HENSCHE RECHTSANWÄLTE, FACHANWALTSKANZLEI FÜR ARBEITSRECHT

 

LAG Mün­chen, Ur­teil vom 03.06.2009, 10 Sa 719/08

   
Schlagworte: Ausschlussfrist, Altersdiskriminierung, Diskriminierung: Alter, Schriftform, AGG
   
Gericht: Landesarbeitsgericht München
Aktenzeichen: 10 Sa 719/08
Typ: Urteil
Entscheidungsdatum: 03.06.2009
   
Leitsätze: Die Wahrung der Ausschlussfrist des § 15 Abs. 4 AGG setzt nicht die Einhaltung der gesetzlichen Schriftform (§ 126 BGB) voraus. Die Geltendmachung des Anspruchs per Telefax ist ausreichend.
Eine Stellenausschreibung mit der ausdrücklich "junge" Mitarbeiter gesucht werden stellt eine Altersdiskriminierung dar. Es handelt sich jedoch nicht um einen besonders schweren Fall der Altersdiskriminierung, bei dem der in § 15 Abs. 2 Satz 2 AGG vorgegebene Rahmen bei der Festsetzung der Entschädigungshöhe ausgeschöpft werden muss.
Vorinstanzen: Arbeitsgericht München, Urteil vom 12.06.2008, 22 Ca 8774/07
   

10 Sa 719/08

22 Ca 8774/07
(ArbG München) 

 

Verkündet am: 03.06.2009

 

Do­se, An­ge­stell­te
Ur­kunds­be­am­tin

der Geschäfts­stel­le

 

Lan­des­ar­beits­ge­richt München


Im Na­men des Vol­kes


UR­TEIL


In dem Rechts­streit


Dr. A.
A-Straße, A-Stadt


- Kläger, Be­ru­fungskläger und Be­ru­fungs­be­klag­ter -


Pro­zess­be­vollmäch­tig­ter:


Herrn Dr. A.
A-Straße, A-Stadt


ge­gen


C.
C-Straße, C-Stadt


- Be­klag­te und Be­ru­fungs­be­klag­te -


Pro­zess­be­vollmäch­tig­te:
Rechts­anwälte D.

D-Straße, C-Stadt

- 2 -


hat die 10. Kam­mer des Lan­des­ar­beits­ge­richts München auf Grund der münd­li­chen Ver­hand­lung vom 13. Mai 2009 durch die Rich­te­rin am Ar­beits­ge­richt Dr. Försch­ner und die eh­ren­amt­li­chen Rich­ter Thom­sen und Haw­lic­zek

für Recht er­kannt:


1. Auf die Be­ru­fung des Klägers wird das En­dur­teil des Ar­beits­ge­richts München vom 12.06.2008, Az.: 22 Ca 8774/07 in Zif­fer 1 ab­geändert:


Die Be­klag­te wird ver­ur­teilt, an den Kläger als Entschädi­gung € 3.344,00 zzgl. Zin­sen i.H.v. 5 %-Punk­ten über dem Ba­sis­zins­satz hier­aus seit 20.07.2007 zu be­zah­len.


2. Im Übri­gen wird die Be­ru­fung zurück­ge­wie­sen.


3. Die An­schluss­be­ru­fung wird zurück­ge­wie­sen.


4. Die Kos­ten des Be­ru­fungs­ver­fah­rens trägt zu 5/100 die Be­klag­te und zu 95/100 der Kläger.


5. Die Re­vi­si­on wird zu­ge­las­sen.


T a t b e s t a n d:


Die Par­tei­en strei­ten darüber, ob dem Kläger ge­gen die Be­klag­te Scha­dens­er­satz oder Entschädi­gungs­ansprüche zu­ste­hen.


Die Be­klag­te hat­te im März 2007 ei­ne Ju­ris­ten­stel­le zu be­set­zen. Am 12. März 2007 schal­te­te sie in der Neu­en ju­ris­ti­schen Wo­chen­schrift (NJW) fol­gen­de An­zei­ge:


"Zum so­for­ti­gen Ein­tritt su­chen wir für un­se­re Rechts­ab­tei­lung - zunächst auf ein Jahr be­fris­tet – ei­ne(n) jun­ge(n) en­ga­gier­te(n) Voll­ju­ris­tin/Voll­ju­ris­ten. Ih­re Auf­ga­ben um­fas­sen ins­be­son­de­re die Ver­hand­lung und Er­stel­lung von Li­zenz­verträgen für die Be­rei­che "Pro­gramm­be­schaf­fung" und "In­ter­na­tio­na­ler Pro­gramm­ver­trieb“. Sie verfügen über be­frie­di­gen­de Ex­ami­na, ers­te Be­rufs­er­fah­run­gen (bis zwei Jah-

- 3 -


re) im Me­di­en­be­reich bzw. Li­zenz­geschäft, Teamfähig­keit, Be­last­bar­keit und ein über­zeu­gen­des Auf­tre­ten. ver­hand­lungs­si­che­re Eng­lisch­kennt­nis­se sind er­for­der­lich; Französisch Kennt­nis­se sind von Vor­teil. Wir freu­en uns auf Ih­re Be­wer­bung un­ter An­ga­be ih­rer Ge­halts­vor­stel­lun­gen an: GmbH, ...“


Der Kläger hat sich hier­auf mit E-Mail vom 26. März 2007 be­wor­ben. Sei­ne Ge­halts­vor­stel­lun­gen hat er da­bei nicht an­ge­ge­ben. Der Kläger ist Voll­ju­rist und hat bei­de Staats­ex­amen mit der No­te "gut" ab­ge­legt.


Mit Schrei­ben vom 10. April 2007 hat die Be­klag­te dem Kläger mit­ge­teilt, dass er für die va­kan­te Stel­le nicht in Be­tracht kom­me.


Es wur­de ei­ne 33 jähri­ge Frau zu ei­nem jähr­li­chen Brut­to­ge­halt von 43.472 €, zahl­bar in 13 glei­chen Tei­len zu je 3344 €, be­fris­tet für die Zeit vom 01.07.2007 bis 31.12.2008 mit ei­ner Pro­be­zeit von drei Mo­na­ten und ei­ner Kündi­gungs­frist von zwei Wo­chen zum 15. ei­nes Mo­nats oder zum Mo­nats­en­de be­zie­hungs­wei­se nach der Pro­be­zeit mit ei­ner Kündi­gungs­frist von zwei Mo­na­ten zum Mo­nats­en­de ein­ge­stellt.


