HENSCHE RECHTSANWÄLTE, FACHANWALTSKANZLEI FÜR ARBEITSRECHT

 

BAG, Ur­teil vom 22.09.2009, 1 AZR 972/08

   
Schlagworte: Flashmob, Streik
   
Gericht: Bundesarbeitsgericht
Aktenzeichen: 1 AZR 972/08
Typ: Urteil
Entscheidungsdatum: 22.09.2009
   
Leitsätze: Eine streikbegleitende Aktion, mit der eine Gewerkschaft in einem öffentlich zugänglichen Betrieb kurzfristig und überraschend eine Störung betrieblicher Abläufe hervorrufen will, um zur Durchsetzung tariflicher Ziele Druck auf die Arbeitgeberseite auszuüben, ist nicht generell unzulässig. Der damit verbundene Eingriff in den eingerichteten und ausgeübten Gewerbebetrieb des betroffenen Arbeitgebers kann aus Gründen des Arbeitskampfrechts gerechtfertigt sein, wenn dem Arbeitgeber wirksame Verteidigungsmöglichkeiten zur Verfügung stehen.
Vorinstanzen: Landesarbeitsgericht Berlin-Brandenburg, Urteil vom 29.09.2008, 5 Sa 967/08
   

BUN­DES­AR­BEITS­GERICHT

1 AZR 972/08

5 Sa 967/08

Lan­des­ar­beits­ge­richt Ber­lin-Bran­den­burg

Im Na­men des Vol­kes!

Verkündet am

22. Sep­tem­ber 2009

UR­TEIL

Kauf­hold, Ur­kunds­be­am­tin der Geschäfts­stel­le

In Sa­chen

Kläger, Be­ru­fungskläger und Re­vi­si­onskläger,

pp.

Be­klag­te, Be­ru­fungs­be­klag­te und Re­vi­si­ons­be­klag­te,

hat der Ers­te Se­nat des Bun­des­ar­beits­ge­richts auf­grund der münd­li­chen Ver­hand­lung vom 22. Sep­tem­ber 2009 durch die Präsi­den­tin des Bun­des­ar­beits­ge­richts Schmidt, die Rich­ter am Bun­des­ar­beits­ge­richt Lin­sen­mai­er und


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Dr. Koch so­wie die eh­ren­amt­li­chen Rich­ter Dr. Fe­der­lin und Dr. Kle­be für Recht er­kannt:

1. Die Re­vi­si­on des Klägers ge­gen das Ur­teil des Lan­des­ar­beits­ge­richts Ber­lin-Bran­den­burg vom 29. Sep­tem­ber 2008 - 5 Sa 967/08 - wird zurück­ge­wie­sen.

2. Der Kläger hat die Kos­ten der Re­vi­si­on zu tra­gen.

Von Rechts we­gen!

Tat­be­stand

Die Par­tei­en strei­ten darüber, ob die be­klag­te Ge­werk­schaft künf­tig Auf­ru­fe zu streik­be­glei­ten­den „Flashmob-Ak­tio­nen“ im Ein­zel­han­del zu un­ter­las­sen hat.

Der kla­gen­de Ar­beit­ge­ber­ver­band or­ga­ni­siert Ein­zel­han­dels­un­ter­neh­men im Raum Ber­lin-Bran­den­burg. Zur Durch­set­zung ih­rer For­de­run­gen nach ei­nem neu­en Ta­rif­ver­trag für den Ber­li­ner Ein­zel­han­del führ­te die ta­rif­zuständi­ge be­klag­te Ge­werk­schaft im Jahr 2007 ei­nen Streik. Während die­ses Streiks veröffent­lich­te ihr recht­lich un­selbständi­ger Lan­des­be­zirk Ber­lin-Bran­den­burg im De­zem­ber 2007 ua. auf sei­ner Home­page ein vir­tu­el­les Flug­blatt mit fol­gen­dem Wort­laut:

„Wunsch­lis­te der Ein­zelhänd­lerIn­nen an Ge­werk­schafts­mit­glie­der und al­le, die uns un­terstützen wol­len

- Bit­te kau­fe nicht in Fi­lia­len ein, die be­streikt wer­den!

In­for­ma­tio­nen darüber erhältst Du in un­se­rem Fach­be­reich, Tel. ...

- Mei­de Sonn­tags­einkäufe und Einkäufe nach 20.00 Uhr!

- Sei freund­lich und rück­sichts­voll den Kol­le­gin­nen im

Ver­kauf ge­genüber, be­son­ders in der Vor­weih­nachts­zeit! Ge­ra­de da ha­ben wir im Han­del al­le Hände voll zu tun.

- Hast Du Lust, Dich an Flashmob-Ak­tio­nen zu be­tei­li­gen?


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Gib uns Dei­ne Han­dy-Num­mer und dann lass uns zu dem per SMS ge­sen­de­ten Zeit­punkt zu­sam­men in ei­ner be­streik­ten Fi­lia­le, in der Streik­bre­cher ar­bei­ten, ge­zielt ein­kau­fen ge­hen, z. B. so:

l Vie­le Men­schen kau­fen zur glei­chen Zeit ei­nen Pfen­nig-Ar­ti­kel und blo­ckie­ren da­mit für länge­re Zeit den Kas­sen­be­reich.

l Vie­le Men­schen pa­cken zur glei­chen Zeit ih­re Ein­kaufs­wa­gen voll (bit­te kei­ne Frisch­wa­re!!!) und las­sen sie dann ste­hen.

- Schi­cke ein Fax an Leih­ar­beits­fir­men, die ih­re Be-

schäftig­ten als Streik­bre­cher im Ein­zel­han­del ein­set­zen las­sen und pro­tes­tie­re da­ge­gen!

Die Lis­te mit den Ab­schrif­ten/Fax­num­mern die­ser Fir­men wer­den wir in Kürze auf un­se­rer Home­page http:// veröffent­li­chen.“

Die Be­klag­te pro­pa­gier­te die „Flashmob-Ak­tio­nen“ auch in der Pres­se­und auf ei­ner öffent­li­chen Kund­ge­bung am 7. De­zem­ber 2007. Am 8. De­zem­ber 2007 führ­te sie ab 10.45 Uhr in der Fi­lia­le ei­nes Mit­glieds­un­ter­neh­men des Klägers im Ber­li­ner Ost­bahn­hof ei­ne „Flashmob-Ak­ti­on“ durch. An die­ser be­tei­lig­ten sich ca. 40 bis 50 Per­so­nen, die per SMS von der Be­klag­ten dort­hin be­stellt wor­den wa­ren. Zwei oder drei der Ak­ti­ons­teil­neh­mer tru­gen ei­ne Ja­cke mit der Auf­schrift „ver.di“, zahl­rei­che an­de­re Sti­cker der Ge­werk­schaft. Zunächst be­tra­ten et­wa drei Per­so­nen die Fi­lia­le, kleb­ten ein Flug­blatt mit ei­nem Streik­auf­ruf an ei­nen Back­ofen in der Fi­lia­le und de­po­nier­ten wei­te­re Flugblätter an der Kas­se. Außer­dem spra­chen sie ei­ne der vier in der Fi­lia­le täti­gen Ar­beit­neh­me­rin­nen an und for­der­ten sie zur Streik­teil­nah­me auf. In der Fol­ge­zeit be­ga­ben sich ca. 40 Per­so­nen in das La­den­geschäft. Zum ei­nen kauf­ten sie dort sog. Cent-Ar­ti­kel. De­ren Ein­scan­nen durch die Kas­sie­re­rin­nen nahm länge­re Zeit in An­spruch, so dass sich an den Kas­sen War­te­schlan­gen bil­de­ten. Zum an­de­ren befüll­ten die Ak­ti­ons­teil­neh­mer et­wa 40 Ein­kaufs­wa­gen und ließen sie dann oh­ne Be­gründung oder mit dem Vor­wand, das Geld ver­ges­sen zu ha­ben, in den Gängen oder im Kas­sen­be­reich ste­hen. In ei­nem Fall be­gab

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sich ei­ne Frau mit ei­nem von ihr gefüll­ten Ein­kaufs­wa­gen an die Kas­se und be­jah­te dort die Fra­ge der Kas­sie­re­rin, ob sie be­zah­len könne. Die Ar­ti­kel wur­den so­dann von der Kas­sie­re­rin ein­ge­scannt und von der Frau wie­der in den Ein­kaufs­wa­gen ge­legt. Es er­gab sich ein Ge­samt­be­trag von 371,78 Eu­ro. Die Ak­ti­ons­teil­neh­me­rin erklärte dar­auf­hin, ihr Geld ver­ges­sen zu ha­ben und stell­te den Ein­kaufs­wa­gen an der Kas­se ab. Da­bei klatsch­ten die an­de­ren Ak­ti­ons­teil­neh­mer Bei­fall und brach­ten durch lau­te Zu­ru­fe ihr Ge­fal­len zum Aus­druck. Die Ak­ti­on dau­er­te nach den An­ga­ben des Klägers ca. ei­ne St­un­de, nach de­nen der Be­klag­ten 45 Mi­nu­ten.

Der Kläger hat mit sei­ner Kla­ge das Ziel ver­folgt, der Be­klag­ten den­Auf­ruf zu wei­te­ren der­ar­ti­gen „Flashmob-Ak­tio­nen“ zu un­ter­sa­gen. Er hat die Auf­fas­sung ver­tre­ten, durch sol­che Ak­tio­nen wer­de rechts­wid­rig in den ein­ge­rich­te­ten und aus­geübten Ge­wer­be­be­trieb sei­ner Mit­glieds­un­ter­neh­men ein­ge­grif­fen. Außer­dem han­de­le es sich um vorsätz­li­che und sit­ten­wid­ri­ge Schädi­gun­gen iSv. § 826 BGB, die mit Nöti­gung, Sach­beschädi­gung und Haus­frie­dens­bruch ver­bun­den sei­en. Der­ar­ti­ge Ak­tio­nen un­ter­fie­len nicht dem Schutz des Art. 9 Abs. 3 GG. Sie sei­en mit Be­triebs­blo­cka­den und Be­triebs­be­set­zun­gen ver­gleich­bar und kein zulässi­ges Ar­beits­kampf­mit­tel. Zur Her­stel­lung von Ver­hand­lungs­pa­rität sei­en sie nicht er­for­der­lich. Ent­ge­gen der Be­haup­tung der Be­klag­ten ha­be de­ren Streik durch­aus Wir­kung ge­zeigt. Im Übri­gen sei et­wa die Hälf­te der Teil­neh­mer an der „Flashmob-Ak­ti­on“ vom 8. De­zem­ber 2007 we­der Mit­glied der Be­klag­ten noch Ar­beit­neh­mer ei­nes Mit­glieds­un­ter­neh­mens des Klägers ge­we­sen.

Der Kläger hat - zu­letzt - be­an­tragt,

die Be­klag­te zu ver­ur­tei­len, es bei Mei­dung ei­nes für je­den Fall der Zu­wi­der­hand­lung durch das Ge­richt fest­zu­set­zen­den Ord­nungs­gel­des in Höhe von bis zu 250.000,00 Eu­ro, er­satz­wei­se Ord­nungs­haft von bis zu sechs Mo­na­ten, wo­bei die Ord­nungs­haft an ih­rem je­wei­li­gen ge­setz­li­chen Ver­tre­ter zu voll­zie­hen ist, zu un­ter­las­sen, durch Flug­blatt oder auf sons­ti­ge Wei­se, Mit­glie­der der Be­klag­ten oder an­de­re Per­so­nen da­zu auf­zu­ru­fen, zu meh­re­ren Per­so­nen ei­ne be­streik­te Fi­lia­le ei­nes Mit­glieds­un­ter­neh­mens des Klägers ge­zielt auf­zu­su­chen, um dort ent­we­der mit vie­len Men­schen zur


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glei­chen Zeit ei­nen Pfen­nig-Ar­ti­kel zu kau­fen und so für länge­re Zeit den Kas­sen­be­reich zu blo­ckie­ren oder mit vie­len Men­schen zur glei­chen Zeit Ein­kaufs­wa­gen mit dem Ziel voll (bit­te kei­ne Frisch­wa­re!!!) zu pa­cken, die­se dann an der Kas­se oder an­ders­wo in den Fi­li­alräum­en ste­hen zu las­sen.

