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BAG, Ur­teil vom 28.05.1998, 2 AZR 549/97

   
Schlagworte: Fragerecht des Arbeitgebers, Stasi, Anfechtung
   
Gericht: Bundesarbeitsgericht
Aktenzeichen: 2 AZR 549/97
Typ: Urteil
Entscheidungsdatum: 28.05.1998
   
Leitsätze:

1. Die wahrheitswidrige Beantwortung der Frage nach einer Mitarbeit für das Ministerium für Staatssicherheit der ehemaligen DDR kann bei einer Einstellung in den öffentlichen Dienst unter Umständen die Anfechtung des Arbeitsvertrages wegen einer arglistigen Täuschung gemäß §§ 123, 142 BGB rechtfertigen.

2. Die Anfechtung ist jedoch ausgeschlossen ( § 242 BGB), wenn die Rechtslage des Getäuschten im Zeitpunkt der Anfechtung nicht mehr beeinträchtigt ist (Bestätigung der ständigen Rechtsprechung, vgl. BAG Urteil vom 11. November 1993 - 2 AZR 467/93 - BAG 75, 77, 86 = AP Nr. 38 zu § 123 BGB).

Vorinstanzen: Arbeitsgericht Hamburg
Landesarbeitsgericht Hamburg
   


2 AZR 549/97
2 Sa 3/97 Ham­burg


Im Na­men des Vol­kes!

Verkündet am

28. Mai 1998

Ur­teil

Bitt­ner,
Amts­in­spek­tor
als Ur­kunds­be­am­ter
der Geschäfts­stel­le

In Sa­chen


pp.

hat der Zwei­te Se­nat des Bun­des­ar­beits­ge­richts auf­grund der münd­li­chen Ver­hand­lung vom 23. April 1998 durch den Vor­sit­zen­den

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Rich­ter Dr. Et­zel, die Rich­ter Bit­ter und Dr. Fi­scher­mei­er so­wie die eh­ren­amt­li­chen Rich­ter The­len und Dr. Ben­sin­ger für Recht er­kannt


1. Auf die Re­vi­si­on der Be­klag­ten wird das Ur­teil des Lan­des­ar­beits­ge­richts Ham­burg vom 27. Mai 1997 - 2 Sa 3/97 - auf­ge­ho­ben.

2. Die Be­ru­fung des Klägers ge­gen das Ur­teil des Ar­beits­ge­richts Ham­burg vom 19. De­zem­ber 1996 - 1 Ca 180/96 - wird zurück­ge­wie­sen.

3. Der Kläger trägt auch die wei­te­ren Kos­ten des Rechts­streits.

Von Rechts we­gen!

Tat­be­stand:

Der Kläger war bei der be­klag­ten Be­rufs­ge­nos­sen­schaft auf­grund ei­nes am 5. bzw. 6. Sep­tem­ber 1990 un­ter­zeich­ne­ten Ar­beits­ver­tra­ges tätig, und zwar nach Ab­schluß der ent­spre­chen­den Aus­bil­dung als tech­ni­scher Auf­sichts­be­am­ter im An­ge­stell­ten­verhält­nis zu ei­nem Brut­to­mo­nats­ent­gelt von zu­letzt 7.000,00 DM. Der Ein­stel­lung gin­gen zwei im Au­gust 1990 in Frei­burg geführ­te Gespräche, und zwar ein Vor- und so­dann das sog. Ein­stel­lungs­gespräch am 21. Au­gust 1990 vor dem Ver­wal­tungs­aus­schuß des Vor­stan­des der Be­klag­ten vor­aus. Hier­bei wur­de der Kläger nach ei­ner Tätig­keit für das Mi­nis­te­ri­um für Staats­si­cher­heit der ehe­ma­li­gen DDR ge­fragt; der In­halt sei­ner Ant­wort ist strei­tig. Nach Ab­schluß des Ar­beits­ver­tra­ges un­ter­zeich­ne­te der Kläger ei­ne ei­des­statt­li­che Ver­si­che­rung, der­zu­fol­ge er zu kei­ner Zeit in den Diens­ten des Staats­si­cher­heits­diens­tes der DDR stand oder für ihn
 


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tätig war und kei­ne Verstöße ge­gen die Grundsätze der Men­sch­lich­keit be­gan­gen hat.

Mit Schrei­ben vorn 4. Au­gust 1995 teil­te der Bun­des­be­auf­trag­te für die Un­ter­la­gen des Staats­si­cher­heits­diens­tes der ehe­ma­li­gen Deut­schen De­mo­kra­ti­schen Re­pu­blik (im fol­gen­den: Gauck-Behörde) der Be­klag­ten mit, der Kläger sei während sei­ner Tätig­keit in der Volks­ma­ri­ne nach ei­ner mit dem 21. Fe­bru­ar 1963 be­gon­ne­nen Kon­takt­pha­se ab dem 3. Sep­tem­ber 1964 bis zum 27. Sep­tem­ber 1972 für das Mi­nis­te­ri­um für Staats­si­cher­heit (MfS) als sog. In­for­mel­ler Mit­ar­bei­ter (IM) tätig ge­we­sen. Hierüber ver­hal­ten sich ei­ne vom Kläger am 21. Fe­bru­ar 1963 un­ter­zeich­ne­te Ver­pflich­tung zur Wah­rung des Still­schwei­gens und zur Mit­ar­beit so­wie ei­ne Ver­pflich­tungs­erklärung vorn 3. Sep­tem­ber 1964. Der Ein­satz des Klägers für das MfS er­folg­te nach Mit­tei­lung der Gauck-Behörde während der Kon­takt­pha­se mit dem Ziel der all­ge­mei­nen Ab­si­che­rung ei­ner Nach­rich­ten­of­fi­ziersschüler­ein­heit der Of­fi­ziers­schu­le, da­nach als IM mit dem Ziel der Ab­si­che­rung und Aufklärung des Per­so­nal­be­stan­des sei­ner Ein­heit, ins­be­son­de­re der Of­fi­zie­re, mit den Schwer­punk­ten der po­li­tisch-ideo­lo­gi­schen Di­ver­si­on und Ver­bin­dung zu ne­ga­ti­ven Per­so­nen in der Um­ge­bung der Dienst­stel­le. Der Kläger er­stell­te in der Kon­takt­pha­se 18 hand­schrift­li­che Be­rich­te und als IM wei­te­re 29 Be­rich­te. Es exis­tie­ren ins­ge­samt 43 Be­rich­te der Führungs­of­fi­zie­re über Tref­fen mit dem Kläger. Aus­weis­lich ei­nes sol­chen Be­richts des Führungs­of­fi­ziers V vom 24. Ju­li. 1.963 hat der Kläger selbst zu die­sem Kon­takt auf­ge­nom­men und über Fluch­terwägun­gen ei­nes Of­fi­ziersschülers be­rich­tet. Die übri­gen Be­rich­te des Klägers be­tref­fen die Einschätzung von Of­fi-

