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BAG, Ur­teil vom 05.03.1985, 1 AZR 468/83

   
Schlagworte: Streik: Solidaritätsstreik, Streik: Unterstützungsstreik, Streik: Sympathiestreik
   
Gericht: Bundesarbeitsgericht
Aktenzeichen: 1 AZR 468/83
Typ: Urteil
Entscheidungsdatum: 05.03.1985
   
Leitsätze:

1 Der Sympathiestreik einer Gewerkschaft, mit dem sie zugunsten einer anderen Gewerkschaft in einen Tarifkonflikt dieser Gewerkschaft mit einem einzelnen Unternehmen um den Abschluß eines Firmentarifvertrags eingreift, ist in der Regel rechtswidrig.

2 a. Der streikbedingte Produktionsausfall stellt noch keinen Schaden im Sinne von § 249 Satz 1 BGB dar.

b. Der geschädigte Unternehmer kann jedoch geltend machen, er hätte in der ausgefallenen Arbeitszeit Güter erzeugt, die er am Markt zu kostendeckenden Preisen abgesetzt hätte. Der Schaden besteht dann in Höhe der entgangenen Einnahmen.

c. Die Darlegung und der Nachweis, daß kostendeckend gearbeitet wurde, kann durch § 252 Satz 2 BGB erleichtert sein.

Vorinstanzen: Arbeitsgericht Ludwigshafen
Landesarbeitsgericht Rheinland-Pfalz
   

1 AZR 468/83
6 Sa 66/83 Rhein­land-Pfalz 


Verkündet am

5. März 1985

Stöcker,

Amts­in­spek­to­rin

als Ur­kunds­be­am­ter

der Geschäfts­stel­le 

Im Na­men des Vol­kes!

Ur­teil

In Sa­chen
 

PP.


hat der Ers­te Se­nat des Bun­des­ar­beits­ge­richts auf­grund der münd­li­chen Ver­hand­lung vom 5. März 1985 durch den Präsi­den­ten Pro­fes­sor Dr. Kis­sel, die Rich­ter Dr. Heit­her
 


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und Mat­thes so­wie die eh­ren­amt­li­chen Rich­ter Jan­zen und Dr. Gie­se für Recht er­kannt:

1. Auf die Re­vi­si­on der Kläge­rin wird das Ur­teil des Lan­des­ar­beits­ge­richts Rhein­land-Pfalz vom 10. Ju­ni 1983 - 6 Sa 66/83 - in der Kos­ten­ent­schei­dung und in­so­weit auf­ge­ho­ben, wie es die Zah­lungs­kla­ge ab­ge­wie­sen hat.

2. Im Um­fang die­ser Auf­he­bung wird die Sa­che zur an­der­wei­ten Ver­hand­lung und Ent­schei­dung, auch über die Kos­ten der Re­vi­si­on, an das Be­ru­fungs­ge­richt zurück­ver­wie­sen.

3. Im übri­gen wird die Re­vi­si­on der Kläge­rin ge­gen das vor­he­zeich­ne­te Ur­teil zurück­ge­wie­sen.

 

Von Rechts we­gen.

Tat­be­stand :

Die Kläge­rin, ein Un­ter­neh­men der Drück­in­dus­rie, for­dert von der­be­klag­ten Ge­werk­schaft 'Scha­den­er­satz mit der Be­gründung, die Gew6rkschaft ha­be die Ar­beilt­peh­mer ih­res Be­triebs am 1. De-

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zem­ber 1981 zu ei­nem un­zulässi­gen "So­li­da­ritäts- und Sym­pa­thie­streik" auf­ge­ru­fen.

Die Kläge­rin beschäftigt in ih­rer Offset­ab­tei­lung (Plat­ten­ko­pie und Druck) 50 Ar­beit­neh­mer. Die Be­klag­te for­der­te die­se Ar­beit­neh­mer für den 1. De­zem­ber 1981 zu ei­nem be­fris­te­ten So­li­da­ritäts­streik auf. Die Ar­beit­neh­mer soll­ten für die Dau­er von zwei Schich­ten die Ar­beit nie­der­le­gen. Die Ar­beit­neh­mer der Kläge­rin folg­ten die­sem Auf­ruf.

Mit die­sem Streik soll­te der Ar­beits­kampf un­terstützt wer­den, den die Ge­werk­schaft Han­del, Ban­ken und Ver­si­che­run­gen (HBV) ge­gen das Un­ter­neh­men "B AG" führ­te. Die Ge­werk­schaft HBV woll­te den Ab­schluß ei­nes Fir­men­ta­rif­ver­trags er­rei­chen.

Die Kläge­rin hält die­sen Sym­pa­thie­streik für rechts­wid­rig. Sie ver­langt von der Be­klag­ten Er­satz für den durch Pro­duk­ti­ons­aus­fall ent­stan­de­nen Scha­den. Sie hat zunächst den Auf­wand er­mit­telt, der ent­stan­den wäre, wenn während der zwei Schich­ten ge­ar­bei­tet wor­den wäre. Von die­sem Be­trag hat sie Lohn­kos­ten und die Kos­ten ab­ge­setzt, die we­gen des Pro­duk­ti­ons­aus­falls nicht ent­stan­den wa­ren (En­er­gie­kos­ten, Kos­ten für die Rei­ni­gung, Re­pa­ra­tur der Ma­schi­nen so­wie Kos­ten für Wasch-, Putz- und Schmier­mit­tel). Auf die­se Wei­se er­rech­net sie den mit der Kla­ge gel­tend ge­mach­ten Be­trag.

In der Be­ru­fungs­in­stanz hat die Kläge­rin wei­ter gel­ten­de ge-

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macht, sie ha­be we­gen des Pro­duk­ti­ons­aus­falls den er­for­der­li­chen Kos­ten­de­ckungs­bei­trag nicht er­wirt­schaf­ten können. Sie ha­be vor und nach dem streik­be­ding­ten Pro­duk­ti­ons­aus­fall kos­ten­de­ckend ge­ar­bei­tet. Ihr Be­trieb sei voll aus­ge­las­tet ge­we­sen; den Pro­duk­ti­ons­aus­fall ha­be sie nicht durch Uber­stun­den aus­glei­chen können. Doch hat es die Kläge­rin aus­drück­lich ab­ge­lehnt, die Kla­ge­for­de­rung auf den ent­gan­ge­nen Ge­winn um­zu­stel­len.

Die Kläge­rin hat im Be­ru­fungs­ver­fah­ren be­an­tragt,

1. die Be­klag­te zu ver­ur­tei­len, an sie 14.356,96 DM nebst 12 % Zin­sen hier­aus seit 19. Ja­nu­ar 1982 zu zah­len,

2. fest­zu­stel­len, daß der an die Ar­beit-neh­mer der Kläge­rin ge­rich­te­te Auf­ruf der Be­klag­ten vom 30. No­vem­ber 1981, die Ar­beit am 1. De­zem­ber 1981 für die Dau­er von zwei Schich­ten nie­der­zu­le­gen, rechts­wid­rig ge­we­sen sei.

