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ArbG Ham­burg, Be­schluss vom 20.01.2009, 21 Ca 235/08

   
Schlagworte: Diskriminierung: Alter, Tarifvertrag: Altersgrenze
   
Gericht: Arbeitsgericht Hamburg
Aktenzeichen: 21 Ca 235/08
Typ: Beschluss
Entscheidungsdatum: 20.01.2009
   
Leitsätze:
Vorinstanzen:
   


Ar­beits­ge­richt Ham­burg

Be­schluss


Geschäfts­zei­chen:
21 Ca 235/08

In dem Rechts­streit

 

 

-Kläge­rin-


Pro­zess­bev.:

Verkündet am:
20. Ja­nu­ar 2009 

ge­gen

 

 

 

 

-Be­klag­te-


Pro­zess­bev.:

 




be­sch­ließt das Ar­beits­ge­richt Ham­burg, 21. Kam­mer,

durch den Rich­ter am Ar­beits­ge­richt St­ein als Vor­sit­zen­den
am 20. Ja­nu­ar 2009

eh­ren­amt­li­cher Rich­ter Herr …

eh­ren­amt­li­cher Rich­ter Herr …

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

2

Be­schluss

1. Das Ar­beits­ge­richt Ham­burg bit­tet den Eu­ropäischen Ge­richt­hof im Rah­men ei­nes Vor­ab­ent­schei­dungs­ver­fah­rens gemäß Ar­ti­kel 234 EG zur Aus­le­gung der Richt­li­nie 2000/78/EG um die Be­ant­wor­tung fol­gen­der Fra­gen:

Fra­ge 1: „Sind nach In­kraft­tre­ten des AGG kol­lek­tiv­recht­li­che Re­ge­lun­gen, die nach dem Merk­mal Al­ter dif­fe­ren­zie­ren, mit dem Ver­bot der Al­ters­dis­kri­mi­nie­rung in Art. 1 und Art. 2 Abs. 1 der „Richt­li­nie 2000/78/EG des Ra­tes zur Fest­le­gung ei­nes all­ge­mei­nen Rah­mens für die Ver­wirk­li­chung der Gleich­be­hand­lung

3

in Beschäfti­gung und Be­ruf vom 27.11.2000“ ver­ein­bar, oh­ne dass das AGG dies (wie früher in § 10 Satz 3 Nr. 7 AGG) aus­drück­lich ge­stat­tet?“

Fra­ge 2: „Verstößt ei­ne in­ner­staat­li­che Re­ge­lung, die dem Staat, den Ta­rif­ver­trags­par­tei­en und den Par­tei­en ei­nes ein­zel­nen Ar­beits­ver­trags er­laubt, ei­ne au­to­ma­ti­sche Be­en­di­gung von Ar­beits­verhält­nis­sen zu ei­nem be­stimm­ten fest­ge­leg­ten Le­bens­al­ter (hier: Voll­endung des 65. Le­bens­jah­res) zu re­geln, ge­gen das Ver­bot der Al­ters­dis­kri­mi­nie­rung in Art. 1 und Art. 2 Abs. 1 der „Richt­li­nie 2000/78/EG des Ra­tes zur Fest­le­gung ei­nes all­ge­mei­nen Rah­mens für die Ver­wirk­li­chung der Gleich­be­hand­lung in Beschäfti­gung und Be­ruf vom 27.11.2000“, wenn in dem Mit­glied­staat seit Jahr­zehn­ten ständig ent­spre­chen­de Klau­seln auf die Ar­beits­verhält­nis­se fast al­ler Ar­beit­neh­mer an­ge­wen­det wer­den, gleichgültig, wie die je­wei­li­ge wirt­schaft­li­che, so­zia­le, de­mo­gra­phi­sche Si­tua­ti­on und die kon­kre­te Ar­beits­markt­la­ge war?“

Fra­ge 3: „Verstößt ein Ta­rif­ver­trag, der es dem Ar­beit­ge­ber er­laubt, Ar­beits­verhält­nis­se zu ei­nem be­stimm­ten fest­ge­leg­ten Le­bens­al­ter (hier: Voll­endung des 65. Le­bens­jah­res) zu be­en­den, ge­gen das Ver­bot der Al­ters­dis­kri­mi­nie­rung in Art. 1 und Art. 2 Abs. 1 der „Richt­li­nie 2000/78/EG des Ra­tes zur Fest­le­gung ei­nes all­ge­mei­nen Rah­mens für die Ver­wirk­li­chung der Gleich­be­hand­lung in Beschäfti­gung und Be­ruf vom 27.11.2000“, wenn in dem Mit­glied­staat seit Jahr­zehn­ten ständig ent­spre­chen­de Klau­seln auf die Ar­beits­verhält­nis­se fast al­ler Ar­beit­neh­mer an­ge­wen­det wer­den, gleichgültig, wie die je­wei­li­ge wirt­schaft­li­che, so­zia­le und de­mo­gra­phi­sche Si­tua­ti­on und die kon­kre­te Ar­beits­markt­la­ge ist?“

Fra­ge 4: „Verstößt der Staat, der der ei­nen Ta­rif­ver­trag, der es dem Ar­beit­ge­ber er­laubt, Ar­beits­verhält­nis­se zu ei­nem be­stimm­ten fest­ge­leg­ten Le­bens­al­ter (hier: Voll­endung des 65. Le­bens­jah­res) zu be­en­den, für all­ge­mein­ver­bind­lich erklärt und die­se All­ge­mein­ver­bind­lich­keit auf­recht erhält, ge­gen das Ver­bot der Al­ters­dis­kri­mi­nie­rung in Art. 1 und Art. 2 Abs. 1 der „Richt­li­nie 2000/78/EG des Ra­tes zur Fest­le­gung ei­nes all­ge­mei­nen Rah­mens für die Ver­wirk­li­chung der Gleich­be­hand­lung in Beschäfti­gung und Be­ruf vom 27.11.2000“, wenn dies un­abhängig von der je­weils kon­kre­ten wirt­schaft­li­chen, so­zia­len und de­mo­gra­phi­schen Si­tua­ti­on und un­abhängig von der kon­kre­ten Ar­beits­markt­la­ge er­folgt?“

2. Der Rechts­streit wird bis zum Ab­schluss des Vor­ab­ent­schei­dungs­ver­fah­rens an den EuGH aus­ge­setzt.


Gründe

1. Der vom Ar­beits­ge­richt Ham­burg zu ent­schei­den­de Rechts­streit der Frau G.R. ge­gen die Fir­ma O. GmbH dreht sich um die Fra­ge, ob ein Ta­rif­ver­trag wirk­sam ist, der die Be­en­di­gung des Ar­beits­verhält­nis­ses we­gen des Er­rei­chens des 65. Le­bens­jah­res vor­sieht.