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zie­ren und Of­fi­ziersschülern, die Si­tua­ti­on in der Ein­heit so­wie po­li­ti­sche Mei­nungsäußerun­gen und West­kon­tak­te ei­nes Ar­mee­an­gehöri­gen. Sei­ne letz­ten Be­rich­te. da­tie­ren vom 12. Ja­nu­ar bzw. 20. Au­gust 1970; der letz­te Treff mit ei­nem Führungs­of­fi­zier er­folg­te am 11. Au­gust 1971. Die ab­sch­ließen­de Einschätzung der für die Ma­ri­ne zuständi­gen MfS-Haupt­ab­tei­lung 1 vom 30. Sep­tem­ber 1971 erwähnt die Treff­dis­zi­plin des Klägers, sein Be­stre­ben zur selbständi­gen Ver­bin­dungs­auf­nah­me, die gu­te Ein­stel­lung zum MfS so­wie die Bemühung, Auf­träge zu erfüllen; er ha­be während der CSSR-Er­eig­nis­se zum Ob­jek­ti­vis­mus ge­neigt, Un­ehr­lich­kei­ten ge­genüber dem MfS sei­en je­doch nicht be­kannt ge­wor­den, der IM sei zur wei­te­ren Ver­wen­dung ge­eig­net. Die MfS-Tätig­keit des Klägers wur­de anläßlich sei­ner Ver­set­zung in die Re­ser­ve be­en­det, da die dort zuständi­ge Dienstein­heit des MfS trotz „sei­ner ent­spre­chen­den Be­reit­schaft kein In­ter­es­se an ei­ner Über­nah­me hat­te.

Nach­dem die Be­klag­te den Kläger mit Schrei­ben vom 14. No­vem­ber 1995 um Stel­lung­nah­me zum Be­richt der Gauck-Behörde ge­be­ten hat­te, ant­wor­te­te der Kläger mit Schrei­ben vom 26. No­vem­ber und 25. De­zem­ber 1995. Nach ent­spre­chen­dem Be­schluß des Ver­wal­tungs­aus­schus­ses vom 9. Februar1996 focht die Be­klag­te das Ar­beits­verhält­nis mit Schrei­ben vom 1. März 1996, zu­ge­gan­gen am 18. März 1996, we­gen arg­lis­ti­ger Täuschung an mit der Be­gründung, ein Be­kannt­wer­den der MfS-Tätig­keit führe nicht nur bei den vom Kläger zu be­treu­en­den Be­trie­ben zu ei­nem ir­re­pa­ra­blen Ver­trau­ens­ver­lust.

Der Kläger hat be­haup­tet, er ha­be im Vor­stel­lungs­gespräch ge­ant­wor­tet, während der Mi­litärzeit Kon­tak­te zur Ar­mee­ab­wehr ge­habt zu ha­ben, außer­dem ha­be er dar­auf hin­ge­wie­sen, daß er sich
 


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ziem­lich si­cher sei, daß die während sei­ner zi­vi­len Tätig­keit ge­fer­tig­ten For­schungs­be­rich­te dort ge­lan­det sei­en; man ha­be ihm dar­auf­hin mit­ge­teilt, daß sich die Be­fra­gung nicht auf die­se Art der Zu­sam­men­ar­beit be­zie­he. Die später un­ter­zeich­ne­te ei­des­statt­li­che Ver­si­che­rung sei ihm erst An­fang Ok­to­ber 1990 anläßlich der Einführungs­wo­che in Ham­burg vor­ge­legt und von- ihm un­ter­zeich­net wor­den. Auch sei die Tätig­keit für das MfS für die Be­klag­te nicht ein­tei­lungs­er­heb­lich ge­we­sen, nur ei­ni­ge der sei­ner­zeit mit ihm ein­ge­stell­ten Mit­ar­bei­ter sei­en da­nach ge­fragt wor­den. Im Hin­blick auf die Un­ter­zeich­nung des Ei­ni­gungs­ver­tra­ges am 31. Au­gust 1990 sei die MfS-Fra­ge man­gels Rechts­grund­la­ge un­zulässig ge­we­sen; dies gel­te auch an­ge­sichts des lan­gen Zwi­schen­zeit­rau­mes seit Be­en­di­gung sei­ner Tätig­keit für das MfS und we­gen des un­be­deu­ten­den In­halts sei­ner Be­rich­te. Kol­lek­tiv­recht­lich sei die Fra­ge we­gen un­ter­blie­be­ner Mit­be­stim­mung des Per­so­nal­ra­tes eben­falls un­zulässig. We­gen der Dau­er der be­an­stan­dungs­frei­en Tätig­keit für die Be­klag­te sei die Ausübung des An­fech­tungs­rechts treu­wid­rig, sie sei erst sie­ben Mo­na­te nach dem Gauck-Be­richt er¬folgt und das An­fech­tungs­recht ver­wirkt.

Der Kläger hat be­an­tragt,

1. fest­zu­stel­len, daß zwi­schen den Par­tei­en über den 18. März 1996 hin­aus ein Ar­beits­verhält­nis fort­be­steht;

2. die Be­klag­te zu ver­ur­tei­len, ihn zu un­veränder­ten Ar­beits­be­din­gun­gen als tech­ni­schen Auf­sichts­be­am­ten wei­ter­zu­beschäfti­gen.

Die Be­klag­te hat zu ih­rem Kla­ge­ab­wei­sungs­an­trag vor­ge­tra­gen, der Kläger ha­be die ihm und al­len an­de­ren Be­wer­bern ge­stell­te

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Sta­si-Fra­ge im Ein­stel­lungs­gespräch ein­deu­tig ver­neint; an­sons­ten wäre er nicht ein­ge­stellt wor­den. Die ei­des­statt­li­che Erklärung sei dem Kläger schon mit Schrei­ben vom 27.:Au­gust 1990 zu­ge­sandt wor­den; er ha­be sie am 6. Sep­tem­ber 1990 aus­gefüllt und zurück­ge­schickt; bei Feh­len der ei­des­statt­li­chen Ver­si­che­rung wäre er nicht ein­ge­stellt wor­den. Selbst wenn der Kläger die­se Erklärung erst nach Ab­schluß des Ar­beits­ver­tra­ges zurück­ge­sandt ha­ben soll­te, hätte sie, die Be­klag­te, imi­tier noch sei­ne späte­re Ver­wen­dung nach Ab­schluß der Aus­bil­dung da­von abhängig ma­chen können, daß er, wie schrift­lich erklärt, nicht für das MfS ge­ar­bei­tet ha­be. Das An­fech­tungs­recht ent­fal­le auch nicht we­gen des lan­gen Zwi­schen­zeit­rau­mes nach Be­en­di­gung der Tätig­keit für das MfS, da die­se Tätig­keit nicht harm­los ge­we­sen und mit den ar­beits­ver­trag­li­chen Auf­ga­ben nicht ver­ein­bar sei; es sei auch nicht ver­wirkt, die ge­setz­li­che Jah­res­frist ein­ge­hal­ten.

