HENSCHE RECHTSANWÄLTE, FACHANWALTSKANZLEI FÜR ARBEITSRECHT

 

EuGH, Ur­teil vom 26.02.2008, C-506/06 - Mayr

   
Schlagworte: Schwangerschaft, Mutterschutz, Unkündbarkeit
   
Gericht: Europäischer Gerichtshof
Aktenzeichen: C-506/06
Typ: Urteil
Entscheidungsdatum: 26.02.2008
   
Leitsätze:

Die Richtlinie 92/85/EWG des Rates vom 19. Oktober 1992 über die Durchführung von Maßnahmen zur Verbesserung der Sicherheit und des Gesundheitsschutzes von schwangeren Arbeitnehmerinnen, Wöchnerinnen und stillenden Arbeitnehmerinnen am Arbeitsplatz (zehnte Einzelrichtlinie im Sinne des Artikels 16 Absatz 1 der Richtlinie 89/391/EWG) und insbesondere das in Art. 10 Nr. 1 dieser Richtlinie enthaltene Verbot der Kündigung schwangerer Arbeitnehmerinnen sind dahin auszulegen, dass sie nicht eine Arbeitnehmerin erfassen, die sich einer Befruchtung in vitro unterzieht, wenn zum Zeitpunkt des Ausspruchs der Kündigung die Befruchtung ihrer Eizellen mit den Samenzellen ihres Partners bereits stattgefunden hat, so dass in vitro befruchtete Eizellen existieren, diese aber noch nicht in ihre Gebärmutter eingesetzt worden sind.

Jedoch stehen Art. 2 Abs. 1 und Art. 5 Abs. 1 der Richtlinie 76/207/EWG des Rates vom 9. Februar 1976 zur Verwirklichung des Grundsatzes der Gleichbehandlung von Männern und Frauen hinsichtlich des Zugangs zur Beschäftigung, zur Berufsbildung und zum beruflichen Aufstieg sowie in Bezug auf die Arbeitsbedingungen der Kündigung einer Arbeitnehmerin entgegen, die sich unter Umständen wie denen des Ausgangsverfahrens in einem vorgerückten Behandlungsstadium einer In-vitro-Fertilisation befindet, nämlich zwischen der Follikelpunktion und der sofortigen Einsetzung der in vitro befruchteten Eizellen in ihre Gebärmutter, sofern nachgewiesen ist, dass die Tatsache, dass sich die Betreffende einer solchen Behandlung unterzogen hat, der hauptsächliche Grund für die Kündigung ist.

Vorinstanzen:
   

UR­TEIL DES GERICH­TSHOFS (Große Kam­mer)

26. Fe­bru­ar 2008(*)

„So­zi­al­po­li­tik − Richt­li­nie 92/85/EWG − Maßnah­men zur Ver­bes­se­rung der Si­cher­heit und des Ge­sund­heits­schut­zes von schwan­ge­ren Ar­beit­neh­me­rin­nen, Wöch­ne­rin­nen und stil­len­den Ar­beit­neh­me­rin­nen am Ar­beits­platz – Be­griff der schwan­ge­ren Ar­beit­neh­me­rin − Ver­bot der Kündi­gung schwan­ge­rer Ar­beit­neh­me­rin­nen während der Zeit vom Be­ginn der Schwan­ger­schaft bis zum En­de des Mut­ter­schafts­ur­laubs − Gekündig­te Ar­beit­neh­me­rin, de­ren Ei­zel­len zum Zeit­punkt des Aus­spruchs der Kündi­gung in vi­tro be­fruch­tet, aber noch nicht in ih­re Gebärmut­ter ein­ge­pflanzt wor­den wa­ren − Richt­li­nie 76/207/EWG − Gleich­be­hand­lung männ­li­cher und weib­li­cher Ar­beit­neh­merAr­beit­neh­me­rin, die sich ei­ner Be­hand­lung zur In-vi­tro-Fer­ti­li­sa­ti­on un­ter­zieht − Ver­bot der Kündi­gung − Um­fang“

In der Rechts­sa­che C-506/06

be­tref­fend ein Vor­ab­ent­schei­dungs­er­su­chen nach Art. 234 EG, ein­ge­reicht vom Obers­ten Ge­richts­hof (Öster­reich) mit Ent­schei­dung vom 23. No­vem­ber 2006, beim Ge­richts­hof ein­ge­gan­gen am 14. De­zem­ber 2006, in dem Ver­fah­ren

Sa­bi­ne Mayr

ge­gen

Bäcke­rei und Kon­di­to­rei Ger­hard Flöck­ner OHG

erlässt

DER GERICH­TSHOF (Große Kam­mer)

un­ter Mit­wir­kung des Präsi­den­ten V. Skou­ris, der Kam­mer­präsi­den­ten P. Jann, C. W. A. Tim­mer­m­ans, A. Ro­sas, L. Bay Lar­sen, der Rich­te­rin R. Sil­va de La­pu­er­ta, der Rich­ter K. Schie­mann, J. Ma­k­arc­zyk, P. Kūris, E. Juhász, A. Ó Cao­imh (Be­richt­er­stat­ter), der Rich­te­rin P. Lindh und des Rich­ters J.‑C. Bo­ni­chot,

Ge­ne­ral­an­walt: D. Ruiz-Ja­rabo Co­lo­mer,

Kanz­ler: B. Fülöp, Ver­wal­tungs­rat,

auf­grund des schrift­li­chen Ver­fah­rens und auf die münd­li­che Ver­hand­lung vom 16. Ok­to­ber 2007,

un­ter Berück­sich­ti­gung der Erklärun­gen

– der Bäcke­rei und Kon­di­to­rei Ger­hard Flöck­ner OHG, ver­tre­ten durch Rechts­an­walt H. Hübel,

– der öster­rei­chi­schen Re­gie­rung, ver­tre­ten durch C. Pe­sen­dor­fer und M. Wink­ler als Be­vollmäch­tig­te,

– der grie­chi­schen Re­gie­rung, ver­tre­ten durch E.‑M. Ma­mou­na, K. Geor­gia­dis und M. Apes­sos als Be­vollmäch­tig­te,

– der ita­lie­ni­schen Re­gie­rung, ver­tre­ten durch I. M. Bra­guglia als Be­vollmäch­tig­ten im Bei­stand von W. Fer­ran­te, av­vo­ca­to del­lo Sta­to,

– der Kom­mis­si­on der Eu­ropäischen Ge­mein­schaf­ten, ver­tre­ten durch M. van Beek, V. Kreu­schitz und I. Kauf­mann-Bühler als Be­vollmäch­tig­te,

nach Anhörung der Schluss­anträge des Ge­ne­ral­an­walts in der Sit­zung vom 27. No­vem­ber 2007

fol­gen­des

Ur­teil

1

Das Vor­ab­ent­schei­dungs­er­su­chen be­trifft die Aus­le­gung von Art. 2 Buchst. a der Richt­li­nie 92/85/EWG des Ra­tes vom 19. Ok­to­ber 1992 über die Durchführung von Maßnah­men zur Ver­bes­se­rung der Si­cher­heit und des Ge­sund­heits­schut­zes von schwan­ge­ren Ar­beit­neh­me­rin­nen, Wöch­ne­rin­nen und stil­len­den Ar­beit­neh­me­rin­nen am Ar­beits­platz (zehn­te Ein­zel­richt­li­nie im Sin­ne des Ar­ti­kels 16 Ab­satz 1 der Richt­li­nie 89/391/EWG) (ABl. L 348, S. 1).