2. In der Bun­des­re­pu­blik Deutsch­land ist es weit ver­brei­tet, dass die Ta­rif­ver­trags­par­tei­en den ge­setz­li­chen Kündi­gungs­schutz mo­di­fi­zie­ren. Das be­trifft die Kündi­gungs­fris­ten, in vie­len Ta­rif­verträgen exis­tie­ren aber auch Se­nio­ritäts­re­ge­lun­gen 1.

In ei­ni­gen Ta­rif­be­rei­chen be­ste­hen kei­ne oder nur be­grenzt ei­genständi­ge kündi­gungs­schutz­recht­li­che Re­ge­lun­gen, statt­des­sen wird auf die ge­setz­li­chen Be­stim­mun­gen ver­wie­sen 2. In an­de­ren Be­rei­chen wer­den die ge­setz­li­chen Re­ge­lun­gen in die Ta­rif­verträge über­nom­men 3.

In der Re­gel wer­den ne­ben der Grundkündi­gungs­frist wei­te­re Stu­fen de­fi­niert. Die Zahl der zusätz­li­chen Ab­stu­fun­gen reicht von drei 4 bis zu acht 5. In der Mehr­zahl der Fälle folgt die Ab­stu­fung der Kündi­gungs­fris­ten der Dau­er der Be­triebs­zu­gehörig­keit. In der höchs­ten Stu­fe va­ri­iert die Zahl der er­for­der­li­chen Jah­re der Be­triebs­zu­gehörig­keit in der Re­gel zwi­schen 12 und 20. Die Kündi­gungs­fris­ten er­rei­chen in die­ser obers­ten Stu­fe zwi­schen 6 Wo­chen zum Wo­chen­en­de und 12 Mo­na­te zum Quar­tals­en­de 7.

Ge­le­gent­lich ist die Kündi­gungs­frist an ei­ne Kom­bi­na­ti­on aus Le­bens­al­ter und Be­triebs­zu­gehörig­keit ge­knüpft. So beträgt in der che­mi­schen In­dus­trie die ma­xi­ma­le Kündi­gungs­frist 6 Mo­na­te zum Quar­tals­en­de, wenn die Sum­me aus Le­bens- und Un­ter-neh­mens­zu­gehörig­keits­jah­ren min­des­tens 75 er­gibt.

Zusätz­lich zu den verlänger­ten Kündi­gungs­fris­ten wird in vie­len Ta­rif­verträgen ein be­son­de­rer Kündi­gungs­schutz ver­ein­bart. Er sieht zu­meist vor, dass bei Er­rei­chen ei­nes be­stimm­ten Le­bens­al­ters und ei­ner be­stimm­ten Be­triebs­zu­gehörig­keit ei­ne or­dent­li­che

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1 Ei­ne Re­ge­lung, die nach dem Merk­mal „Al­ter“ dif­fe­ren­ziert, wird im Fol­gen­den als „Se­nio­ritäts­re­ge­lung“ be­zeich­net.
2 Da­zu gehören: Be­klei­dungs­in­dus­trie Bay­ern, Tex­til­in­dus­trie Ba­den-Würt­tem­berg, Pa­pier ver­ar­bei­ten­de In­dus­trie West­fa­len, Holz und Kunst­stoff ver­ar­bei­ten­de In­dus­trie Sach­sen, pri­va­tes Ver­kehrs­ge­wer­be NRW.
3 z.B. im Kfz-Ge­wer­be NRW.
4 z. B. baye­ri­sche Land­wirt­schaft.
5 z. B. che­mi­sche In­dus­trie, Süßwa­ren­in­dus­trie West.
6 Tex­til­in­dus­trie Ba­den-Würt­tem­berg.
7 Land­wirt­schaft Bay­ern.

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Kündi­gung aus­ge­schlos­sen wird bzw. nur noch aus „wich­ti­gem Grund“ gekündigt wer­den kann.

3. In der Bun­des­re­pu­blik Deutsch­land en­den die meis­ten Ar­beits­verhält­nis­se vor dem Er­rei­chen der so­zi­al­ver­si­che­rungs­recht­li­chen Re­gel­al­ter­gren­ze. Die Quo­te der Er­werbstäti­gen bei den 55- bis 64-jähri­gen liegt bei le­dig­lich 41,4 % 8.

Die­je­ni­gen Ar­beit­neh­mer, de­ren Ar­beits­verhält­nis­se nicht vor dem Er­rei­chen der so­zi­al­ver­si­che­rungs­recht­li­chen Re­gel­al­ter­gren­ze en­den, schei­den in den al­ler­meis­ten Fällen mit dem Er­rei­chen 65. Le­bens­jahrs aus. Grund­la­ge dafür sind weit ver­brei­te­te ein­zel­ver­trag­li­che, ta­rif­li­che und ge­setz­li­che Nor­men. Die­se Nor­men wur­den und wer­den - so­weit er­kenn­bar - un­abhängig von der je­wei­li­gen, wirt­schaft­li­chen, so­zia­len und de­mo­gra­phi­schen Si­tua­ti­on und un­abhängig von der kon­kre­ten Ar­beits­markt­la­ge ver­ein­bart bzw. er­las­sen.

5. Die Be­klag­te be­fasst sich mit Gebäuderei­ni­gung. Im Gebäuderei­ni­gungs­ge­wer­be wer­den über­durch­schnitt­lich vie­le Frau­en und über­durch­schnitt­li­che vie­le Teil­zeit­kräfte beschäftigt. Mi­ni-Jobs sind ver­brei­tet. In der Fir­ma der Be­klag­ten sind meh­re­re Beschäftig­te tätig, die älter als 65 und auch älter als 70 sind.

Die Kläge­rin wur­de 1943 ge­bo­ren. Sie ist ver­hei­ra­tet und hat ei­nen schwer­be­hin­der­ten Sohn. Der Grad der Be­hin­de­rung des Soh­nes beträgt 100. Ihr Ehe­mann ist Rent­ner.

Die Kläge­rin rei­nigt seit 39 Jah­ren in der C.-Ka­ser­ne der Führungs­aka­de­mie der Bun­des­wehr in HB, da­von seit 14 Jah­ren für die Be­klag­te.

Seit dem 1.11.1994 stellt sie ih­re Ar­beits­kraft der Be­klag­ten zur Verfügung. Ein­zel­hei­ten des Ar­beits­verhält­nis­ses re­gelt ein Ver­trag vom 10.10.1994 (Bl. 9 d.A.). Die Ein­stel­lung der Kläge­rin er­folg­te da­nach als „Raum­pfle­ge­rin in der Ka­ser­ne“. Die Ar­beits­zeit beträgt täglich 2 St­un­den, wöchent­lich 10 St­un­den. Die Be­klag­te zahl­te der Kläge­rin, die nicht Mit­glied ei­ner Ge­werk­schaft ist, Ar­beits­vergütung i.H.v. zu­letzt € 307,48 brut­to.

