HENSCHE RECHTSANWÄLTE, FACHANWALTSKANZLEI FÜR ARBEITSRECHT

 

LAG Schles­wig-Hol­stein, Ur­teil vom 08.04.2010, 4 Sa 474/09

   
Schlagworte: Beleidigung, Kündigung: Fristlos, Kündigung: Verhaltensbedingt
   
Gericht: Landesarbeitsgericht Schleswig-Holstein
Aktenzeichen: 4 Sa 474/09
Typ: Urteil
Entscheidungsdatum: 08.04.2010
   
Leitsätze:

1. Bezeichnet ein Arbeitnehmer eine Person, die in einer Kundenbeziehung zum Arbeitgeber steht, als Arschloch, so ist dieser Sachverhalt an sich geeignet, einen fristlosen Kündigungsgrund zu begründen.

2. Bei der Prüfung auf der 2. Stufe (Berücksichtigung aller Umstände des Einzelfalles) ist jedoch zu beachten, ob der Arbeitnehmer überhaupt die Funktion und Stellung der Person erkannte und ob es sich um ein erstmaliges Versagen handelte. Im Einzelfall kann deshalb zunächst der Ausspruch einer Abmahnung als Reaktion auf die Pflichtverletzung des Arbeitnehmers in Betracht kommen.

Vorinstanzen: Arbeitsgericht Neumünster, Urteil vom 28.10.2009, 1 Ca 511 b/09
   

Lan­des­ar­beits­ge­richt Schles­wig-Hol­stein

Ak­ten­zei­chen: 4 Sa 474/09
1 Ca 511 b/09 ArbG Ne­umüns­ter
(Bit­te bei al­len Schrei­ben an­ge­ben!)

 

Verkündet am 08.04.2010

gez. ...
als Ur­kunds­be­am­tin der Geschäfts­stel­le

 

Ur­teil

Im Na­men des Vol­kes

In dem Rechts­streit

pp.

hat die 4. Kam­mer des Lan­des­ar­beits­ge­richts Schles­wig-Hol­stein auf die münd­li­che Ver­hand­lung vom 08.04.2010 durch den Vor­sit­zen­den Rich­ter am Lan­des­ar­beits­ge­richt ... als Vor­sit­zen­den und d. eh­ren­amt­li­chen Rich­ter ... als Bei­sit­zer und d. eh­ren­amt­li­chen Rich­ter ... als Bei­sit­zer

für Recht er­kannt:

Die Be­ru­fung der Be­klag­ten ge­gen das Ur­teil des Ar­beits­ge­richts Ne­umüns­ter vom 28.10.2009 – 1 Ca 511 b/09 – wird auf ih­re Kos­ten zurück­ge­wie­sen.

Die Re­vi­si­on wird nicht zu­ge­las­sen.

-.-.-.-.-.-.-.-.-.-.-.-.-.-.-.-.-.-.-.-.-.-.-.-.-.-.-.-.-.-.-.-.-.-.-.-.-.-.-.-.-.-.-.-.-.-.-.-.-.-.-

Rechts­mit­tel­be­leh­rung:

Ge­gen die­ses Ur­teil ist ein Rechts­mit­tel nicht ge­ge­ben; im Übri­gen wird auf § 72 a ArbGG ver­wie­sen.

 

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Tat­be­stand:

Die Par­tei­en strei­ten um die Wirk­sam­keit ei­ner von der Be­klag­ten aus­ge­spro­che­nen frist­lo­sen und hilfs­wei­se frist­ge­rech­ten Kündi­gung des Ar­beits­verhält­nis­ses.

Der 1966 ge­bo­re­ne Kläger, der ge­trennt lebt und ei­nem Kind zum Un­ter­halt ver­pflich­tet ist, trat am 1. Ja­nu­ar 2003 als Kraft­fah­rer in die Diens­te der Be­klag­ten ein. We­gen der Ein­zel­hei­ten des schrift­li­chen Ar­beits­ver­tra­ges wird Be­zug ge­nom­men auf die zur Ak­te ge­reich­te Ko­pie (Bl. 28 – 30 d. A.). In ei­ner An­la­ge zum Ar­beits­ver­trag heißt es bezüglich der „be­son­de­ren Auf­ga­ben des Fah­rers“, die Ar­beit­ge­be­rin le­ge be­son­de­ren Wert auf ei­ne freund­li­che Kun­den­be­die­nung und sau­be­res, ge­pfleg­tes Auf­tre­ten der Fah­rer. Der Kläger ver­dien­te bei der Be­klag­ten zu­letzt € 2.090,94 brut­to.

Die Be­klag­te be­treibt in N. ein Lo­gis­tik­zen­trum und lie­fert von dort aus Wa­re an die Kun­den, und zwar auch an C.-Fi­lia­len.

Der Kläger wur­de be­reits in der Ver­gan­gen­heit häufi­ger ein­ge­setzt zur Be­lie­fe­rung der C.-Fi­lia­le in R.. Ihm ist be­kannt, dass die Ein­fahrt dort ziem­lich eng und ins­be­son­de­re die Durch­fahrtshöhe sehr knapp be­mes­sen ist.

Am 24. März 2009 hat­te der Kläger den Auf­trag, er­neut die C.-Fi­lia­le in R. zu be­lie­fern. Als er dort in das Park­deck der Fi­lia­le ein­fuhr, sprach ihn der Zeu­ge G. an. G. ar­bei­te­te für die Fir­ma H. GmbH, die die Lie­gen­schafts­ver­wal­tung des Ob­jek­tes der C.-Fi­lia­le in R. über­nom­men hat­te. Der Zeu­ge G. war dem Kläger nicht persönlich be­kannt.

Der Zeu­ge G. for­der­te den Kläger auf, we­gen der be­eng­ten Verhält­nis­se nicht wei­ter­zu­fah­ren. Der wei­te­re In­halt der ver­ba­len Aus­ein­an­der­set­zung ist zwi­schen den Par­tei­en strei­tig. Je­den­falls fuhr der Kläger trotz der Auf­for­de­rung wei­ter, wo­bei zwi­schen den Par­tei­en eben­falls strei­tig ist, ob der Kläger da­durch Beschädi­gun­gen ver­ur­sach­te.

 

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Die Lie­gen­schafts­ver­wal­te­rin er­teil­te dem Kläger im An­schluss dar­an für sechs Mo­na­te ein Haus­ver­bot.

