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OLG Cel­le, Be­schluss vom 03.08.2006, 13 U 72/06

   
Schlagworte: Dienstleistungsfreiheit, Tariftreue
   
Gericht: Oberlandesgericht Celle
Aktenzeichen: 13 U 72/06
Typ: Beschluss
Entscheidungsdatum: 03.08.2006
   
Leitsätze: Dem Gerichtshof der Europäischen Gemeinschaften wird zur Auslegung des EG-Vertrages gemäß Art. 234 EG folgende Frage zur Vorabentscheidung vorgelegt:

Stellt es eine nicht gerechtfertigte Beschränkung der Dienstleistungsfreiheit nach den EG-Vertrag dar, wenn dem öffentlichen Auftraggeber durch ein Gesetz aufgegeben wird, Aufträge für Bauleistungen nur an solche Unternehmen zu vergeben, die sich bei der Angebotsabgabe schriftlich verpflichten, ihren Arbeitnehmern bei der Ausführung dieser Leistungen mindestens das am Ort der Ausführung tarifvertraglich vorgesehene Entgelt zu bezahlen (Rn.45)(Rn.48)(Rn.49)?
Vorinstanzen: Landgericht Hannover, 18 O 47/05
   

13 U 72/06

18 O 47/05 Land­ge­richt Han­no­ver  

Verkündet am
3. Au­gust 2006
#######,
Jus­tiz­ober­se­kretärin
als Ur­kunds­be­am­tin
der Geschäfts­stel­le

 

B e s c h l u s s

In dem Rechts­streit

Rechts­an­walt Dr. D. R. in sei­ner Ei­gen­schaft als In­sol­venz­ver­wal­ter über das Vermögen der Ob­jekt und B. GmbH & Co. KG in O.,

Be­klag­ter, Be­ru­fungskläger und Be­ru­fungs­be­klag­ter,

Pro­zess­be­vollmäch­tig­te:
Rechts­anwälte H. & B. in O.,

ge­gen

Land Nie­der­sach­sen, ver­tre­ten durch das Nie­dersäch­si­sche Fi­nanz­mi­nis­te­ri­um, ver-re­ten durch die Ober­fi­nanz­di­rek­ti­on H. in H.,

Kläger, Be­ru­fungs­be­klag­ter und Be­ru­fungskläger,

Pro­zess­be­vollmäch­tig­te:
Rechts­anwälte B. und Part­ner in C.,


hat der 13. Zi­vil­se­nat des Ober­lan­des­ge­richts Cel­le durch den Vor­sit­zen­den Rich­ter am Ober­lan­des­ge­richt ####### so­wie der Rich­ter am Ober­lan­des­ge­richt ####### und ####### auf­grund der münd­li­chen Ver­hand­lung vom 18. Ju­li 2006 be­schlos­sen:

I.

Das Ver­fah­ren wird aus­ge­setzt.

II.

Dem Ge­richts­hof der Eu­ropäischen Ge­mein­schaf­ten wird zur Aus­le­gung des EG-Ver­tra­ges gemäß Art. 234 EG fol­gen­de Fra­ge zur Vor­ab­ent­schei­dung vor­ge­legt:

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Stellt es ei­ne nicht ge­recht­fer­tig­te Be­schränkung der Dienst­leis­tungs­frei­heit nach den EG-Ver­trag dar, wenn dem öffent­li­chen Auf­trag­ge­ber durch ein Ge­setz auf­ge­ge­ben wird, Auf­träge für Bau­leis­tun­gen nur an sol­che Un­ter­neh­men zu ver­ge­ben, die sich bei der An­ge­bots­ab­ga­be schrift­lich ver­pflich­ten, ih­ren Ar­beit­neh­mern bei der Ausführung die­ser Leis­tun­gen min­des­tens das am Ort der Ausführung ta­rif­ver­trag­lich vor­ge­se­he­ne Ent­gelt zu be­zah­len ?

 

Gründe

I.