Die Be­klag­te hat be­an­tragt, die Fest­stel­lungs­kla­ge als un-zulässig, die Zah­lungs­kla­ge als un­be­gründet ab­zu­wei­sen. Sie hält den Sym­pa­thie­streik für rechtmäßig. Im übri­gen ha­be die Kläge­rin den Scha­den nicht aus­rei­chend dar­ge­legt.

Das Ar­beits­ge­richt hat die Kla­ge ab­ge­wie­sen. Die Be­ru­fung der Kläge­rin ist oh­ne Er­folg ge­blie­ben. Das Be­ru­fungs­ge­richt ist der Auf­fas­sung der Be­klag­ten ge­folgt: Der Scha­den sei nicht aus­rei­chend dar­ge­legt wor­den; die Fest­stel­lungs­kla­ge sei un­zulässig. Mit der Re­vi­si­on ver­folgt die Kläge­rin ih­re Sach­anträge wei­ter. Den Fest­stel­lungs­an­trag hat sie in der münd­li­chen Ver­hand­lung vor dem Se­nat um die Fest­stel­lung ei­ner Un­ter­las­sungs­pflicht ergänzt.
 

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Ent­schei­dungs­gründe:

Die Re­vi­si­on ist, was den Zah­lungs­an­spruch be­trifft, be-gründet: das Be­ru­fungs­ge­richt hätte die Kla­ge nicht oh­ne wei­te­res als un­schlüssig) ab­wei­sen dürfen. Die Fest­stel­lungs­kla­ge hat das Be­ru­fungs­ge­richt zu Recht als un­zulässig ab­ge­wie­sen.

Die Be­gründung, mit der das Be­ru­fungs­ge­richt den Zah­lungs­an­spruch ab­ge­wie­sen hat, hält ei­ner recht­li­chen Nach­prüfung nicht stand.

Das Be­ru­fungs­ge­richt hat ei­ne Scha­den­er­satz­ver­pflich­tung der Be­klag­ten dem Grun­de nach un­ter­stellt. Es hat die Kla­ge ab­ge­wie­sen mit der Be­gründung, die Kläge­rin ha­be die Ent­ste­hung ei­nes Scha­dens nicht aus­rei­chend dar­ge­legt. Die Kläge­rin hätte sich nicht dar­auf be­schränken dürfen, ih­ren Auf­wand dar­zu­stel­len. Der Scha­den könne im vor­lie­gen­den Fall nur dar­in be­ste­hen, daß Erträge aus­ge­blie­ben sei­en. Die Kläge­rin ha­be es ab­ge­lehnt, ent­gan­ge­nen Ge­winn als Scha­den gel­tend zu ma­chen. Ei­ner der Aus­nah­mefälle, in de­nen der Geschädig­te sei­nen Scha­den abs­trakt er­mit­teln dürfe, lie­ge nicht vor

Mit die­ser recht­li­chen Würdi­gung ist das Be­ru­fungs­ge­richt dem Vor­brin­gen der Kläge­rin nicht ge­recht ge­wor­den.

1. Zu­tref­fend ist der Aus­gangs­punkt des Be­ru­fungs­ge­richts. Die Fra­ge, ob ein Vermögens­scha­den im Sin­ne der 5F 249 ff. BGB vor­liegt, ist durch den Ver­gleich zwei­er Vermögens­la­gen zu er­mit-

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teln: Die Vermögens­la­ge, die in­fol­ge des haf­tungs­be­gründen­den Er­eig­nis­ses ein­ge­tre­ten ist, muß mit der­je­ni­gen ver­gli­chen wer­den, die sich oh­ne, die­ses Er­eig­nis er­ge­ben hätte (so­ge­nann­te Dif­fe­renz­hy­po­the­se - Vgl. BGHZ 71, 234, 240; 75, 366, 371; 86, 128, 130; Pa­landt/Hein­richs, BGB, 44. Aufl., Vor­bem. vor § 249 Anm. 2 b; Stau­din­ger/Me­di­cus, BGB, 12. Aufl., § 249 Rz 126). Da­nach war im vor­lie­gen­den Fall das Vermögen der Kläge­rin, wie es sich nach dem Streik dar­stell­te, mit dem Vermögen, wie es sich oh­ne Streik dar­ge­stellt hätte, zu ver­glei­chen.

2. Der Vermögens­scha­den kann ent­we­der in ei­ner Güter­min­de­rung be­ste­hen oder im Ent­ge­hen von Vor­tei­len, die oh­ne das schädi­gen­de Er­eig­nis ein­ge­tre­ten wären (vgl. Pa­landt/Hein­richs, aa0, Vor­bem. vor § 249 Anm. 2 d). Ei­ne Güter­min­de­rung kommt im vor­lie­gen­den Fall nicht in Be­tracht. We­der wur­de das Ak­tiv­vermögen der Kläge­rin durch den Streik un­mit­tel­bar be­ein­träch­tigt noch wur­de die Kläge­rin durch den Streik mit Ver­bind­lich­kei­ten be­las­tet. Für sich al­lein ge­nom­men, stellt der Pro­duk­ti­ons­aus­fall noch kei­nen Scha­den dar. Ein Pro­duk­ti­ons­aus­fall kann so­gar, wenn die pro­du­zier­ten Güter nicht ab­setz­bar wären, die Vermögens­la­ge ei­nes Un­ter­neh­mens ver­bes­sern an­statt zu ver­schlech­tern. Auch dar­in ist dem Be­ru­fungs­ge­richt noch zu­zu­stim­men. Es kommt da­her nur ei­ne Scha­den­be­rech­nung nach ent­gan­ge­nen Vor­tei­len in Be­tracht.

3. Ent­ge­gen der An­sicht des Be­ru­fungs­ge­richts hat die Kläge­rin in der Be­ru­fungs­in­stanz ih­ren Scha­den mit ent­gan­ge­nen Vor­tei­len (Ein­nah­men) be­gründet.

