HENSCHE RECHTSANWÄLTE, FACHANWALTSKANZLEI FÜR ARBEITSRECHT

 

EuGH, Ur­teil vom 08.07.2010, C-246/09 - Buli­cke

   
Schlagworte: Altersdiskriminierung, Entschädigung, Frist
   
Gericht: Europäischer Gerichtshof
Aktenzeichen: C-246/09
Typ: Urteil
Entscheidungsdatum: 08.07.2010
   
Leitsätze:

1. Das Primärrecht der Union und Art. 9 der Richtlinie 2000/78/EG des Rates vom 27. November 2000 zur Festlegung eines allgemeinen Rahmens für die Verwirklichung der Gleichbehandlung in Beschäftigung und Beruf sind dahin auszulegen, dass sie einer nationalen Verfahrensvorschrift nicht entgegenstehen, wonach derjenige, der bei der Einstellung wegen des Alters diskriminiert worden ist, seine Ansprüche auf Ersatz des Vermögens- und Nichtvermögensschadens gegenüber demjenigen, von dem diese Diskriminierung ausgeht, innerhalb von zwei Monaten geltend machen muss, sofern

- zum einen diese Frist nicht weniger günstig ist als die für vergleichbare innerstaatliche Rechtsbehelfe im Bereich des Arbeitsrechts,

- zum anderen die Festlegung des Zeitpunkts, mit dem der Lauf dieser Frist beginnt, die Ausübung der von der Richtlinie verliehenen Rechte nicht unmöglich macht oder übermäßig erschwert.

Es ist Sache des nationalen Gerichts, zu prüfen, ob diese beiden Bedingungen erfüllt sind.

2. Art. 8 der Richtlinie 2000/78 ist dahin auszulegen, dass er einer zur Umsetzung dieser Richtlinie erlassenen nationalen Verfahrensvorschrift nicht entgegensteht, in deren Folge eine frühere Regelung geändert worden ist, die eine Frist für die Geltendmachung eines Entschädigungsanspruchs bei geschlechtsbezogener Diskriminierung vorsah.

Vorinstanzen: Landesarbeitsgericht Hamburg, Urteil vom 3.06.2009, 5 Sa 3/09
   

UR­TEIL DES GERICH­TSHOFS (Zwei­te Kam­mer)

8. Ju­li 2010(*)

„Richt­li­nie 2000/78/EG – Art. 8 und 9 – Na­tio­na­les Ver­fah­ren zur Gel­tend­ma­chung von Ansprüchen aus der Richt­li­nie – Frist für die Gel­tend­ma­chung – Grundsätze der Äqui­va­lenz und der Ef­fek­ti­vität – Grund­satz der Nicht­ab­sen­kung des vor­he­ri­gen Schutz­ni­veaus“

In der Rechts­sa­che C‑246/09

be­tref­fend ein Vor­ab­ent­schei­dungs­er­su­chen nach Art. 234 EG, ein­ge­reicht vom Lan­des­ar­beits­ge­richt Ham­burg (Deutsch­land) mit Ent­schei­dung vom 3. Ju­ni 2009, beim Ge­richts­hof ein­ge­gan­gen am 6. Ju­li 2009, in dem Ver­fah­ren

Su­san­ne Buli­cke

ge­gen

Deut­sche Büro Ser­vice GmbH

erlässt

DER GERICH­TSHOF (Zwei­te Kam­mer)

un­ter Mit­wir­kung des Kam­mer­präsi­den­ten J. N. Cun­ha Ro­d­ri­gues, der Rich­te­rin P. Lindh (Be­richt­er­stat­te­rin) so­wie der Rich­ter A. Ro­sas, A. Ó Cao­imh und A. Ara­b­ad­jiev,

Ge­ne­ral­an­walt: Y. Bot,

Kanz­ler: R. Grass,

auf­grund des schrift­li­chen Ver­fah­rens,

un­ter Berück­sich­ti­gung der Erklärun­gen

– von Frau Buli­cke, ver­tre­ten durch Rechts­an­walt K. Ber­tels­mann,

– der deut­schen Re­gie­rung, ver­tre­ten durch M. Lum­ma und N. Graf Vitzt­hum als Be­vollmäch­tig­te,

– der iri­schen Re­gie­rung, ver­tre­ten durch D. O’Ha­gan als Be­vollmäch­tig­ten im Bei­stand von N. J. Tra­vers, Bar­ris­ter,

– der Kom­mis­si­on der Eu­ropäischen Ge­mein­schaf­ten, ver­tre­ten durch J. En­e­gren und B. Con­te als Be­vollmäch­tig­te,

auf­grund des nach Anhörung des Ge­ne­ral­an­walts er­gan­ge­nen Be­schlus­ses, oh­ne Schluss­anträge über die Rechts­sa­che zu ent­schei­den,

fol­gen­des

Ur­teil

1

Das Vor­ab­ent­schei­dungs­er­su­chen be­trifft die Aus­le­gung der Art. 8 und 9 der Richt­li­nie 2000/78/EG des Ra­tes vom 27. No­vem­ber 2000 zur Fest­le­gung ei­nes all­ge­mei­nen Rah­mens für die Ver­wirk­li­chung der Gleich­be­hand­lung in Beschäfti­gung und Be­ruf (ABl. L 303, S. 16, im Fol­gen­den: Richt­li­nie).

2

Es er­geht im Rah­men ei­nes Rechts­streits zwi­schen Frau Buli­cke und der Deut­sche Büro Ser­vice GmbH (im Fol­gen­den: Deut­sche Büro Ser­vice) über ei­nen von Frau Buli­cke gel­tend ge­mach­ten An­spruch auf Entschädi­gung we­gen ei­ner auf ih­rem Al­ter be­ru­hen­den Dis­kri­mi­nie­rung bei der Ein­stel­lung.

Recht­li­cher Rah­men

Uni­ons­recht

3

Die Richt­li­nie be­zweckt nach ih­rem Art. 1 die Schaf­fung ei­nes all­ge­mei­nen Rah­mens zur Bekämp­fung der Dis­kri­mi­nie­rung we­gen der Re­li­gi­on oder der Welt­an­schau­ung, ei­ner Be­hin­de­rung, des Al­ters oder der se­xu­el­len Aus­rich­tung in Beschäfti­gung und Be­ruf im Hin­blick auf die Ver­wirk­li­chung des Grund­sat­zes der Gleich­be­hand­lung in den Mit­glied­staa­ten.