Im Ar­beits­ver­trag heißt es u.a.:

C All­ge­mei­nes

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8 Bun­des­ar­beits­blatt 2006, 21.

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„Die maßgeb­li­chen Ta­rif­verträge für das Gebäuderei­ni­ger-Hand­werk in ih­rer letz­ten Fas­sung so­wie in die be­son­de­ren Ver­ein­ba­run­gen, wie auf der Rück­sei­te die­ses Ver­trags­vor­dru­ckes ab­ge­druckt, sind Be­stand­teil die­ses Ar­beits­ver­tra­ges.

Der Ar­beit­neh­mer wird aus­drück­lich dar­auf hin­ge­wie­sen, dass die Rich­tig­keit der von ihm ge­mach­ten An­ga­ben Vor­aus­set­zung für die Gültig­keit des Ar­beits­ver­tra­ges ist. Soll­ten ei­ne oder meh­re­re Be­stim­mun­gen die­ser Ver­ein­ba­rung im Streit­fal­le an­ge­foch­ten wer­den und even­tu­ell nicht gültig sein, so wird die Gültig­keit der übri­gen Be­stim­mun­gen da­durch nicht berührt. Ände­run­gen des Ar­beits­ver­tra­ges bedürfen der Schrift­form.

D Zusätz­li­che Ver­ein­ba­run­gen
./.

§ 19 des Rah­men­ta­rif­ver­trags für die ge­werb­li­chen Beschäftig­ten in der Gebäuderei­ni­gung 9 lau­tet:

So­fern ein­zel­ver­trag­lich nicht an­de­res ver­ein­bart ist, en­det das Ar­beits­verhält­nis mit Ab­lauf des Ka­len­der­mo­nats, in dem der/die Beschäftig­te An­spruch auf ei­ne Ren­te we­gen al­ters hat, … spätes­tens mit Ab­lauf des Mo­nats, in dem der/die Beschäftig­te das 65. Le­bens­jahr voll­ende hat.

Die­ser Ta­rif­ver­trag ist zu­letzt vor In­kraft­tre­ten des All­ge­mei­nen Gleich­be­hand­lungs­ge­set­zes 10, nämlich mit Wir­kung ab 1.1.2004, durch das Bun­des­mi­nis­te­ri­um für Ar­beit und So­zia­les für all­ge­mein­ver­bind­lich erklärt wor­den. Mit oder nach In­kraft­tre­ten des AGG ist dar­an nichts gerändert wor­den.

Die in Re­de ste­hen­de Re­ge­lung des RTV ist alt. Sie taucht erst­mals im RTV vom 8.5.1987 (all­ge­mein­ver­bind­lich seit dem 1.1.1987) auf (Bl. 91 d.A.) und blieb bis heu­te un­verändert, wo­bei erst­mals im Au­gust 1987 mit „65“ auf ein kon­kre­tes Al­ter ab­ge­stellt wur­de.

Der Rah­men­ta­rif­ver­trag für die ge­werb­li­chen Ar­beit­neh­mer im Gebäuderei­ni­ger­hand­werk wur­de auf Ar­beit­ge­ber­sei­te von dem Bun­des­in­nungs­ver­band des Gebäuderei­ni­ger-Hand­werks und auf Ge­werk­schafts­sei­te von der In­dus­trie­ge­werk­schaft Bau­en-Agrar-Um­welt ge­schlos­sen.

Das Ar­beits­ge­richt Ham­burg hat bei den Ta­rif­ver­trags­par­tei­en amt­li­che Auskünf­te zu den Mo­ti­ven, die der Ver­ein­ba­rung von § 19 RTV zu Grun­de la­gen, ein­ge­holt. Der Ar­beit­ge­ber­ver­band hat

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9 Im Fol­gen­den: RTV.

10 Im Fol­gen­den: AGG.

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mit­ge­teilt, dass § 19 RTV das Er­geb­nis ei­ner In­ter­es­sen­abwägung an ei­ner Fort­set­zung des Ar­beits­verhält­nis­ses auf Ar­beit­neh­mer­sei­te und ei­nem Be­en­di­gungs­in­ter­es­se auf Ar­beit­ge­ber­sei­te dar­stel­le. In § 19 RTV wer­de der Vor­rang ei­ner sach­ge­rech­ten und be­re­chen­ba­ren Per­so­nal- und Nach­wuchs­pla­nung vor dem Be­stands­schutz­in­ter­es­se des Ar­beit­neh­mers aus­ge­drückt. Die Ta­rif­ver­trags­par­tei­en hätten grundsätz­lich bei je­der Neu­ver­hand­lung des Rah­men­ta­rif­ver­trag die ein­zel­nen Nor­men an­hand der so­zi­al­po­li­ti­schen, wirt­schaft­li­chen, so­zia­len, de­mo­gra­phi­schen und ar­beits­markt­po­li­ti­schen Verhält­nis­se dar­auf­hin über­prüft, ob und in wie­weit ei­ne Ände­rung er­for­der­lich sein könn­te (Schrei­ben vom 30.10.2008, Blatt 57 ff. der Ak­te). Die In­dus­trie­ge­werk­schaft Bau­en-Agrar-Um­welt hat sich zu den Mo­ti­ven für die Re­ge­lung des § 19 RTV nicht geäußert (Schrei­ben vom 08.12.2008, Blatt 74 d.A.).

Das Bun­des­mi­nis­te­ri­um für Ar­beit und So­zi­al­ord­nung hat auf die Bit­te des Ge­richts, sich zu den Mo­ti­ven für die All­ge­mein­ver­bind­lich­keits­erklärung von § 19 RTV zu äußern, nicht re­agiert.

Mit Schrei­ben vom 14.5.2008 teil­te die Be­klag­te der Kläge­rin mit, dass ihr Ar­beits­verhält­nis mit Ab­lauf des Ka­len­der­mo­na­tes, in wel­chem sie An­spruch auf die ge­setz­li­che Al­ters­ren­te bzw. das 65. Le­bens­jahr voll­endet hat, en­de. Dies sei der 31.5.2008 (Bl. 5 d.A.).

Mit Schrei­ben vom 18.5.2008 wi­der­sprach die Kläge­rin der Be­en­di­gung des Ar­beits­verhält­nis­ses (Bl. 6 d.A.). Sie teil­te mit, dass sie wei­ter­hin ar­bei­ten wol­le und bot ih­re Ar­beits­kraft er­neut an.

Seit dem 1.6.2008 beschäftigt die Be­klag­te die Kläge­rin nicht mehr, bot ihr aber ein Pro­zess­ar­beits­verhält­nis an.