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a) Zwar hat es die Kläge­rin aus­drück­lich ab­ge­lehnt, ent­gan­ge­nen Ge­winn als Scha­den gel­tend zu ma­chen. Da­mit hat sie je­doch nur dar­auf ver­zich­tet "Ge­winn" gel­tend zu ma­chen. Denn sie for­dert in der Be­ru­fungs­in­stanz den ent­gan­ge­nen "Kos­ten­de­ckungs­bei­trag". Da­mit hat die Kläge­rin be­haup­tet, sie hätte in der we­gen des Streiks aus­ge­fal­le­nen Ar­beits­zeit Güter er­zeugt, die sie am Markt hätte ab­set­zen können; mit den da­durch er­ziel­ten Erlösen hätte sie Erträge min­des­tens in ei­ner Höhe er­zielt, die ne­ben den an­fal­len­den Kos­ten der Pro­duk­ti­on zu­min­dest auch die lau­fen­den Be­triebs­kos­ten ge­deckt hätten. Dies ist ei­ne Be­rech­nung des Scha­dens nach ent­gan­ge­nen Vor­tei­len. Nur wird kein Ge­winn be­haup­tet, kein Über­schuß über die ein­ge­setz­ten Kos­ten. Wohl aber macht die Kläge­rin gel­tend, ihr sei­en we­gen des streik­be­ding­ten Ar­beits­aus­falls Ein­nah­men in Höhe der Kla­ge­for­de­rung ent­gan­gen. Mit die­sen Ein­nah­men hätte sie zwar kei­nen Ge­winn er­wirt­schaf­tet, sie hätte aber kos­ten­de­ckend ge­ar­bei­tet.

Al­ler­dings hat die Kläge­rin nichts über Ab­satzmöglich­kei­ten ge­sagt. Sie hat aber dar­auf ver­wie­sen, daß sie vor und nach dem Streik kos­ten­de­ckend ge­ar­bei­tet ha­be. Die­ser Vor­trag enthält die Be­haup­tung, sie ha­be die er­zeug­ten Pro­duk­te re­gelmäßig auf dem Markt zu Prei­sen ab­ge­setzt, die kos­ten­de­ckend wa­ren; sie hätte auch die Pro­duk­te ab­ge­setzt, die am Streik­tag er­zeugt wor­den wären. Daß ein sol­ches Verständ­nis des Par­tei­vor­trags möglich ist, räumt das Be­ru­fungs­ge­richt ein.

b) Mit die­sen Be­haup­tun­gen, die ei­nes Be­wei­ses zugäng­lich sind, hat die Kläge­rin ei­nen Scha­den aus­rei­chend dar­ge­legt. Die Kläger-
 


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rin for­dert da­mit ent­gan­ge­nen Ge­winn in Form von ent­gan­ge­nen kos­ten­de­cken­den Ein­nah­men (5 252 Satz 1 BGB).Bei der Dar­le­gung die­ses Scha­dens kommt ihr 5 252 Satz 2 BGB zu­gu­te. Nach die­ser Be­stim­mung gilt als ent­gan­gen der Ge­winn, wel­cher nach dem gewöhn­li­chen Lauf der Din­ge oder nach den be­son­de­ren Umständen mit Wahr­schein­lich­keit er­war­tet wer­den konn­te. Im vor­lie­gen­den Fal­le ist es wahr­schein­lich, daß die Kläge­rin nach dem gewöhn­li­chen Lauf der Din­ge ih­re Pro­duk­ti­on am Streik­tag zu­min­dest dann kos­ten­de­ckend ab­ge­setzt hätte, wenn sie auch vor­her und nach­her kos­ten­de­ckend ge­ar­bei­tet hat­te. Der Be­klag­ten stünde al­ler­dings der Ge­gen­be­weis of­fen, daß der gewöhn­li­che Lauf der Din­ge im vor­lie­gen­den Fall an­ders ge­we­sen wäre, daß die Pro­duk­ti­on al­so nicht kos­ten­de­ckend hätte ab­ge­setzt wer­den können.

Der Be­klag­ten wird auch nicht der Ein­wand ab­ge­schnit­ten, die Kläge­rin hätte den Scha­den da­durch ver­mei­den können, daß sie die durch Streik aus­ge­fal­le­ne Ar­beit hätte nach­ho­len las­sen. Fällt die Ar­beit nur an ei­nem Ta­ge aus, wird der Scha­den ge­rin­ger oder entfällt ganz, wenn die Ar­beit später in­ner­halb ei­nes an­ge­mes­se­nen Zeit­raums nach­ge­holt wird. Das kann auch in der Form ge­sche­hen, daß sich Ar­beit­neh­mer be­reit erklären, an ar­beits­frei­en Ta­gen die aus­ge­fal­le­ne Ar­beits­zeit nach­zu­ho­len oder Über­stun­den zu leis­ten. So wer­den all­ge­mein in der Wirt­schaft streik­be­ding­te Schäden ver­mie­den. Es ist des­halb nicht aus­zu­sch­ließen, daß es der Kläge­rin bei ge­eig­ne­ten und zu­mut­ba­ren Bemühun­gen ge­lun­gen wäre, den Ein­nah­me­ver­lust weit­ge­hend aus­zu­glei­chen. Hier ist je­den­falls ei­ne wei­te­re Aufklärung des Sach­ver­halts er­for­der­lich.

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c) Die­se aus­rei­chen­de Dar­le­gung ei­nes Scha­dens durf­te das Be­ru­fungs­ge­richt nicht mit der Be­gründung zurück­wei­sen, die Kläge­rin ha­be le­dig­lich ei­ne abs­trak­te Rech­nungs­größe vor­ge­tra­gen. Die Be­haup­tung, die Kläge­rin ha­be al­le vor und nach dem Streik er­zeug­ten Pro­duk­te auf dem Markt zu kos­ten­de­cken­den Prei­sen ab­ge­setzt, war kon­kret ge­nug. Sie war ei­nes Be­wei­ses zugäng­lich. Die Kläge­rin hat­te auch Be­weis an­ge­tre­ten.

Der Gel­tend­ma­chung ei­nes sol­chen Min­dest­scha­dens ste­hen ent­ge­gen der Auf­fas­sung des Be­ru­fungs­ge­richts auch kei­ne ver­fah­rens­recht­li­chen Hin­der­nis­se ent­ge­gen. Die Kläge­rin macht mit dem An­spruch auf ent­gan­ge­ne Ein­nah­men ei­nen selbständi­gen Scha­den­er­satz­an­spruch gel­tend. Das Ur­teil, das über das Kla­ge­be­geh­ren ent­schei­det, läßt er­ken­nen, daß nur die­ser An­spruch Ge­gen­stand der Ent­schei­dung war (vgl. BAG 30, 189, 196 f. = AP Nr. 62 zu Art. 9 GG Ar­beits­kampf, zu 1 der Gründe).

Die Gel­tend­ma­chung ei­nes Teil­scha­dens aus ei­nem selbständi­gen Scha­den­er­satz­an­spruch ist möglich; in­so­weit ist auch der Kla­ge­an­trag be­stimmt ge­nug (BAG, aa0, S. 197 f.).

d) Da­mit ist es un­er­heb­lich, ob die Kläge­rin ih­re Selbst­kos­ten zu­tref­fend be­rech­net hat. Zu prüfen ist nur, ob der Kläge­rin Ein­nah­men in Höhe der Kla­ge­for­de­rung ent­gan­gen sind. Sind ihr die­se Ein­nah­men endgültig ent­gan­gen, ist ihr in­so­weit ein Scha­den ent­stan­den.