2

Die­ses Er­su­chen er­geht im Rah­men ei­nes Rechts­streits zwi­schen Frau Mayr, der Kläge­rin des Aus­gangs­ver­fah­rens, und ih­rer ehe­ma­li­gen Ar­beit­ge­be­rin, der Bäcke­rei und Kon­di­to­rei Ger­hard Flöck­ner OHG (im Fol­gen­den: Flöck­ner), der Be­klag­ten des Aus­gangs­ver­fah­rens, in­fol­ge der Kündi­gung, die Flöck­ner ge­genüber Frau Mayr aus­ge­spro­chen hat.

Recht­li­cher Rah­men

Ge­mein­schafts­recht

Die Richt­li­nie 76/207/EWG

3

Art. 2 Abs. 1 der Richt­li­nie 76/207/EWG des Ra­tes vom 9. Fe­bru­ar 1976 zur Ver­wirk­li­chung des Grund­sat­zes der Gleich­be­hand­lung von Männern und Frau­en hin­sicht­lich des Zu­gangs zur Beschäfti­gung, zur Be­rufs­bil­dung und zum be­ruf­li­chen Auf­stieg so­wie in Be­zug auf die Ar­beits­be­din­gun­gen (ABl. L 39, S. 40) be­stimmt, dass „[d]er Grund­satz der Gleich­be­hand­lung … be­inhal­tet, dass kei­ne un­mit­tel­ba­re oder mit­tel­ba­re Dis­kri­mi­nie­rung auf Grund des Ge­schlechts – ins­be­son­de­re un­ter Be­zug­nah­me auf den Ehe- oder Fa­mi­li­en­stand – er­fol­gen darf“. 

4

Laut ih­rem Art. 2 Abs. 3 steht die Richt­li­nie 76/207 „nicht den Vor­schrif­ten zum Schutz der Frau, ins­be­son­de­re bei Schwan­ger­schaft und Mut­ter­schaft, ent­ge­gen“. 

5

Art. 5 Abs. 1 der Richt­li­nie 76/207 lau­tet:

„Die An­wen­dung des Grund­sat­zes der Gleich­be­hand­lung hin­sicht­lich der Ar­beits­be­din­gun­gen ein­sch­ließlich der Ent­las­sungs­be­din­gun­gen be­inhal­tet, dass Männern und Frau­en die­sel­ben Be­din­gun­gen oh­ne Dis­kri­mi­nie­rung auf Grund des Ge­schlechts gewährt wer­den.“

6

Mit Art. 34 Abs. 1 der Richt­li­nie 2006/54/EG des Eu­ropäischen Par­la­ments und des Ra­tes vom 5. Ju­li 2006 zur Ver­wirk­li­chung des Grund­sat­zes der Chan­cen­gleich­heit und Gleich­be­hand­lung von Männern und Frau­en in Ar­beits- und Beschäfti­gungs­fra­gen (Neu­fas­sung) (ABl. L 204, S. 23) wur­de die Richt­li­nie 76/207 in der durch die Richt­li­nie 2002/73/EG des Eu­ropäischen Par­la­ments und des Ra­tes vom 23. Sep­tem­ber 2002 (ABl. L 269, S. 15) geänder­ten Fas­sung auf­ge­ho­ben.

7

Die Richt­li­ni­en 2002/73 und 2006/54 fin­den je­doch in zeit­li­cher Hin­sicht kei­ne An­wen­dung auf den Sach­ver­halt des Aus­gangs­ver­fah­rens.

Die Richt­li­nie 92/85

8

Aus dem neun­ten Erwägungs­grund der Richt­li­nie 92/85 geht her­vor, dass der Schutz der Si­cher­heit und der Ge­sund­heit von schwan­ge­ren Ar­beit­neh­me­rin­nen, Wöch­ne­rin­nen oder stil­len­den Ar­beit­neh­me­rin­nen we­der Frau­en auf dem Ar­beits­markt be­nach­tei­li­gen noch die Richt­li­ni­en zur Gleich­be­hand­lung von Männern und Frau­en be­ein­träch­ti­gen darf.

9 Dem 15. Erwägungs­grund die­ser Richt­li­nie zu­fol­ge kann sich die Ge­fahr, aus Gründen ent­las­sen zu wer­den, die mit ih­rem Zu­stand in Ver­bin­dung ste­hen, schädlich auf die phy­si­sche und psy­chi­sche Ver­fas­sung von schwan­ge­ren Ar­beit­neh­me­rin­nen, Wöch­ne­rin­nen oder stil­len­den Ar­beit­neh­me­rin­nen aus­wir­ken, so dass es er­for­der­lich ist, ih­re Kündi­gung zu ver­bie­ten.
10 Als schwan­ge­re Ar­beit­neh­me­rin gilt laut der De­fi­ni­ti­on in Art. 2 Buchst. a der Richt­li­nie 92/85 „je­de schwan­ge­re Ar­beit­neh­me­rin, die den Ar­beit­ge­ber gemäß den ein­zel­staat­li­chen Rechts­vor­schrif­ten und/oder Ge­pflo­gen­hei­ten von ih­rer Schwan­ger­schaft un­ter­rich­tet“.
11

Art. 10 der Richt­li­nie 92/85 hat fol­gen­den Wort­laut:

„Um den Ar­beit­neh­me­rin­nen im Sin­ne des Ar­ti­kels 2 die Ausübung der in die­sem Ar­ti­kel an­er­kann­ten Rech­te in Be­zug auf ih­re Si­cher­heit und ih­ren Ge­sund­heits­schutz zu gewähr­leis­ten, wird Fol­gen­des vor­ge­se­hen:

1. Die Mit­glied­staa­ten tref­fen die er­for­der­li­chen Maßnah­men, um die Kündi­gung der Ar­beit­neh­me­rin­nen im Sin­ne des Ar­ti­kels 2 während der Zeit vom Be­ginn der Schwan­ger­schaft bis zum En­de des Mut­ter­schafts­ur­laubs nach Ar­ti­kel 8 Ab­satz 1 zu ver­bie­ten; da­von aus­ge­nom­men sind die nicht mit ih­rem Zu­stand in Zu­sam­men­hang ste­hen­den Aus­nah­mefälle, die ent­spre­chend den ein­zel­staat­li­chen Rechts­vor­schrif­ten und/oder Ge­pflo­gen­hei­ten zulässig sind, wo­bei ge­ge­be­nen­falls die zuständi­ge Behörde ih­re Zu­stim­mung er­tei­len muss.

