder zwei Jah­re ein­stel­len.

Die­se für Ar­beit­ge­ber güns­ti­ge Recht­spre­chung hat das BAG 2009 auf den Sach­grund des vorüber­ge­hen­den Mehr­be­darfs an Ar­beit über­tra­gen (BAG, Ur­teil vom 29.07.2009, 7 AZR 907/07).

Das ist al­ler­dings fragwürdig, denn da­mit gibt das BAG Ar­beit­ge­bern ei­nen zu wei­ten Spiel­raum für Be­fris­tun­gen auf der Grund­la­ge von § 14 Abs.1 Satz 2 Nr.3 Tz­B­fG. Denn ob es wirk­lich ei­nen nur vorüber­ge­hen­den Mehr­be­darf an Ar­beit gibt oder ob der Ar­beit­ge­ber das nur vor­gibt, können die Ge­rich­te nur an­hand ob­jek­ti­ver Tat­sa­chen über­prüfen, und ei­ne wich­ti­ge Tat­sa­che ist da­bei eben die (un­gefähre) Übe­rein­stim­mung der Zeit­dau­er des (an­geb­li­chen) Ar­beits­mehr­be­darfs mit der ver­ein­bar­ten Ver­trags­lauf­zeit.

Aber auch dann, wenn man die­se BAG-Recht­spre­chung nicht grundsätz­lich ab­lehnt, kann man vor dem Hin­ter­grund der sei 2012 vom BAG ver­lang­ten Miss­brauchs­kon­trol­le die Fra­ge stel­len, ob ei­ne Ver­trags­lauf­zeit, die in ex­tre­mer Wei­se hin­ter der vor­aus­sicht­li­chen Dau­er des (an­geb­li­chen) Ar­beits­mehr­be­darfs zurück­bleibt, nicht ein An­zei­chen dafür ist, dass der Ar­beit­ge­ber mit sol­chen Mi­ni-Zeit­verträgen ganz an­de­re Zie­le ver­folgt.

Mit die­ser Fra­ge beschäftigt sich das LAG Köln in sei­nem Ur­teil vom 15.10.2015, 7 Sa 532/15.

Im Streit: Ar­beit­neh­me­rin wird trotz ei­nes bis En­de 2016 erhöhten Ar­beits­be­darfs nur für ei­ni­ge Mo­na­te bis Ja­nu­ar 2014 bzw. bis Au­gust 2014 ein­ge­stellt

Im Streit wa­ren zwei be­fris­te­te Ar­beits­verträge, die der Ar­beit­ge­ber da­mit recht­fer­tig­te, dass er nur bis En­de 2016 und da­her nur vorüber­ge­hend ei­nen ver­mehr­ten Be­darf an Ar­beits­kräften hat­te, um Auf­ga­ben im Zu­sam­men­hang mit dem "Fonds Heim­er­zie­hung" zu bewälti­gen.

Da­mit pass­te aber die Zeit­dau­er von zwei Ver­trags­be­fris­tun­gen nicht recht zu­sam­men, die der Ar­beit­ge­ber mit ei­ner sei­ner Ar­beit­neh­me­rin­nen ver­ein­bart hat­te: Der ers­te Ver­trag hat­te ei­ne Lauf­zeit von An­fang Au­gust 2013 bis En­de Ja­nu­ar 2014, die an­sch­ließen­de Ver­trags­verlänge­rung dau­er­te von Fe­bru­ar bis En­de Au­gust 2014.

Die Ar­beit­neh­me­rin er­hob Be­fris­tungs­kon­troll­kla­ge und hat­te da­mit in ers­ten In­stanz Er­folg (Ar­beits­ge­richt Köln, Ur­teil vom 24.03.2015, 14 Ca 6837/14). Im Pro­zess räum­te der Ar­beit­ge­ber ein, dass im Ar­beits­be­reich der Kläge­rin ver­schie­de­ne Ar­beits­verträge von be­fris­tet beschäftig­ten Ar­beit­neh­mern verlängert wur­den, wo­bei man „ei­ne Aus­wahl nach Eig­nung, Leis­tung und Befähi­gung“ vor­ge­nom­men ha­be.

LAG Köln: Ei­ne weit hin­ter dem vor­aus­sicht­li­chen Ar­beits­mehr­be­darf zurück­blei­ben­de Dau­er der Be­fris­tung ist miss­bräuch­lich

Auch vor dem LAG Köln zog der Ar­beit­ge­ber den Kürze­ren.

Denn die zu­letzt ver­ein­bar­te und da­her vor Ge­richt um­strit­te­ne Ver­trags­be­fris­tung (von Fe­bru­ar bis Au­gust 2014) be­trug nur sie­ben Mo­na­te, während der vom Ar­beit­ge­ber be­haup­te­te Mehr­be­darf bis En­de 2016 an­dau­ern soll­te. Da­mit deck­te die Dau­er des strei­ti­gen Zeit­ver­trags et­wa 20 Pro­zent der Dau­er des vom Ar­beit­ge­ber be­haup­te­ten Ar­beits­mehr­be­darfs (drei bzw. vier Jah­re) ab. 

Das LAG kam da­her zu dem Er­geb­nis, dass die kur­ze Be­fris­tung nur vor­der­gründig ei­nen erhöhten Per­so­nal­be­darf aus­glei­chen soll­te. In Wahr­heit woll­te sich der Ar­beit­ge­ber die Möglich­keit ei­nes ständi­gen rei­bungs­lo­sen Per­so­nal­aus­tauschs ver­schaf­fen: Es ging um den Aus­tausch von (an­geb­lich) leis­tungs­schwa­chen Ar­beit­neh­mern ge­gen leis­tungs­star­ke. Das be­wer­te­ten die Kölner Rich­ter als miss­bräuch­li­chen Ein­satz der ge­setz­li­chen Be­fris­tungsmöglich­kei­ten.

Fa­zit: Der Sach­grund ei­nes nur vorüber­ge­hen­der Ar­beits­mehr­be­darfs ist nicht gut da­mit zu ver­ein­ba­ren, dass der Ar­beit­ge­ber be­fris­te­te Verträge ab­sch­ließt, die weit hin­ter der von ihm selbst be­haup­te­ten Dau­er des (an­geb­li­chen) Mehr­be­darfs zurück­blei­ben.

Be­dau­er­li­cher­wei­se hat das BAG ein sol­ches Vor­ge­hen im Jah­re 2009 ab­ge­seg­net oder je­den­falls nicht ge­ne­rell als un­zulässig be­wer­tet. Da das BAG aber seit 2012 ei­ne Miss­brauchs­kon­trol­le bei Ket­ten­be­fris­tun­gen ver­langt, sind sol­che "smar­ten" Mi­ni-Zeit­verträge miss­bräuch­lich und da­mit im Er­geb­nis doch un­wirk­sam, wenn Ver­trags­dau­er und (an­geb­li­cher) Ar­beits­mehr­be­darf all­zu weit aus­ein­an­der­fal­len.

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Letzte Überarbeitung: 7. Januar 2019

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