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BAG, Ur­teil vom 26.04.2006, 7 AZR 500/04

   
Schlagworte: Diskriminierung: Alter, Befristung
   
Gericht: Bundesarbeitsgericht
Aktenzeichen: 7 AZR 500/04
Typ: Urteil
Entscheidungsdatum: 26.04.2006
   
Leitsätze:

Nach der Entscheidung des Europäischen Gerichtshofs vom 22. November 2005 (- C-144/04 [Mangold] - ABl. EU 2006 Nr. C 36, 10) verstößt § 14 Abs. 3 Satz 4 TzBfG gegen Gemeinschaftsrecht und ist von den nationalen Gerichten nicht anzuwenden.

Der Europäische Gerichtshof hat mit dem auf den allgemeinen Grundsätzen des Gemeinschaftsrechts beruhenden Verbot der Altersdiskriminierung begründeten Unanwendbarkeitsausspruch nicht die mit den deutschen Zustimmungsgesetzen auf die Gemeinschaft übertragenen Kompetenzen überschritten.

Hat der Europäische Gerichtshof in einer die Unanwendbarkeit einer nationalen Norm aussprechenden Entscheidung die zeitliche Wirkung des Unanwendbarkeitsausspruchs nicht eingeschränkt, dürfen die nationalen Gerichte die mit Gemeinschaftsrecht unvereinbare nationale Norm nicht zu Gunsten der auf ihre Gültigkeit vertrauenden Arbeitsvertragspartei anwenden.

Vorinstanzen: Arbeitsgericht Lübeck, Urteil vom 11.03.2004, 1 Ca 31/04, Landesarbeitsgericht Schleswig-Holstein, Urteil vom 22.06.2004, 5 Sa 128/04
   

BUN­DES­AR­BEITS­GERICHT

7 AZR 500/04

5 Sa 128/04

Lan­des­ar­beits­ge­richt Schles­wig-Hol­stein

Im Na­men des Vol­kes!

Verkündet am 26. April 2006

UR­TEIL

Schie­ge, Ur­kunds­be­am­ter der Geschäfts­stel­le

In Sa­chen

Kläger, Be­ru­fungskläger und Re­vi­si­onskläger,

pp.

Be­klag­te, Be­ru­fungs­be­klag­te und Re­vi­si­ons­be­klag­te,

hat der Sieb­te Se­nat des Bun­des­ar­beits­ge­richts auf Grund der münd­li­chen Ver­hand­lung vom 26. April 2006 durch den Vi­ze­präsi­den­ten des Bun­des­ar­beits­ge­richts Dörner, die Rich­te­rin am Bun­des­ar­beits­ge­richt Gräfl und den Rich­ter am Bun­des­ar­beits­ge­richt Dr. Koch so­wie die eh­ren­amt­li­chen Rich­ter Herbst und Wolf für Recht er­kannt:

Auf die Re­vi­si­on des Klägers wird das Ur­teil des Lan­des­ar­beits­ge­richts Schles­wig-Hol­stein vom 22. Ju­ni 2004 - 5 Sa 128/04 - auf­ge­ho­ben.


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Auf die Be­ru­fung des Klägers wird das Ur­teil des Ar­beits­ge­richts Lübeck vom 11. März 2004 - 1 Ca 31/04 - ab­geändert:

Es wird fest­ge­stellt, dass das Ar­beits­verhält­nis zwi­schen den Par­tei­en nicht mit Ab­lauf des 31. März 2004 durch Be­fris­tung ge­en­det hat.

Die Be­klag­te hat die Kos­ten des Rechts­streits zu tra­gen.

Von Rechts we­gen!

Tat­be­stand

Die Par­tei­en strei­ten über die Wirk­sam­keit ei­ner Be­fris­tung.

Der am 13. Fe­bru­ar 1950 ge­bo­re­ne Kläger war seit dem 12. Ju­li 1999 auf Grund meh­re­rer be­fris­te­ter Ar­beits­verträge bei der Be­klag­ten als Aus­hil­fe in der Pro­duk­ti­on/Ma­schi­nen­ar­bei­ter beschäftigt. Der zu­letzt ab­ge­schlos­se­ne Ver­trag vom 18. Fe­bru­ar 2003 sah ei­ne Be­fris­tung des Ar­beits­verhält­nis­ses für die Zeit vom 19. Fe­bru­ar 2003 bis 31. März 2004 vor.

Mit der am 5. Ja­nu­ar 2004 er­ho­be­nen Kla­ge hat der Kläger die Un­wirk­sam­keit der zu­letzt ver­ein­bar­ten Be­fris­tung gel­tend ge­macht und sich hier­zu auf die Un­ver­ein­bar­keit der Vor­schrift des § 14 Abs. 3 Satz 4 Tz­B­fG mit den Vor­ga­ben der Richt­li­nie 1999/70/EG vom 28. Ju­ni 1999 so­wie der Richt­li­nie 2000/78/EG vom 27. No­vem­ber 2000 be­ru­fen.

Der Kläger hat be­an­tragt,

1. fest­zu­stel­len, dass das Ar­beits­verhält­nis zwi­schen den Par­tei­en nicht mit Ab­lauf des 31. März 2004 durch Be­fris­tung en­det,

2. die Be­klag­te zu ver­ur­tei­len, den Kläger nach dem 1. April 2004 zu un­veränder­ten Ar­beits­be­din­gun­gen als Ar­bei­ter in der Pro­duk­ti­on wei­ter­zu­beschäfti­gen.

Die Be­klag­te hat Kla­ge­ab­wei­sung be­an­tragt.

Das Ar­beits­ge­richt hat die Kla­ge ab­ge­wie­sen; das Lan­des­ar­beits­ge­richt hat die hier­ge­gen ge­rich­te­te Be­ru­fung des Klägers zurück­ge­wie­sen. Mit der Re­vi­si­on ver-

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folgt der Kläger sei­ne Anträge wei­ter, während die Be­klag­te die Zurück­wei­sung der Re­vi­si­on be­an­tragt.

Ent­schei­dungs­gründe

Die Re­vi­si­on des Klägers ist be­gründet und führt zur Auf­he­bung des an­ge­foch­te­nen Ur­teils, zur Abände­rung der ar­beits­ge­richt­li­chen Ent­schei­dung und zur be­an­trag­ten Fest­stel­lung. Die recht­zei­tig er­ho­be­ne Be­fris­tungs­kon­troll­kla­ge (§ 17 Satz 1 Tz­B­fG) des Klägers ist be­gründet. Die in dem letz­ten Ar­beits­ver­trag vom 18. Fe­bru­ar 2003 ver­ein­bar­te Be­fris­tung zum 31. März 2004 ist un­wirk­sam. Sie kann nicht mit den Be­stim­mun­gen des Tz­B­fG ge­recht­fer­tigt wer­den. Die streit­be­fan­ge­ne Be­fris­tung ist nicht durch ei­nen sach­li­chen Grund iSd. § 14 Abs. 1 Tz­B­fG ge­recht­fer­tigt. Die Vor­aus­set­zun­gen für ei­ne sach­grund­lo­se Be­fris­tung nach § 14 Abs. 2 Tz­B­fG sind nicht ge­ge­ben. Auf die Möglich­keit der sach­grund­lo­sen Be­fris­tung nach § 14 Abs. 3 Satz 1 und 4 Tz­B­fG kann sich die Be­klag­te nicht be­ru­fen. Die Vor­schrift verstößt ge­gen Ge­mein­schafts­recht und ist des­halb nicht, auch nicht aus Gründen des Ver­trau­ens­schut­zes zu Guns­ten der Be­klag­ten an­zu­wen­den. Der auf vorläufi­ge Wei­ter­beschäfti­gung für die Dau­er des Rechts­streits ge­rich­te­te An­trag zu 2 ist dem Se­nat nicht zur Ent­schei­dung an­ge­fal­len.

A. Die Be­klag­te kann die Be­fris­tung nicht auf § 14 Abs. 1 Tz­B­fG stützen. Nach § 14 Abs. 1 Satz 1 Tz­B­fG ist die Be­fris­tung ei­nes Ar­beits­ver­trags zulässig, wenn sie durch ei­nen sach­li­chen Grund ge­recht­fer­tigt ist. Die Be­klag­te hat ei­nen sach­li­chen Grund für den vom 19. Fe­bru­ar 2003 bis zum 31. März 2004 be­fris­te­ten Ar­beits­ver­trag nicht gel­tend ge­macht.

B. Die Be­klag­te kann die Be­fris­tung nicht mit der Vor­schrift des § 14 Abs. 2 Tz­B­fG be­gründen. Die Vor­aus­set­zun­gen ei­ner sach­grund­lo­sen Be­fris­tung nach § 14 Abs. 2 Tz­B­fG lie­gen nicht vor. Nach § 14 Abs. 2 Satz 1 Tz­B­fG ist die ka­len­dermäßige Be­fris­tung ei­nes Ar­beits­ver­trags oh­ne Vor­lie­gen ei­nes sach­li­chen Grun­des bis zur Dau­er von zwei Jah­ren zulässig, so­fern mit dem­sel­ben Ar­beit­ge­ber nicht be­reits zu­vor ein be­fris­te­tes oder un­be­fris­te­tes Ar­beits­verhält­nis be­stan­den hat. Der Kläger war vor der streit­be­fan­ge­nen Be­fris­tung be­reits zu­vor bei der Be­klag­ten im Rah­men von be­fris­te­ten Ar­beits­verhält­nis­sen ins­ge­samt länger als 2 Jah­re beschäftigt.


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C. Die Be­klag­te kann sich zur Recht­fer­ti­gung der Be­fris­tung nicht auf § 14 Abs. 3 Satz 1 und 4 Tz­B­fG be­ru­fen. Da­nach be­darf die Be­fris­tung kei­nes sach­li­chen Grun­des, wenn der Ar­beit­neh­mer bei Be­ginn des be­fris­te­ten Ar­beits­verhält­nis­ses das 52. Le­bens­jahr voll­endet hat. Die­se Vor­aus­set­zun­gen lie­gen zwar vor. § 14 Abs. 3 Satz 4 Tz­B­fG, der bis zum 31. De­zem­ber 2006 die Al­ters­gren­ze des § 14 Abs. 3 Satz 1 Tz­B­fG auf das 52. Le­bens­jahr ab­senkt, ist aber mit Ge­mein­schafts­recht nicht zu ver­ein­ba­ren. Die Vor­schrift darf von den na­tio­na­len Ge­rich­ten nicht an­ge­wen­det wer­den. Das folgt aus der den Se­nat bin­den­den Ent­schei­dung des Eu­ropäischen Ge­richts­hofs vom 22. No­vem­ber 2005 (- C-144/04 [Man­gold] - AP Richt­li­nie 2000/78/EG Nr. 1 = EzA Tz­B­fG § 14 Nr. 21, Rn. 78). Das gilt auch für Be­fris­tungs­ab­re­den, die vor der Ent­schei­dung des Eu­ropäischen Ge­richts­hofs ge­trof­fen wor­den sind. Der Se­nat ist nicht ver­pflich­tet, den Eu­ropäischen Ge­richts­hof zur Vor­ab­ent­schei­dung nach Art. 234 Abs. 3 EG an­zu­ru­fen, weil die Un­ver­ein­bar­keit des § 14 Abs. 3 Satz 4 Tz­B­fG mit Ge­mein­schafts­recht durch die Recht­spre­chung des Ge­richts­hofs geklärt ist. Der Un­an­wend­bar­keits­aus­spruch verstößt nicht ge­gen na­tio­na­les Ver­fas­sungs­recht, so dass ei­ne Vor­la­ge an das Bun­des­ver­fas­sungs­ge­richt nach Art. 100 GG nicht in Be­tracht kommt.