Die Be­klag­te kündig­te das Ar­beits­verhält­nis des Klägers mit Schrei­ben vom 31. März 2009 frist­los und hilfs­wei­se frist­ge­recht zum nächstmögli­chen Zeit­punkt und führ­te zur Be­gründung im Kündi­gungs­schrei­ben aus, er – Kläger – ha­be am 24. März 2009 ei­nem Mit­ar­bei­ter ei­nes Kun­den – nach­dem die­ser ihm die Ein­fahrt in ein Park­deck un­ter­sagt ha­be – mit­ge­teilt, „Ich lie­fe­re hier seit Jah­ren und jetzt aus dem Weg, du Arsch.“ An­sch­ließend ha­be er die­sen Mit­ar­bei­ter noch­mals mehr­fach be­lei­digt, in­dem er ihn als „Arsch­loch“ be­zeich­net ha­be. Die Be­klag­te hörte vor Aus­spruch der Kündi­gung den bei ihr ge­bil­de­ten Be­triebs­rat mit Schrei­ben vom 26. März 2009 zu der be­ab­sich­tig­ten frist­lo­sen und hilfs­wei­se frist­ge­rech­ten Kündi­gung an. We­gen der Ein­zel­hei­ten des Anhörungs­schrei­bens wird Be­zug ge­nom­men auf Blatt 26 und 27 der Ak­te. Die­se Anhörung ging dem Be­triebs­rat am 26. März 2009 zu und er nahm Stel­lung am 30. März 2009 und ver­trat die Auf­fas­sung, die Kündi­gung sei nicht ge­recht­fer­tigt, weil der Kläger schon mit ei­nem un­freund­li­chen Ton emp­fan­gen wor­den sei. Es müsse von den Kun­den Sor­ge dafür ge­tra­gen wer­den, dass die Fah­rer vernünf­tig be­han­delt würden. Es sei auch nicht nach­voll­zieh­bar, dass die Fah­rer mit großen Kof­fern in ein Haus ge­schickt würden, wel­ches nur mit klei­nen Kof­fern be­lie­fert wer­den könne.

Die Be­klag­te kündig­te das Ar­beits­verhält­nis mit dem Kläger noch­mals er­neut vor­sorg­lich mit Schrei­ben vom 20. Mai 2009 frist­ge­recht zum 20. Ju­ni 2009 aus dem­sel­ben Grund, nach­dem sie zu­vor den bei ihr ge­bil­de­ten Be­triebs­rat mit Schrei­ben vom 14. Mai 2009 zur be­ab­sich­tig­ten frist­ge­rech­ten Kündi­gung an­gehört hat­te. Der Be­triebs­rat stimm­te der Kündi­gung nicht zu. We­gen sei­ner Stel­lung­nah­me wird Be­zug ge­nom­men auf die zur Ak­te ge­reich­te Ko­pie (Bl. 33 d. A.).

Der Kläger hält die frist­lo­se Kündi­gung für rechts­wid­rig und die vor­sorg­lich aus­ge­spro­che­nen frist­ge­rech­ten Kündi­gun­gen für so­zi­al un­ge­recht­fer­tigt. Zu­dem rügt er die ord­nungs­gemäße Anhörung des Be­triebs­ra­tes und meint, der die Kündi­gun­gen un­ter­schrei­ben­de Mit­ar­bei­ter V. ha­be kei­ne Kündi­gungs­be­rech­ti­gung ge­habt. Je­den­falls ha­be er – Kläger – die Kündi­gun­gen zu­tref­fend gemäß § 174 BGB zurück­ge­wie­sen.

 

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Der Kläger hat – so­weit für die Be­ru­fung noch von Be­deu­tung – be­an­tragt,

1. fest­zu­stel­len, dass das Ar­beits­verhält­nis der Par­tei­en we­der durch die frist­lo­se Kündi­gung der Be­klag­ten vom 31.03.2009 noch durch die hilfs­wei­se zum nächstmögli­chen Zeit­punkt aus­ge­spro­che­ne Kündi­gung der Be­klag­ten vom 31.03.2009 auf­gelöst wur­de,

2. fest­zu­stel­len, dass das Ar­beits­verhält­nis nicht durch die frist­gemäße Kündi­gung der Be­klag­ten vom 20. Mai 2005 be­en­det wur­de,

3. für den Fall des Ob­sie­gens zum Klag­an­trag zu 1. und 2. die Be­klag­te zu ver­ur­tei­len, ihn zu den bis­he­ri­gen Ar­beits­be­din­gun­gen als Kraft­fah­rer wei­ter­zu­beschäfti­gen,

4. die Be­klag­te zu ver­ur­tei­len, an ihn 10.454,70 € brut­to abzüglich ge­zahl­ten Ar­beits­lo­sen­gel­des in Höhe von 4.153,35 € nebst 5 % Zin­sen über dem Ba­sis­zins­satz auf 2.090,94 € abzüglich 461,55 € seit dem 01.05.2009 und je­weils auf wei­te­re 2.090,94 € abzüglich 929,10 € ab dem 01.06.2009, 01.07.2009, 01.08.2009 und 01.09.2009 zu zah­len.

Die Be­klag­te hat be­an­tragt,

die Kla­ge ab­zu­wei­sen.

Die Be­klag­te hat be­haup­tet:

Als der Kläger am 24. März 2009 in das Park­deck der C.-Fi­lia­le ein­ge­fah­ren sei, sei er dort von dem Zeu­gen G. an­ge­hal­ten wor­den. G. ha­be sich als Lie­gen­schafts­ver­wal­ter vor­ge­stellt und dem Kläger mit­ge­teilt, er dürfe nicht wei­ter in das Park­deck ein­fah­ren, weil es in der wei­te­ren Zu­fahrt her­abhängen­de Tei­le und tie­ferhängen­de Kästen ge­be, was ei­ne Ein­fahrt des Lkw nicht er­lau­be. Er ha­be den Kläger auf­ge­for­dert, nicht wei­ter­zu­fah­ren. G. ha­be sich am frag­li­chen Tag des­we­gen im Be­reich der Zu­fahrt auf­ge­hal­ten, weil Warn­schil­der noch nicht an­ge­bracht wor­den sei­en. Der Kläger ha­be nicht an­ge­hal­ten, son­dern ge­ant­wor­tet: „Ich lie­fe­re hier seit Jah­ren und jetzt aus dem Weg, du Arsch.“ Als der Kläger dann wei­ter vor­ge­fah­ren sei, ha­be er Tei­le der De­cken­ver­klei­dung ab­ge­ris­sen und das Was­ser­rohr ei­ner Gas­lei­tung und ein Hei­zungs­rohr beschädigt. Der Zeu­ge G. ha­be den Kläger zu­recht­ge­wie­sen mit dem Be­mer­ken, er ha­be die Zu­fahrt nicht er­zwin­gen dürfen. Er ha­be den Kläger nach

 

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sei­nem Na­men ge­fragt. Dies ha­be der Kläger ver­wei­gert und den Zeu­gen G. min­des­tens fünf­mal mit „Du Arsch­loch“ ti­tu­liert.

