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BAG, Ur­teil vom 23.04.2008, 2 AZR 21/07

   
Schlagworte: Kündigungsfrist, Tarifvertrag
   
Gericht: Bundesarbeitsgericht
Aktenzeichen: 2 AZR 21/07
Typ: Urteil
Entscheidungsdatum: 23.04.2008
   
Leitsätze: Nach § 622 Abs. 4 Satz 1 BGB sind tarifvertragliche Regelungen zulässig, die für Kleinbetriebe einheitliche Kündigungsfristen und Kündigungstermine ohne Staffelung nach Betriebszugehörigkeit und Alter vorsehen.
Vorinstanzen: Arbeitsgericht Bamberg Landesarbeitsgericht Nürnberg
   


BUN­DES­AR­BEITS­GERICHT


2 AZR 21/07
6 Sa 450/06
Lan­des­ar­beits­ge­richt

Nürn­berg

 

Im Na­men des Vol­kes!

 

Verkündet am

23. April 2008

UR­TEIL

Schmidt, Ur­kunds­be­am­tin

der Geschäfts­stel­le


In Sa­chen

Kläger, Be­ru­fungskläger und Re­vi­si­onskläger,

pp.

Be­klag­te, Be­ru­fungs­be­klag­te und Re­vi­si­ons­be­klag­te,

hat der Zwei­te Se­nat des Bun­des­ar­beits­ge­richts auf Grund der münd­li­chen Ver­hand­lung vom 23. April 2008 durch den Vor­sit­zen­den Rich­ter am Bun­des­ar­beits­ge­richt Prof. Dr. Rost, die Rich­ter am Bun­des­ar­beits­ge­richt Dr. Bröhl und Schmitz-Scho­le­mann so­wie die eh­ren­amt­li­chen Rich­ter Dr. Bartz und Dr. Grim­berg für Recht er­kannt:
 


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Die Re­vi­si­on des Klägers ge­gen das Ur­teil des Lan­des­ar­beits­ge­richts Nürn­berg vom 5. De­zem­ber 2006 - 6 Sa 450/06 - wird auf Kos­ten des Klägers zurück­ge­wie­sen.


Von Rechts we­gen!


Tat­be­stand


Die Par­tei­en strei­ten noch über den Zeit­punkt der Be­en­di­gung ih­res Ar­beits­verhält­nis­ses und in die­sem Zu­sam­men­hang über die Wirk­sam­keit ei­ner ein­zel­ver­trag­lich ver­ein­bar­ten ta­rif­li­chen Re­ge­lung von Kündi­gungs­fris­ten.

Der über 50jähri­ge Kläger stand seit 1975 in ei­nem Ar­beits­verhält­nis zur Be­klag­ten bzw. ih­rer Rechts­vorgänge­rin. Die Be­klag­te be­trieb ein Au­to­haus und beschäftig­te we­ni­ger als 20 Ar­beit­neh­mer. Als Kraft­fahr­zeug-Me­cha­ni­ker er­hielt der Kläger ei­ne mo­nat­li­che Brut­to­vergütung von zu­letzt 2.700,00 Eu­ro.


Auf Grund ar­beits­ver­trag­li­cher Ver­ein­ba­rung fin­det der Man­tel­ta­rif­ver­trag für die ge­werb­li­chen Ar­beit­neh­mer und An­ge­stell­ten des Kraft­fahr­zeug­ge­wer­bes in Bay­ern in der Fas­sung vom 5. April 2004 An­wen­dung. So­weit von In­ter­es­se enthält der Ta­rif­ver­trag fol­gen­de Re­ge­lun­gen:


„3. Kündi­gung


3.1. Die bei­der­sei­ti­ge Kündi­gungs­frist beträgt während der ers­ten 3 Mo­na­te ei­ner Beschäfti­gung 2 Wo­chen, während des vier­ten bis sechs­ten Beschäfti­gungs­mo­nats 4 Wo­chen, je­weils zum Schluss des Ka­len­der­mo­nats.