I. Der Eu­ropäische Ge­richts­hof hat ent­schie­den, dass das Ge­mein­schafts­recht und ins­be­son­de­re der Ar­ti­kel 6 Ab­satz 1 der Richt­li­nie 2000/78/EG des Ra­tes vom 27. No­vem­ber 2000 zur Fest­le­gung ei­nes all­ge­mei­nen Rah­mens für die Ver­wirk­li­chung der Gleich­be­hand­lung in Beschäfti­gung und Be­ruf - RL 2000/78/EG - (ABl. EG Nr. L 303 S. 16 B) da­hin aus­zu­le­gen sind, dass sie ei­ner na­tio­na­len Re­ge­lung wie § 14 Abs. 3 Satz 4 Tz­B­fG ent­ge­gen­ste­hen. Die na­tio­na­len Ge­rich­te ha­ben die vol­le Wirk­sam­keit des all­ge­mei­nen Ver­bots der Dis­kri­mi­nie­rung we­gen des Al­ters zu gewähr­leis­ten, in­dem sie je­de ent­ge­gen­ste­hen­de Be­stim­mung des na­tio­na­len Rechts un­an­ge­wen­det las­sen, auch wenn die Frist für die Um­set­zung der ge­nann­ten Richt­li­nie noch nicht ab­ge­lau­fen ist.

1. Nach Art. 1 der RL 2000/78/EG be­steht de­ren Zweck in der Schaf­fung ei­nes all­ge­mei­nen Rah­mens zur Bekämp­fung der Dis­kri­mi­nie­rung ua. we­gen des Al­ters im Hin­blick auf die Ver­wirk­li­chung des Grund­sat­zes der Gleich­be­hand­lung in den Mit­glied­staa­ten. Art. 2 Abs. 1 RL 2000/78/EG be­stimmt, dass es kei­ne un­mit­tel­ba­re oder mit­tel­ba­re Dis­kri­mi­nie­rung we­gen des Al­ters ge­ben darf. Nach Art. 6 Abs. 1 RL 2000/78/EG können die Mit­glied­staa­ten vor­se­hen, dass Un­gleich­be­hand­lun­gen we­gen des Al­ters kei­ne Dis­kri­mi­nie­rung dar­stel­len, so­fern sie ob­jek­tiv und an­ge­mes­sen sind und im Rah­men des na­tio­na­len Rechts durch ein le­gi­ti­mes Ziel aus den Be­rei­chen Be-


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schäfti­gungs­po­li­tik, Ar­beits­markt und be­ruf­li­che Bil­dung ge­recht­fer­tigt und die Mit­tel zur Er­rei­chung die­ses Zwecks an­ge­mes­sen und er­for­der­lich sind.

2. Nach Auf­fas­sung des Eu­ropäischen Ge­richts­hofs stellt die durch § 14 Abs. 3 Satz 4 Tz­B­fG für die Ar­beit­ge­ber eröff­ne­te Möglich­keit zur sach­grund­lo­sen Be­fris­tung von Ar­beits­verträgen mit Ar­beit­neh­mern, die das 52. Le­bens­jahr voll­endet ha­ben, ei­ne un­mit­tel­bar auf dem Al­ter be­ru­hen­de Un­gleich­be­hand­lung dar. Zwar sei das mit der Vor­schrift ver­folg­te Ziel, die be­ruf­li­che Ein­glie­de­rung ar­beits­lo­ser älte­rer Ar­beit­neh­mer zu fördern, grundsätz­lich als ei­ne ob­jek­ti­ve und an­ge­mes­se­ne Recht­fer­ti­gung der auf dem Merk­mal des Al­ters be­ru­hen­den Un­gleich­be­hand­lung an­zu­se­hen (EuGH 22. No­vem­ber 2005 - C-144/04 [Man­gold] - AP Richt­li­nie 2000/78/EG Nr. 1 = EzA Tz­B­fG § 14 Nr. 21, Rn. 61). Der den Mit­glied­staa­ten bei der Wahl der Maßnah­men zur Er­rei­chung ih­rer Zie­le im Be­reich der Ar­beits- und So­zi­al­po­li­tik zu­ste­hen­de wei­te Er­mes­sens­spiel­raum (EuGH 22. No­vem­ber 2005 aaO, Rn. 63) wer­de aber über­schrit­ten, wenn die na­tio­na­le Vor­schrift das Al­ter des be­trof­fe­nen Ar­beit­neh­mers als ein­zi­ges Kri­te­ri­um für die Be­fris­tung des Ar­beits­ver­trags vor­se­he, so­fern nicht nach­ge­wie­sen sei, dass die Fest­le­gung ei­ner Al­ters­gren­ze un­abhängig von der Struk­tur des je­wei­li­gen Ar­beits­markts und der persönli­chen Si­tua­ti­on des Be­trof­fe­nen zur be­ruf­li­chen Ein­glie­de­rung ar­beits­lo­ser älte­rer Ar­beit­neh­mer er­for­der­lich sei. Mit die­sem In­halt ge­he die Vor­schrift über das hin­aus, was zur Er­rei­chung des ver­folg­ten Ziels an­ge­mes­sen und er­for­der­lich sei. Zur Wah­rung des Grund­sat­zes der Verhält­nismäßig­keit sei es er­for­der­lich, bei Aus­nah­men von ei­nem In­di­vi­du­al­recht die Er­for­der­nis­se des Gleich­be­hand­lungs­grund­sat­zes so­weit wie möglich mit de­nen des an­ge­streb­ten Ziels in Ein­klang zu brin­gen. Der­ar­ti­ge na­tio­na­le Vor­schrif­ten könn­ten da­her nicht nach Art. 6 Abs. 1 der RL 2000/78/EG ge­recht­fer­tigt wer­den (EuGH 22. No­vem­ber 2005 aaO, Rn. 65)

Der Fest­stel­lung ei­ner nicht ge­recht­fer­tig­ten Un­gleich­be­hand­lung ste­he nicht ent­ge­gen, dass die Um­set­zungs­frist für die RL 2000/78/EG noch nicht ab­ge­lau­fen sei (EuGH 22. No­vem­ber 2005 - C-144/04 [Man­gold] - AP Richt­li­nie 2000/78/EG Nr. 1 = EzA Tz­B­fG § 14 Nr. 21, Rn. 66).

Ers­tens dürf­ten die Mit­glied­staa­ten be­reits während der Lauf­zeit der Um­set­zungs­frist ei­ner Richt­li­nie die Er­rei­chung des Richt­li­ni­en­ziels durch ih­re Rechts­set­zung nicht ernst­haft in Fra­ge stel­len (EuGH 22. No­vem­ber 2005 - C-144/04 [Man­gold] - AP Richt­li­nie 2000/78/EG Nr. 1 = EzA Tz­B­fG § 14 Nr. 21, Rn. 67). Dies gel­te un­abhängig da­von, ob mit der na­tio­na­len Re­ge­lung ei­ne Um­set­zung der Richt­li­nie be­ab­sich­tigt sei. Die Ein­schränkung der zeit­li­chen Gel­tung der Re­ge­lung in § 14 Abs. 3 Satz 4 Tz­B­fG


 

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bis zum 31. De­zem­ber 2006 führe nicht zu ei­ner an­de­ren Be­ur­tei­lung, da die Bun­des­re­pu­blik in­ner­halb der bis zum 2. De­zem­ber 2006 verlänger­ten Um­set­zungs­frist Maßnah­men zu er­grei­fen ha­be, um das na­tio­na­le Recht dem in der Richt­li­nie vor­ge­schrie­be­nen Er­geb­nis an­zunähern. Außer­dem wer­de am 31. De­zem­ber 2006 ein be­acht­li­cher Teil der Ar­beit­neh­mer, mit de­nen nach § 14 Abs. 3 Satz 4 Tz­B­fG sach­grund­los be­fris­te­te Ar­beits­verhält­nis­se ver­ein­bart wor­den sei­en, wei­ter un­ter die Re­ge­lung des § 14 Abs. 3 Tz­B­fG fal­len, so dass die­se Per­so­nen­grup­pe von be­stands­geschütz­ten un­be­fris­te­ten Ar­beits­verhält­nis­sen vor­aus­sicht­lich auf Dau­er aus­ge­schlos­sen sei (EuGH 22. No­vem­ber 2005 - C-144/04 [Man­gold] - AP Richt­li­nie 2000/78/EG Nr. 1 = EzA Tz­B­fG § 14 Nr. 21, Rn. 68 bis 73).

Zwei­tens sei der Grund­satz der Gleich­be­hand­lung in Beschäfti­gung und Be­ruf nicht in der RL 2000/78/EG ver­an­kert. Die­se be­zwe­cke le­dig­lich die Schaf­fung ei­nes all­ge­mei­nen Rah­mens zur Bekämp­fung der Dis­kri­mi­nie­run­gen we­gen der in der RL 2000/78/EG ge­nann­ten Merk­ma­le (EuGH 22. No­vem­ber 2005 - C-144/04 [Man­gold] - AP Richt­li­nie 2000/78/EG Nr. 1 = EzA Tz­B­fG § 14 Nr. 21, Rn. 74). Das grundsätz­li­che Ver­bot die­ser For­men der Dis­kri­mi­nie­rung ha­be sei­nen Ur­sprung in den ver­schie­de­nen völker­recht­li­chen Verträgen und den ge­mein­sa­men Ver­fas­sungs­tra­di­tio­nen der Mit­glied­staa­ten. Das Ver­bot der Dis­kri­mi­nie­rung we­gen des Al­ters sei so­mit als all­ge­mei­ner Grund­satz des Ge­mein­schafts­rechts an­zu­se­hen (EuGH 22. No­vem­ber 2005 aaO Rn. 75). Die Wah­rung des all­ge­mei­nen Grund­sat­zes der Gleich­be­hand­lung ins­be­son­de­re im Hin­blick auf das Al­ter hänge nicht vom Ab­lauf der Um­set­zungs­frist für die RL 2000/78/EG ab. Es ob­lie­ge da­her dem na­tio­na­len Ge­richt, bei dem ein Rechts­streit über das Ver­bot der Dis­kri­mi­nie­rung we­gen des Al­ters anhängig sei, im Rah­men sei­ner Zuständig­kei­ten den recht­li­chen Schutz, der sich für den Ein­zel­nen aus dem Ge­mein­schafts­recht er­ge­be, zu gewähr­leis­ten, in­dem es je­de mögli­cher­wei­se ent­ge­gen­ste­hen­de Be­stim­mung des na­tio­na­len Rechts un­an­ge­wen­det las­se (EuGH 22. No­vem­ber 2005 aaO Rn. 76 und 77).

