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LAG Ber­lin-Bran­den­burg, Ur­teil vom 16.01.2007, 7 Sa 1766/06

   
Schlagworte: Tarifvertrag
   
Gericht: Landesarbeitsgericht Berlin-Brandenburg
Aktenzeichen: 7 Sa 1766/06
Typ: Urteil
Entscheidungsdatum: 16.01.2007
   
Leitsätze:

1. Unter welchen Voraussetzungen die Mitgliedschaft in einer tarifvertragschließenden Koalition beendet werden kann, richtet sich zunächst nach der Satzung i.V.m. den vereinsrechtlichen Bestimmungen, insbes. § 39 BGB. (Rn.26)

2. Eine Satzungsermächtigung zum vorzeitigen Austritt von Mitgliedern ist wirksam und verletzt nicht nach Art. 9 Abs 3 GG geschützte Interessen des Tarifpartners. (Rn.30)

Vorinstanzen: Arbeitsgericht Berlin, Urteil vom 30.08.2006, 60 Ca 19109/05
   

Lan­des­ar­beits­ge­richt

Ber­lin-Bran­den­burg

 

Verkündet

am 16.01.2007

Geschäfts­zei­chen (bit­te im­mer an­ge­ben)

7 Sa 1766/06

60 Ca 19109/05

H, VA
als Ur­kunds­be­am­ter/in
der Geschäfts­stel­le

 

Im Na­men des Vol­kes

 

Ur­teil

 

In Sa­chen

pp

hat das Lan­des­ar­beits­ge­richt Ber­lin-Bran­den­burg, 7. Kam­mer,
auf die münd­li­che Ver­hand­lung vom 16.01.2007
durch die Vor­sit­zen­de Rich­te­rin am Lan­des­ar­beits­ge­richt R. als Vor­sit­zen­de
so­wie die eh­ren­amt­li­chen Rich­ter E. und K.

für Recht er­kannt:

I. Die Be­ru­fung des Klägers ge­gen das Ur­teil des Ar­beits­ge­richts Ber­lin vom
30. Au­gust 2006 – 60 Ca 19109/05 – wird auf sei­ne Kos­ten zurück­ge­wie­sen.

II. Die Re­vi­si­on wird zu­ge­las­sen.

 

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Tat­be­stand

Die Par­tei­en strei­ten über die Ver­pflich­tung der Be­klag­ten, an den Kläger für das Jahr 2004 ei­ne Son­der­zu­wen­dung zu zah­len.

Der Kläger war auf der Grund­la­ge meh­re­rer be­fris­te­ter Ar­beits­verträge seit dem 17. Fe­bru­ar 2002 bei der Be­klag­ten als stu­den­ti­sche Hilfs­kraft beschäftigt. Im ers­ten Ar­beits­ver­trag, der für die Zeit vom 17.01.2002 bis zum 16.1.2004 ab­ge­schlos­sen wor­den war (Bl. 13 d.A.), wur­de die Gel­tung des Ta­rif­ver­tra­ges für stu­den­ti­sche Hilfs­kräfte II (TVStud II) vom 24. Fe­bru­ar 1986 mit al­len künf­ti­gen Ände­run­gen und Ergänzun­gen ver­ein­bart. Die­ser Ta­rif­ver­trag war zwi­schen dem Ar­beit­ge­ber­ver­band VAdöD Ber­lin, des­sen Mit­glied die Be­klag­te war, und der Ge­werk­schaft Ver.di, de­ren Mit­glied der Kläger seit De­zem­ber 2004 war, ab­ge­schlos­sen wor­den. Er enthält in § 11 die Ver­ein­ba­rung ei­ner Zu­wen­dung in sinn­gemäßer An­wen­dung des Ta­rif­ver­tra­ges über ei­ne Zu­wen­dung für An­ge­stell­te vom 12.10.1973. Der Ta­rif­ver­trag über ei­ne Zu­wen­dung von An­ge­stell­ten vom 12.10.1973 (Zu­wen­dungs­ta­rif­ver­trag) wur­de von der TdL zum 30. Ju­ni 2003 gekündigt. Am 15. Mai 2003 ver­ein­bar­ten die Ta­rif­ver­trags­par­tei­en rück­wir­kend mit Wir­kung zum 31. Ja­nu­ar 2003 Ta­rif­verträge zur Ände­rung der Zu­wen­dungs­ta­rif­verträge West und Ost.

