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BVerfG, Be­schluss vom 24.06.2010, 1 BvL 5/10

   
Schlagworte: Annahmeverzug, Gleichheit vor dem Gesetz, Gleichbehandlung
   
Gericht: Bundesverfassungsgericht
Aktenzeichen: 1 BvL 5/10
Typ: Beschluss
Entscheidungsdatum: 24.06.2010
   
Leitsätze:
Vorinstanzen: Landesarbeitsgericht Nürnberg, Vorlagebeschluss vom 9.03.2010, 7 Sa 430/09
   

BUN­DES­VER­FASSUN­GS­GERICHT

- 1 BvL 5/10 -

In dem Ver­fah­ren

zur ver­fas­sungs­recht­li­chen Prüfung,

ob die Be­stim­mung des § 615 Satz 2 BGB, wo­nach sich der Ar­beit­neh­mer im Fal­le des An­nah­me­ver­zugs auf die Vergütung das an­rech­nen las­sen muss, was er in­fol­ge des Un­ter­blei­bens der Dienst­leis­tung er­spart, ge­gen Art. 3 des Grund­ge­set­zes verstößt

- Aus­set­zungs- und Vor­la­ge­be­schluss des Lan­des­ar­beits­ge­richts Nürn­berg vom 9. März 2010 (7 Sa 430/09) -,

hat die 3. Kam­mer des Ers­ten Se­nats des Bun­des­ver­fas­sungs­ge­richts durch
den Vi­ze­präsi­den­ten Kirch­hof
und die Rich­ter Bry­de,
Schlu­cke­bier

gemäß § 81a BVerfGG in der Fas­sung der Be­kannt­ma­chung vom 11. Au­gust
1993 (BGBl I S. 1473) am 24. Ju­ni 2010 ein­stim­mig be­schlos­sen:

Die Vor­la­ge ist un­zulässig.

G r ü n d e :

Die Vor­la­ge be­trifft die un­ter­schied­li­che Re­ge­lung der An­rech­nung er­spar­ter Auf­wen­dun­gen auf den An­nah­me­ver­zugs­lohn in § 615 Satz 2 BGB und § 11 KSchG. Nach § 615 Satz 2 BGB als der all­ge­mei­nen Vor­schrift zur Vergütung des Dienst­ver­pflich­te­ten bei An­nah­me­ver­zug des Dienst­be­rech­tig­ten muss sich der Ver­pflich­te­te den Wert des­je­ni­gen an­rech­nen las­sen, was er in­fol­ge des Un­ter­blei­bens der Dienst­leis­tung er­spart hat. Im Spe­zi­al­fall des § 11 KSchG fin­det ei­ne sol­che An­rech­nung hin­ge­gen nicht statt. Das vor­le­gen­de Lan­des­ar­beits­ge­richt sieht dar­in in ei­nem Fall, in dem ei­ne An­wen­dung des § 11 KSchG zu Guns­ten
 


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ei­nes Ar­beit­neh­mers nicht in Be­tracht kam, ei­ne Ver­let­zung des all­ge­mei­nen Gleich­heits­sat­zes (Art. 3 Abs. 1 GG).

I.

Im Aus­gangs­ver­fah­ren strei­ten die Par­tei­en, so­weit hier von Be­deu­tung, nach ei­nem rechts­kräfti­gen Teil­ur­teil über den Be­stand des Ar­beits­verhält­nis­ses noch um Ansprüche der Kläge­rin ge­gen den Be­klag­ten auf Zah­lung von Ar­beits­ent­gelt aus An­nah­me­ver­zug.