Die­se mehr­fa­che und zügel­lo­se Be­lei­di­gung – so meint die Be­klag­te – sei ein wich­ti­ger frist­lo­ser Kündi­gungs­grund. Sol­che Be­lei­di­gun­gen ins­be­son­de­re ge­genüber Kun­den und de­ren Ver­tre­tern sei­en be­son­ders schwer­wie­gend, weil da­mit die Kun­den­be­zie­hung selbst in Ge­fahr ge­bracht wer­de. Ei­ne Gefähr­dung die­ser Be­zie­hung wir­ke sich wie­der­um auf die wirt­schaft­li­che La­ge des Be­trie­bes und da­mit un­mit­tel­bar auf die Si­cher­heit der Ar­beitsplätze aus. Im Rah­men der In­ter­es­sen­abwägung sei auch zu berück­sich­ti­gen, dass der Kläger vom Zeu­gen G. nicht un­sach­lich be­han­delt und erst recht nicht pro­vo­ziert wor­den sei. Der Kläger könne sich auch nicht dar­auf be­ru­fen, er ha­be den Zeu­gen G. nur für ei­nen un­be­tei­lig­ten Drit­ten ge­hal­ten, der sich ha­be wich­tig ma­chen wol­len. Der Kläger selbst ha­be ein­geräumt, dass der Zeu­ge G. kein Pas­sant ge­we­sen sei, son­dern be­reits durch sei­ne Klei­dung be­son­ders auf­ge­fal­len sei.

Der Kläger hat vor­ge­tra­gen:

Als er an dem frag­li­chen Tag in die Ein­fahrt ge­fah­ren sei, sei ein Herr auf ihn zu­ge­kom­men, der Hand­wer­ker­klei­dung ge­tra­gen ha­be. Die­se Per­son ha­be sich bei ihm nicht vor­ge­stellt. Es sei ihm im Ein­zel­nen auch nicht mehr er­in­ner­lich, was ihm die­se Per­son zu­ge­ru­fen ha­be. Je­den­falls ha­be er er­wi­dert, dass er die Ein­fahrt sehr ge­nau ken­ne, da er dort seit Jah­ren lie­fe­re. Er ha­be die­se Per­son nicht be­lei­digt. Da sich zwi­schen ihm und der an­de­ren Per­son je­doch ein ge­reiz­ter Ton ent­wi­ckelt ha­be, sei er in ge­wohn­ter Ma­nier fort­ge­fah­ren. Er be­strei­te, von der Per­son auf­ge­hal­ten wor­den zu sein. Fer­ner be­strei­te er auch, dass er Tei­le der De­cken­ver­klei­dung ab­ge­ris­sen und wei­te­re Beschädi­gun­gen ver­ur­sacht ha­be. Die­se Schäden sei­en ca. ei­ne Wo­che zu­vor von ei­nem sei­ner Kol­le­gen ver­ur­sacht wor­den. Er ha­be sich auch nicht ge­wei­gert, sei­nen Na­men an­zu­ge­ben. Er sei da­nach nicht ge­fragt wor­den.

Die Kündi­gun­gen sei­en des­halb nicht rechtmäßig, weil er die Per­son nicht mit den von der Be­klag­ten be­haup­te­ten Wor­ten be­lei­digt ha­be. Zu­dem be­ste­he für die Be-

 

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klag­te, die ei­ne große Spe­di­ti­on sei, auch die Möglich­keit, ihn an­der­wei­tig ein­zu­set­zen.

Das Ar­beits­ge­richt hat den Zeu­gen G. zu der Be­haup­tung der Be­klag­ten hin­sicht­lich der ver­ba­len Aus­ein­an­der­set­zung im Park­deck der C.-Fi­lia­le ver­nom­men. We­gen des Er­geb­nis­ses der Be­weis­auf­nah­me wird Be­zug ge­nom­men auf den In­halt des Pro­to­kolls der münd­li­chen Ver­hand­lung ers­ter In­stanz.

Das Ar­beits­ge­richt hat der Kla­ge statt­ge­ge­ben und zur Be­gründung aus­geführt, es ste­he zwar zur Über­zeu­gung der Kam­mer fest, dass der Kläger den Zeu­gen G. mehr­fach als „Arsch­loch“ be­zeich­net ha­be. Im hier vor­lie­gen­den Ein­zel­fall recht­fer­ti­ge die­ser Um­stand je­doch nicht die streit­be­fan­ge­ne Kündi­gung des Ar­beits­verhält­nis­ses. Viel­mehr wäre ei­ne Ab­mah­nung vor­ran­gig aus­zu­spre­chen ge­we­sen. Zwar sei das Ver­hal­ten des Klägers völlig un­an­ge­mes­sen ge­we­sen. Es er­schei­ne aber in ei­nem mil­de­ren Licht. Denn er – Kläger – ha­be nicht da­von aus­ge­hen müssen, dass er mit den Äußerun­gen ge­genüber dem ihn nicht als Re­präsen­tan­ten des Kun­den er­kenn­ba­ren Zeu­gen G. sei­nen Ar­beits­platz aufs Spiel set­ze. Der ein­ma­li­ge Vor­fall rei­che nach dem langjährig und un­gestört ver­lau­fe­nen Ar­beits­verhält­nis nicht zur Be­en­di­gung des­sel­ben. Auch der Zah­lungs­an­spruch sei des­halb un­ter dem Ge­sichts­punkt des An­nah­me­ver­zu­ges be­gründet. We­gen der Ein­zel­hei­ten der Be­gründung der erst­in­stanz­li­chen Ent­schei­dung wird Be­zug ge­nom­men auf den In­halt der dor­ti­gen Ent­schei­dungs­gründe.

Die Be­klag­te hat ge­gen das ihr am 23. No­vem­ber 2009 zu­ge­stell­te Ur­teil am 16. De­zem­ber 2009 mit Fax – und am 17. De­zem­ber 2009 mit Ori­gi­nal­schrift­satz Be­ru­fung ein­ge­legt und die­se am 19. Ja­nu­ar 2010 mit Fax – und am 21. Ja­nu­ar 2010 mit Ori­gi­nal­schrift­satz be­gründet.