Das Nie­dersäch­si­sche Lan­des­ver­ga­be­ge­setz (Lan­des­ver­ga­be­ge­setz Nds.) enthält Vor­schrif­ten für die Ver­ga­be öffent­li­cher Auf­träge, so­fern die Auf­träge min­des­tens ei­nen Wert von 10.000 € ha­ben. Das Ge­setz lau­tet aus­zugs­wei­se:

„Präam­bel

Das Ge­setz wirkt Wett­be­werbs­ver­zer­run­gen ent­ge­gen, die auf dem Ge­biet des Bau­we­sens und das öffent­li­chen Per­so­nen­nah­ver­kehrs durch den Ein­satz von Nied­rig­lohn­kräften ent­ste­hen, und mil­dert Be­las­tun­gen für die so­zia­len Si­che­rungs­sys­te­me. Es be­stimmt zu die­sem Zweck, dass öffent­li­che Auf­trag­ge­ber Auf­träge über Bau­maßnah­men und im öffent­li­chen Per­so­nen­nah­ver­kehr nur an Un­ter­neh­men ver­ge­ben dürfen, die das in Ta­rif­verträgen ver­ein­bar­te Ar­beits­ent­gelt am Ort der Leis­tungs­er­brin­gung zah­len.

...

§ 3 Ta­rif­treue­erklärung

(1) Auf­träge für Bau­leis­tun­gen dürfen nur an sol­che Un­ter­neh­men ver­ge­ben wer­den, die sich bei der Auf­ge­bots­ab­ga­be schrift­lich ver­pflich­ten, ih­ren Ar­beit­neh­me­rin­nen und Ar­beit­neh­mern bei der Ausführung die­ser Leis­tun­gen min­des­tens das am Ort der Ausführung ta­rif­ver­trag­lich vor­ge­se­he Ent­gelt zum ta­rif­ver­trag­lich vor­ge­se­he­nen Zeit­punkt zu be­zah­len. Bau­leis­tun­gen im Sin­ne des Sat­zes 1 sind Leis­tun­gen des Bau­haupt­ge­wer­bes und des Bau­ne­ben­ge­wer­bes. Satz 1 gilt auch für die Ver­ga­be von Ver­kehrs­leis­tun­gen im öffent­li­chen Per­so­nen­nah­ver­kehr.

(2) Gel­ten am Ort der Leis­tung meh­re­re Ta­rif­verträge für die­sel­be Leis­tung, so hat der öffent­li­che Auf­trag­ge­ber ei­nen re­präsen­ta­ti­ven Ta­rif­ver­trag zu­grun­de zu le­gen, der mit ei­ner ta­riffähi­gen Ge­werk­schaft ver­ein­bart wur­de. Die Lan­des­re­gie­rung wird ermäch­tigt, durch Ver­ord­nung zu be­stim­men, in

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wel­chem Ver­fah­ren fest­ge­stellt wird, wel­che Ta­rif­verträge als re­präsen­ta­tiv im Sin­ne von Satz 1 an­zu­se­hen sind. Die Ver­ord­nung kann auch die Vor­be­rei­tung der Ent­schei­dung durch ei­nen Bei­rat vor­se­hen; sie re­gelt in die­sem Fall auch die Zu­sam­men­set­zung des Bei­rats.

§ 4 Nach­un­ter­neh­mer­ein­satz

(1) Der Auf­trag­neh­mer darf Leis­tun­gen, auf die sein Be­trieb ein­ge­rich­tet ist, nur auf Nach­un­ter­neh­mer über­tra­gen, wenn der Auf­trag­ge­ber im Ein­zel­fall schrift­lich zu­ge­stimmt hat. Die Bie­ter sind ver­pflich­tet, schon bei Ab­ga­be ih­res An­ge­bots an­zu­ge­ben, wel­che Leis­tun­gen an Nach­un­ter­neh­mer wei­ter ver­ge­ben wer­den sol­len. So­weit Leis­tun­gen auf Nach­un­ter­neh­mer über­tra­gen wer­den, hat sich der Auf­trag­neh­mer auch zu ver­pflich­ten, den Nach­un­ter­neh­mern die für Auf­trag­neh­mer gel­ten­den Pflich­ten der §§ 3, 4 und 7 Abs. 2 auf­zu­er­le­gen und die Be­ach­tung die­ser Pflich­ten durch die Nach­un­ter­neh­mer zu über­wa­chen.

(2) Die nachträgli­che Ein­schal­tung oder der Wech­sel ei­nes Nach­un­ter­neh­mers be­darf der Zu­stim­mung des Auf­trag­ge­bers; § 6 Abs. 2 gilt ent­spre­chend. Die Zu­stim­mung darf nur we­gen man­geln­der Fach­kun­de, Zu­verlässig­keit oder Leis­tungsfähig­keit des Nach­un­ter­neh­mers so­wie we­gen Nich­terfüllung der Nach­weis­pflicht gemäß § 6 Abs. 2 ver­sagt wer­den.

...

§ 6 Nach­wei­se

(1) Ein An­ge­bot ist von der Wer­tung aus­zu­sch­ließen, wenn der Bie­ter fol­gen­de Un­ter­la­gen nicht bei­bringt:

...