Die Ren­te der Kläge­rin aus der ge­setz­li­chen Al­ters­ver­sor­gung beträgt ab 1.6.2008 mo­nat­lich € 253,19 brut­to ent­spre­chend € 228,26 net­to.

Mit ih­rer am 28.5.2008 vor dem Ar­beits­ge­richt Ham­burg er­ho­be­nen Kla­ge macht die Kläge­rin gel­tend, dass ihr Ar­beits­verhält­nis mit der Be­klag­ten fort­be­ste­he. Fer­ner be­gehrt sie Wei­ter­beschäfti­gung und Zah­lung von € 1.229,82 brut­to. Die Kla­ge wur­de der Be­klag­ten am 2.6.2008 zu­ge­stellt.

Nach Auf­fas­sung der Kläge­rin be­steht ihr Ar­beits­verhält­nis un­verändert über den 31.05.2008 hin­aus fort. Des­halb stünden ihr auch Ent­gelt­ansprüche für die Mo­na­te Ju­ni bis Sep­tem­ber 2008 zu.

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Die Kläge­rin ist der Auf­fas­sung, dass Be­fris­tun­gen auf die Al­ters­gren­ze 65 ge­ne­rell nach EG-Recht un­zulässig sei. Je­den­falls aber sei die Be­fris­tung in Fällen wie dem vor­lie­gen­den nach EG-Recht und AGG in EG-kon­for­mer Aus­le­gung un­zulässig

Die Kläge­rin trägt vor, dass sie ih­re Ar­beit ganz nor­mal hätte wei­ter ver­rich­ten können. Auch in der Zeit seit März 2008 sei­en ent­spre­chen­de Stel­len zu be­set­zen ge­we­sen bzw. es sei­en wei­te­re Beschäftig­te für die C.-Ka­ser­ne ge­sucht wor­den.

Auf § 10 Zif­fer 5 AGG könne die Be­en­di­gung des Ar­beits­verhält­nis­ses nicht gestützt wer­den. Die ge­setz­lich vor­ge­se­he­ne Zwangs­pen­sio­nie­rung mit 65 (bzw. jetzt ge­staf­felt nach Al­ter bis zum End­er­geb­nis 67 ab dem Ge­burts­jahr­gang 1964) ver­s­toße ge­gen EG-Recht, nämlich ge­gen die dem Ver­bot der Al­ters­dis­kri­mi­nie­rung zu­grun­de lie­gen­de „Richt­li­nie 2000/78/EG vom 27.11.2000 zur Fest­le­gung ei­nes all­ge­mei­nen Rah­mens für die Ver­wirk­li­chung der Gleich­be­hand­lung in Beschäfti­gung und Be­ruf“. Wort­laut und his­to­ri­sche Ent­wick­lung der Richt­li­nie 2000/78/EG stünden ei­ner Zwangs­pen­sio­nie­rung mit 65 ent­ge­gen.

Ei­ne pau­schal ge­setz­te Al­ters­gren­ze zum zwangs­wei­se Aus­schei­den aus dem Er­werbs­le­ben könne nicht un­ter Art. 6 RL 2000/78/EG fal­len, son­dern nur in spe­zi­el­len Fällen als we­sent­li­che und ent­schei­den­de An­for­de­rung nach Art. 4 Abs. 1 RL 2000/78/EG ge­recht­fer­tigt wer­den. Ins­be­son­de­re er­lau­be auch Zif­fer 14 der Be­gründungs­erwägun­gen der Richt­li­nie 2000/78/EG kei­ne star­re Al­ters­gren­ze. In Zif­fer 14 ist be­stimmt, dass die Richt­li­nie „nicht die ein­zel­staat­li­chen Be­stim­mun­gen über die Fest­set­zung der Al­ters­gren­zen für den Ein­tritt in den Ru­he­stand berührt“. Die­se Aus­sa­ge be­zie­he sich aus­sch­ließlich auf die ge­setz­li­chen Sys­te­me der so­zia­len Si­cher­heit, al­so die so­zi­al­ver­si­che­rungs­recht­li­che Kom­po­nen­te. Zu­dem könne selbst bei ei­ner ar­beits­recht­li­chen Ziel­rich­tung ei­ne Be­gründungs­erwägung wie die der Zif­fer 14 nicht den sach­li­chen Gel­tungs­be­reich ei­ner Richt­li­nie be­tref­fen. Sinn und Zweck der Be­gründungs­erwägun­gen sei le­dig­lich die Be­gründung der Richt­li­nie, nicht aber die Auf­stel­lung neu­er Re­ge­lungs­be­rei­che un­abhängig vom In­halt und Wort­laut der ei­gent­li­chen Richt­li­ni­en­re­ge­lun­gen. Es sei dem­nach zu kon­sta­tie­ren, dass Wort­laut und Sinn der RL 2000/78/EG die star­re Al­ters­gren­ze als Zwangs­be­en­di­gung nicht ab­de­cke. § 10 Zif­fer 5 AGG sei EG-wid­rig. Der deut­sche Ge­setz­ge­ber ha­be mit der Zu­las­sung der Fest­le­gung ei­ner Al­ters­gren­ze die Richt­li­nie un­zulässig um­ge­setzt.

Selbst wenn man es mit der Ent­schei­dung des EuGH in Sa­chen Pa­la­ci­os zulässig er­ach­te, dass auch nach EG-Recht Al­ters­gren­zen un­ter Umständen fest­ge­schrie­ben wer­den können, so sei­en die da­zu not­wen­di­gen Vor­aus­set­zun­gen im vor­lie­gen­den Fall nicht erfüllt.

Die Kläge­rin be­an­tragt,

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1. fest­zu­stel­len, dass das Ar­beits­verhält­nis zwi­schen den Par­tei­en nicht mit Ab­lauf des 31.05.2008 be­en­det wor­den ist, son­dern un­verändert fort­be­steht;

2. die Be­klag­te zu ver­ur­tei­len, die Kläge­rin zu un­veränder­ten Ar­beits­be­din­gun­gen am Ar­beits­ort C.-Ka­ser­ne wei­ter­zu­beschäfti­gen;

3. die Be­klag­te zu ver­ur­tei­len, an die Kläge­rin € 1.229,92 brut­to zu zah­len, nebst 5 Pro­zent­punk­ten Zin­sen p.a. auf € 307,48 seit dem 01.07.2008, auf € 307,48 seit dem 01.08.2008, auf € 307,48 seit dem 01.09.2008 und auf € 307,48 seit dem 01.10.2008.

die Be­klag­te be­an­tragt,

die Kla­ge ab­zu­wei­sen.