Die Be­klag­te rügt, das Ar­beits­ge­richt ha­be dar­auf ab­ge­stellt, dass für den Kläger nicht er­kenn­bar ge­we­sen sei, ob es sich bei dem Zeu­gen G. um ei­ne Per­son aus der Sphäre der Kun­din ge­han­delt ha­be. Die­se Würdi­gung sei nicht nach­voll­zieh­bar. Zunächst ein­mal ha­be der Kläger selbst nicht be­haup­tet, dass es sich bei dem Zeu­gen G. um ei­nen be­lie­bi­gen Pas­san­ten ge­han­delt ha­be, dem er zufällig im Straßen­ver-

 

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kehr be­geg­net sei. Der Kläger räume ein, dass er bei dem Ver­such, das Park­deck des Kun­den zu be­fah­ren, dort an­ge­hal­ten wor­den sei. Vor al­lem sei zu berück­sich­ti­gen, dass sich der Zeu­ge G. ihm ge­genüber sehr wohl als ver­ant­wort­li­che Per­son zu er­ken­nen ge­ge­ben ha­be. Es könne sein, dass G. sich nicht persönlich mit Na­men und Funk­ti­ons­nen­nung vor­ge­stellt ha­be. Aber ge­ra­de durch die spon­ta­ne Be­mer­kung „Wie oft wollt ihr jetzt da oben noch ge­gen fah­ren?“ ha­be dem Kläger un­zwei­fel­haft deut­lich sein müssen, dass G. dem Kun­den­be­trieb zu­zu­rech­nen sei. Auch die Art und Wei­se, wie G. auf­ge­tre­ten sei, ha­be dies dem Kläger deut­lich ma­chen müssen. Denn G. ha­be ihm die Wei­ter­fahrt ver­bo­ten. Ein sol­ches Ver­bot wer­de nicht von zufällig an­we­sen­den Pas­san­ten erklärt. Die Be­mer­kung des Klägers „Ich lie­fe­re hier schon jah­re­lang an“, bestäti­ge im Übri­gen, dass er sehr ge­nau ge­wusst ha­be, dass er ei­nen Ver­tre­ter aus der Sphäre der Kun­din vor sich ge­habt ha­be. Denn er – Kläger – ha­be in­so­weit auf die ständi­ge Geschäfts­be­zie­hung ver­wie­sen.

Ge­nau in sol­chen Fällen könne ei­ne Be­lei­di­gung nicht als ein Vor­gang ein­ge­stuft wer­den, der in kei­ner Be­zie­hung zum Ar­beits­verhält­nis ste­he. Hier sei ei­ne mas­si­ve Be­lei­di­gung ei­nes Kun­den­ver­tre­ters er­folgt, was im noch größeren Maße die Un­zu­mut­bar­keit der Wei­ter­beschäfti­gung be­gründe als ei­ne Be­lei­di­gung, die sich be­triebs­in­tern im Verhält­nis zu Kol­le­gen oder im Verhält­nis zum Vor­ge­setz­ten er­eig­ne. In ei­nem sol­chen Fall ha­be der Ar­beit­neh­mer auch kei­nen vernünf­ti­gen Grund zur An­nah­me, der Ar­beit­ge­ber wer­de solch ei­ne Be­lei­di­gung to­le­rie­ren.

Die Be­klag­te be­an­tragt,

das Ur­teil des Ar­beits­ge­richts Ne­umüns­ter vom 28. Ok­to­ber 2009 – 1 Ca 511 b/09 – ab­zuändern und die Kla­ge vol­len Um­fangs ab­zu­wei­sen.

Der Kläger be­an­tragt,

die Be­ru­fung zurück­zu­wei­sen.

Der Kläger ver­tei­digt die erst­in­stanz­li­che Ent­schei­dung und be­haup­tet, er ha­be kei­ner­lei An­halts­punk­te dafür ge­habt, dass es sich bei dem Zeu­gen G. um ei­nen Re­präsen­tan­ten der Kun­din ge­han­delt ha­be. Die­ser ha­be sich nicht als Lie­gen­schafts­ver-

 

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wal­ter vor­ge­stellt und sei auch nicht als Re­präsen­tant des Haus­rechts er­kenn­bar ge­we­sen. Der Zeu­ge G. ha­be le­dig­lich in der Be­weis­auf­nah­me geäußert, dass „man sich auf­grund der Fra­ge­stel­lung Ge­dan­ken hätte ma­chen müsse“. Dies sei ei­ne Wer­tung des Zeu­gen, die sich die Be­klag­te of­fen­sicht­lich zu Ei­gen ma­che. Von ei­nem Ver­tre­ter des Haus­rechts sei aus sei­ner – des Klägers – Sicht re­gelmäßig je­doch höhe­re Se­rio­sität zu er­war­ten. Der Zeu­ge ha­be nach sei­ner ei­ge­nen Aus­sa­ge sein ei­ge­nes Fahr­zeug in der Tief­ga­ra­ge je­doch has­tig ver­las­sen. Die An­ge­le­gen­heit sei so­gar so ei­lig ge­we­sen, dass er die Tür ha­be of­fen ste­hen las­sen. Der Zeu­ge ha­be auch in der münd­li­chen Ver­hand­lung aus­ge­sagt, dass er nicht mit dem Rücken zu ihm – Kläger – ge­stan­den ha­be. Den Na­mens­zug des Ar­beit­ge­bers ha­be er – Kläger – des­halb nicht er­ken­nen können. Viel­mehr ha­be er auf­grund der äußeren Umstände da­von aus­ge­hen können, dass es sich bei dem Zeu­gen le­dig­lich um ei­nen „Wich­tig­tu­er“ han­del­te. Der­ar­ti­ge Be­geg­nun­gen fänden im Ar­beits­le­ben häufig statt. Ob nun der­ar­ti­ge Be­geg­nun­gen mit ver­ba­len Aus­ein­an­der­set­zun­gen oder ähn­li­chem auf dem Bau, im Ha­fen oder eben im Trans­port­ge­wer­be stattfänden, dürfe kei­ne Rol­le spie­len. Soll­ten dort ge­gen­sei­ti­ge Be­lei­di­gun­gen aus­ge­tauscht wer­den, so dürfe die­sen Be­lei­di­gun­gen nicht das Ge­wicht bei­ge­mes­sen wer­den wie in ei­ner Un­ter­hal­tung, in der man sich un­ter ru­hi­gen Umständen of­fi­zi­ell ge­genüber­ste­he.

We­gen des wei­te­ren Vor­brin­gens der Par­tei­en in der Be­ru­fung wird Be­zug ge­nom­men auf den In­halt der dort ge­wech­sel­ten Schriftsätze.

Ent­schei­dungs­gründe:

Die Be­ru­fung der Be­klag­ten ist zulässig. Sie ist statt­haft und frist- und form­ge­recht ein­ge­legt wor­den. In der Sa­che ist sie je­doch nicht be­gründet. Das Ar­beits­ge­richt hat zu­tref­fend fest­ge­stellt, dass das zwi­schen den Par­tei­en be­ste­hen­de Ar­beits­verhält­nis we­der durch die Kündi­gung der Be­klag­ten vom 31. März 2009 frist­los oder hilfs­wei­se frist­ge­recht noch durch die wei­te­re Kündi­gung der Be­klag­ten vom 20. Mai 2009 frist­ge­recht auf­gelöst wur­de. Das Ar­beits­ge­richt hat des­halb die Be­klag­te auch wei­ter­hin zu Recht ver­ur­teilt, an den Kläger die ein­ge­klag­te Ar­beits­vergütung in der un­strei­ti­gen Höhe zu zah­len. Die An­grif­fe der Be­ru­fung recht­fer­ti­gen kei­ne Abände­rung der erst­in­stanz­li­chen Ent­schei­dung.