3. ei­ne Ta­rif­treue­erklärung nach § 3.

...

(2) Soll die Ausführung ei­nes Teils des Auf­trags ei­nem Nach­un­ter­neh­mer über­tra­gen wer­den, so sind bei der Auf­trags­er­tei­lung auch die auf den Nach­un­ter­neh­mer lau­ten­den Nach­wei­se gemäß Ab­satz 1 vor­zu­le­gen.

§ 7 Kon­trol­len

(1) Der öffent­li­che Auf­trag­ge­ber ist be­rech­tigt, Kon­trol­len durch­zuführen, um die Ein­hal­tung der ge­for­der­ten Ver­ga­be­vor­aus­set­zun­gen zu über­prüfen. Er darf zu die­sem Zweck Ein­blick in die Ent­gel­tab­rech­nun­gen der Auf­trag­neh­mer und der Nach­un­ter­neh­mer und die Un­ter­la­gen über die Abführung von Steu­ern und Beiträgen gemäß § 6 Abs. 1 so­wie in die zwi­schen Auf­trag­neh­mer und Nach­un­ter­neh­mer ab­ge­schlos­se­nen Werk­verträge neh­men. Der Auf­trag­neh­mer hat sei­ne Beschäfti­gen auf die Möglich­keit sol­cher Kon­trol­len hin­zu­wei­sen.

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(2) Der Auf­trag­neh­mer und sei­ne Nach­un­ter­neh­mer ha­ben vollständi­ge und prüffähi­ge Un­ter­la­gen gemäß Ab­satz 1 über die ein­ge­setz­ten Beschäfti­gen be­reit­zu­hal­ten. Auf Ver­lan­gen des öffent­li­chen Auf­trag­ge­bers sind ihm die­se Un­ter­la­gen vor­zu­le­gen.

 

§ 8 Sank­tio­nen

(1) Um die Ein­hal­tung der Ver­pflich­tun­gen gemäß den §§ 3, 4 und 7 Abs. 2 zu si­chern, ha­ben die öffent­li­chen Auf­trag­ge­ber für je­den schuld­haf­ten Ver­s­toß ei­ne Ver­trags­s­traße in Höhe von 1 vom Hun­dert, bei meh­re­ren Verstößen bis zu 10 vom Hun­dert des Auf­trags­wer­tes mit dem Auf­trag­neh­mer zu ver­ein­ba­ren. Der Auf­trag­neh­mer ist zur Zah­lung ei­ner Ver­trags­stra­fe nach Satz 1 auch für den Fall zu ver­pflich­ten, dass der Ver­s­toß durch ei­nen von ihm ein­ge­setz­ten Nach­un­ter­neh­mer oder ei­nen von die­sem ein­ge­setz­ten Nach­un­ter­neh­mer be­gan­gen wird, es sei denn, dass der Auf­trag­neh­mer den Ver­s­toß we­der kann­te noch ken­nen muss­te. Ist die ver­wirk­te Ver­trags­stra­fe un­verhält­nismäßig hoch, so kann sie vom Auf­trag­ge­ber auf An­trag des Auf­trag­neh­mers auf den an­ge­mes­se­nen Be­trag her-ab­ge­setzt wer­den.

(2) Die öffent­li­chen Auf­trag­ge­ber ver­ein­ba­ren mit dem Auf­trag­neh­mer, dass die Nich­terfüllung der in § 3 ge­nann­ten An­for­de­run­gen durch den Auf­trag­neh­mer oder sei­ne Nach­un­ter­neh­mer so­wie grob fahrlässi­ge oder mehr­fa­che Verstöße ge­gen die Ver­pflich­tun­gen der §§ 4 und 7 Abs. 2 den öffent­li­chen Auf­trag­ge­ber zur frist­lo­sen Kündi­gung be­rech­ti­gen.

(3) Hat ein Un­ter­neh­men nach­weis­lich min­des­tens grob fahrlässig oder mehr­fach ge­gen Ver­pflich­tun­gen die­ses Ge­set­zes ver­s­toßen, so können es die öffent­li­chen Auf­trag­ge­ber je­weils für ih­ren Zuständig­keits­be­reich von der öffent­li­chen Auf­trags­ver­ga­be für die Dau­er von bis zu ei­nem Jahr aus­sch­ließen.

(4) Das Land rich­tet ein Re­gis­ter über Un­ter­neh­men ein, die nach Ab­satz 3 von der Ver­ga­be öffent­li­cher Auf­träge aus­ge­schlos­sen wor­den sind.

