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LAG Düs­sel­dorf, Ur­teil vom 20.07.2006, 15 (4) Sa 62/06

   
Schlagworte: Bezugnahmeklausel, Gleichstellungsabrede, Betriebsübergang
   
Gericht: Landesarbeitsgericht Düsseldorf
Aktenzeichen: 15 (4) Sa 62/06
Typ: Urteil
Entscheidungsdatum: 20.07.2006
   
Leitsätze:
Vorinstanzen: Arbeitsgericht Wuppertal
   

15 (4) Sa 62/06

7 Ca 2758/05
Ar­beits­ge­richt Wup­per­tal

Verkündet am 20. Ju­li 2006

Lochthowe
Ur­kunds­be­am­tin der Geschäfts­stel­le

 

LAN­DES­AR­BEITS­GERICHT DÜSSEL­DORF

IM NA­MEN DES VOL­KES

UR­TEIL

In dem Rechts­streit

der Frau T. A., G. weg 5, S.,

- Kläge­rin und Be­ru­fungs­be­klag­te -

Pro­zess­be­vollmäch­tig­te: Rechts­anwälte Dr. G. u.a.,
Q. str. 23 a, S.,

g e g e n

die E. GmbH Rei­ni­gung für Kran­kenhäuser, vertr. d. d. Geschäftsführer C., H.-I.-Ring 133, N.,

- Be­klag­te und Be­ru­fungskläge­rin -

Pro­zess­be­vollmäch­tig­te: Rechts­anwälte T. u.a.,
K.-C.-Str. 4, T.,

hat die 15. Kam­mer des Lan­des­ar­beits­ge­richts Düssel­dorf auf die münd­li­che Ver­hand­lung vom 20.07.2006
durch die Vor­sit­zen­de Rich­te­rin am Lan­des­ar­beits­ge­richt Dr. Stol­ten­berg als Vor­sit­zen­de so­wie den eh­ren­amt­li­chen Rich­ter Kuhn und den eh­ren­amt­li­chen Rich­ter May­er

für R e c h t er­kannt:

Auf die Be­ru­fung der Be­klag­ten wird das Ur­teil des Ar­beits­ge­richts Wup­per­tal vom 22.11.2005 ab­geändert.

Die Kla­ge wird ab­ge­wie­sen.

Die Kos­ten des Rechts­streits trägt die Kläge­rin. Die Re­vi­si­on wird zu­ge­las­sen.

 

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I.

T A T B E S T A N D :

Die Kläge­rin ist bei der Be­klag­ten als Rei­ni­gungs­kraft beschäftigt.

Das Ar­beits­verhält­nis wur­de am 01.09.1972 mit der Stadt S. be­gründet, wel­ches Mit­glied des Kom­mu­na­len Ar­beit­ge­ber­ver­ban­des war.

Im Ar­beits­ver­trag der Kläge­rin, wie auch bei an­de­ren Ar­beit­neh­mern, war be­stimmt wor­den:

„Das Ar­beits­verhält­nis rich­tet sich nach den Be­stim­mun­gen des Bun­des­man­tel­ta­rif­ver­tra­ges für Ar­bei­ter ge­meind­li­cher Ver­wal­tun­gen und Be­trie­be (BMT-G II) vom 31.1.1962 und der zusätz­lich ab­ge­schlos­se­nen Ta­rif­verträge, ins­be­son­de­re des Be­zirks­zu­satz­ta­rif­ver­tra­ges (BZT-G/NRW) und der An­la­ge 5 zum BMT-G II, in der je­weils gel­ten­den Fas­sung. Das glei­che gilt für die an de­ren Stel­le tre­ten­den Ta­rif­verträge. Da­ne­ben fin­den die für den Be­reich des Ar­beit­ge­bers je­weils in Kraft be­find­li­chen sons­ti­gen Ta­rif­verträge An­wen­dung. ...“

Das Ar­beits­verhält­nis ging zunächst auf die T. Kli­ni­kum S. GmbH über, wel­che ih­rer­seits (Voll-)Mit­glied im Kom­mu­na­len Ar­beit­ge­ber­ver­band war.

Ab 01.04.2004 wur­de die Kläge­rin Mit­glied der Ge­werk­schaft ver.di.