Mit Te­le­fax vom 26.6.2007, am sel­ben Tag zu­ge­gan­gen, hat der Kläger ge­genüber den Be­klag­ten Scha­dens­er­satz- so­wie Schmer­zens­geld­ansprüche gel­tend ge­macht. We­gen der Ein­zel­hei­ten wird auf das Schrei­ben vom 26.6.2007 (Blatt 64 der Ak­ten) ver­wie­sen.


Der Kläger hat vor­ge­tra­gen, sei­ne Be­wer­bung sei aus­sch­ließlich auf­grund sei­nes Al­ters von da­mals 49 Jah­ren zurück­ge­wie­sen wor­den, da die Be­klag­te nach ei­nem jun­gen Ju­ris­ten ge­sucht ha­be. Er ha­be in sei­ner Be­wer­bung be­wusst auf die An­ga­be ei­ner Ge­halts­vor­stel­lung ver­zich­tet, um sich die Chan­ce ei­nes Vor­stel­lungs­gesprächs zu er­hal­ten. Auf­grund sei­ner persönli­chen Si­tua­ti­on sei er an ei­ner vorüber­ge­hen­den Beschäfti­gung in­ter­es­siert ge­we­sen. Wo­chen­end­pend­ler sei­en in der heu­ti­gen Zeit üblich. Das Ab­leh­nungs­schrei­ben der Be­klag­ten vom 10. April 2007 sei ihm am 2. Mai 2007 zu­ge­gan­gen.


Der Kläger hat die Auf­fas­sung ver­tre­ten, sein Aus­kunfts­an­spruch er­ge­be sich aus Ge­wohn­heits­recht nach § 242 BGB. Er könne als Scha­dens­er­satz ein Jah­res­ge­halt be­an­spru­chen, weil die Stel­le be­fris­tet auf ein Jahr aus­ge­schrie­ben ge­we­sen sei und be­fris­te­te Ar­beits­verhält­nis­se nicht vor­zei­tig gekündigt wer­den könn­ten. Als Entschädi­gung hal­te er ei­nen Be­trag von min­des­tens 25.000 € für an­ge­mes­sen.

- 4 -


Der Kläger hat be­an­tragt:


1. Die Be­klag­te wird ver­ur­teilt,


a. dem Kläger Aus­kunft über die ma­xi­mal vor­ge­se­he­ne Vergütung für die im Stel­len­an­ge­bot der NJW 11/07 S. L aus­ge­schrie­be­nen Stel­le so­wie über die tatsächli­che Vergütung des auf das Stel­len­an­ge­bot in NJW 1/07 S. L ein­ge­stell­ten Mit­ar­bei­ters zu er­tei­len


b. dem Kläger den höhe­ren Be­trag ent­spre­chend der er­teil­ten Aus­kunft aus Kla­ge­an­trag 1a) als Scha­dens­er­satz zuzüglich 5 % Punk­te über Ba­sis­zins­satz seit Rechtshängig­keit zu zah­len.


2. Dem Kläger Schmer­zens­geld in ei­ner in das Er­mes­sen des Ge­richts ge­stell­ten Höhe, min­des­tens aber 25.000 € zuzüglich 5 % Punk­te über Ba­sis­zins­satz zu zah­len.


Die Be­klag­te hat be­an­tragt,

die Kla­ge ab­zu­wei­sen.


Die Be­klag­te hat vor­ge­tra­gen, die Be­wer­bung des Klägers sei nicht berück­sich­tigt wor­den, weil die­se we­gen der feh­len­den An­ga­be zu den Ge­halts­vor­stel­lun­gen schon nicht vollständig ge­we­sen sei. Der Kläger ha­be sich des­halb nicht ernst­haft be­wer­ben wol­len.


Für die Be­klag­te sei­en nur Be­wer­ber aus dem Großraum C-Stadt in Be­tracht ge­kom­men, da man aus Kos­ten­gründen die Zah­lung von Fahrt­kos­ten bei Vor­stel­lungs­gesprächen ha­be ver­mei­den wol­len, die Stel­le ha­be kurz­fris­tig be­setzt wer­den sol­len und man ha­be auf­grund der Be­fris­tung der Stel­le auswärti­gen Be­wer­bern ei­nen Um­zug nach C-Stadt nicht zu­mu­ten wol­len. Von den cir­ca 100 Be­wer­bun­gen sei­en des­halb al­le Be­wer­bun­gen aus­sor­tiert wor­den, die kei­ne Ge­halts­vor­stel­lung ent­hal­ten hätten be­zie­hungs­wei­se nicht aus dem Großraum C-Stadt ge­we­sen sein. Das Al­ter der Be­wer­ber ha­be bei der Aus­wah­l­ent­schei­dung über­haupt kei­ne Rol­le ge­spielt.

- 5 -


Der Zu­gang des Ab­sa­ge­schrei­bens erst am 2. Mai 2008 wer­de be­strit­ten. Das Schrei­ben sei viel­mehr spätes­tens am 11. April 2007 ver­sandt wor­den, da­mit ha­be der Kläger das Schrei­ben spätes­tens am 12. April 2007 er­hal­ten. Der Kläger ha­be sei­ne Ansprüche des­halb nach Ab­lauf der zwei­mo­na­ti­gen Aus­schluss­frist und im Übri­gen un­ter Ver­let­zung der ge­setz­li­chen Schrift­form gel­tend ge­macht.


Hin­sicht­lich des wei­te­ren erst­in­stanz­li­chen Sach­vor­trags wird auf die Schriftsätze der Par­tei­en vom 02.07.2007, 16.01.2008, 14.03.2008, 03.04.2008, 10.04.2008, 04.06.2008 samt ih­ren An­la­gen so­wie auf das Pro­to­koll vom 05.06.2008 ver­wie­sen.


Das Ar­beits­ge­richt hat dem Kläger Entschädi­gung in Höhe ei­nes der ein­ge­stell­ten Be­wer­be­rin be­zahl­ten Brut­to­mo­nats­ge­halts zu­ge­spro­chen und im Übri­gen die Kla­ge ab­ge­wie­sen. Zur Be­gründung hat es aus­geführt, der An­spruch des Klägers sei nicht nach § 15 Abs. 4 AGG aus­ge­schlos­sen. Die Gel­tend­ma­chung per Te­le­fax sei aus­rei­chend. § 126. BGB kom­me vor­lie­gend nicht zur An­wen­dung. Auch sei die Gel­tend­ma­chung am 26. Ju­ni 2007 nicht be­fris­tet ge­we­sen. Die Be­klag­te sei dar­le­gungs- und be­weis­pflich­tig dafür das das Ab­sa­ge­schrei­ben in dem Kläger spätes­tens am 12. April 2007 zu­ge­gan­gen sei. Ei­nen Er­fah­rungs­satz, dass Schrei­ben nach ei­ner be­stimm­ten Zeit beim Empfänger an­kom­men, ge­be es nicht.