 

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1. Das zwi­schen den Par­tei­en be­ste­hen­de Ar­beits­verhält­nis en­de­te nicht auf­grund der frist­lo­sen Kündi­gung der Be­klag­ten vom 31. März 2009 frist­los. Die Vor­aus­set­zun­gen ei­ner sol­chen frist­lo­sen Kündi­gung gemäß § 626 Abs. 1 BGB sind nicht erfüllt.

a. Gemäß § 626 Abs. 1 BGB kann das Ar­beits­verhält­nis vom Ar­beit­ge­ber aus wich­ti­gem Grund oh­ne Ein­hal­tung ei­ner Kündi­gungs­frist gekündigt wer­den, wenn Tat­sa­chen vor­lie­gen, auf­grund de­rer dem Kündi­gen­den un­ter Berück­sich­ti­gung al­ler Umstände des Ein­zel­fal­les und un­ter Abwägung der In­ter­es­sen bei­der Ver­trags­tei­le die Fort­set­zung des Ar­beits­verhält­nis­ses bis zum Ab­lauf der Kündi­gungs­frist nicht zu­ge­mu­tet wer­den kann. § 626 BGB kennt da­bei kei­nen ab­so­lu­ten Kündi­gungs­grund. Je­de außer­or­dent­li­che Kündi­gung setzt ei­ne um­fas­sen­de In­ter­es­sen­abwägung vor­aus. Es sind al­le Umstände des Ein­zel­fal­les zu berück­sich­ti­gen. Die Recht­spre­chung kon­kre­ti­siert den wich­ti­gen Grund des­halb durch ei­ne ab­ge­stuf­te Prüfung in zwei sys­te­ma­tisch selbstständi­gen Ab­schnit­ten. Es wird zunächst ge­prüft, ob ein be­stimm­ter Sach­ver­halt oh­ne die be­son­de­ren Umstände des Ein­zel­fal­les an sich ge­eig­net ist, ei­nen wich­ti­gen Grund ab­zu­ge­ben. So­dann ist zu prüfen, ob bei Berück­sich­ti­gung die­ser Umstände und der In­ter­es­sen­abwägung die kon­kre­te Kündi­gung ge­recht­fer­tigt ist. Da­bei ent­schei­det ein ob­jek­ti­ver Maßstab.

Nach der ständi­gen Recht­spre­chung des zuständi­gen Se­nats des Bun­des­ar­beits­ge­richts (vgl. BAG, Ur­teil v. 10.10.2002 – 2 AZR 418/01 –, zi­tiert nach JURIS Rn. 23) können gro­be Be­lei­di­gun­gen des Ar­beit­ge­bers und/oder sei­ner Ver­tre­ter oder Re­präsen­tan­ten ei­ner­seits oder von Ar­beits­kol­le­gen an­de­rer­seits, die nach Form und In­halt ei­ne er­heb­li­che Ehr­ver­let­zung für den be­zie­hungs­wei­se die Be­trof­fe­nen be­deu­ten, ei­nen er­heb­li­chen Ver­s­toß des Ar­beit­neh­mers ge­gen sei­ne Pflich­ten aus dem Ar­beits­verhält­nis dar­stel­len und ei­ne außer­or­dent­li­che frist­lo­se Kündi­gung an sich recht­fer­ti­gen. Da­bei kann sich der Ar­beit­neh­mer nicht auf das Recht auf freie Mei­nungsäußerung be­ru­fen, denn die­ses schützt we­der vor For­mal­be­lei­di­gun­gen noch vor bloßen Schmähun­gen noch vor be­wusst un­wah­ren Tat­sa­chen­be­haup­tun­gen. Auch ei­ne ein­ma­li­ge Ehr­ver­let­zung ist im Übri­gen kündi­gungs­re­le­vant und um­so schwer­wie­gen­der, je un­verhält­nismäßiger und je über­leg­ter sie er­folg­te (BAG, Ur­teil

 

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v. 10.01.2002 – 2 AZR 418/01 –; BAG, Ur­teil v. 17.02.2000 – 2 AZR 927/98 –). Die­se Recht­spre­chung ist auch auf den Fall zu über­tra­gen, bei dem der Ar­beit­neh­mer nicht den Ar­beit­ge­ber oder ei­nen sei­ner Re­präsen­tan­ten oder ei­nen Ar­beits­kol­le­gen be­lei­digt, son­dern ei­ne drit­te Per­son, die in Kun­den- bzw. Geschäfts­be­zie­hung zu sei­nem Ar­beit­ge­ber steht. Die Be­lei­di­gung ei­ner sol­chen Per­son ist so­gar von be­son­de­rem Ge­wicht, weil der Ar­beit­neh­mer die­se Kun­den­be­zie­hung zu sei­nem Ar­beit­ge­ber gefähr­det und da­mit un­mit­tel­bar Ar­beitsplätze auf das Spiel setzt. Im Ein­zel­fall ist es da­bei auch denk­bar, dass ei­ne sol­che Be­lei­di­gung auch trotz vor­he­ri­ger feh­len­der ein­schlägi­ger Ab­mah­nung so­fort die frist­lo­se Kündi­gung recht­fer­ti­gen kann, und zwar dann, wenn sie sich als ei­ne be­son­ders schwer­wie­gen­de Ver­trags­ver­let­zung dar­stellt, bei der der Ar­beit­neh­mer nicht ernst­haft da­mit rech­nen konn­te, sein Ar­beit­ge­ber wer­de die­ses Ver­hal­ten to­le­rie­ren.

b. Un­ter Berück­sich­ti­gung die­ser Rechts­grundsätze er­weist sich die frist­lo­se Kündi­gung nicht gemäß § 626 Abs. 1 BGB als rechtmäßig. Zwar liegt ein an sich ge­eig­ne­ter Kündi­gungs­grund vor, denn der Kläger hat den Zeu­gen G. mit den Wor­ten „Du Arsch­loch“ be­lei­digt. Ei­ne Berück­sich­ti­gung der be­son­de­ren Umstände des Ein­zel­fal­les er­gibt aber, dass die Be­klag­te ge­hal­ten war, hier zunächst vor Aus­spruch ei­ner frist­lo­sen Kündi­gung ei­ne Ab­mah­nung we­gen des Vor­fal­les zu er­tei­len.