II. Der Se­nat ist an den mit ei­nem Ver­s­toß ge­gen das Ziel der RL 2000/78/EG und mit ei­nem Ver­s­toß ge­gen das auf all­ge­mei­nen Grundsätzen des Ge­mein­schafts­rechts be­ru­hen­den Ver­bot der Al­ters­dis­kri­mi­nie­rung be­gründe­ten Un­an­wend­bar­keits­aus­spruch des Eu­ropäischen Ge­richts­hofs ge­bun­den. Die Ent­schei­dung des Ge­richts­hofs be­ruht auf der Aus­le­gung des Ver­trags zur Gründung der Eu­ropäischen Ge­mein­schaft iSd. Art. 234 Abs. 1 Buchst. a EG und hält sich im Rah­men der dem Eu­ropäi­schen Ge­richts­hof nach Art. 23 Abs. 1 Satz 2 GG über­tra­ge­nen Zuständig­kei­ten. Mit

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der auf das Ver­bot der Al­ters­dis­kri­mi­nie­rung gestütz­ten Be­gründung hat der Ge­richts­hof die ihm durch die deut­schen Zu­stim­mungs­ge­set­ze zu den Eu­ropäischen Verträgen über­tra­ge­nen Kom­pe­ten­zen nicht über­schrit­ten. Glei­ches gilt für die Ausführun­gen zum Ver­s­toß ge­gen das Ziel der RL 2000/78/EG iVm. mit den Grundsätzen zur Vor­wir­kung ei­ner Richt­li­nie. Die im Schrift­tum (Bau­er/Ar­nold NJW 2006, 6; Gie­sen SAE 2006, 45; La­ber/Goetz­mann Ar­bRB 2006, 51; Ko­enigs DB 2006, 49; Ni­co­lai DB 2005, 2641; Preis NZA 2006, 401; Reich EuZW 2006, 20; Reichold ZESAR 2006, 55; Thüsing ZIP 2005, 2149) geäußer­te Kri­tik an der Ent­schei­dung vom 22. No­vem­ber 2005 ge­bie­tet kein er­neu­tes Vor­ab­ent­schei­dungs­ver­fah­ren zu § 14 Abs. 3 Satz 4 Tz­B­fG.

1. Nach Art. 220 EG si­chert der Eu­ropäische Ge­richts­hof die Wah­rung des Rechts bei der Aus­le­gung und An­wen­dung des Ver­trags. Hier­zu ent­schei­det er nach Art. 234 Abs. 1 Buchst. a EG in ei­nem Vor­ab­ent­schei­dungs­ver­fah­ren über die Aus­le­gung des Ver­trags. Da­durch soll ei­ne ein­heit­li­che Aus­le­gung und An­wen­dung des Ge­mein­schafts­rechts durch die na­tio­na­len Ge­rich­te gewähr­leis­ten wer­den (EuGH 27. März 1980 - Rs. 61/79 - [Den­ka­vit In­ta­lia­na] Eu­GHE 1980, 1205, Rn. 15). Von Art. 234 Abs. 1 Buchst. a EG er­fasst wer­den nicht nur die Be­stim­mun­gen des Ver­trags zur Gründung der Eu­ropäischen Ge­mein­schaft, son­dern auch das sons­ti­ge Primärrecht, wie zB die Vor­schrif­ten des Ver­trags über die Eu­ropäische Uni­on (EU). Zum Primär­recht zählen da­her auch die Grund­rech­te, wie sie in der EM­RK gewähr­leis­tet sind und wie sie sich aus den ge­mein­sa­men Ver­fas­sungsüber­lie­fe­run­gen der Mit­glied­staa­ten als all­ge­mei­ne Grundsätze des Ge­mein­schafts­rechts er­ge­ben (Art. 6 Abs. 2 EU).

Durch Art. 234 Abs. 1 EG ist dem Ge­richts­hof im Verhält­nis zu den Ge­rich­ten der Mit­glied­staa­ten die ab­sch­ließen­de Ent­schei­dungs­be­fug­nis über die Aus­le­gung des Ver­trags so­wie über die Gültig­keit und die Aus­le­gung der dort ge­nann­ten ab­ge­lei­te­ten ge­mein­schafts­recht­li­chen Ak­te über­tra­gen wor­den (BVerfG 25. Ju­li 1979 - 2 BvL 6/77 - BVerfGE 52, 187, 200). Die Zuständig­keit des Eu­ropäischen Ge­richts­hofs er­streckt sich nicht nur auf die Ent­schei­dung über die Rechtsgültig­keit der Nor­men des Ge­mein­schafts­rechts, son­dern auch über die nach sei­ner Auf­fas­sung exis­tie­ren­den un­ge­schrie­be­nen Nor­men des Ge­mein­schafts­rechts und ih­re Aus­le­gung, die als primäres Ge­mein­schafts­recht Gel­tung ent­fal­ten (BVerfG 29. Mai 1974 - 2 BvL 52/71 - BVerfGE 37, 271, 281). Die Ermäch­ti­gung zu ei­ner ver­bind­li­chen Ent­schei­dung im Rah­men ei­nes Vor­ab­ent­schei­dungs­ver­fah­rens be­ruht auf den der Eu­ropäischen Uni­on durch die Zu­stim­mungs­ge­set­ze gemäß Art. 23 Abs. 1 Satz 2, Art. 59 Abs. 2 Satz 1 GG über­tra­ge­nen Kom­pe­ten­zen (BVerfG 22. Ok­to­ber 1986 - 2 BvR 197/83 - BVerfGE 73, 339,

 


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375). In die­sem Rah­men ist der Eu­ropäische Ge­richts­hof in ei­nem Vor­ab­ent­schei­dungs­ver­fah­ren über die Aus­le­gung und Kon­kre­ti­sie­rung vor­han­de­ner Kom­pe­ten­zen der Ge­mein­schaft im Lich­te und im Ein­klang mit den Ver­trags­zie­len auch zu ei­ner Rechts­fort­bil­dung des Ge­mein­schafts­rechts be­ru­fen (BVerfG 8. April 1987 - 2 BvR 687/85 - BVerfGE 75, 223, 242). Le­dig­lich ei­ne von den Zu­stim­mungs­ge­set­zen nicht mehr ge­deck­te Hand­ha­bung oder Fort­bil­dung des Ver­trags durch den Ge­richts­hof ist als un­ver­bind­lich an­zu­se­hen (BVerfG 12. Ok­to­ber 1993 - 2 BvR 2134/92 - BVerfGE 89, 155, 188).

2. Ge­mes­sen an die­sen Grundsätzen hält sich das Er­geb­nis der Ent­schei­dung des Eu­ropäischen Ge­richts­hofs vom 22. No­vem­ber 2005 in­ner­halb der durch die deut­schen Zu­stim­mungs­ge­set­ze zum eu­ropäischen In­te­gra­ti­ons­pro­zess ge­zo­ge­nen Gren­zen.

Die Ent­schei­dung des Eu­ropäischen Ge­richts­hofs über die Un­an­wend­bar­keit von § 14 Abs. 3 Satz 4 Tz­B­fG be­ruht auf der Aus­le­gung und An­wen­dung von ge­mein­schafts­recht­li­chem Primärrecht iSd. Art. 234 Abs. 1 Buchst. a EG, nämlich des Grund­sat­zes der Ver­trags­treue der Mit­glied­staa­ten (Art. 10 Abs. 2, Art. 249 Abs. 3 EG) so­wie der all­ge­mei­nen Grundsätze des Ge­mein­schafts­rechts. Das Vor­lie­gen ei­ner Dop­pel­be­gründung folgt dar­aus, dass der Eu­ropäische Ge­richts­hof sei­ne Ausführun­gen zur Vor­wir­kung von Richt­li­ni­en mit dem Wort „ers­tens“ und die Dar­le­gun­gen zur Un­ver­ein­bar­keit von § 14 Abs. 3 Satz 4 Tz­B­fG mit dem all­ge­mei­nen ge­mein­schafts­recht­li­chen Grund­satz der Gleich­be­hand­lung mit dem Wort „zwei­tens“ be­gon­nen hat. Die Ent­schei­dung ist je­den­falls im Er­geb­nis un­miss­verständ­lich. Ei­ner er­neu­ten Vor­la­ge an den Eu­ropäischen Ge­richts­hof zur Un­ver­ein­bar­keit von § 14 Abs. 3 Satz 4 Tz­B­fG mit Ge­mein­schafts­recht be­darf es des­halb nicht.

a) Der Se­nat ist an den Un­an­wend­bar­keits­aus­spruch des Eu­ropäischen Ge­richts­hofs ge­bun­den, so­weit er die Un­an­wend­bar­keit von § 14 Abs. 3 Satz 4 Tz­B­fG mit ei­ner mit all­ge­mei­nen Grundsätzen des Ge­mein­schafts­rechts nicht zu ver­ein­ba­ren­den Un­gleich­be­hand­lung im Hin­blick auf das Al­ter be­gründet hat.

aa) Es ent­spricht ständi­ger Recht­spre­chung des Eu­ropäischen Ge­richts­hofs, dass er bei der Gewähr­leis­tung der Grund­rech­te von den ge­mein­sa­men Ver­fas­sungsüber­lie­fe­run­gen der Mit­glied­staa­ten aus­zu­ge­hen hat und kei­ne Maßnah­men „als rech­tens“ an­er­ken­nen kann, die un­ver­ein­bar sind mit den von den Ver­fas­sun­gen die­ser Staa­ten an­er­kann­ten und geschütz­ten Grund­rech­ten (14. Mai 1974 - Rs. 4/73 [Nold] - Eu­GHE