Das Land Nie­der­sach­sen er­teil­te im Herbst 2003 der Be­klag­ten nach öffent­li­cher Aus­schrei­bung ei­nen Auf­trag für Roh­bau­ar­bei­ten beim Bau der Jus­tiz­voll­zugs­an­stalt G.-R. Die Auf­trags­sum­me be­trug 8.493.331 € zzgl. MWSt. Ge­gen­stand des Ver­trags war die vom Land vor­for­mu­lier­te „Ver­ein­ba­rung zur Ein­hal­tung der ta­rif­ver­trag­li­chen Be­stim­mun­gen bei der Ausführung von Bau­leis­tun­gen“, in der es heißt:

„Mei­nem/Un­se­rem An­ge­bot liegt die nach­ste­hen­de Ver­ein­ba­rung zu­grun­de:

Zu § 3 des Lan­des­ver­ga­be­ge­set­zes (Ta­rif­treue­erklärung):

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Ich ver­pflich­te mich im Fall der Auf­trags­er­tei­lung, den in mei­nem Un­ter­neh­men beschäftig­ten Ar­beit­neh­me­rin­nen und Ar­beit­neh­mern bei der Ar­beitsführung der be­auf­trag­ten Leis­tun­gen min­des­tens das am Ort der Ausführung ta­rif­ver­trag­lich vor­ge­se­he­ne Ent­gelt nach dem aus der Lis­te der re­präsen­ta­ti­ven Ta­rif­verträge un­ter Nr. 01 „Bau­ge­wer­be“ ge­nann­ten Ta­rif­ver­trag ... zu zah­len.

 

Zu § 4 des Lan­des­ver­ga­be­ge­set­zes (Nach­un­ter­neh­mer­ein­satz):

Mir ist be­kannt, dass ich Leis­tun­gen, auf die mein Be­trieb ein­ge­rich­tet ist, nur auf Nach­un­ter­neh­mer über­tra­gen darf, wenn der Auf­trag­neh­mer im Ein­zel­fall schrift­lich zu­ge­stimmt hat.

...

Ich ver­pflich­te mich, auch den Nach­un­ter­neh­mern die für mich gel­ten­den Pflich­ten der §§ 3, 4 und 7 Abs. 2 des Lan­des­ver­ga­be­ge­set­zes auf­zu­er­le­gen und die Be­ach­tung die­ser Pflich­ten durch die Nach­un­ter­neh­mer zu über­wa­chen.

Mir ist be­kannt, dass die nachträgli­che Ein­schal­tung oder der Wech­sel ei­nes Nach­un­ter­neh­mers der Zu­stim­mung des Auf­trag­ge­bers be­darf.

 

Zu § 8 des Lan­des­ver­ga­be­ge­set­zes (Sank­tio­nen und Ver­trags­stra­fe):

Ich ver­pflich­te mich, für je­den schuld­haf­ten Ver­s­toß ge­gen die vor­ste­hen­den ver­trag­li­chen Ver­pflich­tun­gen zu den §§ 3 und 4 des Lan­des­ver­ga­be­ge­set­zes so­wie ge­gen die ge­setz­li­chen Ver­pflich­tun­gen gemäß § 7 Abs. 2 des Lan­des­ver­ga­be­ge­set­zes ei­ne Ver­trags­stra­fe in Höhe von 1 v. H. des Auf­trags­wer­tes, bei meh­re­ren Verstößen bis zu 10 v. H. des Auf­trags­wer­tes, je nach pflicht-gemäßem Er­mes­sen des öffent­li­chen Auf­trag­ge­bers an den Auf­trag­ge­ber zu zah­len. Die­se Ver­pflich­tung um­fasst auch Verstöße des von mir ein­ge­setz­ten Nach­un­ter­neh­mers oder ei­nes von die­sem ein­ge­setz­ten Nach­un­ter­neh­mers (Nach­nach­un­ter­neh­mers), so­weit die Verstöße mir be­kannt wa­ren oder ich sie hätte ken­nen müssen.