Die Be­klag­te über­nahm mit Wir­kung ab 01.07.2004 den Be­reich Rei­ni­gung von der T. Kli­ni­kum S. GmbH. Über die­sen Teil­be­triebsüber­gang wur­de die Kläge­rin mit Schrei­ben vom 05.05.2004 un­ter­rich­tet.

 

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Ab die­sem Teil­be­triebsüber­gang, dem die Kläge­rin nicht wi­der­spro­chen hat­te, nahm die Be­klag­te die Lohn­ab­rech­nun­gen der Kläge­rin und die der an­de­ren Mit­ar­bei­ter im Rei­ni­gungs­be­reich nach den für all­ge­mein­ver­bind­lich erklärten Ta­rif­verträgen für die ge­werb­li­chen Beschäftig­ten im Gebäuderei­ni­ger­hand­werk vor.

Mit der vor­lie­gen­den Kla­ge macht die Kläge­rin die Lohn­dif­fe­ren­zen zwi­schen den sich nach BMT-G II er­rech­nen­den Ent­gel­ten und der von der Be­klag­ten für den Zeit­raum Ju­li 2004 bis Mai 2005 ge­zahl­ten Vergütung gel­tend.

Die Kläge­rin hat die An­sicht ver­tre­ten, dass auf­grund ih­res Ar­beits­ver­tra­ges und des dort un­ter § 2 in Be­zug ge­nom­me­nen BMT-G II die Re­ge­lun­gen die­ses Ta­rif­ver­tra­ges auch für die Rechts­be­zie­hung der Par­tei­en, d. h. für die zu zah­len­de Ar­beits­vergütung, ver­bind­lich blie­ben.

Die Kläge­rin hat be­an­tragt,

die Be­klag­te zu ver­ur­tei­len, an die Kläge­rin 5.662,72 € brut­to nebst 5 % Zin­sen über dem Ba­sis­zins­satz von 911,97 € brut­to ab dem 10.10.2004, von wei­te­ren 3.521,35 € brut­to ab dem 15.03.2005 und von wei­te­ren 1.229,40 € brut­to ab Zu­stel­lung der Kla­ge am 22.06.2005 zu zah­len.

Die Be­klag­te hat be­an­tragt,

die Kla­ge ab­zu­wei­sen.

 

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Die Be­klag­te hat gel­tend ge­macht, nach § 613 a Abs. 1 Satz 3 BGB sei der BMT-G durch den für all­ge­mein­ver­bind­lich erklärten Rah­men­ta­rif­ver­trag und den eben­falls für all­ge­mein­ver­bind­lich erklärten Lohn­ta­rif­ver­trag für die ge­werb­lich beschäftig­ten Ar­beit­neh­mer der Gebäuderei­ni­gung ab­gelöst wor­den. Die Kläge­rin sei von der T. Kli­ni­kum S. GmbH dar­auf hin­ge­wie­sen wor­den, dass bei der Be­klag­ten die Ta­rif­verträge für das Gebäuderei­ni­ger­hand­werk gel­ten. Die­se Ta­rif­verträge ent­hiel­ten ei­ne um­fas­sen­de und ab­sch­ließen­de Vergütungs­re­ge­lung.

Das Ar­beits­ge­richt hat der Kla­ge statt­ge­ge­ben und zur Be­gründung im We­sent­li­chen aus­geführt, dass mit dem Be­triebsüber­gang auf die T. Kli­ni­kum S. GmbH die auf­grund der Gleich­stel­lungs­ab­re­de für die Kläge­rin ver­bind­li­chen Ta­rif­verträge nach § 613 a Abs. 1 Satz 2 BGB ein­zel­ver­trag­lich In­halt des Ar­beits­verhält­nis­ses zwi­schen der Kläge­rin und der T. Kli­ni­kum S. GmbH ge­wor­den sei­en. Ein an­de­rer Ta­rif­ver­trag ha­be die­se Ta­rif­norm nicht nach § 613 a Abs. 1 Satz 3 BGB ver­drängen können, da die T. Kli­ni­kum S. GmbH nicht ta­rif­ge­bun­den ge­we­sen sei.