Das Ar­beits­ge­richt hat die Kla­ge nach Ver­neh­mung der Zeu­gen Dr. B F und P zu der Fra­ge, ob der Kläger im Ein­stel­lungs­gespräch die Fra­ge nach ei­ner Tätig­keit für das MfS ver­neint hat, ab­ge­wie­sen; das Lan­des­ar­beits­ge­richt hat ihr statt­ge­ge­ben. Mit der Re­vi­si­on ver­folgt die Be­klag­te die Wie­der­her­stel­lung des erst­in­stanz­li­chen Ur­teils:

Ent­schei­dungs­gründe:


Die Re­vi­si­on der Be­klag­ten ist be­gründet. Sie führt zur Auf­he­bung des Be­ru­fungs­ur­teils und zur Wie­der­her­stel­lung der erst­in­stanz­li­chen Ent­schei­dung. Das Ar­beits­verhält­nis hat zum Zeit­punkt
 


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des Zu­gangs der An­fech­tungs­erklärung der Be­klag­ten am 18. März 1996, al­so ex nunc ( gl.BA­GE 41, 54, 64 = AP Nr. 24 zu § 123 BGB, zu IV 3 der Gründe, m.w.N.) sein En­de ge­fun­den, wo­mit auch der Wei­ter­beschäfti­gungs­an­spruch entfällt.

I. Das Lan­des­ar­beits­ge­richt hat an­ge­nom­men, zwar lägen die tat­be­stand­li­chen Vor­aus­set­zun­gen für ei­ne An­fech­tung des Ar­beits­verhält­nis­ses nach § 123 Abs. 1 BGB vor. Die Falsch­be­ant­wor­tung der Fra­ge nach ei­ner MfS-Mit­ar­beit sei arg­lis­tig er­folgt und ha­be kau­sal zum Ar­beits­ver­trags­schluß geführt. Die An­fech­tung stel­le sich je­doch als un­zulässi­ge Rechts­ausübung dar; der An­fech­tungs­grund ha­be so­viel an Be­deu­tung ver­lo­ren, daß er die Auflösung des Ar­beits­verhält­nis­ses nicht mehr recht­fer­ti­gen könne.

II. Dem folgt der Se­nat nur in­so­fern, als das Lan­des­ar­beits­ge­richt die tat­be­stand­li­chen Vor­aus­set­zun­gen des § 123 Abs. 1 BGB als erfüllt an­ge­se­hen hat (zu 1), nicht je­doch hin­sicht­lich der tra­gen­den Be­gründung, die An­fech­tung stel­le ei­ne un­zulässi­ge Rechts­ausübung dar (zu 2). Die Re­vi­si­on rügt zu­tref­fend ei­ne Ver­let­zung der 55 123, 242 BGB.
 

1. Nach den für den Se­nat gemäß § 561 ZPO ver­bind­li­chen Fest­stel­lun­gen des Lan­des­ar­beits­ge­richts lie­gen die tat­be­stand­li­chen Vor­aus­set­zun­gen für ei­ne wirk­sa­me An­fech­tung vor. Da­nach hat die arg­lis­tig getäusch­te Be­klag­te den Ar­beits­ver­trag der Par­tei­en gemäß § 123 Abs. 1 BGB in­ner­halb der Frist des § 124 BGB durch Schrei­ben vom 1. März 1996 mit der Nich­tig­keits­fol­ge des § 142 Abs. 1 BGB an­ge­foch­ten.
 


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a) Zur An­fech­tung gern. § 123 Abs. 1 BGB be­rech­tigt le­dig­lich die wahr­heits­wid­ri­ge Be­ant­wor­tung ei­ner in zulässi­ger Wei­se ge­stell­ten Fra­ge; ei­ne sol­che setzt ein be­rech­tig­tes, bil­li­gens­wer­tes und schutzwürdi­ges In­ter­es­se an der Be­ant­wor­tung vor­aus (BA­GE 75, 77, 81 = AP Nr. 38 zu 5 123 BGB, zu II 1 a der Gründe, m.w.N.); fehlt es hier­an, ist die wahr­heits­wid­ri­ge Be­ant­wor­tung nicht rechts­wid­rig.

(1) Nach den nicht mit ei­ner Ge­genrüge an­ge­grif­fe­nen Fest­stel­lun­gen des Lan­des­ar­beits­ge­richts ist der Kläger im Ein­stel­lungs­gespräch nach ei­ner Tätig­keit für das MfS ge­fragt wor­den. An die­se Fest­stel­lung ist der Se­nat ge­bun­den, § 561 ZPO. Das Be­ru­fungs­ge­richt hat aus­geführt, der Kläger ha­be die­se Fra­ge­stel­lung in ers­ter In­stanz aus­drück­lich ein­geräumt und in zwei­ter In­stanz mit sei­ner Be­haup­tung, zu­min­dest sei nicht al­len Be­wer­bern die­se Fra­ge ge­stellt wor­den, nicht hin­rei­chend be­strit­ten.

(2) Zu­tref­fend sind bei­de Vor­in­stan­zen da­von aus­ge­gan­gen, daß die Be­klag­te den Kläger beim Ein­stel­lungs­gespräch nach ei­ner Tätig­keit für das MfS fra­gen durf­te und die­se Fra­ge grundsätz­lich wahr­heits­gemäß zu be­ant­wor­ten war. Das ent­spricht der Recht­spre­chung des Bun­des­ver­fas­sungs­ge­richts (Ur­teil vom 8. Ju­li 1997 - 1 BvR 2111/94, 195/95 und 2189/95 - BVerfGE 96, 171) und des Se­nats (Ur­tei­le vom 4. De­zem­ber 1997 - 2 AZR 750/96 - AP Nr. 37 zu 5 1 KSchG 1969 Ver­hal­tens­be­ding­te Kündi­gung, zu II 2 c der Gründe; vom 20. Au­gust 1997 - 2 AZR 42/97 RzK 15 1 Nr. 127, zu II 2 der Gründe; vom 13. Ju­ni 1996 - 2 AZR 483/95 - BA­GE 83, 181, 190 = AP Nr. 33 zu § 1 KSchG 1969-i zu II 2 b bb der Gründe; vom
 


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13. Sep­tem­ber 1995 - 2 AZR 862/94 - AP Nr. 53 Ei­ni­gungs­ver­trag An­la­ge *I Kap. XIX, zu II 2 der Gründe) zu kraft Ge­set­zes mit dem Bei­tritt über­ge­gan­ge­nen Ar­beits­verhält­nis­sen, die dar­auf ab­stellt, daß der neue Dienst­ge­ber nach Über­nah­me des Per­so­nals oh­ne Ein­stel­lungsüber­prüfung ei­ne der frei­heit­lich-de­mo­kra­ti­schen Grund­ord­nung ver­pflich­te­te leis­tungsfähi­ge öffent­li­che Ver­wal­tung schaf­fen mußte.