In den fol­gen­den Zu­satz­ver­ein­ba­run­gen zum Ar­beits­ver­trag des Klägers, die un­ter dem Da­tum vom 17.12.2003 (Bl. 16 d.A.), vom 29.07.2004 (Bl. 15 d.A.) und vom 03.01.2005 (Bl. 13 d.A.) un­ter­zeich­net wur­den, heißt es zur An­wend­bar­keit ta­rif­li­cher Be­stim­mun­gen u.a.:

Das Beschäfti­gungs­verhält­nis be­stimmt sich nach dem Ta­rif­ver­trag für stu­den­ti­sche Hilfs­kräfte (TV Stu­dII) in der am 7. Ja­nu­ar 2003 für die F.U. Ber­lin gel­ten­den Fas­sung... Der gekündig­te Ta­rif­ver­trag über ei­ne Zu­wen­dung fin­det kei­ne An­wen­dung. Ei­ne Zu­wen­dungs­zah­lung er­folgt nicht...

Am 7. Ja­nu­ar 2003 be­schloss der Vor­stand des VadöD, für die Hoch­schu­len des Lan­des Ber­lin die Möglich­keit des Aus­tritts oh­ne Ein­hal­tung ei­ner Aus­tritts­frist als Aus­nah­me von der Sat­zung zu­zu­las­sen (vgl. Ab­lich­tung des Pro­to­kolls Bl. 79 u. 80 d.A.). Ob zu die­sem Zeit­punkt dem Vor­stand be­reits Anträge der Ber­li­ner Uni­ver­sitäten auf Ge­neh­mi­gung ei­nes vor­zei­ti­gen Aus­tritts vor­la­gen – so die Be­klag­te –, ist zwi­schen den Par­tei­en strei­tig. Mit Schrei­ben vom 10. Ja­nu­ar 2003 erklärte die Be­klag­te dar­auf­hin ge­genüber dem Ver­band ih­ren Aus­tritt mit so­for­ti­ger Wir­kung (Bl. 81 d.A.). Die Sat­zung des VAdöD (Bl. 74-78 d.A.) re­gelt in ih­rem § 6 „Erlöschen der Mit­glied­schaft durch Aus­tritts­erklärung des Mit­glieds“ fol­gen­des:

 

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(1) Die Mit­glied­schaft er­lischt durch schrift­li­che Aus­tritts­erklärung des Mit­glieds ge­genüber dem Vor­stand.
(2) Der Aus­tritt ist nur zulässig zum Schluss ei­nes Ka­len­der­mo­nats un­ter Ein­hal­tung ei­ner sechs­mo­na­ti­gen Kündi­gungs­frist. Über Aus­nah­men ent­schei­det der Vor­stand. ..

Mit Schrei­ben vom 26.Ja­nu­ar 2005 (Bl. 17 d.A.) mach­te der Kläger die Zah­lung ei­ner Zu­wen­dung nach § 11 des TV Stud II für das Jahr 2004 in Höhe von 360,76 € gel­tend. Die Be­klag­te zahl­te dar­auf­hin an den Kläger auf der Grund­la­ge des zunächst bis zum 16. Ja­nu­ar 2004 be­fris­te­ten Ar­beits­ver­tra­ges 1/12 der Zu­la­ge (30,06 €) aus.

Der Kläger hat die Auf­fas­sung ver­tre­ten, der ar­beits­ver­trag­li­che Aus­schluss des An­spruchs auf ei­ne Son­der­zu­wen­dung sei un­wirk­sam, da der Aus­tritt der Be­klag­ten aus dem Ar­beit­ge­ber­ver­band nicht wirk­sam zum 10. Ja­nu­ar 2003 ha­be er­fol­gen können. Ein außer­or­dent­li­ches Kündi­gungs­recht ha­be der Be­klag­ten nicht zu­ge­stan­den. Noch während ih­rer Mit­glied­schaft im Ar­beit­ge­ber­ver­band sei der neue TV Son­der­zu­wen­dung un­ter­zeich­net wor­den, an den sie nach § 3 Abs. 3 TVG ge­bun­den sei.