Ei­ne Entschädi­gung sei ge­schul­det, da die al­ters­be­zo­ge­ne Stel­len­an­zei­ge ein In­diz für ei­ne Be­nach­tei­li­gung im Sin­ne des § 22 AGG dar­stel­le. Dass das Al­ter des Klägers nicht zu min­dest Teil ei­nes Mo­tivbündels ge­we­sen sei, ha­be die Be­klag­te nicht wi­der­le­gen können. Die Be­klag­te könne sich auch nicht dar­auf be­ru­fen, dass die Be­wer­bung des Klägers nicht ernst­haft ge­we­sen sei. Aus der feh­len­den Ge­halts­an­ga­be könne dies nicht ge­schlos­sen wer­den. Der Höhe nach sei ein Mo­nats­ge­halt als Entschädi­gung an­ge­mes­sen, da kein be­son­ders schwe­rer Fall ei­ner al­ters­be­zo­ge­nen Dis­kri­mi­nie­rung vor­lie­ge.


Der Kläger ha­be kei­nen An­spruch auf Er­satz des ma­te­ri­el­len Scha­dens nach § 15 Abs. 1 AGG. Der Kläger ha­be nach den all­ge­mei­nen Grundsätzen dar­zu­le­gen und zu be­wei­sen, dass er oh­ne die ver­bo­te­ne Be­nach­tei­li­gung ein­ge­stellt wor­den wäre. Dies ha­be der Kläger nicht ge­tan. Darüber hin­aus hätte berück­sich­tigt wer­den müssen, dass in dem Ver­trag ei­ne Pro­be­zeit ver­ein­bart ge­we­sen ist, nach der der Ver­trag mit ei­ner Frist von zwei Wo­chen hätte gekündigt wer­den können.

- 6 -


Da der Kläger kei­nen Scha­dens­er­satz­an­spruch nach § 15 Abs. 1 AGG ha­be, be­ste­he auch kein Aus­kunfts­an­spruch.


Hin­sicht­lich der Be­gründung im Ein­zel­nen wird auf die Sei­ten 7 – 15 (Bl. 141 – 149) des erst­in­stanz­li­chen Ur­teils ver­wie­sen.


Ge­gen die­ses Ur­teil vom 12.06.2008, dem Kläger am 30.06.2008 zu­ge­stellt, rich­tet sich die vom Kläger am 25.07.2008 ein­ge­leg­te und mit­tels ei­nes am 30.09.2008 ein­ge­gan­ge­nen Schrift­sat­zes be­gründe­te Be­ru­fung. Die Be­ru­fungs­be­gründungs­frist war bis zum 30.09.2008 verlängert wor­den. Die Be­ru­fungs­be­gründung wur­de der Be­klag­ten am 16.10.2008 zu­ge­stellt. Mit Schrift­satz vom 03.11.2008, ein­ge­gan­gen am 04.11.2008, leg­te die Be­klag­te An­schluss­be­ru­fung ein.


Der Kläger macht gel­tend, das Erst­ge­richt ha­be ver­kannt, dass die Ver­mu­tung des § 22 AGBG sich auch dar­auf er­streckt, dass der Kläger als der best­qua­li­fi­zier­te Be­wer­ber oh­ne die Dis­kri­mi­nie­rung auch ein­ge­stellt wor­den wäre. Zu Un­recht neh­me das Ar­beits­ge­richt auch an, dass kein schwe­rer Fall der Dis­kri­mi­nie­rung vor­lie­ge. Tatsächlich ge­be es kei­nen schwe­re­ren Fall, da der Kläger auf­grund sei­nes Al­ters auf dem Ar­beits­markt chan­cen­los sei. Darüber hin­aus sei bei der Be­mes­sung der Entschädi­gung auch das Re­gu­lie­rungs­ver­hal­ten der Be­klag­ten zu berück­sich­ti­gen. Die Dis­kri­mi­nie­rung, die beim Kläger zu Ap­pe­tit­lo­sig­keit und Schlafstörun­gen geführt ha­be, sei ver­gleich­bar mit ei­ner Tötung und ei­ner Körper­ver­let­zung. Auch sei nicht aus­rei­chend berück­sich­tigt wor­den, dass die Sank­ti­on ei­ne ab­schre­cken­de Wir­kung ha­ben soll. Die Kap­pungs­gren­ze von drei Mo­na­ten sei nicht, oder zu­min­dest zunächst nicht zu be­ach­ten. Darüber hin­aus sei er auch we­gen sei­nes Ge­schlechts dis­kri­mi­niert wor­den.

Der Kläger be­an­tragt,

un­ter Abände­rung des an­ge­foch­te­nen Ur­teils die Be­klag­te zu ver­ur­tei­len,


1.


a. dem Kläger Aus­kunft über die ma­xi­mal vor­ge­se­he­ne Jah­res­vergütung für die im Stel­len­an­ge­bot der NJW 11/07 S. L aus­ge­schrie­be­ne Stel­le zu er­tei­len;

- 7 -


b. dem Kläger den sich aus der Aus­kunft er­ge­ben­den Be­trag ent­spre­chend der er­teil­ten Aus­kunft aus Kla­ge­an­trag 1.a) als Scha­dens­er­satz zuzüglich 5 % -Punk­te über Ba­sis­zins­satz seit Rechtshängig­keit zu zah­len.


2. Dem Kläger Schmer­zens­geld in ei­ner in das Er­mes­sen des Ge­richts ge­stell­ten Höhe, min­des­tens aber 25.000 € zuzüglich 5 % Punk­te über Ba­sis­zins­satz seit Rechtshängig­keit zu zah­len.


Die Be­klag­ten be­an­tra­gen:


1. Die Be­ru­fung des Klägers ge­gen das En­dur­teil des Ar­beits­ge­richts München vom 12. Ju­ni 2008 - Az: 22 Ca 8774/07 wird zurück­ge­wie­sen.


2. Auf die An­schluss­be­ru­fung der Be­klag­ten wird das En­dur­teil des Ar­beits­ge­richts München vom 12. Ju­ni 2008 - Az. 22 Ca 8774/07 - ab­geändert, so­weit der Kla­ge statt­ge­ge­ben wur­de. Die Kla­ge wird ins­ge­samt ab­ge­wie­sen.