Ge­gen die­ses ihr am 09.01.2006 zu­ge­stell­te Ur­teil rich­tet sich die am 19.01.2006 beim Lan­des­ar­beits­ge­richt ein­ge­gan­ge­ne und mit ei­nem am 20.03.2006 – nach Verlänge­rung der Be­ru­fungs­be­gründungs­frist bis zum 20.03.2006 – ein­ge­gan­ge­nen Schrift­satz be­gründe­te Be­ru­fung der Be­klag­ten.

Die Be­klag­te rügt, dass die An­nah­me des Ar­beits­ge­richts, die T. Kli­ni­kum S. GmbH sei nicht ta­rif­ge­bun­den ge­we­sen, un­zu­tref­fend sei. Tatsächlich sei die T. Kli­ni­kum S. GmbH seit dem 01.09.1992 or­dent­li­ches Mit­glied im Kom­mu­na­len Ar­beit­ge­ber­ver­band NRW. Auf­grund die­ser bei­der­sei­ti­gen kon­gru­en­ten Ta­rif­bin­dung der Ver­trags­par­tei­en des Ar­beits­verhält­nis­ses gin­gen die ta­rif­ver­trag­li-

 

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chen Re­ge­lun­gen bei Be­triebsüber­gang zunächst gemäß § 613 a Abs. 1 Satz 2 BGB auf die Be­klag­te als Er­wer­be­rin über, würden dann je­doch auf­grund der Re­ge­lung des § 613 a Abs. 1 Satz 3 BGB durch die Rechts­norm des all­ge­mein­ver­bind­li­chen Ta­rif­ver­tra­ges für das Gebäuderei­ni­ger­hand­werk er­setzt. Selbst wenn die Kläge­rin nicht oder noch nicht Mit­glied ei­ner Ge­werk­schaft und so­mit nicht ta­rif­ge­bun­den ge­we­sen wäre, würde sich die Rechts­la­ge im Er­geb­nis nicht ändern. Die laut der Gleich­stel­lungs­ab­re­de ver­ein­bar­te Gel­tung der ta­rif­ver­trag­li­chen Re­ge­lun­gen gin­gen bei Be­triebsüber­gang gemäß 613 a Abs. 1 Satz 2 BGB grundsätz­lich auf den Er­wer­ber über. Ei­ne ergänzen­de Aus­le­gung ei­ner sol­chen Be­zug­nah­me­klau­sel führe je­doch auch da­zu, dass die beim Er­wer­ber gel­ten­den Ta­rif­verträge auch für die nicht ta­rif­ge­bun­de­nen, für die auf­grund der Gleich­stel­lungs­ab­re­de die Ta­rif­verträge beim Rechts­vorgänger an­wend­bar wa­ren, An­wen­dung fänden. Ei­ne an­de­re An­sicht würde dem Sinn und Zweck der Gleich­stel­lungs­ab­re­de wi­der­spre­chen. Sch­ließlich sei nach An­sicht des Bun­des­ar­beits­ge­richts Ziel der Gleich­stel­lungs­ab­re­de, dass im Gel­tungs­be­reich ei­nes Ta­rif­ver­tra­ges die feh­len­de di­rek­te Ta­rif­bin­dung er­setzt wer­den sol­le. Wenn man die ent­spre­chen­de Über­le­gung des Bun­des­ar­beits­ge­richts zu­grun­de le­ge, dass die Gleich­stel­lungs­ab­re­de nicht da­zu führen sol­le, dass nicht or­ga­ni­sier­te Ar­beit­neh­mer bes­ser be­han­delt würden, als or­ga­ni­sier­te Ar­beit­neh­mer, so müsse da­von aus­ge­gan­gen wer­den, dass die Re­ge­lung des § 613 a Abs. 1 Satz 3 BGB auch auf sol­che Ar­beit­neh­mer an­zu­wen­den sei, auf die ta­rif­ver­trag­li­che Re­ge­lun­gen beim Rechts­vorgänger al­lein auf­grund der Gleich­stel­lungs­ab­re­de an­wend­bar wa­ren. Nur in­so­weit könne die an­ge­streb­te Gleich­stel­lung der or­ga­ni­sier­ten mit den nicht­or­ga­ni­sier­ten Ar­beit­neh­mern er­reicht wer­den.