Bei An­bah­nung ei­nes Ar­beits­verhält­nis­ses ist die Fra­ge erst recht zulässig. Nach Art. 33 Abs. 2 GG hat je­der Deut­sche nach sei­ner Eig­nung, Befähi­gung und fach­li­chen Leis­tung glei­chen Zu­gang zu je­dem öffent­li­chen Amt. Zur Eig­nung in die­sem Sin­ne gehören auch die Fähig­keit und die in­ne­re Be­reit­schaft, die dienst­li­che Auf­ga­be nach den Grundsätzen der Ver­fas­sung wahr­zu­neh­men, ins­be­son­de­re die Frei­heits­rech­te der Bürger zu wah­ren und rechts­staat­li­che Re­geln ein­zu­hal­ten (BVerfGE 92, 140, 151; BA­GE 28, 62 = AP Nr. 2 zu Art. 33 Abs. 2 GG). Bei der Be­ur­tei­lung der Eig­nung, Befähi­gung und fach­li­chen Leis­tung als vor­aus­schau­en­der Pro­gno­se steht dem öffent­li­chen Dienst im Rah­men der Ge­wich­tung der Ein­zel­kri­te­ri­en und bei der Ge­samt­abwägung al­ler Umstände ein nur im Hin­blick auf sach­wid­ri­ge Erwägun­gen oder Ver­ken­nung des Art. 33 Abs. 2 GG be­schränkt über­prüfba­rer Be­ur­tei­lungs­spiel­raum zu (BVerfGE 39, 334, 354 = AP Nr. 2 zu Art. 33 Abs. 5 GG, zu C I 5 der Gründe; BVerw­GE 68, 109, 110; 86, 244, 246). Da­nach ist es grundsätz­lich nicht zu be­an­stan­den, wenn bei Ein­stel­lun­gen in den öffent­li­chen Dienst als Kri­te­ri­um auch ei­ne et­wai­ge frühe­re Mit­ar­beit für das MfS her­an­ge­zo­gen wird.
 


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(3) Al­ler­dings be­steht das Fra­ge­recht nach MfS-Tätig­kei­ten in zeit­li­cher Hin­sicht nicht un­ein­ge­schränkt. Zu­tref­fend hat das Lan­des­ar­beits­ge­richt, wenn auch im Rah­men ei­ner In­ter­es­sen­abwägung, auf die lan­ge zurück­lie­gen­de MfS-Tätig­keit des Klägers hin­ge­wie­sen. Nach der Recht­spre­chung des Bun­des­ver­fas­sungs­ge­richts (Ur­teil vom 8. Ju­li 1997, aaO), der sich der Se­nat an­ge­schlos­sen hat (Ur­tei­le vom 20. Au­gust 1997 und 4. De­zem­ber 1997, aa0), hat der Ar­beit­ge­ber bei Ausübung des Fra­ge­rechts den Zeit­fak­tor zu berück­sich­ti­gen, da sich persönli­che Hal­tun­gen im Lau­fe der Zeit ändern können und länge­re be­an­stan­dungs­freie Zei­ten auf in­ne­re Dis­tanz und Ab­kehr von frühe­ren Ein­stel­lun­gen hin­wei­sen können. Des­halb ha­ben Tätig­kei­ten für das MfS, die vor dem Jah­re 1970 ab­ge­schlos­sen sind, je nach dem Grad der Ver­stri­ckung kei­ne oder nur äußerst ge­rin­ge Be­deu­tung für den Fort­be­stand über­nom­me­ner Ar­beits­verhält­nis­se mit der Fol­ge, daß die be­trof­fe­nen Ar­beit­neh­mer auf ei­ne zeit­lich un­be­schränk­te Fra­ge nach MfS-Tätig­kei­ten die vor dem Jah­re 1970 ab­ge­schlos­se­nen Tätig­kei­ten ver­schwei­gen durf­ten; wei­ter zurück­lie­gen­de Tätig­kei­ten sol­len nur dann Be­deu­tung er­hal­ten, wenn sie be­son­ders schwer wie­gen oder wenn späte­re Ver­stri­ckun­gen für sich al­lein ge­nom­men noch kei­ne ein­deu­ti­ge Ent­schei­dung zu­las­sen (BVerfGE 96, 171; Se­nats­ur­teil vom 4. De­zem­ber 1997, aa0).

Die An­wen­dung die­ser Grundsätze er­gibt vor­lie­gend, daß die von der Be­klag­ten ge­stell­te Fra­ge, be­trach­tet man al­lein den Zeit­ab­lauf, noch zulässig war, weil die Tätig­keit des Klägers nicht vor 1970 be­en­det war. Die letz­ten von ihm ver­faßten Be­rich­te da­tie­ren vom 12. Ja­nu­ar und 20. Au­gust 1970; er hat selbst die

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Be­en­di­gung sei­ner Tätig­keit mit dem 20. Au­gust 1970 an­ge­ge­ben und nicht be­strit­ten, sich noch am 11. Au­gust 1971 mit ei­nem Führungs­of­fi­zier ge­trof­fen zu ha­ben. Auch der Sechs­te Se­nat des Bun­des­ar­beits­ge­richts sieht im Rah­men der Be­rech­nung von Beschäfti­gungs­zei­ten im öffent­li­chen Dienst die IM-Tätig­keit im Zwei­fel erst mit dem Zeit­punkt als be­en­det an, in dem der Ver­pflich­tungs­an­laß weg­fiel (Ur­tei­le vom 29. Ja­nu­ar 1998 - 6 AZR 300/96,
360/96, 507/96 -, zur Veröffent­li­chung vor­ge­se­hen).

(4) Ei­ne wei­ter­ge­hen­de zeit­li­che Be­schränkung des Fra­ge­rechts kommt nicht in Be­tracht. Ab­zu­stel­len ist wie­der­um auf die Eig­nungs­re­le­vanz der frag­li­chen Tätig­keit. Das Maß der zu for­dern­den Ver­fas­sungs­treue als Eig­nungs­merk­mal im Sin­ne des Art. 33 Abs. 2 GG rich­tet sich da­nach, wel­che kon­kre­ten Auf­ga­ben der Ar­beit­neh­mer wahr­zu­neh­men hat; es ist für Ar­beit­neh­mer viel­fach nicht das glei­che Maß an Ver­fas­sungs­treue zu er­war­ten wie bei Be­am­ten (BAG Ur­teil vom 13. Ok­to­ber 1988 - 6 AZR 144/85 - AP Nr. 4 zu § 611 BGB Ab­mah­nung, zu IV 1 a der Gründe; BA­GE 53, 137, 146 = AP Nr. 26 zu Art. 33 Abs. 2 GG, zu II 2 der Gründe; BA­GE 28, 62, 69 = AP Nr. 2, aaO, zu III 1 b der Gründe). An­ge­stell­ten und Ar­bei­tern sol­len in der Re­gel kei­ne ho­heit­li­chen Auf­ga­ben über­tra­gen wer­den (Art. 33 Abs. 4 GG); es gibt in der staat­li­chen Ver­wal­tung im wei­tes­ten Sin­ne zahl­rei­che Auf­ga­ben, für die es et­wa auf ei­ne ge­stei­ger­te po­li­ti­sche Treue­pflicht nicht an­kommt, z.B. Rei­ni­gungstätig­kei­ten oder sol­che in Büro- oder tech­ni­schen Be­ru­fen (BA­GE 28, 62, 69 = AP, aaO). Die Beschäfti­gung ei­nes be­las­te­ten Ar­beit­neh­mers mit rein voll­zie­hen­der Sach­be­ar­bei­tung oder hand­werk­li­cher Tätig­keit be­ein­träch­tigt das Ver­trau­en in die Ver­wal-
 