Die Be­klag­te macht gel­tend, das Ar­beits­ge­richt ha­be nicht berück­sich­tigt, dass die Be­wer­bung so­fort aus­sor­tiert wor­den sei, weil sie kei­ne Ge­halts­an­ga­be ent­hielt und der Kläger nicht aus dem Großraum C-Stadt stam­me. Auch ha­be das Ge­richt ver­kannt, dass die ge­setz­li­che Schrift­form für die Gel­tend­ma­chung der Ansprüche nicht ge­wahrt sei. Auch bei § 81 Abs. 2 S. 2 Nr. 4 SGB IX a.F. sei die Rechts­spre­chung da­von aus­ge­gan­gen, dass die ge­setz­li­che Schrift­form zu wah­ren sei. Auch für § 611 a Abs. 4 S. 1 BGB sei das an­er­kannt ge­we­sen. Darüber hin­aus sei der Kläger für die Frist­wah­rung dar­le­gungs- und be­weis­pflich­tig, da es sich hier­bei um ei­ne für ihn güns­ti­ge Tat­sa­che han­de­le.


Die Ver­mu­tung des § 22 AGG er­stre­cke sich nicht dar­auf, dass der Kläger bei be­nach­tei­li­gungs­frei­er Aus­wahl ein­ge­stellt wor­den sei. Viel­mehr müsse der Kläger dar­le­gen und be­wei­sen, dass er oh­ne Be­nach­tei­li­gung ein­ge­stellt wor­den wäre. Der Kläger sei nicht der am bes­ten ge­eig­ne­te Be­wer­ber ge­we­sen, da er an­ders als die ein­ge­stell­te Be­wer­be­rin, kei­ne ein­schlägi­ge Er­fah­rung in der Me­di­en und Film­bran­che ha­be. Das Al­ter ha­be bei der Stel­len­be­set­zung über­haupt kei­ne Rol­le ge­spielt. Ent­schei­dend für die Ein­stel­lung der Stel­len­in­ha­be­rin sei­en de­ren Er­fah­rung, spe­zi­fi­sche Kennt­nis­se und die Emp­feh­lung der vor­he­ri­gen Stel­len­in­ha­be­rin ge­we­sen. Dass die Persönlich­keits­rechts­ver­let­zung, die der Kläger er­fah­ren ha­be, nicht be­son­ders schwer­wie­gend ge­we­sen sei, er­ge­be sich schon


- 8 -


dar­aus, dass sie ihm erst Mo­na­te später nach Be­ra­tung mit ei­nem Kol­le­gen zu Be­wusst­sein ge­kom­men sei. Ei­ne Dis­kri­mi­nie­rung we­gen des Ge­schlechts ha­be nicht statt­ge­fun­den. Der Kläger tra­ge dafür auch kei­ne An­halts­punk­te vor.


Be­weis wur­de durch Ein­ver­nah­me des Zeu­gen St­ei­ner er­ho­ben.


Hin­sicht­lich des wei­te­ren Vor­brin­gens in der Be­ru­fung wird auf die zwi­schen den Par­tei­en ge­wech­sel­ten Schriftsätze vom 30.09.2007, 10.10.2008, 03.11.2008, 12.01.2009, 23.03.2009 und 12.05.2009 samt ih­ren An­la­gen so­wie auf das Sit­zungs­pro­to­koll vom 13.05.2009 ver­wie­sen.


E n t s c h e i d u n g s g r ü n d e:

I.


Ge­gen die Zulässig­keit der Be­ru­fung und der An­schluss­be­ru­fung be­ste­hen kei­ne Be­den­ken. Sie sind gemäß § 64 Abs. 2 ArbGG statt­haft so­wie frist- und form­ge­recht ein­ge­legt und be­gründet wor­den (§§ 66 Abs. 1, 64 Abs. 6 ArbGG, 519, 520 ZPO).


II.


Die Be­ru­fung und An­schluss­be­ru­fung sind je­doch nicht be­gründet. Das Erst­ge­richt hat dem Kläger zu Recht und mit im We­sent­li­chen zu­tref­fen­der Be­gründung ei­ne Entschädi­gung in Höhe ei­nes Mo­nats­ge­halts zu­ge­spro­chen und im Übri­gen die Kla­ge ab­ge­wie­sen. Hin­sicht­lich der Ent­schei­dungs­gründe wird in­so­weit nach § 69 Abs. 2 ArbGG auf die Ausführun­gen des Erst­ge­richts ver­wie­sen. Le­dig­lich hin­sicht­lich der Ent­schei­dung über die Zin­sen war das Ur­teil ab­zuändern, da der Kläger dies­bezüglich nun ei­nen hin­rei­chend kon­kre­ten An­trag ge­stellt hat. Zum Vor­brin­gen der Par­tei­en im Be­ru­fungs­ver­fah­ren ist fol­gen­des zu ergänzen:

- 9 -


1. Der An­spruch auf Entschädi­gung nach § 15 Abs. 2 AGG ist form- und frist­gemäß gel­tend ge­macht. Die Ver­mu­tung ei­ner Al­ters­dis­kri­mi­nie­rung wur­de nicht wi­der­legt. Ein be­son­ders schwe­rer Fall der Al­ters­dis­kri­mi­nie­rung ist nicht fest­stell­bar.


1.1. Mit der Über­sen­dung des Te­le­fa­xes vom 26.06.2007 hat der Kläger sei­ne Ansprüche form­ge­recht nach § 15 Abs. 4 AGG gel­tend ge­macht. „Schrift­lich“ im Sin­ne des § 15 Abs. 4 AGG ver­langt nicht die ge­setz­li­che Schrift­form nach § 126 BGB.


Das Bun­des­ar­beits­ge­richt hat zur Fra­ge, ob Ansprüche nach § 15 Abs. 4 BGB un­ter Ein­hal­tung der ge­setz­li­chen Schrift­form gel­tend ge­macht wer­den müssen, bis­lang nicht Stel­lung ge­nom­men. Auch in der von der Be­klag­ten hier­zu mit in Be­zug ge­nom­men Ent­schei­dung vom 15.02.2005 – 9 AZR 635/03 ist hier­zu kei­ne Aus­sa­ge ge­trof­fen. Auch zu den „Vorgänger­re­ge­lun­gen“ § 611 a Abs. 4 S. 1 BGB a. F. und § 81 Abs. 2 S. 2 Nr. 4 SGB IX a. F. hat das BAG die Fra­ge nicht ent­schie¬den. In der Recht­spre­chung der Lan­des­ar­beits­ge­rich­te fin­det sich le­dig­lich ei­ne Ent­schei­dung des LAG Düssel­dorf vom 12.11.2008 – Az. 12 Sa. 1102/08, wel­che die Gel­tend­ma­chung per Te­le­fax aus­rei­chen lässt, oh­ne die­se Fra­ge wei­ter zu pro­ble­ma­ti­sie­ren.