Die Be­klag­te ver­tritt die An­sicht, die Kläge­rin kei­nes­wegs we­gen ih­res Al­ters zu dis­kri­mi­nie­ren. Die Be­fris­tung sei gemäß § 14 Abs. 1 Teil­zeit- und Be­fris­tungs­ge­setz 11 wirk­sam. Die Be­klag­te be­zieht sich hier­zu vor al­lem auf die Recht­spre­chung des Bun­des­ar­beits­ge­richts und hier ins­be­son­de­re auf ein Ur­teil vom 18.6.2008 12 . In die­ser Ent­schei­dung hat das Bun­des­ar­beits­ge­richt die Auf­fas­sung ver­tre­ten, dass die Se­nio­ritäts­re­ge­lung des § 19 RTV durch beschäfti­gungs- und ar­beits­markt­po­li­ti­sche Gründe im Sin­ne des § 10 Nr. 5 AGG ge­recht­fer­tigt sei. Die Re­ge­lung sei auch als an­ge­mes­sen und er­for­der­lich im Sin­ne von Art. 6 Abs. 1 RL 2000/78/EG an­zu­se­hen.

Die Ar­beits­lo­sig­keit sei in der Bun­des­re­pu­blik Deutsch­land bei ge­ring qua­li­fi­zier­ten über­durch­schnitt­lich hoch. Die Be­klag­te ver­weist auf ei­ne An­la­ge B 1, aus der sich er­gibt, dass die Ar­beits­lo­sig­keit bei ge­ring Qua­li­fi­zier­ten in Deutsch­land 2005 bei 20,1% lag. Die sich aus § 19 RTV er­ge­ben­de Be­fris­tung ermögli­che die Schaf­fung neu­er Ar­beitsplätze für ge­ring Qua­li­fi­zier­te.

Die Be­klag­te trägt vor, dass im Um­feld der ehe­ma­li­gen Beschäfti­gung der Kläge­rin ei­ne jun­ge Frau ein­ge­stellt wor­den sei. Darüber hin­aus ha­be ei­ne zu 100% schwer­be­hin­der­te jun­ge Frau die von ihr ge­ar­bei­te­ten St­un­den auf­sto­cken können. Zu be­ach­ten sei auch, dass die Kläge­rin ca. 80% ih­res Net­to­ein­kom­mens durch den Ren­ten­ein­tritt er­hal­te.

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11 Im Fol­gen­den: Tz­B­fG.
12 BAG 18.6.2008 – 7 AZR 116/07, NZA 2008, 1302.

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Die Kläge­rin ha­be durch ih­re Beschäfti­gung mit ei­nem Mi­ni Job zum Aus­druck ge­bracht, dass sie kei­ne wei­te­ren ge­setz­li­chen Ren­ten­an­wart­schaf­ten er­wer­ben wol­le, wo­zu sie die Möglich­keit ge­habt hätte.

Ver­zugs­lohn ste­he ihr nicht zu, da sie ih­re Ar­beit im Rah­men ei­nes Pro­zess­ar­beits­verhält­nis­ses nicht auf­ge­nom­men ha­be. Die Be­klag­te sei be­reit ge­we­sen, die Kläge­rin un­ter Fort­zah­lung der bis­he­ri­gen Ar­beits­vergütung in ei­nem ge­rin­ge­ren Um­fang wei­ter zu beschäfti­gen. Hier­zu ver­weist sie auf ihr Schrei­ben vom 25.07.2008 an die Kläge­rin (An­la­ge B 3, Bl. 43 d.A.).

Die Kläge­rin tritt dem wie folgt ent­ge­gen: Sie be­tont, dass sie den Mi­ni-Job an­ge­nom­men ha­be, weil sie auf­grund ih­res schwer­be­hin­der­ten Soh­nes sehr viel Zeit für Pfle­ge­leis­tun­gen auf­brin­gen müsse. Die ge­rin­ge Al­ters­ren­te, die durch ih­re kon­kre­te Le­bens­si­tua­ti­on be­dingt sei, zwin­ge sie, wei­ter be­ruf­lich tätig zu sein.

Auch all­ge­mein ge­se­hen führe ei­ne Zwangs­be­en­di­gung mit 65 in der Bran­che Gebäuderei­ni­gung in weit mehr Fällen als in an­de­ren Be­rei­chen zu ei­nem nicht zum Le­bens­un­ter­halt aus­rei­chen­dem Ren­ten­ein­kom­men, da der Gebäuderei­ni­gungs­ta­rif­ver­trag ei­ne Bran­che er­fas­se, in der in ex­tre­men Maße mit Beschäftig­ten sehr ge­rin­ger St­un­den­zahl bei zu­dem sehr ge­rin­gem Ein­kom­men ge­ar­bei­tet wer­de.

6. Zur Lösung des Rechts­streits ist das Ar­beits­ge­richt Ham­burg auf die Be­ant­wor­tung der ein­gangs ge­stell­ten Fra­gen an­ge­wie­sen.

Die im For­mu­lar­ar­beits­ver­trag ver­ein­bar­te In­be­zug­nah­me der Gebäuderei­ni­ger­ta­rif­verträge er­scheint un­wirk­sam. Ers­tens ist die Klau­sel kaum les­bar, weil sie ex­trem klein­ge­schrie­ben ist. Zwei­tens er­scheint sie nicht un­ter der Über­schrift „D Zusätz­li­che Ver­ein­ba­run­gen“, son­dern un­ter „C All­ge­mei­nes“. Drit­tens ist der Zu­sam­men­hang ver­wir­rend, denn un­ter „C All­ge­mei­nes“ wer­den so un­ter­schied­li­che Ma­te­ri­en wie die In­be­zug­nah­me von Ta­rif­verträgen, die Rich­tig­keit der An­ga­ben des Ar­beit­neh­mers als Vor­aus­set­zung für die Gültig­keit des Ar­beits­ver­tra­ges, fer­ner Teil­nich­tig­keit und schließlich Schrift­form ge­re­gelt. Es kommt des­halb dar­auf an, ob die All­ge­mein­ver­bind­lich­keits­erklärung des Rah­men­ta­rif­ver­tra­ges durch das Bun­des­mi­nis­te­ri­um für Ar­beit und So­zi­al­ord­nung wirk­sam ist.

Das Ar­beits­ge­richt Ham­burg hat Zwei­fel, ob für den Streit­fall der Ent­schei­dung des Bun­des­ar­beits­ge­richts vom 18.06.2008 13 ge­folgt wer­den kann. Dies gilt ins­be­son­de­re auch

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13 BAG 18.6.2008 – 7 AZR 116/07, NZA 2008, 1302 -1309.