Die Be­klag­te hat be­an­tragt, die Kla­ge ab­zu­wei­sen. Sie hat die Auf­fas­sung ver­tre­ten, bei der durch­geführ­ten Ak­ti­on ha­be es sich um ei­ne zulässi­ge Ar­beits­kampf­maßnah­me ge­han­delt. Da­her sei sie nicht ver­pflich­tet, der­ar­ti­ge Ak­tio­nen künf­tig zu un­ter­las­sen. Sie hat be­haup­tet, ihr Streik sei kei­nes­wegs er­folg­reich ge­we­sen. Viel­mehr ha­be die Ar­beit­ge­ber­sei­te die Streik­maßnah­men weit­ge­hend da­durch un­ter­lau­fen, dass sie mas­siv Aus­hilfs­kräfte, Leih­ar­beit­neh­mer und Fremd­fir­men zur Auf­recht­er­hal­tung ei­nes un­gestörten Ver­kaufs ein­ge­setzt ha­be. Bei den 40 Ak­ti­ons­teil­neh­mern ha­be es sich aus­sch­ließlich um ih­re Mit­glie­der und Ar­beit­neh­mer aus Mit­glieds­un­ter­neh­men des Klägers ge­han­delt.

Das Ar­beits­ge­richt hat die Kla­ge ab­ge­wie­sen. Das Lan­des­ar­beits­ge­richt­hat die Be­ru­fung des Klägers zurück­ge­wie­sen. Mit der vom Lan­des­ar­beits­ge­richt zu­ge­las­se­nen Re­vi­si­on ver­folgt der Kläger sei­nen Kla­ge­an­spruch wei­ter.

Ent­schei­dungs­gründe

Die Re­vi­si­on des Klägers ist un­be­gründet. Die Vor­in­stan­zen ha­ben die­Kla­ge zu Recht ab­ge­wie­sen. Der Kläger kann von der Be­klag­ten nicht ver­lan­gen, dass die­se künf­tig im Rah­men von Ar­beitskämp­fen jeg­li­chen Auf­ruf zu den im Kla­ge­an­trag be­schrie­be­nen streik­be­glei­ten­den „Flashmob-Ak­tio­nen“ im Ein­zel­han­del un­terlässt. Ei­ne ge­werk­schaft­li­che Ak­ti­on, bei der die Teil­neh­mer durch den Kauf ge­ring­wer­ti­ger Wa­ren oder das Befüllen und Ste­hen­las­sen von Ein­kaufs­wa­gen in ei­nem Ein­zel­han­dels­geschäft kurz­fris­tig und über­ra­schend ei­ne Störung be­trieb­li­cher Abläufe her­vor­ru­fen, ist im Ar­beits­kampf nicht ge­ne­rell un­zulässig. Zwar greift ei­ne der­ar­ti­ge Ak­ti­on in den ein­ge­rich­te­ten und aus­geübten Ge­wer­be­be­trieb des Be­triebs­in­ha­bers ein. Der Ein­griff kann aber


 

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aus Gründen des Ar­beits­kampfs ge­recht­fer­tigt sein. Ge­werk­schaft­li­che Maßnah­men, die in ei­nem lau­fen­den Ar­beits­kampf zur Durch­set­zung ta­rif­li­cher Zie­le auf ei­ne Störung be­trieb­li­cher Abläufe ge­rich­tet sind, un­ter­fal­len grundsätz­lich der durch Art. 9 Abs. 3 GG gewähr­leis­te­ten Betäti­gungs­frei­heit der Ge­werk­schaf­ten. Die­se ist nicht auf das Kampf­mit­tel der kol­lek­ti­ven Ar­beits­nie­der­le­gung be­schränkt, son­dern um­fasst auch an­de­re Kampf­for­men. Die Zulässig­keit der kon­kret gewähl­ten Ar­beits­kampf­mit­tel rich­tet sich, wie bei sons­ti­gen Kampf­mit­teln auch, nach dem Grund­satz der Verhält­nismäßig­keit. Ar­beits-kampf­mit­tel sind rechts­wid­rig, wenn sie zur Durch­set­zung der - zwar rechtmäßig - er­ho­be­nen For­de­run­gen of­fen­sicht­lich un­ge­eig­net oder nicht er­for­der­lich oder wenn sie un­an­ge­mes­sen sind. Re­gelmäßig un­an­ge­mes­sen sind Ver­let­zun­gen der in § 823 Abs. 1 BGB aus­drück­lich ge­nann­ten Rech­te wie Le­ben, Körper, Ge­sund­heit, Frei­heit und Ei­gen­tum. Dies gilt nicht in glei­cher Wei­se für den ar­beits­kampf­be­ding­ten Ein­griff in den ein­ge­rich­te­ten und aus­geübten Ge­wer­be­be­trieb. Ob ein sol­cher an­ge­mes­sen ist, hängt we­sent­lich da­von ab, ob das Kampf­mit­tel den durch Richter­recht ent­wi­ckel­ten Grundsätzen genügt. Da­zu zählt ins­be­son­de­re das Ge­bot der fai­ren Kampfführung. Da­bei ist von we­sent­li­cher Be­deu­tung, ob für den Ar­beit­ge­ber Ver­tei­di­gungsmöglich­kei­ten be­ste­hen. Sol­che können sich ua. aus sei­nem Haus­recht und der Möglich­keit zur sus­pen­die­ren­den Be­triebs­sch­ließung er­ge­ben. Da­nach sind „Flashmob-Ak­tio­nen“ der streit­be­fan­ge­nen Art nicht ge­ne­rell un­an­ge­mes­sen.

A. Die Kla­ge ist zulässig.

I. Der Kla­ge­an­trag ist hin­rei­chend be­stimmt iSv. § 253 Abs. 2 Nr. 2 ZPO. Er be­darf al­ler­dings der Aus­le­gung.

1. Ein Un­ter­las­sungs­an­trag muss - be­reits aus rechts­staat­li­chen Gründen - ein­deu­tig er­ken­nen las­sen, was vom Schuld­ner ver­langt wird. Die­ser muss wis­sen, in wel­chen Fällen ge­gen ihn als Sank­ti­on ein Ord­nungs­geld oder gar Ord­nungs­haft verhängt wer­den kann. Die Prüfung, wel­che Ver­hal­tens­wei­sen der Schuld­ner un­ter­las­sen soll, darf nicht durch ei­ne un­ge­naue An­trags­for­mu­lie­rung und ei­nen dem ent­spre­chen­den ge­richt­li­chen Ti­tel aus dem Er­kennt­nis- in das Zwangs­voll­stre­ckungs­ver­fah­ren ver­la­gert wer­den (BAG


 

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24. April 2007 - 1 AZR 252/06 - Rn. 26 mwN, BA­GE 122, 134). Al­ler­dings dürfen die An­for­de­run­gen in­so­weit auch nicht über­spannt wer­den, da an­dern­falls ef­fek­ti­ver Rechts­schutz ver­ei­telt würde. Zu­kunfts­ge­rich­te­te Ver­bo­te las­sen sich häufig nur ge­ne­ra­li­sie­rend for­mu­lie­ren. Die Not­wen­dig­keit ge­wis­ser Sub­sum­ti­ons­pro­zes­se im Rah­men ei­ner et­wa er­for­der­lich wer­den­den Zwangs­voll­stre­ckung steht da­her der Ver­wen­dung ausfüllungs­bedürf­ti­ger Be­grif­fe in ei­nem Un­ter­las­sungs­ti­tel und dem dar­auf ge­rich­te­ten An­trag nicht ge­ne­rell ent­ge­gen.

2. Der vor­lie­gen­de Un­ter­las­sungs­an­trag ist hin­rei­chend be­stimmt.

a) Er lässt mit der er­for­der­li­chen Deut­lich­keit er­ken­nen, wel­che Auf­ru­fe der­Be­klag­ten un­ter­sagt wer­den sol­len. Er­fasst wer­den Auf­ru­fe in jeg­li­cher Form, so­wohl an Mit­glie­der der Be­klag­ten als auch an Drit­te. Auch der In­halt der Auf­ru­fe, die der Be­klag­ten ver­bo­ten wer­den sol­len, ist hin­rei­chend ge­nau be­schrie­ben. Die Ak­tio­nen, zu de­nen der Auf­ruf un­ter­sagt wer­den soll, sind hin­sicht­lich des Or­tes und der Art ih­rer Ausführung kon­kret be­nannt. Es geht um Ak­tio­nen in be­streik­ten Fi­lia­len ei­nes Mit­glieds­un­ter­neh­mens des Klägers. Da­mit er­fasst der An­trag nur Ak­tio­nen, die zu ei­nem von der Be­klag­ten geführ­ten Streik hin­zu­tre­ten. Der Um­fang der an­ge­streb­ten per­so­nel­len Be­tei­li­gung an den Ak­tio­nen ist durch die For­mu­lie­run­gen „zu meh­re­ren Per­so­nen“ so­wie „vie­le Men­schen“ noch hin­rei­chend be­zeich­net. Ei­ner wei­te­ren Präzi­sie­rung be­darf es hier zur Be­stimmt­heit des An­trags nicht. Es wird durch die An­trags­for­mu­lie­rung aus­rei­chend deut­lich, dass es sich, auch be­zo­gen auf die auf­zu­su­chen­de Fi­lia­le, um ei­ne be­acht­li­che An­zahl von Per­so­nen han­deln soll. Es ist auch un­ter rechts­staat­li­chen Ge­sichts­punk­ten ver­tret­bar, die ent­spre­chen­de Be­ur­tei­lung ei­nem et­wai­gen Ord­nungs­mit­tel­ver­fah­ren zu über­las­sen. Nicht näher be­stimmt wird in dem An­trag al­ler­dings die zeit­li­che Dau­er der Ak­ti­on, zu wel­cher der Auf­ruf ver­bo­ten wer­den soll. Es ist we­der ei­ne Min­dest- noch ei­ne Höchst­dau­er an­ge­ge­ben. Dies führt je­doch nicht zur Un­be­stimmt­heit des An­trags. Die­ser er­fasst viel­mehr so­wohl Auf­ru­fe zu Ak­tio­nen von kürze­rer als auch sol­che von länge­rer, al­ler­dings nicht sol­che von un­be­fris­te­ter Dau­er. Der Be­klag­ten soll jeg­li­cher Auf­ruf zu Ak­tio­nen der streit­be­fan­ge­nen Art un­abhängig von ih­rer kon­kre­ten Durchführung im Ein­zel­fall


 

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un­ter­sagt wer­den. Vom An­trag nicht er­fasst ist al­ler­dings ein Auf­ruf da­zu, die Wa­gen mit ver­derb­li­cher Frisch­wa­re zu befüllen oder Wa­ren ein­scan­nen zu las­sen, sie aber so­dann nicht zu be­zah­len und den befüll­ten Wa­gen an der Kas­se ste­hen zu las­sen.

b) Eben­falls hin­rei­chend be­stimmt ist der in dem An­trag ver­wen­de­te Be­griff des „Auf­rufs“. Auch er be­darf al­ler­dings der Aus­le­gung. Die­se er­gibt, dass un­ter „Auf­ruf“ nicht et­wa be­reits jeg­li­che Pro­pa­gie­rung der Ak­ti­ons­form des „Flashmob“, son­dern erst die nach Zeit­punkt, Ort und Teil­neh­mer­kreis näher be­zeich­ne­te Auf­for­de­rung zu ei­ner be­stimm­ten kon­kre­ten Ak­ti­on er­fasst sein soll. Erst mit die­ser wird die mögli­che Be­ein­träch­ti­gung ei­nes be­stimm­ten ein­ge­rich­te­ten und aus­geübten Ge­wer­be­be­triebs kon­kret. Der Kläger­ver­tre­ter hat nach ent­spre­chen­der Erörte­rung in der münd­li­chen Ver­hand­lung vor dem Se­nat auch bestätigt, dass der An­trag in die­sem Sinn zu ver­ste­hen sei und da­von nicht be­reits je­des öffent­li­che Wer­ben für die Ak­ti­ons­form des „Flashmob“ er­fasst sein soll.

3. Der Kläger hat das er­for­der­li­che Rechts­schutz­in­ter­es­se für den Un­ter­las­sungs­an­trag. Es steht zu be­sor­gen, dass die Be­klag­te künf­tig er­neut zu der­ar­ti­gen Ak­tio­nen auf­ruft.