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1974, 491). Die­se Recht­spre­chung hat Ein­gang in den Ver­trag über die Eu­ropäische Uni­on ge­fun­den. Art. 6 Abs. 2 EU stellt ei­ne Ko­di­fi­ka­ti­on der Grundsätze des be­reits zu­vor vom Eu­ropäischen Ge­richts­hof richter­recht­lich ent­wi­ckel­ten Grund­rechts­schut­zes dar. Zu den all­ge­mei­nen Grundsätzen des Ge­mein­schafts­rechts zählt nach Auf­fas­sung des Eu­ropäischen Ge­richts­hofs auch der Grund­satz der Gleich­be­hand­lung in Beschäfti­gung und Be­ruf, der ei­ner Dis­kri­mi­nie­rung we­gen der in Art. 1 RL 2000/78/EG ge­nann­ten Merk­ma­le ent­ge­gen­steht (EuGH 22. No­vem­ber 2005 - C-144/04 [Man­gold] - AP Richt­li­nie 2000/78/EG Nr. 1 = EzA Tz­B­fG § 14 Nr. 21, Rn. 74 f.). Die­ser Grund­satz ist als ein Un­ter­fall des all­ge­mei­nen Grund­sat­zes der Gleich­heit und der Nicht­dis­kri­mi­nie­rung an­zu­se­hen, der zu den Ge­mein­schafts­grund­rech­ten gehört (EuGH 19. Ok­to­ber 1977 - Rs. 117/76 [Ruck­de­schel] - Eu­GHE 1977, 1753, Rn. 7; 6. De­zem­ber 1984 - Rs. 59/83 [Bio­vilac] - Eu­GHE 1984, 4057, Rn. 19). Da­nach dürfen glei­che Sach­ver­hal­te nur un­ter­schied­lich be­han­delt wer­den, wenn ei­ne Dif­fe­ren­zie­rung ob­jek­tiv ge­recht­fer­tigt ist. Bei der Durchführung der ge­mein­schafts­recht­li­chen Re­ge­lun­gen müssen die Mit­glied­staa­ten die Er­for­der­nis­se des Grund­rechts­schut­zes in der Ge­mein­schafts­rechts­ord­nung be­ach­ten (EuGH 12. De­zem­ber 2002 - C-442/00 [Ca­bal­le­ro] - Eu­GHE I 2002, 11915, Rn. 32, 30). Der all­ge­mei­ne Grund­satz der Gleich­heit und der Nicht­dis­kri­mi­nie­rung, auf den sich auch ei­ne Pri­vat­per­son vor ei­nem na­tio­na­len Ge­richt be­ru­fen kann (EuGH 15. April 1997 - C-27/95 [Bakers of Nail­sea] - Eu­GHE I 1997, 1847, Rn. 21), be­grenzt da­her den na­tio­na­len Ge­setz­ge­ber bei der Norm­set­zung, so­weit des­sen Re­ge­lung in den An­wen­dungs­be­reich des Ge­mein­schafts­rechts fällt (EuGH 29. Mai 1997 - C-299/95 [Krem­zow] - Eu­GHE I 1997, 2629, Rn. 15 f.). Verstößt ei­ne in­ner­staat­li­che Re­ge­lung ge­gen den ge­mein­schafts­recht­li­chen Gleich­heits­satz, ist das na­tio­na­le Ge­richt ge­hal­ten, ei­ne dis­kri­mi­nie­ren­de na­tio­na­le Be­stim­mung außer An­wen­dung zu las­sen, oh­ne dass es ih­re vor­he­ri­ge Auf­he­bung durch den Ge­setz­ge­ber be­an­tra­gen oder ab­war­ten müss­te. Auf die Mit­glie­der der be­nach­tei­lig­ten Grup­pe ist die Re­ge­lung an­zu­wen­den, die für die übri­gen Ar­beit­neh­mer gilt (EuGH 12. De­zem­ber 2002 - C-442/00 [Ca­bal­le­ro] - aaO, Rn. 43; bestätigt durch EuGH 16. De­zem­ber 2004 - C-520/03 [Va­le-ro] - Eu­GHE I 2004, 12065, Rn. 34-38; zur Prüfungs­kom­pe­tenz und Vor­la­ge­pflicht der na­tio­na­len Ge­rich­te in die­sen Fällen EuGH 15. April 1997 - C-27/95 [Bakers of Nail­sea] - aaO, Rn. 19 f.). Das Bun­des­ver­fas­sungs­ge­richt hat die am all­ge­mei­nen Gleich­heits­satz und dem Ver­bot der Nicht­dis­kri­mi­nie­rung ori­en­tier­te Grund­rechtsprüfung des Eu­ropäischen Ge­richts­hofs ge­bil­ligt und zum An­lass ge­nom­men, sei­ne Prüfungs­kom­pe­tenz bei der An­wen­dung von ab­ge­lei­te­tem Ge­mein­schafts­recht in­so­weit zurück­zu­neh­men (22. Ok­to­ber 1986 - 2 BvR 197/83 - BVerfGE 73, 339, 378 ff.).


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bb) Die durch § 14 Abs. 3 Satz 4 Tz­B­fG vor­ge­nom­me­ne Un­gleich­be­hand­lung von Ar­beit­neh­mern ab Voll­endung des 52. Le­bens­jah­res ge­genüber an­de­ren Ar­beit­neh­mern konn­te ei­ner am Grund­satz der Gleich­be­hand­lung in Beschäfti­gung und Be­ruf ori­en­tier­ten Prüfung un­ter­zo­gen wer­den. Das Tz­B­fG fällt in den Gel­tungs­be­reich des Ge­mein­schafts­rechts, da es nach der amt­li­chen An­mer­kung des Ge­setz­ge­bers der Um­set­zung der RL 1999/70/EG dient. Auch die Her­an­zie­hung des Grund­sat­zes der Gleich­be­hand­lung in Beschäfti­gung und Be­ruf als Un­ter­fall des all­ge­mei­nen Grund­sat­zes der Gleich­heit und der Nicht­dis­kri­mi­nie­rung hält sich in dem für den Eu­ropäischen Ge­richts­hof durch Art. 23 Abs. 1 GG eröff­ne­ten Rah­men. Zwar mag es zu­tref­fen, dass ein Ver­bot der Al­ters­dis­kri­mi­nie­rung bis­her we­der in den ver­bind­lich gel­ten­den völker­recht­li­chen Verträgen noch in ei­ner nen­nens­wer­ten An­zahl der Ver­fas­sun­gen der Mit­glied­staa­ten aus­drück­lich ge­nannt ist (nach Preis NZA 2006, 401, 406 ist ein Ver­bot der Al­ters­dis­kri­mi­nie­rung nur in der fin­ni­schen und por­tu­gie­si­schen Ver­fas­sung erwähnt). Dies schließt es nicht aus, das Ver­bot ei­ner nicht ge­recht­fer­tig­ten Un­gleich­be­hand­lung we­gen des Al­ters aus den of­fen for­mu­lier­ten Tat­beständen der völker­recht­li­chen Verträge und Ver­fas­sun­gen der Mit­glied­staa­ten, die Dis­kri­mi­nie­run­gen für un­zulässig erklären, her­zu­lei­ten (Körner NZA 2005, 1395, 1397). Da­ne­ben ist es me­tho­disch ver­tret­bar und hält sich da­her im Rah­men der dem Eu­ropäischen Ge­richts­hof bei der Aus­le­gung des Primärrechts eröff­ne­ten Rechts­er­kennt­nismöglich­kei­ten, sich bei der Her­lei­tung ei­nes ein­heit­li­chen ge­mein­schafts­recht­li­chen Grund­rechts­schut­zes nicht an ei­ner Min­dest­an­zahl von Mit­glied­staa­ten zu ori­en­tie­ren, son­dern an dem in ei­nem Mit­glied­staat oder nur in ei­ner ge­rin­gen An­zahl von Mit­glied­staa­ten aus­drück­lich gewähr­leis­te­ten Grund­rechts­schutz, so­weit dies nicht zu ei­ner Kol­li­si­on mit Ver­fas­sungs­grundsätzen an­de­rer Mit­glied­staa­ten führt. Die­se Me­tho­dik steht im Ein­klang mit der Recht­spre­chung des Bun­des­ver­fas­sungs­ge­richts, wo­nach der Eu­ropäische Ge­richts­hof nicht ge­hal­ten ist, die all­ge­mei­nen Rechts­grundsätze des Ge­mein­schafts­rechts auf dem in­so­weit be­schei­dens­ten all­ge­mei­nen Nen­ner aus dem Ver­gleich der mit­glied-staat­li­chen Ver­fas­sun­gen zu ver­or­ten, son­dern zu er­war­ten ist, dass er nach der bestmögli­chen Ent­fal­tung ei­nes Grund­recht­s­prin­zips im Ge­mein­schafts­recht trach­ten wird (22. Ok­to­ber 1986 - 2 BvR 197/83 - BVerfGE 73, 339, 385).

Selbst wenn das Ver­bot der Dis­kri­mi­nie­rung we­gen des Al­ters durch den Eu­ropäischen Ge­richts­hof nicht im Rah­men der Ver­trags­aus­le­gung, son­dern nur im We­ge ei­ner je­den­falls par­ti­el­len Rechts­fort­bil­dung hätte her­an­ge­zo­gen wer­den können, läge dar­in kei­ne Über­schrei­tung der durch die Zu­stim­mungs­ge­set­ze zum eu­ropäischen In­te­gra­ti­ons­pro­zess eröff­ne­ten Kom­pe­tenz des Ge­richts­hofs. Ei­ne ent­spre­chen­de


 

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Rechts­fort­bil­dung wäre im Hin­blick auf das ge­mein­schafts­recht­li­che Ziel der Rechts­an­glei­chung mit na­tio­na­lem Ver­fas­sungs­recht ver­ein­bar. Die Her­an­zie­hung des Grund­sat­zes der Gleich­be­hand­lung in Beschäfti­gung und Be­ruf als Un­ter­fall des all­ge­mei­nen Grund­sat­zes der Gleich­heit und Nicht­dis­kri­mi­nie­rung hält sich in­ner­halb der auf die Ge­mein­schaft über­tra­ge­nen Zuständig­kei­ten und ver­trag­lich be­gründe­ten Hand­lungsmöglich­kei­ten. Die auf die Ge­mein­schaft über­tra­ge­ne Kom­pe­tenz um­fass­te je­den­falls nach der ein­stim­mi­gen Ver­ab­schie­dung der auf Art. 13 Abs. 1 EG gestütz­ten Richt­li­ni­en Maßnah­men zur Bekämp­fung von Dis­kri­mi­nie­run­gen we­gen der dort ge­nann­ten Merk­ma­le.