Ich bin da­mit ein­ver­stan­den, dass die Nich­terfüllung der in § 3 des Lan­des­ver­ga­be­ge­set­zes ge­nann­ten An­for­de­run­gen durch mich oder durch die von mir ein­ge­setz­ten Nach­un­ter­neh­mer so­wie grob fahrlässi­ge oder mehr­fa­che Verstöße ge­gen die Ver­pflich­tun­gen der §§ 4 und 7 Abs. 2 des Lan­des­ver­ga­be­ge­set­zes den Auf­trag­ge­ber zur frist­lo­sen Kündi­gung be­rech­ti­gen.“

Die Be­klag­te setz­te die Fa. P. K. Z. Sp.zo.o. aus T./P. mit ei­ner Zweig­nie­der­las­sung in W./D. als Nach­un­ter­neh­mer ein. Im Som­mer 2004 ge­riet die­ses Un­ter­neh­men in Ver­dacht, bei dem Bau­vor­ha­ben pol­ni­sche Ar­bei­ter un­ter­ta­rif­lich beschäftigt zu ha­ben. Nach Be­ginn der Er­mitt­lun­gen kündig­ten so­wohl die Be­klag­te als auch das Land Nie­der­sach­sen den zwi­schen ih­nen ge­schlos­se-

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nen Werk­ver­trag. Das Land stütz­te die Kündi­gung u. a. dar­auf, dass die Be­klag­te ge­gen die ver­ein­bar­te Ta­rif­treue­pflicht ver­s­toßen ha­be. Ge­gen den Haupt­ver­ant­wort­li­chen der Fa. PKZ er­ging ein Straf­be­fehl, der den Vor­wurf ent­hielt, den auf der Bau­stel­le ein­ge­setz­ten 53 Ar­beit­neh­mern nur 46,57 % des ge­setz­lich vor­ge­se­he­nen Min­dest­lohns aus­ge­zahlt zu ha­ben. Der Straf­be­fehl ist recht­kräftig ge­wor­den.

Das Land hat die Ver­trags­stra­fe - teil­wei­se im We­ge der Auf­rech­nung mit rest­li­chen Werklohn­ansprüchen der Be­klag­ten - gel­tend ge­macht. Es hat vor­ge­tra­gen, der Be­klag­ten hätten die Verstöße des Nach­un­ter­neh­mers be­kannt sein müssen. Die un­ter­ta­rif­li­che Be­zah­lung ei­nes je­den Mit­ar­bei­ters stel­le ei­nen ge­son­der­ten Ver­s­toß dar, so dass ei­ne Ver­trags­stra­fe in Höhe von 10 % der Auf­trags­sum­me an­ge­fal­len sei.

Die Be­klag­te ist der Kla­ge ent­ge­gen­ge­tre­ten.

Das Land­ge­richt hat fest­ge­stellt, dass die Werklohn­for­de­rung der Be­klag­ten durch Auf­rech­nung der Kläge­rin mit dem ihr zu­ste­hen­den Ver­trags­stra­fen­an­spruch in Höhe von 84.934,31 € (1 % der Auf­trags­sum­me) er­lo­schen ist. Die wei­ter­ge­hen­de Kla­ge hat es ab­ge­wie­sen.

Bei­de Par­tei­en ver­fol­gen mit der Be­ru­fung ih­re erst­in­stanz­li­chen Anträge wei­ter.

II.

Die Aus­le­gung des Rechts­streits hängt da­von ab, ob der Se­nat das Lan­des­ver­ga­be­ge­setz Nds., ins­be­son­de­re § 8 Abs. 1 des Ge­set­zes un­an­ge­wen­det zu las­sen hat, weil das Ge­setz nicht mit der Dienst­leis­tungs­frei­heit des Art. 49 EG ver­ein­bar ist. Der Se­nat will die Ent­schei­dung über die An­wend­bar­keit des Lan­des­ver­ga­be­ge­set­zes nicht tref­fen, oh­ne zu­vor dem Ge­richts­hof der Eu­ropäischen Ge­mein­schaf­ten gemäß Art. 234 Satz 1 lit. a EG die im Be­schluss­te­nor ge­nann­te, bis­lang nicht geklärte Fra­ge vor­zu­le­gen.

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1. Die Fra­ge ist ent­schei­dungs­er­heb­lich.

a) Von ih­rer Be­ant­wor­tung hängt es ab, ob das Lan­des­ver­ga­be­ge­setz Nds. außer An­wen­dung blei­ben muss.  