2. Wird ei­ner Ar­beit­neh­me­rin im Sin­ne des Ar­ti­kels 2 während der in Num­mer 1 ge­nann­ten Zeit gekündigt, so muss der Ar­beit­ge­ber schrift­lich be­rech­tig­te Kündi­gungs­gründe anführen.

3. Die Mit­glied­staa­ten tref­fen die er­for­der­li­chen Maßnah­men, um Ar­beit­neh­me­rin­nen im Sin­ne des Ar­ti­kels 2 vor den Fol­gen ei­ner nach Num­mer 1 wi­der­recht­li­chen Kündi­gung zu schützen.“

12

Art. 12 der Richt­li­nie 92/85 lau­tet:

„Die Mit­glied­staa­ten er­las­sen die in­ner­staat­li­chen Vor­schrif­ten, die not­wen­dig sind, da­mit je­de Ar­beit­neh­me­rin, die sich durch die Nich­terfüllung der Ver­pflich­tun­gen aus die­ser Richt­li­nie für be­schwert hält, ih­re Rech­te ge­richt­lich und/oder ent­spre­chend den in­ner­staat­li­chen Rechts­vor­schrif­ten und/oder Gebräuchen durch Be­fas­sung an­de­rer zuständi­ger Stel­len gel­tend ma­chen kann.“

Na­tio­na­les Recht

13

§ 10 des Mut­ter­schutz­ge­set­zes (MSchG) hat fol­gen­den Wort­laut:

„(1) Dienst­neh­me­rin­nen kann während der Schwan­ger­schaft und bis zum Ab­lauf von vier Mo­na­ten nach der Ent­bin­dung rechts­wirk­sam nicht gekündigt wer­den, es sei denn, dass dem Dienst­ge­ber die Schwan­ger­schaft be­zie­hungs­wei­se Ent­bin­dung nicht be­kannt ist.

(2) Ei­ne Kündi­gung ist auch rechts­un­wirk­sam, wenn die Schwan­ger­schaft be­zie­hungs­wei­se Ent­bin­dung dem Dienst­ge­ber bin­nen fünf Ar­beits­ta­gen nach Aus­spruch der Kündi­gung, bei schrift­li­cher Kündi­gung bin­nen fünf Ar­beits­ta­gen nach de­ren Zu­stel­lung, be­kannt ge­ge­ben wird. Die schrift­li­che Be­kannt­ga­be der Schwan­ger­schaft be­zie­hungs­wei­se Ent­bin­dung ist recht­zei­tig, wenn sie in­ner­halb der Fünf­ta­ge­frist zur Post ge­ge­ben wird. Wen­det die Dienst­neh­me­rin die Schwan­ger­schaft be­zie­hungs­wei­se Ent­bin­dung in­ner­halb der Fünf­ta­ge­frist ein, so hat sie gleich­zei­tig durch ei­ne Bestäti­gung des Arz­tes die Schwan­ger­schaft oder die Ver­mu­tung der Schwan­ger­schaft nach­zu­wei­sen oder die Ge­burts­ur­kun­de des Kin­des vor­zu­wei­sen. Kann die Dienst­neh­me­rin aus Gründen, die nicht von ihr zu ver­tre­ten sind, dem Dienst­ge­ber die Schwan­ger­schaft be­zie­hungs­wei­se Ent­bin­dung nicht in­ner­halb der Fünf­ta­ge­frist be­kannt ge­ben, so ist die Be­kannt­ga­be recht­zei­tig, wenn sie un­mit­tel­bar nach Weg­fall des Hin­de­rungs­grun­des nach­ge­holt wird.“

14

Nach § 17 Abs. 1 Fort­pflan­zungs­me­di­zin­ge­setz (FMedG) können ent­wick­lungsfähi­ge Zel­len, das sind gemäß § 1 Abs. 3 FMedG be­fruch­te­te Ei­zel­len und dar­aus ent­wi­ckel­te Zel­len, bis zu zehn Jah­re auf­be­wahrt wer­den.

15

Gemäß § 8 FMedG darf ei­ne me­di­zi­nisch un­terstütz­te Fort­pflan­zung nur mit Zu­stim­mung der Part­ner durch­geführt wer­den, wo­bei die Zu­stim­mung der Frau bis zur Ein­brin­gung der ent­wick­lungsfähi­gen Zel­len in ih­ren Körper wi­der­ru­fen wer­den kann.

Aus­gangs­ver­fah­ren und Vor­la­ge­fra­ge

16

Frau Mayr war seit dem 3. Ja­nu­ar 2005 bei Flöck­ner als Kell­ne­rin beschäftigt.

17

Im Rah­men ei­nes Ver­suchs zur künst­li­chen Be­fruch­tung und nach ei­ner rund ein­ein­halb Mo­na­te dau­ern­den Hor­mon­be­hand­lung wur­de bei Frau Mayr am 8. März 2005 ei­ne Fol­li­kel­punk­ti­on vor­ge­nom­men. Vom 8. bis 13. März 2005 wur­de sie von ih­rem Haus­arzt krank­ge­schrie­ben.

18

Am 10. März 2005 teil­te Flöck­ner Frau Mayr während ei­nes Te­le­fo­nats mit, dass ihr zum 26. März 2005 gekündigt wer­de.

19

Mit Schrei­ben vom sel­ben Tag in­for­mier­te Frau Mayr Flöck­ner darüber, dass für den 13. März 2005 ge­plant sei, im Rah­men ei­ner künst­li­chen Be­fruch­tung be­fruch­te­te Ei­zel­len in ih­re Gebärmut­ter ein­zu­set­zen.

20

Laut Vor­la­ge­ent­schei­dung steht fest, dass die Ei­zel­len, die Frau Mayr ent­nom­men wor­den wa­ren, an dem Tag, an dem ihr gekündigt wur­de, am 10. März 2005, be­reits von den Sa­men­zel­len ih­res Part­ners be­fruch­tet und dem­nach schon zu die­sem Zeit­punkt in vi­tro be­fruch­te­te Ei­zel­len vor­han­den wa­ren.

