HENSCHE RECHTSANWÄLTE, FACHANWALTSKANZLEI FÜR ARBEITSRECHT

 

EuGH, Ur­teil vom 18.06.2009, C-88/08 - Hütter

   
Schlagworte: AGG, Diskriminierung: Alter
   
Gericht: Europäischer Gerichtshof
Aktenzeichen: C-88/08
Typ: Urteil
Entscheidungsdatum: 18.06.2009
   
Leitsätze: Die Art. 1, 2 und 6 der Richtlinie 2000/78/EG des Rates vom 27. November 2000 zur Festlegung eines allgemeinen Rahmens für die Verwirklichung der Gleichbehandlung in Beschäftigung und Beruf sind dahin auszulegen, dass sie einer nationalen Regelung entgegenstehen, die, um die allgemeine Bildung nicht gegenüber der beruflichen Bildung zu benachteiligen und die Eingliederung jugendlicher Lehrlinge in den Arbeitsmarkt zu fördern, bei der Festlegung der Dienstaltersstufe von Vertragsbediensteten des öffentlichen Dienstes eines Mitgliedstaats die Berücksichtigung von vor Vollendung des 18. Lebensjahrs liegenden Dienstzeiten ausschließt.
Vorinstanzen: Vorabentscheidungsersuchen nach Art. 234 EG, eingereicht vom Obersten Gerichtshof (Österreich)
   

 

UR­TEIL DES GERICH­TSHOFS (Drit­te Kam­mer)

18. Ju­ni 2009(*)

„Richt­li­nie 2000/78/EG – Gleich­be­hand­lung in Beschäfti­gung und Be­ruf – Dis­kri­mi­nie­rung we­gen des Al­ters – Fest­le­gung des Ent­gelts von Ver­trags­be­diens­te­ten des Staa­tes – Aus­schluss der vor Voll­endung des 18. Le­bens­jahrs er­wor­be­nen Be­rufs­er­fah­rung“

In der Rechts­sa­che C‑88/08

be­tref­fend ein Vor­ab­ent­schei­dungs­er­su­chen nach Art. 234 EG, ein­ge­reicht vom Obers­ten Ge­richts­hof (Öster­reich) mit Ent­schei­dung vom 7. Fe­bru­ar 2008, beim Ge­richts­hof ein­ge­gan­gen am 27. Fe­bru­ar 2008, in dem Ver­fah­ren

Da­vid Hütter

ge­gen

Tech­ni­sche Uni­ver­sität Graz

erlässt

DER GERICH­TSHOF (Drit­te Kam­mer)

un­ter Mit­wir­kung des Kam­mer­präsi­den­ten A. Ro­sas, der Rich­ter A. Ó Cao­imh und J. N. Cun­ha Ro­d­ri­gues, der Rich­te­rin P. Lindh (Be­richt­er­stat­te­rin) so­wie des Rich­ters A. Ara­b­ad­jiev,

Ge­ne­ral­an­walt: Y. Bot,

Kanz­ler: R. Grass,

auf­grund des schrift­li­chen Ver­fah­rens,

un­ter Berück­sich­ti­gung der Erklärun­gen

– von Da­vid Hütter, ver­tre­ten durch Rechts­anwälte T. Stamp­fer und C. Org­ler,

– der Tech­ni­schen Uni­ver­sität Graz, ver­tre­ten durch das Mit­glied der Fi­nanz­pro­ku­ra­tur M. Ge­wolf‑Vu­ko­vich,

– der däni­schen Re­gie­rung, ver­tre­ten durch B. Weis Fogh als Be­vollmäch­tig­te,

– der Kom­mis­si­on der Eu­ropäischen Ge­mein­schaf­ten, ver­tre­ten durch J. En­e­gren und B. Kot­schy als Be­vollmäch­tig­te,

auf­grund des nach Anhörung des Ge­ne­ral­an­walts er­gan­ge­nen Be­schlus­ses, oh­ne Schluss­anträge über die Rechts­sa­che zu ent­schei­den,

fol­gen­des

Ur­teil

1 Das Vor­ab­ent­schei­dungs­er­su­chen be­trifft die Aus­le­gung der Richt­li­nie 2000/78/EG des Ra­tes vom 27. No­vem­ber 2000 zur Fest­le­gung ei­nes all­ge­mei­nen Rah­mens für die Ver­wirk­li­chung der Gleich­be­hand­lung in Beschäfti­gung und Be­ruf (ABl. L 303, S. 16).
2 Die­ses Er­su­chen er­geht im Rah­men ei­nes Rechts­streits zwi­schen Herrn Hütter und der Tech­ni­schen Uni­ver­sität Graz (im Fol­gen­den: TUG) über sei­ne Ein­stu­fung in die Lauf­bahn ei­nes Ver­trags­be­diens­te­ten des öffent­li­chen Diens­tes bei sei­ner Ein­stel­lung.

Recht­li­cher Rah­men

Ge­mein­schafts­recht

3

Im 25. Erwägungs­grund der Richt­li­nie 2000/78 heißt es:

„Das Ver­bot der Dis­kri­mi­nie­rung we­gen des Al­ters stellt ein we­sent­li­ches Ele­ment zur Er­rei­chung der Zie­le der beschäfti­gungs­po­li­ti­schen Leit­li­ni­en und zur Förde­rung der Viel­falt im Be­reich der Beschäfti­gung dar. Un­gleich­be­hand­lun­gen we­gen des Al­ters können un­ter be­stimm­ten Umständen je­doch ge­recht­fer­tigt sein und er­for­dern da­her be­son­de­re Be­stim­mun­gen, die je nach der Si­tua­ti­on der Mit­glied­staa­ten un­ter­schied­lich sein können. Es ist da­her un­be­dingt zu un­ter­schei­den zwi­schen ei­ner Un­gleich­be­hand­lung, die ins­be­son­de­re durch rechtmäßige Zie­le im Be­reich der Beschäfti­gungs­po­li­tik, des Ar­beits­mark­tes und der be­ruf­li­chen Bil­dung ge­recht­fer­tigt ist, und ei­ner Dis­kri­mi­nie­rung, die zu ver­bie­ten ist.“

4 Nach Art. 1 der Richt­li­nie 2000/78 ist „Zweck die­ser Richt­li­nie … die Schaf­fung ei­nes all­ge­mei­nen Rah­mens zur Bekämp­fung der Dis­kri­mi­nie­rung we­gen der Re­li­gi­on oder der Welt­an­schau­ung, ei­ner Be­hin­de­rung, des Al­ters oder der se­xu­el­len Aus­rich­tung in Beschäfti­gung und Be­ruf im Hin­blick auf die Ver­wirk­li­chung des Grund­sat­zes der Gleich­be­hand­lung in den Mit­glied­staa­ten“.
5

Art. 2 („Der Be­griff ‚Dis­kri­mi­nie­rung‘“) der Richt­li­nie 2000/78 sieht vor:

„(1) Im Sin­ne die­ser Richt­li­nie be­deu­tet ‚Gleich­be­hand­lungs­grund­satz‘, dass es kei­ne un­mit­tel­ba­re oder mit­tel­ba­re Dis­kri­mi­nie­rung we­gen ei­nes der in Ar­ti­kel 1 ge­nann­ten Gründe ge­ben darf.