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im Hin­blick dar­auf, dass mitt­ler­wei­le das AGG in Kraft ge­tre­ten ist. Das Bun­des­ar­beits­ge­richt hat sich am 18.06.2008 mit ei­nem Fall aus der Zeit vor In­kraft­tre­ten des AGG be­fasst und äußer­te sich ausführ­lich auch zur Fra­ge, ob § 19 RTV mit den eu­ro­pa­recht­li­chen Vor­ga­ben ver­ein­bar ist. Es be­jah­te dies und führ­te hier­zu im We­sent­li­chen aus:

28 IV. Die Vor­ga­ben des Ge­mein­schafts­rechts ge­bie­ten kei­ne an­de­re Be­ur­tei­lung. Zwar kann ei­ne auf die Voll­endung des Re­gel­ren­ten­al­ters be­zo­ge­ne ta­rif­li­che Al­ters­gren­zen­re­ge­lung dann kei­nen Be­stand ha­ben, wenn sie den be­trof­fe­nen Ar­beit­neh­mer dis­kri­mi­niert oder ihn dem all­ge­mei­nen Gleich­be­hand­lungs­ge­bot zu­wi­der be­nach­tei­ligt (zu ver­trag­li­chen Al­ters­gren­zen: BAG 19. No­vem­ber 2003 - 7 AZR 296/03 - BA­GE 109, 6 = AP Tz­B­fG § 17 Nr. 3 = EzA BGB 2002 § 620 Al­ters­gren­ze Nr. 4, zu II 2 d bb der Gründe) . Ent­ge­gen der Auf­fas­sung der Re­vi­si­on wird die Kläge­rin durch die in § 19 Nr. 8 RTV 2003 ent­hal­te­ne Al­ters­gren­ze nicht we­gen ih­res Le­bens­al­ters un­ge­recht­fer­tigt be­nach­tei­ligt. Es kann da­hin­ste­hen, ob die vor Ab­lauf der Um­set­zungs­frist für die Richt­li­nie 2000/78/EG des Ra­tes vom 27. No­vem­ber 2000 zur Fest­le­gung ei­nes all­ge­mei­nen Rah­mens für die Ver­wirk­li­chung der Gleich­be­hand­lung in Beschäfti­gung und Be­ruf - RL 2000/78/EG - (ABl. EG Nr. L 303 S. 16 B) am 2. De­zem­ber 2006 für all­ge­mein­ver­bind­lich erklärte Re­ge­lung in § 19 Nr. 8 RTV 2003 über­haupt dem An­wen­dungs­be­reich des Ge­mein­schafts­rechts un­terfällt und sich ih­re Wirk­sam­keit nach dem von dem Eu­ropäischen Ge­richts­hof in sei­ner Ent­schei­dung in der Rechts­sa­che Man­gold (EuGH 22. No­vem­ber 2005 - C-144/04 [Man­gold] - Eu­GHE I 2005, 9981 = AP Richt­li­nie 2000/78/EG Nr. 1 = EzA Tz­B­fG § 14 Nr. 21) her­an­ge­zo­ge­nen primärrecht­li­chen Grund­satz der Gleich­be­hand­lung in Beschäfti­gung und Be­ruf oder nach den für die Vor­wir­kung von Richt­li­ni­en gel­ten­den Grundsätzen be­ur­teilt. Die ta­rif­li­che Al­ters­gren­zen­re­ge­lung genügt so­wohl dem primärrecht­li­chen Prüfungs­maßstab als auch den Vor­ga­ben der RL 2000/78/EG. Die in § 19 Nr. 8 RTV 2003 ent­hal­te­ne Al­ters­gren­ze führt zwar zu ei­ner Un­gleich­be­hand­lung auf Grund des Al­ters. Die un­ter­schied­li­che Be­hand­lung zwi­schen Ar­beit­neh­mern, die ein be­stimm­tes Le­bens­al­ter er­reicht ha­ben und an­de­ren Ar­beit­neh­mern ist aber durch le­gi­ti­me Zie­le iSd. Art. 6 Abs. 1 der RL 2000/78/EG ge­recht­fer­tigt. Die Al­ters­gren­ze in § 19 Nr. 8 RTV 2003 dient zu­min­dest auch all­ge­mei­nen beschäfti­gungs- und ar­beits­markt­po­li­ti­schen Zie­len. Die Nach­tei­le, die die von der Be­en­di­gung ih­res Ar­beits­verhält­nis­ses be­trof­fe­nen Ar­beit­neh­mer durch die Al­ters­gren­ze er­fah­ren, sind ge­genüber der da­durch be­wirk­ten Förde­rung der Beschäfti­gungs­po­li­tik und der Ent­las­tung des Ar­beits­markts als an­ge­mes­sen und er­for­der­lich iSd. Art. 6 Abs. 1 RL 2000/78/EG an­zu­se­hen.

29 1. Nach der Recht­spre­chung des Eu­ropäischen Ge­richts­hofs stel­len Al­ters­gren­zen, die wie § 19 Nr. 8 RTV 2003 auf ein be­stimm­tes Le­bens­al­ter bei der Be­en­di­gung des

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Ar­beits­verhält­nis­ses ab­stel­len, ei­ne auf dem Merk­mal des Al­ters be­ru­hen­de Un­gleich­be­hand­lung der hier­von be­trof­fe­nen Ar­beit­neh­mer dar. Zur Be­gründung hat der Ge­richts­hof dar­auf hin­ge­wie­sen, dass das Er­rei­chen des in ei­ner der­ar­ti­gen Re­ge­lung für den Ein­tritt in den Ru­he­stand fest­ge­setz­ten Al­ters au­to­ma­tisch zur Auflösung des Ar­beits­ver­trags führt, wes­halb die Ar­beit­neh­mer, die die­ses Al­ter er­reicht ha­ben, un­mit­tel­bar ei­ne we­ni­ger güns­ti­ge Be­hand­lung er­fah­ren als al­le an­de­ren Er­werbstäti­gen. Ei­ne sol­che Re­ge­lung führe da­her zu ei­ner un­mit­tel­bar auf dem Al­ter be­ru­hen­den Un­gleich­be­hand­lung bei den Ent­las­sungs­be­din­gun­gen im Sin­ne von Art. 2 Abs. 1 und Abs. 2 Buchst. a, Art. 3 Abs. 1 Buchst. c RL 2000/78/EG (EuGH 16. Ok­to­ber 2007 - C-411/05 [Pa­la­ci­os de la Vil­la] - Rn. 51, EzA Richt­li­nie 2000/78 EG-Ver­trag 1999 Nr. 3) .

30 2. Die durch § 19 Nr. 8 RTV 2008 be­wirk­te Un­gleich­be­hand­lung we­gen des Le­bens­al­ters ist durch beschäfti­gungs- und ar­beits­markt­po­li­ti­sche Gründe iSd. Art. 6 Abs. 1 Un­terabs. 1 RL 2000/78/EG ge­recht­fer­tigt.