21

Am 13. März 2005, al­so drei Ta­ge, nach­dem Frau Mayr von ih­rer Kündi­gung er­fah­ren hat­te, wur­den zwei Em­bryo­nen in ih­re Gebärmut­ter ein­ge­setzt. 

22

Frau Mayr ver­lang­te von Flöck­ner die Zah­lung ih­res Lohns und ih­rer ali­quo­ten Jah­resre­mu­n­e­ra­ti­on und mach­te in­so­weit gel­tend, dass die am 10. März 2005 aus­ge­spro­che­ne Kündi­gung rechts­un­wirk­sam sei, weil ihr ab dem 8. März 2005, dem Tag, an dem ih­re Ei­zel­len in vi­tro be­fruch­tet wor­den sei­en, der Schutz des § 10 Abs. 1 MSchG zu­kom­me.

23

Flöck­ner wies die­ses Be­geh­ren mit der Be­gründung zurück, dass die Schwan­ger­schaft zum Zeit­punkt des Aus­spruchs der Kündi­gung noch nicht vor­ge­le­gen ha­be.

24

Das erst­in­stanz­lich an­ge­ru­fe­ne Lan­des­ge­richt Salz­burg gab der Kla­ge von Frau Mayr aus­ge­hend von der Erwägung statt, dass der in § 10 MSchG ver­an­ker­te Kündi­gungs­schutz nach der Recht­spre­chung des Obers­ten Ge­richts­hofs mit der Be­fruch­tung der Ei­zel­le be­gin­ne. Dar­in se­he die­se Recht­spre­chung den Be­ginn ei­ner Schwan­ger­schaft. Nach An­sicht des Lan­des­ge­richts Salz­burg muss dies auch im Fall der In-vi­tro-Fer­ti­li­sa­ti­on gel­ten. Ver­lau­fe der Em­bryo­trans­fer nicht er­folg­reich, ge­he der Kündi­gungs­schutz oh­ne­dies ver­lo­ren.

25

Das als Be­ru­fungs­ge­richt in Ar­beits- und So­zi­al­rechts­sa­chen ent­schei­den­de Ober­lan­des­ge­richt Linz hob je­doch das Ur­teil des Lan­des­ge­richts Salz­burg auf und wies die Kla­ge von Frau Mayr mit der Be­gründung ab, dass ei­ne Schwan­ger­schaft – un­abhängig von der Fra­ge, ab wel­chem Zeit­punkt der Schwan­ger­schaft tatsächlich hor­mo­nel­le Verände­run­gen ein­träten – los­gelöst vom weib­li­chen Körper den­kunmöglich sei und dem­zu­fol­ge die Schwan­ger­schaft im Fall ei­ner In-vi­tro-Fer­ti­li­sa­ti­on mit dem Ein­set­zen des be­fruch­te­ten Eis be­gin­ne. Der Schutz vor Kündi­gung des Dienst­verhält­nis­ses set­ze da­her erst mit die­sem Zeit­punkt ein.

26

Die­ses Be­ru­fungs­ur­teil ist Ge­gen­stand ei­ner beim Obers­ten Ge­richts­hof er­ho­be­nen Re­vi­si­on. Nach des­sen Recht­spre­chung kommt der be­son­de­re Kündi­gungs­schutz des § 10 MSchG nur zum Tra­gen, wenn im Zeit­punkt der Kündi­gung ei­ne Schwan­ger­schaft tatsächlich ein­ge­tre­ten ist. Zweck des Mut­ter­schut­zes sei, die Ge­sund­heit von Mut­ter und Kind in de­ren In­ter­es­se zu wah­ren und, im Fall des Kündi­gungs- und Ent­las­sungs­schut­zes, die wirt­schaft­li­che Exis­tenz der Mut­ter si­cher­zu­stel­len. Die Schutz­bedürf­tig­keit für die Dau­er des veränder­ten körper­li­chen Zu­stands der Frau be­ste­he un­abhängig da­von, ob auch schon ei­ne Ein­nis­tung des be­fruch­te­ten Eis in der Gebärmut­ter­schleim­haut (mit an­de­ren Wor­ten: die Ni­da­ti­on) statt­ge­fun­den ha­be; ob der Nach­weis der Schwan­ger­schaft leicht zu er­brin­gen sei, sei in­so­weit un­er­heb­lich. Die Ein­nis­tung des be­fruch­te­ten Eis in der Gebärmut­ter­schleim­haut sei nach herr­schen­der wis­sen­schaft­li­cher Er­kennt­nis nur ein Ket­ten­glied in dem ab Empfäng­nis be­gründe­ten Sta­di­um der Schwan­ger­schaft und könne nicht für den Be­reich des Kündi­gungs­schut­zes willkürlich als Zeit­punkt des Be­ginns der Schwan­ger­schaft her­aus­ge­grif­fen wer­den.

27

Die­se Recht­spre­chung des Obers­ten Ge­richts­hofs zu § 10 MSchG stütze sich je­doch aus­sch­ließlich auf Fälle der In-ute­ro-Kon­zep­ti­on, d. h. der natürli­chen Empfäng­nis. Die­ses Ge­richt sei je­doch zum ers­ten Mal mit der Fra­ge be­fasst, ab wel­chem Zeit­punkt ei­ne schwan­ge­re Frau im Fall ei­ner In-vi­tro-Fer­ti­li­sa­ti­on Kündi­gungs­schutz nach § 10 MSchG ge­nieße.

28

Da nach Auf­fas­sung des Obers­ten Ge­richts­hofs der bei ihm anhängi­ge Rechts­streit ei­ne Fra­ge nach der Aus­le­gung des Ge­mein­schafts­rechts auf­wirft, hat er be­schlos­sen, das Ver­fah­ren aus­zu­set­zen und dem Ge­richts­hof fol­gen­de Fra­ge zur Vor­ab­ent­schei­dung vor­zu­le­gen:

Han­delt es sich bei ei­ner Ar­beit­neh­me­rin, die sich ei­ner In-vi­tro-Fer­ti­li­sa­ti­on un­ter­zieht, wenn zum Zeit­punkt des Aus­spruchs der Kündi­gung ih­re Ei­zel­len be­reits mit den Sa­men­zel­len des Part­ners be­fruch­tet wur­den, al­so Em­bryo­nen „in vi­tro“ vor­han­den sind, die­se aber noch nicht der Frau ein­ge­pflanzt wur­den, um ei­ne „schwan­ge­re Ar­beit­neh­me­rin“ im Sin­ne des Art. 2 Buchst. a ers­ter Halb­satz der Richt­li­nie 92/85? 