4. Der Kläger ist pro­zessführungs­be­fugt. Er macht kei­ne frem­den, son­dern ei­ge­ne Rech­te gel­tend. Er han­delt im ei­ge­nen Na­men und nicht na­mens ei­nes oder meh­re­rer sei­ner Mit­glieds­un­ter­neh­men.

B. Die Kla­ge ist un­be­gründet. Der Kläger kann von der Be­klag­ten nicht ge­ne­rell die Un­ter­las­sung künf­ti­ger Auf­ru­fe zu Ak­tio­nen der im Kla­ge­an­trag be­schrie­be­nen Art ver­lan­gen.

I. Der Kläger be­sitzt die er­for­der­li­che Ak­tiv­le­gi­ti­ma­ti­on. Ein Ar­beit­ge­ber­ver­band hat ge­gen ei­ne Ge­werk­schaft nach § 1004 Abs. 1 BGB iVm. § 823 Abs. 1 BGB, Art. 9 Abs. 3 GG ei­nen ei­ge­nen An­spruch auf Un­ter­las­sung rechts­wid­ri­ger Ar­beits­kampf­maßnah­men ge­gen sei­ne Mit­glie­der (BAG 26. April 1988 - 1 AZR 399/86 - zu B II 1 der Gründe, BA­GE 58, 138 un­ter Auf­ga­be von


 

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12. Sep­tem­ber 1984 - 1 AZR 342/83 - BA­GE 46, 322; 24. April 2007 - 1 AZR 252/06 - Rn. 54 mwN, BA­GE 122, 134). Das Dop­pel­grund­recht des Art. 9 Abs. 3 GG schützt die Frei­heit ei­ner Ko­ali­ti­on in ih­rem Be­stand, ih­rer or­ga­ni­sa­to­ri­schen Aus­ge­stal­tung und ko­ali­ti­ons­spe­zi­fi­schen Betäti­gung. Durch rechts­wid­ri­ge Ar­beits­kampf­maßnah­men wird das Recht der geg­ne­ri­schen Ko­ali­ti­on auf ko­ali­ti­onsmäßige Betäti­gung ver­letzt. Die­se kann da­her aus ei­ge­nem Recht auf Un­ter­las­sung kla­gen (BAG 26. April 1988 - 1 AZR 399/86 - zu B II 1 der Gründe, aaO; 24. April 2007 - 1 AZR 252/06 - aaO).

II. Der Kläger kann von der Be­klag­ten nicht ver­lan­gen, künf­tig jeg­li­che Auf­ru­fe zu streik­be­glei­ten­den „Flashmob-Ak­tio­nen“ der im An­trag be­schrie­be­nen Art zu un­ter­las­sen. Wie das Lan­des­ar­beits­ge­richt zu­tref­fend er­kannt hat, sind im Rah­men ei­nes Ar­beits­kampfs im Ein­zel­han­del der­ar­ti­ge Ak­tio­nen nicht ge­ne­rell rechts­wid­rig. Zwar stel­len sie re­gelmäßig ei­nen Ein­griff in den ein­ge­rich­te­ten und aus­geübten Ge­wer­be­be­trieb der be­trof­fe­nen Be­triebs­in­ha­ber dar. Die­ser kann aber aus Gründen des Ar­beits­kampf­rechts ge­recht­fer­tigt sein.

1. Ar­beits­kampf­maßnah­men bedürfen ei­ner Recht­fer­ti­gung, wenn durch sie in Rechts­po­si­tio­nen der Ar­beit­ge­ber oder Drit­ter ein­ge­grif­fen wird. Da­bei kom­men ne­ben (ar­beits-)ver­trag­li­chen Rechts­po­si­tio­nen die in § 823 Abs. 1 BGB aus­drück­lich ge­nann­ten Rech­te so­wie ins­be­son­de­re auch das Recht der ein­zel­nen Ar­beit­ge­ber an dem von ih­nen ein­ge­rich­te­ten und aus­geübten Ge­wer­be­be­trieb in Be­tracht.

a) Das Recht des Be­triebs­in­ha­bers am ein­ge­rich­te­ten und aus­geübten Ge­wer­be­be­trieb ist nach § 1004 Abs. 1, § 823 Abs. 1 BGB de­lik­tisch geschützt. Es ist auf die un­gestörte Betäti­gung und Ent­fal­tung des von dem Be­triebs­in­ha­ber geführ­ten Be­triebs ge­rich­tet und um­fasst al­les, was in sei­ner Ge­samt­heit den wirt­schaft­li­chen Wert des Be­triebs als be­ste­hen­der Ein­heit aus­macht (vgl. BAG 20. Ja­nu­ar 2009 - 1 AZR 515/08 - Rn. 24 mwN, NJW 2009, 1990; BGH 14. April 2005 - V ZB 16/05 - zu II 2 b cc (2) (b) (aa) der Gründe, BGHZ 163, 9). Durch die von der höchst­rich­ter­li­chen Recht­spre­chung vor­ge­nom­me­ne Ein­ord­nung des Rechts am be­ste­hen­den Ge­wer­be­be­trieb in den Kreis der


 

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„sons­ti­gen Rech­te“ des § 823 Abs. 1 BGB ist die­ses Recht den dort aus­drück­lich erwähn­ten Rechtsgütern hin­sicht­lich sei­nes Schut­zes gleich­ge­stellt (vgl. et­wa BGH 18. Ja­nu­ar 1983 - VI ZR 270/80 - mwN, NJW 1983, 812). Der „Auf­fang­tat­be­stand“ ist ge­schaf­fen wor­den, um ei­ne an­dern­falls be­ste­hen­de Lücke im Rechts­schutz zu schließen.

Al­ler­dings löst nach der ständi­gen Recht­spre­chung des Bun­des­ge­richts­hofs und des Bun­des­ar­beits­ge­richts nur ein un­mit­tel­ba­rer Ein­griff in den Ge­wer­be­be­trieb oder die hin­rei­chen­de Ge­fahr ei­nes sol­chen Er­satz- oder Ab­wehransprüche aus. Hier­zu müssen die Ein­grif­fe „ge­gen den Be­trieb als sol­chen ge­rich­tet, al­so be­triebs­be­zo­gen“ sein (vgl. BAG 21. Ju­ni 1988 - 1 AZR 653/86 - zu B II 2 b und c der Gründe mwN, BA­GE 59, 48; 20. Ja­nu­ar 2009 - 1 AZR 515/08 - Rn. 24, NJW 2009, 1990; BGH 29. Ja­nu­ar 1985 - VI ZR 130/83 - zu II 1 der Gründe, NJW 1985, 1620; 21. April 1998 - VI ZR 196/97 - zu II 3 a der Gründe, BGHZ 138, 311). Sie müssen ih­rer ob­jek­ti­ven Stoßrich­tung nach ge­gen den be­trieb­li­chen Or­ga­nis­mus oder die un­ter­neh­me­ri­sche Ent­schei­dungs­frei­heit ge­rich­tet sein. Auch muss ih­nen ei­ne Scha­dens­ge­fahr ei­gen sein, die über ei­ne Belästi­gung oder ei­ne so­zi­alübli­che Be­hin­de­rung hin­aus­geht und ge­eig­net ist, den Be­trieb in emp­find­li­cher Wei­se zu be­ein­träch­ti­gen (BGH 21. April 1998 - VI ZR 196/97 - aaO; BAG 20. Ja­nu­ar 2009 - 1 AZR 515/08 - aaO; noch wei­ter­ge­hend BGH 14. April 2005 - V ZB 16/05 - zu II 2 b cc (2) (b) (aa) der Gründe mwN, BGHZ 163, 9, der so­gar Be­ein­träch­ti­gun­gen ver­langt, die „die Grund­la­gen des Be­triebs be­dro­hen, den Funk­ti­ons­zu­sam­men­hang der Be­triebs­mit­tel auf länge­re Zeit auf­he­ben oder die Tätig­keit des In­ha­bers als sol­che in Fra­ge stel­len“).

Nicht rechts­wid­rig sind Ein­grif­fe in den Ge­wer­be­be­trieb, wenn sie als Ar­beits­kampf­maßnah­men zulässig sind. Sch­ließlich han­delt es sich bei dem Recht am ein­ge­rich­te­ten und aus­geübten Ge­wer­be­trieb um ei­nen „of­fe­nen Tat­be­stand“, des­sen In­halt und Gren­zen sich erst aus ei­ner In­ter­es­sen- und Güter­abwägung mit der im Ein­zel­fall kon­kret kol­li­die­ren­den In­ter­es­sens­sphäre er­ge­ben (BGH 21. April 1998 - VI ZR 196/97 - zu II 3 b aa der Gründe mwN, BGHZ 138, 311; BAG 20. Ja­nu­ar 2009 - 1 AZR 515/08 - Rn. 24, NJW 2009, 1990).


 

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b) Die streit­be­fan­ge­nen Ak­tio­nen, zu de­nen auf­zu­ru­fen der Be­klag­ten un­ter­sagt wer­den soll, sind je­den­falls ty­pi­scher­wei­se nicht un­beträcht­li­che Ein­grif­fe in die Ge­wer­be­be­trie­be der Mit­glieds­un­ter­neh­men des Klägers. Dies gilt so­wohl für Ak­tio­nen, bei de­nen vie­le Men­schen ko­or­di­niert zur glei­chen Zeit Ar­ti­kel von ge­rin­gem Wert ein­kau­fen, um so für länge­re Zeit den Kas­sen­be­reich zu blo­ckie­ren, als auch für Ak­tio­nen, bei de­nen vie­le Men­schen zur glei­chen Zeit ih­re Ein­kaufs­wa­gen befüllen, um die­se dann an der Kas­se oder an­ders­wo in den Fi­li­alräum­en ste­hen zu las­sen. Bei bei­den Ak­ti­ons­for­men wird der Be­triebs­ab­lauf gestört. Da­bei han­delt es sich nicht um zufälli­ge, son­dern um be­ab­sich­tig­te Störun­gen. Die­se ge­hen über rei­ne Belästi­gun­gen und so­zi­al übli­che Be­ein­träch­ti­gun­gen hin­aus und sind ge­eig­net, er­heb­li­che Be­triebsstörun­gen her­vor­zu­ru­fen.

aa) Der in den Ein­zel­han­dels­fi­lia­len ver­folg­te Be­triebs­zweck be­steht dar­in, die dort an­ge­bo­te­nen Wa­ren an Kun­den zu ver­kau­fen. Da­zu gehört es, dass Kun­den die Geschäfte be­tre­ten, sich zeit­wei­lig dort auf­hal­ten und sich über das an­ge­bo­te­ne Wa­ren­sor­ti­ment in­for­mie­ren. Da­zu gehört es auch, dass Kun­den Wa­ren, die sie zu er­wer­ben be­ab­sich­ti­gen, in Ein­kaufs­wa­gen le­gen und sich da­mit zur Kas­se be­ge­ben. Be­triebs­zweck und Be­triebs­or­ga­ni­sa­ti­on sind al­ler­dings dar­auf an­ge­legt, dass in die­sem Fall die Kun­den die aus­gewähl­ten Wa­ren an der Kas­se be­zah­len und mit­neh­men. Vom Be­triebs­zweck er­fasst ist grundsätz­lich auch der Ver­kauf von Ar­ti­keln von ge­rin­gem Wert. Der Be­triebs­zweck wird nicht erst ab ei­nem be­stimm­ten Min­destein­kaufs­wert erfüllt.

bb) Durch bei­de im Kla­ge­an­trag ge­nann­ten Ak­ti­ons­for­men wird die Ver­fol­gung des Be­triebs­zwecks be­ein­träch­tigt.

(1) Dies gilt zum ei­nen, wenn Per­so­nen in „kon­zer­tier­ter Ak­ti­on“ den Re­ga­len Ar­ti­kel ent­neh­men, die­se in ih­re Ein­kaufs­wa­gen le­gen und die gefüll­ten Ein­kaufs­wa­gen dann ir­gend­wo im Geschäft zurück­las­sen, oh­ne die Wa­ren an der Kas­se zu be­zah­len und sie an­sch­ließend mit­zu­neh­men. Der Be­triebs­zweck ist nicht dar­auf ge­rich­tet, dass die An­ge­stell­ten die Ar­ti­kel in die­sen Fällen wie­der in die Re­ga­le räum­en. Viel­mehr ist da­mit ei­ne Störung des vom Be­triebs­in­ha­ber kon­zi­pier­ten Be­triebs­ab­laufs ver­bun­den.