Die Be­klag­te be­an­tragt,

dass am 25.11.2005 verkünde­te Ur­teil des Ar­beits­ge­richts Wup­per­tal – 7 Ca 2758/05 – wird auf­ge­ho­ben, die Kla­ge ab­ge­wie­sen.

Die Kläge­rin be­an­tragt,

 

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die Be­ru­fung kos­tenfällig zurück­zu­wei­sen.

Die Kläge­rin ist der An­sicht, dass es auf die Fra­ge, ob die Rechts­nach­fol­ge­rin der ursprüng­li­chen Ver­trags­part­ne­rin - die T. Kli­ni­kum S. GmbH - ta­rif­ge­bun­den ge­we­sen sei oder nicht, nicht an­kom­me. Die Rechts­po­si­ti­on der Kläge­rin sei im vor­lie­gen­den Fall durch die ar­beits­ver­trag­lich ge­trof­fe­ne Ver­ein­ba­rung des BMT-G ge­gen ei­nen Ta­rif­wech­sel un­ter Berück­sich­ti­gung des Güns­tig­keits­prin­zips geschützt. Dar­an ände­re auch der Um­stand nichts, dass die Kläge­rin ab dem 01.04.2004 Mit­glied der Ge­werk­schaft ver.di ge­wor­den sei. Hier­durch sei die ver­trag­li­che Gleich­stel­lungs­ab­re­de nicht berührt wor­den.

We­gen der wei­te­ren Ein­zel­hei­ten des Sach- und Streit­stan­des wird auf den vor­ge­tra­ge­nen In­halt der Ak­ten Be­zug ge­nom­men.

II.

E N T S C H E I D U N G S G R Ü N D E :

Die Be­ru­fung der Be­klag­ten ist statt­haft und zulässig und hat auch in der Sa­che Er­folg.

Der Kläge­rin ste­hen die vor­lie­gend gel­tend ge­mach­ten Ansprüche auf Be­glei­chung der von ihr an­ge­nom­me­nen Lohn­dif­fe­ren­zen ge­genüber der Be­klag­ten nicht zu. Auf das Ar­beits­verhält­nis der Par­tei­en fin­den nicht der BMT-G II, son­dern die all­ge­mein­ver­bind­li­chen Ta­rif­verträge für das Gebäuderei­ni­ger­hand­werk An­wen­dung.

 

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1. § 613 a Abs. 1 Satz 2 BGB be­stimmt, dass vor dem Be­triebsüber­gang für das Ar­beits­verhält­nis gel­ten­de kol­lek­tiv­recht­li­che Nor­men zwi­schen dem neu­en In­ha­ber des Be­trie­bes und dem Ar­beit­neh­mer als Ver­trags­recht wei­ter­gel­ten und nicht vor Ab­lauf ei­nes Jah­res nach dem Zeit­punkt des Be­triebsüber­g­an­ges zum Nach­teil Ar­beit­neh­mers geändert wer­den dürfen. Die­se Vor­schrift gilt nach § 613 a Abs. 1 Satz 3 BGB nicht, wenn die Rech­te und Pflich­ten bei dem neu­en In­ha­ber durch Rechts­norm ei­nes an­de­ren Ta­rif­ver­tra­ges oder durch ei­ne an­de­re Be­triebs­ver­ein­ba­rung ge­re­gelt wer­den. Nach der Recht­spre­chung des Bun­des­ar­beits­ge­richts (vgl. so z. B. BAG vom 30.08.2000 – 4 AZR 581/99 – AP Nr. 12 zu § 1 TVG Be­zug­nah­me auf Ta­rif­ver­trag m. w. N.) setzt die Ablösung ei­nes vor dem Be­triebsüber­gang nor­ma­tiv gel­ten­den Ta­rif­ver­tra­ges durch ei­nen „an­de­ren Ta­rif­ver­trag“ nach die­ser Norm die kon­gru­en­te Ta­rif­ge­bun­den­heit des neu­en In­ha­bers und des Ar­beit­neh­mers vor­aus.