b) Im Fal­le der Nicht­an­wend­bar­keit des Lan­des­ver­ga­be­ge­set­zes Nds. wäre die in der vom Auf­trag­ge­ber für ei­ne Viel­zahl von Verträgen vor­for­mu­tier­ten „Ver­ein­ba­rung zur Ein­hal­tung der ta­rif­ver­trag­li­chen Be­stim­mun­gen bei der An­wen­dung von Bau­leis­tun­gen“ ent­hal­te­ne Ta­rif­treue­ver­pflich­tung nebst Ver­trags­stra­fen­klau­sel nach vorläufi­ger Be­ur­tei­lung des Se­nats gemäß § 307 Abs. 1 Satz 1 BGB un­wirk­sam. Nach die­ser Vor­schrift sind Be­stim­mun­gen in AGB un­wirk­sam, wenn sie den Ver­trags­part­ner des Ver­wen­ders ent­ge­gen den Ge­bo­ten von Treu und Glau­ben un­an­ge­mes­sen be­nach­tei­li­gen. Ei­ne un­an­ge­mes­se­ne Be­nach­tei­li­gung ist gemäß § 307 Abs. 2 Nr. 1 BGB im Zwei­fel an­zu­neh­men, wenn ei­ne Be­stim­mung mit we­sent­li­chen Grund­ge­dan­ken der ge­setz­li­chen Re­ge­lung, von der ab­ge­wi­chen wird, nicht zu ver­ein­ba­ren ist. Ge­setz­li­che Re­ge­lun­gen in die­sem Sinn sind die eu­ro­pa­recht­li­chen Be­stim­mun­gen über die Dienst­leis­tungs­frei­heit. Die­se Be­stim­mun­gen grei­fen hier nach Auf­fas­sung des Se­nats ein, weil we­der all­ge­mein noch bei dem in Re­de ste­hen­den Auf­trag an­zu­neh­men ist, das Un­ter­neh­men, die in an­de­ren Mit­glied­staa­ten nie­der­ge­las­sen sind, kein In­ter­es­se an 10.000 € über­schrei­ten­den Auf­trägen für Roh­bau­ar­bei­ten in der Bun­des­re­pu­blik Deutsch­land ha­ben. Ei­ne eu­ro­pa­rechts­wid­ri­ge Ta­rif­treue­ver­pflich­tung ein­sch­ließlich der für den Fall ei­nes Ver­s­toßes ge­gen die Ver­pflich­tung ver­ein­bar­ten Ver­trags­stra­fe wäre un­wirk­sam. Die Ver­trags­stra­fen­ver­pflich­tung wäre bei Nicht­an­wend­bar­keit des Lan­des­ver­ga­be­ge­set­zes Nds. auch des­halb un­wirk­sam, weil sie auch bei we­ni­ger gra­vie­ren­den, fol­ge­lo­sen Verstößen - et­wa ge­gen die Ver­pflich­tung, Nach­un­ter­neh­mer im Hin­blick auf ih­re Ta­rif­treue zu über­wa­chen oder die Ver­pflich­tung, die in § 7 Abs. 1 be­zeich­ne­ten Un­ter­la­gen über die ein­ge­setz­ten Beschäftig­ten vollständig und prüffähig be­reit­zu­hal­ten - un­abhängig da­von anfällt, ob der Auf­trag­neh­mer mit die­sen Ver­pflich­tun­gen in Ver­zug ge­ra­ten ist.

c) Ste­hen die eu­ro­pa­recht­li­chen Vor­schrif­ten der An­wend­bar­keit des Lan­des­ver­ga­be­ge­set­zes Nds. nicht ent­ge­gen, so muss zunächst ge­prüft wer­den,

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ob sich die Ungültig­keit des Ge­set­zes aus na­tio­na­len Vor­schrif­ten er­gibt (vgl. Vor­la­ge­schluss des Bun­des­ge­richts­hofs an das Bun­des­ver­fas­sungs­ge­richts vom 18. Ja­nu­ar 2000, Ak­ten­zei­chen KVR 23/98, be­tref­fend das Ber­li­ner Ver­ga­be­ge­setz). Liegt auch kei­ne Un­wirk­sam­keit des Lan­des­ver­ga­be­ge­set­zes Nds. nach den na­tio­na­len Be­stim­mun­gen vor, so schei­det ei­ne Un­wirk­sam­keit der ver­ein­bar­ten Ver­trags­stra­fen­ver­pflich­tung gemäß § 307 Abs. 1 BGB nach vorläufi­ger Be­ur­tei­lung des Se­nats aus, weil § 307 Abs. 1 BGB dann ent­we­der von vorn­her­ein nicht ein­greift (§ 307 Abs. 3 Satz 1 BGB), oder weil der Um­stand, dass die Ver­trags­stra­fen­ver­ein­ba­rung den öffent­li­chen Auf­trag­ge­bern in § 8 Abs. 1 Lan­des­ver­ga­be­ge­setz Nds. zwin­gend vor­ge­schrie­ben ist, bei der An­ge­mes­sen­heits­prüfung im Rah­men des § 307 Abs. 1 BGB ent­schei­dend berück­sich­tigt wer­den muss.