4. Ei­ne Scha­dens­be­rech­nung auf an­de­rer recht­li­cher Grund­la­ge

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ist da­mit nicht er­for­der­lich. Sie wäre recht­lich auch nicht zulässig. Dar­in ist dem Be­ru­fungs­ge­richt wie­der zu­zu­stim­men.

a) Ein Scha­den we­gen ent­gan­ge­ner Ge­brauchs­vor­tei­le schei­det aus. Ei­ne sol­che Scha­dens­be­rech­nung kommt nur in Be­tracht bei der Be­ein­träch­ti­gung ei­nes ein­zel­nen Vermögens­gu­tes, nicht bei der Be­rech­nung ei­nes all­ge­mei­nen Vermögens­scha­dens (vgl. BGHZ 71, 234, 240 mit wei­te­ren Nach­wei­sen). So han­delt es sich bei der Beschädi­gung ei­nes Kraft­fahr­zeu­ges um die Be­ein­träch­ti­gung ei­nes ein­zel­nen Vermögens­gu­tes; in­so­weit können auch ent­gan­ge­ne Ge­brauchs­vor­tei­le un­ter be­stimm­ten Vor­aus­set­zun­gen entschädigt wer­den (vgl. BGHZ 45, 212, 218; an­ders bei Ver­lust der Nut­zungsmöglich­kei­ten ei­nes Wohn­wa­gens, vgl. BGHZ 86, 128, 131).

b) Auch mit der Be­gründung, sie ha­be Auf­wen­dun­gen nutz­los er­bracht, kann die Kläge­rin al­lein ih­ren Scha­den nicht be­gründen. Mögli­cher­wei­se sind ei­ni­ge Auf­wen­dun­gen der Kläge­rin, die sie vor dem Scha­dens­er­eig­nis er­bracht hat, durch das Scha­dens­er­eig­nis selbst, den streik­be­ding­ten Ar­beits­aus­fall, nutz­los ge­wor­den. Es be­steht aber kein Rechts­satz da­hin, daß Auf­wen­dun­gen schlecht­hin zu er­set­zen sind, die durch ein Scha­dens­er­eig­nis nutz­los ge­wor­den sind (BGHZ 65, 170, 174; 66, 277, 280; BGH NJW 1977, 2264, 2266). Die Kläge­rin hat nicht ein­mal dar­ge­legt, daß die von ihr be­rech­ne­ten Auf­wen­dun­gen für die an­tei­lig auf die Zeit der Störung ent­fal­len­den Lohn­kos­ten und sons­ti­gen Un­kos­ten durch­weg nutz­los wa­ren (vgl. zur Scha­dens­be­rech­nung bei Sper­rung ei­nes Be­triebs­grundstücks die zu­letzt ge­nann­te Ent­schei­dung des Bun­des­ge­richts­hofs NJW 1977, 2264, 2266).
 


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5. Da­mit er­ge­ben die Ent­schei­dungs­gründe des Be­ru­fungs­ge­richts ei­ne Ge­set­zes­ver­let­zung.

II. Die Ent­schei­dung stellt sich nicht aus an­de­ren Gründen als rich­tig dar (§ 563 ZPO). Das wäre nur der Fall, wenn die Kla­ge we­gen Feh­lens ei­ner Scha­den­er­satz­ver­pflich­tung dem Grun­de nach in je­dem Fall ab­ge­wie­sen wer­den müßte. Das meint zwar die Be­klag­te; sie ist der Auf­fas­sung, der Sym­pa­thie­streik sei rechtmäßig ge­we­sen. Doch kann der Se­nat dies man­gels aus­rei­chen­der tatsäch­li­cher Fest­stel­lun­gen nicht ab­sch­ließend be­ur­tei­len.

1. Ein Scha­den­er­satz­an­spruch der Kläge­rin kann sich aus § 823 Abs. 1 BGB er­ge­ben. Die Be­klag­te könn­te ein sons­ti­ges Recht im Sin­ne die­ser Vor­schrift, nämlich den ein­ge­rich­te­ten und aus­geübten Ge­wer­be­be­trieb der Kläge­rin, ver­letzt ha­ben. Ein rechts­wid­ri­ger Streik wäre ei­ne sol­che Ver­let­zung (vgl. BAG 41, 209, 222 = AP Nr. 76 zu Art. 9 GG Ar­beits­kampf, zu A II 2 der Gründe; Ur­teil vom 12. Sep­tem­ber 1984 - 1 AZR 342/83 -, zu B II 2 der Gründe, zur Veröffent­li­chung vor­ge­se­hen; BGHZ 45, 296, 307; Brox/ Rüthers, Ar­beits­kampf­recht, 2. Aufl., Rz 376). Vor­aus­set­zung ist wei­ter ein Ver­schul­den der Or­ga­ne der Be­klag­ten (vgl. da­zu BAG 30, 189, 201 f. = AP Nr. 62 zu Art. 9 GG Ar­beits­kampf, zu III 2 der Gründe, mit zust. Anm. von Sei­ter, zu I 1 e, falls die An­er­ken­nung von Ent­schul­di­gungs­tat­beständen an stren­ge Vor­aus­set­zun­gen ge­bun­den wird).

Da­ge­gen kom­men Scha­den­er­satz­ansprüche we­gen Ver­let­zung der Frie­dens­pflicht nicht in Be­tracht. Zwar ist für die Dau­er des
 


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Ta­rif­ver­trags je­de Ta­rif­ver­trags­par­tei ver­pflich­tet, kei­ne Ar­beitskämp­fe ge­gen den Ta­rif­ver­trag zu führen und Auf­ru­fe ih­rer Mit­glie­der zu ei­nem sol­chen Ar­beits­kampf zu un­ter­las­sen (BAG 3, 280, 283 = AP Nr. 1 zu § 1 TVG Frie­dens­pflicht; BAG 41, 209, 219 f. = AP Nr. 76 zu Art. 9 GG Ar­beits­kampf, zu A II 1 a der Gründe). Die­se ge­setz­li­che - re­la­ti­ve - Frie­dens­pflicht ver­bie­tet es den Ta­rif­ver­trags­par­tei­en aber nur, den be­ste­hen­den Ta­rif­ver­trag in­halt­lich da­durch in Fra­ge zu stel­len, daß sie Ände­run­gen oder Ver­bes­se­run­gen der ver­trag­lich ge­re­gel­ten Ge­genstände mit Mit­teln des Ar­beits­kamp­fes er­rei­chen wol­len. Dar­um geht es im vor­lie­gen­den Fall nicht. Mit dem Sym­pa­thie­streik woll­te die be­klag­te Ge­werk­schaft den Streik ei­ner an­de­ren Ge­werk­schaft ge­gen ei­nen ein­zel­nen Ar­beit­ge­ber in ei­nem Kampf um ei­nen Fir­men­ta­rif-ver­trag un­terstützen (vgl. zur Ter­mi­no­lo­gie Birk, Die Rechtmäßig­keit ge­werk­schaft­li­cher Un­terstützungs­kampf­maßnah­men, S. 64). Der Sym­pa­thie­streik verstößt des­halb nach all­ge­mei­ner Auf­fas­sung nicht ge­gen die ta­rif­li­che Frie­dens­pflicht (vgl. Birk, aa0, S. 34 mit wei­te­ren Nach­wei­sen).