Auf­grund der seit 01.04.2004 be­ste­hen­den Mit­glied­schaft der Kläge­rin in der Ge­werk­schaft ver.di und der Voll­mit­glied­schaft der Rechts­vorgänge­rin der Be­klag­ten (wie zu­letzt un­strei­tig ge­stellt wur­de) im Kom­mu­na­len Ar­beit­ge­ber­ver­band galt der BMT-G II zwi­schen der Kläge­rin und der Rechts­vorgänge­rin der Be­klag­ten nor­ma­tiv. Auf­grund der All­ge­mein­ver­bind­lich­keit der Ta­rif­verträge für das Gebäuderei­ni­ger­hand­werk be­steht auch nach dem Be­triebsüber­gang ei­ne bei­der­sei­ti­ge kon­gru­en­te Ta­rif­ge­bun­den­heit. In­so­fern ist § 613 a Abs. 1 Satz 3 BGB hier (un­mit­tel­bar) an­zu­wen­den mit der Fol­ge, dass der BMT-G II durch die den­sel­ben Re­ge­lungs­ge­gen­stand be­tref­fen­den Ta­rif­nor­men der Ta­rif­verträge für das Gebäuderei­ni­ger­hand­werk ab­gelöst wur­de, oh­ne dass in­so­weit das Güns­tig­keits­prin­zip An­wen­dung fin­det (vgl. BAG vom 11.05.2005 – 4 AZR 315/04 – AP Nr. 30 zu § 4 TVG Ta­rif­kon­kur­renz).

 

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2. So­weit sich die Kläge­rin dar­auf be­ru­fen hat, dass sie durch die nach ih­rem Ar­beits­ver­trag ge­ge­be­ne ver­trag­li­che Gleich­stel­lungs­ab­re­de ge­gen die An­wen­dung ei­nes für sie ungüns­ti­ge­ren Ta­rif­ver­tra­ges geschützt sei, was auch die An­wen­dung des § 613 a Abs. 1 Satz 3 BGB aus­sch­ließe, kann ihr nicht ge­folgt wer­den.

a) Zu Recht geht die Kläge­rin da­von aus, dass es sich bei der Be­zug­nah­me­klau­sel in ih­rem Ar­beits­ver­trag um ei­ne so­ge­nann­te Gleich­stel­lungs­ab­re­de han­delt, wo­bei bei dem hier zu ent­schei­den­den „Alt­fall“ noch die bis­lang gel­ten­den Rechts­spre­chungs­grundsätze an­zu­wen­den sind (vgl. da­zu BAG vom 14.12.2005 – 4 AZR 536/04 – NZA 2006, Sei­te 607 ff.). Ha­ben die Par­tei­en im Ar­beits­ver­trag ver­ein­bart, dass auf das Ar­beits­verhält­nis be­stimm­te Ta­rif­verträge in der je­weils gülti­gen Fas­sung an­zu­wen­den sind und ist der Ar­beit­ge­ber an die in Be­zug ge­nom­me­nen Ta­rif­verträge ta­rif­ge­bun­den, so liegt in die­ser Ver­ein­ba­rung ty­pi­scher­wei­se ei­ne so­ge­nann­te Gleich­stel­lungs­ab­re­de. Mit ihr wird ar­beits­ver­trag­lich ver­ein­bart, dass die Nor­men des Ta­rif­ver­tra­ges, die den In­halt, den Ab­schluss und die Be­en­di­gung des Ar­beits­verhält­nis­ses so­wie be­trieb­li­che und be­triebs­ver­fas­sungs­recht­li­che Fra­gen re­geln, in glei­cher Wei­se an­zu­wen­den sind, wie wenn sie nor­ma­tiv kraft bei­der­sei­ti­ger Ver­bands­zu­gehörig­keit gel­ten würden. Als Gleich­stel­lungs­ab­re­de kann die ar­beits­ver­trag­li­che Ver­ein­ba­rung der An­wen­dung ei­nes Ta­rif­ver­tra­ges nur dann ver­stan­den wer¬den, wenn der Ar­beit­ge­ber an den in Be­zug ge­nom­me­nen Ta­rif­ver­trag ge­bun­den ist und die­ser al­so für ihn zwin­gend und un­mit­tel­bar gilt. Die Gleich­stel­lungs­ab­re­de er­setzt die nur mögli­cher­wei­se feh­len­de Ta­rif­ge­bun­den­heit des Ar­beit­neh­mers (vgl. so z. B. BAG vom 19.03.2003 – 4 AZR 331/02 – DB 2003, 2126).