aa. Es ist nicht zu be­an­stan­den, dass das Ar­beits­ge­richt nach Durchführung der Be­weis­auf­nah­me gemäß § 286 Abs. 1 S. 1 ZPO zu der Über­zeu­gung ge­lang­te, der Kläger ha­be den Zeu­gen G. mehr­fach als „Arsch­loch“ be­zeich­net. Das Ar­beits­ge­richt hat den Zeu­gen zu der dies­bezügli­chen Be­haup­tung der Be­klag­ten be­fragt. Der Zeu­ge hat die Be­haup­tun­gen der Be­klag­ten im We­sent­li­chen bestätigt und das Ar­beits­ge­richt ist so­dann un­ter Würdi­gung die­ser Aus­sa­ge be­an­stan­dungs­frei zu dem Er­geb­nis ge­langt, dass die Be­haup­tung der Be­klag­ten im Kern zu­tref­fend ist. Der Kläger hat in sei­ner Be­ru­fungs­er­wi­de­rung auch nicht die Würdi­gung des Ar­beits­ge­richts an­ge­grif­fen. Da dies nicht ge­sche­hen ist, sah das Be­ru­fungs­ge­richt auch kei­ne Ver­an­las­sung, noch­mals die Be­weis­auf­nah­me durch­zuführen. Da­zu hätte nur dann Ver­an­las­sung be­stan­den, wenn der Kläger im Ein­zel­nen sub­stan­ti­iert Tat­sa­chen vor­ge­tra­gen oder sons­ti­gen Vor­trag ge­leis­tet hätte, der ge­eig­net ge­we­sen wäre, Zwei­fel an der vor­ge­nom­me­nen Be­weiswürdi­gung zu we­cken. Dar­an fehlt es.

 

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Die­se Be­lei­di­gung des Zeu­gen G. ist an sich ge­eig­net, ei­nen wich­ti­gen Grund zur frist­lo­sen Kündi­gung zu ge­ben. Ei­ne Ar­beit­ge­be­rin kann es grundsätz­lich nicht ak­zep­tie­ren, dass ein Ar­beit­neh­mer den Ver­tre­ter ei­nes Kun­den, mit dem sie – Ar­beit­ge­be­rin – in Geschäfts­be­zie­hun­gen steht, be­lei­digt. Zu­tref­fend weist die Be­klag­te in der Be­ru­fung dar­auf hin, dass ei­ne sol­che Be­lei­di­gung von ganz be­son­de­rem Ge­wicht ist, weil da­mit Geschäfts­be­zie­hun­gen un­mit­tel­bar gefähr­det wer­den.

bb. Un­ter Berück­sich­ti­gung der be­son­de­ren Umstände des Ein­zel­fal­les er­weist sich die frist­lo­se Kündi­gung im Er­geb­nis aber den­noch nicht als rechtmäßig. Denn an Stel­le der frist­lo­sen Kündi­gung hätte die Be­klag­te un­ter Berück­sich­ti­gung des Grund­sat­zes der Verhält­nismäßig­keit zunächst ge­genüber dem Kläger ei­ne Ab­mah­nung aus­spre­chen müssen. Dar­auf hat das Ar­beits­ge­richt zu­tref­fend hin­ge­wie­sen.

(1). Für das Ar­beits­verhält­nis folgt aus dem Verhält­nismäßig­keits­prin­zip die Not­wen­dig­keit der Ab­mah­nung. Da­mit stimmt § 314 Abs. 2 BGB übe­rein (ErfK-Müller-Glöge, § 626 BGB Rn. 25). Pflicht­wid­rig­kei­ten im Leis­tungs- und Ver­hal­tens­be­reich muss grundsätz­lich ei­ne Ab­mah­nung vor­aus­ge­hen, ehe sie zum An­lass ei­ner frist­lo­sen Kündi­gung ge­nom­men wer­den können. Al­ler­dings ist zu be­ach­ten, dass Tätig­kei­ten oder Be­lei­di­gun­gen un­ter Ar­beits­kol­le­gen nicht dem Leis­tungs­be­reich zu­zu­rech­nen sind und da­her oh­ne vor­he­ri­ge Ab­mah­nung im Ein­zel­fall ei­ne Kündi­gung recht­fer­ti­gen können (ErfK-Müller-Glöge, § 626 BGB Rn. 27). Dies folgt dar­aus, weil im Leis­tungs- und Ver­hal­tens­be­reich es ana­log § 323 Abs. 2 BGB dann kei­ner Ab­mah­nung be­darf, wenn im Ein­zel­fall be­son­de­re Umstände vor­ge­le­gen ha­ben, auf­grund de­rer ei­ne Ab­mah­nung nicht als Er­folg ver­spre­chend an­ge­se­hen wer­den kann. Dies ist be­son­ders dann an­zu­neh­men, wenn er­kenn­bar ist, dass der Ar­beit­neh­mer nicht in der La­ge oder gar nicht ge­willt ist, sich ver­trags­ge­recht zu ver­hal­ten. Be­son­ders schwe­re Verstöße bedürfen kei­ner frühe­ren Ab­mah­nung, weil da­bei der Ar­beit­neh­mer von vorn­her­ein nicht mit ei­ner Bil­li­gung sei­nes Ver­hal­tens rech­nen kann oder er sich be­wusst sein muss, dass er sei­nen Ar­beits­platz aufs Spiel setzt. Das Bun­des­ar­beits­ge­richt hat da­her dar­auf hin­ge­wie­sen, (BAG, Ur­teil vom 10.10.2002 – 2 AZR 418/01 – zi­tiert nach JURIS Rn. 28) dass der Ar­beit­ge­ber in dem dor­ti­gen Fall den Kläger vor Aus­spruch der Kündi­gung nicht ab­mah­nen muss­te, weil auf­grund der viel-

 

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fälti­gen gro­ben Be­lei­di­gun­gen zahl­rei­cher Vor­ge­setz­ter und Kol­le­gen der Kläger nicht ernst­haft da­mit rech­nen konn­te, die Ar­beit­ge­be­rin wer­de sein Ver­hal­ten to­le­rie­ren. In sei­nem sol­chen Fall sei re­gelmäßig da­von aus­zu­ge­hen, das pflicht­wid­ri­ge Ver­hal­ten ha­be das für ein Ar­beits­verhält­nis not­wen­di­ge Ver­trau­en auf Dau­er zerstört.

(2). Un­ter Berück­sich­ti­gung die­ser Rechts­grundsätze bleibt es da­bei, dass bei Be­ach­tung der kon­kre­ten Umstände des Ein­zel­fal­les die Be­klag­te statt der frist­lo­sen Kündi­gung ei­ne Ab­mah­nung ge­genüber dem Kläger hätte aus­spre­chen müssen.