(2) Im Sin­ne des Ab­sat­zes 1

a) liegt ei­ne un­mit­tel­ba­re Dis­kri­mi­nie­rung vor, wenn ei­ne Per­son we­gen ei­nes der in Ar­ti­kel 1 ge­nann­ten Gründe in ei­ner ver­gleich­ba­ren Si­tua­ti­on ei­ne we­ni­ger güns­ti­ge Be­hand­lung erfährt, als ei­ne an­de­re Per­son erfährt, er­fah­ren hat oder er­fah­ren würde;

b) liegt ei­ne mit­tel­ba­re Dis­kri­mi­nie­rung vor, wenn dem An­schein nach neu­tra­le Vor­schrif­ten, Kri­te­ri­en oder Ver­fah­ren Per­so­nen mit ei­ner be­stimm­ten Re­li­gi­on oder Welt­an­schau­ung, ei­ner be­stimm­ten Be­hin­de­rung, ei­nes be­stimm­ten Al­ters oder mit ei­ner be­stimm­ten se­xu­el­len Aus­rich­tung ge­genüber an­de­ren Per­so­nen in be­son­de­rer Wei­se be­nach­tei­li­gen können, es sei denn:

i) die­se Vor­schrif­ten, Kri­te­ri­en oder Ver­fah­ren sind durch ein rechtmäßiges Ziel sach­lich ge­recht­fer­tigt, und die Mit­tel sind zur Er­rei­chung die­ses Ziels an­ge­mes­sen und er­for­der­lich, oder

ii) der Ar­beit­ge­ber oder je­de Per­son oder Or­ga­ni­sa­ti­on, auf die die­se Richt­li­nie An­wen­dung fin­det, ist im Fal­le von Per­so­nen mit ei­ner be­stimm­ten Be­hin­de­rung auf­grund des ein­zel­staat­li­chen Rechts ver­pflich­tet, ge­eig­ne­te Maßnah­men ent­spre­chend den in Ar­ti­kel 5 ent­hal­te­nen Grundsätzen vor­zu­se­hen, um die sich durch die­se Vor­schrift, die­ses Kri­te­ri­um oder die­ses Ver­fah­ren er­ge­ben­den Nach­tei­le zu be­sei­ti­gen.

…“

6

Art. 3 („Gel­tungs­be­reich“) der Richt­li­nie 2000/78 be­stimmt in Abs. 1:

„Im Rah­men der auf die Ge­mein­schaft über­tra­ge­nen Zuständig­kei­ten gilt die­se Richt­li­nie für al­le Per­so­nen in öffent­li­chen und pri­va­ten Be­rei­chen, ein­sch­ließlich öffent­li­cher Stel­len, in Be­zug auf

a) die Be­din­gun­gen – ein­sch­ließlich Aus­wahl­kri­te­ri­en und Ein­stel­lungs­be­din­gun­gen – für den Zu­gang zu un­selbständi­ger und selbständi­ger Er­werbstätig­keit, un­abhängig von Tätig­keits­feld und be­ruf­li­cher Po­si­ti­on, ein­sch­ließlich des be­ruf­li­chen Auf­stiegs;

c) die Beschäfti­gungs- und Ar­beits­be­din­gun­gen, ein­sch­ließlich der Ent­las­sungs­be­din­gun­gen und des Ar­beits­ent­gelts;

…“

7

Art. 6 („Ge­recht­fer­tig­te Un­gleich­be­hand­lung we­gen des Al­ters“) der Richt­li­nie 2000/78 sieht in Abs. 1 vor:

„Un­ge­ach­tet des Ar­ti­kels 2 Ab­satz 2 können die Mit­glied­staa­ten vor­se­hen, dass Un­gleich­be­hand­lun­gen we­gen des Al­ters kei­ne Dis­kri­mi­nie­rung dar­stel­len, so­fern sie ob­jek­tiv und an­ge­mes­sen sind und im Rah­men des na­tio­na­len Rechts durch ein le­gi­ti­mes Ziel, wor­un­ter ins­be­son­de­re rechtmäßige Zie­le aus den Be­rei­chen Beschäfti­gungs­po­li­tik, Ar­beits­markt und be­ruf­li­che Bil­dung zu ver­ste­hen sind, ge­recht­fer­tigt sind und die Mit­tel zur Er­rei­chung die­ses Ziels an­ge­mes­sen und er­for­der­lich sind.

Der­ar­ti­ge Un­gleich­be­hand­lun­gen können ins­be­son­de­re Fol­gen­des ein­sch­ließen:

a) die Fest­le­gung be­son­de­rer Be­din­gun­gen für den Zu­gang zur Beschäfti­gung und zur be­ruf­li­chen Bil­dung so­wie be­son­de­rer Beschäfti­gungs- und Ar­beits­be­din­gun­gen, ein­sch­ließlich der Be­din­gun­gen für Ent­las­sung und Ent­loh­nung, um die be­ruf­li­che Ein­glie­de­rung von Ju­gend­li­chen, älte­ren Ar­beit­neh­mern und Per­so­nen mit Fürsor­ge­pflich­ten zu fördern oder ih­ren Schutz si­cher­zu­stel­len;

b) die Fest­le­gung von Min­dest­an­for­de­run­gen an das Al­ter, die Be­rufs­er­fah­rung oder das Dienst­al­ter für den Zu­gang zur Beschäfti­gung oder für be­stimm­te mit der Beschäfti­gung ver­bun­de­ne Vor­tei­le;

c) die Fest­set­zung ei­nes Höchst­al­ters für die Ein­stel­lung auf­grund der spe­zi­fi­schen Aus­bil­dungs­an­for­de­run­gen ei­nes be­stimm­ten Ar­beits­plat­zes oder auf­grund der Not­wen­dig­keit ei­ner an­ge­mes­se­nen Beschäfti­gungs­zeit vor dem Ein­tritt in den Ru­he­stand.“

8

Nach Art. 18 Abs. 1 der Richt­li­nie 2000/78 hat­te die Re­pu­blik Öster­reich die er­for­der­li­chen Rechts- und Ver­wal­tungs­vor­schrif­ten zu er­las­sen, um die­ser Richt­li­nie spätes­tens zum 2. De­zem­ber 2003 nach­zu­kom­men.