 

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(2) Dies gilt auch, wenn Per­so­nen ko­or­di­niert ein­zel­ne Wa­ren von ge­rin­gem Wert kau­fen, um da­durch War­te­schlan­gen an den Kas­sen zu ver­ur­sa­chen. Zwar wi­der­spricht der Kauf der­ar­ti­ger Ar­ti­kel als sol­cher nicht dem Be­triebs­zweck. Gleich­wohl wird der be­trieb­li­che Ab­lauf gestört, wenn ein von ei­ner Viel­zahl von Ak­ti­ons­teil­neh­mern ab­ge­spro­che­ner Kauf der „Cent-Ar­ti­kel“ da­zu führt, dass sich an den Kas­sen lan­ge War­te­schlan­gen bil­den und da­durch po­ten­ti­el­le Kun­den von ei­nem Ein­kauf in die­sem La­den­geschäft ab­ge­hal­ten wer­den.

cc) Es han­delt sich bei sol­chen „Flashmob-Ak­tio­nen“ um un­mit­tel­ba­re, be­triebs­be­zo­ge­ne Ein­grif­fe. Die Be­triebs­ab­laufstörun­gen sind nicht zufälli­ge Fol­gen ei­ner nicht ge­gen die Ein­zel­han­dels­un­ter­neh­men ge­rich­te­ten Maßnah­me. Viel­mehr sind die Be­triebs­ab­laufstörun­gen ge­ra­de Ziel der Ak­tio­nen.

dd) Die mit den Ak­tio­nen be­ab­sich­tig­ten Be­triebs­ab­laufstörun­gen be­schränken sich nicht auf Belästi­gun­gen oder so­zi­alübli­che Be­ein­träch­ti­gun­gen. Die streit­be­fan­ge­nen „Flashmob-Ak­tio­nen“ sind dar­auf ge­rich­tet, er­heb­li­che Be­triebsstörun­gen her­vor­zu­ru­fen. Da­bei ver­langt der Streit­fall kei­ne nähe­re Aus­ein­an­der­set­zung mit der Fra­ge, wo im Ein­zel­fall ge­nau die Schwel­le für ei­ne er­heb­li­che Be­triebs­be­ein­träch­ti­gung liegt und ob die­se auch dann noch als über­schrit­ten an­ge­se­hen wer­den kann, wenn le­dig­lich durch die „Ori­gi­na­lität“ ei­ner kurz­zei­ti­gen Ak­ti­on öffent­li­che Auf­merk­sam­keit her­vor­ge­ru­fen wer­den soll. Denn je­den­falls sind die hier streit­be­fan­ge­nen „Flashmob-Ak­tio­nen“ ty­pi­scher­wei­se ge­eig­net, er­heb­li­che Störun­gen der be­trieb­li­chen Abläufe zu ver­ur­sa­chen. Sie sind hier­auf ja re­gelmäßig ge­ra­de an­ge­legt. Auch die Be­klag­te be­haup­tet nicht, die be­reits durch­geführ­te Ak­ti­on ha­be le­dig­lich de­mons­tra­ti­ven Cha­rak­ter ge­habt und nur da­zu ge­dient, öffent­li­che Auf­merk­sam­keit zu er­re­gen.

2. Die hier­nach mit sol­chen „Flashmob-Ak­tio­nen“ ei­nes lau­fen­den Ar­beits­kampfs ver­bun­de­nen Ein­grif­fe in die ein­ge­rich­te­ten und aus­geübten Ge­wer­be­be­trie­be der Mit­glieds­un­ter­neh­men können aber als Ar­beits­kampf­maßnah­men ge­recht­fer­tigt sein. Der­ar­ti­ge Ak­ti­ons­for­men des Ar­beits­kampfs un­ter­fal­len dem Schutz­be­reich des Art. 9 Abs. 3 GG. Al­ler­dings sind sie, wie je­de Ar­beits­kampf­maßnah­me, nicht schon al­lein des­halb im­mer zulässig. Viel­mehr rich­tet


 

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sich ih­re Zulässig­keit nach der Aus­ge­stal­tung des Grund­rechts durch die Rechts­ord­nung. Die­se Aus­ge­stal­tung un­ter­liegt man­gels ei­nes Tätig­wer­dens des Ge­setz­ge­bers den im Ein­zel­fall an­ge­ru­fe­nen Ge­rich­ten. Nach der hier­zu ent­wi­ckel­ten Recht­spre­chung ist we­sent­li­cher Grund­satz für die Be­ur­tei­lung der Rechtmäßig­keit von Ar­beits­kampf­maßnah­men der Verhält­nismäßig­keits­grund­satz. Nach die­sem sind streik­be­glei­ten­de „Flashmob-Ak­tio­nen“ der be­schrie­be­nen Art je­den­falls nicht ge­ne­rell un­an­ge­mes­sen.

a) Sol­che streik­be­glei­ten­den „Flashmob-Ak­tio­nen“, mit de­nen Ge­werk­schaf­ten auf die Ar­beit­ge­ber­sei­te Druck zur Durch­set­zung ih­rer in ei­nem Ar­beits­kampf ver­folg­ten ta­rif­li­chen For­de­run­gen ausüben wol­len, un­ter­fal­len grundsätz­lich der durch Art. 9 Abs. 3 GG geschütz­ten ge­werk­schaft­li­chen Betäti­gungs­frei­heit.

aa) Nach der ständi­gen Recht­spre­chung des Bun­des­ver­fas­sungs­ge­richts und des Bun­des­ar­beits­ge­richts schützt das Dop­pel­grund­recht des Art. 9 Abs. 3 GG zum ei­nen den Ein­zel­nen in sei­ner Frei­heit, ei­ne Ver­ei­ni­gung zur Wah­rung der Ar­beits- und Wirt­schafts­be­din­gun­gen zu gründen, ihr bei­zu­tre­ten oder sie zu ver­las­sen. Geschützt ist zum an­de­ren auch die Ko­ali­ti­on selbst in ih­rem Be­stand, ih­rer or­ga­ni­sa­to­ri­schen Aus­ge­stal­tung und ih­ren Betäti­gun­gen, so­fern die­se der Förde­rung der Ar­beits- und Wirt­schafts­be­din­gun­gen die­nen (BVerfG 6. Fe­bru­ar 2007 - 1 BvR 978/05 - zu II 2 a der Gründe mwN, NZA 2007, 394; BAG 19. Ju­ni 2007 - 1 AZR 396/06 - Rn. 11 mwN, BA­GE 123, 134). Der Schutz er­streckt sich auf al­le ko­ali­ti­ons­spe­zi­fi­schen Ver­hal­tens­wei­sen und um­fasst ins­be­son­de­re die Ta­rif­au­to­no­mie, die im Zen­trum der den Ko­ali­tio­nen ein­geräum­ten Möglich­kei­ten zur Ver­fol­gung ih­rer Zwe­cke steht (BVerfG 4. Ju­li 1995 - 1 BvF 2/86 ua. - zu C I 1 a der Gründe, BVerfGE 92, 365; 10. Sep­tem­ber 2004 - 1 BvR 1191/03 - zu B II 1 der Gründe mwN, AP GG Art. 9 Ar­beits­kampf Nr. 167 = EzA GG Art. 9 Ar­beits­kampf Nr. 136). Die Wahl der Mit­tel, mit de­nen die Ko­ali­tio­nen die Re­ge­lung der Ar­beits­be­din­gun­gen durch Ta­rif­verträge zu er­rei­chen ver­su­chen und die sie hier­zu für ge­eig­net hal­ten, gibt Art. 9 Abs. 3 GG nicht vor, son­dern überlässt sie grundsätz­lich den Ko­ali­tio­nen selbst. Ar­beits­kampf­maßnah­men, die auf den Ab­schluss von Ta­rif­verträgen ge­rich­tet


 

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sind, wer­den je­den­falls in­so­weit von der Ko­ali­ti­ons­frei­heit er­fasst, als sie er­for­der­lich sind, um ei­ne funk­tio­nie­ren­de Ta­rif­au­to­no­mie si­cher­zu­stel­len (BAG 19. Ju­ni 2007 - 1 AZR 396/06 - aaO). Der Schutz­be­reich des Art. 9 Abs. 3 GG ist nicht et­wa von vorn­her­ein auf den Be­reich des Un­erläss­li­chen be­schränkt. Der Grund­rechts­schutz er­streckt sich viel­mehr auf al­le Ver­hal­tens­wei­sen, die ko­ali­ti­ons­spe­zi­fisch sind. Ob ei­ne ko­ali­ti­ons­spe­zi­fi­sche Betäti­gung für die Wahr­neh­mung der Ko­ali­ti­ons­frei­heit un­erläss­lich ist, kann erst bei Ein­schränkun­gen die­ser Frei­heit Be­deu­tung er­lan­gen (BVerfG 14. No­vem­ber 1995 - 1 BvR 601/92 - zu B I 3 der Gründe, BVerfGE 93, 352; 6. Fe­bru­ar 2007 - 1 BvR 978/05 - Rn. 21, NZA 2007, 394; BAG 19. Ju­ni 2007 - 1 AZR 396/06 - aaO).

bb) Hier­nach un­ter­fal­len streik­be­glei­ten­de „Flashmob-Ak­tio­nen“ der Ge­werk­schaf­ten, die der Ver­fol­gung ta­rif­li­cher Zie­le die­nen, dem Schutz­be­reich des Art. 9 Abs. 3 GG. Es han­delt sich da­bei um ei­ne ko­ali­ti­ons­spe­zi­fi­sche Betäti­gung der Ge­werk­schaft. Dem steht nicht ent­ge­gen, dass der­ar­ti­ge „Flashmob-Ak­tio­nen“ bis­lang kein ty­pi­sches, in der Ge­schich­te des Ar­beits­kampfs schon seit länge­rem be­kann­tes und an­er­kann­tes, son­dern ein neu­es Ar­beits­kampf­mit­tel sind. Dem Schutz des Art. 9 Abs. 3 GG un­terfällt nicht nur ein his­to­risch ge­wach­se­ner, ab­sch­ließen­der nu­me­rus clau­sus von Ar­beits­kampf­mit­teln. Viel­mehr gehört es zur ver­fas­sungs­recht­lich geschütz­ten Frei­heit der Ko­ali­tio­nen, ih­re Kampf­mit­tel an die sich wan­deln­den Umstände an­zu­pas­sen, um dem Geg­ner ge­wach­sen zu blei­ben und aus­ge­wo­ge­ne Ta­rif­ab­schlüsse zu er­zie­len (BVerfG 4. Ju­li 1995 - 1 BvF 2/86 ua. - zu C I 1 b der Gründe, BVerfGE 92, 365; BAG 19. Ju­ni 2007 - 1 AZR 396/06 - Rn. 11, BA­GE 123, 134). Die Be­ur­tei­lung, ob ei­ne Betäti­gung ko­ali­ti­ons­spe­zi­fisch ist, rich­tet sich grundsätz­lich nicht nach der Art des von der Ko­ali­ti­on gewähl­ten Mit­tels, son­dern nach dem von ihr da­mit ver­folg­ten Ziel. Der Be­deu­tung des Grund­rechts würde nicht hin­rei­chend Rech­nung ge­tra­gen, wenn sein An­wen­dungs­be­reich mit der Be­gründung ver­neint würde, das von ei­ner Ko­ali­ti­on zur Ver­fol­gung ei­nes ta­rif­li­chen Ziels ein­ge­setz­te Mit­tel sei we­gen sei­ner Art nicht ko­ali­ti­ons­spe­zi­fisch. Auch ließe sich so die ver­fas­sungs­recht­lich geschütz­te ko­ali­ti­ons­spe­zi­fi­sche Betäti­gung ei­ner Ko­ali­ti­on nicht zu­verlässig und


 

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sach­ge­recht von de­ren sons­ti­ger, nicht von Art. 9 Abs. 3 GG er­fass­ter Betäti­gung ab­gren­zen. Da­her ist es ver­fas­sungs­recht­lich ge­bo­ten, ei­ne durch Art. 9 Abs. 3 GG geschütz­te ko­ali­ti­ons­spe­zi­fi­sche Betäti­gung an­zu­neh­men, wenn das von ei­ner Ko­ali­ti­on ein­ge­setz­te - fried­li­che - Mit­tel der Durch­set­zung ei­nes ko­ali­ti­ons­spe­zi­fi­schen Ziels, wie ins­be­son­de­re der Er­zwin­gung ei­nes Ta­rif­ver­trags dient.