Zu­tref­fend ist zunächst si­cher­lich der Hin­weis der Be­klag­ten, dass ei­ne Ab­mah­nung im Ein­zel­fall dann nicht er­for­der­lich ist, wenn ein Ar­beit­neh­mer ei­nen Kun­den oder ei­nen sons­ti­gen Ver­tre­ter ei­ner Per­son, die in ei­ner Geschäfts­be­zie­hung zu sei­nem Ar­beit­ge­ber steht, be­lei­digt. Dies gilt je­den­falls dann, wenn der be­lei­di­gen­de Ar­beit­neh­mer weiß be­zie­hungs­wei­se er­kannt hat, dass es sich bei der be­lei­dig­ten Per­son um je­mand han­delt, der in ei­ner Geschäfts­be­zie­hung zu sei­nem Ar­beit­ge­ber steht. Hier ist je­doch zu Guns­ten des Klägers an­zu­neh­men, dass nicht mit der ge­bo­te­nen Si­cher­heit an­ge­nom­men wer­den darf, dass er die be­son­de­re Funk­ti­on des Zeu­gen G. als Lie­gen­schafts­ver­wal­ter und da­mit Ver­ant­wort­li­cher für die Si­cher­heit des Gebäudes er­kannt hat. Der Zeu­ge war dem Kläger nicht persönlich be­kannt. Er hat sich ihm auch nicht als Lie­gen­schafts­ver­wal­ter vor­ge­stellt. Wenn die Be­klag­te dar­auf hin­weist, dass der Kläger hätte er­ken­nen können, dass es sich bei Herrn G. nicht um ei­ne außen­ste­hen­de drit­te Per­son han­delt, so ist dies im Grund­satz si­cher­lich rich­tig. Die Be­klag­te weist in­so­weit durch­aus zu­tref­fend dar­auf hin, dass das gan­ze Ver­hal­ten des Zeu­gen G. durch­aus beim Kläger den Ein­druck hätte er­we­cken können, dass es sich nicht – wie er Kläger meint – um ei­nen Wich­tig­tu­er han­del­te, son­dern um ei­ne zuständi­ge ver­ant­wort­lich han­deln­de Per­son. Die Be­klag­te weist in­so­weit zu­tref­fend dar­auf hin, dass al­lein der Aus­spruch des Ver­bots der Wei­ter­fahrt schon An­lass zur An­nah­me sein kann, dass es sich um ei­nen für die Lie­gen­schaft zuständi­gen Be­auf­trag­ten han­delt. Auch er­eig­ne­te sich der Vor­fall nicht im of­fe­nen Straßen­ver­kehr, son­dern im Park­deck der C.-Fi­lia­le.

Trotz­dem ver­mag das Be­ru­fungs­ge­richt nicht mit der ge­bo­te­nen Si­cher­heit an­zu­neh­men, dass der Kläger tatsächlich in vol­ler Schärfe er­kannt hat, dass es sich bei

 

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dem Zeu­gen G. um den Ver­tre­ter des Lie­gen­schafts­ver­wal­ters han­del­te. Ge­ra­de weil der Zeu­ge sich nicht of­fi­zi­ell vor­stell­te und auf sei­ne Funk­ti­on hin­wies, er­scheint es nicht aus­ge­schlos­sen, dass der Kläger die be­son­de­re Funk­ti­on des Zeu­gen nicht er­kann­te und einschätz­te. Dass er sie viel­leicht hätte er­ken­nen können, ist un­er­heb­lich. Denn die Be­lei­di­gung des Ver­tre­ters ei­nes Kun­den erhält erst da­durch ihr be­son­de­res Ge­wicht, wenn der Be­lei­di­ger po­si­tiv um die Funk­ti­on und Stel­lung des Be­lei­dig­ten weiß.

Da folg­lich nicht mit der ge­bo­te­nen Si­cher­heit an­ge­nom­men wer­den kann, dass der Kläger den Zeu­gen G. als of­fi­zi­el­len Ver­tre­ter der Lie­gen­schafts­ver­wal­tung er­kann­te, ist die Be­lei­di­gung des Zeu­gen – oh­ne sie in­so­weit zu re­la­ti­vie­ren oder zu recht­fer­ti­gen – je­den­falls kündi­gungs­recht­lich an­ders zu be­trach­ten. Es macht ei­nen Un­ter­schied, ob ein Ar­beit­neh­mer in vol­ler Kennt­nis der Rol­le der be­tref­fen­den Per­son die­se be­lei­digt oder ob er sich auf ei­ne Aus­ein­an­der­set­zung mit ei­ner Per­son einlässt, von der er nicht mit Si­cher­heit weiß, dass es sich um den Ver­tre­ter ei­nes Kun­den oder ei­ner sons­ti­gen Per­son han­delt, mit der sein Ar­beit­ge­ber in ei­ner Geschäfts­be­zie­hung steht.

Zu be­ach­ten ist in­so­weit auch ins­be­son­de­re, dass der Kläger in der Ver­gan­gen­heit trotz der be­eng­ten Verhält­nis­se im Park­deck der C.-Fi­lia­le in R. die Si­tua­ti­on dort – je­den­falls aus sei­ner Sicht – mit dem Fahr­zeug meis­ter­te. Wenn er dann auf den Hin­weis des Zeu­gen G., er dürfe dort nicht ein­fah­ren, zu die­sem sag­te, er fah­re dort seit Jah­ren ein, so be­legt dies, dass der Kläger dort schlicht sei­ne Ar­beit er­le­di­gen woll­te und sich dar­an durch den Zeu­gen G. ge­hin­dert sah. Um es in­so­weit deut­lich zu be­to­nen: Die­ses recht­fer­tigt über­haupt nicht das Ver­hal­ten des Klägers, son­dern es soll nur erklärt wer­den, war­um der Kläger sich – in ei­ner zwei­fels­oh­ne nicht zu ak­zep­tie­ren­den Art – ge­genüber dem Zeu­gen G. äußer­te. Die Be­lei­di­gung er­folg­te da­her aus den kon­kre­ten Ge­ge­ben­hei­ten des Ein­zel­fal­les. Kei­nes­wegs kann des­halb zu Las­ten des Klägers an­ge­nom­men wer­den, dass auf­grund die­ses Vor­fal­les die Pro­gno­se ge­recht­fer­tigt ist, es be­ste­he die Ge­fahr, dass er sich zukünf­tig auch wei­ter­hin in der ge­sche­he­nen Art und Wei­se ver­hal­ten wer­de. Im Ge­gen­teil: Es dürf­te sich viel­mehr um ein ein­ma­li­ges und erst­ma­li­ges Ver­sa­gen des Klägers han­deln. Denn in der Ver­gan­gen­heit ist er dies­bezüglich nicht auf­ge­fal­len. Wenn die Be­klag­te

 

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auf die Fra­ge des Vor­sit­zen­den der Be­ru­fungs­kam­mer dar­auf hin­weist, der Kläger ha­be rück­lie­gend im Jah­re 2008 ei­ne Ab­mah­nung we­gen ei­ner falsch ge­lie­fer­ten Tour er­hal­ten und zu­dem zu ei­nem an­de­ren Zeit­punkt ei­nen Ver­kehrs­un­fall ver­ur­sacht, so be­legt dies zwar ei­ne ge­wis­se Störung des Ar­beits­verhält­nis­ses. Die­se ist je­doch nicht ge­eig­net, dar­aus die Pro­gno­se ab­zu­lei­ten, der Kläger sei ei­ne Per­son, die da­zu nei­ge, Per­so­nen zu be­lei­di­gen. Zu Guns­ten des Klägers ist da­her an­ge­sichts feh­len­der ein­schlägi­ger vor­he­ri­ger Vorfälle da­von aus­zu­ge­hen, dass es sich bei der Be­lei­di­gung um ei­ne ein­ma­li­ge Ent­glei­sung und ein ein­ma­li­ges Fehl­ver­hal­ten han­del­te. Dies ist so­dann bei der Prüfung der Verhält­nismäßig­keit der frist­lo­sen Kündi­gung mit der Maßga­be zu berück­sich­ti­gen, dass statt der frist­lo­sen Kündi­gung we­gen der Ein­ma­lig­keit des Vor­gan­ges ei­ne Ab­mah­nung aus­rei­chend ge­we­sen wäre.