Die Stadt S. (wie auch ih­re Rechts­nach­fol­ge­rin) war zum Zeit­punkt des Ab­schlus­ses des Ver­tra­ges mit der Kläge­rin ta­rif­ge­bun­den, wo­bei die Kläge­rin erst­in­stanz­lich selbst dar­auf ver­wie­sen hat, dass der Pas­sus, wo­nach für Rech­te und Pflich­ten aus dem Ar­beits­ver­trag die Be­stim­mun­gen des Bun­des­man­tel-

 

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ta­rif­ver­tra­ges für die Ar­bei­ter ge­meind­li­cher Ver­wal­tung gel­ten sol­len, sich in al­len Ar­beits­verträgen fände, die vom al­ten Be­triebs­in­ha­ber ab­ge­schlos­sen wor­den sei­en, gleichgültig, ob die Ver­trags­part­ner auf Ar­beit­neh­mer­sei­te Mit­glied der am Ta­rif­ver­trag be­tei­lig­ten Ge­werk­schaft wa­ren oder nicht. Die­se ge­ne­rel­le Hand­ha­bung ist auch im Rah­men des Be­ru­fungs­ver­fah­rens kläger­seits nicht in Ab­re­de ge­stellt wor­den.

b) Ob ei­ne Be­zug­nah­me­klau­sel bei bei­der­sei­ti­ger Ta­rif­ge­bun­den­heit de­kla­ra­to­risch oder kon­sti­tu­tiv wirkt, hat das Bun­des­ar­beits­ge­richt für den Fall bei­der­sei­ti­ger Ta­rif­ge­bun­den­heit bei Ver­trags­schluss da­hin­ge­hend be­ant­wor­tet, dass es nicht von prak­ti­scher Be­deu­tung sei, wenn sich Ar­beit­neh­mer und Ar­beit­ge­ber zu­gleich auf ei­ne kon­sti­tu­tiv wir­ken­de dy­na­mi­sche Ver­wei­sung be­ru­fen könn­ten (BAG vom 27.11.2002 – 4 AZR 540/01 – AP Nr. 29 zu § 1 TVG Be­zug­nah­me auf Ta­rif­ver­trag). Be­gründet wur­de dies da­mit, dass nach Be­en­di­gung der Mit­glied­schaft des Ar­beit­ge­bers im Ar­beit­ge­ber­ver­band und sei­ner Nach­bin­dung nach § 3 Abs. 3 TVG die vor­mals un­mit­tel­bar und zwin­gend für das Ar­beits­verhält­nis gel­ten­den Ta­rif­verträge nach § 4 Abs. 5 TVG nach­wir­ken. Sie hätten für die­ses aber kei­ne zwin­gen­de Wir­kung mehr. Die nach wie vor gel­ten­de ar­beits­ver­trag­li­che Ver­ein­ba­rung, der Ar­beit­neh­mer wer­de so ge­stellt, als wäre er ta­rif­ge­bun­den, führe auch bei kon­sti­tu­ti­ver Wir­kung der­sel­ben nicht zur Teil­ha­be des Ar­beit­neh­mers an den nach Ver­bands­aus­tritt des Ar­beit­ge­bers ver­ein­bar­ten und in Kraft ge­tre­te­nen Ta­rif­verträgen bzw. Ta­rifände­run­gen.

Ent­spre­chend heißt es auch in an­de­ren Ur­tei­len (BAG vom 29.08.2001 – 4 AZR 332/00 – AP Nr. 17 zu § 1 TVG Be­zug­nah­me auf Ta­rif­ver­trag):

„Die Be­zug­nah­me sol­le wi­der­spie­geln, was ta­rif­recht­lich gel­te. Sie er­set­ze le­dig­lich die feh­len­de Mit­glied­schaft des Ar­beit­neh­mers in der ta­rif­sch­ließen­den Ge­werk­schaft und stel­le ihn so, als wäre er ta­rif­ge­bun­den. ... We­gen der Ziel­set­zung der Gleich­stel­lungs­ab­re­de wer­de der Ar­beit­neh­mer auch im Fal­le ei­nes Be­triebsüber­g­an­ges so ge­stellt wie ein ta­rif­ge­bun­de­ner Ar­beit­neh­mer.“