b) An­ge­sichts des­sen kann da­hin ge­stellt blei­ben, ob der Se­nat auch an den Un­an­wend­bar­keits­aus­spruch des Eu­ropäischen Ge­richts­hofs ge­bun­den ist, so­weit er die Un­an­wend­bar­keit von § 14 Abs. 3 Satz 4 Tz­B­fG aus dem Ziel und Zweck der RL 2000/78/EG iVm. den für die Vor­wir­kung von Richt­li­ni­en gel­ten­den Grundsätzen her­ge­lei­tet hat. Der Se­nat meint al­ler­dings, dass der Ge­richts­hof auch in­so­weit sei­ne ihm durch den Ver­trag zu­ge­wie­se­nen Kom­pe­ten­zen nicht über­schrit­ten hat. Ei­ne Aus­le­gung des Ge­mein­schafts­rechts durch den Eu­ropäischen Ge­richts­hof, wo­nach ei­ne nicht oder nicht ord­nungs­gemäße Um­set­zung ei­ner Richt­li­nie stets zu ih­rer un­mit­tel­ba­ren Gel­tung zwi­schen den Bürgern der Mit­glied­staa­ten führt, stünde zwar an­ge­sichts des ein­deu­ti­gen Wort­lauts des Art. 249 Abs. 3 EG mit den an die Ge­mein­schaft nach Art. 23 Abs. 1 Satz 2 GG über­tra­ge­nen Zuständig­kei­ten nicht im Ein­klang. Die Be­gründung des Eu­ropäischen Ge­richts­hofs ist nach Auf­fas­sung des Se­nats je­doch da­hin­ge­hend zu ver­ste­hen, dass ein während der Um­set­zungs­frist ei­ner Richt­li­nie er­las­se­nes na­tio­na­les Ge­setz un­an­wend­bar ist, wenn sein In­halt im Wi­der­spruch zu dem Richt­li­ni­en­ziel steht und ei­ne Möglich­keit zur ge­mein­schafts­kon­for­men Aus­le­gung nicht be­steht. Da­mit hält sich die vom Ge­richts­hof ge­ge­be­ne Be­gründung im Rah­men der an die Ge­mein­schaft über­tra­ge­nen Kom­pe­ten­zen. Der Eu­ropäische Ge­richts­hof hat den aus sei­ner Sicht bei der Gültig­keitsprüfung von § 14 Abs. 3 Satz 4 Tz­B­fG be­ste­hen­den Kon­flikt zwi­schen den Grundsätzen der Ver­bind­lich­keit des Richt­li­ni­en­ziels für die zur Ver­trags­treue ver­pflich­te­ten Mit­glied­staa­ten und der feh­len­den un­mit­tel­ba­ren Gel­tung der RL 2000/78/EG un­ter Pri­va­ten zu Guns­ten ei­nes Vor­rangs des Grund­sat­zes der Ver­trags­treue auf­gelöst.

aa) Rechts­grund­la­ge für die An­nah­me ei­ner Vor­wir­kung von Richt­li­ni­en ist der Grund­satz der Ver­trags­treue der Mit­glied­staa­ten, wie er in Art. 10 Abs. 2 EG und Art. 249 Abs. 3 EG ent­hal­ten ist. Da­nach sind die Mit­glied­staa­ten nicht nur ge­hal­ten, die


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Richt­li­ni­en recht­zei­tig, ih­rem Geis­te nach und in wirk­sa­mer Wei­se um­zu­set­zen, son­dern auch ver­pflich­tet, kei­ne Maßnah­men zu er­grei­fen, die dem Ziel des Ge­mein­schafts­rechts zu­wi­der­lau­fen. Die­se Pflicht ob­liegt al­len Trägern öffent­li­cher Ge­walt in den Mit­glied­staa­ten ein­sch­ließlich der Ge­rich­te im Rah­men ih­rer Zuständig­kei­ten. Die staat­li­chen Stel­len ha­ben al­le Maßnah­men zu un­ter­las­sen, die ge­eig­net sind, die Zie­le der eu­ropäischen Rechts­set­zung zu gefähr­den oder gar zu ver­hin­dern. Der Grund­satz der Ver­trags­treue be­grenzt des­halb auch die Rechts­set­zungs­be­fug­nis des na­tio­na­len Ge­setz­ge­bers im Gel­tungs­be­reich von Richt­li­ni­en, de­ren Um­set­zungs­frist noch nicht ab­ge­lau­fen ist. Be­reits vor Ab­lauf der Um­set­zungs­frist be­steht ein Ge­bot zur Berück­sich­ti­gung der Richt­li­nie mit dem Ziel der künf­ti­gen Wah­rung der Wi­der­spruchs­frei­heit der ge­mein­sa­men Rechts­ord­nung. Die Mit­glied­staa­ten dürfen kei­ne Rechts­nor­men er­las­sen, die ge­eig­net sind, der späte­ren Um­set­zung der Richt­li­nie fak­tisch ent­ge­gen­zu­ste­hen oder die Er­rei­chung des in die­ser Richt­li­nie vor­ge­schrie­be­nen Ziels ernst­lich in Fra­ge zu stel­len (EuGH 10. No­vem­ber 2005 - C-316/04 [Sticht­ing Zu­id-Hol­land­se Mi­lieu­fe­de­ra­tie] - zur Veröffent­li­chung in Eu­GHE I vor­ge­se­hen, Rn. 42; 8. Mai 2003 - C­14/02 [ATRALSA] - Eu­GHE I 2003, 4431, Rn. 58; 22. Ju­ni 2000 - C-318/98 [For­na­sar] - Eu­GHE I 2000, 4785, Rn. 41 f.; 18. De­zem­ber 1997 - C-129/96 [In­ter-En­vi­ron­ne­ment Wal­lo­nie] - Eu­GHE I 1997, 7411, Rn. 40).

bb) Al­ler­dings ermäch­tigt der Grund­satz der Vor­wir­kung die na­tio­na­len Ge­rich­te re­gelmäßig nur zu ei­ner ge­mein­schafts­kon­for­men Aus­le­gung des na­tio­na­len Rechts. Dies steht im Ein­klang mit der Recht­spre­chung des Eu­ropäischen Ge­richts­hofs, nach der Richt­li­ni­en im Un­ter­schied zu den Nor­men des Primärrechts kei­ne un­mit­tel­ba­re Wir­kung zu­kommt. Nach Art. 249 Abs. 3 EG wen­den sich Richt­li­ni­en an die Mit­glied­staa­ten und ver­pflich­ten die­se, die in ih­nen ent­hal­te­nen Vor­ga­ben in na­tio­na­les Recht um­zu­set­zen. Da­her können Richt­li­ni­en nur in Aus­nah­mefällen un­mit­tel­ba­re Wir­kung ent­fal­ten. Al­ler­dings kann sich ein Mit­glied­staat, der ei­ne Richt­li­nie nicht oder nicht ord­nungs­gemäß in­ner­halb der vor­ge­se­he­nen Frist um­ge­setzt hat, sei­nen Bürgern ge­genüber nicht auf die­se Säum­ig­keit be­ru­fen. Im In­ter­es­se der prak­ti­schen Durch­set­zung des Ge­mein­schafts­rechts kommt der Richt­li­nie in die­sem Fall un­mit­tel­ba­re Wir­kung zu­guns­ten der Bürger zu, wenn die be­tref­fen­de Vor­schrift ei­ne in­halt­lich hin­rei­chend be­stimm­te und un­be­ding­te Re­ge­lung enthält (EuGH 5. Ok­to­ber 2004 - C-397/01 [Pfeif­fer] - Eu­GHE I 2004, 8835 = AP EWG-Richt­li­nie Nr. 93/104 Nr. 12 = EzA Richt­li­nie 93/104 EG-Ver­trag 1999 Nr. 1 mwN, Rn. 103, 108 f.). Lie­gen die Vor­aus­set­zun­gen für ei­ne un­mit­tel­ba­re Wir­kung der Richt­li­nie - wie stets im Verhält­nis zwi­schen Pri­va­ten - nicht vor, be­steht für das na­tio­na­le Ge­richt nach Ge­mein­schafts­recht kei­ne Möglich­keit,


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na­tio­na­le Vor­schrif­ten „zu eli­mi­nie­ren, die von ei­ner Vor­schrift ei­ner nicht um­ge­setz­ten Richt­li­nie ab­wei­chen (EuGH 26. Sep­tem­ber 1996 - C-168/95 [Ar­ca­ro] - Eu­GHE I 1996, 4705, Rn. 40, 43).

cc) Von die­ser Recht­spre­chung ist der Eu­ropäische Ge­richts­hof in der Ent­schei­dung vom 22. No­vem­ber 2005 nicht ab­ge­wi­chen. Er hat nur klar ge­stellt, dass sich ein Uni­onsbürger auch außer­halb ei­nes Rechts­verhält­nis­ses mit dem Mit­glied­staat auf die Ver­bind­lich­keit des Richt­li­ni­en­ziels be­ru­fen und ei­ne mit die­sem un­ver­ein­ba­re na­tio­na­le Rechts­set­zung zur ge­richt­li­chen Über­prüfung stel­len kann. Mit der da­mit mögli­cher­wei­se ver­bun­de­nen Er­wei­te­rung der Rechts­schutzmöglich­keit hat der Ge­richts­hof sei­ne Zuständig­keit nicht über­schrit­ten (aA Bau­er/Ar­nold NJW 2006, 6, 8; wohl auch Ni­co­lai DB 2005, 2641, 2642). Der von ihm zur Be­gründung der Un­an­wend­bar­keit des § 14 Abs. 3 Satz 4 Tz­B­fG her­an­ge­zo­ge­ne Grund­satz der Ver­trags­treue der Mit­glied­staa­ten und die hier­aus ab­ge­lei­te­te Vor­wir­kung von Richt­li­ni­en zählen zum Primärrecht der Ge­mein­schaft. Die mit der Ver­bind­lich­keit des Richt­li­ni­en­ziels be­gründe­te Ent­sch­ei­dung gründet sich auf den Wort­laut so­wie den Norm­zweck des Art. 249 Abs. 3 EG und hält sich da­mit im Rah­men der für die Aus­le­gung des Ver­trags gel­ten­den Grundsätze (BVerfG 8. April 1987 - 2 BvR 687/85 - BVerfGE 75, 223, 243).

Ei­ne nach na­tio­na­lem Ver­fas­sungs­recht un­zulässi­ge Er­wei­te­rung der bis­her an­er­kann­ten Sank­ti­ons­ka­te­go­rie der Be­ru­fungsmöglich­keit des Uni­onsbürgers auf Richt­li­ni­en (BVerfG 8. April 1987 - 2 BvR 687/85 - BVerfGE 75, 223, 243) liegt hier­in nicht. Die ge­genüber frühe­ren Ent­schei­dun­gen des Ge­richts­hofs er­wei­ter­te Be­ru­fungsmöglich­keit auf das nach Art. 249 Abs. 3 EG ver­bind­li­che Richt­li­ni­en­ziel ori­en­tiert sich an der aus dem Grund­satz der Ver­trags­treue ab­ge­lei­te­ten Un­an­wend­bar­keit von na­tio­na­lem Recht. Für die mit der richt­li­ni­en­wid­ri­gen Um­set­zung ver­bun­de­ne Gefähr­dung des Ge­mein­schafts­rechts ist es oh­ne Be­deu­tung, ob sich die mit dem Richt­li­ni­en­ziel un­ver­ein­ba­re Rechts­set­zung des Mit­glied­staats nur ge­genüber sei­nen Bürgern oder auch im Verhält­nis un­ter Pri­va­ten aus­wirkt. In bei­den Fällen liegt ein Ver­s­toß des Mit­glied­staats ge­gen sei­ne sich aus Art. 10 Abs. 2, Art. 249 Abs. 3 EG er­ge­ben­den Ver­pflich­tun­gen vor. Die Be­ru­fungsmöglich­keit ei­ner Pri­vat­per­son auf die Ver­bind­lich­keit des Richt­li­ni­en­ziels führt auch zu kei­ner ho­ri­zon­ta­len Wir­kung von Richt­li­ni­en im Verhält­nis un­ter Pri­va­ten.