In­so­weit ist dar­auf hin­zu­wei­sen, dass auch in der lan­des­ar­beits­ge­richt­li­chen Recht­spre­chung im Rah­men der um­fas­sen­den In­ter­es­sen­abwägung der Um­stand ei­ne Berück­sich­ti­gung fin­det, ob es sich um ei­nen ein­ma­li­gen Vor­gang han­delt. Hin­zu­wei­sen ist in­so­weit auf die Ent­schei­dung des Lan­des­ar­beits­ge­richts Düssel­dorf (Ur­teil v. 10.12.2008 – 12 Sa 1190/08 –, zi­tiert nach JURIS), wo das Ge­richt den von ei­nem Ar­beit­neh­mer ge­genüber dem Grup­pen­lei­ter geäußer­ten Satz „Be­weg doch sel­ber dei­nen Arsch, du bist auch ein fau­les Schwein“, als ein erst- und ein­ma­li­ges Au­gen­blicks­ver­sa­gen an­sah, wel­ches nicht mit ei­ner Kündi­gung, son­dern mit ei­ner Ab­mah­nung zu sank­tio­nie­ren sei. Auch das Lan­des­ar­beits­ge­richt Hamm hat in ei­nem Ur­teil vom 24.07.2008 (LAG Hamm, 8 Sa 632/08 –, zi­tiert nach JURIS Rn. 28) die Be­lei­di­gung ei­nes Vor­ge­setz­ten als „Ras­sis­ten­arsch­loch“ zwar als an sich ge­eig­ne­ten wich­ti­gen Grund i. S. d. § 626 Abs. 1 BGB an­ge­se­hen, die Kündi­gung aber den­noch für un­wirk­sam erklärt, weil sie – trotz der Schwe­re der Pflicht­ver­let­zung – we­gen der Ein­ma­lig­keit des Vor­fal­les un­verhält­nismäßig ge­we­sen sei. Dies bestätigt, dass es kei­nen ab­so­lu­ten frist­lo­sen Kündi­gungs­grund gibt im Fal­le ei­ner Be­lei­di­gung ei­ner Per­son als „fau­les Schwein“ oder „Arsch­loch“. Der Ein­zel­fall ent­schei­det.

Nach al­le­dem er­weist sich auch die hier streit­ge­genständ­li­che frist­lo­se Kündi­gung als un­verhält­nismäßig, weil dem Kläger nicht mit der ge­bo­te­nen Si­cher­heit ent­ge­gen­ge­hal­ten wer­den kann, er ha­be zwei­fels­frei den Zeu­gen G. als Lie­gen­schafts­ver­wal­ter

 

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er­kannt und sich zu­dem die Be­lei­di­gung – oh­ne dass die­se re­la­ti­viert wer­den soll – als ein­ma­li­ge Ent­glei­sung dar­stellt.

Sie bleibt im Übri­gen auch ein ein­ma­lig zu be­ur­tei­len­der Sach­ver­halt, ob­wohl der Kläger den Zeu­gen nach des­sen glaub­haf­ter Be­kun­dung mehr­fach als Arsch­loch ti­tu­liert hat. Zwar ist in­so­weit si­cher­lich zu be­ach­ten, dass nach fort­schrei­ten­dem Ver­lauf der Aus­ein­an­der­set­zung dem Kläger ei­gent­lich im­mer deut­li­cher hätte wer­den müssen, dass es sich bei dem Zeu­gen G. um ei­nen of­fi­zi­el­len Ver­tre­ter ei­ner Kun­din sei­nes Ar­beit­ge­bers han­del­te. Denn war­um soll­te sonst G. nach dem Na­men des Klägers fra­gen und ins­be­son­de­re te­le­fo­nie­ren und fo­to­gra­fie­ren? Den­noch bleibt es der Sa­che nach ein ein­ma­li­ger Vor­gang, der sich dar­in gründet, dass der Zeu­ge G. – wenn auch zu Recht – den Kläger an der Wei­ter­fahrt hin­dern woll­te und der Kläger sich – weil er nach sei­ner Einschätzung die Verhält­nis­se kann­te – an der Er­brin­gung sei­ner Ar­beits­leis­tung ge­hin­dert sah und des­halb ver­bal über­re­agier­te.

c. Auch der Um­stand, dass dem Kläger ge­genüber ein Haus­ver­bot er­teilt wur­de, ver­mag die frist­lo­se Kündi­gung nicht be­gründen. Denn es ist nicht er­kenn­bar, dass die Be­klag­te als große Spe­di­ti­on den Kläger nicht an­der­wei­tig als Fah­rer ein­set­zen kann.

Nach al­le­dem ist die frist­lo­se Kündi­gung vom 31. März 2009 gemäß § 626 Abs. 1 BGB nicht rechtmäßig.

2. Auch die vor­sorg­lich frist­ge­recht aus­ge­spro­che­ne Kündi­gung vom 31. März 2009 und je­ne vom 20. Mai 2009 sind nicht so­zi­al ge­recht­fer­tigt gemäß § 1 Abs. 2 S. 1 KSchG. Denn auch für sie gilt, dass die Be­klag­te vor­ran­gig ei­ne Ab­mah­nung als Re­ak­ti­on auf den streit­ge­genständ­li­chen Vor­fall hätte aus­spre­chen müssen.

3. Da das Ar­beits­verhält­nis fort­be­stand, be­steht auch der vom Ar­beits­ge­richt aus­ge­ur­teil­te Zah­lungs­an­spruch. In­so­weit ist auf die Be­gründung des Ar­beits­ge­richts Be­zug zu neh­men.

Nach al­le­dem ist die Be­ru­fung mit der Kos­ten­fol­ge des § 97 ZPO zurück­zu­wei­sen.

 

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An­lass zur Zu­las­sung der Re­vi­si­on be­steht nicht. Es han­delt sich nicht um ei­nen Fall von grundsätz­li­cher Be­deu­tung. Die höchst­rich­ter­li­che Recht­spre­chung ist ein­deu­tig und geklärt.

 

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