Al­ler­dings hat das BAG zur Ein­hal­tung ta­rif­li­cher Aus­schluss­fris­ten, die die schrift­li­che Gel­tend­ma­chung ver­lan­gen, ent­schie­den, dass ei­ne Gel­tend­ma­chung mit Te­le­fax aus­rei­chend ist. Das BAG führt aus, dass ein Ta­rif­ver­trag we­gen sei­ner nor­ma­ti­ven Qua­lität zwar ein ge­setz­li­ches Schrift­for­mer­for­der­nis be­gründe, § 126 BGB aber nicht zur An­wen­dung kom­me, da die­ser nur Wil­lens­erklärun­gen er­fas­se. Bei der Gel­tend­ma­chung von Ansprüchen han­de­le es sich le­dig­lich um ei­ne rechts­geschäftsähn­li­che Hand­lung, auf die § 126 BGB le­dig­lich ent­spre­chend ih­rer Ei­gen­art ana­log An­wen­dung fin­de. An­ge­sichts der im Geschäfts­le­ben vor­han­de­nen Üblich­keit der Erklärungsüber­mitt­lung per Te­le­fax be­ste­he kei­ne Not­wen­dig­keit bei der Gel­tend­ma­chung auf ei­ne Ori­gi­nal­un­ter­schrift zu be­ste­hen. Das Ge­richt weist wei­ter dar­auf hin, dass es ei­nen Wer­tungs­wi­der­spruch dar­stellt, wenn für die Gel­tend­ma­chung ei­ne Ori­gi­nal­un­ter­schrift er­for­der­lich ist, die Kla­ge aber mit ei­nem Te­le­fax wirk­sam ein­ge­reicht wer­den kann. (vgl. BAG, Ur­teil vom

- 10 -


11.10.2000 – 5 AZR 313/99, Rn. 17 ff., vgl. auch BAG, Ur­teil vom 17.09.2003 – 4 AZR 540 /02, Rn. 91, BAG, Be­schluss vom 11.06.2002 – 1 ABR 43/01, Rn. 27 ff.)


Es ist kein Grund er­sicht­lich, war­um die­se Grundsätze nicht auch für die Gel­tend­ma­chung nach § 15 Abs. 4 AGG gel­ten sol­len. Auch bei die­ser Gel­tend­ma­chung han­delt es sich um ei­ne rechts­geschäftsähn­li­che Hand­lung, die den glei­chen Zwe­cken dient, wie ei­ne ta­rif­li­che Aus­schluss­frist, was sich aus § 15 Abs. 4 S. 1, 2. Halb­satz auch un­mit­tel­bar er­gibt. So­weit in der Li­te­ra­tur ver­tre­ten wird, es wäre die ge­setz­li­che Schrift­form er­for­der­lich, kann dies schon des­halb nicht über­zeu­gen, weil ei­ne Be­gründung für die­se Auf­fas­sung nicht ge­ge­ben wird. (vgl. Er-mann/Bel­ling, § 15 AGG, Rn. 12; Dei­nert in Däubler/Berz­bach, AGG, 2. Aufl., § 15, Rn. 110; An­nuß in BB 2006, S. 1629, 1635; Düwell, BB 2006, 1741, 1744)


Darüber hin­aus würde ei­ner stren­ge­ren Aus­le­gung auch eu­ro­pa­recht­li­che Be­den­ken ent­ge­gen­ste­hen. Der EuGH hat in den Ent­schei­dun­gen vom 10.07.1997 (Rs. C – 261/65 – NZA 1997, S. 1041) und 16.05.2000 (Rs. C-78/98 – NZA 2000, S. 889) deut­lich ge­macht, dass na­tio­na­le Ver­fah­rens­vor­schrif­ten für die Gel­tend­ma­chung von ge­mein­schafts­recht­li­chen Ansprüchen un­be­denk­lich sind, wenn die Ver­fah­rens­vor­schrift nicht we­ni­ger güns­tig ist, als Vor­schrif­ten für ähn­li­che Kla­gen aus in­ner­staat­li­chem Recht. Ei­ne Aus­le­gung des § 15 Abs. 4 AGG, die für die Gel­tend­ma­chung der AGG Ansprüche höhe­re An­for­de­run­gen auf­stellt als für Gel­tend­ma­chung an­de­rer Ansprüche, würde die­sen Vor­ga­ben nicht ge­recht.


1.2. Der Kläger hat sei­ne Ansprüche auch frist­ge­recht nach § 15 Abs. 4 gel­tend ge­macht.


Die Be­klag­te hat nicht sub­stan­ti­iert dar­ge­legt und be­wie­sen, dass die Frist mehr als zwei Mo­na­te vor dem 26.06.2006 zu lau­fen be­gon­nen hat. Der Be­klag­ten ist zwar dar­in bei­zu­pflich­ten, dass die Ein­hal­tung der Frist ei­ne dem Kläger güns­ti­ge Tat­sa­che ist, für die die­ser dar­le­gungs- und be­weis­be­las­tet ist. Dass und zu wel­chem Zeit­punkt die Frist durch Zu­gang des Ab­leh­nungs­schrei­bens in Lauf ge­setzt wur­de, ist je­doch von der Be­klag­ten zu be­wei­sen. (vgl. Däubler/Berz­bach, AGG § 15, Rn. 164) Auch hier­zu gibt es zwar noch kei­ne Ent­schei­dung des BAG oder

- 11 -


der Lan­des­ar­beits­ge­rich­te. Aber auch hier gibt es kei­nen Grund von den all­ge­mei­nen Grundsätzen, wie sie z.B. für die Über­prüfung der Frist nach § 4 KSchG an­er­kannt sind, ab­zu­wei­chen. Dort hat der kündi­gen­de Ar­beit­ge­ber den Zeit­punkt des Zu­gangs der Kündi­gung zu be­wei­sen. (vgl. KüKomm zum BGB (Her­genröder), § 4 KSchG, Rn. 44; APS/Ascheid/Hes­se, § 4 KSchG, Rn. 88). Die In­ter­es­sen­la­ge ist hin­sicht­lich der Be­weis­last­ver­tei­lung bei § 15 Abs. 4 BGB kei­ne an­de­re. Erst der Be­weis für die Ein­hal­tung der so­mit in Lauf ge­setz­ten Frist ob­liegt dem Ar­beit­neh­mer.