Na­tio­na­les Recht

Aus der Vor­la­ge­ent­schei­dung er­gibt sich, dass sich der In­halt der zwi­schen der Uni­ver­sität und ih­ren Beschäftig­ten ge­schlos­se­nen Ar­beits­verträge gemäß § 128 des Uni­ver­sitäts­ge­set­zes 2002 (BGBl. I Nr. 120/2002) vom In­kraft­tre­ten die­ses Ge­set­zes, d. h. ab 1. Ja­nu­ar 2004, bis zum In­kraft­tre­ten ei­nes Kol­lek­tiv­ver­trags nach dem Ver­trags­be­diens­te­ten­ge­setz 1948 (BGBl. Nr. 86/1948) in der durch das Ge­setz von 2004 (BGBl. I Nr. 176/2004) geänder­ten Fas­sung (im Fol­gen­den: VBG) be­stimmt.

10 § 3 Abs. 1 Buchst. a VBG re­gelt die Ein­stu­fung der Ver­trags­be­diens­te­ten. Nur Per­so­nen, die ein Le­bens­al­ter von min­des­tens 15 Jah­ren ha­ben, dürfen als Be­diens­te­te auf­ge­nom­men wer­den.
11  Für Rech­te, die von der Dau­er des Dienst­verhält­nis­ses oder der Be­rufs­er­fah­rung abhängen, dürfen nach dem VBG – außer in be­stimm­ten, hier nicht re­le­van­ten Aus­nah­mefällen – vor Voll­endung des 18. Le­bens­jahrs im Dienst­verhält­nis zurück­ge­leg­te Zei­ten nicht berück­sich­tigt wer­den. Da­her ist nach § 26 Abs. 1 VBG bei der Er­mitt­lung des Vorrückungs­stich­tags ei­ne Berück­sich­ti­gung der Dienst­zei­ten, die vor Voll­endung des 18. Le­bens­jahrs zurück­ge­legt wur­den, aus­ge­schlos­sen. Dienst­zei­ten, die nach § 26 Abs. 2 Z 1 Buchst. b VBG „im Lehr­be­ruf … an ei­ner … Uni­ver­sität oder Hoch­schu­le …“ zurück­ge­legt wur­den, können bei der Ein­stu­fung nur in­so­weit berück­sich­tigt wer­den, als sie nach Voll­endung des 18. Le­bens­jahrs lie­gen.
12 Die Richt­li­nie 2000/78 ist in Öster­reich mit dem Bun­des-Gleich­be­hand­lungs­ge­setz von 1993 (BGBl. Nr. 100/1993) in der durch das Ge­setz von 2004 (BGBl. I Nr. 65/2004) geänder­ten Fas­sung (im Fol­gen­den: B-GIBG) um­ge­setzt wor­den. Die­ses Ge­setz re­gelt die Ar­beits­verträge mit den Uni­ver­sitäten. Dem vor­le­gen­den Ge­richt zu­fol­ge wur­de § 26 Abs. 1 VBG aber durch das B‑GIBG nicht geändert, so dass die­se Vor­schrift auf den im Aus­gangs­ver­fah­ren in Re­de ste­hen­den Sach­ver­halt an­wend­bar bleibt.
Aus­gangs­ver­fah­ren und Vor­la­ge­fra­ge  
13

Herr Hütter, der Kläger des Aus­gangs­ver­fah­rens, wur­de 1986 ge­bo­ren. Mit ei­ner Kol­le­gin ab­sol­vier­te er vom 3. Sep­tem­ber 2001 bis zum 2. März 2005 ei­ne Leh­re als Che­mie­la­bor­tech­ni­ker bei der TUG, die ei­ne un­ter das Bun­des­ge­setz von 2002 über die Or­ga­ni­sa­ti­on der Uni­ver­sitäten und ih­re Stu­di­en fal­len­de öffent­li­che Ein­rich­tung ist.

14 Herr Hütter und sei­ne Kol­le­gin wur­den dar­auf­hin von der TUG wei­ter­beschäftigt, und zwar vom 3. März 2005 bis zum 2. Ju­ni 2005, d. h. für drei Mo­na­te. Da die Kol­le­gin 22 Mo­na­te älter als Herr Hütter war, wur­de sie höher ein­ge­stuft, wor­aus sich ein um 23,20 Eu­ro höhe­res Mo­nats­ge­halt er­gab. Die­ser Un­ter­schied be­ruht dar­auf, dass die nach der Volljährig­keit zurück­ge­leg­te Lehr­zeit bei Herrn Hütter un­gefähr 6,5 Mo­na­te, bei sei­ner Kol­le­gin da­ge­gen 28,5 Mo­na­te be­trug. 
15

Herr Hütter er­hob Kla­ge beim Lan­des­ge­richt für Zi­vil­rechts­sa­chen Graz. Er be­an­trag­te, ihm ei­ne Entschädi­gung in Höhe der ihn we­gen sei­nes Al­ters be­nach­tei­li­gen­den Ge­halts­dif­fe­renz zu zah­len, die un­ge­recht­fer­tigt sei und so­wohl ge­gen das B-GIBG als auch ge­gen die Richt­li­nie 2000/78 ver­s­toße. Die­se Ge­halts­dif­fe­renz beläuft sich auf 69,60 Eu­ro. 

16 Nach­dem der Kla­ge im ers­ten Rechts­zug und im Be­ru­fungs­ver­fah­ren statt­ge­ge­ben wor­den war, leg­te die TUG Rechts­mit­tel beim vor­le­gen­den Ge­richt ein. Die­sem stellt sich ins­be­son­de­re die Fra­ge, ob Art. 6 der Richt­li­nie 2000/78 ei­ner na­tio­na­len Maßnah­me ent­ge­gen­steht, die es den Ar­beit­ge­bern er­laubt, vor der Volljährig­keit lie­gen­de Aus­bil­dungs­zei­ten nicht zu berück­sich­ti­gen, um ei­ne Be­nach­tei­li­gung von Per­so­nen zu ver­mei­den, die ei­ne Se­kun­dar­schu­le be­sucht ha­ben, Schülern kei­nen An­reiz zu ge­ben, die­se Schu­len zu ver­las­sen, und, all­ge­mei­ner, das Lehr­verhält­nis für den öffent­li­chen Dienst nicht zu ver­teu­ern, um die Ein­glie­de­rung von Lehr­lin­gen in den Ar­beits­markt zu begüns­ti­gen.
17

Un­ter die­sen Umständen hat der Obers­te Ge­richts­hof das Ver­fah­ren aus­ge­setzt und dem Ge­richts­hof fol­gen­de Fra­ge zur Vor­ab­ent­schei­dung vor­ge­legt:

Sind die Art. 1, 2 und 6 der Richt­li­nie 2000/78 da­hin aus­zu­le­gen, dass sie ei­ner na­tio­na­len Re­ge­lung ent­ge­gen­ste­hen, die an­re­chen­ba­re Vor­dienst­zei­ten für die Er­mitt­lung des Vorrückungs­stich­tags aus­sch­ließt, so­weit sie vor der Voll­endung des 18. Le­bens­jahrs zurück­ge­legt wur­den?