Die Kläge­rin war seit Sep­tem­ber 2004 als Buch­hal­te­rin beim Be­klag­ten beschäftigt. Der Be­klag­te führt ei­nen Klein­be­trieb im Sin­ne des § 23 Abs. 1 Satz 3 KSchG mit nicht mehr als zehn Ar­beit­neh­mern. Er be­haup­te­te, er ha­be der Kläge­rin am 31. Ok­to­ber 2005 ei­ne Kündi­gung zum 30. No­vem­ber 2005 aus­gehändigt. Die Kläge­rin be­stritt, die Kündi­gung er­hal­ten zu ha­ben, und be­an­trag­te vor dem Ar­beits­ge­richt, fest­zu­stel­len, dass das Ar­beits­verhält­nis zwi­schen den Par­tei­en un­gekündigt fort­be­ste­he. Außer­dem mach­te sie für die Zeit ab De­zem­ber 2005 Vergütungs­ansprüche gel­tend. Das Ar­beits­ge­richt gab dem Fest­stel­lungs­an­trag durch Teil­ur­teil statt, weil der Be­klag­te den Zu­gang des Kündi­gungs­schrei­bens nicht be­wei­sen konn­te. Die­ses Ur­teil wur­de rechts­kräftig. Später be­en­de­ten die Par­tei­en das Ar­beits­verhält­nis zum 30. No­vem­ber 2007. Im Streit blie­ben aber die Vergütungs­ansprüche der Kläge­rin. Das Ar­beits­ge­richt sprach der Kläge­rin für den Zeit­raum De­zem­ber 2005 bis No­vem­ber 2007 teils Ent­gelt­fort­zah­lung im Krank­heits­fall, teils gemäß § 615 Satz 1 BGB An­nah­me­ver­zugs­lohn zu. Im Rah­men des An­nah­me­ver­zugs­lohns brach­te es gemäß § 615 Satz 2 BGB die Fahrt­kos­ten in Ab­zug, die sich die Kläge­rin da­durch er­spart hat­te, dass sie nicht von zu Hau­se zur Ar­beitsstätte fah­ren muss­te. Für den ge­sam­ten Zeit­raum er­gab sich hierfür ein Ab­zug in Höhe von 2.617,50 €. In­so­weit wur­de die Kla­ge erst­in­stanz­lich ab­ge­wie­sen.

II.

Nach­dem die Kläge­rin Be­ru­fung er­ho­ben hat­te, setz­te das Lan­des­ar­beits­ge­richt den Rechts­streit aus und leg­te dem Bun­des­ver­fas­sungs­ge­richt zur ver­fas­sungs­recht­li­chen Prüfung die Fra­ge vor,
 


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ob die Be­stim­mung des § 615 Satz 2 BGB, wo­nach sich der Ar­beit­neh­mer im Fal­le des An­nah­me­ver­zugs auf die Vergütung das an-rech­nen las­sen muss, was er in­fol­ge des Un­ter­blei­bens der Dienst­leis­tung er­spart, ge­gen Art. 3 des Grund­ge­set­zes verstößt.

Zur Be­gründung führ­te das Lan­des­ar­beits­ge­richt im We­sent­li­chen aus:

Die Ent­schei­dung über die Be­ru­fung der Kläge­rin hänge da­von ab, ob § 615 Satz 2 BGB an­zu­wen­den sei. An­spruchs­grund­la­ge für die gel­tend ge­mach­ten Vergütungs­ansprüche sei, so­weit es um Zeiträume ge­he, in de­nen die Kläge­rin nicht ar­beits­unfähig er­krankt ge­we­sen sei, § 615 Satz 1 BGB. Nach § 615 Satz 2 BGB sei auf die Vergütungs­ansprüche das an­zu­rech­nen, was die Kläge­rin sich da­durch an Auf­wen­dun­gen er­spart ha­be, dass sie nicht ge­ar­bei­tet ha­be. Bei den in § 615 Satz 2 BGB ge­nann­ten er­spar­ten Auf­wen­dun­gen han­de­le es sich um sol­che Auf­wen­dun­gen, die dem Ar­beit­neh­mer im Fal­le der Wei­ter­ar­beit ent­stan­den wären. Hier­zu gehörten ty­pi­scher­wei­se Fahrt­kos­ten für die An­fahrt zum Ar­beits­platz.

Ein Ab­zug wäre al­ler­dings nicht vor­zu­neh­men, wenn § 11 KSchG an­zu­wen­den wäre. § 11 KSchG stel­le wie § 615 Satz 2 BGB ei­ne An­rech­nungs­be­stim­mung dar, die in­des an­ders als § 615 Satz 2 BGB kei­ne An­rech­nung er­spar­ter Auf­wen­dun­gen vor­se­he. Die Vor­schrift ver­dränge als lex spe­cia­lis § 615 Satz 2 BGB. Sie sei vor­lie­gend gleich­wohl nicht an­zu­wen­den. Gemäß § 23 Abs. 1 Satz 3 KSchG gälten die Re­ge­lun­gen des Ers­ten Ab­schnitts des Kündi­gungs­schutz­ge­set­zes, al­so auch § 11 KSchG, nicht für Klein­be­trie­be. Aus­ge­nom­men sei­en le­dig­lich §§ 4 bis 7 und § 13 Abs. 1 Satz 1 und 2 KSchG. Kraft Ge­set­zes würden so­mit Ar­beit­neh­mer, die in ei­nem Klein­be­trieb tätig sei­en, schlech­ter be­han­delt als Ar­beit­neh­mer, die in ei­nem Be­trieb beschäftigt sei­en, auf den das Kündi­gungs­schutz­ge­setz an­zu­wen­den sei. Während die Ar­beit­neh­mer ei­nes Klein­be­triebs sich er­spar­te Auf­wen­dun­gen auf den Ver­dienst an­rech­nen las­sen müss­ten, sei dies bei an­de­ren Ar­beit­neh­mern nicht der Fall.