Nach § 823 Abs. 1 BGB wäre die be­klag­te Ge­werk­schaft zum Scha­den­er­satz da­her nur ver­pflich­tet, wenn der Sym­pa­thie­streik am 1. De­zem­ber 1981 rechts­wid­rig ge­we­sen wäre.

2. Die Auf­fas­sun­gen darüber, ob und un­ter wel­chen Vor­aus­set­zun­gen ein Sym­pa­thie­streik zulässig ist, sind ge­teilt.

a) Das Bun­des­ar­beits­ge­richt hat die Fra­ge, in­wie­weit ei­ne Ge­werk­schaft den Ar­beits­kampf auf Drit­te aus­deh­nen darf, aus­drück-

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lieh of­fen­ge­las­sen. Nur we­gen der Be­son­der­hei­ten ei­nes ein­zel­nen Fal­les wur­de ein Sym­pa­thie­streik für zulässig er­ach­tet (vgl. BAG 15, 211, 216 w AP Nr. 34 zu Art. 9 GG Ar­beits­kampf, zu III der Gründe).

In späte­ren Ent­schei­dun­gen hat das Bun­des­ar­beits­ge­richt den Streik (eben­so wie die Aus­sper­rung) als Aus­fluß der im Kern durch Art. 9 Abs. 3 GG gewähr­leis­te­ten und durch das Ta­rif­ver­trags­ge­setz kon­kre­ti­sier­ten Ta­rif­au­to­no­mie ge­se­hen. Nach dem Be­schluß des Großen Se­nats des Bun­des­ar­beits­ge­richts vom 21. April 1971 dürfen Ar­beitskämp­fe nur in­so­weit ein­ge­lei­tet und durch­geführt wer­den, als sie zur Er­rei­chung rechtmäßiger Kampf­zie­le und des nach­fol­gen­den Ar­beits­frie­dens ge­eig­net und sach­lich er­for­der­lich sind (BAG 23, 292, 306 AP Nr. 43 zu Art. 9 GG Ar­beits­kampf, Teil III A 2 der Gründe). Der Große Se­nat geht da­von aus, daß Ar­beitskämp­fe nach dem Ta­rif­ver­trags­sys­tem möglich sein müssen, um In­ter­es­sen­kon­flik­te über Ar­beits- und Wirt­schafts­be­din­gun­gen im äußers­ten Fall aus­tra­gen und aus­glei­chen zu können. Dar­an knüpft der Se­nat im Ur­teil vom 10. Ju­ni 1980 - zur Zulässig­keit ei­ner Ab­wehr­aus­sper­rung - an: "Der Ar­beits­kampf muß in un­se­rem frei­heit­li­chen Ta­rif­ver­trags­sys­tem als ul­ti­ma ra­tio zum Aus­gleich sonst nicht lösba­rer ta­rif­li­cher In­ter­es­sen­kon­flik­te möglich sein" (BAG 33, 140, 150 :2 AP Nr. 64 zu Art. 9 GG Ar­beits­kampf, zu A I 2 der Gründe). Nach die­sem Verständ­nis si­chern Ar­beitskämp­fe die Ta­rif­au­to­no­mie; sie sind um der Ta­rif­au­to­no­mie wil­len not­wen­dig.
 

b) Der Bun­des­ge­richts­hof hat sich ähn­lich wie das Bun­de­sar-


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beits­ge­richt geäußert. Er meint, ein Streik sei rechtmäßig, wenn die an die Ar­beit­ge­ber­sei­te ge­rich­te­ten For­de­run­gen sich auf die Lohn- und Ar­beits­be­din­gun­gen be­zie­hen (vgl. BGH AP Nr. 56 zu Art. 9 GG Ar­beits­kampf, zu II 1 a der Gründe). Das Bun­des­so­zi­al­ge­richt hat im Rah­men von Erwägun­gen zur Neu­tra­lität der Bun­des­an­stalt für Ar­beit (§ 116 Abs. 3 Satz 1 Nr. 2 AFG) den Sym­pa­thie­streik erwähnt. Leis­tun­gen der Bun­des­an­stalt für Ar­beit an Ar­beit­neh­mer, die sich in ei­nem Sym­pa­thie­streik be­fin­den, könn­ten ge­gen die Neu­tra­litäts­ver­pflich­tung ver­s­toßen. Zur ar­beits­recht­li­chen Zulässig­keit ei­nes Sym­pa­thie­streiks sagt das Bun­des­so­zi­al­ge­richt nichts (vgl. BSG AP Nr. 1 zu 5 116 AFG, zu III der Gründe).

Das Lan­des­ar­beits­ge­richt Hamm meint, der Sym­pa­thie­streik gehöre zu den "his­to­risch ge­wach­se­nen Ar­beits­kampf­mit­teln"; er sei zulässig zur Un­terstützung ei­nes rechtmäßigen Haupt­ar­beits­kamp­fes, wenn er ge­gen ei­nen Geg­ner geführt wer­de, der auf den Geg­ner des Haupt­ar­beits­kamp­fes ein­wir­ken könne; außer­dem müsse der Grund­satz der Verhält­nismäßig­keit be­ach­tet wer­den (vgl. LAG Hamm, EzA Art. 9 GG Ar­beits­kampf Nr. 39).

c) Die Auf­fas­sun­gen in der Li­te­ra­tur sind ge­teilt. Ei­ne wohl noch über­wie­gen­de An­sicht sieht den Sym­pa­thie­ar­beits­kampf - mit­hin auch den Sym­pa­thie­streik - grundsätz­lich als rechtmäßig an, wenn der un­terstütz­te Haupt­ar­beits­kampf rechtmäßig ist. Ein be­acht­li­cher Teil des Schrift­tums hält den Sym­pa­thie­ar­beits­kampf für un­zulässig (vgl. Nach­wei­se bei Brox/Rüthers, Ar­beits­kampf-recht, 2. Aufl., Rz 143; ei­ne Über­sicht über den Streit­stand
 


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gibt auch Lieb, ZfA 1982, S. 113, 133, Fn. 76). Für die Zulässig­keit des Sym­pa­thie­streiks ha­ben sich ins­be­son­de­re in letz­ter Zeit aus­ge­spro­chen Birk (Die Rechtmäßig­keit ge­werk­schaft­li­cher Un­terstützungs­kampf­maßnah­men, ins­be­son­de­re zu der hier vor­lie­gen­den Fall­ge­stal­tung, S. 64 ff.) und Wohl­ge­muth (AuR 1980, 33).