1.3. Die Be­klag­te hat die sich aus der nicht al­ter­s­neu­tra­len Stel­len­aus­schrei­bung er­ge­ben­de Ver­mu­tung (§ 22 AGG) ei­ner Al­ters­dis­kri­mi­nie­rung nicht wi­der­legt.


Die Aus­sa­ge des Zeu­gen St­ei­ner hat die Kam­mer nicht über­zeugt, so­weit er aus­geführt hat, die Be­wer­bung des Klägers sei von vorn her­ein we­gen der feh­len­den Ge­halts­an­ga­be und we­gen der feh­len­den räum­li­chen Zu­ord­nung aus­sor­tiert wor­den. Zum ei­nen wi­der­spricht die Aus­sa­ge der als An­la­ge B1 vor­ge­leg­ten E-Mail vom 28.03.2007 an den Zeu­gen. Zum an­de­ren be­kam die an­sons­ten sehr un­ver­krampf­te Aus­sa­ge des Zeu­gen im­mer dann ei­nen et­was „ge­betsmühlen­ar­ti­gen“ Un­ter­ton, wenn da­von die Re­de war, ob er sich an die Be­wer­bung des Klägers er­in­ne­re. Die Kam­mer folgt auch nicht den Erwägun­gen der Be­klag­ten, dass die Be­wer­bung des Klägers dem Zeu­gen als „Ku­rio­sum“ vor­ge­legt wor­den sein mag. Dem wi­der­spricht, dass die E-Mail mit der Wich­tig­keit „Hoch“ ge­kenn­zeich­net war.


1.4. Der Entschädi­gungs­an­spruch ist der Höhe nach mit ei­nem Mo­nats­ge­halt an­ge­mes­sen fest­ge­setzt. Ein be­son­ders schwe­rer Fall der Dis­kri­mi­nie­rung liegt nicht vor.


Die den Entschädi­gungs­an­spruch auslösen­de Persönlich­keits­rechts­ver­let­zung be­steht vor­lie­gend dar­in, dass auf­grund ei­ner nicht an den Kläger persönlich ge­rich­te­ten An­zei­ge ver­mu­tet wird, dass für die Er­folg­lo­sig­keit der Be­wer­bung des Klägers zu­min­dest auch sein Al­ter ein Grund war. Die Be­klag­te hat we­gen des be­grenz­ten für die Vergütung zur Verfügung ste­hen­den Bud­gets ei­nen sich noch

- 12 -


nah am Be­rufs­ein­stieg be­find­li­chen Be­wer­ber ge­sucht. Sie hat dies un­zulässi­ger­wei­se mit „jung“ gleich­ge­setzt. Hier­in liegt kein be­son­ders schwe­res Ver­schul­den. Auch aus dem sons­ti­gen Ver­hal­ten der Be­klag­ten ge­genüber dem Kläger im Be­wer­bungs­ver­fah­ren hat die Be­klag­te lässt sich ein be­son­ders schwe­res Ver­schul­den der Be­klag­ten nicht ent­neh­men. Die Be­klag­te hat sich zu kei­ner Zeit ge­genüber dem Kläger ab­wer­tend oder gar be­lei­di­gend we­gen sei­nes Al­ters geäußert oder ähn­li­ches.


Dass der Kläger sei­ne Chan­cen auf dem Ar­beits­markt sehr schlecht einschätzt, kann nicht da­zu führen, dass in der Ab­sa­ge der Be­klag­ten ei­ne be­son­ders schwe­re Persönlich­keits­rechts­ver­let­zung liegt. So­weit der Kläger gel­tend macht, die Ab­sa­ge ha­be das Ge­wicht ei­ner Tötung oder ei­ner Körper­ver­let­zung wer­den sei­ne Ausführun­gen ab­we­gig. Selbst so­weit der Kläger gel­tend macht, die Ab­sa­ge ha­be zu Ap­pe­tit­ver­lust und Schlaf­lo­sig­keit geführt, kann je­den­falls nicht fest­ge­stellt, dass der­ar­ti­ge Fol­gen durch ei­ne Ab­sa­ge auf ei­ne ein­zel­ne Be­wer­bung adäquat kau­sal ver­ur­sacht wer­den.


2. Das Ar­beits­ge­richt hat zu Recht die Kla­ge hin­sicht­lich des An­spru­ches nach § 15 Abs. 1 AGG ab­ge­wie­sen, da der Kläger nicht dar­ge­legt und un­ter Be­weis ge­stellt hat, dass er bei dis­kri­mi­nie­rungs­frei­er Aus­wahl die Stel­le er­hal­ten hätte.


2.1. Ent­ge­gen der Auf­fas­sung des Klägers er­streckt sich die Ver­mu­tung des § 22 AGG nicht auf die Kau­sa­lität der Be­nach­tei­li­gung für den Scha­den. Dies lässt sich we­der aus des­sen Wort­laut noch aus des­sen Sinn und Zweck ab­lei­ten. Viel­mehr sind hier nach über­wie­gen­der Mei­nung in der Li­te­ra­tur die all­ge­mei­nen An­spruchs­vor­aus­set­zun­gen vom Kläger dar­zu­le­gen und zu be­wei­sen (vgl. z.B. Mü-Komm/Thüsing, § 22 AGG, Rn. 18; Düwell, BB 2006, S. 1741, 1744; Er­mann/ Arm­brüster, § 22 AGG Rn. 2; a.A. Däubler/Berz­bach-Dei­nert, AGG, § 22 Rn. 157). Der über­wie­gen­den Mei­nung ist zu fol­gen. Ei­ne Ab­wei­chung von den all­ge­mei­nen Grundsätzen des Scha­dens­er­satz­rechts ist we­der ge­mein­schafts­recht­lich ver­an­lasst noch sach­lich ge­bo­ten.

- 13 -


2.1.1. So­weit der Kläger sich auf ei­ne Ent­schei­dung des EuGH vom 22.04.1997 (Rs C-180/95 – AP Nr. 13 zu § 611 a BGB) be­ruft, in der die­ser in ei­nem Or­bi­ter Dic­tum außer­halb der Vor­la­ge­fra­ge von ei­ner Be­weis­last des Ar­beit­ge­bers aus­ge­gan­gen ist, so ist die­se vor­lie­gend nicht ein­schlägig.