cc) Ent­ge­gen der Auf­fas­sung des Klägers ist da­her der Schutz­be­reich des Art. 9 Abs. 3 GG auch nicht et­wa des­halb ver­sperrt, weil nicht von vorn­her­ein aus­ge­schlos­sen wer­den kann, dass sich an ge­werk­schaft­li­chen „Flashmob-Ak­tio­nen“ auch Drit­te be­tei­li­gen. Hier­durch wird die Ak­ti­on nicht ty­pi­scher­wei­se zum De­mons­tra­ti­ons­ar­beits­kampf, der auf ei­ne kol­lek­ti­ve Mei­nungsäußerung zu et­wai­gen po­li­ti­schen, ge­sell­schaft­li­chen oder wirt­schaft­li­chen Verhält­nis­sen ge­rich­tet ist und nicht der Durch­set­zung ta­rif­li­cher For­de­run­gen dient (vgl. da­zu BAG 23. Ok­to­ber 1984 - 1 AZR 126/81 - zu 3 b der Gründe, AP GG Art. 9 Ar­beits­kampf Nr. 82 = EzA GG Art. 9 Ar­beits­kampf Nr. 55). Für die Ein­ord­nung als Maßnah­me des Ar­beits­kampfs zur Durch­set­zung ta­rif­lich re­gel­ba­rer For­de­run­gen kommt es nicht auf die in­di­vi­du­el­le Mo­ti­va­ti­on der ein­zel­nen Teil­neh­mer, son­dern auf das von der Ge­werk­schaft ver­folg­te Ziel an.

b) Der Um­stand, dass zum Zwe­cke des Ar­beits­kampfs durch­geführ­te „Flashmob-Ak­tio­nen“ dem Schutz­be­reich des Art. 9 Abs. 3 GG un­ter­fal­len, be­deu­tet nicht, dass sie des­halb stets zulässig wären. Ih­re Zulässig­keit rich­tet sich viel­mehr nach der Aus­ge­stal­tung des Grund­rechts durch die Rechts­ord­nung. Maßgeb­li­ches Prin­zip ist in­so­weit der Grund­satz der Verhält­nismäßig­keit. Bei des­sen An­wen­dung er­wei­sen sich streik­be­glei­ten­de „Flashmob-Ak­tio­nen“ der im An­trag be­schrie­be­nen Art je­den­falls nicht als ge­ne­rell rechts­wid­rig.

aa) Das Grund­recht der Ko­ali­ti­ons­frei­heit be­darf der Aus­ge­stal­tung durch die Rechts­ord­nung, so­weit es die Be­zie­hun­gen zwi­schen Trägern wi­der­strei­ten­der In­ter­es­sen zum Ge­gen­stand hat. Die­se er­for­dert ko­or­di­nie­ren­de Re­ge­lun­gen, die gewähr­leis­ten, dass die auf­ein­an­der be­zo­ge­nen Grund­rechts­po­si­tio­nen trotz ih­res Ge­gen­sat­zes ne­ben­ein­an­der be­ste­hen können. Die


 

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Möglich­keit des Ein­sat­zes von Kampf­mit­teln setzt recht­li­che Rah­men­be­din­gun­gen vor­aus, die si­chern, dass Sinn und Zweck des durch Art. 9 Abs. 3 GG ga­ran­tier­ten Frei­heits­rechts so­wie sei­ne Ein­bet­tung in die ver­fas­sungs­recht­li­che Ord­nung ge­wahrt blei­ben (BVerfG 4. Ju­li 1995 - 1 BvF 2/86 ua. - zu C I 1 b der Gründe, BVerfGE 92, 365; BAG 19. Ju­ni 2007 - 1 AZR 396/06 - Rn. 15 mwN, BA­GE 123, 134). Die Aus­ge­stal­tung ob­liegt in ers­ter Li­nie dem Ge­setz­ge­ber. Bei feh­len­den oder un­zu­rei­chen­den ge­setz­li­chen Vor­ga­ben müssen die Ge­rich­te das ma­te­ri­el­le Recht mit den an­er­kann­ten Me­tho­den der Rechts­fin­dung aus den all­ge­mei­nen Grundsätzen ab­lei­ten, die für das be­tref­fen­de Rechts­verhält­nis maßgeb­lich sind (BAG 19. Ju­ni 2007 - 1 AZR 396/06 - Rn. 16 mwN, aaO). Bei der Aus­ge­stal­tung des Ar­beits­kampf­rechts ha­ben die Ge­rich­te - ne­ben den von den Ta­rif­ver­trags­par­tei­en selbst für et­wai­ge Ar­beitskämp­fe ge­zo­ge­nen Gren­zen - vor al­lem dar­auf zu ach­ten, dass ein vor­han­de­nes Kräfte­gleich­ge­wicht zwi­schen den Ta­rif­ver­trags­par­tei­en nicht gestört oder ein Un­gleich­ge­wicht verstärkt wird. Zen­tra­ler Prüfungs­maßstab ist der Grund­satz der Verhält­nismäßig­keit (BAG 19. Ju­ni 2007 - 1 AZR 396/06 - Rn. 17, aaO).

(1) Zunächst ha­ben die Ge­rich­te zu berück­sich­ti­gen, dass jeg­li­che Re­gle­men­tie­rung zu­gleich ei­ne Be­schränkung der durch Art. 9 Abs. 3 GG gewähr­leis­te­ten Betäti­gungs­frei­heit dar­stellt, die der ver­fas­sungs­recht­li­chen Recht­fer­ti­gung be­darf. Aus der Be­wer­tung des Art. 9 Abs. 3 GG als Frei­heits­recht der Ko­ali­tio­nen und der Staats­fer­ne der Ko­ali­ti­ons­frei­heit folgt, dass die Wahl der Mit­tel, wel­che die Ko­ali­tio­nen zur Er­rei­chung des Zwecks der Re­ge­lun­gen für ge­eig­net hal­ten, den Ko­ali­tio­nen selbst ob­liegt. Ei­ne Be­wer­tung von Ar­beits­kampf­maßnah­men durch die Fach­ge­rich­te als rechts­wid­rig kommt grundsätz­lich nur in Be­tracht, wenn ei­ne Ar­beits­kampf­maßnah­me of­fen­sicht­lich un­ge­eig­net oder nicht er­for­der­lich oder wenn sie un­verhält­nismäßig ist (BVerfG 10. Sep­tem­ber 2004 - 1 BvR 1191/03 - zu B II 2 b der Gründe, AP GG Art. 9 Ar­beits­kampf Nr. 167 = EzA GG Art. 9 Ar­beits­kampf Nr. 136; BAG 19. Ju­ni 2007 - 1 AZR 396/06 - Rn. 19 mwN, BA­GE 123, 134).


 

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(2) Für die Aus­ge­stal­tung des Ar­beits­kampf­rechts stellt die Funk­ti­onsfähig­keit der Ta­rif­au­to­no­mie so­wohl Recht­fer­ti­gung als auch Gren­ze dar. Das Ta­rif­ver­trags­sys­tem ist dar­auf an­ge­legt, die struk­tu­rel­le Un­ter­le­gen­heit der ein­zel­nen Ar­beit­neh­mer beim Ab­schluss von Ar­beits­verträgen durch kol­lek­ti­ves Han­deln aus­zu­glei­chen und da­mit ein annähernd gleich­wer­ti­ges Aus­han­deln der Löhne und Ar­beits­be­din­gun­gen zu ermögli­chen. Funk­ti­onsfähig ist die Ta­rif­au­to­no­mie nur, so­lan­ge ein un­gefähres Gleich­ge­wicht (Pa­rität) be­steht. Un­ver­ein­bar mit Art. 9 Abs. 3 GG ist da­her ei­ne Aus­ge­stal­tung, wenn sie da­zu führt, dass die Ver­hand­lungsfähig­keit ei­ner Ta­rif­ver­trags­par­tei bei Ta­rif­aus­ein­an­der­set­zun­gen ein­sch­ließlich der Fähig­keit, ei­nen wirk­sa­men Ar­beits­kampf zu führen, nicht mehr ge­wahrt ist oder ih­re ko­ali­ti­onsmäßige Betäti­gung wei­ter­ge­hend be­schränkt wird, als es zum Aus­gleich der bei­der­sei­ti­gen Grund­rechts­po­si­tio­nen er­for­der­lich ist (BVerfG 4. Ju­li 1995 - 1 BvF 2/86 ua. - zu C I 1 c der Gründe, BVerfGE 92, 365; BAG 19. Ju­ni 2007 - 1 AZR 396/06 - Rn. 20, BA­GE 123, 134).

(3) Kon­kre­te Maßstäbe, nach de­nen das Kräfte­gleich­ge­wicht der Ta­rif­ver­trags­par­tei­en be­ur­teilt wer­den könn­te, las­sen sich Art. 9 Abs. 3 GG nicht ent­neh­men. Die Kampfstärke von Ko­ali­tio­nen hängt von ei­ner im Ein­zel­nen kaum über­schau­ba­ren Fülle von Fak­to­ren ab, die in ih­ren Wir­kun­gen schwer abschätz­bar sind. Die Vor­ga­be, möglichst für Pa­rität zwi­schen den Ta­rif­ver­trags­par­tei­en zu sor­gen, genügt da­her als Hand­lungs­an­wei­sung für die kon­kre­te ge­richt­li­che Aus­ge­stal­tung des Ar­beits­kampf­rechts al­lein in der Re­gel nicht. Das Pa­ritätsprin­zip ist we­gen sei­ner Abs­trak­ti­onshöhe als Maßstab zur Be­wer­tung ein­zel­ner Kampf­si­tua­tio­nen re­gelmäßig nicht aus­rei­chend. Es be­zeich­net aber zu­min­dest ei­ne Gren­ze, die bei der ge­richt­li­chen Aus­ge­stal­tung nicht über­schrit­ten wer­den darf (BAG 19. Ju­ni 2007 - 1 AZR 396/06 - Rn. 21 mwN, BA­GE 123, 134).

(4) Zen­tra­ler Maßstab für die Be­ur­tei­lung der un­ter­schied­li­chen Er­schei­nungs­for­men des Ar­beits­kampfs ist nach der ständi­gen Recht­spre­chung des Bun­des­ar­beits­ge­richts der Grund­satz der Verhält­nismäßig­keit im wei­ten Sinn (19. Ju­ni 2007 - 1 AZR 396/06 - Rn. 22, 23 mit zahl­rei­chen Nachw.,


 

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BA­GE 123, 134). Auch das Bun­des­ver­fas­sungs­ge­richt hat die­ses Prin­zip als taug­li­chen Maßstab für die fach­ge­richt­li­che Über­prüfung von Ar­beits­kampf­maß­nah­men an­er­kannt (4. Ju­li 1995 - 1 BvF 2/86 ua. - zu C I 1 c der Gründe, BVerfGE 92, 365; vgl. auch 10. Sep­tem­ber 2004 - 1 BvR 1191/03 - zu B II 2 b der Gründe, AP GG Art. 9 Ar­beits­kampf Nr. 167 = EzA GG Art. 9 Ar­beits­kampf Nr. 136). Das Abwägungs­pos­tu­lat der Verhält­nismäßig­keit er­for­dert stets ei­ne Würdi­gung, ob ein Kampf­mit­tel zur Er­rei­chung ei­nes rechtmäßigen Kampf­ziels ge­eig­net und er­for­der­lich ist und be­zo­gen auf das Kampf­ziel an­ge­mes­sen (pro­por­tio­nal) ein­ge­setzt wird (BAG 19. Ju­ni 2007 - 1 AZR 396/06 - Rn. 25 mwN, aaO).

(a) Ge­eig­net ist ein Kampf­mit­tel, wenn durch sei­nen Ein­satz die Durch­set­zung des Kampf­ziels gefördert wer­den kann. Da­bei kommt den ei­nen Ar­beits­kampf führen­den Ko­ali­tio­nen ei­ne Einschätzungs­präro­ga­ti­ve zu. Sie ha­ben ei­nen Be­ur­tei­lungs­spiel­raum bei der Fra­ge, ob ei­ne Ar­beits­kampf­maßnah­me ge­eig­net ist, Druck auf den so­zia­len Ge­gen­spie­ler aus­zuüben. Die Einschätzungs­präro­ga­ti­ve ist Teil der durch Art. 9 Abs. 3 GG geschütz­ten Frei­heit in der Wahl der Ar­beits­kampf­mit­tel (BAG 19. Ju­ni 2007 - 1 AZR 396/06 - Rn. 26 mwN, BA­GE 123, 134).