2. Ob das Lan­des­ver­ga­be­ge­setz Nie­der­sach­sen im Hin­blick auf die Ta­rif­treue­pflicht mit der Dienst­leis­tungs­frei­heit gemäß Art. 49 EG ver­ein­bar ist, ist um-strit­ten.

Nach ständi­ger Recht­spre­chung des Ge­richts­hofs der Eu­ropäischen Ge­mein­schaf­ten ver­langt Art. 49 EG die Auf­he­bung al­ler Be­schränkun­gen - selbst wenn sie un­ter­schieds­los für inländi­sche Dienst­leis­ten­de wie für sol­che aus an­de­ren Mit­glied­staa­ten gel­ten -, so­fern sie ge­eig­net sind, die Tätig­kei­ten des Dienst­leis­ten­den, der in ei­nem an­de­ren Mit­glieds­staat ansässig ist und der dort rechtmäßig ähn­li­che Dienst­leis­tun­gen er­bringt, zu un­ter­bin­den, zu be­hin­dern oder we­ni­ger at­trak­tiv zu ma­chen. Die An­wen­dung na­tio­na­ler Re­ge­lun­gen des Auf­nahm­e­mit­glied­staats für Dienst­leis­ten­de ist ge­eig­net, Dienst­leis­tun­gen von in an­de­ren Mit­glied­staa­ten ansässi­gen Per­so­nen oder Un­ter­neh­men zu un­ter­bin­den, zu be­hin­dern oder we­ni­ger at­trak­tiv zu ma­chen, so­fern sie zusätz­li­che ad­mi­nis­tra­ti­ve und wirt­schaft­li­che Kos­ten und Be­las­tun­gen ver­ur­sacht (EuGH, Ur­teil vom 12. Ok­to­ber 2004 in der Rechts­sa­che C-60/03, Rn. 31, 32; Ur­teil vom 24. Ja­nu­ar 2002 in der Rechts­sa­che C-164/99, Rn. 16, 18 m. w. N.).

Die Ta­rif­treue­ver­pflich­tun­gen ha­ben zu Fol­ge, dass die Bau­un­ter­neh­men an­de­rer Mit­glied­staa­ten die ih­ren Ar­beit­neh­mern ge­zahl­ten Ent­gel­te dem re­gel-

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mäßig höhe­ren Ni­veau am Ort der Ausführung in der Bun­des­re­pu­blik Deutsch­land an­pas­sen müssen. Da­durch ver­lie­ren sie ih­ren auf­grund ge­rin­ge­rer Lohn­kos­ten be­ste­hen­den Wett­be­werbs­vor­teil. Die Ta­rif­treue­ver­pflich­tung stellt da­mit ei­ne Be­hin­de­rung des Markt­zu­gangs für Per­so­nen oder Un­ter­neh­men aus an­de­ren Mit­glied­staa­ten dar.

Sol­che Re­ge­lun­gen können ge­recht­fer­tigt sein, wenn sie auf zwin­gen­den Gründen des All­ge­mein­in­ter­es­ses be­ru­hen, so­weit die­ses In­ter­es­se nicht be­reits durch Vor­schrif­ten geschützt wird, de­nen der Dienst­leis­ten­de in dem Mit­glied­staat un­ter­liegt, in dem er ansässig ist, und so­fern sie ge­eig­net sind, die Ver­wirk­li­chung des mit ih­nen ver­folg­ten Zie­les zu gewähr­leis­ten, oh­ne über das hin­aus­zu­ge­hen, was zur Er­rei­chung die­ses Zie­les er­for­der­lich ist. Zu dem be­reits vom Ge­richts­hof an­er­kann­ten zwin­gen­den Gründen des All­ge­mein­in­ter­es­ses gehört der Schutz der Ar­beit­neh­mer (EuGH, Ur­teil vom 12. Ok­to­ber 2004 in der Rechts­sa­che C-60/03 Rn. 34, 35; Ur­teil vom 24. Ja­nu­ar 2002 in der Rechts­sa­che C-164/99 Rn. 19, 20 m. w. N.).

Ob die­se Vor­aus­set­zun­gen im Hin­blick auf Ta­rif­treue­ver­pflich­tun­gen ge­ge­ben sind, wie sie nach dem Lan­des­ver­ga­be­ge­setz Nds. von den öffent­li­chen Auf­trag­ge­bern ver­ein­bart wer­den müssen, ist um­strit­ten.