4

Die Erwägungs­gründe 28 bis 30 der Richt­li­nie ha­ben fol­gen­den Wort­laut:

„(28) In die­ser Richt­li­nie wer­den Min­dest­an­for­de­run­gen fest­ge­legt; es steht den Mit­glied­staa­ten so­mit frei, güns­ti­ge­re Vor­schrif­ten ein­zuführen oder bei­zu­be­hal­ten. Die Um­set­zung die­ser Richt­li­nie darf nicht ei­ne Ab­sen­kung des in den Mit­glied­staa­ten be­reits be­ste­hen­den Schutz­ni­veaus recht­fer­ti­gen.

(29) Op­fer von Dis­kri­mi­nie­run­gen we­gen der Re­li­gi­on oder Welt­an­schau­ung, ei­ner Be­hin­de­rung, des Al­ters oder der se­xu­el­len Aus­rich­tung soll­ten über ei­nen an­ge­mes­se­nen Rechts­schutz verfügen. …

(30) Die ef­fek­ti­ve An­wen­dung des Gleich­heits­grund­sat­zes er­for­dert ei­nen an­ge­mes­se­nen Schutz vor Vik­ti­mi­sie­rung.“

5

Art. 8 der Richt­li­nie lau­tet:

„(1) Die Mit­glied­staa­ten können Vor­schrif­ten einführen oder bei­be­hal­ten, die im Hin­blick auf die Wah­rung des Gleich­be­hand­lungs­grund­sat­zes güns­ti­ger als die in die­ser Richt­li­nie vor­ge­se­he­nen Vor­schrif­ten sind.

(2) Die Um­set­zung die­ser Richt­li­nie darf kei­nes­falls als Recht­fer­ti­gung für ei­ne Ab­sen­kung des von den Mit­glied­staa­ten be­reits ga­ran­tier­ten all­ge­mei­nen Schutz­ni­veaus in Be­zug auf Dis­kri­mi­nie­run­gen in den von der Richt­li­nie ab­ge­deck­ten Be­rei­chen be­nutzt wer­den.“

6

Art. 9 der Richt­li­nie be­stimmt:

„(1) Die Mit­glied­staa­ten stel­len si­cher, dass al­le Per­so­nen, die sich durch die Nicht­an­wen­dung des Gleich­be­hand­lungs­grund­sat­zes in ih­ren Rech­ten für ver­letzt hal­ten, ih­re Ansprüche aus die­ser Richt­li­nie auf dem Ge­richts- und/oder Ver­wal­tungs­weg so­wie, wenn die Mit­glied­staa­ten es für an­ge­zeigt hal­ten, in Sch­lich­tungs­ver­fah­ren gel­tend ma­chen können, selbst wenn das Verhält­nis, während des­sen die Dis­kri­mi­nie­rung vor­ge­kom­men sein soll, be­reits be­en­det ist.

(3) Die Absätze 1 und 2 las­sen ein­zel­staat­li­che Re­ge­lun­gen über Fris­ten für die Rechts­ver­fol­gung be­tref­fend den Gleich­be­hand­lungs­grund­satz un­berührt.“

Na­tio­na­les Recht

Das All­ge­mei­ne Gleich­be­hand­lungs­ge­setz

7

Die Richt­li­nie wur­de mit dem All­ge­mei­nen Gleich­be­hand­lungs­ge­setz vom 14. Au­gust 2006 (BGBl. I S. 1897, im Fol­gen­den: AGG) um­ge­setzt.

8

Der mit „Ziel des Ge­set­zes“ über­schrie­be­ne § 1 AGG lau­tet:

„Ziel des Ge­set­zes ist, Be­nach­tei­li­gun­gen aus Gründen der Ras­se oder we­gen der eth­ni­schen Her­kunft, des Ge­schlechts, der Re­li­gi­on oder Welt­an­schau­ung, ei­ner Be­hin­de­rung, des Al­ters oder der se­xu­el­len Iden­tität zu ver­hin­dern oder zu be­sei­ti­gen.“

9

§ 15 AGG („Entschädi­gung und Scha­dens­er­satz“) lau­tet:

„(1) Bei ei­nem Ver­s­toß ge­gen das Be­nach­tei­li­gungs­ver­bot ist der Ar­beit­ge­ber ver­pflich­tet, den hier­durch ent­stan­de­nen Scha­den zu er­set­zen. Dies gilt nicht, wenn der Ar­beit­ge­ber die Pflicht­ver­let­zung nicht zu ver­tre­ten hat.

(2) We­gen ei­nes Scha­dens, der nicht Vermögens­scha­den ist, kann der oder die Beschäftig­te ei­ne an­ge­mes­se­ne Entschädi­gung in Geld ver­lan­gen. Die Entschädi­gung darf bei ei­ner Nicht­ein­stel­lung drei Mo­nats­gehälter nicht über­stei­gen, wenn der oder die Beschäftig­te auch bei be­nach­tei­li­gungs­frei­er Aus­wahl nicht ein­ge­stellt wor­den wäre.

(3) Der Ar­beit­ge­ber ist bei der An­wen­dung kol­lek­tiv­recht­li­cher Ver­ein­ba­run­gen nur zur Entschädi­gung ver­pflich­tet, wenn er vorsätz­lich oder grob fahrlässig han­delt.

(4) Ein An­spruch nach Ab­satz 1 oder 2 muss in­ner­halb ei­ner Frist von zwei Mo­na­ten schrift­lich gel­tend ge­macht wer­den, es sei denn, die Ta­rif­ver­trags­par­tei­en ha­ben et­was an­de­res ver­ein­bart. Die Frist be­ginnt im Fal­le ei­ner Be­wer­bung oder ei­nes be­ruf­li­chen Auf­stiegs mit dem Zu­gang der Ab­leh­nung und in den sons­ti­gen Fällen ei­ner Be­nach­tei­li­gung zu dem Zeit­punkt, in dem der oder die Beschäftig­te von der Be­nach­tei­li­gung Kennt­nis er­langt.

(5) Im Übri­gen blei­ben Ansprüche ge­gen den Ar­beit­ge­ber, die sich aus an­de­ren Rechts­vor­schrif­ten er­ge­ben, un­berührt.