3.2. Nach 6 Mo­na­ten beträgt die bei­der­sei­ti­ge Kündi­gungs­frist 6 Wo­chen zum Schluss ei­nes Ka­len­der­mo­nats.

3.3. In Be­trie­ben/Be­triebsstätten mit in der Re­gel min­des­tens 20 Ar­beit­neh­mern (oh­ne Aus­zu­bil­den­de und mit­hel­fen­de Fa­mi­li­en­an­gehöri­ge) beträgt die Frist für ei­ne Kündi­gung durch den Ar­beit­ge­ber bei ei­ner Be­triebs­zu­gehörig­keit von
5 Jah­ren 2 Mo­na­te,

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8 Jah­ren 3 Mo­na­te,

10 Jah­ren 4 Mo­na­te,

12 Jah­ren 5 Mo­na­te,

15 Jah­ren 6 Mo­na­te,

20 Jah­ren 7 Mo­na­te,

je­weils zum En­de des Ka­len­der­mo­nats.

Auch in Be­trie­ben/Be­triebsstätten mit in der Re­gel we­ni­ger als 20 Ar­beit­neh­mern können länge­re Kündi­gungs­fris­ten ver­ein­bart wer­den.


...“

Die Be­klag­te kündig­te das Ar­beits­verhält­nis mit Schrei­ben vom 14. No­vem­ber 2005 zum 31. De­zem­ber 2005 we­gen Sch­ließung des Be­triebs. Zwi­schen den Par­tei­en steht nicht mehr im Streit, dass die­se Kündi­gung das Ar­beits­verhält­nis be­en­det hat, son­dern al­lein, zu wel­chem Zeit­punkt dies ge­sche­hen ist.


Der Kläger meint, die Kündi­gung wir­ke nach § 622 Abs. 2 Ziff. 7 BGB erst zum 30. Ju­ni 2006. Die ta­rif­li­che Abkürzung der Kündi­gungs­fris­ten für älte­re Ar­beit­neh­mer wi­der­spre­che dem ge­setz­li­chen Grund­ge­dan­ken, dass älte­ren Ar­beit­neh­mern mit länge­rer Beschäfti­gungs­dau­er länge­re Kündi­gungs­fris­ten ein­zuräum­en sei­en. Es müss­ten zwar nicht die ge­setz­li­chen Kündi­gungs­fris­ten über­nom­men wer­den, je­doch sei we­nigs­tens ein ent­spre­chen­der Ab­stand von der Grundkündi­gungs­frist zu wah­ren. Ei­ne Ta­rif­norm, die die Rechts­stel­lung der älte­ren Ar­beit­neh­mer oh­ne sach­li­chen Grund ver­schlech­te­re, ver­s­toße ge­gen Art. 3 GG. In­so­fern be­ste­he ein Dif­fe­ren­zie­rungs­ge­bot, das auch in klei­ne­ren Be­trie­ben grei­fen müsse.

Der Kläger hat, so­weit von In­ter­es­se, be­an­tragt, 

fest­zu­stel­len, dass das Ar­beits­verhält­nis zwi­schen den Par­tei­en durch die Kündi­gung der Be­klag­ten vom 14. No­vem­ber 2005 nicht mit Wir­kung zum 31. De­zem­ber 2005, son­dern erst zum 30. Ju­ni 2006 auf­gelöst wor­den ist;

die Be­klag­te zu ver­ur­tei­len, an den Kläger 2.700,00 Eu­ro nebst fünf Pro­zent­punk­ten über dem gülti­gen Ba­sis­zins­satz aus dem dar­aus ge­schul­de­ten Net­to­be­trag seit dem
 


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1. Fe­bru­ar 2006 zu be­zah­len.