Der all­ge­mei­ne Gleich­heits­satz ge­bie­te, we­sent­lich Glei­ches gleich und we­sent­lich Un­glei­ches un­gleich zu be­han­deln. Dar­aus ergäben sich je nach Re­ge­lungs­ge­gen­stand und Dif­fe­ren­zie­rungs­merk­ma­len un­ter­schied­li­che Gren­zen für den Ge­setz­ge­ber, die vom bloßen Willkürver­bot bis zu ei­ner stren­gen Bin­dung an Verhält­nismäßig­keits­er­for­der­nis­se reich­ten. Art. 3 Abs. 1 GG sei da­nach je­den­falls dann ver­letzt, wenn sich ein vernünf­ti­ger, sich aus der Na­tur der Sa­che er­ge­ben-

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der oder sonst wie ein­leuch­ten­der Grund für die ge­setz­li­che Dif­fe­ren­zie­rung oder Gleich­be­hand­lung nicht fin­den las­se.

Ge­mes­sen an die­sen Grundsätzen sei kein Grund er­kenn­bar, der es ge­bie­te oder auch nur als ver­tret­bar er­schei­nen las­se, die Fra­ge, ob Ar­beit­neh­mer sich auf den An­nah­me­ver­zugs­lohn er­spar­te Auf­wen­dun­gen an­rech­nen las­sen müss­ten, in Abhängig­keit von der Größe des Be­triebs, in dem sie beschäftigt sei­en, zu re­geln.

Das Bun­des­ver­fas­sungs­ge­richt ha­be sich in sei­ner Ent­schei­dung vom 27. Ja­nu­ar 1998 (BVerfGE 97, 169) mit der Klein­be­triebs­klau­sel des § 23 Abs. 1 KSchG aus­ein­an­der­ge­setzt. Da­bei sei es al­ler­dings um die Fra­ge ge­gan­gen, ob es mit Art. 3 Abs. 1 GG ver­ein­bar sei, dass Ar­beit­neh­mer, die in Klein­be­trie­ben tätig sei­en, vom Kündi­gungs­schutz nach § 1 KSchG aus­ge­schlos­sen sei­en. Dies sei be­jaht wor­den. Die tra­gen­de Be­gründung hierfür sei die Über­le­gung ge­we­sen, dass bei en­ger persönli­cher Zu­sam­men­ar­beit, ins­be­son­de­re persönli­cher Mit­ar­beit des Ar­beit­ge­bers im Be­trieb, so­wie bei ge­rin­ge­rer Fi­nanz­aus­stat­tung und Ver­wal­tungs­ka­pa­zität des Un­ter­neh­mens gu­te Gründe dafür sprächen, dem Ar­beit­ge­ber freie­re Hand bei der Ausübung sei­nes Kündi­gungs­rechts ein­zuräum­en, als ihm die all­ge­mei­nen Vor­schrif­ten des Kündi­gungs­schutz­ge­set­zes er­laub­ten.

Die­se Gründe sei­en nicht ge­eig­net, die un­ter­schied­li­che Re­ge­lung bei der An­rech­nung er­spar­ter Auf­wen­dun­gen zu be­gründen. Ge­ra­de die ge­rin­ge­re Ver­wal­tungs­ka­pa­zität klei­ne­rer Be­trie­be spre­che da­ge­gen, die Ab­rech­nung der An­nah­me­ver­zugs­ansprüche auch noch bezüglich der er­spar­ten Auf­wen­dun­gen zu kom­pli­zie­ren. Die ge­rin­ge­re Fi­nanz­aus­stat­tung recht­fer­ti­ge die un­ter­schied­li­che Be­hand­lung eben­falls nicht. Ob der Ar­beit­neh­mer im Hin­blick auf die Er­brin­gung der Ar­beits­leis­tung Auf­wen­dun­gen ha­be, berühre das Verhält­nis von Ar­beit­neh­mer und Ar­beit­ge­ber nicht. Ins­be­son­de­re wirk­ten sich et­wai­ge Auf­wen­dun­gen des Ar­beit­neh­mers nicht auf die Ar­beits­vergütung aus, son­dern würden in al­ler Re­gel im Rah­men der steu­er­li­chen Be­hand­lung des Ein­kom­mens vom Ar­beit­neh­mer als ab­zugsfähi­ge Wer­bungs­kos­ten gel­tend ge­macht. War­um dies im Fall des An­nah­me­ver­zugs zu ei­ner Min­de­rung des Ar­beits­loh­nes führen sol­le, sei oh­ne­hin nicht oh­ne Wei­te­res nach­zu­voll­zie­hen.