Teil­wei­se wird ver­tre­ten, dass Ta­rif­treue­erklärun­gen mit Art. 49 EG grundsätz­lich ver­ein­bar sind (vgl. Mühl­bach RdA 2003, 239; Däubler ZIP 2000, 681). Nach der Recht­spre­chung des EuGH ver­weh­re das Ge­mein­schafts­recht ei­nem Mit­glied­staat grundsätz­lich nicht, ein Un­ter­neh­men mit Sitz in ei­nem an­de­ren Mit­glied­staat, das Dienst­leis­tun­gen im erst­ge­nann­ten Mit­glied­staat er­brin­ge, zu ver­pflich­ten, sei­nen Ar­beit­neh­mern die durch na­tio­na­le Vor­schrif­ten oder durch Ta­rif­verträge fest­ge­leg­ten Min­destlöhne zu zah­len. Wie der Ent­schei­dung in der Sa­che Fi­nal­ar­te (EuGH, Ur­teil vom 25. Ok­to­ber 2001 in der Rechts­sa­che C-49/98) zu ent­neh­men sei, ent­spre­che zwin­gen­den Gründen des All­ge­mein­in­ter­es­ses nicht nur ei­ne Ver­pflich­tung auf Min­dest­ar­beits­be­din­gun­gen son­dern auch die Ver­pflich­tung auf die ortsübli­chen Ta­rif­be­din­gun­gen (Mühl­bach a. a. O.).

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Dem­ge­genüber kann nach herr­schen­der Mei­nung, die der Se­nat für vor­zugswürdig hält, nicht da­von aus­ge­gan­gen wer­den, dass die Ta­rif­treue­ver­pflich­tun­gen auf zwin­gen­den Gründen des All­ge­mein­in­ter­es­ses be­ru­hen (Leh­ne/Haak, ZfBR 2002, 656; Kon­zen, NZA 2002, 781; Kling, EuZW 2002, 229; Kämme­rer/Thüsing, ZIP 2002, 596; Ka­ren­fort, BB 1999, 1825; Knip­per WuW 1999, 677; Gröning ZIP 1999, 52). Das Ta­rif­treue­ge­setz be­zwe­cke zu­min­dest auch ei­ne Ab­schot­tung der deut­schen Bau­un­ter­neh­men vor der Kon­kur­renz aus an­de­ren Mit­glied­staa­ten. Ein sol­cher wirt­schaft­li­cher Zweck könne nach der Rechts­spre­chung des EuGH (Ur­teil vom 25. Ok­to­ber 2001 in der Rechts­sa­che C-49/98) nicht als zwin­gen­des Er­for­der­nis des All­ge­mein­in­ter­es­ses ei­ne Be­schränkung der Dienst­leis­tungs­frei­heit recht­fer­ti­gen. Die „Min­dest­lohn“-Rechts­spre­chung des EuGH (Ur­teil vom 12. Ok­to­ber 2004 in der Rechts­sa­che C-60/03; Ur­teil vom 24. Ja­nu­ar 2002 in der Rechts­sa­che C-164/99; Ur­teil vom 15. März 2001 in der Rechts­sa­che C-165/98) grei­fe nicht ein, weil die ge­for­der­ten Lohn- und Ge­halts­ta­ri­fe am Ort der Ausführung weit­aus höher lägen als die Min­des­tent­gelt­re­ge­lun­gen, die in Deutsch­land im Ar­beit­neh­mer­ent­sen­de­ge­setz fest­ge­legt sei­en. Es ge­he bei der Ta­rif­treue­ver­pflich­tung mit­hin um ei­ne über die bis­he­ri­gen ge­setz­li­chen bzw. ta­rif­ver­trag­li­chen Ver­pflich­tun­gen hin­aus­ge­hen­de, über­schießen­de Lohn­zah­lungs­ver­pflich­tung der EG-ausländi­schen Auf­trag­neh­mer. Die­se Ver­pflich­tung über­schrei­te das zum Schutz der Ar­beit­neh­mer er­for­der­li­che Maß. Das zum Schutz der Ar­beit­neh­mer Er­for­der­li­che wer­de durch den Min­dest­lohn­stan­dard mar­kiert. Für die ausländi­schen Ar­beit­neh­mer be­wir­ke die Ta­rif­treue­ver­pflich­tung ge­ra­de nicht die fak­ti­sche Gleich­stel­lung mit den deut­schen Ar­beit­neh­mern, son­dern ver­hin­de­re re­gelmäßig ih­re Beschäfti­gung in der Bun­des­re­pu­blik Deutsch­land, weil ihr Ar­beit­ge­ber sei­nen Kos­ten­vor­teil nicht in den Wett­be­werb ein­brin­gen könne.


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