3. Ei­ne er­neu­te Vor­la­ge an den Eu­ropäischen Ge­richts­hof ist we­der aus ge­mein­schafts­recht­li­chen noch aus ver­fas­sungs­recht­li­chen Gründen ge­bo­ten.


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a) Nach Art. 234 Abs. 3 EG ha­ben die letzt­in­stanz­li­chen Ge­rich­te der Mit­glied­staa­ten die Pflicht, den Eu­ropäischen Ge­richts­hof an­zu­ru­fen, wenn ei­ne ent­sch­ei­dungs­er­heb­li­che Norm des Ge­mein­schafts­rechts aus­le­gungs­bedürf­tig ist. Die Vor­la­ge­pflicht entfällt, wenn die glei­che Rechts­fra­ge be­reits Ge­gen­stand ei­ner Aus­le­gung durch den Ge­richts­hof war (EuGH 6. Ok­to­ber 1982 - Rs. 283/81 - Eu­GHE 1982, 3415). Ei­ne Ent­schei­dung des Eu­ropäischen Ge­richts­hofs in ei­nem Vor­ab­ent­schei­dungs­ver­fah­ren hat un­mit­tel­ba­re Bin­dungs­wir­kung zwar nur für das Aus­gangs­ver­fah­ren, in wel­chem sie durch Vor­la­ge­be­schluss des da­mit be­fass­ten na­tio­na­len Ge­richts er­gan­gen ist. Wenn das letzt­in­stanz­li­che Ge­richt bei sei­ner Ent­schei­dung je­doch ei­ne vom Eu­ropäischen Ge­richts­hof be­reits geklärte In­ter­pre­ta­ti­on zu­grun­de legt, ist dem Ge­bot der ein­heit­li­chen An­wen­dung von Ge­mein­schafts­recht auch oh­ne er­neu­te Vor­la­ge Rech­nung ge­tra­gen. Die Ent­schei­dung darüber, ob ei­ne Vor­schrift des Ge­mein­schafts­rechts aus­le­gungs­bedürf­tig ist, trifft al­lein das in­ner­staat­li­che Ge­richt. Die­ses ist auch be­fugt, ei­ne vom Eu­ropäischen Ge­richts­hof be­reits ent­schie­de­ne Rechts­fra­ge als geklärt und da­mit nicht mehr vor­la­ge­bedürf­tig an­zu­se­hen.

Nach Art. 101 Abs. 1 Satz 2 GG stellt das Un­ter­las­sen ei­ner Vor­la­ge an den Eu­ropäischen Ge­richts­hof durch ein nach Art. 249 Abs. 3 EG an­ru­fungs­pflich­ti­ges Ge­richt nach na­tio­na­lem Ver­fas­sungs­recht ei­ne Ent­zie­hung des ge­setz­li­chen Rich­ters dar, wenn die­ses die Vor­la­ge­pflicht willkürlich außer Acht ge­las­sen hat. Ei­ne willkürli­che Ver­ken­nung der Vor­la­ge­pflicht kommt in Be­tracht, wenn ein letzt­in­stanz­li­ches Haupt­sa­che­ge­richt trotz der - sei­ner Auf­fas­sung nach be­ste­hen­den - Ent­schei­dungs­er­heb­lich­keit ei­ner ge­mein­schafts­recht­li­chen Fra­ge ei­ne Vor­la­ge über­haupt nicht in Er­wägung zieht, es be­wusst von der Recht­spre­chung des Eu­ropäischen Ge­richts­hofs ab­weicht und gleich­wohl nicht oder nicht neu­er­lich vor­legt, oder es den ihm not­wen­dig zu­kom­men­den Be­ur­tei­lungs­spiel­raum in un­ver­tret­ba­rer Wei­se bei Fällen über­schrit­ten hat, in de­nen ei­ne ein­schlägi­ge Recht­spre­chung des Eu­ropäischen Ge­richts­hofs noch nicht oder noch nicht erschöpfend vor­liegt oder ih­re Fort­ent­wick­lung nicht ganz fern­lie­gend ist; der Be­ur­tei­lungs­spiel­raum ist un­ver­tret­bar über­schrit­ten, wenn Ge­gen­auf­fas­sun­gen zu der ent­schei­dungs­er­heb­li­chen Fra­ge des Ge­mein­schafts­rechts ge­genüber der vom Ge­richt ver­tre­te­nen Mei­nung ein­deu­tig vor­zu­zie­hen sind (BVerfG 9. Ja­nu­ar 2001 - 1 BvR 1036/99 - EzA GG Art. 101 Nr. 4; 9. No­vem­ber 1987 - 2 BvR 808/82 - NJW 1988, 1456).

b) Der Se­nat ist auch un­ter Berück­sich­ti­gung der im Schrift­tum ge­genüber der Ent­schei­dung des Eu­ropäischen Ge­richts­hofs vom 22. No­vem­ber 2005 geäußer­ten


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Kri­tik nicht zu ei­ner er­neu­ten Durchführung ei­nes Vor­ab­ent­schei­dungs­ver­fah­rens zur Ver­ein­bar­keit von § 14 Abs. 3 Satz 4 Tz­B­fG mit Ge­mein­schafts­recht be­rech­tigt oder gar ver­pflich­tet.

aa) Die Ent­schei­dung des Eu­ropäischen Ge­richts­hofs ist vom Schrift­tum über­wie­gend ab­ge­lehnt und teil­wei­se hef­tig kri­ti­siert wor­den (Bau­er/Ar­nold NJW 2006, 6; Gie-sen SAE 2006, 45; La­ber/Goetz­mann Ar­bRB 2006, 51; Preis NZA 2006, 401; Reichold ZESAR 2006, 55). Der Kri­tik ist zu­zu­ge­ben, dass der Eu­ropäische Ge­richts­hof sein Er­geb­nis nur knapp und nicht mit der aus der Sicht der Rechts­an­wen­der wünschens­wer­ten Klar­heit be­gründet hat. So ist im An­schluss an die Ent­schei­dung er­neut die Fra­ge nach der ho­ri­zon­ta­len Wir­kung von Richt­li­ni­en (Bau­er/Ar­nold NJW 2006, 6, 10; Gie­sen SAE 2006, 45, 50; Thüsing ZIP 2005, 2149, 2150) oder ei­nem ge­mein­schafts­recht­li­chen Dis­kri­mi­nie­rungs­ver­bot für den Ar­beit­ge­ber (Thüsing ZIP 2005, 2149) auf­ge­wor­fen wor­den.

bb) Die An­ru­fung des Ge­richts­hofs zur Klar­stel­lung sei­ner Ent­schei­dung ist je­doch we­der zulässig noch ge­bo­ten. Die sich aus der Un­ver­ein­bar­keit von na­tio­na­lem Recht mit den Vor­ga­ben des Ge­mein­schafts­rechts er­ge­ben­den Fra­gen nach dem Verständ­nis der Ent­schei­dung des Eu­ropäischen Ge­richts­hofs sind nicht ent­schei­dungs­er­heb­lich. Auch die darüber hin­aus mögli­cher­wei­se be­ste­hen­den Un­si­cher­hei­ten über die Reich­wei­te der Ent­schei­dung vom 22. No­vem­ber 2005 können ei­ne er­neu­te Vor­la­ge an den Eu­ropäischen Ge­richts­hof nicht recht­fer­ti­gen. Die Vor­la­ge­pflicht nach Art. 234 Abs. 3 EG be­trifft nur die Aus­le­gung von Nor­men des Ge­mein­schafts­rechts, nicht da­ge­gen die hier­zu in Vor­ab­ent­schei­dungs­ver­fah­ren vom Eu­ropäischen Ge­richts­hof auf­ge­stell­ten Rechtssätze, mögen die­se auch ih­rer­seits bei der An­wen­dung im Ein­zel­fall in­ter­pre­ta­ti­ons­bedürf­tig sein (BAG 18. Fe­bru­ar 2003 - 1 ABR 2/02 - BA­GE 105, 32 = AP BGB § 611 Ar­beits­be­reit­schaft Nr. 12 = EzA Arb­ZG § 7 Nr. 4, zu B IV 3 b cc [4] der Gründe). Zwar kann der Eu­ropäische Ge­richts­hof er­neut an­ge­ru­fen wer­den, wenn das na­tio­na­le Ge­richt der Auf­fas­sung ist, dass durch die Ent­schei­dung nicht die not­wen­di­ge Klar­heit ge­schaf­fen wor­den ist, um den im Streit­fall maßgeb­li­chen Sach­ver­halt zu ent­schei­den (EuGH 24. Ju­ni 1969 - Rs. 29/68 - Eu­GHE 1969, 165, Rn. 3). Das ist hier aber nicht der Fall. Der Ge­richts­hof hat die Un­an­wend­bar­keit des § 14 Abs. 3 Satz 4 Tz­B­fG mit der ge­bo­te­nen Ein­deu­tig­keit fest­ge­stellt (dies kon­ze­die­ren auch La­ber/Goetz­mann Ar­bRB 2006, 51, 52; Reichold ZESAR 2006, 55, 56; Thüsing ZIP 2005, 2149, 2151).


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III. Der Ver­s­toß von § 14 Abs. 3 Satz 4 Tz­B­fG ge­gen die Vor­ga­ben des Ge­mein­schafts­rechts hat zur Fol­ge, dass die­se Vor­schrift im Streit­fall nicht an­ge­wandt wer­den darf. Auf Grund der un­mit­tel­ba­ren Gel­tung des ge­mein­schafts­recht­li­chen Primärrechts in den Mit­glied­staa­ten führt der An­wen­dungs­vor­rang des Ge­mein­schafts­rechts da­zu, dass die na­tio­na­len Ge­rich­te im Rah­men der bei ih­nen anhängi­gen Ver­fah­ren ent­ge­gen­ste­hen­des in­ner­staat­li­ches Recht aus ei­ge­ner Ent­schei­dungs­be­fug­nis un­an­ge­wen­det zu las­sen ha­ben, oh­ne dass sie des­sen Auf­he­bung durch den Ge­setz­ge­ber oder durch ein Ver­fas­sungs­ge­richt ab­war­ten müssen (EuGH 7. Fe­bru­ar 1991 - C-184/89 [Nimz] - Eu­GHE I 1991, 297 = AP BAT § 23a Nr. 25 = EzA EWG-Ver­trag Art. 119 Nr. 1, Rn. 19).