Die Gründe, die den Ge­setz­ge­ber be­wo­gen hätten, § 11 KSchG an­ders zu re­geln als § 615 Satz 2 BGB, stell­ten eben­falls kei­nen sach­li­chen Grund für die Un­gleich­be­hand­lung dar. Der Re­gie­rungs­ent­wurf zum Ge­setz von 1951 ha­be zu-nächst eben­falls ei­ne An­rech­nungs­pflicht vor­ge­se­hen. Der zuständi­ge Aus­schuss

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des Bun­des­tags ha­be aber im Hin­blick auf die Ge­ringfügig­keit der in Be­tracht kom­men­den Beträge die­se Vor­schrift ge­stri­chen, um „nicht klein­lich zu ver­fah­ren“ (Be­zug­nah­me auf Hu­eck/v.Ho­y­nin­gen-Hue­ne, KSchG, 14. Aufl. 2007, § 11 Rn. 48). Die­se Über­le­gung tref­fe auch für Klein­be­trie­be zu. Die Re­ge­lung des § 615 Satz 2 BGB sei da­her we­gen Ver­s­toßes ge­gen Art. 3 Abs. 1 GG ver­fas­sungs­wid­rig. Ei­ne ver­fas­sungs­kon­for­me Aus­le­gung kom­me nicht in Be­tracht. Der ein­deu­ti­ge Wort­laut des § 615 Satz 2 BGB las­se ei­ne Aus­le­gung da­hin­ge­hend, die er­spar­ten Auf­wen­dun­gen nicht an­zu­rech­nen, nicht zu.

III.

Die Vor­la­ge ist un­zulässig.

1. Ein Ge­richt kann ei­ne Ent­schei­dung des Bun­des­ver­fas­sungs­ge­richts über die Ver­fas­sungsmäßig­keit ei­ner ge­setz­li­chen Vor­schrift nach Art. 100 Abs. 1 GG nur ein­ho­len, wenn es zu­vor so­wohl die Ent­schei­dungs­er­heb­lich­keit der Vor­schrift als auch ih­re Ver­fas­sungsmäßig­keit sorgfältig ge­prüft hat (vgl. BVerfGE 86, 71 <76>). Gemäß § 80 Abs. 2 Satz 1 BVerfGG muss das vor­le­gen­de Ge­richt in den Gründen sei­ner Ent­schei­dung ausführen, in­wie­fern sei­ne Ent­schei­dung von der Gültig­keit der zur Prüfung ge­stell­ten Norm abhängt und mit wel­cher über­ge­ord­ne­ten Rechts­norm sie un­ver­ein­bar ist. Nach der ständi­gen Recht­spre­chung des Bun­des­ver­fas­sungs­ge­richts genügt ein Vor­la­ge­be­schluss dem Be­gründungs­er­for­der­nis des § 80 Abs. 2 Satz 1 BVerfGG nur, wenn ihm zum ei­nen mit hin­rei­chen­der Deut­lich­keit zu ent­neh­men ist, dass das vor­le­gen­de Ge­richt im Fal­le der Gültig­keit der für ver­fas­sungs­wid­rig ge­hal­te­nen Rechts­vor­schrift zu ei­nem an­de­ren Er­geb­nis kom­men würde als im Fal­le ih­rer Ungültig­keit und wie es die­ses Er­geb­nis be­gründen würde (vgl. BVerfGE 7, 171 <173 f.>; 105, 61 <67>; stRspr). Zum an­de­ren muss das vor­le­gen­de Ge­richt die für sei­ne Über­zeu­gung von der Ver­fas­sungs­wid­rig­keit der Norm maßgeb­li­chen Erwägun­gen nach­voll­zieh­bar und erschöpfend dar­le­gen (vgl. BVerfGE 78, 165 <171 f.>; 86, 71 <78>; 88, 70 <74>; 88, 198 <201>; 93, 121 <132>). Es muss deut­lich ma­chen, mit wel­chem ver­fas­sungs­recht­li­chen Grund­satz die zur Prüfung ge­stell­te Re­ge­lung sei­ner An­sicht nach nicht ver­ein­bar ist und aus wel­chen Gründen es zu die­ser Auf­fas­sung ge­langt ist. Da­bei muss es sich in­ten­siv mit der ein­fa­chen Rechts­la­ge aus­ein­an­der­set­zen, auf na­he­lie­gen­de tatsächli­che und recht­li­che Ge­sichts­punk­te ein­ge­hen und die in Recht­spre­chung und Schrift­tum ver­tre­te­nen Auf­fas­sun­gen eben­so ver­ar­bei­ten wie die Ent­ste­hungs­ge­schich­te der be­tref­fen­den Norm (vgl. BVerfGE 76, 100 <104>; 79, 240 <243 f.>; 80, 96 <100>; 86, 52 <57>; 86, 71 <77 f.>; 89, 329 <337>; 92, 277
 