3. Der Se­nat hält ei­nen Sym­pa­thie­streik der hier zu be­ur­tei­len­den Art in der Re­gel für un­zulässig. Es kann aber Aus­nah­me­tat­bestände ge­ben, die ihn recht­fer­ti­gen können.

a) Zu be­ur­tei­len ist ein Sym­pa­thie­streik, mit dem ein an­de­rer Streik (Haupt­streik) un­terstützt wer­den soll, wo­bei auf Sei­ten der Ge­werk­schaf­ten wie auch auf Sei­ten der be­trof­fe­nen Ar­beit­ge­ber je­weils an­de­re Par­tei­en be­tei­ligt sind als im Haupt­kampf (vgl. zur Ter­mi­no­lo­gie und Ty­po­lo­gie Birk, aa0, S. 22, zur hier vor­lie­gen­den Fall­ge­stal­tung ins­be­son­de­re S. 64). Hier hat die Be­klag­te zum Streik ge­gen die Kläge­rin auf­ge­ru­fen, ob­wohl zwi­schen den Par­tei­en die­ses Rechts­streits kein ta­rif­li­cher In­ter­es­sen­kon­flikt be­stand. Mit dem Streik woll­te die Be­klag­te den Haupt­streik ei­ner an­de­ren Ge­werk­schaft (HBV) ge­gen ei­nen ein­zel­nen Ar­beit­ge­ber, die B AG, un­terstützen.

b) Die Funk­ti­on des Ar­beits­kamp­fes be­stimmt die Gren­zen sei­ner Zulässig­keit. Der Ar­beits­kampf ist we­gen sei­ner Hilfs­funk­ti­on für die Ta­rif­au­to­no­mie gewähr­leis­tet und zulässig. Er dient dem Aus­gleich sonst nicht lösba­rer ta­rif­li­cher In­ter­es­sen­kon­flik­te. Er ist ein Hilfs­in­stru­ment zur Si­che­rung der Ta­rif­au­to­no­mie. Des­halb

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darf er auch nur als In­stru­ment zur Durch­set­zung ta­rif­li­cher Re­ge­lun­gen ein­ge­setzt wer­den (vgl. BAG - Großer Se­nat - 23, 292, 306 = AP Nr. 43 zu Art. 9 GG Ar­beits­kampf, zu Teil III A 1 der Gründe; BAG 33, 140, 150 = AP Nr. 64 zu Art. 9 GG Ar­beits­kampf, zu A 12 der Gründe; Brox/Rüthers, aa0, Rz 138 und 144). Mit die­ser Funk­ti­on von Ar­beitskämp­fen las­sen sich in der Re­gel we­der Sym­pa­thie­streiks noch Sym­pa­thie­aus­sper­run­gen recht­fer­ti­gen noch die Teil­nah­me ei­nes Ar­beit­neh­mers an ei­ner De­mons­tra­ti­on (nicht Ar­beits­kampf), mit der auf be­haup­te­te so­zia­le Mißstände hin­ge­wie­sen wer­den soll­te (vgl. BAG Be­schluß vom 23. Ok­to­ber 1984 - 1 AZR 126/81 - zur Veröffent­li­chung in der Fach­pres­se be­stimmt).


c) Die­je­ni­gen Au­to­ren, die Sym­pa­thie­streiks in ei­nem wei­te­ren Um­fang für zulässig hal­ten, be­ru­fen sich auf ein ver­fas­sungs­recht­lich gewähr­leis­te­tes Streik­recht (Art. 9 Abs. 3 GG). Das Streik­recht sei nicht dar­an ge­bun­den, daß die For­de­rung, um de­ren Wil­len ge­streikt wer­de, Be­stand­teil ei­nes Ta­rif­ver­trags sein könne (vgl. Birk, aa0, S. 66; Wohl­ge­muth, AuR 1980, 33, 35 f.).

Ver­fas­sungs­recht­lich gewähr­leis­tet ist der Schutz der Ko­ali­ti­on als sol­cher und ihr Recht, durch spe­zi­fisch ko­ali­ti­onsmäßige Betäti­gung die in Art. 9 Abs. 3 GG ge­nann­ten Zwe­cke zu ver­fol­gen (BVerfGE 50, 290, 367 mit wei­te­ren Nach­wei­sen; 58, 233, 246). Zu die­ser geschütz­ten ko­ali­ti­onsmäßigen Betäti­gung gehört der Ab­schluß von Ta­rif­verträgen, durch die die Ko­ali­tio­nen ins­be­son­de­re Lohn- und sons­ti­ge ma­te­ri­el­le Ar­beits­be­din­gun­gen in
 


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ei­nem Be­reich re­geln, in dem der Staat sei­ne Re­ge­lungs­zuständig­keit weit zurück­ge­nom­men hat, und zwar in ei­ge­ner Ver­ant­wor­tung und im we­sent­li­chen oh­ne staat­li­che Ein­flußnah­me (BVerfGE 44, 322, 340 f.; 58, 233, 246).

Die­se ko­ali­ti­onsmäßige Betäti­gung im Rah­men von Ta­rif­kon­flik­ten ist ver­fas­sungs­recht­lich geschützt. Mit die­ser Be­gründung läßt sich je­doch der Sym­pa­thie­streik ver­fas­sungs­recht­lich nicht le­gi­ti­mie­ren. Es kann des­halb nur frag­lich sein, ob das Recht, ei­nen Sym­pa­thie­streik aus­ru­fen zu können und an ei­nem Sym­pa­thie­streik teil­neh­men zu dürfen, un­abhängig vom Schutz der ko­ali­ti­onsmäßigen Betäti­gung im Rah­men von Ta­rif­kon­flik­ten zur geschütz­ten ko­ali­ti­onsmäßigen Betäti­gung gehört. Das ist nicht der Fall. Art. 9 Abs. 3 GG räumt den Ge­werk­schaf­ten kei­nen in­halt­lich un­be­grenz­ten und un­be­grenz­ba­ren Hand­lungs­spiel­raum ein (BVerfGE 38, 386, 393; 58, 233, 247). Der Ge­setz­ge­ber ist da­zu be­ru­fen, die Trag­wei­te der Ko­ali­ti­ons­frei­heit da­durch zu be­stim­men, daß er Vor­aus­set­zun­gen, In­halt und Rechts­fol­gen des Streik­rechts näher re­gelt. Da­bei dürfen dem Betäti­gungs­recht der Ko­ali­tio­nen je­doch nur sol­che Schran­ken ge­zo­gen wer­den, die zum Schut­ze an­de­rer Rechtsgüter von der Sa­che her ge­bo­ten sind. Re­ge­lun­gen, die nicht in die­ser Wei­se ge­recht­fer­tigt sind, tas­ten den durch Art. 9 Abs. 3 GG geschütz­ten Kern­ge­halt der Ko­ali­ti­ons­betäti­gung an (BVerfGE 19, 303, 321 f.; 28, 295, 306; 50, 290, 368 f.; 58, 233, 247 f.).