(6) Ein Ver­s­toß des Ar­beit­ge­bers ge­gen das Be­nach­tei­li­gungs­ver­bot des § 7 Abs. 1 be­gründet kei­nen An­spruch auf Be­gründung ei­nes Beschäfti­gungs­verhält­nis­ses, Be­rufs­aus­bil­dungs­verhält­nis­ses oder ei­nen be­ruf­li­chen Auf­stieg, es sei denn, ein sol­cher er­gibt sich aus ei­nem an­de­ren Rechts­grund.“

Das Bürger­li­che Ge­setz­buch

10

10. Nach § 195 des deut­schen Bürger­li­chen Ge­setz­buchs (im Fol­gen­den: BGB) beträgt die re­gelmäßige Verjährungs­frist drei Jah­re.

11

11. § 611a BGB in sei­ner bis 17. Au­gust 2006, dem Da­tum des In­kraft­tre­tens des AGG, gel­ten­den Fas­sung be­stimm­te:

„(1) Der Ar­beit­ge­ber darf ei­nen Ar­beit­neh­mer bei ei­ner Ver­ein­ba­rung oder ei­ner Maßnah­me, ins­be­son­de­re bei der Be­gründung des Ar­beits­verhält­nis­ses … nicht we­gen sei­nes Ge­schlechts be­nach­tei­li­gen. …

(2) Verstößt der Ar­beit­ge­ber ge­gen das in Ab­satz 1 ge­re­gel­te Be­nach­tei­li­gungs­ver­bot bei der Be­gründung ei­nes Ar­beits­verhält­nis­ses, so kann der hier­durch be­nach­tei­lig­te Be­wer­ber ei­ne an­ge­mes­se­ne Entschädi­gung in Geld ver­lan­gen …

(4) Ein An­spruch nach [Abs.] 2 … muss in­ner­halb ei­ner Frist, die mit Zu­gang der Ab­leh­nung der Be­wer­bung be­ginnt, schrift­lich gel­tend ge­macht wer­den. Die Länge der Frist be­misst sich nach ei­ner für die Gel­tend­ma­chung von Scha­den­er­satz­ansprüchen im an­ge­streb­ten Ar­beits­verhält­nis vor­ge­se­he­nen Aus­schluss­frist; sie beträgt min­des­tens zwei Mo­na­te. Ist ei­ne sol­che Frist für das an­ge­streb­te Ar­beits­verhält­nis nicht be­stimmt, so beträgt die Frist sechs Mo­na­te.

…“

Das Ar­beits­ge­richts­ge­setz

12

Nach § 61b Ar­beits­ge­richts­ge­setz vom 2. Ju­li 1979 (BGBl. 1979 I, S. 853, im Fol­gen­den: ArbGG) muss „ei­ne Kla­ge auf Entschädi­gung nach § 15 [AGG] in­ner­halb von drei Mo­na­ten, nach­dem der An­spruch schrift­lich gel­tend ge­macht wor­den ist, er­ho­ben wer­den“.

Aus­gangs­ver­fah­ren und Vor­la­ge­fra­ge

13

Frau Buli­cke be­warb sich am 16. No­vem­ber 2007 im Al­ter von 41 Jah­ren auf ei­ne Stel­len­an­zei­ge, die Deut­sche Büro Ser­vice in ei­ner Zei­tung ge­schal­tet hat­te. Die Stel­len­an­zei­ge hat­te fol­gen­den Wort­laut:

„Wir su­chen für un­ser jun­ges Team in der Ci­ty mo­ti­vier­te Mit­ar­bei­ter/in­nen. Du te­le­fo­nierst gern? Dann bist du ge­nau rich­tig bei uns. Wir ge­ben Dir die Möglich­keit so­gar da­mit Geld zu ver­die­nen. Du bist zwi­schen 18–35 Jah­re alt und verfügst über gu­te Deutsch­kennt­nis­se und suchst ei­ne Voll­zeit­auf­ga­be? …“

14

Am 19. No­vem­ber 2007 wur­de Frau Buli­cke te­le­fo­nisch mit­ge­teilt, dass ih­re Be­wer­bung nicht berück­sich­tigt wor­den sei. Die­se Ab­sa­ge wur­de mit Schrei­ben vom 21. No­vem­ber 2007 bestätigt, dem zu­fol­ge al­le Stel­len be­setzt sei­en. Es stell­te sich je­doch her­aus, dass zwei Per­so­nen im Al­ter von 20 und 22 Jah­ren am 19. No­vem­ber 2007 ein­ge­stellt wor­den wa­ren.

15

Deut­sche Büro Ser­vice veröffent­lich­te ähn­li­che Stel­len­an­zei­gen am 22. No­vem­ber 2007 so­wie am 9. April, 3. Sep­tem­ber und 10. Sep­tem­ber 2008. In al­len die­sen An­zei­gen tauch­ten die Be­grif­fe „jun­ges Team“ und „zwi­schen 18 und 35 Jah­re alt“ auf.

16

Am 29. Ja­nu­ar 2008 er­hob Frau Buli­cke beim Ar­beits­ge­richt Ham­burg Kla­ge auf Entschädi­gung für die Be­nach­tei­li­gung, die sie er­lit­ten zu ha­ben be­haup­tet.

17

Mit Ur­teil vom 10. De­zem­ber 2008 wies das Ar­beits­ge­richt die Kla­ge mit der Be­gründung ab, dass Frau Buli­cke ih­ren An­spruch nicht in­ner­halb der in § 15 Abs. 4 AGG fest­ge­leg­ten Frist ge­genüber Deut­sche Büro Ser­vice gel­tend ge­macht ha­be.

18

Frau Buli­cke leg­te beim Lan­des­ar­beits­ge­richt Ham­burg Be­ru­fung ein. Die­sem zu­fol­ge steht fest, dass Frau Buli­cke die Frist des § 15 Abs. 4 AGG nicht ein­ge­hal­ten hat.

19

Das vor­le­gen­de Ge­richt fragt sich, ob § 15 Abs. 4 AGG mit den Grundsätzen der Äqui­va­lenz und der Ef­fek­ti­vität im Ein­klang steht, da es im Ar­beits­recht außer­halb von Ta­rif­verträgen kei­ne Aus­schluss­fris­ten, son­dern nur all­ge­mei­ne Verjährungs­fris­ten wie die des § 195 BGB ge­be und die Frist des § 15 Abs. 4 AGG zu kurz sei, als dass ein Stel­len­be­wer­ber sei­ne Ansprüche gel­tend ma­chen könne.