Die Be­klag­te hat Kla­ge­ab­wei­sung be­an­tragt. Sie hält die ta­rif­ver­trag­li­che Re­ge­lung für wirk­sam. Der Kläger über­se­he, dass im Jah­re 1993 durch die in § 622 Abs. 4 BGB aus­drück­lich ge­schaf­fe­ne Möglich­keit, auch von den Re­ge­lun­gen des § 622 Abs. 2 BGB durch Ta­rif­ver­trag ab­zu­wei­chen, ei­ne vor­her et­wa an­zu­neh­men ge­we­se­ne Bin­dung der Ta­rif­ver­trags­par­tei­en an die Staf­fe­lung der Kündi­gungs­fris­ten ent­fal­len sei. Auch der Gleich­heits­grund­satz sei nicht ver­letzt. Der Ge­setz­ge­ber ha­be selbst in § 622 Abs. 5 BGB an­er­kannt, dass für Klein­be­trie­be ein­schnei­den­de Son­der­re­ge­lun­gen ge­trof­fen wer­den könn­ten.

Das Ar­beits­ge­richt hat die Kla­ge ab­ge­wie­sen. Das Lan­des­ar­beits­ge­richt hat die Be­ru­fung des Klägers zurück­ge­wie­sen. Mit der vom Lan­des­ar­beits­ge­richt zu­ge­las­se­nen Re­vi­si­on ver­folgt der Kläger sein Kla­ge­be­geh­ren wei­ter.

Ent­schei­dungs­gründe

Die Re­vi­si­on ist un­be­gründet. 

A. Das Lan­des­ar­beits­ge­richt hat die ta­rif­li­che Re­ge­lung der Kündi­gungs­fris­ten für wirk­sam ge­hal­ten. § 622 Abs. 4 BGB ent­hal­te kei­ne Ver­pflich­tung der Ta­rif­ver­trags­par­tei­en, ei­ne be­stimm­te Re­ge­lung der Kündi­gungs­fris­ten zu tref­fen. Ei­ne Bin­dung der Ta­rif­ver­trags­par­tei­en an ei­ne - je­den­falls der heu­ti­gen Rechts­la­ge auch nicht ent­spre­chen­de - „Leit­idee des Ge­setz­ge­bers“ sei schwer prak­ti­ka­bel. Die ta­rif­li­che Re­ge­lung ver­s­toße un­ter Berück­sich­ti­gung der Einschätzungs­präro­ga­ti­ve der Ta­rif­ver­trags­par­tei­en nicht ge­gen Art. 3 GG. Es han­de­le sich um ei­ne dif­fe­ren­zier­te Re­ge­lung, die sich zulässi­ger­wei­se an der Be­triebs­größe ori­en­tie­re. Auch den Ar­beit­neh­mern die­ser klei­nen Be­trie­be blei­be ei­ne ge­genüber der Re­gel­frist verlänger­te Kündi­gungs­frist.


B. Dem stimmt der Se­nat im Er­geb­nis und weit­ge­hend auch in der Be­gründung zu. Die Kla­ge ist un­be­gründet. Die Kündi­gung vom 14. No­vem­ber
 


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2005 hat das Ar­beits­verhält­nis der Par­tei­en zum 31. De­zem­ber 2005 be­en­det. Der Kläger hat kei­nen An­spruch auf Zah­lung von Vergütung für den Mo­nat Ja­nu­ar 2005.


I. Die Kündi­gung vom 14. No­vem­ber 2005 ist frist­ge­recht zum 31. De­zem­ber 2005 aus­ge­spro­chen wor­den. Die maßge­ben­de Kündi­gungs­frist be­trug nach II.3.2. des Man­tel­ta­rif­ver­trags sechs Wo­chen zum Mo­nats­en­de.

1. Nach § 622 Abs. 4 Satz 2 BGB sind im Gel­tungs­be­reich ei­nes Ta­rif­ver­trags die dort ver­ein­bar­ten, von § 622 Abs. 1 bis 3 BGB ab­wei­chen­den Be­stim­mun­gen maßge­bend, wenn ih­re An­wen­dung zwi­schen den Par­tei­en ver­ein­bart ist. Das Lan­des­ar­beits­ge­richt hat fest­ge­stellt, dass die­se Vor­aus­set­zun­gen hier erfüllt sind. Der Kläger hat die ent­spre­chen­den Fest­stel­lun­gen nicht be­an­stan­det. Sie sind da­mit für den Se­nat bin­dend (§ 559 Abs. 2 ZPO).