Zur Vor­la­ge­fra­ge

Beim Ge­richts­hof ein­ge­reich­te Erklärun­gen

18 Herr Hütter macht gel­tend, dass es bei glei­cher Be­rufs­er­fah­rung kei­ne Recht­fer­ti­gung im Sin­ne von Art. 6 Abs. 1 der Richt­li­nie 2000/78 für die Un­gleich­be­hand­lung aus­sch­ließlich we­gen des Al­ters, in dem die­se Er­fah­rung er­wor­ben wor­den sei, ge­be. Ei­ne Re­gel wie die im Aus­gangs­ver­fah­ren frag­li­che stel­le ei­nen An­reiz dar, vor Voll­endung des 18. Le­bens­jahrs kei­ner Be­rufstätig­keit nach­zu­ge­hen. Es han­de­le sich um ei­ne durch die Richt­li­nie 2000/78 ver­bo­te­ne Dis­kri­mi­nie­rung.
19 Die TUG ver­neint ei­ne Dis­kri­mi­nie­rung. § 26 Abs. 1 VBG gel­te un­ter­schieds­los und un­abhängig vom Al­ter für je­der­mann. Von ei­ner auf dem Kri­te­ri­um des Al­ters be­ru­hen­den Dis­kri­mi­nie­rung könne da­her kei­ne Re­de sein. Die­se Vor­schrift könne dem­nach nur an Art. 2 Abs. 2 Buchst. b der Richt­li­nie 2000/78 über mit­tel­ba­re Dis­kri­mi­nie­run­gen auf­grund dem An­schein nach neu­tra­ler Kri­te­ri­en ge­mes­sen wer­den.
20

Die TUG macht hilfs­wei­se gel­tend, dass mit der im Aus­gangs­ver­fah­ren frag­li­chen Maßnah­me ein le­gi­ti­mes Ziel ver­folgt wer­de und dass die­se Maßnah­me an­ge­mes­sen und er­for­der­lich im Sin­ne von Art. 6 Abs. 1 der Richt­li­nie 2000/78 sei. 

21 Sie ermögli­che es nämlich dem öffent­li­chen Dienst­ge­ber, über ei­ne gleich­ar­ti­ge und nach­voll­zieh­ba­re Struk­tur der Ge­halts­er­mitt­lung für die Ver­trags­be­diens­te­ten zu verfügen. Es han­de­le sich um ein le­gi­ti­mes Ziel im Sin­ne der Art. 2 Abs. 2 und 6 Abs. 1 der Richt­li­nie 2000/78.
22

Im Jahr 2000 hätten et­wa 0,03 % der Lehr­lin­ge ih­re Aus­bil­dung nach Voll­endung des 18. Le­bens­jahrs ab­ge­schlos­sen. Die be­ruf­li­che Ein­glie­de­rung der Lehr­lin­ge wer­de da­durch gefördert, dass die­se Aus­bil­dungs­zei­ten vor dem 18. Le­bens­jahr auf­zu­wei­sen hätten, die nicht für die Ent­gelts­be­mes­sung zu berück­sich­ti­gen sei­en. Da­mit könn­ten die Ar­beit­ge­ber die Kos­ten der Ein­stel­lung jünge­rer Lehr­lin­ge sen­ken.

23 Darüber hin­aus be­nach­tei­li­ge ei­ne Berück­sich­ti­gung von vor Voll­endung des 18. Le­bens­jahrs lie­gen­den Aus­bil­dungs­zei­ten Per­so­nen mit all­ge­mei­ner Schul­bil­dung. In ei­nem Mit­glied­staat wie der Re­pu­blik Öster­reich, wo der Ar­beits­markt über zu we­nig Hoch­schul­ab­sol­ven­ten verfüge, las­se sich mit ei­ner Maßnah­me wie der im Aus­gangs­ver­fah­ren frag­li­chen auch ver­mei­den, Per­so­nen da­zu zu ver­lei­ten, die all­ge­mein­bil­den­den Schu­len zu ver­las­sen.
24 Die däni­sche Re­gie­rung ist der Auf­fas­sung, dass Art. 6 Abs. 1 der Richt­li­nie 2000/78 da­hin aus­zu­le­gen sei, dass er ei­ner Maßnah­me wie der im Aus­gangs­ver­fah­ren in Re­de ste­hen­den nicht ent­ge­gen­ste­he, wenn sie ein le­gi­ti­mes Ziel im Zu­sam­men­hang mit der be­ruf­li­chen Bil­dung und der Beschäfti­gungs­po­li­tik zu­guns­ten von Ju­gend­li­chen ver­fol­ge und an­ge­mes­sen und er­for­der­lich sei.
25

Die däni­sche Re­gie­rung weist auf das wei­te Er­mes­sen hin, über das die Mit­glied­staa­ten bei auf dem Kri­te­ri­um des Al­ters be­ru­hen­den Maßnah­men verfügten (vgl. in die­sem Sin­ne Ur­tei­le vom 22. No­vem­ber 2005, Man­gold, C‑144/04, Slg. 2005, I‑9981, Rand­nrn. 62 und 63, und vom 16. Ok­to­ber 2007, Pa­la­ci­os de la Vil­la, C‑411/05, Slg. 2007, I‑8531, Rand­nr. 68). 

26 Für Min­derjähri­ge ei­ne nied­ri­ge­re Vergütung vor­zu­se­hen als für Volljähri­ge bie­te Ers­te­ren ei­nen An­reiz, ei­ne zusätz­li­che Aus­bil­dung ab­zu­le­gen, auf­grund de­ren sie ei­ne höhe­re Vergütung er­lan­gen könn­ten. Wären Ar­beit­ge­ber ver­pflich­tet, Min­derjähri­ge ge­nau­so zu ent­loh­nen wie volljähri­ge Ar­beit­neh­mer, würden sie außer­dem selbst­verständ­lich da­zu nei­gen, älte­re und er­fah­re­ne­re Ar­beit­neh­mer ein­zu­stel­len. Sch­ließlich sei­en Min­derjähri­ge im Re­gel­fall nicht in der La­ge, die glei­chen Auf­ga­ben zu erfüllen wie Volljähri­ge. Des­halb sähen vie­le Ta­rif­verträge in Däne­mark ei­ne ge­rin­ge­re Ent­loh­nung für Ar­beit­neh­mer die­ser Al­ters­grup­pe vor.
27 Die Kom­mis­si­on der Eu­ropäischen Ge­mein­schaf­ten macht gel­tend, die im Aus­gangs­ver­fah­ren frag­li­che Re­gel be­tref­fe ei­ne Beschäfti­gungs- und Ar­beits­be­din­gung im Sin­ne von Art. 3 Abs. 1 Buchst. c der Richt­li­nie 2000/78, nämlich das Ar­beits­ent­gelt. Der im Aus­gangs­ver­fah­ren in Re­de ste­hen­de Sach­ver­halt fal­le da­her in den Gel­tungs­be­reich der Richt­li­nie 2000/78.
28 Die Re­gel, die ei­ne An­rech­nung der vor dem 18. Le­bens­jahr lie­gen­den Dienst­zei­ten aus­sch­ließe, be­gründe ei­ne un­mit­tel­ba­re Dis­kri­mi­nie­rung we­gen des Al­ters. Dass die im Aus­gangs­ver­fah­ren frag­li­che Maßnah­me un­ter­schieds­los auf al­le Per­so­nen, die das 18. Le­bens­jahr voll­endet hätten, An­wen­dung fin­de, sei in­so­weit ir­re­le­vant. Denn die Dis­kri­mi­nie­rung lie­ge dar­in be­gründet, dass die Re­gel Per­so­nen, die nach Voll­endung des 18. Le­bens­jahrs Be­rufs­er­fah­rung sam­mel­ten, bes­ser­stel­le. Die im Aus­gangs­ver­fah­ren vor­lie­gen­den Umstände zeig­ten die dis­kri­mi­nie­ren­de Wir­kung die­ser Re­gel, weil der Kläger des Aus­gangs­ver­fah­rens bei glei­cher Be­rufs­er­fah­rung al­lein we­gen des un­ter­schied­li­chen Al­ters schlech­ter be­han­delt wer­de als ei­ne Kol­le­gin.
29