20

Die Frist des § 15 Abs. 4 AGG sei außer­dem kürzer als die, die § 611a BGB in sei­ner bis 17. Au­gust 2006 gel­ten­den Fas­sung bei ge­schlechts­be­zo­ge­ner Be­nach­tei­li­gung vor­ge­se­hen ha­be. Die neu­en Rechts­vor­schrif­ten sei­en da­her ein Rück­schritt ge­genüber der bis­he­ri­gen Rechts­la­ge.

21

Vor die­sem Hin­ter­grund hat das Lan­des­ar­beits­ge­richt Ham­burg das bei ihm anhängi­ge Ver­fah­ren aus­ge­setzt und dem Ge­richts­hof fol­gen­de Fra­ge zur Vor­ab­ent­schei­dung vor­ge­legt:

Verstößt ei­ne na­tio­na­le Ge­setz­ge­bung, nach der (außer­halb von kol­lek­tiv­recht­li­chen Re­ge­lun­gen) zur schrift­li­chen Gel­tend­ma­chung ei­nes Scha­dens- und/oder Entschädi­gungs­an­spru­ches we­gen Dis­kri­mi­nie­rung bei der Ein­stel­lung ei­ne Frist von zwei Mo­na­ten nach Emp­fang der Ab­leh­nung – oder im We­ge der Aus­le­gung: nach Kennt­nis der Dis­kri­mi­nie­rung – gilt, ge­gen Primärrecht der EG (Gewähr­leis­tung ei­nes ef­fek­ti­ven Rechts­schut­zes) und/oder das ge­mein­schafts­recht­li­che Ver­bot der Al­ters­dis­kri­mi­nie­rung, Richt­li­nie 2000/78, wenn für gleich­wer­ti­ge Ansprüche nach na­tio­na­lem Recht dreijähri­ge Verjährungs­fris­ten gel­ten, und/oder das Ver­schlech­te­rungs­ver­bot gemäß Art. 8 die­ser Richt­li­nie, wenn ei­ne frühe­re na­tio­na­le Vor­schrift bei der Dis­kri­mi­nie­rung we­gen des Ge­schlechts ei­ne länge­re Aus­schluss­frist vor­sah?

Zur Vor­la­ge­fra­ge

22

Mit sei­ner Fra­ge möch­te das vor­le­gen­de Ge­richt im We­sent­li­chen wis­sen, ob ei­ne Vor­schrift wie § 15 Abs. 4 AGG, wo­nach der­je­ni­ge, der bei der Ein­stel­lung we­gen des Al­ters dis­kri­mi­niert wor­den ist, sei­ne For­de­rung ge­genüber dem­je­ni­gen, von dem die­se Dis­kri­mi­nie­rung aus­geht, in­ner­halb von zwei Mo­na­ten nach dem Zu­gang der Ab­leh­nung der Ein­stel­lung bzw. – ei­ner an­de­ren Aus­le­gung zu­fol­ge – nach Kennt­nis­er­lan­gung von der Dis­kri­mi­nie­rung gel­tend ma­chen muss, ei­ne ord­nungs­gemäße Um­set­zung der Art. 8 und 9 der Richt­li­nie dar­stellt.

23

Es möch­te spe­zi­ell wis­sen, ob die­se Vor­schrift zum ei­nen – ins­be­son­de­re in An­be­tracht an­de­rer na­tio­na­ler Rechts­vor­schrif­ten, nach de­nen für mögli­cher­wei­se ver­gleich­ba­re Ansprüche länge­re Fris­ten gel­ten – die Grundsätze der Äqui­va­lenz und der Ef­fek­ti­vität und zum an­de­ren – in An­be­tracht ei­ner frühe­ren na­tio­na­len Rechts­vor­schrift, die ei­ne länge­re Aus­schluss­frist bei ge­schlechts­be­zo­ge­ner Dis­kri­mi­nie­rung vor­sah – das Ver­bot der Ab­sen­kung des Schutz­ni­veaus be­ach­tet.

Zu den Grundsätzen der Äqui­va­lenz und der Ef­fek­ti­vität

24

Art. 9 der Richt­li­nie be­stimmt zum ei­nen, dass die Mit­glied­staa­ten si­cher­stel­len, dass al­le Per­so­nen, die sich durch die Nicht­an­wen­dung des Gleich­be­hand­lungs­grund­sat­zes in ih­ren Rech­ten für ver­letzt hal­ten, ih­re Ansprüche aus die­ser Richt­li­nie auf dem Ge­richts- und/oder Ver­wal­tungs­weg gel­tend ma­chen können, und zum an­de­ren, dass die­se Ver­pflich­tun­gen ein­zel­staat­li­che Re­ge­lun­gen über Fris­ten für die Rechts­ver­fol­gung be­tref­fend die­sen Grund­satz un­berührt las­sen. Hier­aus er­gibt sich, dass die Fra­ge der Fris­ten für die Ein­lei­tung von Ver­fah­ren zur Gel­tend­ma­chung von Ansprüchen aus der Richt­li­nie vom Uni­ons­recht nicht ge­re­gelt wird.

25

Nach ständi­ger Recht­spre­chung ist es man­gels ei­ner ein­schlägi­gen Ge­mein­schafts­re­ge­lung Sa­che der in­ner­staat­li­chen Rechts­ord­nung der ein­zel­nen Mit­glied­staa­ten, die zuständi­gen Ge­rich­te und die Aus­ge­stal­tung von Ver­fah­ren, die den Schutz der dem Bürger aus dem Uni­ons­recht er­wach­sen­den Rech­te gewähr­leis­ten sol­len, zu be­stim­men, wo­bei die­se Ver­fah­ren nicht we­ni­ger güns­tig ge­stal­tet sein dürfen als bei ent­spre­chen­den Kla­gen, die nur in­ner­staat­li­ches Recht be­tref­fen (Grund­satz der Äqui­va­lenz), und die Ausübung der durch die Uni­ons­rechts­ord­nung ver­lie­he­nen Rech­te nicht prak­tisch unmöglich ma­chen oder übermäßig er­schwe­ren dürfen (Grund­satz der Ef­fek­ti­vität) (vgl. ins­be­son­de­re Ur­tei­le vom 13. März 2007, Uni­bet, C-432/05, Slg. 2007, I-2271, Rand­nr. 43, vom 7. Ju­ni 2007, van der Weerd u. a., C-222/05 bis C-225/05, Slg. 2007, I-4233, Rand­nr. 28 und die dort an­geführ­te Recht­spre­chung, so­wie vom 12. Fe­bru­ar 2008, Kemp­ter, C-2/06, Slg. 2008, I-411, Rand­nr. 57).