Zur Vor­la­ge­fra­ge

29

Mit sei­ner Fra­ge möch­te das vor­le­gen­de Ge­richt im We­sent­li­chen wis­sen, ob die Richt­li­nie 92/85 und ins­be­son­de­re das in Art. 10 Nr. 1 die­ser Richt­li­nie vor­ge­se­he­ne Ver­bot der Kündi­gung schwan­ge­rer Ar­beit­neh­me­rin­nen da­hin aus­zu­le­gen sind, dass sie ei­ne Ar­beit­neh­me­rin er­fas­sen, die sich ei­ner In-vi­tro-Fer­ti­li­sa­ti­on un­ter­zieht, wenn zum Zeit­punkt des Aus­spruchs der Kündi­gung die Be­fruch­tung ih­rer Ei­zel­len mit den Sa­men­zel­len ih­res Part­ners be­reits statt­ge­fun­den hat, so dass in vi­tro be­fruch­te­te Ei­zel­len exis­tie­ren, die­se aber noch nicht in ih­re Gebärmut­ter ein­ge­setzt wor­den sind. 

30

Ein­lei­tend ist fest­zu­stel­len, dass als In-vi­tro-Fer­ti­li­sa­ti­on die Be­fruch­tung ei­ner Ei­zel­le außer­halb des Körpers der Frau be­zeich­net wird. Der Kom­mis­si­on der Eu­ropäischen Ge­mein­schaf­ten zu­fol­ge läuft die­ser Vor­gang in meh­re­ren Schrit­ten ab, dar­un­ter u. a. die hor­mo­nel­le Sti­mu­la­ti­on der Ei­erstöcke mit dem Ziel, meh­re­re Ei­zel­len gleich­zei­tig zur Rei­fung zu brin­gen, die Fol­li­kel­punk­ti­on, die Ent­nah­me der Ei­zel­len, die Be­fruch­tung ei­ner oder meh­re­rer Ei­zel­len mit auf­be­rei­te­ten Sper­mi­en, die Ein­set­zung der be­fruch­te­ten Ei­zel­le oder Ei­zel­len in die Gebärmut­ter – was ent­we­der am drit­ten oder am fünf­ten Tag nach Ent­nah­me der Ei­zel­len er­folgt, es sei denn, dass die be­fruch­te­ten Ei­zel­len in ein­ge­fro­re­nem Zu­stand auf­be­wahrt wer­den – und die Ein­nis­tung.

31

Die Richt­li­nie 92/85 be­zweckt die Ver­bes­se­rung der Si­cher­heit und des Ge­sund­heits­schut­zes von schwan­ge­ren Ar­beit­neh­me­rin­nen, Wöch­ne­rin­nen und stil­len­den Ar­beit­neh­me­rin­nen

32

In die­sem Zu­sam­men­hang hat der Ge­richts­hof auch fest­ge­stellt, dass mit den ge­mein­schafts­recht­li­chen Vor­schrif­ten über die Gleich­heit von Männern und Frau­en im Be­reich der Rech­te von schwan­ge­ren Frau­en oder Wöch­ne­rin­nen das Ziel ver­folgt wird, Ar­beit­neh­me­rin­nen vor und nach der Nie­der­kunft zu schützen (vgl. Ur­tei­le vom 8. Sep­tem­ber 2005, McKen­na, C-191/03, Slg. 2005, I-7631, Rand­nr. 42, und vom 11. Ok­to­ber 2007, Paquay, C-460/06, Slg. 2007, I-0000, Rand­nr. 28).

33

Vor dem In­kraft­tre­ten der Richt­li­nie 92/85 hat­te der Ge­richts­hof be­reits ent­schie­den, dass ei­ner Frau auf der Grund­la­ge des Grund­sat­zes der Nicht­dis­kri­mi­nie­rung und ins­be­son­de­re von Art. 2 Abs. 1 und Art. 5 Abs. 1 der Richt­li­nie 76/207 Kündi­gungs­schutz nicht nur während des Mut­ter­schafts­ur­laubs gewährt wer­den muss, son­dern während der ge­sam­ten Schwan­ger­schaft. Der Ge­richts­hof hat aus­geführt, dass ei­ne Ent­las­sung während der ent­spre­chen­den Zei­ten nur Frau­en tref­fen kann und da­her als un­mit­tel­ba­re Dis­kri­mi­nie­rung auf­grund des Ge­schlechts an­zu­se­hen ist (vgl. in die­sem Sin­ne Ur­tei­le vom 8. No­vem­ber 1990, Han­dels- og Kon­tor­funk­ti­onærer­nes For­bund, C-179/88, Slg. 1990, I-3979, Rand­nr. 13, vom 30. Ju­ni 1998, Brown, C-394/96, Slg. 1998, I-4185, Rand­nrn. 24 und 25, McKen­na, Rand­nr. 47, und Paquay, Rand­nr. 29).

34

Ge­ra­de in An­be­tracht der Ge­fahr, die ei­ne mögli­che Ent­las­sung für die phy­si­sche und psy­chi­sche Ver­fas­sung von schwan­ge­ren Ar­beit­neh­me­rin­nen, Wöch­ne­rin­nen oder stil­len­den Ar­beit­neh­me­rin­nen dar­stellt, ein­sch­ließlich des be­son­ders schwer­wie­gen­den Ri­si­kos, dass ei­ne schwan­ge­re Ar­beit­neh­me­rin zum frei­wil­li­gen Ab­bruch ih­rer Schwan­ger­schaft ver­an­lasst wird, hat der Ge­mein­schafts­ge­setz­ge­ber in Art. 10 der Richt­li­nie 92/85 ei­nen be­son­de­ren Schutz für die Frau vor­ge­se­hen, in­dem er das Ver­bot der Kündi­gung während der Zeit vom Be­ginn der Schwan­ger­schaft bis zum En­de des Mut­ter­schafts­ur­laubs verfügt hat (vgl. Ur­tei­le vom 14. Ju­li 1994, Webb, C-32/93, Slg. 1994, I-3567, Rand­nr. 21, Brown, Rand­nr. 18, vom 4. Ok­to­ber 2001, Te­le Dan­mark, C-109/00, Slg. 2001, I-6993, Rand­nr. 26, McKen­na, Rand­nr. 48, und Paquay, Rand­nr. 30).

35

Außer­dem ist dar­auf hin­zu­wei­sen, dass Art. 10 der Richt­li­nie 92/85 für die­sen Zeit­raum kei­ne Aus­nah­me oder Ab­wei­chung vom Ver­bot der Kündi­gung schwan­ge­rer Ar­beit­neh­me­rin­nen vor­sieht, außer in nicht mit ih­rem Zu­stand in Zu­sam­men­hang ste­hen­den Aus­nah­mefällen und un­ter der Vor­aus­set­zung, dass der Ar­beit­ge­ber die Gründe für die Kündi­gung schrift­lich an­gibt (Ur­tei­le Webb, Rand­nr. 22, Brown, Rand­nr. 18, Te­le Dan­mark, Rand­nr. 27, und Paquay, Rand­nr. 31). 