Hin­sicht­lich der Recht­fer­ti­gung mit der Not­wen­dig­keit ei­nes für das ge­sam­te Per­so­nal ein­heit­li­chen Sys­tems für die An­rech­nung der Vor­dienst­zei­ten räumt die Kom­mis­si­on zwar ein, dass es sich um ein le­gi­ti­mes Ziel im Sin­ne von Art. 6 Abs. 1 der Richt­li­nie 2000/78 han­deln könne. Die frag­li­che Re­gel sei je­doch we­der an­ge­mes­sen noch er­for­der­lich, um die­ses Ziel zu er­rei­chen. Das Sys­tem für die An­rech­nung der Vor­dienst­zei­ten wäre ge­nau­so ein­heit­lich und nach­voll­zieh­bar, wenn die Berück­sich­ti­gung von vor Voll­endung des 18. Le­bens­jahrs lie­gen­den Beschäfti­gungs­zei­ten nicht aus­ge­schlos­sen wäre.

30 Die Recht­fer­ti­gung mit der Gleich­be­hand­lung von Lehr­lin­gen und Schülern all­ge­mein­bil­den­der Schu­len könne un­ter die Po­li­tik der be­ruf­li­chen Bil­dung nach Art. 6 Abs. 1 der Richt­li­nie 2000/78 fal­len. An­ge­mes­sen­heit und Er­for­der­lich­keit der im Aus­gangs­ver­fah­ren in Re­de ste­hen­den Maßnah­me sei­en je­doch frag­lich, denn die­se be­vor­zu­ge die Schüler all­ge­mein­bil­den­der Schu­len den Lehr­lin­gen ge­genüber, die re­gelmäßig vor dem Er­rei­chen ih­rer Volljährig­keit Be­rufs­er­fah­rung sam­meln könn­ten.
31 Was schließlich die Recht­fer­ti­gung mit der Ein­glie­de­rung jun­ger Men­schen in den Ar­beits­markt an­ge­he, so sei zwei­fel­haft, ob die im Aus­gangs­ver­fah­ren frag­li­che Maßnah­me ei­ne sol­che Wir­kung ha­be. Die da­mit ge­schaf­fe­ne Un­gleich­be­hand­lung stel­le ei­nen Nach­teil dar, der den be­trof­fe­nen Ar­beit­neh­mer sein gan­zes Be­rufs­le­ben hin­durch be­glei­te. Der Aus­schluss der Berück­sich­ti­gung vor Voll­endung des 18. Le­bens­jahrs lie­gen­der Dienst­zei­ten be­tref­fe nicht nur Ju­gend­li­che, son­dern auch sämt­li­che un­ter das VBG fal­len­de Ver­trags­be­diens­te­te, un­abhängig da­von, wie alt die­se bei der Ein­stel­lung sei­en. Die Kom­mis­si­on ist der Auf­fas­sung, dass es an­de­re, we­ni­ger ein­schränken­de Mit­tel zur Förde­rung der Beschäfti­gung von Ju­gend­li­chen ge­be.
Ant­wort des Ge­richts­hofs
32

Es ist zu prüfen, ob ei­ne na­tio­na­le Re­ge­lung wie die im Aus­gangs­ver­fah­ren frag­li­che in den Gel­tungs­be­reich der Richt­li­nie 2000/78 fällt und, wenn ja, ob es sich um ei­ne we­gen des Al­ters dis­kri­mi­nie­ren­de Maßnah­me han­delt, die ge­ge­be­nen­falls als nach der Richt­li­nie ge­recht­fer­tigt an­ge­se­hen wer­den kann.

33

So­wohl aus dem Ti­tel und den Erwägungs­gründen als auch aus dem In­halt und der Ziel­set­zung der Richt­li­nie 2000/78 er­gibt sich, dass die­se ei­nen all­ge­mei­nen Rah­men schaf­fen soll, der gewähr­leis­tet, dass je­der „in Beschäfti­gung und Be­ruf“ gleich­be­han­delt wird, in­dem sie dem Be­trof­fe­nen ei­nen wirk­sa­men Schutz vor Dis­kri­mi­nie­run­gen aus ei­nem der in ih­rem Art. 1 ge­nann­ten Gründe – dar­un­ter auch das Al­ter – bie­tet.

34

Ins­be­son­de­re er­gibt sich aus Art. 3 Abs. 1 Buchst. a und c der Richt­li­nie 2000/78, dass die­se im Rah­men der auf die Ge­mein­schaft über­tra­ge­nen Zuständig­kei­ten „für al­le Per­so­nen in öffent­li­chen und pri­va­ten Be­rei­chen, ein­sch­ließlich öffent­li­cher Stel­len“, in Be­zug auf „die Be­din­gun­gen – ein­sch­ließlich Aus­wahl­kri­te­ri­en und Ein­stel­lungs­be­din­gun­gen – für den Zu­gang zu … Er­werbstätig­keit, un­abhängig von Tätig­keits­feld und be­ruf­li­cher Po­si­ti­on“ und „die Beschäfti­gungs‑ und Ar­beits­be­din­gun­gen, ein­sch­ließlich der Ent­las­sungs­be­din­gun­gen und des Ar­beits­ent­gelts“, gilt.