26

Die Wah­rung des Grund­sat­zes der Äqui­va­lenz setzt vor­aus, dass die strei­ti­ge Re­ge­lung in glei­cher Wei­se für Kla­gen gilt, die auf die Ver­let­zung des Uni­ons­rechts gestützt sind, wie für sol­che, die auf die Ver­let­zung des in­ner­staat­li­chen Rechts gestützt sind, so­fern die­se Kla­gen ei­nen ähn­li­chen Ge­gen­stand und Rechts­grund ha­ben (vgl. Ur­tei­le vom 1. De­zem­ber 1998, Le­vez, C-326/96, Slg. 1998, I-7835, Rand­nr. 41, vom 16. Mai 2000, Pres­ton u. a., C-78/98, Slg. 2000, I-3201, Rand­nr. 55, so­wie vom 29. Ok­to­ber 2009, Pon­tin, C-63/08, noch nicht in der amt­li­chen Samm­lung veröffent­licht, Rand­nr. 45).

27

Die­ser Grund­satz darf je­doch nicht so ver­stan­den wer­den, dass er ei­nen Mit­glied­staat ver­pflich­tet, die güns­tigs­te in­ner­staat­li­che Re­ge­lung auf al­le Kla­gen zu er­stre­cken, die, wie im Aus­gangs­ver­fah­ren, im Be­reich des Ar­beits­rechts er­ho­ben wer­den (vgl. in die­sem Sin­ne Ur­tei­le Le­vez, Rand­nr. 42 und Pon­tin, Rand­nr. 45).

28

Um fest­zu­stel­len, ob der Grund­satz der Äqui­va­lenz im Aus­gangs­ver­fah­ren ge­wahrt ist, hat das na­tio­na­le Ge­richt, das al­lein ei­ne un­mit­tel­ba­re Kennt­nis der Ver­fah­rens­mo­da­litäten für Kla­gen im Be­reich des Ar­beits­rechts be­sitzt, so­wohl den Ge­gen­stand als auch die we­sent­li­chen Merk­ma­le der als ver­gleich­bar dar­ge­stell­ten Kla­gen des in­ner­staat­li­chen Rechts zu prüfen (vgl. Ur­tei­le Le­vez, Rand­nr. 43, Pres­ton u. a., Rand­nr. 56, so­wie Pon­tin, Rand­nr. 45).

29

Zu­dem ist je­der Fall, in dem sich die Fra­ge stellt, ob ei­ne na­tio­na­le Ver­fah­rens­vor­schrift we­ni­ger güns­tig ist als die für ver­gleich­ba­re Kla­gen des in­ner­staat­li­chen Rechts gel­ten­de, un­ter Berück­sich­ti­gung der Stel­lung die­ser Vor­schrift im ge­sam­ten Ver­fah­ren, des Ver­fah­rens­ab­laufs und der Be­son­der­hei­ten des Ver­fah­rens vor den ver­schie­de­nen na­tio­na­len Stel­len zu prüfen (vgl. Ur­tei­le Le­vez, Rand­nr. 44, Pres­ton u. a., Rand­nr. 61, so­wie Pon­tin, Rand­nr. 46).

30

Nach den An­ga­ben des vor­le­gen­den Ge­richts ist die Möglich­keit, für Vermögens- und Nicht­vermögensschäden, die in­fol­ge ei­nes Ver­s­toßes ge­gen das Ver­bot der Be­nach­tei­li­gung aus Gründen der Ras­se oder we­gen der eth­ni­schen Her­kunft, des Ge­schlechts, der Re­li­gi­on oder Welt­an­schau­ung, ei­ner Be­hin­de­rung, des Al­ters oder der se­xu­el­len Iden­tität ent­stan­den sind, entschädigt zu wer­den, mit dem AGG ge­schaf­fen wor­den; es gab da­her vor dem Er­lass die­ses Ge­set­zes im ei­gent­li­chen Sin­ne kei­ne ent­spre­chen­den Ver­fah­ren.

31

Dem vor­le­gen­den Ge­richt zu­fol­ge gel­ten im Ar­beits­recht außer­halb von Ta­rif­verträgen kei­ne Aus­schluss­fris­ten, son­dern nur die all­ge­mei­nen Verjährungs­fris­ten. Es weist je­doch dar­auf hin, dass das Ar­beits­ge­richt Ham­burg in sei­nem Ur­teil vom 10. De­zem­ber 2008 Si­tua­tio­nen dar­ge­stellt ha­be, in de­nen Ar­beit­neh­mer ge­hal­ten sei­en, ih­re Rech­te in­ner­halb kur­zer Fris­ten gel­tend zu ma­chen. Dies sei bei Kündi­gungs­schutz­kla­gen der Fall, die in­ner­halb von drei Wo­chen nach Zu­gang der Kündi­gung er­ho­ben wer­den müss­ten. Ei­ne Kla­ge auf Fest­stel­lung der Un­wirk­sam­keit ei­nes be­fris­te­ten Ar­beits­ver­trags müsse eben­falls in­ner­halb von drei Wo­chen nach dem ver­ein­bar­ten En­de die­ses Ver­trags er­ho­ben wer­den. Sch­ließlich fänden sich in Ta­rif­verträgen häufig Aus­schluss­fris­ten, wo­nach Ansprüche ver­fie­len, wenn sie nicht in­ner­halb kur­zer Fris­ten gel­tend ge­macht würden.

32

Dem vor­le­gen­den Ge­richt zu­fol­ge sah § 611a BGB in sei­ner bis zum In­kraft­tre­ten des AGG gel­ten­den Fas­sung ei­ne Min­dest­frist von zwei Mo­na­ten für die Gel­tend­ma­chung von Ansprüchen we­gen ge­schlechts­be­zo­ge­ner Be­nach­tei­li­gung vor, so­fern für die Gel­tend­ma­chung an­de­rer Scha­dens­er­satz­ansprüche aus dem an­ge­streb­ten Ar­beits­verhält­nis ei­ne Aus­schluss­frist vor­ge­se­hen war. Man­gels ei­ner sol­chen Aus­schluss­frist be­trug die im Rah­men des § 611a BGB gel­ten­de Frist sechs Mo­na­te.