Das Ar­beits­ge­richt hat mit Ur­teil vom 30. Au­gust 2006, auf des­sen Tat­be­stand we­gen der wei­te­ren Ein­zel­hei­ten des erst­in­stanz­li­chen Par­tei­vor­brin­gens Be­zug ge­nom­men wird, die Kla­ge ab­ge­wie­sen und die Be­ru­fung zu­ge­las­sen. Zur Be­gründung hat es im We­sent­li­chen aus­geführt, es feh­le die bei­der­sei­ti­ge Ta­rif­ge­bun­den­heit der Par­tei­en. Die Be­klag­te sei wirk­sam durch Erklärung vom 10. Ja­nu­ar 2003 mit so­for­ti­ger Wir­kung aus dem Ar­beit­ge­ber­ver­band aus­ge­tre­ten. Ei­nes wich­ti­gen Grun­des für die so­for­ti­ge Be­en­di­gung der Mit­glied­schaft ha­be es nicht be­durft. Denn der Vor­stand ha­be dem frist­lo­sen Aus­tritt im Rah­men der Sat­zung vor­ab wirk­sam zu­ge­stimmt. Die vom Kläger be­haup­te­ten Mängel der Be­schluss­fas­sung würden nicht zu ei­ner Un­wirk­sam­keit des Be­schlus­ses führen. So­fern dem Vor­stand nicht be­reits am 7. Ja­nu­ar 2003 ein ent­spre­chen­der An­trag der Be­klag­ten vor­ge­le­gen ha­be, sei die Aus­nah­me­ge­neh­mi­gung als Vor­rats­ge­neh­mi­gung zulässig. Die Sat­zungs­ermäch­ti­gung zum vor­zei­ti­gen Aus­tritt ei­nes Ar­beit­ge­bers aus dem Ar­beit­ge­ber­ver­band oh­ne Ein­hal­tung ei­ner Frist sei mit Art. 9 Abs. 3 GG ver­ein­bar. Sie stel­le kei­ne Be­ein­träch­ti­gung der kol­lek­ti­ven und in­di­vi­du­el­len Ko­ali­ti­ons­frei­heit dar. Die ne­ga­ti­ve in­di­vi­du­el­le Ko­ali­ti­ons­frei­heit der Ver­bands­mit­glie­der for­de­re so­gar die Möglich­keit ei­ner Be­en­di­gung der Mit­glied­schaft in verhält­nismäßig kur­zer Zeit. Da der Ver­band auch kur­ze Kündi­gungs­fris­ten re­geln könne, müsse dies in glei­cher Wei­se für sat­zungsmäßige Aus­nah­me­re­ge­lun­gen von den re­gulären Kündi­gungs­fris­ten gel­ten. Ei­ne Ein­schränkung sol­cher so­for­ti­gen Aus­trit­te sei – je­den­falls im vor­lie­gen­den Fall, in dem der Aus­tritt vier Mo­na­te vor In­kraft­tre­ten des maßgeb­li­chen Ta­rif­ver­tra­ges er­folgt sei - auch nicht zum Schutz der Ko­ali­ti­ons­frei­heit des (po­ten­ti­el­len) Ta­rif­part­ners bzw. sei­ner Mit­glie­der

 

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ver­fas­sungs­recht­lich ge­bo­ten. De­ren Schutz sei be­reits ge­setz­lich aus­rei­chend durch die Wei­ter­gel­tung von Ta­rif­recht nach § 3 Abs. 3 TVG und § 4 Abs. 5 TVG ge­re­gelt.

Ge­gen die­ses dem Kläger am 02. Sep­tem­ber 2006 zu­ge­stell­te Ur­teil rich­tet sich sei­ne Be­ru­fung, die er mit ei­nem beim Lan­des­ar­beits­ge­richt Ber­lin am 29. Sep­tem­ber 2006 ein­ge­gan­ge­nen Schrift­satz ein­ge­legt und mit ei­nem beim Lan­des­ar­beits­ge­richt am 02. No­vem­ber 2006 ein­ge­gan­ge­nen Schrift­satz be­gründet hat.

Der Kläger und Be­ru­fungskläger ver­tritt wei­ter­hin die Auf­fas­sung, der Aus­tritt der Be­klag­ten mit so­for­ti­ger Wir­kung sei un­wirk­sam. Für ei­nen sol­chen „Blitz­aus­tritt“ ha­be es ei­nes wich­ti­gen Grun­des be­durft. Da durch die Betäti­gung der Ko­ali­tio­nen Drit­t­in­ter­es­sen bzw. Schutzgüter der All­ge­mein­heit berührt wer­den könn­ten, er­ge­be sich schon aus Art. 9 Abs. 3 GG, dass be­stimm­te Or­ga­ni­sa­ti­ons­grundsätze auch für die ver­bands­in­ter­ne Ko­ali­ti­ons­struk­tur ein­ge­hal­ten wer­den müss­ten. Die Sat­zungs­au­to­no­mie der Verbände fin­de ih­re Gren­ze dort, wo die Maßnah­me Drit­t­in­ter­es­sen berühren würden. In die­sem Rah­men sei die Pflicht zur Rück­sicht­nah­me zu be­ach­ten, die für ei­nen so­for­ti­gen Aus­tritt ei­nen wich­ti­gen Grund ver­lan­ge. An­ders als bei kur­zen Kündi­gungs­fris­ten könne sich der Ko­ali­ti­ons­part­ner auf sol­che Aus­nah­me­re­ge­lun­gen nicht ein­stel­len.