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tung we­ni­ger als die Ausübung von Ent­schei­dungs- und Schlüssel­funk­tio­nen durch ei­nen eben­so be­las­te­ten Ar­beit­neh­mer (BAG Ur­teil vom. 16. Ok­to­ber 1997 - 8 AZR 702/95 - n.v., zu B II 2 der Gründe; vgl. BAG Ur­teil vom 28. Ja­nu­ar 1993 - 8 AZR 415/92 - NJ 1993, 379, 380 für ei­nen Koch; Se­nats­ur­teil vom 20. Au­gust 1997, aaO, für ei­nen Hoch­schul­as­sis­ten­ten).

Der Kläger wur­de kei­nes­falls nur un­ter­ge­ord­net tätig. Aus den Be­tre­tungs-, Un­ter­su­chungs- und An­ord­nungs­kom­pe­ten­zen, de­ren Durch­set­zung zu­dem durch Bußgeld­vor­schrif­ten ge­si­chert ist, er­gibt sich viel­mehr, daß ihm als An­ge­stell­tem ent­ge­gen der Re­gel­fal­lan­ord­nung des Art. 33 Abs. 4 GG die Ausübung ho­heit­li­cher Be­fug­nis­se über­tra­gen war. Bei ei­ner Ver­wen­dung in der­ar­ti­gen Be­rei­chen wird ei­ne wei­te­re zeit­li­che Ein­schränkung des Fra­ge­rechts re­gelmäßig nicht in Be­tracht kom­men. Dies gilt hier un­ge­ach­tet der vorn Lan­des­ar­beits­ge­richt auf­ge­zeig­ten-ent­las­ten­den Umstände an­ge­sichts des Gra­des der Ver­stri­ckung. In der MfS-Ak­te des Klägers be­fin­den sich ins­ge­samt 90 Be­rich­te, da­von 57 ei­ge­ne Be­rich­te des Klägers, von de­nen er be­reits vor sei­ner Wer­bung zum IM im­mer­hin 18 ver­faßt hat. Der In­halt sei­ner Be­rich­te war je­den­falls nicht aus­nahms­los harm­los, so hat der Kläger u.a. am 19. Ju­li 1963 auf ei­ge­ne Initia­ti­ve von Flucht­ge­dan­ken ei­nes Of­fi­ziersschülers be­rich­tet. Die Tätig­keit des Klägers als IM wur­de auch nicht durch ihn selbst, son­dern we­gen man­geln­der Ver­wen­dung durch das MfS be­en­det; der Kläger war im Ge­gen­teil zu wei­te­rer Zu­sam­men­ar­beit be­reit. Auch un­ter Berück­sich­ti­gung des Ver­stri­ckungs­gra­des war die Fra­ge der Be­klag­ten nach ei­ner MfS-Tätig­keit des Klägers so­mit in­di­vi­du­al­recht­lich zulässig.
 


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(5) Die Fra­ge­stel­lung im Vor­stel­lungs­gespräch war auch kol­lek­tiv­recht­lich zulässig, ver­stieß nämlich nicht ge­gen § 75 Abs. 3 Nr. 8 BPers­VG, wo­nach der Per­so­nal­rat beim In­halt von Per­so­nal­fra­ge­bo­gen mit­zu­be­stim­men hat. Es fehl­te vor­lie­gend hin­sicht­lich der dem Kläger ab­ver­lang­ten Erklärun­gen schon am Tat­be­stands­merk­mal ei­nes Per­so­nal­fra­ge­bo­gens.


b) Zu­tref­fend ha­ben die Vor­in­stan­zen auch das Vor­lie­gen ei­ner Täuschungs­hand­lung des Klägers in Form ei­ner nicht wahr­heits­gemäßen Ant­wort be­jaht. Das Ar­beits­ge­richt hat es nach Be­weis­auf­nah­me als er­wie­sen an­ge­se­hen, daß der Kläger die ihm ge­stell­te Fra­ge ver­neint ha­be; hier­in läge un­zwei­fel­haft ei­ne Täuschungs­hand­lung. Das Lan­des­ar­beits­ge­richt hat hin­ge­gen nicht auf die­sen er­brach­ten Be­weis ab­ge­stellt, son­dern auf die vom Kläger selbst zu­ge­stan­de­ne Ant­wort, er ha­be während sei­ner Mi­litärzeit Kon­tak­te zur Mi­litärab­wehr ge­habt; die­se Ant­wort sei auf­grund des ent­stel­len­den Aus­drucks "Kon­tak­te" und der ver­schwie­ge­nen Ver­pflich­tungs­erklärung un­rich­tig. Die­se Be­gründung ist re­vi­si­ons­recht­lich nicht zu be­an­stan­den und wird auch vom Kläger nicht mit ei­ner Ge­genrüge an­ge­grif­fen. Nach dem Vor­brin­gen des Klägers liegt ei­ne Täuschungs­hand­lung vor, weil der Aus­druck "Kon­tak­te" 'in der Tat ent­stel­lend ist und die ak­ti­ve Tätig­keit des Klägers in Form von 47 ei­ge­nen Be­rich­ten eben­so ver­schweigt wie die Erklärung über Schwei­ge­pflicht und Be­reit­schaft. zur Mit­ar­beit vom 21. Fe­bru­ar 1963 und die Ver­pflich­tungs­erklärung vom 3. Sep­tem­ber 1964. Auch sei­ne An­ga­ben zum Ein­stel­lungs­gespräch, sei­ne zi­vi­len For­schungs­be­rich­te sei­en wohl bei der Ar­mee­ab­wehr ge­lan­det, wa­ren falsch und ir­re-

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führend: Der Kläger hat nicht be­strit­ten, tatsächlich nie For­schungs­ar­bei­ten ver­rich­tet zu ha­ben. Un­er­heb­lich ist in die­sem Zu­sam­men­hang die Auf­fas­sung des Klägers, die Be­klag­te hätte präzi­se nach­fra­gen und wei­te­re Aufklärung be­trei­ben müssen. Selbst gro­be Fahrlässig­keit des Erklärungs­empfängers schließt das Vor­lie­gen ei­ner Täuschung nicht aus (st. Rspr., vgl. BGHZ 33, 302, 310, m.w.N.; BGHZ 135,- 269, m.w.N.). Daß die Be­klag­te tatsächlich über die ak­ti­ve MfS-Tätig­keit des Klägers ge­irrt hat, wird auch vom Kläger nicht in Ab­re­de ge­stellt.