(b) Er­for­der­lich ist ein Kampf­mit­tel, wenn mil­de­re Mit­tel zur Er­rei­chung des an­ge­streb­ten Ziels nach der Be­ur­tei­lung der den Ar­beits­kampf führen­den Ko­ali­ti­on nicht zur Verfügung ste­hen. Auch in­so­weit um­fasst de­ren Betäti­gungs­frei­heit grundsätz­lich die Einschätzung, ob sie zur Er­rei­chung des ver­folg­ten Ziels das gewähl­te Mit­tel für er­for­der­lich oder an­de­re Mit­tel für aus­rei­chend er­ach­tet. Die Gren­ze bil­det auch hier der Rechts­miss­brauch. Ein sol­cher liegt vor, wenn es des er­grif­fe­nen Kampf­mit­tels zur Er­rei­chung des Ziels of­fen­sicht­lich nicht be­darf (BAG 19. Ju­ni 2007 - 1 AZR 396/06 - Rn. 27, BA­GE 123, 134).

(c) Verhält­nismäßig im en­ge­ren Sinn (pro­por­tio­nal) ist ein Ar­beits­kampf­mit­tel, das sich un­ter hin­rei­chen­der Würdi­gung der grund­recht­lich gewähr­leis­te­ten Betäti­gungs­frei­heit zur Er­rei­chung des an­ge­streb­ten Kampf­ziels un­ter Berück­sich­ti­gung der Rechts­po­si­tio­nen der von der Kampf­maßnah­me un­mit­tel­bar oder mit­tel­bar Be­trof­fe­nen als an­ge­mes­sen dar­stellt. In­so­weit steht ei­ner

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Ar­beits­kampf­par­tei kei­ne Einschätzungs­präro­ga­ti­ve zu, geht es doch hier­bei nicht um ei­ne tatsächli­che Einschätzung, son­dern um ei­ne recht­li­che Abwägung. Al­ler­dings ist bei die­ser stets zu be­ach­ten, dass es ge­ra­de We­sen ei­ner Ar­beits­kampf­maßnah­me ist, durch Zufügung wirt­schaft­li­cher Nach­tei­le Druck zur Er­rei­chung ei­nes le­gi­ti­men Ziels aus­zuüben. Un­verhält­nismäßig ist ein Ar­beits­kampf­mit­tel da­her erst, wenn es sich auch un­ter Berück­sich­ti­gung die­ses Zu­sam­men­hangs als un­an­ge­mes­se­ne Be­ein­träch­ti­gung ge­genläufi­ger, eben­falls ver­fas­sungs­recht­lich geschütz­ter Rechts­po­si­tio­nen dar­stellt (BAG 19. Ju­ni 2007 - 1 AZR 396/06 - Rn. 28, BA­GE 123, 134).

(aa) Für die Be­ur­tei­lung der An­ge­mes­sen­heit ei­nes den Geg­ner schädi­gen den Ar­beits­kampf­mit­tels können zahl­rei­che Umstände ei­ne Rol­le spie­len. Die­se las­sen sich nicht für sämt­li­che in Be­tracht kom­men­den Ar­beits­kampf­mit­tel in ih­rem Ge­wicht und ih­rem Verhält­nis zu­ein­an­der ab­sch­ließend be­schrei­ben, son­dern können je nach Art des Kampf­mit­tels un­ter­schied­li­che Be­deu­tung er­lan­gen (vgl. et­wa zu den für die Be­ur­tei­lung ei­nes Un­terstützungs­streiks maßgeb­li­chen Ge­sichts­punk­ten BAG 19. Ju­ni 2007 - 1 AZR 396/06 - Rn. 38 - 49, BA­GE 123, 134).

(bb) Ins­be­son­de­re bei an­de­ren als den „klas­si­schen“ Ar­beits­kampf­mit­teln des Streiks und der Aus­sper­rung kann für die Be­ur­tei­lung der An­ge­mes­sen­heit von Be­deu­tung sein, ob das Kampf­mit­tel mit ei­ge­nen Op­fern des An­grei­fers ver­bun­den ist und ob dem Geg­ner ef­fek­ti­ve Ver­tei­di­gungsmöglich­kei­ten zur Verfügung ste­hen. Ein Ar­beits­kampf­mit­tel, das frei von ei­ge­nen Ri­si­ken ein­ge­setzt wer­den kann und zu­gleich dem Geg­ner kei­ne Ver­tei­di­gungsmöglich­kei­ten lässt, gefähr­det ty­pi­scher­wei­se die Ver­hand­lungs­pa­rität. Zwar ist ein Ar­beits­kampf dar­auf an­ge­legt, für die Ge­gen­sei­te ho­he Kos­ten zu ver­ur­sa­chen, um möglichst schnell zu ei­nem Ta­rif­ab­schluss zu ge­lan­gen (vgl. BAG 11. Mai 1993 - 1 AZR 649/92 - zu II 2 der Gründe, BA­GE 73, 141; Ot­to Ar­beits­kampf und Sch­lich­tungs­recht § 8 Rn. 8; ErfK/Die­te­rich 9. Aufl. Art. 9 GG Rn. 131). Doch darf die Rechts­ord­nung kei­ner Sei­te so star­ke Kampf­mit­tel zur Verfügung stel­len, dass dem Ge­gen­spie­ler kei­ne wirk­sa­me Re­ak­ti­onsmöglich­keit bleibt, son­dern die Chan­cen auf die Her­beiführung ei­nes an­ge­mes­se­nen Ver-

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hand­lungs­er­geb­nis­ses zerstört wer­den (vgl. BAG 12. No­vem­ber 1996 - 1 AZR 364/96 - zu II 2 a der Gründe, BA­GE 84, 302).

(cc) Um dem Geg­ner ei­ge­ne Re­ak­tio­nen zu ermögli­chen, be­darf es in der Re­gel der Er­kenn­bar­keit ei­ner Kampf­maßnah­me als sol­cher. Dies ent­spricht dem ar­beits­kampf­recht­li­chen Ge­bot der fai­ren Kampfführung. Da­nach muss der An­ge­grif­fe­ne wis­sen, von wel­cher Maßnah­me er be­trof­fen ist, um sich in sei­nem ei­ge­nen Ver­hal­ten dar­auf ein­stel­len zu können (vgl. BAG 31. Ok­to­ber 1995 - 1 AZR 217/95 - zu I 2 a und b bb der Gründe, BA­GE 81, 213; Wißmann JbAr­bR Bd. 35 S. 115, 123 ff.). An die sich dar­aus er­ge­ben­de Pflicht zur De­kla­ra­ti­on ar­beits­kampf­be­zo­ge­ner Hand­lun­gen sind al­ler­dings kei­ne for­ma­len An­for­de­run­gen im Sin­ne aus­drück­li­cher Erklärun­gen an die Ge­gen­sei­te zu stel­len. Das Ar­beits­kampf­ge­sche­hen ist ei­ner For­ma­li­sie­rung weit­ge­hend ent­zo­gen. Da­her müssen der Ge­gen­sei­te In­halt und Um­fang ei­ner Ar­beits­kampf­maßnah­me nicht förm­lich mit­ge­teilt wer­den. Viel­mehr genügt es, wenn der Ge­gen­spie­ler aus den ihm be­kann­ten Umständen er­ken­nen kann, wel­cher von der Ge­gen­sei­te ge­tra­ge­nen Ar­beits­kampf­maßnah­me er aus­ge­setzt ist (vgl. BAG 31. Ok­to­ber 1995 - 1 AZR 217/95 - zu I 2 b bb der Gründe, aaO; Wißmann S. 115, 124). In je­dem Fall muss er­kenn­bar sein, dass es sich nicht um ei­ne „wil­de“ oder an­ony­me, son­dern um ei­ne von der Ge­gen­sei­te ge­tra­ge­ne Kampf­maßnah­me han­delt. Um sich ver­tei­di­gen zu können, muss der An­ge­grif­fe­ne er­ken­nen können, wer die Ver­ant­wor­tung für den An­griff trägt (vgl. BAG 31. Ok­to­ber 1995 - 1 AZR 217/95 - zu I 1 der Gründe, aaO).

bb) Hier­nach sind ge­werk­schaft­lich ge­tra­ge­ne streik­be­glei­ten­de „Flashmob-Ak­tio­nen“ der be­schrie­be­nen Art im Rah­men von Ar­beitskämp­fen im Ein­zel­han­del nicht ge­ne­rell rechts­wid­rig. Ins­be­son­de­re stel­len sie sich nicht in al­len ernst­haft in Be­tracht kom­men­den Fall­ge­stal­tun­gen als un­verhält­nismäßig dar.

(1) Streik­be­glei­ten­de „Flashmob-Ak­tio­nen“ der streit­be­fan­ge­nen Art sind nicht, je­den­falls nicht stets, of­fen­sicht­lich un­ge­eig­net, zur Durch­set­zung der von der Be­klag­ten in mögli­chen künf­ti­gen Ar­beitskämp­fen ver­folg­ten ta­rif­li­chen Zie­le. Ih­re Ge­eig­net­heit un­ter­liegt der Einschätzungs­präro­ga­ti­ve der Be­klag­ten in der je­wei­li­gen kon­kre­ten Ar­beits­kampf­si­tua­ti­on.


 

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(2) Eben­so we­nig ge­recht­fer­tigt ist die An­nah­me, streik­be­glei­ten­de „Flashmob-Ak­tio­nen“ der streit­be­fan­ge­nen Art sei­en in künf­ti­gen Ta­rif­aus­ein­an­der­set­zun­gen der Par­tei­en of­fen­sicht­lich nicht er­for­der­lich, um zur Durch­set­zung der ta­rif­li­chen Zie­le Druck auf den Kläger und des­sen Mit­glieds­un­ter­neh­men aus­zuüben. Auch in­so­weit steht der Be­klag­ten ei­ne weit­ge­hen­de Einschätzungs­präro­ga­ti­ve zu, die sich dar­auf er­streckt, ob durch den bis­he­ri­gen Ver­lauf des Ar­beits­kampfs aus­rei­chen­der wirt­schaft­li­cher Druck auf die Ge­gen­sei­te auf­ge­baut wer­den konn­te.

(3) Streik­be­glei­ten­de künf­ti­ge „Flashmob-Ak­tio­nen“ der streit­be­fan­ge­nen Art sind auch nicht ge­ne­rell un­verhält­nismäßig.

(a) Al­ler­dings un­ter­schei­den sich der­ar­ti­ge Ak­tio­nen von dem herkömmli­chen Ar­beits­kampf­mit­tel des Streiks in sei­nen un­ter­schied­li­chen Er­schei­nungs­for­men nicht un­beträcht­lich. Zwar zielt der Ein­satz bei­der Ar­beits­kampf­mit­tel dar­auf ab, die be­trieb­li­che Tätig­keit zu be­hin­dern und hier­durch dem Ar­beit­ge­ber ei­nen wirt­schaft­li­chen Scha­den zu­zufügen. Gleich­wohl han­delt es sich um ganz un­ter­schied­li­che Mit­tel. Während die Be­triebsstörung beim Streik durch die „pas­si­ve“, aber nach Zeit und Ort ko­or­di­nier­te kol­lek­ti­ve Ver­wei­ge­rung der von den ein­zel­nen Ar­beit­neh­mern ver­trag­lich ge­schul­de­ten Ar­beits­leis­tung her­vor­ge­ru­fen wer­den soll, geht es bei „Flashmob-Ak­tio­nen“ um ei­ne „ak­ti­ve“ Störung be­trieb­li­cher Abläufe. Auch kann ein Streik sei­nem Cha­rak­ter nach nur von Ar­beit­neh­mern geführt wer­den, während die Be­tei­li­gung an „Flashmob-Ak­tio­nen“ in öffent­lich zugäng­li­chen Be­trie­ben auch an­de­ren Per­so­nen möglich ist. Vor al­lem aber liegt ein er­heb­li­cher Un­ter­schied zwi­schen dem Streik und den „Flashmob-Ak­tio­nen“ dar­in, dass die­se als sol­che nicht mit ei­nem er­heb­li­chen wirt­schaft­li­chen ei­ge­nen Nach­teil für die Ak­ti­ons­teil­neh­mer ver­bun­den sind. Der Streik als klas­si­sches Ar­beits­kampf­mit­tel der Ar­beit­neh­mer führt in sei­nen ver­schie­de­nen Er­schei­nungs­for­men stets un­mit­tel­bar zu ei­nem ei­ge­nen fi­nan­zi­el­len Op­fer der Strei­ken­den. Da sie durch den Streik ih­ren Vergütungs­an­spruch ver­lie­ren, ist mit die­ser Ar­beits­kampf­maßnah­me im­mer ei­ne Selbstschädi­gung ver­knüpft. Dies trägt - je­den­falls ty­pi­scher­wei­se - da­zu bei, dass Ge­werk­schaf­ten und Ar­beit­neh­mer mit die­sem Ar­beits­kampf­mit­tel (ei­gen-)ver-


 

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ant­wort­lich um­ge­hen (vgl. zur Steue­rungs­funk­ti­on der mit ei­nem Streik für die strei­ken­den Ar­beit­neh­mer und die Ge­werk­schaft ver­bun­de­nen Be­las­tun­gen und Op­fer BAG 18. Fe­bru­ar 2003 - 1 AZR 142/02 - zu B II 1 der Gründe, BA­GE 105, 5; 19. Ju­ni 2007 - 1 AZR 396/06 - Rn. 35, BA­GE 123, 134; vgl. auch schon 10. Ju­ni 1980 - 1 AZR 822/79 - zu A V 2 der Gründe, BA­GE 33, 140). Sch­ließlich sind ge­werk­schaft­lich ge­tra­ge­ne und or­ga­ni­sier­te Streiks re­gelmäßig zu­verlässig be­herrsch­bar und ste­hen ty­pi­scher­wei­se nicht in Ge­fahr, durch ein we­ni­ger be­ein­fluss­ba­res Ver­hal­ten Drit­ter außer Kon­trol­le zu ge­ra­ten.