36

Ob ei­ne Ar­beit­neh­me­rin auch un­ter Umständen wie de­nen des Aus­gangs­ver­fah­rens den von Art. 10 der Richt­li­nie 92/85 vor­ge­schrie­be­nen Kündi­gungs­schutz ge­nießt, muss mit Blick auf die Zie­le, die die Richt­li­nie und ins­be­son­de­re de­ren Art. 10 ver­folgt, be­stimmt wer­den.

37

So­wohl aus dem Wort­laut von Art. 10 der Richt­li­nie 92/85 als auch dem von die­ser vor­ran­gig ver­folg­ten Ziel, das in Rand­nr. 31 des vor­lie­gen­den Ur­teils wie­der­ge­ge­ben wird, er­gibt sich, dass der von die­sem Ar­ti­kel gewähr­te Kündi­gungs­schutz vor­aus­setzt, dass die in Re­de ste­hen­de Schwan­ger­schaft be­gon­nen hat.

38

In­so­weit ist fest­zu­stel­len, dass zwar - wie die öster­rei­chi­sche Re­gie­rung aus­geführt hat - das The­ma des Um­gangs mit künst­li­chen Be­fruch­tun­gen und mit ent­wick­lungsfähi­gen Zel­len in vie­len Mit­glied­staa­ten ge­sell­schafts­po­li­tisch sehr sen­si­bel und von de­ren un­ter­schied­li­chen Tra­di­tio­nen und Wert­hal­tun­gen ge­prägt ist, der Ge­richts­hof durch das vor­lie­gen­de Vor­ab­ent­schei­dungs­er­su­chen aber nicht da­zu auf­ge­ru­fen ist, auf Fra­gen me­di­zi­ni­scher oder ethi­scher Na­tur ein­zu­ge­hen, son­dern sich dar­auf zu be­schränken hat, die ein­schlägi­gen Vor­schrif­ten der Richt­li­nie 92/85 un­ter Berück­sich­ti­gung ih­res Wort­lauts, ih­rer Sys­te­ma­tik und ih­rer Zie­le ju­ris­tisch aus­zu­le­gen.

39

Aus dem 15. Erwägungs­grund der Richt­li­nie 92/85 geht her­vor, dass das in ih­rem Art. 10 vor­ge­se­he­ne Kündi­gungs­ver­bot ver­hin­dern soll, dass sich die Ge­fahr, aus Gründen ent­las­sen zu wer­den, die mit ih­rem Zu­stand in Ver­bin­dung ste­hen, schädlich auf die phy­si­sche und psy­chi­sche Ver­fas­sung von schwan­ge­ren Ar­beit­neh­me­rin­nen aus­wir­ken kann.

40

Un­ter die­sen Umständen ist es of­fen­sicht­lich, dass – wie im Übri­gen auch die öster­rei­chi­sche Re­gie­rung vorträgt – vom frühestmögli­chen Zeit­punkt des Vor­lie­gens ei­ner Schwan­ger­schaft aus­zu­ge­hen ist, um die Si­cher­heit und den Schutz der schwan­ge­ren Ar­beit­neh­me­rin­nen zu gewähr­leis­ten.

41

Selbst wenn man annähme, dass der ge­nann­te Zeit­punkt bei ei­ner In-vi­tro-Fer­ti­li­sa­ti­on der Zeit­punkt der Ein­set­zung der be­fruch­te­ten Ei­zel­len in die Gebärmut­ter der Frau ist, kann je­doch aus Gründen der Rechts­si­cher­heit nicht da­von aus­ge­gan­gen wer­den, dass ei­ne Ar­beit­neh­me­rin auch dann den durch Art. 10 der Richt­li­nie 92/85 ge­schaf­fe­nen Schutz ge­nießt, wenn die in vi­tro be­fruch­te­ten Ei­zel­len zum Zeit­punkt des Aus­spruchs der Kündi­gung noch nicht in ih­re Gebärmut­ter ein­ge­setzt wor­den sind. 

42

Die­se Ei­zel­len dürfen nämlich - wie aus den beim Ge­richts­hof ein­ge­reich­ten Erklärun­gen und den Nrn. 43 bis 45 der Schluss­anträge des Ge­ne­ral­an­walts her­vor­geht - vor ih­rer Ein­set­zung in die Gebärmut­ter der be­tref­fen­den Frau in ver­schie­de­nen Mit­glied­staa­ten für ei­nen mehr oder we­ni­ger lan­gen Zeit­raum auf­be­wahrt wer­den; die im Aus­gangs­ver­fah­ren in Re­de ste­hen­de na­tio­na­le Re­ge­lung sieht in­so­weit die Möglich­keit vor, die be­fruch­te­ten Ei­zel­len für ma­xi­mal zehn Jah­re auf­zu­be­wah­ren. Käme der von Art. 10 der Richt­li­nie 92/85 vor­ge­schrie­be­ne Kündi­gungs­schutz bei ei­ner Frau vor der Ein­set­zung der be­fruch­te­ten Ei­zel­len zur An­wen­dung, so könn­te sich dies in­fol­ge­des­sen da­hin ge­hend aus­wir­ken, dass die­ser Schutz auch dann gewährt würde, wenn die Ein­set­zung aus ir­gend­wel­chen Gründen für meh­re­re Jah­re zurück­ge­stellt wird, oder so­gar dann, wenn auf ei­ne sol­che Ein­set­zung de­fi­ni­tiv ver­zich­tet, die In‑vi­tro-Fer­ti­li­sa­ti­on nur vor­sorg­lich vor­ge­nom­men wor­den sein soll­te.

43

Aber auch wenn die Richt­li­nie 92/85 auf ei­ne Si­tua­ti­on wie die im Aus­gangs­ver­fah­ren in Re­de ste­hen­de nicht an­wend­bar ist, kann sich der Ge­richts­hof ent­spre­chend sei­ner Recht­spre­chung ver­an­lasst se­hen, Vor­schrif­ten des Ge­mein­schafts­rechts zu berück­sich­ti­gen, auf die das vor­le­gen­de Ge­richt bei der Dar­le­gung sei­ner Fra­ge nicht Be­zug ge­nom­men hat (Ur­tei­le vom 12. De­zem­ber 1990, SARPP, C-241/89, Slg. 1990, I-4695, Rand­nr. 8, und vom 26. April 2007, Ale­vi­zos, C-392/05, Slg. 2007, I-3505, Rand­nr. 64).