Die durch das AGG um­ge­setz­ten Richt­li­ni­en 2000/43/EG vom 29. Ju­ni 2000, 2000/78/EG vom 27.No­vem­ber 2000 und 2004/113 vom 13. De­zem­ber 2004 ver­lan­gen in den je­wei­li­gen Be­weis­last­re­ge­lun­gen (Art. 8 Abs. 1, Art. 10 Abs. 1 und Art. 9 Abs.1) vom na­tio­na­len Ge­setz­ge­ber, dass die­ser Maßnah­men er­greift, die gewähr­leis­ten, dass dann wenn Per­so­nen, die den Gleich­be­hand­lungs­grund­satz für ver­letzt hal­ten und bei Ge­richt Tat­sa­chen glaub­haft ma­chen, die ei­ne Dis­kri­mi­nie­rung ver­mu­ten las­sen, es dem Be­klag­ten ob­liegt zu be­wei­sen, dass kei­ne Ver­let­zung des Gleich­be­hand­lungs­grund­sat­zes vor­ge­le­gen ha­be. Das Recht der Mit­glied­staa­ten ei­ne dem Kläger güns­ti­ge­re Be­weis­last­re­ge­lung vor­zu­se­hen, bleibt da­bei un­berührt (Abs. 2).


Dass es ge­mein­schafts­recht­lich ge­bo­ten sei, ei­ne Ver­mu­tung für al­le Tat­be­stands­merk­ma­le ei­nes Scha­dens­er­satz­an­spru­ches zu nor­mie­ren kann dem Wort­laut der Be­weis­last­re­ge­lun­gen der Richt­li­ni­en nicht ent­nom­men wer­den. Ei­ne der­ar­ti­ge Aus­le­gung ist darüber hin­aus in An­be­tracht der Re­ge­lung in dem je­weils 2. Ab­satz der Be­weis­last­re­ge­lun­gen nicht zu ver­tre­ten. Wäre es nach dem je­weils ers­ten Ab­satz der Be­weis­last­re­ge­lun­gen ge­mein­schafts­recht­lich ge­bo­ten, dass al­le Tat­be­stands­merk­ma­le ei­nes Scha­dens­er­satz­an­spruchs we­gen Dis­kri­mi­nie­rung von der Be­wei­ser­leich­te­rung er­fasst wer­den, hätte es der Re­ge­lung im je­weils zwei­ten Ab­satz der Be­weis­last­re­ge­lung nicht be­durft. Für ei­ne dem Kläger güns­ti­ge­re Re­ge­lung wäre kein Spiel­raum mehr vor­han­den.


Dar­aus er­gibt sich, dass nach den hier ein­schlägi­gen Richt­li­ni­en ge­mein­schafts­recht­lich le­dig­lich ge­bo­ten ist, ei­ne Ver­mu­tung hin­sicht­lich des Vor­lie­gens ei­ner Dis­kri­mi­nie­rung ein­zuführen, wenn In­di­ztat­sa­chen glaub­haft ge­macht wer­den. Über die­se ge­mein­schafts­recht­li­che Vor­ga­be ist der deut­sche Ge­setz­ge­ber mit § 22 AGG auch nicht hin­aus­ge­gan­gen. Die häufig dis­ku­tier-


- 14 -


te Fra­ge, ob er da­hin­ter zurück­ge­blie­ben ist, kann hier da­hin­ste­hen.


2.1.2. So­weit der Kläger sich dar­auf be­ruft, es müsse vor­lie­gend zu ei­ner Be­weis­last­um­kehr kom­men, weil ihm die Be­wer­bungs­un­ter­la­gen der an­de­ren Be­wer­ber nicht be­kannt sind, kann dem nicht ge­folgt wer­den. Die Tat­sa­che, dass ei­ner Par­tei maßgeb­li­che In­for­ma­tio­nen feh­len, löst re­gelmäßig kei­ne Be­weis­last­um­kehr aus. Die sich dar­aus er­ge­ben­den Pro­ble­me sind viel­mehr nach den Grundsätzen der ab­ge­stuf­ten Dar­le­gungs- und Be­weis­last zu lösen. Dies gilt auch im Rah­men des An­spruchs nach § 15 Abs. 1 AGG (so im Er­geb­nis auch LAG Ber­lin-Bran­den­burg, Ur­teil vom 26.11.2008 – 15 Sa 517/08 – Rn. 127).


2.2. Un­ter Zu­grun­de­le­gung die­ser Grundsätze hat der Kläger die auch für ei­nen Scha­dens­er­satz­an­spruch nach § 15 Abs. 1 AGG er­for­der­li­che Kau­sa­lität der Be­nach­tei­li­gung für den Scha­den­s­ein­tritt nicht nach­ge­wie­sen. Kau­sal wäre die Be­nach­tei­li­gung we­gen des Al­ters nur ge­wor­den, wenn der Kläger bei be­nach­tei­li­gungs­frei­er Aus­wahl die Stel­le er­hal­ten hätte. Das ist vor­lie­gend nicht dar­ge­legt. Zwar hat der Kläger ein­deu­tig die deut­lich bes­se­re Ex­amens­no­te als die ein­ge­stell­te Be­wer­be­rin. Aber auch bei der Ein­stel­lung von Ju­ris­ten kann die bes­se­re Ex­amens­no­te nicht au­to­ma­tisch mit der bes­se­ren Eig­nung für ei­ne be­stimm­te Stel­le gleich­ge­setzt wer­den. Die Be­klag­te hat ne­ben der ju­ris­ti­schen Qua­li­fi­ka­ti­on in der Stel­len­an­zei­ge Be­rufs­er­fah­rung im Me­di­en­be­reich bzw. Li­zenz­geschäft ge­for­dert. Wo­bei deut­lich wird, dass es vor­lie­gend um die Be­rei­che Pro­gramm­be­schaf­fung und In­ter­na­tio­na­ler Pro­gramm­ver­trieb geht. Darüber hin­aus hat die Be­klag­te in der Stel­len­an­zei­ge die An­ga­be der Ge­halts­vor­stel­lun­gen ge­for­dert.