c) Die un­rich­ti­ge Be­ant­wor­tung der Fra­ge im 'Vor­stel­lungs­gespräch war kau­sal für den Ab­schluß des Ar­beits­ver­tra­ges. Das ist der Fall, wenn oh­ne den er­zeug­ten Irr­tum die 'Wil­lens­erklärung nicht ab­ge­ge­ben wor­den wäre, wo­bei Mit­ursächlich­keit- der Täuschung genügt und es aus­reicht, wenn der Getäusch­te Umstände dar­ge­tan hat, die für sei­nen Ent­schluß von Be­deu­tung sein können und die Täuschung nach der Le­bens­er­fah­rung Ein­fluß auf die Ent­schei­dung ha­ben kann (BA­GE 75, 77, 84 = AP, aaO, zu II 1 b ee der Gründe; BGHZ 135, 269, je­weils m.w.N.). Zu­tref­fend ist das Lan­des­ar­beits­ge­richt da­von aus­ge­gan­gen, daß al­lein die vom Kläger zu­ge­stan­de­ne Fra­ge­stel­lung im Ein­stel­lungs­gespräch die Kau­sa­lität in­di­ziert. Die­se tatrich­ter­li­che Fest­stel­lung der Kau­sa­lität ist nicht zu be­an­stan­den, zu­mal die mit um­fas­sen­den Kon­troll- und An­wei­sungs­be­fug­nis­sen ein­her­ge­hen­de ho­heit­li­che Art der Tätig­keit die Fra­ge­stel­lung na­he­leg­te. Der Kläger hat auch selbst nicht be­haup­tet, die Be­klag­te ha­be ihn un­abhängig von je­dem Um­fang et­wai­ger MfS-Tätig­kei­ten in je­dem Fal­le "blind" ein­stel­len wol­len.

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d) Der Kläger han­del­te auch arg­lis­tig. Das ist der Fall, wenn der Täuschen­de die Un­rich­tig­keit sei­ner An­ga­ben kennt und zu­min­dest bil­li­gend in Kauf nimmt, der Erklärungs­empfänger könn­te durch die Täuschung be­ein­flußt wer­den (BA­GE 75, 77, 84 = AP, aa0, zu II 1 b ff der Gründe). Ei­ne Ge­genrüge des Klägers zum Vor­lie­gen der vom Lan­des­ar­beits­ge­richt fest­ge­stell­ten Arg­list liegt nicht vor. An­ge­sichts der Dau­er der MfS-Tätig­keit und der Zahl der ver­faßten Be­rich­te muß trotz des ver­gan­ge­nen Zeit­raums da­von aus­ge­gan­gen wer­den, daß der Kläger die Un­rich­tig­keit sei­ner An­ga­ben kann­te. Die Täuschungs­ab­sicht er­gibt sich dar­aus, daß er nach sei­ner Ein­las­sung auf die Kennt­nis der Ar­mee­ab­wehr von sei­nen zi­vi­len For­schungs­be­rich­ten hin­ge­wie­sen hat, ob­wohl er sol­che Ar­bei­ten nie durch­geführt hat. Hier­in liegt ei­ne be­wußte Ir­reführung. Da­mit ist § 123 Abs. 1 BGB tat­be­stand­lich erfüllt.

e) Das An­fech­tungs­recht der Be­klag­ten war nicht da­durch aus­ge­schlos­sen, daß der Kläger sich anläßlich sei­ner nach Ein­gang des Gauck-Be­richts er­folg­ten Be­fra­gung zu der von ihm ab­ge­ge­be­nen Erklärung über Tätig­kei­ten für das MfS und der Be­en­di­gung des Ar­beits­verhält­nis­ses ei­nes Kol­le­gen, der eben­falls für das MfS tätig war, fernmünd­lich mit der Per­so­nal­ab­tei­lung in Ver­bin­dung ge­setzt hat und ihm mit­ge­teilt wor­den war, es han­de­le sich um ei­ne rei­ne Form­sa­che, die An­ge­le­gen­heit sei dann er­le­digt. In die­ser Äußerung wie auch in der einst­wei­li­gen Wei­ter­beschäfti­gung des Klägers liegt kei­ne auch kon­klu­dent mögli­che, die An­fech­tung aus­sch­ließen­de Bestäti­gung im Sin­ne von § 144 Abs. 1 BGB. Es ist schon nicht er­kenn­bar, daß die Äußerung durch ei­nen "An­fech­tungs-
 


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be­rech­tig­ten" im Sin­ne die­ser Vor­schrift, al­so ein ver­tre­tungs­be­rech­tig­tes Or­gan, er­folgt sein soll. Zu­dem kann ei­ne Erklärung. nur dann als Bestäti­gung qua­li­fi­ziert wer­den, wenn sie in Kennt­nis der An­fecht­bar­keit ab­ge­ge­ben wird, was auch Kennt­nis der die An­fech­tung be­gründen­den Tat­sa­chen um­faßt (Münch­Komm-May­er-Ma­ly, BGB, 3. Aufl., § 144 Rz 4). Hier­von konn­te der Kläger schon des­halb nicht aus­ge­hen, weil bei die­sem Te­le­fo­nat "im No­vem­ber" je­den­falls noch sei­ne schrift­li­che Stel­lung­nah­me vom 25. De­zem­ber 1995, mögli­cher­wei­se auch noch die vom 26. No­vem­ber 1995, aus­stand. Die­se Gewährung recht­li­chen Gehörs durch die Be­klag­te ist nicht zu be­an­stan­den.

f) Die Jah­res­frist zur An­fech­tung aus § 124 BGB ist mit der am 18. März 1996 zu­ge­gan­ge­nen An­fech­tungs­erklärung ein­ge­hal­ten. Der seit dem Gauck-Be­richt vom 4. Au­gust 1995 ver­stri­che­ne Zeit­raum löst ent­ge­gen der Auf­fas­sung des Klägers kei­ne Ver­wir­kung (5 242 BGB) aus. Be­reits das Zeit­mo­ment ist an­ge­sichts des Zwi­schen­zeit­raums von weit un­ter ei­nem Jahr nicht erfüllt. Aus der dem Getäusch­ten vom Ge­setz­ge­ber gewähr­ten Jah­res­frist er­gibt sich, daß er das In­ter­es­se des Täuschen­den an bal­di­ger Ent­schei­dung über die An­fech­tung ge­ring einschätzt (vgl. Se­nats­ur­teil vom 6. No­vem­ber 1997 - 2 AZR 162/97 - AP Nr. 45 zu § 242 BGB Ver­wir­kung, zu II 3 der Gründe). Es fehlt außer­dem an dem er­for­der­li­chen Um­stands­mo­ment, weil der Kläger nicht ein­mal vor­ge­tra­gen hat, daß die Be­klag­te zu er­ken­nen ge­ge­ben ha­be, die Prüfung der Vorwürfe und sei­ner bei­den Ein­las­sun­gen sei ab­ge­schlos­sen, ei­ne An­fech­tung wer­de nicht mehr er­fol­gen.
 