Der Kläger und Be­ru­fungskläger be­an­tragt,
1. Auf die Be­ru­fung des Klägers wird das Ur­teil des Ar­beits­ge­richts Ber­lin vom 30. Au­gust 2006, Ak­ten­zei­chen 60 Ca 19109/05, ab­geändert.

2. Die Be­klag­te wird ver­ur­teilt, an den Kläger € 330,70 brut­to nebst Zin­sen in Höhe von fünf Pro­zent­punk­ten über dem Ba­sis­zins­satz seit dem 02. De­zem­ber 2006 zu zah­len.

Die Be­klag­te und Be­ru­fungs­be­klag­te be­an­tragt,

die Be­ru­fung zurück­zu­wei­sen.

Die Be­klag­te und Be­ru­fungs­be­klag­te ver­tei­digt das erst­in­stanz­li­che Ur­teil. An ei­ner Ta­rif­bin­dung der Be­klag­ten feh­le es un­ter al­len recht­li­chen Ge­sichts­punk­ten. Der Aus­tritt mit so­for­ti­ger Wir­kung sei zulässig. Aber selbst wenn die Sat­zungs­be­stim­mung in­so­weit vor dem Hin­ter­grund des Art. 9 GG als un­wirk­sam an­ge­se­hen würde, ent­fie­le nicht die Möglich­keit ei­nes vor­zei­ti­gen Aus­tritts ins­ge­samt. Viel­mehr sei die­ser auf ein ver­fas­sungs­recht­lich zulässi­ges Maß zurück­zuführen. Für ei­nen zulässi­gen Aus­tritt sei aber ei­ne Frist von 4 Mo­na­ten,

 

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die noch vor Un­ter­zeich­nung des Ta­rif­ver­tra­ges Son­der­zu­wen­dung ab­ge­lau­fen sei, als an­ge­mes­sen zu­grun­de zu le­gen.

We­gen der wei­te­ren Ein­zel­hei­ten des zweit­in­stanz­li­chen Par­tei­vor­brin­gens wird auf den Schrift­satz des Klägers vom 02. No­vem­ber 2006 (Bl. 139 – 143 d.A.) und der Be­klag­ten vom 14. De­zem­ber 2006 (Bl. 148 – 151 d.A.) Be­zug ge­nom­men.


Ent­schei­dungs­gründe

1.
Die gemäß § 64 Abs. 2 a ArbGG statt­haf­te Be­ru­fung ist vom Kläger form­ge­recht ein­ge­legt und be­gründet wor­den.

Die Be­ru­fung war da­her zulässig.

2.
Die Be­ru­fung hat­te in der Sa­che je­doch kei­nen Er­folg. Der Kläger hat kei­nen wei­te­ren An­spruch auf Zah­lung ei­ner Son­der­zu­wen­dung für das Jahr 2004. Ein sol­cher An­spruch wur­de in den Zu­satz­ver­ein­ba­run­gen für das über den 16. Ja­nu­ar 2004 hin­aus fort­ge­setz­te Ar­beits­verhält­nis aus­ge­schlos­sen. Die­se ar­beits­ver­trag­li­che Re­ge­lung war zulässig, da ei­ne bei­der­sei­ti­ge Ta­rif­bin­dung nicht mehr be­stand. Die Be­klag­te hat­te wirk­sam zum 10. Ja­nu­ar 2003 ih­re Mit­glied­schaft im Ar­beit­ge­ber­ver­band VAdöD mit der Fol­ge be­en­det, dass die Ta­rif­bin­dung nach § 3 Abs. 3 TVG nur noch bis zur Be­en­di­gung des Ta­rif­ver­tra­ges be­stand (2.1). Der Ta­rif­ver­trag für stu­den­ti­sche Hilfs­kräfte en­de­te aber je­den­falls hin­sicht­lich des hier strei­ti­gen An­spruchs auf Zah­lung ei­ner Son­der­zu­wen­dung mit Ab­schluss des Zu­wen­dungs­ta­rif­ver­tra­ges am 15.5.2003 (2.2). Da­nach fan­den die Re­ge­lun­gen des TVStud II nur noch kraft Nach­wir­kung auf das Ar­beits­verhält­nis An­wen­dung und wur­den durch die die Zah­lung ei­ner Son­der­zu­wen­dung aus­drück­lich aus­sch­ließen­den ar­beits­ver­trag­li­chen Re­ge­lun­gen er­setzt (2.3.).