33

Aus dem Vor­ab­ent­schei­dungs­er­su­chen er­gibt sich, dass die Frist des § 15 Abs. 4 AGG nur die Gel­tend­ma­chung ge­genüber dem Ar­beit­ge­ber be­trifft. Die deut­sche Re­gie­rung hat dar­auf hin­ge­wie­sen, dass die­se Frist mit der des § 61b ArbGG ver­knüpft wer­den müsse. Nur wenn der Ar­beit­ge­ber den gemäß § 15 Abs. 4 AGG gel­tend ge­mach­ten An­spruch nicht erfüllt ha­be, gel­te für die Per­son, die sich be­nach­tei­ligt se­he, ei­ne mit der schrift­li­chen Gel­tend­ma­chung ge­genüber dem Ar­beit­ge­ber be­gin­nen­de Frist von drei Mo­na­ten für die An­ru­fung des Ar­beits­ge­richts. Die Gel­tend­ma­chung ge­genüber dem Ar­beit­ge­ber könne durch Er­he­bung ei­ner Kla­ge er­setzt wer­den, so­fern die Kla­ge­er­he­bung und die Zu­stel­lung der Kla­ge­schrift an den Ar­beit­ge­ber in­ner­halb der Frist des § 15 Abs. 4 AGG er­folg­ten.

34

Es ist nicht er­sicht­lich, dass ei­ne Vor­schrift wie § 15 Abs. 4 AGG, wo­nach der­je­ni­ge, der bei der Ein­stel­lung we­gen des Al­ters dis­kri­mi­niert wor­den ist, ei­nen An­spruch auf Entschädi­gung für Vermögens- und Nicht­vermögensschäden in­ner­halb von zwei Mo­na­ten ge­genüber dem­je­ni­gen, von dem die­se Dis­kri­mi­nie­rung aus­geht, gel­tend ma­chen muss, we­ni­ger güns­ti­ger ist als Vor­schrif­ten für ver­gleich­ba­re in­ner­staat­li­che Rechts­be­hel­fe im Be­reich des Ar­beits­rechts. Gleich­wohl muss das na­tio­na­le Ge­richt prüfen, ob es sich bei den vom Ar­beits­ge­richt Ham­burg in sei­ner Ent­schei­dung vom 10. De­zem­ber 2008 ge­nann­ten Ver­fah­rens­fris­ten um ver­gleich­ba­re Fris­ten han­delt. Soll­te sich her­aus­stel­len, dass ei­ne oder meh­re­re der in der Vor­la­ge­ent­schei­dung ge­nann­ten Kla­ge­ar­ten oder auch an­de­re Kla­ge­ar­ten, die im Ver­fah­ren vor dem Ge­richts­hof nicht erwähnt wor­den sind, ei­ner Entschädi­gungs­kla­ge, die in­fol­ge ei­ner Dis­kri­mi­nie­rung er­ho­ben wird, ver­gleich­bar sind, wird das vor­le­gen­de Ge­richt fer­ner zu prüfen ha­ben, ob die erst­ge­nann­ten Kla­ge­ar­ten güns­ti­ge­re Ver­fah­rens­mo­da­litäten auf­wei­sen (vgl. ent­spre­chend Ur­teil Pon­tin, Rand­nr. 56). Das na­tio­na­le Ge­richt muss fer­ner prüfen, ob die von der deut­schen Re­gie­rung vor­ge­schla­ge­ne Aus­le­gung der Ver­knüpfung der Frist des § 15 Abs. 4 AGG mit der des § 61b ArbGG zu­tref­fend ist.

35

Hin­sicht­lich der An­wen­dung des Ef­fek­ti­vitäts­grund­sat­zes hat der Ge­richts­hof ent­schie­den, dass je­der Fall, in dem sich die Fra­ge stellt, ob ei­ne na­tio­na­le Ver­fah­rens­vor­schrift die An­wen­dung des Uni­ons­rechts unmöglich macht oder übermäßig er­schwert, un­ter Berück­sich­ti­gung der Stel­lung die­ser Vor­schrift im ge­sam­ten Ver­fah­ren, des Ver­fah­rens­ab­laufs und der Be­son­der­hei­ten des Ver­fah­rens vor den ver­schie­de­nen na­tio­na­len Stel­len zu prüfen ist. Da­bei sind ge­ge­be­nen­falls die Grundsätze zu berück­sich­ti­gen, die dem na­tio­na­len Rechts­schutz­sys­tem zu­grun­de lie­gen, wie z. B. der Schutz der Ver­tei­di­gungs­rech­te, der Grund­satz der Rechts­si­cher­heit und der ord­nungs­gemäße Ab­lauf des Ver­fah­rens (vgl. Ur­tei­le vom 14. De­zem­ber 1995, Pe­ter­bro­eck, C-312/93, Slg. 1995, I-4599, Rand­nr. 14, Uni­bet, Rand­nr. 54, vom 6. Ok­to­ber 2009, As­tur­com Tele­co­mu­ni­ca­cio­nes, C-40/08, noch nicht in der amt­li­chen Samm­lung veröffent­licht, Rand­nr. 39, und Pon­tin, Rand­nr. 47).

36

Nach ständi­ger Recht­spre­chung ist die Fest­set­zung an­ge­mes­se­ner Aus­schluss­fris­ten grundsätz­lich mit dem Er­for­der­nis der Ef­fek­ti­vität ver­ein­bar, weil ei­ne sol­che Fest­set­zung ein An­wen­dungs­fall des grund­le­gen­den Prin­zips der Rechts­si­cher­heit ist (vgl. Ur­tei­le vom 10. Ju­li 1997, Pal­mi­sa­ni, C-261/95, Slg. 1997, I-4025, Rand­nr. 28, Pres­ton u. a., Rand­nr. 33, vom 24. Sep­tem­ber 2002, Grun­dig Ita­lia­na, C-255/00, Slg. 2002, I-8003, Rand­nr. 34, so­wie Kemp­ter, Rand­nr. 58). Denn der­ar­ti­ge Fris­ten sind nicht ge­eig­net, die Ausübung der durch die Uni­ons­rechts­ord­nung ver­lie­he­nen Rech­te prak­tisch unmöglich zu ma­chen oder übermäßig zu er­schwe­ren (vgl. Ur­tei­le Grun­dig Ita­lia­na, Rand­nr. 34, Kemp­ter, Rand­nr. 58, und Pon­tin, Rand­nr. 48). Mit die­sem Vor­be­halt ist es den Mit­glied­staa­ten un­be­nom­men, mehr oder we­ni­ger lan­ge Fris­ten vor­zu­se­hen (vgl. Ur­teil vom 17. Ju­ni 2004, Rech­eio – Cash & Car­ry, C-30/02, Slg. 2004, I-6051, Rand­nr. 20). Der Ge­richts­hof hat zu Aus­schluss­fris­ten außer­dem ent­schie­den, dass es Sa­che der Mit­glied­staa­ten ist, für na­tio­na­le Re­ge­lun­gen, die in den An­wen­dungs­be­reich des Uni­ons­rechts fal­len, Fris­ten fest­zu­le­gen, die ins­be­son­de­re der Be­deu­tung der zu tref­fen­den Ent­schei­dun­gen für die Be­trof­fe­nen, der Kom­ple­xität der Ver­fah­ren und der an­zu­wen­den­den Rechts­vor­schrif­ten, der Zahl der po­ten­zi­ell Be­trof­fe­nen und den an­de­ren zu berück­sich­ti­gen­den öffent­li­chen oder pri­va­ten Be­lan­gen ent­spre­chen (vgl. Ur­teil Pon­tin, Rand­nr. 48).