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2. Ent­ge­gen der Auf­fas­sung des Lan­des­ar­beits­ge­richts ver­stieß die Ausübung des An­fech­tungs­rechts durch die Be­klag­te vor­lie­gend nicht ge­gen Treu und Glau­ben, § 242 BGB.


a) Rich­tig ist, daß auch das Recht zur An­fech­tung un­ter dem Vor­be­halt steht, daß sei­ne Ausübung nicht ge­gen Treu und Glau­ben verstößt; die An­fech­tung ist da­nach dann aus­ge­schlos­sen, wenn die Rechts­la­ge des Getäusch­ten im Zeit­punkt der An­fech­tung durch die arg­lis­ti­ge Täuschung nicht mehr be­ein­träch­tigt ist (seit BA­GE 22, 278 = AP Nr. 17 zu § 123 BGB; zu­letzt SA­GE 75, 77, 86 = AP Nr. 38, aa0, zu II 1 e der Gründe, m.w.N.). Ge­ra­de auch auf­grund der Tat­sa­che, daß das Ar­beits­verhält­nis ein Dau­er­schuld­verhält­nis dar­stellt, kann sich er­ge­ben, daß der An­fech­tungs­grund an­ge­sichts der nachträgli­chen Ent­wick­lung so­viel an Be­deu­tung ver­lo­ren hat, daß er ei­ne Auflösung des Ar­beits­verhält­nis­ses nicht mehr recht­fer­ti­gen kann (vgl. BA­GE 22, 278, 281 = AP, aa0, zu 1 b der Gründe; BA­GE 75, 77, 86 = AP, aa0).


b) Das Lan­des­ar­beits­ge­richt ist zu Un­recht da­von aus­ge­gan­gen, die Vor­aus­set­zun­gen für ei­nen Aus­schluß des An­fech­tungs­rechts lägen hier vor. Die Re­vi­si­on rügt zu­tref­fend, daß im Rah­men des § 123 Abs. 1 BGB kei­ne In­ter­es­sen­abwägung vor­zu­neh­men und auch nicht dar­auf ab­zu­stel­len ist, ob ein fin­gier­ter ob­jek­ti­ver Ar­beit­ge­ber bei Kennt­nis al­ler Umstände von ei­ner Ein­stel­lung Ab­stand ge­nom­men hätte.

Für die Fra­ge, ob die Rechts­la­ge der Be­klag­ten zum Zeit­punkt der An­fech­tungs­erklärung am 18. März 1996 nicht mehr be­ein­träch­tigt war, ist nach der oben erörter­ten Recht­spre­chung auf die
 


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ver­trag­lich ge­schul­de­te Leis­tung und den mit der Fra­ge­stel­lung ver­folg­ten Zweck ab­zu­stel­len. Die­se Prüfung hat das Lan­des­ar­beits­ge­richt nach Auf­fas­sung des Se­nats nur verkürzt durch­geführt und ins­be­son­de­re die Auf­ga­ben der Be­klag­ten und die Art der Tätig­keit des Klägers nicht hin­rei­chend be­ach­tet.


Die Be­klag­te ist als Träger der So­zi­al­ver­si­che­rung (Ver­si­che­rungs­träger) gem. § 29 Abs. 1 SGB IV ei­ne rechtsfähi­ge Körper­schaft des öffent­li­chen Rechts mit Selbst­ver­wal­tung. Der Kläger wur­de für die Tätig­keit ei­nes tech­ni­schen Auf­sichts­be­am­ter ein­ge­stellt, was nach der zu­tref­fen­den Auf­fas­sung .der Re­vi­si­on ei­ne ho­heit­li­che Ver­trau­ens­po­si­ti­on dar­stellt, denn nach § 712 Abs. 1 RVO ha­ben die Be­rufs­ge­nos­sen­schaf­ten durch tech­ni­sche Auf­sichts­be­am­te die Durchführung der Un­fall­verhütung zu über­wa­chen und ih­re Mit­glie­der zu be­ra­ten; gemäß § 714 Abs. 1 RVO sind die tech­ni­schen Auf­sichts­be­am­ten be­rech­tigt, die Mit­glieds­un­ter­neh­men zu be­sich­ti­gen und Aus­kunft über Ein­rich­tun­gen, Ar­beits­ver­fah­ren und Ar­beits­stof­fe zu ver­lan­gen so­wie Pro­ben von Ar­beits­stof­fen zu ent­neh­men und bei Ge­fahr im Ver­zug so­fort voll­zieh­ba­re An­ord­nun­gen zur Be­sei­ti­gung von Un­fall­ge­fah­ren zu tref­fen; die Be­hin­de­rung der tech­ni­schen Auf­sichts­be­am­ten bei Erfüllung die­ser Auf­ga­ben ist gemäß § 717 a RVO als Ord­nungs­wid­rig­keit sank­ti­ons­be­wehrt. Ent­spre­chen­de Kom­pe­ten­zen der nun­meh­ri­gen "Auf­sichts­per­so­nen" ent­hal­ten mit Gel­tung ab dem 21. Au­gust 1996 (Art. 36 des Ge­set­zes zur Ein­ord­nung des Rechts der ge­setz­li­chen Un­fall­ver­si­che­rung in das So­zi­al­ge­setz­buch Un­fall­ver­si­che­rungs-Ein­ord­nungs-Ge­setz-UVEG vom 7. Au­gust 1996, BGBl. I, 1254) die 5.3 17 bis 19 SGB VII, wo­bei die Bußgeld­vor­schrift,-des § 209. Abs 1 Nr. 2, 3
 


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SGB VII erst mit Wir­kung zum 1. Ja­nu­ar 1997 in Kraft ge­tre­ten ist (Art. 36 UVEG).