2.1
Ent­ge­gend der Auf­fas­sung des Klägers en­de­te die Mit­glied­schaft der Be­klag­ten im Ar­beit­ge­ber­ver­band VAdöD Ber­lin mit Wir­kung zum 10. Ja­nu­ar 2003. Ei­nes wich­ti­gen Grun­des für die so­for­ti­ge Be­en­di­gung der Mit­glied­schaft be­durf­te es nicht.

 

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2.1.1
Die Be­kla­ge hat mit dem Ar­beit­ge­ber­ver­band VAdöD Ber­lin ei­nen ein­ver­nehm­li­chen Aus­tritt zum 10. Ja­nu­ar 2003 ver­ein­bart. Da­bei kann da­hin­ste­hen, ob be­reits zum Zeit­punkt des Vor­stands­be­schlus­ses ein ent­spre­chen­der förm­li­cher An­trag auf Er­tei­lung der Zu­stim­mung zu ei­nem vor­zei­ti­gen Aus­tritt sei­tens der Be­klag­ten vor­ge­le­gen hat. Wie das Ar­beits­ge­richt zu­tref­fend aus­geführt hat, hat der Vor­stand der Be­klag­ten mit sei­nem Be­schluss vom 7. Ja­nu­ar 2003 in Kennt­nis der ent­spre­chen­den Ab­sicht der Hoch­schu­len, ei­nen sol­chen An­trag zu stel­len (sie­he Top 3 des Pro­to­kolls der Vor­stands­sit­zung vom 7. Ja­nu­ar 2003, Bl. 80 d.A.) im Vor­aus sein Ein­verständ­nis zu ei­nem sol­chen Aus­tritt oh­ne Ein­hal­tung der Aus­tritts­frist erklärt. Erklärte die Be­klag­te dann un­verzüglich nach die­sem Be­schluss ih­ren Aus­tritt mit so­for­ti­ger Wir­kung, gilt die­ser Aus­tritt oh­ne Ein­hal­tung der sat­zungsmäßigen Kündi­gungs­frist auf­grund des Be­schlus­ses vom 7. Ja­nu­ar 2003 als ge­neh­migt. Auf das Vor­lie­gen ei­nes wich­ti­gen Grun­des für ei­ne außer­or­dent­li­che Kündi­gung kam es in­so­weit schon des­halb nicht an, weil der Aus­tritt nicht durch Kündi­gung er­folg­te.

2.1.2
Die­se Ver­ein­ba­rung zwi­schen der Be­klag­ten und dem Ar­beit­ge­ber­ver­band VadöD Ber­lin über ei­ne so­for­ti­ge Be­en­di­gung der Mit­glied­schaft oh­ne Ein­hal­tung ei­ner Kündi­gungs­frist war wirk­sam. Sie ent­sprach der Ver­bands­sat­zung des VAdöD Ber­lin, die ei­ne Zu­stim­mung des Vor­stan­des zum vor­zei­ti­gen Aus­tritt in § 6 Abs. 2 vor­sah. Die­se Sat­zungs­be­stim­mung ist in­so­weit wirk­sam, ins­be­son­de­re verstößt sie nicht ge­gen Art. 9 Abs. 3 GG.

2.1.2.1
Un­ter wel­chen Vor­aus­set­zun­gen die Mit­glied­schaft in ei­ner ta­rif­ver­trags­sch­ließen­den Ko­ali­ti­on be­en­det wer­den kann, rich­tet sich zunächst nach de­ren Sat­zung in Ver­bin­dung mit den an­wend­ba­ren ver­eins­recht­li­chen Be­stim­mun­gen, ins­be­son­de­re § 39 BGB (Fran­zen ErfKo. 7. Aufl. 2007 § 3 TVG Rz.9). Die hier maßgeb­li­che Sat­zung des VAdöD Ber­lin schreibt in § 6 Abs. 2 zunächst die Ein­hal­tung ei­ner sechs­mo­na­ti­gen Kündi­gungs­frist zum Mo­nats­en­de vor, sieht dies­bezüglich je­doch aus­drück­lich auch Aus­nah­men vor, über die der Vor­stand zu ent­schei­den hat. Mit­hin er­laubt die Sat­zung je­den­falls dem Vor­stand, Kündi­gungs­fris­ten ab­zukürzen bzw. sich auch mit ei­ner so­for­ti­gen Be­en­di­gung der Mit­glied­schaft ein­ver­stan­den zu erklären. In­so­fern kam es auf die Fra­ge, ob vor­zei­ti­ge Aus­trit­te auch dann zulässig sind, wenn die Ver­bands­sat­zung da­zu kei­ne Re­ge­lun­gen vor­sieht (vgl. da­zu Plan­der NZA 2005, 897 ff.), nicht an.