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<312>; 105, 48 <56>; BVerfG, Be­schluss der 2. Kam­mer des Ers­ten Se­nats vom 10. März 2010 - 1 BvL 11/07 -, ju­ris).

2. Die­sen An­for­de­run­gen genügt die Be­gründung des Vor­la­ge­be­schlus­ses nicht.

a) Der Vor­la­ge­be­schluss macht schon nicht hin­rei­chend deut­lich, wel­che Sach­ver­hal­te oder Per­so­nen­grup­pen aus Sicht des Lan­des­ar­beits­ge­richts in ver­fas­sungs­wid­ri­ger Wei­se un­gleich be­han­delt wer­den.

Aus­weis­lich der im Te­nor des Be­schlus­ses for­mu­lier­ten Vor­la­ge­fra­ge be­trifft die vom Lan­des­ar­beits­ge­richt be­an­stan­de­te Un­gleich­be­hand­lung Ar­beit­neh­mer, die sich nach § 615 Satz 2 BGB im Fal­le des An­nah­me­ver­zugs auf die Vergütung das­je­ni­ge an­rech­nen las­sen müssen, was sie in­fol­ge des Un­ter­blei­bens der Dienst­leis­tung er­spart ha­ben. Das Lan­des­ar­beits­ge­richt scheint da­mit die all­ge­mei­ne An­rech­nungs­re­ge­lung des § 615 Satz 2 BGB zur ver­fas­sungs­ge­richt­li­chen Prüfung zu stel­len und die Vor­la­ge­fra­ge in­so­weit nur da­hin­ge­hend ein­zu­gren­zen, dass nicht al­le von die­ser Vor­schrift er­fass­ten Dienst­verhält­nis­se in Be­tracht ge­zo­gen wer­den sol­len, son­dern nur die­je­ni­gen von Ar­beit­neh­mern. Die Be­nach­tei­li­gung der von § 615 Satz 2 BGB er­fass­ten Ar­beit­neh­mer soll sich hier­nach aus ei­nem Ver­gleich mit sol­chen Ar­beit­neh­mern er­ge­ben, de­ren An­nah­me­ver­zugs­vergütung sich nach § 11 KSchG rich­tet und die sich des­halb kei­ne er­spar­ten Auf­wen­dun­gen an­rech­nen las­sen müssen. So ver­stan­den würden al­so all­ge­mein die An­rech­nungs­re­ge­lun­gen des § 615 Satz 2 BGB und des § 11 KSchG ge­genüber­ge­stellt.