Der Ge­setz­ge­ber hat den Ar­beits­kampf über die Vor­schrif­ten des Ta­rif­ver­trags­ge­set­zes bis­her nur im Zu­sam­men­hang mit der Ta-
 


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rif­au­to­no­mie ge­re­gelt. Er hat Streik und Aus­sper­rung als Kampf­mit­tel in ei­nem Ta­rif­kon­flikt zu­ge­las­sen. Streik - und in be­grenz­tem Um­fang auch ei­ne Ab­wehr­aus­sper­rung - müssen zum Aus­gleich sonst nicht lösba­rer In­ter­es­sen­kon­flik­te bei Ta­rif­ver­hand­lun­gen möglich sein. Der Sym­pa­thie­streik dient nicht un­mit­tel­bar die­sem Zweck. Er rich­tet sich nicht ge­gen den Ta­rif­part­ner, mit dem ein Ta­rif­ver­trag ab­ge­schlos­sen wer­den soll. Der von dem Sym­pa­thie­streik be­trof­fe­ne Un­ter­neh­mer kann die For­de­run­gen, die von den Ge­werk­schaf­ten er­ho­ben wer­den, nicht erfüllen. Er kann den Ar­beits­kampf nicht durch Nach­ge­ben ver­mei­den oder zwi­schen Kampf und Nach­ge­ben wählen. Er be­darf des­halb ei­nes größeren Schut­zes als der un­mit­tel­bar von ei­nem Ar­beits­kampf be­trof­fe­ne Ar­beit­ge­ber. Das recht­fer­tigt es, das Streik­recht der Ge­werk­schaf­ten für den Re­gel­fall auf den Streik ge­gen den un­mit­tel­ba­ren Ta­rif­part­ner zu be­schränken. Durch ei­ne sol­che Be­schränkung wird das Streik­recht der Ge­werk­schaf­ten in sei­nem Kern­ge­halt nicht an­ge­tas­tet.

d) Die Auf­fas­sung, wo­nach ein Sym­pa­thie­streik im Re­gel­fall un­zulässig ist, verstößt nicht ge­gen Art. 6 Nr. 4 der Eu­ropäischen So­zi­al­char­ta vom 18. Ok­to­ber 1961 - ESC - (BGBl. II 1964 S. 1262). In die­ser Be­stim­mung wird das Streik­recht der Ar­beit­neh­mer im Fal­le von In­ter­es­sen­kon­flik­ten nur an­er­kannt, "um die wirk­sa­me Ausübung des Rechts auf Kol­lek­tiv­ver­hand­lun­gen zu gewähr­leis­ten". Das ver­kennt Birk (aa0, S. 30 ff.). Der Wort­laut der ESC spricht für ei­ne en­ge Zu­ord­nung des Ar­beits­kamp­fes zu Kol­lek­tiv­ver­hand­lun­gen und da­mit für die hier ver­tre­te­ne Auf­fas-
 


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sung. Das Streik­recht steht dem­je­ni­gen zu, der das Recht auf Kol­lek­tiv­ver­hand­lun­gen gel­tend ma­chen will (a.A. Mit­scher­lich, Das Ar­beits­kampf­recht der Bun­des­re­pu­blik Deutsch­land und die Eu­ropäische So­zi­al­char­ta, S. 140). Die ESC sieht da­mit den Ar­beits­kampf im Diens­te der Ta­rif­au­to­no­mie; Ar­beitskämp­fe Sind nur zum Aus­gleich ta­rif­li­cher In­ter­es­sen­kon­flik­te er­for­der­lich.

Aus Art. 6 Nr. 2 ESC er­gibt sich nichts an­de­res. Mit die­ser Be­stim­mung sind die Ver­trags­staa­ten die Ver­pflich­tung ein­ge­gan­gen, den Ab­schluß von "Ge­samt­ar­beits­verträgen" zu fördern. Dies ist eben­falls ge­sche­hen, um die wirk­sa­me Ausübung des Rechts auf Kol­lek­tiv­ver­hand­lun­gen zu gewähr­leis­ten. Die Förde­rung frei­wil­li­ger Ver­hand­lun­gen zwi­schen Ta­rif­ver­trags­par­tei­en (Art. 6 Nr. 2 ESC) und die An­er­ken­nung des Streik­rechts ste­hen in 'ei­nem sach­li­chen Zu­sam­men­hang. Der so­zia­le Fort­schritt, den die ESC si­chern will (Ein­lei­tung) ver­langt kei­ne An­er­ken­nung des Sym­pa­thie­streiks in Fällen der vor­lie­gen­den Art (ver­all­ge­mei­nernd aber Mit­scher­lich, aa0, S. 142). Die Über­sicht über die Rechts­la­ge in den ein­zel­nen Mit­gliedsländern (vgl. Mit­scher­lich, aa0, S. 143 ff.) er­laubt nicht den Rück­schluß, die An­er­ken­nung je­der Form des Sym­pa­thie­streiks sei für die Un­ter­zeich­ner der Char­ta selbst­verständ­lich ge­we­sen.