Vor dem Hin­ter­grund der Qua­li­fi­zie­rung der Be­klag­ten als Körper­schaft des öffent­li­chen Rechts mit der ent­spre­chen­den Wahr­neh­mung von öffent­li­chen Über­wa­chungs- und Be­ra­tungs­auf­ga­ben durch den Kläger kann ent­ge­gen der Auf­fas­sung des Lan­des­ar­beits­ge­richts nicht an­ge­nom­men wer­den, daß die Rechts­po­si­ti­on der Be­klag­ten durch die frühe­re Sta­si-Tätig­keit des Klägers zum Zeit­punkt der An­fech­tungs­erklärung nicht mehr be­ein­träch­tigt war. Da­bei kann zu­guns­ten des Klägers ei­ne bis­her fach­lich be­an­stan­dungs­freie Tätig­keit un­ter­stellt wer­den. Ei­ne glaubwürdi­ge rechts­staat­li­che Ver­wal­tung kann nicht auf der An­nah­me auf­ge­baut wer­den, die Be­las­tung ei­nes Mit­ar­bei­ters wer­de schon nicht be­kannt wer­den (BAG Ur­teil vom 16. Ok­to­ber 1997 - 8 AZR 702/95. - n.v., zu B 12 der Gründe). Die Be­klag­te hat schon im An­fech­tungs­schrei­ben, auf wel­ches sie sich im Pro­zeß be­ru­fen hat, dar­auf hin­ge­wie­sen, daß ein Be­kannt­wer­den der MfS-Tätig­keit des Klägers zu ei­nem ir­re­pa­ra­blen Ver­trau­ens­ver­lust nicht nur bei den vom Kläger zu be­treu­en­den Be­trie­ben führen würde. Die­se An­nah­me er­scheint je­den-falls nach ei­ner ge­ra­de fünfjähri­gen Tätig­keit des Klägers bei der Be­klag­ten ge­recht­fer­tigt. Die­se Zeit reicht noch nicht aus, um da­von aus­zu­ge­hen, es sei be­reits "Gras über die An­ge­le­gen­heit ge­wach­sen".

Das Be­ru­fungs­ge­richt nimmt zur Be­gründung des Aus­schlus­ses des An­fech­tungs­rechts zu Un­recht ei­ne um­fas­sen­de In­ter­es­sen­abwägung vor und stellt dar­auf ab, ob ein ob­jek­ti­ver Ar­beit­ge­ber bei
 


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Kennt­nis al­ler Umstände von ei­ner Ein­stel­lung des Klägers Ab­stand ge­nom­men hätte. Das Recht zur An­fech­tung wird nicht durch das Recht zur außer­or­dent­li­chen Kündi­gung ver­drängt (ständi­ge Recht­spre­chung, vgl. BA­GE 75, 77, 80 = AP Nr. 38, aaO, zu II 1 der Gründe, m.w.N.); ei­ne In­ter­es­sen­abwägung ist bei § 123 Abs. 1 BGB, wie be­reits das Ar­beits­ge­richt zu­tref­fend aus­geführt hat, im Ge­gen­satz zu § 626 Abs. 1 BGB nicht vor­ge­se­hen. Sie ist auch sys­tem­wid­rig, denn § 123 BGB schützt die "freie Selbst­be­stim­mung auf rechts­geschäft­li­chem Ge­bie­te", in­dem es in den "Wil­len des Ver­letz­ten" ge­stellt wird, ob die­ser we­gen Täuschung an­ficht oder nicht (Mo­ti­ve zu dem Ent­wur­fe ei­nes bürger­li­chen Ge­setz­bu­ches, Bd. I, S. 204). Dem­ge­genüber hat § 626 BGB nicht die Be­sei­ti­gung ei­ner sei­ner­zeit feh­ler­haf­ten Wil­lens­bil­dung zum Ge­gen­stand, son­dern die Be­sei­ti­gung ei­nes Ver­tra­ges we­gen ak­tu­el­ler Leis­tungsstörung (vgl. MünchArbR/Ri­char­di, § 44 Rz 24 ff.), wo­bei für die Be­wer­tung der Störung des Ver­tra­ges die In­ter­es­sen bei­der Ver­trags­part­ner zu berück­sich­ti­gen sind, während der Schutz der Wil­lens­bil­dung des gutgläubi­gen ein­zel­nen durch § 123 Abs. 1 BGB nur auf des­sen In­ter­es­sen ab­stellt, nicht aber auf die des täuschen­den Ver­trags­part­ners oder Erklärungs­empfängers. Das er­gibt sich auch dar­aus, daß die Vor­schrift des § 123 Abs. 1 BGB le­dig­lich ver­langt, daß der An­fech­ten­de durch die Täuschung zur Ab­ga­be der Wil­lens­erklärung be­stimmt wor­den ist, mit­hin die bloße sub­jek­ti­ve Kau­sa­lität aus­rei­chen läßt (vgl. BGH Ur­teil vom 20. März 1967 - VIII ZR 288/64 -- NJW 1967, 1222, 1223; Ur­teil vom 2. De­zem­ber 1977 - V ZR 155/75 - WM 1978, 221, 222; Münch­Komm-Kra­mer, BGB, 3. Aufl., § 123 Rz 1 m.w.N., 9, 40; So­er­gel/He­f­er­mehl, BGB, 12. Aufl., § 123 Rz 23, m.w.N.), während z.B. die Irr­tums­an­fech-
 


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tung nach § 119 BGB vor­aus­setzt, daß an­zu­neh­men ist, daß der Erklären­de die Erklärung bei Kennt­nis der Sach­la­ge und bei "verständi­ger" Würdi­gung des Fal­les nicht ab­ge­ge­ben ha­ben würde. Mit die­ser For­mu­lie­rung wird die Kau­sa­lität ei­nem ob­jek­ti­ven, nor­ma­ti­ven Maßstab un­ter­zo­gen (RG Ur­teil vom 18. De­zem­ber 1936 - II 170/36 - JW 1937, 1242; Kra­mer, aa0, § 119 Rz 126; He­f­er­mehl, aaO, § 119 Rz 67). Schützt § 123 Abs. 1 BGB mit­hin die sub­jek­tiv-kon­kre­te Frei­heit der Wil­lens­bil­dung vor Täuschung, kann es für die Fra­ge des Aus­schlus­ses des An­fech­tungs­rechts we­gen zwi­schen­zeit­lich ein­ge­tre­te­ner Be­deu­tungs­lo­sig­keit des An­fech­tungs­grun­des auf ei­ne Würdi­gung auch der In­ter­es­sen des Täuschen­den eben­so­we­nig an­kom­men wie auf die Be­trach­tungs­wei­se ei­nes ob­jek­ti­ven, getäusch­ten Erklärungs­empfängers.

Der Kläger hat auch sei­ner­seits kei­ne Umstände auf­ge­zeigt, die er­kenn­bar wer­den ließen, daß die Rechts­la­ge der von ihm getäusch­ten Be­klag­ten nach erst fünfjähri­ger Tätig­keit, wo­von noch ein nicht un­er­heb­li­cher Zeit­raum auf die für ihn not­wen­di­ge Aus­bil­dungs­zeit nebst Ab­schlußprüfung entfällt (5712 Abs. 3 RVO, § 18 Abs. 2 SGB VII), nicht mehr be­ein­träch­tigt wäre. Die Fort­dau­er der Be­ein­träch­ti­gung er­scheint we­gen der er­sicht­lich fal­schen ei­des­statt­li­cher Ver­si­che­rung und auch des­halb na­he­lie­gend, weil die Be­klag­te noch gewärti­gen müßte, daß der Kläger bei ei­ner

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sei­ner Über­wa­chungstätig­kei­ten mit ei­ner der von ihm früher be­spit­zel­ten Per­so­nen zu­sam­men­tref­fen könn­te.

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