(b) Die­se Un­ter­schie­de führen je­doch nicht da­zu, dass „Flashmob-Ak­tio­nen“ als Ar­beits­kampf­mit­tel stets un­verhält­nismäßig wären. Dies gilt je­den­falls für streik­be­glei­ten­de, von der Ge­werk­schaft ge­tra­ge­ne Ak­tio­nen, bei de­nen die be­trof­fe­nen Ar­beit­ge­ber auf­grund der ih­nen be­kann­ten Umstände die Art des Kampf­mit­tels und die dafür ver­ant­wort­li­che Ge­werk­schaft er­ken­nen können. In die­sem Fall ist nämlich die Ar­beit­ge­ber­sei­te der ge­werk­schaft­li­chen Ar­beits­kampf­maßnah­me nicht wehr­los aus­ge­lie­fert. Viel­mehr ste­hen ihr wirk­sa­me Ver­tei­di­gungsmöglich­kei­ten zur Verfügung.

(aa) Re­gelmäßig er­for­der­lich ist al­ler­dings, dass der­ar­ti­ge „Flashmob-Ak­tio­nen“ für die Ar­beit­ge­ber­sei­te als von der Ge­werk­schaft ge­tra­ge­ne und zu ver­ant­wor­ten­de Ar­beits­kampf­maßnah­men er­kenn­bar sind. Die den Ar­beits­kampf führen­de Ge­werk­schaft muss da­her in zu­re­chen­ba­rer Wei­se deut­lich ma­chen, dass es sich nicht um ei­ne „wil­de“ Ak­ti­on un­be­tei­lig­ter Drit­ter, son­dern um ei­ne von ihr or­ga­ni­sier­te und ge­steu­er­te Ar­beits­kampf­maßnah­me han­delt. Dies muss nicht in for­ma­li­sier­ter Wei­se ge­sche­hen. Viel­mehr kann sich dies aus den Ge­samt­umständen - wie et­wa Flugblättern oder öffent­li­chen Kund­ge­bun­gen - er­ge­ben (vgl. BAG 31. Ok­to­ber 1995 - 1 AZR 217/95 - zu I 2 c der Gründe, BA­GE 81, 213; Wißmann JbAr­bR Bd. 35 S. 115, 124). Für die Ar­beit­ge­ber­sei­te muss aber je­den­falls er­kenn­bar sein, ob über­haupt und ggf. um wel­che Art von Ar­beits­kampf­maßnah­me es sich han­delt und wer dafür die Ver­ant­wor­tung trägt. Nur un­ter die­sen Vor­aus­set­zun­gen kann die Ar­beit­ge­ber­sei­te ihr Ver­hal­ten auf die ge­werk­schaft­li­chen Kampf­maßnah­men ein­stel­len (vgl. BAG 31. Ok­to­ber 1995 - 1 AZR 217/95 - zu I 2 b bb der Gründe, aaO).


 

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(bb) Die Ar­beit­ge­ber­sei­te ist der­ar­ti­gen, er­kenn­bar von der Ge­werk­schaft ge­tra­ge­nen und or­ga­ni­sier­ten „Flashmob-Ak­tio­nen“ nicht wehr­los aus­ge­lie­fert. Viel­mehr ste­hen ihr wirk­sa­me Ver­tei­di­gungsmöglich­kei­ten zur Verfügung.

(aaa) Zum ei­nen hat der von ei­ner „Flashmob-Ak­ti­on“ be­trof­fe­ne Ar­beit­ge­ber grundsätz­lich die Möglich­keit, ge­genüber den Ak­ti­ons­teil­neh­mern von sei­nem Haus­recht Ge­brauch zu ma­chen.

(aaaa) Das Haus­recht be­ruht auf dem Grundstücks­ei­gen­tum oder –be­sitz (§§ 858 ff., 903, 1004 BGB) und ermöglicht sei­nem In­ha­ber, grundsätz­lich frei darüber zu ent­schei­den, wem er den Zu­tritt zu der Ört­lich­keit ge­stat­tet und wem er ihn ver­wehrt. Das schließt das Recht ein, den Zu­tritt nur zu be­stimm­ten Zwe­cken zu er­lau­ben und die Ein­hal­tung die­ses Zwecks mit­tels ei­nes Haus­ver­bots durch­zu­set­zen (BGH 20. Ja­nu­ar 2006 - V ZR 134/05 - Rn. 7, NJW 2006, 1054). Al­ler­dings bringt der­je­ni­ge, der ein Geschäft für den all­ge­mei­nen Pu­bli­kums­ver­kehr eröff­net, da­mit zum Aus­druck, dass er an je­der­mann Wa­ren ver­kau­fen oder Dienst­leis­tun­gen er­brin­gen will. Er ge­stat­tet so­mit ge­ne­rell al­len po­ten­ti­el­len Kun­den den Zu­tritt. Das schließt es aber nicht aus, dass er von sei­nem Haus­recht ge­genüber sol­chen Kun­den Ge­brauch macht, die hier­zu, ins­be­son­de­re durch Störun­gen des Be­triebs­ab­laufs, An­lass ge­ben (vgl. BGH 3. No­vem­ber 1993 - VIII ZR 106/93 - zu II 1 der Gründe, NJW 1994, 188; 25. April 1991 - I ZR 283/89 - zu II 1 der Gründe, MDR 1991, 1155). Der von ei­ner „Flashmob-Ak­ti­on“ be­trof­fe­ne In­ha­ber ei­nes Ein­zel­han­dels­geschäfts ist dem­ent­spre­chend recht­lich nicht ge­hin­dert, Teil­neh­mer an der Ak­ti­on des Be­triebs zu ver­wei­sen. Sein auf Ei­gen­tum und Be­sitz be­ru­hen­des Haus­recht muss der durch Art. 9 Abs. 3 GG geschütz­ten ge­werk­schaft­li­chen Betäti­gungs­frei­heit nicht wei­chen. Da­bei kann da­hin­ste­hen, ob auch ein pri­va­ter Haus­rechts­in­ha­ber ge­hal­ten ist, sein Haus­recht „grund­rechts­freund­lich“ aus­zuüben (vgl. BAG 25. Ja­nu­ar 2005 - 1 AZR 657/03 - zu II 1 b der Gründe, BA­GE 113, 230). Je­den­falls muss der In­ha­ber ei­nes Be­triebs die In­an­spruch­nah­me sei­nes Be­sitz­tums zum Zwe­cke der Her­beiführung von Be­triebs­ab­laufstörun­gen auch im Ar­beits­kampf nicht dul­den (vgl. da­zu, dass Be­triebs­ab­laufstörun­gen auch dem ge­werk­schaft­li­chen Zu­tritts­recht zum Zwe­cke der Mit­glie­der­wer­bung


 

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ent­ge­gen­ste­hen können BAG 28. Fe­bru­ar 2006 - 1 AZR 460/04 - Rn. 44, BA­GE 117, 137).

(bbbb) Die hier­nach dem von ei­ner „Flashmob-Ak­ti­on“ be­trof­fe­nen Ar­beit­ge­ber auf­grund sei­nes Haus­rechts eröff­ne­te Ver­tei­di­gungsmöglich­keit ist nicht et­wa aus tatsächli­chen Gründen zur Ge­gen­wehr ty­pi­scher­wei­se un­ge­eig­net. Al­ler­dings mag die so­for­ti­ge Iden­ti­fi­ka­ti­on al­ler Teil­neh­mer an ei­ner der­ar­ti­gen Ak­ti­on im Ein­zel­fall Schwie­rig­kei­ten be­rei­ten. Die Möglich­keit, die Ak­ti­ons­teil­neh­mer je­den­falls als­bald als sol­che zu er­ken­nen, ist aber re­gelmäßig ge­ge­ben. So­fern Ak­ti­ons­teil­neh­mer - wie et­wa bei der Ak­ti­on vom 8. De­zem­ber 2007 zu­min­dest ein Teil von ih­nen - be­reits an äußeren An­zei­chen, wie Be­klei­dung oder An­steck­na­deln, er­kenn­bar sind oder so­fern sie sich durch ih­re Äußerun­gen oder Hand­lun­gen als Teil­neh­mer der Ak­ti­on zu er­ken­nen ge­ben, steht der Ausübung des Haus­rechts ih­nen ge­genüber oh­ne­hin nichts im We­ge. Aber auch wenn Ak­ti­ons­teil­neh­mer nicht un­mit­tel­bar be­reits äußer­lich als sol­che er­kenn­bar sind, bleibt ih­re Teil­nah­me nicht länge­re Zeit ver­bor­gen, son­dern wird spätes­tens dann of­fen­bar, wenn sie ge­mein­sam mit vie­len an­de­ren mit le­dig­lich ei­nem „Cent-Ar­ti­kel“ im Ein­kaufs­wa­gen an der Kas­se ei­ne War­te­schlan­ge bil­den oder ei­nen gefüll­ten Ein­kaufs­wa­gen ste­hen las­sen. Zwar mögen be­reits da­durch in be­grenz­tem Um­fang Störun­gen ein­tre­ten. Länger dau­ern­den, nach­hal­ti­gen Störun­gen kann der Be­triebs­in­ha­ber aber re­gelmäßig be­reits durch Ausübung sei­nes Haus­rechts be­geg­nen. Es kann auch nicht et­wa an­ge­nom­men wer­den, dass die Ak­ti­ons­teil­neh­mer ty­pi­scher­wei­se ei­ner Auf­for­de­rung des Be­triebs­in­ha­bers oder sei­ner Re­präsen­tan­ten, die Ein­zel­han­dels­fi­lia­le zu ver­las­sen, auf die Ge­fahr hin, sich nach § 123 Abs. 1 2. Alt. StGB straf­bar zu ma­chen, kei­ne Fol­ge leis­ten. Dies gilt ins­be­son­de­re, wenn es sich nicht um ei­ne „wil­de“, son­dern um ei­ne von der Ge­werk­schaft or­ga­ni­sier­te, ge­steu­er­te und zu ver­ant­wor­ten­de Ak­ti­on han­delt.

(bbb) Der von ei­ner „Flashmob-Ak­ti­on“ in ei­ner be­streik­ten, wenn­gleich nicht ge­schlos­se­nen, Ein­zel­han­dels­fi­lia­le be­trof­fe­ne Ar­beit­ge­ber hat fer­ner die Möglich­keit, der ge­werk­schaft­li­chen Ar­beits­kampf­maßnah­me durch ei­ne vorüber­ge­hen­de Be­triebs­sch­ließung zu be­geg­nen.