Die un­ter­schied­li­che Aus­ge­stal­tung die­ser An­rech­nungs­vor­schrif­ten ist im Schrift­tum bis­lang nicht in nen­nens­wer­tem Maße als ver­fas­sungs­recht­li­ches Pro­blem dis­ku­tiert wor­den. Der Un­ter­schied in den ge­setz­li­chen Re­ge­lun­gen wird meist nur be­schrie­ben (vgl. Wei­den­kaff, in: Pa­landt, BGB, 69. Aufl. 2010, § 615 Rn. 19; Spil­ger, in: KR, 9. Aufl. 2009, § 11 KSchG Rn. 50; Boewer, in: Münche­ner Hand­buch zum Ar­beits­recht, Band 1, 3. Aufl. 2009, § 69 Rn. 41; Preis, in: ErfK, 10. Aufl. 2010, § 615 BGB Rn. 85; Biebl, in: Ascheid/Preis/Schmidt, Kündi­gungs-recht, 3. Aufl. 2007, § 11 KSchG Rn. 31; Fie­big, in: Fie­big/Gall­ner/Näge­le, Kündi­gungs­schutz­recht, 3. Aufl. 2007, § 11 KSchG Rn. 40; ders., in: Däubler/Hjort/Hum­mel/Wol­merath, Ar­beits­recht, § 11 KSchG Rn. 24; Boecken, in: An­walt­Kom­men­tar Ar­beits­recht, Band 1, 2. Aufl. 2010, § 615 BGB Rn. 53; Ri­char­di, in: v. Stau­din­ger, BGB, §§ 611-615, Neu­be­ar­bei­tung 2005, § 615

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Rn. 134, 139; Bel­ling, in: Er­man, BGB, 12. Aufl. 2008, § 615 Rn. 40; Linck, in: Schaub/Koch/Linck/Vo­gel­sang, Ar­beits­recht-Hand­buch, 13. Aufl. 2009, § 95 Rn. 85; Bröhl, in: Dorn­busch/Fi­scher­mei­er/Löwisch, Fach­an­walts­kom­men­tar Ar­beits­recht, 2. Aufl. 2009, § 11 KSchG Rn. 14; Sch­nep­pen­dahl, in: Wed­de, Ar­beits-recht, § 11 KSchG Rn. 3). Ge­le­gent­lich wird kurz kri­tisch an­ge­merkt, die Rechts­la-ge sei un­ein­heit­lich (vgl. v. Ho­y­nin­gen-Hue­ne/Linck, KSchG, 14. Aufl. 2007, § 11 Rn. 48; Pleßner, in: Be­ckOK KSchG, § 11 Rn. 25 <Stand: 01.03.2010>; Her­genröder, in: MüKo-BGB, 5. Aufl. 2009, § 11 KSchG Rn. 26), aber nur ganz ver­ein­zelt wer­den ver­fas­sungs­recht­li­che Bezüge her­ge­stellt, in­dem - wenn auch oh­ne nähe­re Ausführun­gen - Zwei­fel an der Ver­ein­bar­keit mit „Art. 3 GG“ geäußert wer­den, weil die Dif­fe­ren­zie­rung durch kei­nen sach­li­chen Grund ge­recht­fer­tigt sei (vgl. Hens­s­ler, in: MüKo-BGB, 5. Aufl. 2009, § 615 Rn. 65).

Auch das Lan­des­ar­beits­ge­richt möch­te die Vor­la­ge­fra­ge wohl nicht so weit ver­stan­den wis­sen, dass ent­spre­chend dem Te­nor des Be­schlus­ses die Re­ge­lung des § 615 Satz 2 BGB, so­weit sie Ar­beit­neh­mer be­trifft, ins­ge­samt zur ver­fas­sungs­ge­richt­li­chen Prüfung ge­stellt wer­den soll. Zwar meint das Lan­des­ar­beits­ge­richt beiläufig auch all­ge­mein, es sei oh­ne­hin nicht nach­voll­zieh­bar, war­um die Er­spar­nis von Auf­wen­dun­gen im Fall des An­nah­me­ver­zugs zu ei­ner Min­de­rung des Ar­beits­lohns führen sol­le. Die ver­fas­sungs­recht­li­che Kri­tik des Ge­richts rich­tet sich aber aus­weis­lich der wei­te­ren Be­schluss­gründe im We­sent­li­chen wohl nicht ge­gen ei­ne Be­nach­tei­li­gung von Ar­beit­neh­mern im ge­sam­ten An­wen­dungs­be­reich des § 615 Satz 2 BGB, al­so in je­dem Fal­le des An­nah­me­ver­zugs des Ar­beit­ge­bers. Viel­mehr hat das Lan­des­ar­beits­ge­richt spe­zi­ell den An­nah­me­ver­zug des Ar­beit­ge­bers im Blick, der die Ar­beits­leis­tung des Ar­beit­neh­mers des­halb nicht in An­spruch nimmt, weil er sich dar­auf be­ruft, das Ar­beits­verhält­nis sei durch ei­ne von ihm aus­ge­spro­che­ne Kündi­gung be­en­det wor­den. Be­steht das Ar­beits­verhält­nis doch fort, weil die Kündi­gung rechts­un­wirk­sam war, weil sie vom Ar­beit­ge­ber zurück­ge­nom­men wur­de oder weil sich die Ar­beits­ver­trags­par­tei­en auf ei­ne Fort­set­zung des Ar­beits­verhält­nis­ses ge­ei­nigt ha­ben, kommt in al­len die­sen Fällen (vgl. Boewer, in: Münche­ner Hand­buch zum Ar­beits­recht, Band 1, 3. Aufl. 2009, § 69 Rn. 41) § 11 KSchG zur An­wen­dung, es sei denn, die Gel­tung die­ser Vor­schrift ist durch § 23 Abs. 1 Satz 2 und 3 KSchG aus­ge­schlos­sen. In die­sem Aus­nah­me­fall bleibt es für die Ar­beit­neh­mer ei­nes Klein­be­triebs im Sin­ne des § 23 Abs. 1 Satz 2 und 3 KSchG auch dann bei der An­rech­nung er­spar­ter Auf­wen­dun­gen nach § 615 Satz 2 BGB, wenn dem An­nah­me­ver­zug des Ar­beit­ge­bers ei­ne Kündi­gung zu­grun­de liegt, die das Ar­beits­verhält­nis nicht be­en­det hat. Das Lan­des­ar­beits­ge­richt sieht für die­se Be­nach­tei­li­gung sol­cher gekündig­ter Ar­beit­neh-