 

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2.1.2.2
Die­se Zu­stim­mung wur­de vom Vor­stand sat­zungs­gemäß am 7. Ja­nu­ar 2003 er­teilt. So­weit der Kläger erst­in­stanz­lich Mängel der Be­schluss­fas­sung gerügt hat, führ­ten die­se nicht zur Un­wirk­sam­keit des Be­schlus­ses. Auf die Ausführun­gen des Ar­beits­ge­richts wird Be­zug ge­nom­men. Zweit­in­stanz­lich hat der Kläger ge­gen die­se Ausführun­gen nichts ein­ge­wen­det.

2.1.2.3
Ei­ne sol­che Sat­zungs­ermäch­ti­gung zum vor­zei­ti­gen Aus­tritt von Mit­glie­dern ist wirk­sam.

Ver­eins­recht­lich be­ste­hen schon des­halb kei­ne Be­den­ken, weil nach § 39 Abs. 1 BGB Mit­glie­der ei­nes Ver­eins je­der­zeit aus­tre­ten können, oh­ne ei­ne Frist ein­hal­ten zu müssen. Die Re­ge­lung von vor­zei­ti­gen Aus­trit­ten mit Zu­stim­mung des Vor­stan­des ist nach die­sen ge­setz­li­chen Maßga­ben möglich (vgl. Plan­der NZA 2005, 897, 890). Durch Sat­zung kann der Ver­ein für den Aus­tritt auf der Grund­la­ge von § 39 Abs. 2 BGB zwar in sei­ner Sat­zung ei­ne Frist be­stim­men, ei­ne be­stimm­te Min­dest­frist sieht das Ge­setz hin­ge­gen nicht vor. Gren­zen be­ste­hen nur in­so­weit, als die Sat­zung im Hin­blick auf die in Art. 9 Abs. 3 GG ver­fas­sungs­recht­lich gewähr­leis­te­te ne­ga­ti­ve Ko­ali­ti­ons­frei­heit den Aus­tritt nicht un­verhält­nismäßig er­schwe­ren (BGH vom 4. Ju­li 1977, II ZR 30/76, AP Nr. 25 zu Art 9 GG) und die ge­setz­li­che Höchst­frist von 2 Jah­ren nicht über­schrei­ten darf. Die ne­ga­ti­ve Ko­ali­ti­ons­frei­heit des Mit­glieds wird aber durch ei­ne ein­ver­nehm­li­che Be­en­di­gung der Mit­glied­schaft oh­ne­hin nicht tan­giert.

Ei­ne sol­che Sat­zungs­ermäch­ti­gung zum vor­zei­ti­gen Aus­tritt aus dem Ar­beit­ge­ber­ver­band nach Zu­stim­mung des Vor­stan­des ver­letzt auch nicht – wie das Ar­beits­ge­richt zu­tref­fend aus­geführt hat – nach Art. 9 Abs. 3 GG geschütz­te In­ter­es­sen des Ta­rif­part­ners (so auch LAG Ber­lin vom 15.11.2005 – 3 Sa 1211/05; ArbG Ber­lin vom 14.04.2005 – 38 Ca 228884/04,; vgl. ausführ­lich Plan­der NZA 2005, 8898 ff.). We­der wird die Funk­ti­onsfähig­keit des Ta­rif- und Ar­beits­kampf­sys­tems noch das Streik­recht der Ge­werk­schaf­ten durch die­se Sat­zungs­be­stim­mung und dem dar­auf be­ru­hen­den Aus­tritt der Be­klag­ten in recht­lich er­heb­li­cher Wei­se berührt.

Da­bei ist zunächst zu berück­sich­ti­gen, dass die Ver­bands­sat­zung in ers­ter Li­nie die Rechts­be­zie­hun­gen im In­nen­verhält­nis zwi­schen dem Ver­band und sei­nen Mit­glie­dern, nicht aber die Rechts­be­zie­hun­gen sei­ner Mit­glie­der zu den po­ten­ti­el­len Ta­rif­part­nern re­gelt. Für die in­ter­nen Re­ge­lun­gen verfügt der Ver­band aber über Sat­zungs­au­to­no­mie. Die­se be­inhal­tet das Recht der Mit­glie­der und des Ver­eins, über die ei­ge­ne Or­ga­ni­sa­ti­on, das Ver­fah­ren der Wil­lens­bil­dung und die Führung der Geschäfte selbst zu be­stim­men und ist