35

§ 26 VBG schließt je­doch bei der Ein­stu­fung von Ver­trags­be­diens­te­ten des öster­rei­chi­schen öffent­li­chen Diens­tes all­ge­mein je­de Berück­sich­ti­gung der vor Voll­endung des 18. Le­bens­jahrs er­wor­be­nen Be­rufs­er­fah­rung aus. Die­se Vor­schrift wirkt sich so­mit auf die Er­mitt­lung der Dienst­al­ters­stu­fe die­ser Per­so­nen aus. Sie wirkt sich folg­lich auch auf ihr Ar­beits­ent­gelt aus. Bei ei­ner der­ar­ti­gen Re­ge­lung ist dem­nach da­von aus­zu­ge­hen, dass sie die Be­din­gun­gen für den Zu­gang zur Er­werbstätig­keit, die Ein­stel­lung und das Ar­beits­ent­gelt im Sin­ne von Art. 3 Abs. 1 Buchst. a und c der Richt­li­nie 2000/78 re­gelt.

36

Un­ter die­sen Umständen fin­det die Richt­li­nie 2000/78 auf ei­nen Fall An­wen­dung, wie er dem beim vor­le­gen­den Ge­richt anhängi­gen Rechts­streit zu­grun­de liegt.

37 Nach Art. 2 Abs. 1 der Richt­li­nie 2000/78 be­deu­tet der „Gleich­be­hand­lungs­grund­satz“, der mit ihr durch­ge­setzt wer­den soll, dass es „kei­ne un­mit­tel­ba­re oder mit­tel­ba­re Dis­kri­mi­nie­rung we­gen ei­nes der in Ar­ti­kel 1 [der Richt­li­nie] ge­nann­ten Gründe ge­ben darf“. Nach Art. 2 Abs. 2 Buchst. a der Richt­li­nie liegt ei­ne un­mit­tel­ba­re Dis­kri­mi­nie­rung im Sin­ne des Abs. 1 vor, wenn ei­ne Per­son we­gen ei­nes der in Art. 1 der Richt­li­nie ge­nann­ten Gründe in ei­ner ver­gleich­ba­ren Si­tua­ti­on ei­ne we­ni­ger güns­ti­ge Be­hand­lung erfährt als ei­ne an­de­re Per­son.
38

Ei­ne na­tio­na­le Re­ge­lung wie die des Aus­gangs­ver­fah­rens be­han­delt aber Per­so­nen, die ih­re Be­rufs­er­fah­rung, wenn auch nur teil­wei­se, vor Voll­endung des 18. Le­bens­jahrs er­wor­ben ha­ben, we­ni­ger güns­tig als Per­so­nen, die nach Voll­endung des 18. Le­bens­jahrs ei­ne gleich­ar­ti­ge Be­rufs­er­fah­rung ver­gleich­ba­rer Länge er­wor­ben ha­ben. Ei­ne sol­che Re­ge­lung be­gründet ei­ne Un­gleich­be­hand­lung von Per­so­nen aus Gründen des Al­ters, in dem sie ih­re Be­rufs­er­fah­rung er­wor­ben ha­ben. Wie der im Aus­gangs­ver­fah­ren in Re­de ste­hen­de Sach­ver­halt zeigt, kann die­ses Kri­te­ri­um da­zu führen, dass zwei Per­so­nen, die die glei­che Aus­bil­dung ab­ge­legt und die glei­che Be­rufs­er­fah­rung er­wor­ben ha­ben, al­lein we­gen ih­res un­ter­schied­li­chen Al­ters un­gleich be­han­delt wer­den. Ei­ne sol­che Vor­schrift be­gründet da­mit ei­ne Un­gleich­be­hand­lung, die un­mit­tel­bar auf das Kri­te­ri­um des Al­ters im Sin­ne des Art. 2 Abs. 1 und 2 Buchst. a der Richt­li­nie 2000/78 ab­stellt.

39

Aus Art. 6 Abs. 1 der Richt­li­nie 2000/78 er­gibt sich je­doch, dass sol­che Un­gleich­be­hand­lun­gen we­gen des Al­ters „kei­ne Dis­kri­mi­nie­rung dar­stel­len, so­fern sie ob­jek­tiv und an­ge­mes­sen sind und im Rah­men des na­tio­na­len Rechts durch ein le­gi­ti­mes Ziel, wor­un­ter ins­be­son­de­re rechtmäßige Zie­le aus den Be­rei­chen Beschäfti­gungs­po­li­tik, Ar­beits­markt und be­ruf­li­che Bil­dung zu ver­ste­hen sind, ge­recht­fer­tigt sind und die Mit­tel zur Er­rei­chung die­ses Ziels an­ge­mes­sen und er­for­der­lich sind“. 

40 Hin­sicht­lich der Le­gi­ti­mität des mit der im Aus­gangs­ver­fah­ren frag­li­chen Re­ge­lung ver­folg­ten Ziels geht aus den Erläute­run­gen des vor­le­gen­den Ge­richts her­vor, dass der öster­rei­chi­sche Ge­setz­ge­ber die Berück­sich­ti­gung der vor An­er­ken­nung der vol­len Geschäftsfähig­keit mit 18 Jah­ren er­wor­be­nen Be­rufs­er­fah­rung aus­sch­ließen woll­te, um nicht Per­so­nen mit all­ge­mei­ner Se­kun­dar­schul­bil­dung ge­genüber Per­so­nen mit be­ruf­li­cher Bil­dung zu be­nach­tei­li­gen. Ne­ben die­sem An­reiz für den länge­ren Be­such der Se­kun­dar­schu­le führt das vor­le­gen­de Ge­richt auch den Wunsch des Ge­setz­ge­bers an, die Aus­bil­dung von Lehr­lin­gen für den öffent­li­chen Dienst nicht zu ver­teu­ern und da­mit die Ein­glie­de­rung von Ju­gend­li­chen, die die­se Art von Aus­bil­dung ab­ge­schlos­sen hätten, in den Ar­beits­markt zu fördern. Es ist da­her zu prüfen, ob die­se Zie­le als im Sin­ne von Art. 6 Abs. 1 der Richt­li­nie 2000/78 le­gi­tim an­ge­se­hen wer­den können.
41 In­so­weit ist dar­an zu er­in­nern, dass die Zie­le, die als „le­gi­tim“ im Sin­ne von Art. 6 Abs. 1 der Richt­li­nie 2000/78 und da­mit als ge­eig­net an­ge­se­hen wer­den können, ei­ne Aus­nah­me vom Grund­satz des Ver­bots von Dis­kri­mi­nie­run­gen aus Gründen des Al­ters zu recht­fer­ti­gen, so­zi­al­po­li­ti­sche Zie­le wie sol­che aus den Be­rei­chen Beschäfti­gungs­po­li­tik, Ar­beits­markt oder be­ruf­li­che Bil­dung sind (Ur­teil vom 5. März 2009, Age Con­cern Eng­land, C‑388/07, Slg. 2009, I‑0000, Rand­nr. 46).
42  Die vom vor­le­gen­den Ge­richt ge­nann­ten Zie­le gehören zu die­ser Ka­te­go­rie von le­gi­ti­men Zie­len und können Un­gleich­be­hand­lun­gen recht­fer­ti­gen, die im Sin­ne des Art. 6 Abs. 1 Buchst. a und b der Richt­li­nie 2000/78 mit der „Fest­le­gung be­son­de­rer Be­din­gun­gen für den Zu­gang zur Beschäfti­gung … ein­sch­ließlich der Be­din­gun­gen für … Ent­loh­nung, um die be­ruf­li­che Ein­glie­de­rung von Ju­gend­li­chen … zu fördern“, und mit der „Fest­le­gung von Min­dest­an­for­de­run­gen an das Al­ter, die Be­rufs­er­fah­rung oder das Dienst­al­ter für den Zu­gang zur Beschäfti­gung oder für be­stimm­te mit der Beschäfti­gung ver­bun­de­ne Vor­tei­le“ im Zu­sam­men­hang ste­hen.
43 Dem­nach ist bei Zie­len wie den vom vor­le­gen­den Ge­richt ge­nann­ten grundsätz­lich da­von aus­zu­ge­hen, dass sie ei­ne von den Mit­glied­staa­ten vor­ge­se­he­ne Un­gleich­be­hand­lung we­gen des Al­ters „ob­jek­tiv und an­ge­mes­sen“ und „im Rah­men des na­tio­na­len Rechts“, wie in Art. 6 Abs. 1 Un­terabs. 1 der Richt­li­nie 2000/78 vor­ge­se­hen, recht­fer­ti­gen.
44