44

Im Ver­lauf des Ver­fah­rens vor dem Ge­richts­hof ha­ben die grie­chi­sche und die ita­lie­ni­sche Re­gie­rung so­wie die Kom­mis­si­on vor­ge­schla­gen, dass sich ei­ne Ar­beit­neh­me­rin, wenn sich für sie in ei­ner Si­tua­ti­on wie der im Aus­gangs­ver­fah­ren in Re­de ste­hen­den kein Kündi­gungs­schutz aus der Richt­li­nie 92/85 ab­lei­ten lässt, mögli­cher­wei­se auf den mit der Richt­li­nie 76/207 gewähr­ten Schutz vor ge­schlechts­be­ding­ter Dis­kri­mi­nie­rung be­ru­fen kann.

45

In­so­weit ist dar­an zu er­in­nern, dass nach Art. 2 Abs. 1 der Richt­li­nie 76/207 „[d]er Grund­satz der Gleich­be­hand­lung … be­inhal­tet, dass kei­ne un­mit­tel­ba­re oder mit­tel­ba­re Dis­kri­mi­nie­rung auf Grund des Ge­schlechts – ins­be­son­de­re un­ter Be­zug­nah­me auf den Ehe- oder Fa­mi­li­en­stand – er­fol­gen darf“. Gemäß Art. 5 Abs. 1 die­ser Richt­li­nie be­inhal­tet „[d]ie An­wen­dung des Grund­sat­zes der Gleich­be­hand­lung hin­sicht­lich der Ar­beits­be­din­gun­gen ein­sch­ließlich der Ent­las­sungs­be­din­gun­gen …, dass Männern und Frau­en die­sel­ben Be­din­gun­gen oh­ne Dis­kri­mi­nie­rung auf Grund des Ge­schlechts gewährt wer­den“.

46

Wie aus Rand­nr. 33 des vor­lie­gen­den Ur­teils her­vor­geht, hat der Ge­richts­hof be­reits ent­schie­den, dass ei­ner Frau auf der Grund­la­ge des Grund­sat­zes der Nicht­dis­kri­mi­nie­rung und ins­be­son­de­re von Art. 2 Abs. 1 und Art. 5 Abs. 1 der Richt­li­nie 76/207 Kündi­gungs­schutz nicht nur während des Mut­ter­schafts­ur­laubs gewährt wer­den muss, son­dern während der ge­sam­ten Schwan­ger­schaft. Da die Kündi­gung we­gen Schwan­ger­schaft oder aus ei­nem im We­sent­li­chen auf der Schwan­ger­schaft be­ru­hen­den Grund nur bei Frau­en in Be­tracht kommt, stellt sie nach Auf­fas­sung des Ge­richts­hofs ei­ne un­mit­tel­ba­re Dis­kri­mi­nie­rung auf­grund des Ge­schlechts dar (vgl. in die­sem Sin­ne Ur­tei­le Han­dels‑ og Kon­tor­funk­ti­onærer­nes For­bund, Rand­nr. 13, Brown, Rand­nrn. 16, 24 und 25, McKen­na, Rand­nr. 47, und Paquay, Rand­nr. 29).

47

Da in der Vor­la­ge­ent­schei­dung die Gründe, aus de­nen Flöck­ner Frau Mayr gekündigt hat, nicht ge­nannt wer­den, ist es Sa­che des vor­le­gen­den Ge­richts, die maßgeb­li­chen Umstände des bei ihm anhängi­gen Rechts­streits fest­zu­stel­len und im Hin­blick dar­auf, dass die Kündi­gung der Kläge­rin er­folg­te, während die­se krank­ge­schrie­ben war, um sich ei­ner Be­hand­lung zur In-vi­tro-Fer­ti­li­sa­ti­on zu un­ter­zie­hen, zu prüfen, ob die Tat­sa­che, dass sich die Kläge­rin ei­ner sol­chen Be­hand­lung un­ter­zo­gen hat, der hauptsächli­che Grund für ih­re Kündi­gung ist.

48

Falls dies der Be­weg­grund für die Kündi­gung der Kläge­rin sein soll­te, muss fest­ge­stellt wer­den, ob die­ser Grund oh­ne Un­ter­schied auf Ar­beit­neh­mer bei­der Ge­schlech­ter An­wen­dung fin­det oder ob er im Ge­gen­teil nur für ei­nes der bei­den Ge­schlech­ter gilt.

49

Der Ge­richts­hof hat be­reits fest­ge­stellt, dass männ­li­che und weib­li­che Ar­beit­neh­mer in glei­chem Maß dem Krank­heits­ri­si­ko aus­ge­setzt sind und da­her kei­ne un­mit­tel­ba­re Dis­kri­mi­nie­rung auf­grund des Ge­schlechts vor­liegt, wenn ei­ne Ar­beit­neh­me­rin un­ter den glei­chen Be­din­gun­gen wie ein Ar­beit­neh­mer auf­grund von Fehl­zei­ten we­gen Krank­heit ent­las­sen wird (vgl. Ur­teil Han­dels- og Kon­tor­funk­ti­onærer­nes For­bund, Rand­nr. 17).

50

Zwar können Ar­beit­neh­mer bei­der Ge­schlech­ter auf­grund von me­di­zi­ni­schen Be­hand­lun­gen, de­nen sie sich un­ter­zie­hen müssen, zeit­wei­lig dar­an ge­hin­dert sein, ih­re Ar­beit aus­zuüben. Je­doch be­tref­fen die Maßnah­men, die im Aus­gangs­ver­fah­ren in Re­de ste­hen, nämlich ei­ne Fol­li­kel­punk­ti­on und die Ein­set­zung der dar­aus her­vor­ge­gan­ge­nen Ei­zel­len so­fort nach ih­rer Be­fruch­tung in die Gebärmut­ter der Frau, un­mit­tel­bar nur Frau­en. Folg­lich stellt die Kündi­gung ei­ner Ar­beit­neh­me­rin, die hauptsächlich aus dem Grund er­folgt, dass sie sich die­sem wich­ti­gen Be­hand­lungs­sta­di­um ei­ner In-vi­tro-Fer­ti­li­sa­ti­on un­ter­zieht, ei­ne un­mit­tel­ba­re Dis­kri­mi­nie­rung auf­grund des Ge­schlechts dar.

51

Ei­nem Ar­beit­ge­ber zu er­lau­ben, ei­ner Ar­beit­neh­me­rin un­ter Umständen wie den im Aus­gangs­ver­fah­ren in Re­de ste­hen­den zu kündi­gen, wi­derspräche im Übri­gen dem Schutz­zweck, den Art. 2 Abs. 3 der Richt­li­nie 76/207 ver­folgt – so­weit je­den­falls die Be­hand­lung zur In-vi­tro-Fer­ti­li­sa­ti­on und ins­be­son­de­re die in der vor­ste­hen­den Rand­num­mer erwähn­ten spe­zi­fi­schen Maßnah­men, die ei­ne sol­che Be­hand­lung be­inhal­tet, der hauptsächli­che Grund für die Kündi­gung sind.