Dem steht nicht ent­ge­gen, dass nach Art. 100 GG die Ver­fas­sungs­wid­rig­keit ei­nes Ge­set­zes nur vom Bun­des­ver­fas­sungs­ge­richt fest­ge­stellt wer­den kann. Vor­lie­gend geht es um die Fra­ge der Ver­ein­bar­keit ei­ner na­tio­na­len Be­stim­mung mit un­mit­tel­bar an­zu­wen­den­dem eu­ropäischen Ge­mein­schafts­recht. Im Ge­gen­satz zur Ver­fas­sungs­wid­rig­keit führt die Ge­mein­schafts­rechts­wid­rig­keit ei­ner Norm des na­tio­na­len Rechts nicht zu de­ren Nich­tig­keit. Die na­tio­na­le Norm be­steht viel­mehr fort und ist wei­ter an­zu­wen­den, so­bald die Ge­mein­schafts­rechts­wid­rig­keit entfällt (ErfK/Wißmann 6. Aufl. Vorb. EG Rn. 21).

Darüber hin­aus wäre zum ge­genwärti­gen Zeit­punkt ei­ne Vor­la­ge an das Bun­des­ver­fas­sungs­ge­richt un­zulässig. Nach Art. 100 Abs. 1 GG kann ein Ge­richt die Ent­schei­dung des Bun­des­ver­fas­sungs­ge­richts über die Ver­fas­sungsmäßig­keit ei­ner Norm nur ein­ho­len, wenn es auf ih­re Gültig­keit an­kommt. An der Ent­schei­dungs­er­heb­lich­keit iSd. Art. 100 Abs. 1 Satz 1 GG fehlt es, wenn fest­steht, dass ein Ge­setz auf Grund ent­ge­gen­ste­hen­den Ge­mein­schafts­rechts nicht an­ge­wandt wer­den darf (BVerfG 28. Ja­nu­ar 1992 - 1 BvR 1025/82 ua. - BVerfGE 85, 191, 203). Dies ist nach dem Un­an­wend­bar­keits­aus­spruch des Eu­ropäischen Ge­richts­hofs zu § 14 Abs. 3 Satz 4 Tz­B­fG der Fall.

IV. § 14 Abs. 3 Satz 4 Tz­B­fG ist nicht aus Gründen des ge­mein­schafts­recht­li­chen oder na­tio­na­len Ver­trau­ens­schut­zes auf ei­ne vor dem 22. No­vem­ber 2005 ge­trof­fe­ne Be­fris­tungs­ab­re­de an­zu­wen­den. Zur zeit­li­chen Be­gren­zung der Un­an­wend­bar­keit ei­ner ge­gen Primärrecht der Ge­mein­schaft ver­s­toßen­den na­tio­na­len Norm ist al­lein der Eu­ropäische Ge­richts­hof zuständig. Der Eu­ropäische Ge­richts­hof hat die zeit­li­chen Wir­kun­gen sei­nes Un­an­wend­bar­keits­aus­spruchs nicht be­grenzt. Aber auch wenn nach ei­nem zeit­lich nicht be­schränk­ten Un­an­wend­bar­keits­aus­spruch des Ge­richts­hofs die


 

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Gewährung von Ver­trau­ens­schutz nach na­tio­na­lem Recht durch ein na­tio­na­les Ge­richt in Be­tracht kom­men könn­te, konn­te die Be­klag­te im Streit­fall nicht in schutzwürdi­ger Wei­se auf die Möglich­keit zur sach­grund­lo­sen Be­fris­tung mit Ar­beit­neh­mern ver­trau­en, die zum Zeit­punkt der Be­fris­tungs­ab­re­de das 52. Le­bens­jahr voll­endet hat­ten. Ei­ne die Rechts­auf­fas­sung der Be­klag­ten stützen­de Recht­spre­chung des Bun­des­ar­beits­ge­richts lag nicht vor. Viel­mehr war die Ver­ein­bar­keit der Vor­schrift mit Ge­mein­schafts­recht be­reits frühzei­tig im ar­beits­recht­li­chen Schrift­tum in Zwei­fel ge­zo­gen wor­den.

1. Die Be­klag­te kann sich nicht auf ge­mein­schafts­recht­li­chen Ver­trau­ens­schutz be­ru­fen. Die Ent­schei­dung über die Reich­wei­te des ge­mein­schafts­recht­li­chen Ver­trau­ens­schut­zes ist we­gen des Grund­sat­zes der ein­heit­li­chen An­wen­dung von Ge­mein­schafts­recht dem Eu­ropäischen Ge­richts­hof vor­be­hal­ten (EuGH 27. März 1980 - Rs. 61/79 [Den­ka­vit In­ta­lia­na] - Eu­GHE 1980, 1205, Rn. 18). Die Ein­schränkung der zeit­li­chen Wir­kung ei­ner im Vor­ab­ent­schei­dungs­ver­fah­ren ge­trof­fe­nen Ent­schei­dung muss über­dies in dem Ur­teil selbst ent­hal­ten sein, durch das über das Aus­le­gungs­er­su­chen ent­schie­den wird (EuGH 2. Fe­bru­ar 1988 - Rs. 24/86 [Blaiz­ot] - Eu­GHE 1988, 379, Rn. 28).

a) Nach der ständi­gen Recht­spre­chung des Eu­ropäischen Ge­richts­hofs müssen die na­tio­na­len Ge­rich­te die Vor­schrift in der von ihm vor­ge­nom­me­nen Aus­le­gung auf Rechts­verhält­nis­se, die vor Er­lass des auf das Er­su­chen um Aus­le­gung er­gan­ge­nen Ur­teils ent­stan­den sind, stets an­wen­den, wenn al­le sons­ti­gen Vor­aus­set­zun­gen für die An­ru­fung der zuständi­gen Ge­rich­te in ei­nem die An­wen­dung die­ser Vor­schrift be­tref­fen­den Streit vor­lie­gen. Die Aus­le­gung ei­ner Vor­schrift des Ge­mein­schafts­rechts durch den Eu­ropäischen Ge­richts­hof ist auf die Erläute­rung und Ver­deut­li­chung be­schränkt, wie das Ge­mein­schafts­recht zu ver­ste­hen und an­zu­wen­den ist. Der Eu­ropäische Ge­richts­hof hat sich in der Ver­gan­gen­heit nur in Aus­nah­mefällen auf Grund des ge­mein­schafts­recht­li­chen Grund­sat­zes der Rechts­si­cher­heit ver­an­lasst ge­se­hen, mit Wir­kung für al­le Be­trof­fe­nen die Möglich­keit ein­zu­schränken, sich auf die­se Aus­le­gung der Vor­schrift mit dem Ziel zu be­ru­fen, ei­ne er­neu­te Sach­ent­schei­dung über in gu­tem Glau­ben be­gründe­te Rechts­verhält­nis­se her­bei­zuführen (15. März 2005 - C-209/03 [Bi­dar] - Eu­GHE I 2005, 2119, Rn. 66 ff.).

Der Eu­ropäische Ge­richts­hof hat ei­ne sol­che Be­gren­zung nur aus­ge­spro­chen, wenn die Ge­fahr schwer­wie­gen­der wirt­schaft­li­cher Aus­wir­kun­gen be­stand, die ins­be­son­de­re mit der großen Zahl von Rechts­verhält­nis­sen zu­sam­men­hin­gen, die gutgläubig auf der Grund­la­ge der als gültig be­trach­te­ten Re­ge­lung ein­ge­gan­gen wor­den wa-


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ren, und wenn sich her­aus­stell­te, dass die Ein­zel­nen und die na­tio­na­len Behörden zu ei­nem mit der Ge­mein­schafts­re­ge­lung un­ver­ein­ba­ren Ver­hal­ten ver­an­lasst wor­den wa­ren, weil ei­ne ob­jek­ti­ve und be­deu­ten­de Un­si­cher­heit hin­sicht­lich der Trag­wei­te der Ge­mein­schafts­be­stim­mun­gen be­stand, zu der ge­ge­be­nen­falls auch das Ver­hal­ten an­de­rer Mit­glied­staa­ten oder der Kom­mis­si­on bei­ge­tra­gen hat­te (20. Sep­tem­ber 2001 - C-184/99 [Grzelc­zyk] - Eu­GHE I 2001, 6193, Rn. 53).

Von der in der Ver­gan­gen­heit ver­ein­zelt aus­ge­spro­che­nen zeit­li­chen Be­schränkung der Ent­schei­dung hat der Eu­ropäische Ge­richts­hof stets Ver­fah­ren aus­ge­nom­men, in de­nen der vom Un­an­wend­bar­keits­aus­spruch Begüns­tig­te ent­we­der Kla­ge er­ho­ben oder ei­nen an­de­ren ge­eig­ne­ten Rechts­be­helf ein­ge­legt hat­te (8. April 1976 - Rs. 43/75 [De­fren­ne II] - Eu­GHE 1976, 455, Rn. 74 f.). Zur Be­gründung hat der Eu­ropäische Ge­richts­hof dar­auf hin­ge­wie­sen, dass an­sons­ten der ge­richt­li­che Rechts­schutz, den die Ein­zel­nen aus dem Ge­mein­schafts­recht her­lei­ten, in nicht ge­recht­fer­tig­ter Wei­se ein­ge­schränkt wer­den würde (4. Mai 1999 - C-262/96 [Sürül] - Eu­GHE I 1999, 2685, Rn. 112).

b) Da­nach kam die An­wen­dung des § 14 Abs. 3 Satz 4 Tz­B­fG zu Guns­ten der auf die Gültig­keit der Vor­schrift ver­trau­en­den Be­klag­ten be­reits aus for­mel­len Gründen nicht in Be­tracht, da die na­tio­na­len Ge­rich­te nicht über die zeit­li­che Be­gren­zung der Wir­kun­gen ei­ner Ent­schei­dung des Eu­ropäischen Ge­richts­hofs be­fin­den können. Der Eu­ropäische Ge­richts­hof hat we­der im Te­nor noch in den Gründen die Wir­kun­gen sei­ner Ent­schei­dung zeit­lich ein­ge­schränkt. Der Se­nat war nach den für die Vor­la­ge­pflicht der letzt­in­stanz­li­chen Ge­rich­te gel­ten­den Grundsätzen auch nicht ver­pflich­tet, dem Eu­ropäischen Ge­richts­hof in ei­nem Ver­fah­ren nach § 234 Abs. 1 EG die Ge­le­gen­heit zur nachträgli­chen Gewährung von Ver­trau­ens­schutz zu eröff­nen, et­wa weil der Aus­spruch der zeit­li­chen Be­gren­zung in der Ent­schei­dung vom 22. No­vem­ber 2005 ver­se­hent­lich un­ter­blie­ben sein könn­te. Die nach der Recht­spre­chung des Eu­ropäischen Ge­richts­hofs be­ste­hen­den Vor­aus­set­zun­gen für die Be­gren­zung der zeit­li­chen Wir­kun­gen ei­ner in ei­nem Vor­ab­ent­schei­dungs­ver­fah­ren ge­trof­fe­nen Ent­schei­dung lie­gen im Streit­fall nicht vor. Im Übri­gen wäre bei ei­ner nachträglich vom EuGH be­wirk­ten zeit­li­chen Ein­schränkung das vor­lie­gen­de Ver­fah­ren aus­ge­nom­men, weil der Kläger ge­gen die streit­be­fan­ge­ne Be­fris­tung recht­zei­tig Be­fris­tungs­kon­troll­kla­ge er­ho­ben hat (4. Mai 1999 - C-262/96 [Sürül] - Eu­GHE I 1999, 2685, Rn. 112).