31 a) Nach Art. 6 Abs. 1 RL 2000/78/EG stel­len Un­gleich­be­hand­lun­gen we­gen des Al­ters kei­ne nach Art. 2 RL 2000/78/EG ver­bo­te­ne Dis­kri­mi­nie­rung dar, so­fern sie ob­jek­tiv und an­ge­mes­sen sind und im Rah­men des na­tio­na­len Rechts durch ein le­gi­ti­mes Ziel ge­recht­fer­tigt sind und die Mit­tel zur Er­rei­chung die­ses Ziels an­ge­mes­sen und er­for­der­lich sind. Art. 6 Abs. 1 Un­terabs. 2 RL 2000/78/EG führt meh­re­re Bei­spie­le für die Recht­fer­ti­gung von Un­gleich­be­hand­lun­gen an, die die in Un­terabs. 1 ge­nann­ten Merk­ma­le auf­wei­sen und dem­zu­fol­ge mit den Er­for­der­nis­sen des Ge­mein­schafts­rechts ver­ein­bar sind. Die Be­en­di­gung des Ar­beits­verhält­nis­ses auf Grund ei­ner auf das Er­rei­chen des Re­gel­ren­ten­al­ters ab­stel­len­den Al­ters­gren­ze zählt nicht zu den in Un­terabs. 2 ge­nann­ten Bei­spie­len. Als ein nach Art. 6 Abs. 1 Un­terabs. 1 RL 2000/78/EG ob­jek­ti­ves und an­ge­mes­se­nes le­gi­ti­mes Ziel, das die Mit­glieds­staa­ten bei der Um­set­zung der Richt­li­nie auf Grund des ih­nen zu­ste­hen­den Re­ge­lungs­er­mes­sens ver­fol­gen können und des­sen Rechtmäßig­keit nicht ernst­haft in Zwei­fel ge­zo­gen wer­den kann, hat der Eu­ropäische Ge­richts­hof je­doch Zie­le aus den Be­rei­chen Beschäfti­gungs­po­li­tik und Ar­beits­markt an­er­kannt, wenn hier­durch ua. die Ar­beits­lo­sig­keit ein­gedämmt wer­den soll (EuGH 16. Ok­to­ber 2007 - C-411/05 [Pa­la­ci­os de la Vil­la] - Rn. 62, 66, EzA Richt­li­nie 2000/78 EG-Ver­trag 1999 Nr. 3) . So sind beschäfti­gungsfördern­de Re­ge­lun­gen zu Guns­ten von Per­so­nen zulässig, die ei­ne Beschäfti­gung auf dem Ar­beits­markt su­chen (EuGH 16. Ok­to­ber 2007 - C-411/05 [Pa­la­ci­os de la Vil­la] - Rn. 60, aaO) . Zur Be­gründung hat der Eu­ropäische Ge­richts­hof dar­auf hin­ge­wie­sen, dass die Beschäfti­gungs­po­li­tik so­wie die Ar­beits­markt­la­ge zu den Zie­len gehören, die in Art. 6 Abs. 1 Un­terabs. 1 RL 2000/78/EG aus­drück­lich ge­nannt wer­den, und nach Art. 2 Abs. 1 ers­ter Ge­dan­ken­strich EU und Art. 2 EG die Förde­rung ei­nes ho­hen Beschäfti­gungs­ni­veaus zu den Zie­len zählt, die so­wohl von

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der Eu­ropäischen Uni­on als auch von der Ge­mein­schaft ver­folgt wer­den (EuGH 16. Ok­to­ber 2007 - C-411/05 [Pa­la­ci­os de la Vil­la] - Rn. 64, aaO) . Die beschäfti­gungs- und ar­beits­markt­po­li­ti­schen Zie­le können sich da­bei ent­we­der auf den ge­sam­ten Ar­beits­markt oder auf die Beschäfti­gungs­si­tua­ti­on in be­stimm­ten Bran­chen er­stre­cken (EuGH 16. Ok­to­ber 2007 - C-411/05 [Pa­la­ci­os de la Vil­la] - Rn. 69 f., aaO; für nicht ein­deu­tig hält die­se Aus­sa­ge al­ler­dings Bay­reu­ther DB 2007, 2425) .

32 Für die Be­ur­tei­lung der Recht­fer­ti­gung ei­ner durch § 19 Nr. 8 RTV 2003 be­wirk­ten Un­gleich­be­hand­lung ist es oh­ne Be­deu­tung, ob Prüfungs­maßstab der Grund­satz der Gleich­be­hand­lung in Beschäfti­gung und Be­ruf oder die Gleich­be­hand­lungs­richt­li­nie RL 2000/78/EG ist. Der Eu­ropäische Ge­richts­hof hat in sei­ner Ent­schei­dung in der Rechts­sa­che Man­gold zur Recht­fer­ti­gung ei­ner nach dem Grund­satz der Gleich­be­hand­lung in Beschäfti­gung und Be­ruf zu be­ur­tei­len­den Un­gleich­be­hand­lung die in Art. 6 Abs. 1 RL 2000/78/EG ge­nann­ten Gründe her­an­ge­zo­gen (EuGH 22. No­vem­ber 2005 - C-144/04 [Man­gold] - Rn. 58 ff., Eu­GHE I 2005, 9981 = AP Richt­li­nie 2000/78/EG Nr. 1 = EzA Tz­B­fG § 14 Nr. 21) . Dies kann nur da­hin­ge­hend ver­stan­den wer­den, dass bei ei­ner nach Art. 6 Abs. 1 RL 2000/78/EG ge­recht­fer­tig­ten Un­gleich­be­hand­lung kein Ver­s­toß ge­gen das Primärrecht vor­liegt.

33 b) Die durch § 19 Nr. 8 RTV 2003 be­wirk­te Un­gleich­be­hand­lung auf Grund des Al­ters ist durch le­gi­ti­me Zie­le aus dem Be­reich der na­tio­na­len Beschäfti­gungs- und Ar­beits­markt­po­li­tik i.S.d. Art. 6 Abs. 1 RL 2000/78/EG ge­recht­fer­tigt. Die Be­en­di­gung von Ar­beits­verhält­nis­sen durch ei­ne Al­ters­gren­ze eröff­net jünge­ren Ar­beit­neh­mern ei­ne Beschäfti­gungs­chan­ce und dient der Ent­las­tung des Ar­beits­markts. Die von ei­ner auf ein Ren­ten­al­ter be­zo­ge­nen Al­ters­gren­ze aus­ge­hen­den beschäfti­gungs- und ar­beits­markt­po­li­ti­schen Wir­kun­gen sind Be­stand­teil der So­zi­al­po­li­tik der Bun­des­re­pu­blik Deutsch­land. Die Be­en­di­gung der Ar­beits­verhält­nis­se durch die in § 19 Nr. 8 RTV 2003 ent­hal­te­ne Al­ters­gren­ze ist auch als an­ge­mes­sen und er­for­der­lich i.S.d. Art. 6 Abs. 1 RL 2000/78/EG an­zu­se­hen, um die mit ihr ver­folg­ten beschäfti­gungs- und ar­beits­markt­po­li­ti­schen Zie­le zu er­rei­chen.