2. Die Auf­fas­sung des Lan­des­ar­beits­ge­richts, die hier von den Ta­rif­ver­trags­par­tei­en ge­trof­fe­ne Re­ge­lung der Kündi­gungs­frist für Be­trie­be mit we­ni­ger als 20 Ar­beit­neh­mern ver­s­toße nicht ge­gen § 622 Abs. 4 BGB, trifft zu.

a) Der Wort­laut der Norm enthält kei­ner­lei Ein­schränkung. § 622 Abs. 4 Satz 1 BGB lässt, oh­ne wei­te­re Vor­aus­set­zun­gen auf­zu­stel­len, Re­ge­lun­gen zu, die von der in § 622 Abs. 2 BGB vor­ge­se­he­nen Staf­fe­lung nach Dau­er der Be­triebs­zu­gehörig­keit ab­wei­chen.

b) Das Lan­des­ar­beits­ge­richt hat auch zu Recht auf die in der amt­li­chen Be­gründung erklärte Ab­sicht hin­ge­wie­sen, sämt­li­che Ele­men­te der ge­setz­li­chen Re­ge­lung der Kündi­gungs­fris­ten zur Dis­po­si­ti­on der Ta­rif­ver­trags­par­tei­en zu stel­len, und zwar auch die ge­setz­lich vor­ge­se­he­ne Dau­er der Be­triebs­zu­gehörig­keit und Berück­sich­ti­gung des Le­bens­al­ters bei der War­te­zeit. Dies gilt nach der amt­li­chen Be­gründung aus­drück­lich auch, so­weit das Bun­des­ar­beits­ge­richt im Teil­ur­teil vom 29. Au­gust 1991 (- 2 AZR 220/91 - AP BGB § 622 Nr. 32 = EzA BGB § 622 nF Nr. 35, un­ter II. 5 der Ent­schei­dungs­gründe) aus der da­mals gel­ten­den Re­ge­lung (§ 622 Abs. 3 BGB aF) ei­ne Ein­schränkung der Ta­rif­dis­po­si­ti­vität ab­ge­lei­tet hat­te (vgl. auch Schlus­s­ur­teil vom 10. März 1994



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- 2 AZR 220/91 -, in dem der Se­nat auf die­se Fra­ge nicht mehr zurück­ge­kom­men ist). Die amt­li­che Be­gründung (BT-Drucks. 12/4902) lässt es nicht an Klar­heit feh­len:


„Nach Ab­satz 4 Satz 1 kann von den Re­ge­lun­gen über die Grundkündi­gungs­frist (Ab­satz 1), die verlänger­ten Kündi­gungs­fris­ten (Ab­satz 2) und die Kündi­gungs­frist während der Pro­be­zeit (Ab­satz 3) auch zu­un­guns­ten des Ar­beit­neh­mers durch Ta­rif­ver­trag ab­ge­wi­chen wer­den... Im Ver­gleich zur ge­genwärti­gen Fas­sung des § 622 Abs. 3 BGB be­zieht sich die For­mu­lie­rung der Ta­riföff­nungs­klau­sel nicht nur aus­drück­lich auf die Re­ge­lung der Kündi­gungs­fris­ten, son­dern schließt ab­wei­chen­de Re­ge­lun­gen so­wohl hin­sicht­lich der Kündi­gungs­fris­ten und der Kündi­gungs­ter­mi­ne als auch der Vor­aus­set­zun­gen, un­ter de­nen der An­spruch auf verlänger­te Kündi­gungs­fris­ten ent­steht (Dau­er der Be­triebs­zu­gehörig­keit, Be­rech­nung der Be­triebs­zu­gehörig­keit ab ei­nem be­stimm­ten Le­bens­al­ter) ein. Während nach herr­schen­der Mei­nung die Nich­terwähnung des Be­griffs ‚Kündi­gungs­ter­min’ in der jet­zi­gen Fas­sung des § 622 Abs. 3 BGB le­dig­lich auf ei­nem Re­dak­ti­ons­ver­se­hen be­ruht, be­ste­hen zu­min­dest nach An­sicht des Bun­des­ar­beits­ge­richts (vgl. Ur­teil vom 29. Au­gust 1991, 2 AZR 220/91) Zwei­fel dar­an, ob ge­genwärtig auch ei­ne vom Ge­setz ab­wei­chen­de ta­rif­ver­trag­li­che Re­ge­lung der für die verlänger­ten Kündi­gungs-fris­ten maßgeb­li­chen War­te­zei­ten (Dau­er der Be­triebs­zu­gehörig­keit) zulässig ist. Die gewähl­te For­mu­lie­rung ‚von den Absätzen 1 bis 3 ab­wei­chen­de Re­ge­lun­gen’ stellt klar, daß auch die­se Ab­wei­chung ge­meint ist.“


c) Im Übri­gen lässt sich aus den vom Se­nat im Ur­teil vom 29. Au­gust 1991 an­ge­mel­de­ten Be­den­ken zu § 622 Abs. 3 BGB aF nichts für die Aus­le­gung des § 622 Abs. 4 BGB nF her­lei­ten. Die da­ma­li­gen - nicht tra­gen­den - Erwägun­gen des Se­nats be­zo­gen sich ge­ra­de auf die Be­son­der­hei­ten der sei­ner­zeit gel­ten­den Ge­set­zes­fas­sung.

d) Auch aus dem Ge­set­zes­zweck lässt sich ei­ne Be­schränkung der Ta­rif­dis­po­si­ti­vität nicht ab­lei­ten.

aa) Al­ler­dings wird die Auf­fas­sung ver­tre­ten, Ta­rif­verträge im Rah­men des § 622 Abs. 4 BGB müss­ten sich an die Ziel­set­zung des Ge­set­zes hal­ten, älte­re
 


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Ar­beit­neh­mer durch länge­re Fris­ten stärker zu schützen (vgl. KR-Spil­ger 8. Aufl. § 622 BGB Rn. 214 mit wei­te­ren Nach­wei­sen, die sich aber fast durch­weg auf § 622 Abs. 3 BGB aF be­zie­hen; vgl. Er­man/Ha­nau BGB 9. Aufl. § 622 BGB aF Rn. 26 ei­ner­seits und Er­man/Bel­ling BGB (seit 10. Aufl.) § 622 BGB nF Rn. 12 f. an­de­rer­seits; Ca­na­ris Gedächt­nis­schrift Rolf Dietz S. 199, 215). Wenn auch die­se Fris­ten verkürzt wer­den könn­ten, so dürfe doch die Dif­fe­ren­zie­rung zu Guns­ten älte­rer Ar­beit­neh­mer nicht vollständig auf­ge­ge­ben wer­den.


bb) Die Ge­gen­an­sicht (AnwK-ArbR/Boecken § 622 BGB Rn. 10 ff., 15; ErfK/Müller-Glöge 8. Aufl. § 622 BGB Rn. 22; APS/Linck 3. Aufl. § 622 BGB Rn. 113; eben­so nun auch Wie­de­mann/Thüsing TVG 7. Aufl. § 1 Rn. 694) ver­weist auf den Ge­set­zes­wort­laut, der für ei­ne sol­che Be­schränkung kei­ne An­halts­punk­te bie­te.

cc) Für die zu­letzt wie­der­ge­ge­be­ne Auf­fas­sung spre­chen die bes­se­ren Ar­gu­men­te.