 

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„Die Gleich­stel­lungs­ab­re­de hat zur Fol­ge, dass sie dem Ar­beit­neh­mer kei­ne stärke­re Po­si­ti­on gibt, als er sie bei Ta­rif­ge­bun­den­heit ge­habt hätte (BAG vom 16.10.2002 – 4 AZR 467/01 – NZA 2003, Sei­te 390 ff.).“

Zu­zu­ge­ben ist der Kläge­rin in­so­weit zwar, dass es bei der vor­ge­nann­ten Rechts­spre­chung (BAG a. a. O.) je­weils um die Fra­ge ging, ob auf­grund ei­ner ar­beits­ver­trag­li­chen Gleich­stel­lungs­ab­re­de (oh­ne Vor­lie­gen be­son­de­rer Umstände) bei Weg­fall der Ta­rif­ge­bun­den­heit des Ar­beit­ge­bers statt der sta­ti­schen Wei­ter­gel­tung der in Be­zug ge­nom­me­nen Ta­rif­verträge ei­ne dy­na­mi­sche Wei­ter­gel­tung ge­for­dert wer­den kann. Nach Auf­fas­sung der Kam­mer müssen die vor­ge­nann­ten Grundsätze in­des auch dann an­ge­wandt wer­den, wenn es um ei­nen (Teil-)Be­triebsüber­gang geht, bei dem im Fal­le nor­ma­ti­ver Ta­rif­bin­dung der Ar­beits­ver­trags­par­tei­en vor Be­triebsüber­gang we­gen kon­gru­en­ter bei­der­sei­ti­ger Ta­rif­bin­dung nach Be­triebsüber­gang § 613 a Abs. 1 Satz 3 BGB an­zu­wen­den wäre. All je­ne Ar­beit­neh­mer, die zwar nicht ta­rif­ge­bun­den, aber mit ei­ner Gleich­stel­lungs­ab­re­de in ih­rem Ar­beits­ver­trag ver­se­hen wa­ren, würden nun­mehr nicht gleich son­dern bes­ser ge­stellt, wenn in­di­vi­du­al­recht­lich die in Be­zug ge­nom­me­nen frühe­ren Ta­rif­verträge (sta­tisch) wei­ter­hin an­zu­wen­den wären, so sie güns­ti­ger sind, als die nun­mehr im Be­trieb – wie hier auf­grund von All­ge­mein­ver­bind­lich­keit – gel­ten­den Ta­rif­verträge (so ver­tre­ten vom LAG Ber­lin 31.03.2006 – 6 Sa 2262/05 -).

Ei­ne der­ar­ti­ge Bes­ser­stel­lung ist nicht ge­recht­fer­tigt. Da­bei be­darf es nach Auf­fas­sung der Kam­mer kei­ner ana­lo­gen An­wen­dung des § 613 a Abs. 1 Satz 3 BGB. Auch be­darf es kei­ner „Ta­rif­wech­sel­klau­sel“. Er­for­der­lich ist le­dig­lich ei­ne sach­ge­rech­te Aus­le­gung ei­ner Gleich­stel­lungs­ab­re­de, wie der vor­lie­gen­den:

 