 

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(aaaa) Nach der Recht­spre­chung des Bun­des­ar­beits­ge­richts ist der Ar­beit­ge­ber nicht ver­pflich­tet, ei­nen be­streik­ten Be­trieb oder Be­triebs­teil für die Dau­er des Streiks so­weit als möglich auf­recht­zu­er­hal­ten. Dies gilt auch, wenn ihm die teil­wei­se Auf­recht­er­hal­tung tech­nisch möglich und wirt­schaft­lich zu­mut­bar wäre. Der Ar­beit­ge­ber kann viel­mehr den be­streik­ten Be­trieb im zeit­li­chen und räum­li­chen Rah­men des Streiks still­le­gen. Ei­ne sol­che sus­pen­die­ren­de Still­le­gung hat zur Fol­ge, dass auch ar­beits­wil­li­ge Ar­beit­neh­mer ih­ren Lohn­an­spruch ver­lie­ren (22. März 1994 - 1 AZR 622/93 - zu II 3 b und c der Gründe, BA­GE 76, 196; 31. Ja­nu­ar 1995 - 1 AZR 142/94 - zu I 2 der Gründe, BA­GE 79, 152; 27. Ju­ni 1995 - 1 AZR 1016/94 - zu III 1 der Gründe, BA­GE 80, 213). Sie ist al­ler­dings nur in­ner­halb des Rah­mens möglich, den der Streik­auf­ruf in ge­genständ­li­cher und zeit­li­cher Hin­sicht ge­setzt hat (27. Ju­ni 1995 - 1 AZR 1016/94 - aaO). Die prak­ti­sche Be­deu­tung der Möglich­keit ei­ner sus­pen­die­ren­den Still­le­gung liegt dar­in, dass nicht strei­ken­de, ar­beits­wil­li­ge Außen­sei­ter in die Ri­si­ko­ge­mein­schaft der Ar­beit­neh­mer im Streik­ge­sche­hen ein­be­zo­gen wer­den (Wißmann JbAr­bR Bd. 35 S. 115, 120). Das Recht zur Be­triebs­still­le­gung eröff­net dem be­trof­fe­nen Ar­beit­ge­ber schnel­le und be­triebs­spe­zi­fi­sche Re­ak­tio­nen, die das In­stru­ment der Ab­wehr­aus­sper­rung nicht oder je­den­falls nicht mit der­sel­ben Ef­fi­zi­enz bie­tet (ErfK/Die­te­rich Art. 9 GG Rn. 220). Ins­be­son­de­re hängt die Rechtmäßig­keit ei­ner sus­pen­die­ren­den Still­le­gung an­ders als die­je­ni­ge ei­ner Ab­wehr­aus­sper­rung in Ar­beitskämp­fen um ei­nen Ver­bands­ta­rif­ver­trag nicht von ei­nem vor­he­ri­gen Ko­ali­ti­ons­be­schluss des Ar­beit­ge­ber­ver­bands ab (vgl. BAG 31. Ok­to­ber 1995 - 1 AZR 217/95 - zu I 1 der Gründe, BA­GE 81, 213).

(bbbb) Hier­nach hat der von ei­ner „Flashmob-Ak­ti­on“ in ei­ner be­streik­ten Ein­zel­han­dels­fi­lia­le be­trof­fe­ne Ar­beit­ge­ber die Möglich­keit, sich dem aus­ge­ru­fe­nen, aber tatsächlich nicht vollständig be­folg­ten oder von ihm bis­lang durch Ein­satz von Aus­hilfs­kräften oder Leih­ar­beit­neh­mern un­ter­lau­fe­nen Streik zeit­wei­lig zu „beu­gen“ und den Be­trieb vorüber­ge­hend mit sus­pen­die­ren­der Wir­kung für die nicht strei­ken­den Ar­beit­neh­mer zu schließen. Ge­gen­stand der vor­lie­gen­den Un­ter­las­sungs­kla­ge sind ge­ra­de und aus­sch­ließlich streik­be­glei­ten­de „Flashmob-Ak­tio­nen“ in be­streik­ten Fi­lia­len von Mit­glieds­un­ter-


 

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neh­men des Klägers. Ei­ne vorüber­ge­hen­de Be­triebs­sch­ließung durch den be­trof­fe­nen Ar­beit­ge­ber be­wegt sich da­her im räum­li­chen und zeit­li­chen Rah­men des von der Ge­werk­schaft aus­ge­ru­fe­nen Streiks. An­ders als für ei­ne Ab­wehr­aus­sper­rung be­darf der be­trof­fe­ne Ar­beit­ge­ber auch bei ei­nem Ar­beits­kampf um ei­nen Ver­bands­ta­rif­ver­trag nicht ei­nes vor­he­ri­gen Be­schlus­ses des Ar­beit­ge­ber­ver­bands. Viel­mehr kann er un­mit­tel­bar und fle­xi­bel auf die ge­werk­schaft­li­che Ar­beits­kampf­maßnah­me re­agie­ren. Al­ler­dings ist nicht zu ver­ken­nen, dass ei­ne vom Ar­beit­ge­ber vor­ge­nom­me­ne sus­pen­die­ren­de Be­triebs­still­le­gung ge­nau zu dem Er­geb­nis führt, das die Ge­werk­schaft mit dem tatsächlich nicht un­ein­ge­schränkt be­folg­ten Streik­auf­ruf zu er­rei­chen ver­sucht. Dies ändert je­doch nichts dar­an, dass der be­trof­fe­ne Ar­beit­ge­ber durch die Be­triebs­sch­ließung die „Flashmob-Ak­ti­on“ als sol­che wirk­sam be­en­den und die Fol­gen der Be­triebsstörung durch das Zurückräum­en der Wa­re aus den befüll­ten Ein­kaufs­wa­gen un­schwer be­sei­ti­gen kann.

(c) Ent­ge­gen der Auf­fas­sung des Klägers han­delt es sich bei den streik­be­glei­ten­den „Flashmob-Ak­tio­nen“ der streit­be­fan­ge­nen Art auch nicht um „Be­triebs­blo­cka­den“. Die Ein­zel­han­dels­fi­lia­len wer­den nicht et­wa ge­genüber Kun­den und Lie­fe­ran­ten ab­ge­sperrt. „Flashmob-Ak­tio­nen“ der streit­be­fan­ge­nen Art sind ty­pi­scher­wei­se ge­ra­de nicht auf ei­ne nach­hal­ti­ge Ab­sper­rung des ge­sam­ten Be­triebs, son­dern auf ei­ne re­la­tiv kurz­fris­ti­ge, vorüber­ge­hen­de Störung be­trieb­li­cher Abläufe ge­rich­tet. Der vor­lie­gen­de Fall ver­langt da­her nicht nach ei­ner recht­li­chen Be­ur­tei­lung von „Be­triebs­blo­cka­den“ (vgl. da­zu BAG 8. No­vem­ber 1988 - 1 AZR 417/86 - zu C III der Gründe mwN, BA­GE 60, 101). Auch der Kläger hat nicht dar­ge­tan, dass et­wa bei der Ak­ti­on am 8. De­zem­ber 2007 der Zu­gang zur oder der Ab­gang von der be­streik­ten Fi­lia­le ver­hin­dert oder un­be­tei­lig­te Kun­den in ih­rer Be­we­gungs­frei­heit ein­ge­schränkt wor­den wären oder dass dies bei der­ar­ti­gen Ak­tio­nen ty­pi­scher­wei­se stets der Fall wäre.

III. Streik­be­glei­ten­de „Flashmob-Ak­tio­nen“ der streit­be­fan­ge­nen Art sind we­der ge­ne­rell vorsätz­li­che sit­ten­wid­ri­ge Schädi­gun­gen des be­trof­fe­nen Ar­beit-


 

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ge­bers noch ist da­mit ty­pi­scher­wei­se die Ver­wirk­li­chung ei­nes Straf­tat­be­stands ver­bun­den.

1. Die streit­ge­genständ­li­chen Ak­tio­nen sind, je­den­falls ty­pi­scher­wei­se, kei­ne vorsätz­li­chen sit­ten­wid­ri­gen Schädi­gun­gen iSv. § 826 BGB. Er­for­der­lich wäre hier­zu ei­ne be­son­de­re Ver­werf­lich­keit des Ver­hal­tens der Be­klag­ten. Ei­ne sol­che liegt nicht vor. Von ei­ner die Re­geln ei­nes fai­ren Ar­beits­kampfs nach Form und Aus­maß ver­let­zen­den Rück­sichts­lo­sig­keit kann bei Ak­tio­nen in dem bis­lang er­folg­ten Um­fang nicht ge­spro­chen wer­den.

2. Durch Ak­tio­nen der be­schrie­be­nen Art wird nicht et­wa ty­pi­scher­wei­se 65 der Straf­tat­be­stand des Haus­frie­dens­bruchs iSv. § 123 Abs. 1 StGB ver­wirk­licht. Die­ser ist nicht be­reits dann erfüllt, wenn je­mand ein der Öffent­lich­keit zugäng­li­ches Ein­zel­han­dels­geschäft oh­ne die Ab­sicht be­tritt, dort tatsächlich ein­zu­kau­fen. Wenn der Zu­tritt zu ei­nem Ver­kaufs­geschäft vom Haus­rechts­in­ha­ber oh­ne zu­verlässig er­kenn­ba­re Ein­schränkun­gen all­ge­mein eröff­net wird, be­darf es zur Erfüllung des Straf­tat­be­stands des § 123 StGB grundsätz­lich ei­ner er­folg­lo­sen Auf­for­de­rung des Haus­rechts­in­ha­bers, sich zu ent­fer­nen (vgl. Schönke/Schröder StGB 27. Aufl. § 123 Rn. 23, 27).

3. Eben­so we­nig ist mit Ak­tio­nen der streit­be­fan­ge­nen Art ty­pi­scher­wei­se der Straf­tat­be­stand des § 240 Abs. 1 StGB ver­wirk­licht. Ei­ne rechtmäßige Ar­beits­kampf­maßnah­me ist kei­ne Nöti­gung.

4. Auch § 303 Abs. 1 StGB wird durch der­ar­ti­ge Ak­tio­nen nicht ty­pi­scher­wei­se ver­wirk­licht. Die bloße Möglich­keit, dass sich Ak­ti­ons­teil­neh­mer nicht an die Di­rek­ti­ve hal­ten, kei­ne ver­derb­li­che Frisch­wa­re aus den Re­ga­len zu ent­neh­men, und es auf die­se Wei­se zu „Ex­zes­sen“ kommt, führt al­lein nicht zur ge­ne­rel­len Rechts­wid­rig­keit des Ar­beits­kampf­mit­tels.

IV. Die vom Kläger er­ho­be­nen for­mel­len Rügen sind nicht ge­eig­net, der Re­vi­si­on zum Er­folg zu ver­hel­fen.

1. Ent­ge­gen der Auf­fas­sung des Klägers hat das Lan­des­ar­beits­ge­richt sei­ne Aufklärungs-, Hin­weis- und Fra­ge­pflicht nach § 139 Abs. 1 und 2 ZPO


 

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nicht ver­letzt. Ins­be­son­de­re han­delt es sich bei der für das Lan­des­ar­beits­ge­richt maßgeb­li­chen Erwägung, der Grund­satz der Verhält­nismäßig­keit sei bei „Flashmob-Ak­tio­nen“ der streit­be­fan­ge­nen Art je­den­falls nicht in al­len denk­ba­ren Fällen ver­letzt, er­sicht­lich nicht um ei­nen über­ra­schen­den Ge­sichts­punkt, son­dern um ei­nen sol­chen, der sich bei dem auf die Zu­kunft ge­rich­te­ten Un­ter­las­sungs­an­trag auf­drängt.

2. Auch die Rüge, das Lan­des­ar­beits­ge­richt ha­be § 286 ZPO ver­letzt, ist un­be­gründet. Das Lan­des­ar­beits­ge­richt hat es ins­be­son­de­re nicht versäumt, zu ei­ner von ihm für ent­schei­dungs­er­heb­lich er­ach­te­ten strei­ti­gen Tat­sa­che ei­nen vom Kläger an­ge­bo­te­nen Be­weis ein­zu­ho­len. Es hat viel­mehr sei­ne Ent­schei­dung auf die un­strei­ti­gen Tat­schen gestützt und den Kläger in kei­nem ent­schei­dungs­er­heb­li­chen Punkt als be­weisfällig be­han­delt.

Schmidt Koch Lin­sen­mai­er

Kle­be Fe­der­lin

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