Wei­ter ist zu prüfen, ob die Mit­tel, die zur Ver­wirk­li­chung die­ser Zie­le ein­ge­setzt wer­den, die­ser Vor­schrift ent­spre­chend „an­ge­mes­sen und er­for­der­lich“ sind.

45 In­so­weit verfügen die Mit­glied­staa­ten un­be­streit­bar über ei­nen wei­ten Er­mes­sens­spiel­raum bei der Wahl der Maßnah­men zur Er­rei­chung ih­rer Zie­le im Be­reich der Ar­beits- und So­zi­al­po­li­tik (Ur­teil Man­gold, Rand­nr. 63).
46

Un­be­scha­det die­ses Er­mes­sens­spiel­raums der Mit­glied­staa­ten ist fest­zu­stel­len, dass die vom vor­le­gen­den Ge­richt ge­nann­ten Zie­le auf den ers­ten Blick wi­dersprüchlich er­schei­nen können. Ei­nes die­ser Zie­le soll nämlich sein, die Schüler da­zu zu ver­an­las­sen, ei­ne all­ge­mein­bil­den­de statt ei­ne be­rufs­bil­den­de Se­kun­dar­schu­le zu be­su­chen. Ein an­de­res Ziel soll, wie sich aus Rand­nr. 40 des vor­lie­gen­den Ur­teils er­gibt, die Be­vor­zu­gung der Ein­stel­lung von Per­so­nen mit be­ruf­li­cher Bil­dung ge­genüber der­je­ni­gen von Per­so­nen mit all­ge­mei­ner Schul­bil­dung sein. Es geht da­her im ers­ten Fall dar­um, Per­so­nen mit all­ge­mei­ner Se­kun­dar­schul­bil­dung nicht ge­genüber Per­so­nen mit be­ruf­li­cher Bil­dung zu be­nach­tei­li­gen, und im zwei­ten Fall um das Ge­gen­teil. Auf den ers­ten Blick ist kaum er­sicht­lich, dass ei­ne na­tio­na­le Re­ge­lung wie die des Aus­gangs­ver­fah­rens gleich­zei­tig je­de die­ser bei­den Grup­pen auf Kos­ten der je­weils an­de­ren fördern können soll.

47

Über die­se Fest­stel­lung des Feh­lens in­ne­rer Kohärenz hin­aus ist auch dar­auf hin­zu­wei­sen, dass sich die im Aus­gangs­ver­fah­ren in Re­de ste­hen­de na­tio­na­le Re­ge­lung bei der Ein­stu­fung und da­mit der Fest­le­gung des Ar­beits­ent­gelts der Ver­trags­be­diens­te­ten des öffent­li­chen Diens­tes auf das Kri­te­ri­um der Be­rufs­er­fah­rung stützt. Die Ho­no­rie­rung der er­wor­be­nen Be­rufs­er­fah­rung, die es dem Ar­beit­neh­mer ermöglicht, sei­ne Ar­beit bes­ser zu ver­rich­ten, ist in der Re­gel als ein le­gi­ti­mes Ziel an­er­kannt. Da­her steht es dem Ar­beit­ge­ber frei, die­se Be­rufs­er­fah­rung bei der Vergütung zu berück­sich­ti­gen (vgl. Ur­teil vom 3. Ok­to­ber 2006, Cad­man, C‑17/05, Slg. 2006, I‑9583, Rand­nrn. 35 und 36). Ei­ne na­tio­na­le Re­ge­lung wie die im Aus­gangs­ver­fah­ren frag­li­che be­schränkt sich je­doch nicht dar­auf, die Be­rufs­er­fah­rung zu vergüten, son­dern nimmt ei­ne Un­gleich­be­hand­lung da­nach vor, in wel­chem Al­ter die­se Er­fah­rung er­wor­ben wur­de. Un­ter die­sen Umständen steht ein sol­ches Al­ters­kri­te­ri­um da­her in kei­nem un­mit­tel­ba­ren Zu­sam­men­hang mit dem Ziel des Ar­beit­ge­bers, die er­wor­be­ne Be­rufs­er­fah­rung zu ho­no­rie­ren.

48

Zu dem Ziel, die all­ge­mei­ne Se­kun­dar­schul­bil­dung nicht ge­genüber der be­ruf­li­chen Bil­dung zu be­nach­tei­li­gen, ist fest­zu­stel­len, dass das Kri­te­ri­um des Al­ters, in dem die Be­rufs­er­fah­rung er­wor­ben wur­de, un­abhängig von der Art der Aus­bil­dung gilt. Es schließt die An­rech­nung der vor Voll­endung des 18. Le­bens­jahrs er­wor­be­nen Be­rufs­er­fah­rung bei ei­ner Per­son mit All­ge­mein­schul­bil­dung eben­so aus wie bei ei­ner Per­son mit be­ruf­li­cher Bil­dung. Die­ses Kri­te­ri­um kann da­her zu ei­ner Un­gleich­be­hand­lung von zwei Per­so­nen mit be­ruf­li­cher Bil­dung oder von zwei Per­so­nen mit All­ge­mein­schul­bil­dung führen, und zwar aus­sch­ließlich auf­grund des Kri­te­ri­ums des Al­ters, in dem die Be­rufs­er­fah­rung er­wor­ben wur­de. Un­ter die­sen Umständen er­scheint das Kri­te­ri­um des Al­ters, in dem die Be­rufs­er­fah­rung er­wor­ben wur­de, zur Er­rei­chung des Ziels, die all­ge­mei­ne Bil­dung nicht ge­genüber der be­ruf­li­chen Bil­dung zu be­nach­tei­li­gen, nicht an­ge­mes­sen. In­so­weit ist fest­zu­stel­len, dass ein Kri­te­ri­um, das un­mit­tel­bar auf die Art der ab­sol­vier­ten Aus­bil­dung und nicht auf das Al­ter der Per­so­nen ab­stellt, aus der Sicht der Richt­li­nie 2000/78 der Ver­wirk­li­chung des Ziels, die all­ge­mei­ne Bil­dung nicht zu be­nach­tei­li­gen, bes­ser zu ent­spre­chen scheint.