37

Es ist da­her zu prüfen, ob die Frist des § 15 Abs. 4 AGG – so­wohl hin­sicht­lich ih­rer Länge als auch hin­sicht­lich des Zeit­punkts ih­res Be­ginns – den An­for­de­run­gen des Ef­fek­ti­vitäts­grund­sat­zes genügt.

38

§ 15 Abs. 4 AGG sieht ei­ne Frist von zwei Mo­na­ten für die Gel­tend­ma­chung ge­genüber dem Ar­beit­ge­ber vor. Wie die deut­sche Re­gie­rung aus­geführt hat, soll der Ar­beit­ge­ber von den gel­tend ge­mach­ten Ansprüchen zeit­nah Kennt­nis er­hal­ten und in An­be­tracht der im AGG vor­ge­se­he­nen Be­weis­re­geln nicht ge­zwun­gen sein, Do­ku­men­te über das Ein­stel­lungs­ver­fah­ren un­verhält­nismäßig lan­ge auf­zu­be­wah­ren.

39

Es ist nicht er­sicht­lich, dass die Fest­le­gung die­ser Frist auf zwei Mo­na­te die Ausübung der vom Uni­ons­recht ver­lie­he­nen Rech­te unmöglich ma­chen oder übermäßig er­schwe­ren könn­te.

40

Hin­sicht­lich des Be­ginns der Frist für die Rechts­ver­fol­gung er­gibt sich aus § 15 Abs. 4 AGG, dass „[d]ie Frist … im Fal­le ei­ner Be­wer­bung mit dem Zu­gang der Ab­leh­nung [be­ginnt]“. In ei­ner der­ar­ti­gen Si­tua­ti­on kann ein Ar­beit­neh­mer in­ner­halb der mit der Ab­leh­nung sei­ner Be­wer­bung be­gin­nen­den Frist von zwei Mo­na­ten, u. a. we­gen des Ver­hal­tens des Ar­beit­ge­bers, mögli­cher­wei­se nicht er­ken­nen, dass und in wel­chem Um­fang er dis­kri­mi­niert wur­de, so dass ihm die in der Richt­li­nie vor­ge­se­he­ne Rechts­ver­fol­gung unmöglich ist (vgl. in die­sem Sin­ne Ur­teil Le­vez, Rand­nr. 31).

41

So­wohl aus der Vor­la­ge­ent­schei­dung als auch aus den Erklärun­gen der deut­schen Re­gie­rung geht je­doch her­vor, dass die in § 15 Abs. 4 AGG vor­ge­se­he­ne Frist bei ei­ner te­leo­lo­gi­schen Aus­le­gung die­ser Vor­schrift nicht zwangsläufig mit dem Zu­gang der Ab­leh­nung, son­dern mit dem Zeit­punkt be­ginnt, zu dem der Ar­beit­neh­mer von der be­haup­te­ten Dis­kri­mi­nie­rung Kennt­nis er­langt. Un­ter die­sen Umständen ist die ge­nann­te Vor­schrift nicht ge­eig­net, die Ausübung der vom Uni­ons­recht ver­lie­he­nen Rech­te unmöglich zu ma­chen oder übermäßig zu er­schwe­ren.

42

In An­be­tracht die­ser Erwägun­gen ist auf den ers­ten Teil der Fra­ge zu ant­wor­ten, dass das Primärrecht der Uni­on und Art. 9 der Richt­li­nie da­hin aus­zu­le­gen sind, dass sie ei­ner na­tio­na­len Ver­fah­rens­vor­schrift nicht ent­ge­gen­ste­hen, wo­nach der­je­ni­ge, der bei der Ein­stel­lung we­gen des Al­ters dis­kri­mi­niert wor­den ist, sei­ne Ansprüche auf Er­satz des Vermögens- und Nicht­vermögens­scha­dens ge­genüber dem­je­ni­gen, von dem die­se Dis­kri­mi­nie­rung aus­geht, in­ner­halb von zwei Mo­na­ten gel­tend ma­chen muss, so­fern

– zum ei­nen die­se Frist nicht we­ni­ger güns­tig ist als die für ver­gleich­ba­re in­ner­staat­li­che Rechts­be­hel­fe im Be­reich des Ar­beits­rechts,

– zum an­de­ren die Fest­le­gung des Zeit­punkts, mit dem der Lauf die­ser Frist be­ginnt, die Ausübung der von der Richt­li­nie ver­lie­he­nen Rech­te nicht unmöglich macht oder übermäßig er­schwert.

Es ist Sa­che des na­tio­na­len Ge­richts, zu prüfen, ob die­se bei­den Be­din­gun­gen erfüllt sind.

Zum Grund­satz des Ver­bots ei­ner Ab­sen­kung des Schutz­ni­veaus

43

Nach Art. 8 der Richt­li­nie darf de­ren Um­set­zung kei­nes­falls als Recht­fer­ti­gung für ei­ne Ab­sen­kung des von den Mit­glied­staa­ten be­reits ga­ran­tier­ten all­ge­mei­nen Schutz­ni­veaus in Be­zug auf Dis­kri­mi­nie­run­gen in den von der Richt­li­nie ab­ge­deck­ten Be­rei­chen be­nutzt wer­den.