 

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vom Schutz des Grund­rechts nach Art. 9 GG um­fasst (BVerfG vom 15.6.1989 – 2 BvL 4/87 – BVerfGE 80, 253). Ei­ne be­son­de­re Ver­pflich­tung des Ver­ban­des ge­genüber dem Ta­rif­part­ner, im In­nen­verhält­nis den Ab­schluss zukünf­ti­ger Ta­rif­verträge zu si­chern, be­steht nicht (LAG Ber­lin vom 15.11.2005 – 3 Sa 1211/05; ArbG Ber­lin vom 14.04.2005 – 38 Ca 228884/04).

Die Rechts­be­zie­hun­gen im Außen­verhält­nis zu den Ta­rif­part­nern und de­ren Mit­glie­dern wer­den durch das Ta­rif­ver­trags­ge­setz be­stimmt. Dort wird der Schutz der Ta­rif­par­tei­en aber durch die Nach­bin­dung gemäß § 3 Abs. 3 TVG und die Nach­wir­kung in § 4 Abs. 5 TVG aus­rei­chend gewähr­leis­tet. Nach § 3 Abs. 3 TVG bleibt auch nach Be­en­di­gung der Mit­glied­schaft die Ta­rif­bin­dung so­lan­ge be­ste­hen, bis der Ta­rif­ver­trag en­det. Im An­schluss dar­an wirkt der Ta­rif­ver­trag noch gemäß § 4 Abs. 5 TVG nach, bis er durch ei­ne neue Re­ge­lung, sei es ei­ne ta­rif­ver­trag­li­che oder ar­beits­ver­trag­li­che, er­setzt wird. Die­se Vor­schrif­ten ent­hal­ten ein ge­setz­li­ches Re­ge­lungs­sys­tem zum Aus­gleich der kol­li­die­ren­den Grund­rech­te, nämlich der ne­ga­ti­ven Ko­ali­ti­ons­frei­heit des aus­tre­ten­den Ar­beit­ge­bers ei­ner­seits und dem Recht der Ge­werk­schaft an­de­rer­seits, die Ar­beits- und Wirt­schafts­be­din­gun­gen durch Ta­rif­verträge zu ge­stal­ten. Ein wei­ter­ge­hen­der Schutz der Ta­rif­au­to­no­mie, die ei­nen Ein­griff in die ne­ga­ti­ve Ko­ali­ti­ons­frei­heit und die Sat­zungs­au­to­no­mie da­hin­ge­hend er­for­dern könn­te, dass ei­ne ein­ver­nehm­li­che Abkürzung der Kündi­gungs­fris­ten nur bei Vor­lie­gen ei­nes wich­ti­gen Grun­des zulässig ist, ist im Hin­blick auf die ge­nann­ten ge­setz­li­chen Nach­wir­kungs­re­ge­lun­gen nicht ge­bo­ten. Ge­genüber dem aus­tre­ten­den Ar­beit­ge­ber kann ein Fir­men­ta­rif­ver­trag oder aber ein An­er­ken­nungs­ta­rif­ver­trag durch­ge­setzt wer­den. Dass der Ver­such zum Ab­schluss ei­ge­ner Ta­rif­verträge ge­ra­de im Be­reich des öffent­li­chen Diens­tes nicht er­folg­los ist, zei­gen die in der Ver­gan­gen­heit für das Land Ber­lin nach Aus­tritt aus der TdL ab­ge­schlos­se­nen Ta­rif­verträge.

Der Aus­tritt der Be­klag­ten verstößt auch nicht im kon­kre­ten Fall ge­gen Art. 9 Abs. 3 GG. Er er­folg­te kurz nach Ab­schluss des Ta­rif­ver­tra­ges für stu­den­ti­sche Hilfs­kräfte, konn­te al­so des­sen Bin­dung zunächst nicht ver­hin­dern. Bis zur Ände­rung des hier maßgeb­li­chen Zu­wen­dungs­ta­rif­ver­tra­ges aber la­gen 4 Mo­na­te. Dies war ei­ne Frist, die auch als Kündi­gungs­frist aus­rei­chend lang ge­we­sen wäre. Ein be­son­de­res Droh- oder Druck­po­ten­ti­al hat die Be­klag­te da­bei nicht auf­ge­baut, so dass auch ein Ver­s­toß ge­gen Treu und Glau­ben (§ 242 BGB) nicht er­sicht­lich ist.