49

Zu dem Ziel, die Ein­glie­de­rung von Ju­gend­li­chen mit be­ruf­li­cher Bil­dung in den Ar­beits­markt zu fördern, ist fest­zu­stel­len, dass der Aus­schluss der Berück­sich­ti­gung der vor Voll­endung des 18. Le­bens­jahrs er­wor­be­nen Be­rufs­er­fah­rung un­ter­schieds­los für al­le Ver­trags­be­diens­te­ten des öffent­li­chen Diens­tes gilt, un­abhängig da­von, in wel­chem Al­ter sie ein­ge­stellt wer­den. Die­ses Kri­te­ri­um des Al­ters, in dem die Be­rufs­er­fah­rung er­wor­ben wur­de, er­laubt da­her kei­ne Ab­gren­zung ei­ner Grup­pe von Per­so­nen, die durch ihr nied­ri­ges Al­ter de­fi­niert wer­den, um ih­nen be­son­de­re Ein­stel­lungs­be­din­gun­gen zu ver­schaf­fen, die ih­re Ein­glie­de­rung in den Ar­beits­markt fördern sol­len. Ei­ne Re­gel wie die im Aus­gangs­ver­fah­ren frag­li­che un­ter­schei­det sich von den von der däni­schen Re­gie­rung an­geführ­ten Maßnah­men, die die be­ruf­li­che Ein­glie­de­rung von Ju­gend­li­chen un­ter 18 Jah­ren fördern sol­len, in­dem sie für sie Min­dest­be­din­gun­gen für die Ent­loh­nung vor­se­hen, die un­ter de­nen lie­gen, die für älte­re Ar­beit­neh­mer gel­ten. Da sie das Al­ter der Per­so­nen bei ih­rer Ein­stel­lung nicht berück­sich­tigt, ist ei­ne Re­gel wie die im Aus­gangs­ver­fah­ren frag­li­che im Hin­blick auf die Förde­rung des Ein­stiegs in den Ar­beits­markt ei­ner durch ihr nied­ri­ges Al­ter de­fi­nier­ten Grup­pe von Ar­beit­neh­mern nicht an­ge­mes­sen.

50

Da­her kann ei­ne Re­ge­lung mit den Merk­ma­len der im Aus­gangs­ver­fah­ren frag­li­chen Re­ge­lung nicht als an­ge­mes­sen im Sin­ne von Art. 6 Abs. 1 der Richt­li­nie 2000/78 an­ge­se­hen wer­den.

51

Dem vor­le­gen­den Ge­richt ist dem­nach zu ant­wor­ten, dass die Art. 1, 2 und 6 der Richt­li­nie 2000/78 da­hin aus­zu­le­gen sind, dass sie ei­ner na­tio­na­len Re­ge­lung ent­ge­gen­ste­hen, die, um die all­ge­mei­ne Bil­dung nicht ge­genüber der be­ruf­li­chen Bil­dung zu be­nach­tei­li­gen und die Ein­glie­de­rung ju­gend­li­cher Lehr­lin­ge in den Ar­beits­markt zu fördern, bei der Fest­le­gung der Dienst­al­ters­stu­fe von Ver­trags­be­diens­te­ten des öffent­li­chen Diens­tes ei­nes Mit­glied­staats die Berück­sich­ti­gung von vor Voll­endung des 18. Le­bens­jahrs lie­gen­den Dienst­zei­ten aus­sch­ließt.

Kos­ten
52

Für die Par­tei­en des Aus­gangs­ver­fah­rens ist das Ver­fah­ren ein Zwi­schen­streit in dem bei dem vor­le­gen­den Ge­richt anhängi­gen Rechts­streit; die Kos­ten­ent­schei­dung ist da­her Sa­che die­ses Ge­richts. Die Aus­la­gen an­de­rer Be­tei­lig­ter für die Ab­ga­be von Erklärun­gen vor dem Ge­richts­hof sind nicht er­stat­tungsfähig.

Aus die­sen Gründen hat der Ge­richts­hof (Drit­te Kam­mer) für Recht er­kannt:

Die Art. 1, 2 und 6 der Richt­li­nie 2000/78/EG des Ra­tes vom 27. No­vem­ber 2000 zur Fest­le­gung ei­nes all­ge­mei­nen Rah­mens für die Ver­wirk­li­chung der Gleich­be­hand­lung in Beschäfti­gung und Be­ruf sind da­hin aus­zu­le­gen, dass sie ei­ner na­tio­na­len Re­ge­lung ent­ge­gen­ste­hen, die, um die all­ge­mei­ne Bil­dung nicht ge­genüber der be­ruf­li­chen Bil­dung zu be­nach­tei­li­gen und die Ein­glie­de­rung ju­gend­li­cher Lehr­lin­ge in den Ar­beits­markt zu fördern, bei der Fest­le­gung der Dienst­al­ters­stu­fe von Ver­trags­be­diens­te­ten des öffent­li­chen Diens­tes ei­nes Mit­glied­staats die Berück­sich­ti­gung von vor Voll­endung des 18. Le­bens­jahrs lie­gen­den Dienst­zei­ten aus­sch­ließt.

 

Un­ter­schrif­ten

* Ver­fah­rens­spra­che: Deutsch.

Quel­le: Ge­richts­hof der Eu­ropäischen Uni­on (EuGH), http://cu­ria.eu­ro­pa.eu

Weitere Auskünfte erteilen Ihnen gern:

Dr. Martin Hensche
Rechtsanwalt
Fachanwalt für Arbeitsrecht

Kontakt:
030 / 26 39 620
hensche@hensche.de
Christoph Hildebrandt
Rechtsanwalt
Fachanwalt für Arbeitsrecht

Kontakt:
030 / 26 39 620
hildebrandt@hensche.de
Nina Wesemann
Rechtsanwältin
Fachanwältin für Arbeitsrecht

Kontakt:
040 / 69 20 68 04
wesemann@hensche.de

Auf Facebook teilen Auf Google+ teilen Ihren XING-Kontakten zeigen Beitrag twittern

 


zur Übersicht C-88/08