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mer, für die die An­wen­dung des § 11 KSchG durch § 23 Abs. 1 KSchG aus­ge­schlos­sen wird, kei­nen tragfähi­gen Grund. Ab­wei­chend vom Te­nor des Vor­la­ge­be­schlus­ses dürf­te Ge­gen­stand der be­an­trag­ten ver­fas­sungs­ge­richt­li­chen Prüfung da­her ei­gent­lich die Fra­ge sein, ob der Aus­schluss der Gel­tung des § 11 KSchG für gekündig­te Ar­beit­neh­mer ei­nes Klein­be­triebs durch § 23 Abs. 1 Satz 2 und 3 KSchG mit Art. 3 Abs. 1 GG ver­ein­bar ist.

Die hier­nach be­ste­hen­den Un­klar­hei­ten hin­sicht­lich des Ge­gen­stands der Nor­men­kon­trol­le könn­ten als sol­che für die Zulässig­keit der Vor­la­ge unschädlich sein, wenn sie durch ei­ne Aus­le­gung der Vor­la­ge­fra­ge un­ter Berück­sich­ti­gung der Gründe des Vor­la­ge­be­schlus­ses über­wun­den wer­den könn­ten. Da­mit wären aber noch nicht die De­fi­zi­te in der Be­gründung der Über­zeu­gung des Lan­des­ar­beits­ge­richts von der Ver­fas­sungs­wid­rig­keit der - an­de­ren als von ihm im Te­nor des Be­schlus­ses ge­nann­ten - Norm be­sei­tigt, die sich dar­aus er­ge­ben, dass die Dar­le­gung ei­ner Ver­let­zung des all­ge­mei­nen Gleich­heits­sat­zes (Art. 3 Abs. 1 GG) die Ge­genüber­stel­lung be­stimm­ter, durch die Norm un­ter­schied­lich ge­re­gel­ter Sach­ver­hal­te oder Per­so­nen­grup­pen vor­aus­setzt. Wech­seln die Über­le­gun­gen des vor­le­gen­den Ge­richts wie hier zwi­schen meh­re­ren Stand­punk­ten hin und her, oh­ne sich zwei­fels­frei nach­voll­zieh­bar auf den Ver­gleich be­stimm­ter Sach­ver­hal­te oder Per­so­nen­grup­pen fest­zu­le­gen, dann fehlt es schon aus die­sem Grun­de an ei­ner schlüssi­gen, den Vor­ga­ben des § 80 Abs. 2 Satz 1 BVerfGG ent­spre­chen­den Be­gründung der Vor­la­ge.

b) Je­den­falls hat sich das Lan­des­ar­beits­ge­richt nicht hin­rei­chend mit ei­ner mögli­chen, den ver­fas­sungs­recht­li­chen An­for­de­run­gen des Art. 3 Abs. 1 GG genügen­den sach­li­chen Recht­fer­ti­gung für die Un­gleich­be­hand­lung aus­ein­an­der­ge­setzt. Das Lan­des­ar­beits­ge­richt hat nicht in aus­rei­chen­dem Maße un­ter­sucht, ob die sich aus § 23 Abs. 1 Satz 2 und 3 KSchG er­ge­ben­de Un­an­wend­bar­keit des § 11 KSchG im Fal­le ei­nes vom Ar­beit­neh­mer ei­nes Klein­be­triebs er­folg­reich geführ­ten Kündi­gungs­schutz­ver­fah­rens zur Ent­las­tung des be­trof­fe­nen Ar­beit­ge­bers bei ge­ne­ra­li­sie­ren­der Be­trach­tung (vgl. BVerfGE 97, 169 <182 ff.>) ge­recht­fer­tigt sein kann.