(1) Dass Wort­laut und Ent­ste­hungs­ge­schich­te so­wie die erklärte Ab­sicht des Ge­setz­ge­bers für die ein­schränken­de Aus­le­gung kei­nen Raum ge­ben, wur­de schon aus­geführt und wird auch von Befürwor­tern der hier ab­ge­lehn­ten Auf­fas­sung bestätigt (vgl. KR-Spil­ger 8. Aufl. § 622 BGB Rn. 214).

(2) Dem­ge­genüber ist es nicht angängig, ne­ben dem Wort­laut und dem zur kon­kre­ten Norm (§ 622 Abs. 4 Satz 1 BGB) deut­lich erklärten Wil­len des Ge­setz­ge­bers noch ein darüber ge­wis­ser­maßen schwe­ben­des Ziel oder Leit­bild der ge­setz­li­chen Ge­samt­re­ge­lung (§ 622 Abs. 2 BGB) zu pos­tu­lie­ren und der­ge­stalt zu berück­sich­ti­gen, dass es den ent­ge­gen­ste­hen­den Wort­laut und den erklärten Wil­len in sein Ge­gen­teil zu ver­keh­ren ge­eig­net sein soll. Letzt­lich ist ein so zu­stan­de ge­kom­me­nes Aus­le­gungs­er­geb­nis dem Vor­wurf aus­ge­setzt, es sei con­tra le­gem ge­won­nen.

(3) Da­ne­ben weist auch die Be­klag­te zu Recht dar­auf hin, dass bei Ta­rif­verträgen in den meis­ten Fällen an­ge­nom­men wer­den kann, ei­ne be­stimm­te Ein­zel­re­ge­lung ste­he im Zu­sam­men­hang ei­nes von annähernd gleich star­ken
 


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Ge­gen­spie­lern aus­ge­han­del­ten Ge­bens und Neh­mens, könne al­so nicht oh­ne Wei­te­res für sich ge­nom­men mit ei­ner et­wa güns­ti­ge­ren ge­setz­li­chen Rechts­la­ge ver­gli­chen wer­den. In­so­weit weist die Be­klag­te auf nicht un­beträcht­li­che Vergütungs­be­stand­tei­le hin, auf die der Kläger oh­ne Gel­tung des Ta­rif­ver­trags kei­nen An­spruch ge­habt hätte.

3. Die von der Re­vi­si­on of­fen­bar ver­tre­te­ne Auf­fas­sung, § 622 Abs. 4 BGB ver­s­toße ge­gen Art. 3 Abs. 1 GG, so­weit die Norm ta­rif­ver­trag­li­che Re­ge­lun­gen des hier in Re­de ste­hen­den In­halts er­lau­be, teilt der Se­nat nicht. Glei­ches gilt, so­weit die Re­vi­si­on nicht die Ver­fas­sungs­wid­rig­keit des § 622 Abs. 4 BGB, son­dern al­lein der ta­rif­ver­trag­li­chen Re­ge­lung selbst gel­tend ma­chen will (vgl. zur Wir­kungs­wei­se der Grund­rech­te im Ta­rif­recht: ErfK/Die­te­rich 8. Aufl. GG Einl. Rn. 20 ff.). Gleichgültig, wie man den von der Re­vi­si­on geführ­ten An­griff ver­steht, schei­tert er je­den­falls dar­an, dass die ta­rif­ver­trag­li­che Re­ge­lung nicht ge­gen Art. 3 Abs. 1 GG verstößt. Eben­so we­nig verstößt die Re­ge­lung ge­gen das aus Art. 12 GG ab­zu­lei­ten­de Un­ter­maßver­bot (vgl. da­zu ErfK/Die­te­rich 8. Aufl. GG Einl. Rn. 36 ff.).