4. Im vor­lie­gen­den Fall ist kei­ne ab­sch­ließen­de Be­ur­tei­lung des Sym­pa­thie­streiks vom 1. De­zem­ber 1981 möglich. Es sind Fall­ge­stal­tun­gen denk­bar, die ei­nen Sym­pa­thie­streik recht­fer­ti­gen könn­ten. So ließe sich ein Sym­pa­thie­streik recht­fer­ti­gen, wenn der von die­ser Kampf­maßnah­me be­trof­fe­ne Ar­beit­ge­ber zu­vor sei­ne
 


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"Neu­tra­lität" im Haupt­ar­beits­kampf ver­letzt hätte, et­wa durch Über­nah­me der Pro­duk­ti­on. Die Rechtmäßig­keit des Sym­pa­thie­streiks könn­te auch an­ders zu be­ur­tei­len sein, wenn der be­trof­fe­ne Ar­beit­ge­ber zwar recht­lich selbständig wäre, wenn aber wirt­schaft­lich be­trach­tet nur ein Be­triebs­teil des im Ar­beits­kampf be­find­li­chen Un­ter­neh­mens be­trof­fen wäre (vgl. die Fall­ge­stal­tung in BAG 15, 211 = AP Nr. 34 zu Art. 9 GG Ar­beits­kampf). Auf der Ge­gen­sei­te könn­te ei­ne so en­ge wirt­schaft­li­che Ver­flech­tung be­ste­hen, daß es sich um ein und den­sel­ben so­zia­len Ge­gen­spie­ler han­delt, wenn al­so das be­streik­te Un­ter­neh­men nicht mehr als außen­ste­hen­der Drit­ter an­ge­se­hen wer­den kann. Die­se Aufzählung von Fall­ge­stal­tun­gen ist nicht ab­sch­ließend ge­meint. Der Se­nat kann an­hand des vor­lie­gen­den Fal­les die Zulässig­keit und Gren­zen von Sym­pa­thie­streiks nicht ab­sch­ließend be­ur­tei­len. Er kann man­gels tatsäch­li­cher An­halts­punk­te nur dar­auf ver­wei­sen, daß der Sym­pa­thie­streik im Re­gel­fall un­zulässig ist, daß er aber un­ter be­son­de­ren Umständen als Kampf­mit­tel den Ge­werk­schaf­ten zur Verfügung ste­hen könn­te.

Un­ter dem recht­li­chen Ge­sichts­punkt der Zulässig­keit ei­nes Sym­pa­thie­streiks ist der Sach­ver­halt bis­her vom Be­ru­fungs­ge­richt noch nicht gewürdigt wor­den. So sind et­wa die wech­sel­sei­ti­gen Be­tei­li­gun­gen und ge­sell­schafts­recht­li­chen Ver­flech­tun­gen bis­her un­geklärt. Wei­te­rer Par­tei­vor­trag ist zu er­war­ten. Das an­ge­foch­te­ne Ur­teil muß da­her auf­ge­ho­ben und die Sa­che in­so­weit (Zah­lungs­an­spruch) an das Lan­des­ar­beits­ge­richt zurück­ver­wie­sen wer­den.


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III. Die Fest­stel­lungs­kla­ge hat das Be­ru­fungs­ge­richt mit Recht als un­zulässig ab­ge­wie­sen.

1. Der Be­ur­tei­lung des Se­nats un­ter­liegt nur Par­tei­vor­brin­gen, das aus dem Tat­be­stand des Be­ru­fungs­ur­teils oder dem Sit­zungs­pro­to­koll er­sicht­lich ist 561 Abs. 1 Satz 1 ZPO). Neue Ansprüche können im We­ge der Kla­ge­er­wei­te­rung in der Re­vi­si­ons­in­stanz nicht er­ho­ben wer­den.

Der Fest­stel­lungs­an­trag kann nur in der Fas­sung be­ur­teilt wer­den, in der er in der Be­ru­fungs­in­stanz ge­stellt war. In der Be­ru­fungs­in­stanz woll­te die Kläge­rin nur fest­ge­stellt wis­sen, daß der Streik rechts­wid­rig war. Jetzt will sie fest­ge­stellt wis­sen, daß die be­klag­te Ge­werk­schaft ihn hätte un­ter­las­sen müssen. Das ist et­was an­de­res; es ist kei­ne Ver­deut­li­chung oder Klar­stel­lung des­sen, was von An­fang an ge­meint war. An­stel­le der Un­ter­las­sungs­pflicht hätte die Kläge­rin eben­so gut die Ver­pflich­tung zum Scha­den­er­satz hin­zufügen können; das hätte so­gar näher ge­le­gen. Erst durch den Hin­weis auf ein Rechts­verhält­nis wird deut­lich, in wel­che Rich­tung der An­trag zielt. Das war bis zur münd­li­chen Ver­hand­lung vor dem Se­nat of­fen. Es bleibt da­her bei der Be­ur­tei­lung des An­trags, so wie ihn die Kläge­rin in der Be­ru­fungs­in­stanz ge­stellt hat­te.

2. Nach § 256 Abs. 1 ZPO kann Kla­ge auf Fest­stel­lung des Be­ste­hens oder Nicht­be­ste­hens ei­nes Rechts­verhält­nis­ses er­ho­ben wer­den. § 256 Abs. 2 ZPO er­laubt es dem Kläger un­ter den dort ge­nann­ten Vor­aus­set­zun­gen, ein im Lau­fe des Pro­zes­ses strei­tig
 


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ge­wor­de­nes Rechts­verhält­nis fest­stel­len zu las­sen.

Die Kla­ge zielt je­doch nicht auf die Fest­stel­lung ei­nes Rechts­verhält­nis­ses. Der An­trag lau­tet auf Fest­stel­lung der Rechts­wid­rig­keit tatsächli­chen Ver­hal­tens. Ei­ne sol­che Kla­ge, die die Rechts­wid­rig­keit von Hand­lun­gen be­trifft, ist nicht möglich (vgl. BAG 41, 209, 216 AP Nr. 76 zu Art. 9 GG Ar­beits­kampf, zu A I 1 a der Gründe; Ur­teil des Se­nats vom 12. Sep­tem­ber 1984 - 1 AZR 342/83 -, zu A IV 1 der Gründe - die Ent­schei­dung ist zum Ab­druck in der Amt­li­chen Samm­lung be­stimmt).

Die An­grif­fe der Re­vi­si­on ge­gen die­se recht­li­che Würdi­gung des Be­ru­fungs­ge­richts sind un­be­gründet. Das Rechts­verhält­nis kommt nicht schon da­durch zu­stan­de, daß die be­klag­te Ge­werk­schaft zu ei­nem rechts­wid­ri­gen Sym­pa­thie­streik ge­gen die Kläge­rin auf­ge­ru­fen hat. Die Ent­ste­hung ei­nes Rechts­verhält­nis­ses, et­wa der Ver­pflich­tung zum Scha­den­er­satz oder die Ver­pflich­tung zum Un­ter­las­sen ei­nes be­stimm­ten Ver­hal­tens, ist an wei­te­re Vor­aus­set­zun­gen ge­bun­den. Dar­auf, ob an der Fest­stel­lung der Rechts­wid­rig­keit tatsächli­chen Ver­hal­tens ein recht­lich be­gründe­tes In­ter­es­se be­steht, kommt es nicht an.

3. Das Be­ru­fungs­ge­richt hält ei­ne wei­te­re Aus­le­gung des Kla­ge­an­trags nicht für möglich. Das hat die Re­vi­si­on nicht be­an­stan­det.


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