2.1.3
Mit der Be­en­di­gung der Mit­glied­schaft im Ar­beit­ge­ber­ver­band blieb die Ta­rif­bin­dung gemäß § 3 Abs. 3 TVG bis zur Be­en­di­gung des Ta­rif­ver­tra­ges Stud II be­ste­hen.

 

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2.2
Der Ta­rif­ver­trag für stu­den­ti­sche Hilfs­kräfte en­de­te hin­sicht­lich der hier maßgeb­li­chen Re­ge­lun­gen zur Zah­lung der Son­der­zu­wen­dung mit Ände­rung des Zu­wen­dungs­ta­rif­ver­tra­ges, auf den § 11 TV Stud II Be­zug nimmt, al­so mit dem 15.5.2003. Denn die Ände­rung ei­nes Be­zugs­ta­rif­ver­tra­ges stellt sich als Ände­rung der als Ein­heit ver­stan­de­nen ta­rif­li­chen Re­ge­lung von Ver­wei­sungs- und Be­zugs­ta­rif­ver­trag dar (BAG vom 17.5.2000 – 4 AZR 363/99 – AP § 3 TVG Ver­bands­aus­tritt Nr. 8). Je­de Ände­rung des Ta­rif­ver­tra­ges führt aber zu sei­ner Be­en­di­gung im Sin­ne von § 3 Abs. 3 TVG (BAG vom 17.5. 2000 a.a.O).

Der geänder­te Zu­wen­dungs­ta­rif­ver­trag fand ent­ge­gen der Auf­fas­sung des Klägers kei­ne An­wen­dung auf das Ar­beits­verhält­nis mehr, da es auf­grund der wirk­sa­men Be­en­di­gung der Mit­glied­schaft vor Ab­schluss des Ta­rif­ver­tra­ges an der Ta­rif­bin­dung der Be­klag­ten fehl­te.

2.3
Nach En­de des Ta­rif­ver­tra­ges Stud II fan­den sei­ne Re­ge­lun­gen noch gemäß § 4 Abs. 5 TVG auf das Ar­beits­verhält­nis zwi­schen den Par­tei­en An­wen­dung bis sie durch ei­ne an­de­re Ab­ma­chung er­setzt wur­den. Ei­ne sol­che an­de­re Ab­ma­chung ha­ben die Par­tei­en mit dem Ab­schluss der Zu­satz­ver­ein­ba­rung ge­trof­fen, in der sie aus­drück­lich die An­wend­bar­keit des Zu­wen­dungs­ta­rif­ver­tra­ges aus­ge­schlos­sen, al­so § 11 TV Stud II ab­be­dun­gen ha­ben. Die bis zum 16.1. 2003 be­ste­hen­den Ansprüche hat die Be­klag­te erfüllt.

3.
Aus die­sen Gründen war die Be­ru­fung des Klägers zurück­zu­wei­sen, mit der Fol­ge, dass er gemäß § 97 ZPO die Kos­ten sei­nes er­folg­lo­sen Rechts­mit­tels zu tra­gen hat.

4.
Die Zu­las­sung der Re­vi­si­on er­folg­te nach § 72 Abs. 2 ArbGG. 

Ge.

 

- 11 -

Rechts­mit­tel­be­leh­rung

Ge­gen die­ses Ur­teil kann von dem Kläger bei dem

Bun­des­ar­beits­ge­richt,

Hu­go-Preuß-Platz 1, 99084 Er­furt

(Post­adres­se: 99113 Er­furt),

Re­vi­si­on ein­ge­legt wer­den. Die Re­vi­si­on muss in­ner­halb

ei­ner Not­frist von ei­nem Mo­nat

schrift­lich beim Bun­des­ar­beits­ge­richt ein­ge­legt wer­den.

Sie ist gleich­zei­tig oder in­ner­halb

ei­ner Frist von zwei Mo­na­ten

schrift­lich zu be­gründen.

Bei­de Fris­ten be­gin­nen mit der Zu­stel­lung des in vollständi­ger Form ab­ge­setz­ten Ur­teils, spätes­tens aber mit Ab­lauf von fünf Mo­na­ten nach der Verkündung.

Die Re­vi­si­ons­schrift muss die Be­zeich­nung des Ur­teils, ge­gen das die Re­vi­si­on ge­rich­tet wird und die Erklärung ent­hal­ten, dass ge­gen die­ses Ur­teil Re­vi­si­on ein­ge­legt wer­de.

Die Re­vi­si­ons­schrift und die Re­vi­si­ons­be­gründung müssen von ei­nem bei ei­nem deut­schen Ge­richt zu­ge­las­se­nen Rechts­an­walt un­ter­zeich­net sein.

R.

E.

K.

 

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