In § 11 KSchG wird von ei­ner An­rech­nung er­spar­ter Auf­wen­dun­gen im Sin­ne des § 615 Satz 2 BGB im An­schluss an ein Kündi­gungs­schutz­ver­fah­ren ab­ge­se­hen, um die Fort­set­zung des Ar­beits­verhält­nis­ses nicht durch Aus­ein­an­der­set­zun­gen über die Höhe des An­nah­me­ver­zug­s­ent­gelts zu be­las­ten (vgl. Fie­big, in: Fie­big/Gall­ner/Näge­le, Kündi­gungs­schutz­recht, 3. Aufl. 2007, § 11 KSchG Rn. 40;

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vgl. zur Ge­setz­ge­bungs­ge­schich­te BT­Drucks Nr. 2090 vom 27. März 1951 und Nr. 2384 vom 21. Ju­ni 1951; RdA 1951, S. 178). Die­ser Re­ge­lungs­zweck des § 11 KSchG kann auch in ei­nem Klein­be­trieb Be­deu­tung er­lan­gen, wenn der Ar­beit­neh­mer des Klein­be­triebs die Kündi­gung des Ar­beit­ge­bers mit Er­folg an­ge­grif­fen hat und das Ar­beits­verhält­nis möglichst kon­flikt­frei fort­ge­setzt wer­den soll. Den-noch kann es un­ter Berück­sich­ti­gung des Re­ge­lungs­spiel­raums des Ge­setz­ge­bers ver­fas­sungs­recht­lich un­be­denk­lich sein, das durch § 11 KSchG ver­folg­te An­lie­gen dann hin­ter das In­ter­es­se des Ar­beit­ge­bers an ei­ner An­rech­nung der er­spar­ten Auf­wen­dun­gen des Ar­beit­neh­mers zurück­tre­ten zu las­sen, wenn es sich um ei­nen Ar­beit­ge­ber ei­nes Klein­be­triebs han­delt, der ty­pi­scher­wei­se fi­nan­zi­ell we­ni­ger leis­tungs­stark und des­halb an ei­ner Re­du­zie­rung der Lohn­kos­ten be­son­ders in­ter­es­siert ist.

Dass die­se na­he­lie­gen­de Erwägung sach­lich nicht zu recht­fer­ti­gen ist und kei­nen an­ge­mes­se­nen Aus­gleich der wi­der­strei­ten­den In­ter­es­sen von Ar­beit­ge­ber und Ar­beit­neh­mer dar­stellt, hat das Lan­des­ar­beits­ge­richt nicht nach­voll­zieh­bar dar­ge­legt. Es hat die durch § 615 Satz 2 BGB be­wirk­te Ent­las­tung des Ar­beit­ge­bers in Ab­re­de ge­stellt, in­dem es aus­geführt hat, das Verhält­nis von Ar­beit­neh­mer und Ar­beit­ge­ber wer­de nicht da­durch berührt, ob der Ar­beit­neh­mer im Hin­blick auf die Er­brin­gung der Ar­beits­leis­tung Auf­wen­dun­gen ha­be oder nicht. Dass die An­rech­nung er­spar­ter Auf­wen­dun­gen die Höhe des vom Ar­beit­ge­ber ge­schul­de­ten An­nah­me­ver­zug­s­ent­gelts be­ein­flusst, er­gibt sich je­doch be­reits dar­aus, dass auch aus Sicht des Lan­des­ar­beits­ge­richts die Kla­ge ge­gen den Ar­beit­ge­ber teil­wei­se ab­zu­wei­sen wäre, wenn ei­ne An­rech­nung nach § 615 Satz 2 BGB er­fol­gen müss­te.


Die­se Ent­schei­dung ist un­an­fecht­bar.

Kirch­hof 

Bry­de 

Schlu­cke­bier

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