a) Rich­tig ist, dass in den Schutz­be­reich des Art. 3 Abs. 1 GG nicht nur die Un­gleich­be­hand­lung we­sent­lich glei­cher Sach­ver­hal­te fällt, son­dern auch die Gleich­be­hand­lung von we­sent­lich Un­glei­chem (BVerfG 13. Mai 1986 - 1 BvL 55/83 - BVerfGE 72, 141). Es kommt dar­auf an, ob ei­ne Re­ge­lung für ei­nen Teil der Be­trof­fe­nen Un­ter­schie­de von sol­cher Art und sol­chem Ge­wicht zur Fol­ge hätte, dass ihr ge­genüber die gleich­ar­ti­ge Be­hand­lung nicht mehr zu recht­fer­ti­gen wäre (BVerfG 13. Mai 1986 - 1 BvL 55/83 - aaO).


b) Dif­fe­ren­zie­rungs­ge­bo­te hat das Bun­des­ver­fas­sungs­ge­richt ver­schie­dent­lich erörtert, et­wa im Be­reich von Art. 6 GG (20. Sep­tem­ber 2007 - 2 BvR 855/06 - Fam­RZ 2007, 1869; 18. Ju­li 2001 - 1 BvQ 23/01, 1 BvQ 26/01 - BVerfGE 104, 51), des Hoch­schul­rechts (29. Ju­ni 1983 - 2 BvR 720/79, 2 BvR 725/79, 2 BvR 742/79, 2 BvR 1579/79, 2 BvR 1582/79 - BVerfGE 64, 323) und ge­genüber un­ter­schied­li­chen Be­ru­fen (Art. 12 GG, vgl. 18. De­zem­ber 1968 - 1 BvL 5/64, 1 BvL 14/64, 1 BvL 5/65, 1 BvL 11/65, 1 BvL 12/65 - BVerfGE 25, 1). Es hat je­doch, so­weit er­sicht­lich, we­der für den Be­reich des

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Al­ters noch den der Be­triebs­zu­gehörig­keit ei­ne Ver­pflich­tung des Ge­setz­ge­bers zu un­ter­schied­li­chen Re­ge­lun­gen an­ge­nom­men.

c) Im vor­lie­gen­den Fall be­ste­hen hin­rei­chen­de Gründe für die vom Ge­setz ab­wei­chen­de ta­rif­ver­trag­li­che Re­ge­lung der Kündi­gungs­fris­ten.

aa) Zum ei­nen berührt die ta­rif­ver­trag­li­che Re­ge­lung nicht den ma­te­ri­el­len Kündi­gungs­schutz, al­so das Recht der Kündi­gungs­gründe. In­so­weit wer­den auch im Gel­tungs­be­reich der ta­rif­li­chen Re­ge­lung nach wie vor älte­re Ar­beit­neh­mer mit länge­ren Beschäfti­gungs­zei­ten in Be­trie­ben, für die das Kündi­gungs­schutz­ge­setz gilt - al­so auch im Be­trieb des Klägers - durch § 1 Abs. 3 Satz 1 KSchG ge­genüber jünge­ren Ar­beit­neh­mern bes­ser geschützt. Dass sich dies im Fal­le des Klägers nicht aus­wir­ken konn­te, lag dar­an, dass der Kündi­gungs­grund al­le Ar­beit­neh­mer gleichmäßig be­traf, ändert aber nichts dar­an, dass die ta­rif­ver­trag­li­che Re­ge­lung vor dem ge­nann­ten Hin­ter­grund zu se­hen ist.