52

Dem­zu­fol­ge ste­hen Art. 2 Abs. 1 und Art. 5 Abs. 1 der Richt­li­nie 76/207 der Kündi­gung ei­ner Ar­beit­neh­me­rin ent­ge­gen, die sich un­ter Umständen wie de­nen des Aus­gangs­ver­fah­rens in ei­nem vor­gerück­ten Be­hand­lungs­sta­di­um ei­ner In-vi­tro-Fer­ti­li­sa­ti­on be­fin­det, nämlich zwi­schen der Fol­li­kel­punk­ti­on und der so­for­ti­gen Ein­set­zung der in vi­tro be­fruch­te­ten Ei­zel­len in ih­re Gebärmut­ter, so­fern nach­ge­wie­sen ist, dass die Tat­sa­che, dass sich die Be­tref­fen­de ei­ner sol­chen Be­hand­lung un­ter­zo­gen hat, der hauptsächli­che Grund für die Kündi­gung ist.

53

In An­be­tracht des Vor­ste­hen­den ist auf die Vor­la­ge­fra­ge zu ant­wor­ten, dass die Richt­li­nie 92/85 und ins­be­son­de­re das in Art. 10 Nr. 1 die­ser Richt­li­nie ent­hal­te­ne Ver­bot der Kündi­gung schwan­ge­rer Ar­beit­neh­me­rin­nen da­hin aus­zu­le­gen sind, dass sie nicht ei­ne Ar­beit­neh­me­rin er­fas­sen, die sich ei­ner Be­fruch­tung in vi­tro un­ter­zieht, wenn zum Zeit­punkt des Aus­spruchs der Kündi­gung die Be­fruch­tung ih­rer Ei­zel­len mit den Sa­men­zel­len ih­res Part­ners be­reits statt­ge­fun­den hat, so dass in vi­tro be­fruch­te­te Ei­zel­len exis­tie­ren, die­se aber noch nicht in ih­re Gebärmut­ter ein­ge­setzt wor­den sind.

54 Je­doch ste­hen Art. 2 Abs. 1 und Art. 5 Abs. 1 der Richt­li­nie 76/207 der Kündi­gung ei­ner Ar­beit­neh­me­rin ent­ge­gen, die sich un­ter Umständen wie de­nen des Aus­gangs­ver­fah­rens in ei­nem vor­gerück­ten Be­hand­lungs­sta­di­um ei­ner In-vi­tro-Fer­ti­li­sa­ti­on be­fin­det, nämlich zwi­schen der Fol­li­kel­punk­ti­on und der so­for­ti­gen Ein­set­zung der in vi­tro be­fruch­te­ten Ei­zel­len in ih­re Gebärmut­ter, so­fern nach­ge­wie­sen ist, dass die Tat­sa­che, dass sich die Be­tref­fen­de ei­ner sol­chen Be­hand­lung un­ter­zo­gen hat, der hauptsächli­che Grund für die Kündi­gung ist.

Kos­ten

55

Für die Par­tei­en des Aus­gangs­ver­fah­rens ist das Ver­fah­ren ein Zwi­schen­streit in dem bei dem vor­le­gen­den Ge­richt anhängi­gen Rechts­streit; die Kos­ten­ent­schei­dung ist da­her Sa­che die­ses Ge­richts. Die Aus­la­gen an­de­rer Be­tei­lig­ter für die Ab­ga­be von Erklärun­gen vor dem Ge­richts­hof sind nicht er­stat­tungsfähig.

Aus die­sen Gründen hat der Ge­richts­hof (Große Kam­mer) für Recht er­kannt:

Die Richt­li­nie 92/85/EWG des Ra­tes vom 19. Ok­to­ber 1992 über die Durchführung von Maßnah­men zur Ver­bes­se­rung der Si­cher­heit und des Ge­sund­heits­schut­zes von schwan­ge­ren Ar­beit­neh­me­rin­nen, Wöch­ne­rin­nen und stil­len­den Ar­beit­neh­me­rin­nen am Ar­beits­platz (zehn­te Ein­zel­richt­li­nie im Sin­ne des Ar­ti­kels 16 Ab­satz 1 der Richt­li­nie 89/391/EWG) und ins­be­son­de­re das in Art. 10 Nr. 1 die­ser Richt­li­nie ent­hal­te­ne Ver­bot der Kündi­gung schwan­ge­rer Ar­beit­neh­me­rin­nen sind da­hin aus­zu­le­gen, dass sie nicht ei­ne Ar­beit­neh­me­rin er­fas­sen, die sich ei­ner Be­fruch­tung in vi­tro un­ter­zieht, wenn zum Zeit­punkt des Aus­spruchs der Kündi­gung die Be­fruch­tung ih­rer Ei­zel­len mit den Sa­men­zel­len ih­res Part­ners be­reits statt­ge­fun­den hat, so dass in vi­tro be­fruch­te­te Ei­zel­len exis­tie­ren, die­se aber noch nicht in ih­re Gebärmut­ter ein­ge­setzt wor­den sind.

Je­doch ste­hen Art. 2 Abs. 1 und Art. 5 Abs. 1 der Richt­li­nie 76/207/EWG des Ra­tes vom 9. Fe­bru­ar 1976 zur Ver­wirk­li­chung des Grund­sat­zes der Gleich­be­hand­lung von Männern und Frau­en hin­sicht­lich des Zu­gangs zur Beschäfti­gung, zur Be­rufs­bil­dung und zum be­ruf­li­chen Auf­stieg so­wie in Be­zug auf die Ar­beits­be­din­gun­gen der Kündi­gung ei­ner Ar­beit­neh­me­rin ent­ge­gen, die sich un­ter Umständen wie de­nen des Aus­gangs­ver­fah­rens in ei­nem vor­gerück­ten Be­hand­lungs­sta­di­um ei­ner In-vi­tro-Fer­ti­li­sa­ti­on be­fin­det, nämlich zwi­schen der Fol­li­kel­punk­ti­on und der so­for­ti­gen Ein­set­zung der in vi­tro be­fruch­te­ten Ei­zel­len in ih­re Gebärmut­ter, so­fern nach­ge­wie­sen ist, dass die Tat­sa­che, dass sich die Be­tref­fen­de ei­ner sol­chen Be­hand­lung un­ter­zo­gen hat, der hauptsächli­che Grund für die Kündi­gung ist.

Un­ter­schrif­ten

*Ver­fah­rens­spra­che: Deutsch.

Quel­le: Ge­richts­hof der Eu­ropäischen Uni­on (EuGH), http://cu­ria.eu­ro­pa.eu

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