Da­ne­ben la­gen die Vor­aus­set­zun­gen für ein Vor­ab­ent­schei­dungs­er­su­chen zur nachträgli­chen Be­gren­zung der zeit­li­chen Wir­kun­gen der Ent­schei­dung vom 22. No-


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vem­ber 2005 nicht vor, weil von den Vor­in­stan­zen kei­ne Tat­sa­chen fest­ge­stellt oder von den Par­tei­en vor­ge­tra­gen sind, die dem Eu­ropäischen Ge­richts­hof ei­ne Be­ur­tei­lung ermögli­chen könn­ten, ob die Ge­fahr von schwer­wie­gen­den wirt­schaft­li­chen Aus­wir­kun­gen auf Grund sei­ner vor­an­ge­gan­ge­nen Ent­schei­dung droht. Dem Se­nat sind we­der die An­zahl der ge­genwärtig noch nicht ab­ge­wi­ckel­ten sach­grund­los be­fris­te­ten und auf § 14 Abs. 3 Satz 4 Tz­B­fG gestütz­ten Ar­beits­verträge noch die mit dem Un­an­wend­bar­keits­aus­spruch ver­bun­de­nen wirt­schaft­li­chen Fol­gen für die be­trof­fe­nen Ar­beit­ge­ber be­kannt. Auch ent­spre­chen­der Vor­trag der Be­klag­ten ist un­ter­blie­ben.

c) Die­ses Verständ­nis von der Gewährung ge­mein­schafts­recht­li­chen Ver­trau­ens­schut­zes nach ei­nem Un­an­wend­bar­keits­aus­spruch des Eu­ropäischen Ge­richts­hofs steht nicht im Wi­der­spruch zu der Ent­schei­dung des 2. Se­nats des Bun­des­ar­beits­ge­richts zur ge­mein­schafts­kon­for­men Aus­le­gung von § 17 Abs. 1 Satz 1 KSchG (23. März 2006 - 2 AZR 343/05 -, zur Veröffent­li­chung vor­ge­se­hen). Über die Gewährung von Ver­trau­ens­schutz we­gen der Un­ver­ein­bar­keit ei­ner na­tio­na­len Norm mit Pri­märrecht der Ge­mein­schaft hat­te der 2. Se­nat nicht zu be­fin­den.

2. Aber auch dann, wenn der Se­nat nach ei­nem Un­an­wend­bar­keits­aus­spruch des Eu­ropäischen Ge­richts­hofs be­fugt wäre, Ver­trau­ens­schutz nach na­tio­na­lem Ver­fas­sungs­recht zu gewähren und da­mit die zeit­li­che Wir­kung des Un­an­wend­bar­keits­aus­spruchs ein­zu­schränken, hätte die Kla­ge Er­folg ha­ben müssen. Zu Guns­ten der Be­klag­ten be­steht nämlich kein Ver­trau­ens­schutz nach na­tio­na­lem Recht, der zur An­wend­bar­keit von § 14 Abs. 3 Satz 4 Tz­B­fG führt.

a) Die sich aus dem Rechts­staats­prin­zip er­ge­ben­de Gewährung von Ver­trau­ens­schutz kommt bei der Ver­fas­sungs­wid­rig­keit ei­nes Ge­set­zes in Be­tracht, wenn der Begüns­tig­te in schutzwürdi­ger Wei­se auf die gel­ten­de Ge­set­zes­la­ge ver­trau­en konn­te. Hier­an fehlt es, wenn ent­we­der ihm ge­genüber oder in all­ge­mei­ner Form die feh­len­de Ver­fas­sungsmäßig­keit des ihn begüns­ti­gen­den Ge­set­zes gel­tend ge­macht wird (BVerfG 19. Ja­nu­ar 1999 - 1 BvR 2161/94 - BVerfGE 99, 341, 359 f.).

b) Bei An­wen­dung die­ser Grundsätze auf das Ver­trau­en in die Ver­ein­bar­keit ei­ner na­tio­na­len Norm mit Ge­mein­schafts­recht konn­te die Be­klag­te nicht in schutzwürdi­ger Wei­se auf die Wirk­sam­keit des erst kurz zu­vor mit Wir­kung zum 1. Ja­nu­ar 2003 in das Tz­B­fG ein­gefügten § 14 Abs. 3 Satz 4 Tz­B­fG ver­trau­en. Der Kläger hat­te be­reits während der Lauf­zeit des be­fris­te­ten Ver­trags mit der am 5. Ja­nu­ar 2004 er­ho­be­nen Kla­ge die Un­wirk­sam­keit der Be­fris­tungs­ab­re­de im Hin­blick auf ei­ne Un­ver­ein­bar­keit


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der Vor­schrift mit den Vor­ga­ben der RL 1999/70/EG und RL 2000/78/EG gel­tend ge­macht. Die Be­klag­te kann sich an­ders als bei der vom 2. Se­nat des Bun­des­ar­beits­ge­richts ent­schie­de­nen Fra­ge der ge­mein­schafts­kon­for­men Aus­le­gung von § 17 KSchG (23. März 2006 - 2 AZR 343/05 -, zur Veröffent­li­chung vor­ge­se­hen) nicht auf ei­nen durch die Recht­spre­chung und Ver­wal­tungs­han­deln ver­mit­tel­ten Ver­trau­en­stat­be­stand be­ru­fen. Bis zum Ab­schluss des be­fris­te­ten Ar­beits­ver­trags wa­ren kei­ne Ent­schei­dun­gen des Bun­des­ar­beits­ge­richts über die Zulässig­keit ei­ner al­lein auf das Le­bens­al­ter des Ar­beit­neh­mers gestütz­ten sach­grund­lo­sen Be­fris­tung er­gan­gen. Darüber hin­aus war be­reits im ar­beits­recht­li­chen Schrift­tum hin­sicht­lich der zum 1. Ja­nu­ar 2001 in Kraft ge­tre­te­nen Vor­schrift des § 14 Abs. 3 Satz 1 Tz­B­fG um­strit­ten, ob die­se den ge­mein­schafts­recht­li­chen An­for­de­run­gen der RL 1999/70/EG genügt, weil kei­ne der drei in § 5 Abs. 1 der in die RL 1999/70/EG in­kor­po­rier­ten EGB-UN­ICE-CEEP Rah­men­ver­ein­ba­rung über be­fris­te­te Ar­beits­verträge ge­nann­ten Vor­aus­set­zun­gen für die Um­set­zung in das na­tio­na­le Recht über­nom­men wur­den (Blan­ke AiB 2000, 728, 735; APS/Back­haus 2. Aufl. § 14 Tz­B­fG Rn. 417; Däubler ZIP 2001, 217, 224; ErfK/Müller-Glöge 3. Aufl. § 14 Tz­B­fG Rn. 133; KR/Lip­ke 6. Aufl. § 14 Tz­B­fG Rn. 324; Mei­nel/Heyn/Herms Tz­B­fG § 14 Rn. 99; Rolfs Tz­B­fG § 14 Rn. 100; Sie­vers § 14 Tz­B­fG Rn. 240 ff.). Sch­ließlich ist be­reits frühzei­tig die Un­zulässig­keit ei­ner al­lein auf das Al­ter ab­stel­len­den sach­grund­lo­sen Be­fris­tungsmöglich­keit gel­tend ge­macht wor­den (KDZ/Däubler 5. Aufl. § 14 Tz­B­fG Rn. 179; Koh­te BB 2002, Heft 48 Sei­te I; wohl auch Schlach­ter RdA 2004, 352, 356).

Zwar muss­te ein pri­va­ter Ar­beit­ge­ber we­gen die­ser eu­ro­pa­recht­li­chen Be­den­ken an­ge­sichts der nur mit­tel­ba­ren Wir­kung von Richt­li­ni­en nicht von vorn­her­ein von der Un­wirk­sam­keit ei­ner von ihm nach § 14 Abs. 3 Satz 4 Tz­B­fG ver­ein­bar­ten Be­fris­tung aus­ge­hen. Da bei In-Kraft-Tre­ten des § 14 Abs. 3 Satz 4 Tz­B­fG die Dis­kus­si­on um die Fol­gen ge­mein­schafts­wid­ri­gen na­tio­na­len Rechts noch nicht ab­ge­schlos­sen war, konn­ten aber auch pri­va­te Ar­beit­ge­ber bis zu ei­ner ab­sch­ließen­den Klärung durch den Eu­ropäischen Ge­richts­hof nicht un­ein­ge­schränkt auf die Wirk­sam­keit von sach­grund­lo­sen Be­fris­tun­gen mit Ar­beit­neh­mern ver­trau­en, die zum Zeit­punkt des Ver­trags­schlus­ses das 52. Le­bens­jahr voll­endet hat­ten. So ist auch pri­va­ten Ar­beit­ge­bern vom ar­beits­recht­li­chen Schrift­tum ge­ra­ten wor­den, von der sach­grund­lo­sen Be­fris­tungsmöglich­keit nach § 14 Abs. 3 Tz­B­fG we­gen der „al­les an­de­re als kla­ren Rechts­la­ge“ (Bau­er BB 2001, 2473, 2477) kei­nen oder nur zurück­hal­tend Ge­brauch zu ma­chen (APS/Back­haus 2. Aufl. § 14 Tz­B­fG Rn. 417b f.; Bau­er FA 2003, 139, 141). Die Be­klag­te hat auch nicht dar­ge­legt, dass sie an­ge­sichts der frühzei­tig vom Kläger gel­tend


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ge­mach­ten Un­wirk­sam­keit der Be­fris­tungs­ab­re­de und der ihr zur Verfügung ste­hen­den Möglich­kei­ten zur vor­sorg­li­chen an­der­wei­ten Ver­trags­be­en­di­gung als schutzwürdig an­zu­se­hen ist.

D. Der zu 2 ge­stell­te Wei­ter­beschäfti­gungs­an­trag fällt dem Se­nat nicht zur Ent­schei­dung an. Er ist als An­trag auf Wei­ter­beschäfti­gung bis zur rechts­kräfti­gen Ent­schei­dung über den Fest­stel­lungs­an­trag aus­zu­le­gen. Die Ent­schei­dung über den Fest­stel­lungs­an­trag wird mit der Verkündung rechts­kräftig.

E. Die Kos­ten­ent­schei­dung be­ruht auf § 91 Abs. 1 ZPO.

Dörner Gräfl Koch

Jens Herbst Wolf

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