bb) Zum an­dern knüpft die ta­rif­ver­trag­li­che Be­stim­mung der Kündi­gungs­fris­ten an die Be­triebs­größe an. Sie setzt vor­aus, dass Un­ter­neh­men mit ei­ner ge­rin­ge­ren Be­leg­schafts­zahl ty­pi­scher­wei­se auch ei­ne ge­rin­ge­re Wirt­schafts-kraft auf­wei­sen und we­ni­ger gut in der La­ge sind, et­wa kurz­fris­tig ein­tre­ten­de Auf­trags­ein­brüche auf­zu­fan­gen. Des­halb sol­len sie von den durch die länge­ren Kündi­gungs­fris­ten ver­ur­sach­ten Las­ten be­freit wer­den. Nur für sol­che Klein­be­trie­be ent­fal­len die länge­ren Kündi­gungs­fris­ten für länger beschäftig­te Ar­beit­neh­mer. Der Ge­setz­ge­ber hat, oh­ne dass dies vom Bun­des­ver­fas­sungs­ge­richt be­an­stan­det wor­den wäre, ver­schie­dent­lich Klein­be­trie­be begüns­tigt (vgl. zu § 128 AFG: BVerfG 23. Ja­nu­ar 1990 - 1 BvL 44/86, 1 BvL 48/87 - BVerfGE 81, 156; zum Steu­er­recht: BVerfG 7. No­vem­ber 2006 - 1 BvL 10/02 - BVerfGE 117, 1; vgl. im Übri­gen auch § 622 Abs. 5 BGB) und so­gar den vollständi­gen Weg­fall des ge­setz­li­chen ma­te­ri­el­len Kündi­gungs­schut­zes für Klein­be­trie­be und da­mit ei­ne we­sent­lich mas­si­ve­re Schwächung des so­zia­len Schut­zes für die be­tref­fen­den Ar­beit­neh­mer vor­ge­se­hen. Den­noch hat das Bun­des­ver­fas­sungs­ge­richt die­se Re­ge­lun­gen und § 23 KSchG un­be­an­stan­det ge­las­sen und auch kei­ne Dif­fe­ren­zie­rung bei den Kündi­gungs­fris­ten als ge­bo­ten er­ach­tet
 


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(27. Ja­nu­ar 1998 - 1 BvL 15/87 - BVerfGE 97, 169), son­dern auf den durch §§ 128, 242 BGB ver­mit­tel­ten Schutz in Klein­be­trie­ben hin­ge­wie­sen. Letz­te­rer ist hier in­des nicht be­trof­fen. Dass die Kündi­gung sit­ten- oder treu­wid­rig wäre, ist nicht gel­tend ge­macht.


d) Aus dem Vor­ste­hen­den er­gibt sich zu­gleich, dass die Gründe, die zu der ta­rif­ver­trag­li­chen Re­ge­lung der Kündi­gungs­fris­ten geführt ha­ben, je­den­falls nicht evi­dent un­sach­lich sind. Außer­dem bleibt ein ge­wis­ser, wenn auch ge­rin­ger, durch die ge­genüber der Grund­frist verlänger­te Kündi­gungs­frist ver­mit­tel­ter Schutz er­hal­ten. Ein Ver­s­toß ge­gen Art. 12 GG liegt nicht vor.

4. Auch aus dem Eu­ropäischen Recht lässt sich das vom Kläger an­ge­spro­che­ne Dif­fe­ren­zie­rungs­ge­bot nicht ab­lei­ten. Art. 1 der RL 2000/78/EG (ABl. EG L 303 S. 16) ver­bie­tet im Ge­gen­teil die Un­ter­schei­dung we­gen des Al­ters. Zwar lässt Art. 6 der RL Dif­fe­ren­zie­run­gen aus be­stimm­ten Gründen zu und Art. 7 RL er­laubt spe­zi­fi­sche Maßnah­men zur Ver­hin­de­rung oder zum Aus­gleich von Nach­tei­len, die dis­kri­mi­nier­te Per­so­nen er­lei­den. Dar­aus folgt je­doch kei­ne Pflicht zur Bes­ser­stel­lung aus ei­nem der in Art. 1 RL auf­geführ­ten Dis­kri­mi­nie­rungs­gründe.

II. Die Un­be­gründet­heit des Zah­lungs­an­spruchs folgt aus der Un­be­gründet­heit des Fest­stel­lungs­an­trags.

C. Die Kos­ten der Re­vi­si­on fal­len dem Kläger nach § 97 Abs. 1 ZPO zur Last.

Rost 

Bröhl 

Schmitz-Scho­le­mann

Bartz 

Grim­berg

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