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Nach der vor­her­ge­nann­ten Recht­spre­chung des Bun­des­ar­beits­ge­richts gibt es bei ei­ner Gleich­stel­lungs­ab­re­de ei­nen vom Wil­len das Ar­beit­ge­bers abhängi­gen „Teil“, der da­hin geht, den be­tref­fen­den Ar­beit­neh­mer - auch oh­ne ei­ne kon­gru­en­te Ta­rif­ge­bun­den­heit des­sel­ben - so zu stel­len, als wäre er (ein­schlägig) ta­rif­ge­bun­den. Die Fra­ge, mit wel­chem In­halt, wie lan­ge und zu wem die so ver­ein­bar­te Ta­rif­gel­tung Be­stand hat, rich­tet sich so­dann nach den für die im Fal­le bei­der­sei­ti­ger Ta­rif­bin­dung gel­ten­den ge­setz­li­chen Nor­men, wie z. B. §§ 3 Abs. 3, 4 Abs. 5 TVG. Die­se sind gleich­sam mit in Be­zug ge­nom­men wor­den, so­weit Ab­wei­chen­des nicht aus­drück­lich ver­ein­bart ist. Ei­ne sol­che ge­setz­li­che Norm, die das Schick­sal ei­nes im Be­trieb gel­ten­den Ta­rif­ver­tra­ges und die Fra­ge sei­ner Fort­gel­tung be­han­delt, ist auch § 613 a Abs. 1 Satz 3 BGB, der in­so­fern gleich­falls, wie al­le an­de­ren die Ta­rif(wei­ter-)gel­tung re­geln­den ge­setz­li­chen Nor­men auch, auf­grund der Gleich­stel­lungs­ab­re­de mit der dar­in ent­hal­te­nen „Ge­set­zes­un­ter­wer­fung“ mit in Be­zug ge­nom­men wur­de. Für die zu­vor nicht ta­rif­ge­bun­de­nen Ar­beit­neh­mer be­deu­tet dies, dass sie bei Ver­trags­schluss in­so­fern schon ihr (an­ti­zi­pier­tes) Ein­verständ­nis mit ei­ner Ablösung ih­rer ar­beits­ver­trag­lich in Be­zug ge­nom­me­nen Ta­rif­verträge ge­ge­ben ha­ben, für den Fall, dass bei bei­der­sei­ti­ger Ta­rif­bin­dung § 613 a Abs. 1 Satz 3 BGB zum Tra­gen ge­kom­men wäre.

Ei­ner „Ta­rif­wech­sel­klau­sel“ be­darf es nur dann, wenn es kei­ne ge­setz­li­che Vor­schrift gibt, die ei­nen Ta­rif­wech­sel vor­schreibt wie die Be­stim­mung des § 613 a Abs. 1 Satz 3 BGB, und der Ar­beit­ge­ber über ei­ne bloße - or­ga­ni­sier­te wie nicht­or­ga­ni­sier­te Ar­beit­neh­mer glei­cher­maßen tref­fen­de - Nor­m­an­wen­dung hin­aus­ge­hend auch die Teil­ha­be sei­ner Ar­beit­neh­mer an ei­nem Wech­sel der in sei­nem Be­trieb gel­ten­den Ta­rif­verträge zu er­rei­chen sucht.

Ein sol­cher Fall ist vor­lie­gend je­doch nicht ge­ge­ben.

Nach al­le­dem konn­te der Be­ru­fung der Be­klag­ten der Er­folg nicht ver­sagt blei­ben.

 

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3. Die Kos­ten des Rechts­streits hat die Kläge­rin als un­ter­lie­gen­de Par­tei zu tra­gen (§ 91 Abs. 1 ZPO).

4. Die Re­vi­si­on war we­gen der grundsätz­li­chen Be­deu­tung der Sa­che und der Ab­wei­chung zur Recht­spre­chung des LAG Ber­lin gemäß § 72 Abs. 2 Ziff. 1 u. 2 ArbGG zu­zu­las­sen.

R E C H T S M I T T E L B E L E H R U N G :

Ge­gen die­ses Ur­teil kann von der Kläge­rin

RE­VISION

ein­ge­legt wer­den.

Für die Be­klag­te ist ge­gen die­ses Ur­teil kein Rechts­mit­tel ge­ge­ben.

Die Re­vi­si­on muss

in­ner­halb ei­ner Not­frist von ei­nem Mo­nat

nach der Zu­stel­lung die­ses Ur­teils schrift­lich beim

Bun­des­ar­beits­ge­richt,

Hu­go-Preuß-Platz 1,

99084 Er­furt,

Fax: (0361) 2636 - 2000

ein­ge­legt wer­den.

Die Re­vi­si­on ist gleich­zei­tig oder

in­ner­halb von zwei Mo­na­ten nach Zu­stel­lung die­ses Ur­teils

schrift­lich zu be­gründen.

 

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Die Re­vi­si­ons­schrift und die Re­vi­si­ons­be­gründung müssen von ei­nem bei ei­nem deut­schen Ge­richt zu­ge­las­se­nen Rechts­an­walt un­ter­zeich­net sein.

 

Dr. Stol­ten­berg 

Kuhn 

May­er

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