Der Kläger hat den Vor­trag der Be­klag­ten, die ein­ge­stell­te Be­wer­be­rin sei für die­se Stel­le bes­ser ge­eig­net ge­we­sen, da sie ei­ne ein­schlägi­ge Be­rufs­er­fah­rung im Me­di­en­be­reich ge­habt ha­be und des­halb schnel­ler ein­setz­bar ge­we­sen sei, nicht wi­der­legt. An­ders als die ein­ge­stell­te Be­wer­be­rin verfügt der Kläger über ei­ne ein­schlägi­ge Be­rufs­er­fah­rung im Me­di­en­be­reich nicht. Selbst wenn man zu sei­nen Guns­ten den Vor­trag als rich­tig un­ter­stellt, dass er in die­sem Be­reich Ge-

- 15 -


richts­ver­fah­ren be­treut hat, kann dies ei­ne ein­schlägi­ge Be­rufs­er­fah­rung nicht er­set­zen. Auch wenn die selbständi­ge an­walt­li­che Tätig­keit bei der Be­ur­tei­lung von Rechts­fra­gen, wenn er in die­sem Be­reich ge­ar­bei­tet hat, mit der Tätig­keit in ei­ner Rechts­ab­tei­lung ei­ne ge­wis­se Schnitt­men­ge ha­ben mag, so ist es doch ei­ne an¬de­re Tätig­keit, so dass von ei­ner ein­schlägi­gen Be­rufs­er­fah­rung, den da­mit ver­bun­den Kennt­nis­sen der Struk­tu­ren und der Bran­che nicht ge­spro­chen wer­den kann. Dass die Be­klag­te hier mehr Ge­wicht auf die ein­schlägi­ge Be­rufs­er­fah­rung ge­legt hat als auf die No­ten im Staats­ex­amen, ist vor al­lem vor dem Hin­ter­grund, dass die ju­ris­ti­schen An­for­de­run­gen auf der Stel­le nicht so hoch sind, was auch der Kläger so sieht, in­dem er be­tont, dass sie un­ter sei­nem Ni­veau sei, nicht zu be­an­stan­den.


3. Der Kläger hat kei­nen An­spruch auf Entschädi­gung (§ 15 Abs. 2 AGG) oder Scha­dens­er­satz (§ 15 Abs. 1 AGG) we­gen ei­ner Dis­kri­mi­nie­rung we­gen des Ge­schlechts. Der Kläger trägt kei­ner­lei Tat­sa­chen vor, aus de­nen sich ei­ne Dis­kri­mi­nie­rung we­gen des Ge­schlechts er­gibt. Al­lein die Tat­sa­che, dass die Be­klag­te ei­ne Frau ein­ge­stellt hat, genügt hierfür nicht.


4. Da der Kläger sei­nen Zins­an­trag kon­kre­ti­siert hat, wa­ren ihm nun auch Zin­sen nach §§ 291, 288 Abs. 1 S. 2 BGB seit dem Ein­tritt der Rechtshängig­keit in Höhe von fünf Pro­zent­punk­ten über dem Ba­sis­zins­satz zu­zu­spre­chen.


5. Die Kos­ten des Be­ru­fungs­ver­fah­rens sind gemäß § 64 Abs. 6 ArbGG, § 97 ZPO zu 5/100 vom Kläger und zu 95/100 von der Be­klag­ten zu tra­gen.


6. Die Re­vi­si­on war nach § 72 Abs. 2 Zif­fer 1 ArbGG zu­zu­las­sen.

- 16 -


Rechts­mit­tel­be­leh­rung:


Ge­gen die­ses Ur­teil kann der Kläger Re­vi­si­on ein­le­gen.


Für die Be­klag­te ist ge­gen die­ses Ur­teil kein Rechts­mit­tel ge­ge­ben.


Die Re­vi­si­on muss in­ner­halb ei­ner Frist von ei­nem Mo­nat ein­ge­legt und in­ner­halb ei­ner Frist von zwei Mo­na­ten be­gründet wer­den.


Bei­de Fris­ten be­gin­nen mit der Zu­stel­lung des in vollständi­ger Form ab­ge­fass­ten Ur­teils, spätes­tens aber mit Ab­lauf von fünf Mo­na­ten nach der Verkündung des Ur­teils.


Die Re­vi­si­on muss beim


Bun­des­ar­beits­ge­richt

Hu­go-Preuß-Platz 1

99084 Er­furt


Post­an­schrift:
Bun­des­ar­beits­ge­richt
99113 Er­furt

Te­le­fax-Num­mer:
0361 2636-2000


ein­ge­legt und be­gründet wer­den.

- 17 -


Die Re­vi­si­ons­schrift und die Re­vi­si­ons­be­gründung müssen von ei­nem Rechts­an­walt un­ter­zeich­net sein.


Es genügt auch die Un­ter­zeich­nung durch ei­nen Be­vollmäch­tig­ten der Ge­werk­schaf­ten und von Ver­ei­ni­gun­gen von Ar­beit­ge­bern so­wie von Zu­sam­men­schlüssen sol­cher Verbände


- für ih­re Mit­glie­der
- oder für an­de­re Verbände oder Zu­sam­men­schlüsse mit ver­gleich­ba­rer Aus­rich­tung und de­ren Mit­glie­der

oder

von ju­ris­ti­schen Per­so­nen, de­ren An­tei­le sämt­lich in wirt­schaft­li­chem Ei­gen­tum ei­ner der im vor­ge­nann­ten Ab­satz be­zeich­ne­ten Or­ga­ni­sa­tio­nen ste­hen,
- wenn die ju­ris­ti­sche Per­son aus­sch­ließlich die Rechts­be­ra­tung und Pro­zess­ver­tre­tung die­ser Or­ga­ni­sa­ti­on und ih­rer Mit­glie­der oder an­de­re Verbände oder Zu­sam­men­schlüsse mit ver­gleich­ba­rer Aus­rich­tung und de­ren Mit­glie­der ent­spre­chend de­ren Sat­zung durchführt
- und wenn die Or­ga­ni­sa­ti­on für die Tätig­keit der Be­vollmäch­tig­ten haf­tet.


In je­dem Fall muss der Be­vollmäch­tig­te die Befähi­gung zum Rich­ter­amt ha­ben.


Zur Möglich­keit der Re­vi­si­ons­ein­le­gung mit­tels elek­tro­ni­schen Do­ku­ments wird auf die Ver­ord­nung über den elek­tro­ni­schen Rechts­ver­kehr beim Bun­des­ar­beits­ge­richt vom 09.03.2006 (BGBl. I, 519 ff.) hin­ge­wie­sen. Ein­zel­hei­ten hier­zu un­ter http://www.bun­des­ar­beits­ge­richt.de


Dr. Försch­ner 

Thom­sen 

Haw­lic­zek

Weitere Auskünfte erteilen Ihnen gern:

Dr. Martin Hensche
Rechtsanwalt
Fachanwalt für Arbeitsrecht

Kontakt:
030 / 26 39 620
hensche@hensche.de
Christoph Hildebrandt
Rechtsanwalt
Fachanwalt für Arbeitsrecht

Kontakt:
030 / 26 39 620
hildebrandt@hensche.de
Nina Wesemann
Rechtsanwältin
Fachanwältin für Arbeitsrecht

Kontakt:
040 / 69 20 68 04
wesemann@hensche.de

Auf Facebook teilen Auf Google+ teilen Ihren XING-Kontakten zeigen Beitrag twittern

 


zur Übersicht 10 Sa 719/08