44

In Be­zug auf die Richt­li­nie 1999/70/EG des Ra­tes vom 28. Ju­ni 1999 zu der EGB-UN­ICE-CEEP-Rah­men­ver­ein­ba­rung über be­fris­te­te Ar­beits­verträge (ABl. L 175, S. 43) und zu Pa­ra­graf 8 Nr. 3 der Rah­men­ver­ein­ba­rung, wo­nach die Um­set­zung der Rah­men­ver­ein­ba­rung den Mit­glied­staa­ten nicht als Recht­fer­ti­gung für die Sen­kung des all­ge­mei­nen Ni­veaus des zu­vor nach in­ner­staat­li­chem Recht ga­ran­tier­ten Ar­beit­neh­mer­schut­zes in dem von der Ver­ein­ba­rung er­fass­ten Be­reich die­nen kann, hat der Ge­richts­hof be­reits ent­schie­den, dass ei­ne Sen­kung des den Ar­beit­neh­mern im Be­reich der be­fris­te­ten Ar­beits­verträge ga­ran­tier­ten Schut­zes nicht als sol­che durch die Rah­men­ver­ein­ba­rung ver­bo­ten ist, son­dern von dem Ver­bot gemäß de­ren Pa­ra­graf 8 Nr. 3 nur er­fasst wird, wenn sie zum ei­nen mit der „Um­set­zung“ der Rah­men­ver­ein­ba­rung zu­sam­menhängt und zum an­de­ren das „all­ge­mei­ne Ni­veau des [S]chut­zes“ be­fris­tet beschäftig­ter Ar­beit­neh­mer be­trifft (vgl. Ur­teil vom 23. April 2009, An­gel­i­da­ki u. a., C-378/07 bis C-380/07, Slg. 2009, I-3071, Rand­nr. 126 und die dort an­geführ­te Recht­spre­chung).

45

Da je­den­falls Art. 1 der Richt­li­nie das Ge­schlecht nicht als Dis­kri­mi­nie­rungs­grund nennt, kann ei­ne even­tu­el­le Ab­sen­kung des Ni­veaus des Schut­zes ge­gen ei­ne auf die­sem Grund be­ru­hen­de Dis­kri­mi­nie­rung nicht als in die von der Richt­li­nie ge­re­gel­ten Be­rei­che fal­lend an­ge­se­hen wer­den.

46

Dem­zu­fol­ge fällt die Länge der Frist für die Gel­tend­ma­chung ei­ner Entschädi­gung we­gen ge­schlechts­be­zo­ge­ner Dis­kri­mi­nie­rung, wie sie in § 611a BGB in sei­ner Fas­sung vor In­kraft­tre­ten des AGG vor­ge­se­hen war, nicht un­ter den Be­griff „Schutz­ni­veau in Be­zug auf Dis­kri­mi­nie­run­gen“ im Sin­ne von Art. 8 Abs. 2 der Richt­li­nie.

47

In An­be­tracht die­ser Erwägun­gen ist auf den zwei­ten Teil der Fra­ge zu ant­wor­ten, dass Art. 8 der Richt­li­nie da­hin aus­zu­le­gen ist, dass er ei­ner zur Um­set­zung der Richt­li­nie er­las­se­nen na­tio­na­len Ver­fah­rens­vor­schrift nicht ent­ge­gen­steht, in de­ren Fol­ge ei­ne frühe­re Re­ge­lung geändert wor­den ist, die ei­ne Frist für die Gel­tend­ma­chung ei­nes Entschädi­gungs­an­spruchs bei ge­schlechts­be­zo­ge­ner Dis­kri­mi­nie­rung vor­sah.

Kos­ten

48

Für die Par­tei­en des Aus­gangs­ver­fah­rens ist das Ver­fah­ren ein Zwi­schen­streit in dem bei dem vor­le­gen­den Ge­richt anhängi­gen Rechts­streit; die Kos­ten­ent­schei­dung ist da­her Sa­che die­ses Ge­richts. Die Aus­la­gen an­de­rer Be­tei­lig­ter für die Ab­ga­be von Erklärun­gen vor dem Ge­richts­hof sind nicht er­stat­tungsfähig.

Aus die­sen Gründen hat der Ge­richts­hof (Zwei­te Kam­mer) für Recht er­kannt:

1. Das Primärrecht der Uni­on und Art. 9 der Richt­li­nie 2000/78/EG des Ra­tes vom 27. No­vem­ber 2000 zur Fest­le­gung ei­nes all­ge­mei­nen Rah­mens für die Ver­wirk­li­chung der Gleich­be­hand­lung in Beschäfti­gung und Be­ruf sind da­hin aus­zu­le­gen, dass sie ei­ner na­tio­na­len Ver­fah­rens­vor­schrift nicht ent­ge­gen­ste­hen, wo­nach der­je­ni­ge, der bei der Ein­stel­lung we­gen des Al­ters dis­kri­mi­niert wor­den ist, sei­ne Ansprüche auf Er­satz des Vermögens- und Nicht­vermögens­scha­dens ge­genüber dem­je­ni­gen, von dem die­se Dis­kri­mi­nie­rung aus­geht, in­ner­halb von zwei Mo­na­ten gel­tend ma­chen muss, so­fern

- zum ei­nen die­se Frist nicht we­ni­ger güns­tig ist als die für ver­gleich­ba­re in­ner­staat­li­che Rechts­be­hel­fe im Be­reich des Ar­beits­rechts,

- zum an­de­ren die Fest­le­gung des Zeit­punkts, mit dem der Lauf die­ser Frist be­ginnt, die Ausübung der von der Richt­li­nie ver­lie­he­nen Rech­te nicht unmöglich macht oder übermäßig er­schwert.

Es ist Sa­che des na­tio­na­len Ge­richts, zu prüfen, ob die­se bei­den Be­din­gun­gen erfüllt sind.

2. Art. 8 der Richt­li­nie 2000/78 ist da­hin aus­zu­le­gen, dass er ei­ner zur Um­set­zung die­ser Richt­li­nie er­las­se­nen na­tio­na­len Ver­fah­rens­vor­schrift nicht ent­ge­gen­steht, in de­ren Fol­ge ei­ne frühe­re Re­ge­lung geändert wor­den ist, die ei­ne Frist für die Gel­tend­ma­chung ei­nes Entschädi­gungs­an­spruchs bei ge­schlechts­be­zo­ge­ner Dis­kri­mi­nie­rung vor­sah.

* Ver­fah­rens­spra­che: Deutsch.

Quel­le: Ge­richts­hof der Eu­ropäischen Uni­on (EuGH), http://cu­ria.eu­ro­pa.eu

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