34 aa) Die in § 19 Nr. 8 RTV 2003 ent­hal­te­ne Al­ters­gren­ze dient nicht nur der Nach­wuchs- und Per­so­nal­pla­nung der Un­ter­neh­men so­wie ei­ner aus­ge­wo­ge­nen Al­ters­struk­tur, son­dern auch all­ge­mei­nen beschäfti­gungs- und ar­beits­markt­po­li­ti­schen Zie­len.

35 Die auf ei­ner Al­ters­gren­ze be­ru­hen­de Be­en­di­gung des Ar­beits­verhält­nis­ses bei Er­rei­chen ei­nes zum Be­zug ei­ner Al­ters­ren­te be­rech­ti­gen­den Le­bens­al­ters führt außer­halb von Zei­ten ei­ner Voll­beschäfti­gung zu ei­ner ge­rech­ten Ver­tei­lung der nur be­grenzt zur Verfügung

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ste­hen­den Ar­beitsplätze. Durch den Ver­lust der be­reits langjährig aus­geübten Beschäfti­gung bei Er­rei­chen des Ren­ten­al­ters er­hal­ten re­gelmäßig an­de­re Ar­beit­neh­mer ei­ne Beschäfti­gungs­chan­ce, die ent­we­der über kürze­re Beschäfti­gungs­zei­ten verfügen, von Ar­beits­lo­sig­keit be­droht oder ar­beit­su­chend sind. Die­se Ar­beit­neh­mer ha­ben da­durch die Möglich­keit zum Auf­bau ei­ner ei­ge­nen Al­ters­ver­sor­gung und si­chern durch ih­re Beiträge zur ge­setz­li­chen Ren­ten­ver­si­che­rung zu­gleich die Fi­nan­zie­rung der Al­ters­ver­sor­gung der von der Al­ters­gren­ze be­trof­fe­nen Ar­beit­neh­mer, so­weit die­se ei­ne Al­ters­ren­te aus der ge­setz­li­chen Ren­ten­ver­si­che­rung be­zie­hen. Das kon­ti­nu­ier­li­che Aus­schei­den von Ar­beit­neh­mern aus dem Ar­beits­verhält­nis auf Grund ei­ner Re­gel­al­ters­gren­ze eröff­net den neu auf den Ar­beits­markt ein­tre­ten­den Ge­ne­ra­tio­nen über­haupt erst ei­ne Chan­ce auf den Er­werb be­rufs­prak­ti­scher Kennt­nis­se im zeit­na­hen An­schluss an ih­re Aus­bil­dung, de­ren Wert bei Zei­ten länge­rer Beschäfti­gungs­lo­sig­keit an­sons­ten ent­wer­tet würde. Da­ne­ben führt ei­ne auf das Re­gel­ren­ten­al­ter ab­stel­len­de Al­ters­gren­ze zu ei­ner Ent­las­tung des na­tio­na­len Ar­beits­markts (zwei­felnd Körner NZA 2008, 497, 503). Die mit dem Er­rei­chen des Re­gel­ren­ten­al­ters aus dem Un­ter­neh­men aus­schei­den­den Ar­beit­neh­mer su­chen auf dem Ar­beits­markt we­gen ih­rer so­zia­len Si­che­rung durch ei­ne Al­ters­ren­te re­gelmäßig kei­ne An­schluss­beschäfti­gung (BVerfG 30. März 1999 - 1 BvR 1814/94 - EzA SGB VI § 41 Nr. 8, zu II 2 a der Gründe). Da­her ha­ben an­de­re Ar­beit­neh­mer die Möglich­keit, die durch das al­ters­be­ding­te Aus­schei­den frei wer­den­den Ar­beitsplätze zu er­hal­ten. Selbst wenn es zu kei­ner Neu­ein­stel­lung ei­nes bis­her ar­beit­su­chen­den Ar­beit­neh­mers kommt, son­dern der Ar­beits­platz durch ei­nen be­reits im Un­ter­neh­men beschäftig­ten Ar­beit­neh­mer be­setzt wird, erfährt der Ar­beits­markt in­so­weit ei­ne Ent­las­tung, als die Ar­beits­lo­sig­keit die­ses Ar­beit­neh­mers durch das al­ters­be­ding­te Aus­schei­den ver­mie­den wird.

36 bb) Der Berück­sich­ti­gung der beschäfti­gungs- und ar­beits­markt­po­li­ti­schen Ziel­set­zung von § 19 Nr. 8 RTV 2003 als ei­nem ob­jek­ti­ven und an­ge­mes­se­nen le­gi­ti­men Ziel iSd. Art. 6 Abs. 1 RL 2000/78/EG steht nicht ent­ge­gen, dass die Ziel­set­zung we­der in § 14 Abs. 1 Tz­B­fG noch in § 19 Nr. 8 RTV 2003 aus­drück­lich ge­nannt ist.

37 (1) Nach Auf­fas­sung des Eu­ropäischen Ge­richts­hofs folgt aus Art. 6 Abs. 1 RL 2000/78/EG nicht, dass ei­ne na­tio­na­le Re­ge­lung, die das an­ge­streb­te Ziel nicht ge­nau an­gibt, au­to­ma­tisch von ei­ner Recht­fer­ti­gung nach die­ser Be­stim­mung aus­ge­schlos­sen ist. Der Ge­richts­hof hält es für aus­rei­chend, wenn an­de­re aus dem all­ge­mei­nen Kon­text der be­tref­fen­den Maßnah­me ab­ge­lei­te­te An­halts­punk­te die Fest­stel­lung des hin­ter die­ser Maßnah­me ste­hen­den Ziels ermögli­chen, da­mit des­sen Rechtmäßig­keit so­wie die An­ge­mes­sen­heit und Er­for­der­lich­keit der zu sei­ner Er­rei­chung ein­ge­setz­ten Mit­tel ge­richt­lich über­prüft wer­den können (EuGH 16. Ok­to­ber 2007 - C-411/05 [Pa­la­ci­os de la Vil­la] - Rn. 56 f., EzA Richt­li­nie 2000/78 EG-Ver­trag 1999 Nr. 3 ).

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38 (2) Die Be­fris­tung von Ar­beits­verhält­nis­sen auf den Zeit­punkt des mögli­chen Be­zugs ei­ner Al­ters­ren­te ent­spricht we­gen der da­mit ver­bun­de­nen beschäfti­gungs- und ar­beits­markt­po­li­ti­schen Wir­kun­gen den so­zi­al­po­li­ti­schen Vor­stel­lun­gen des deut­schen Ge­setz­ge­bers. Dies folgt aus der Ge­setz­ge­bungs­ge­schich­te und dem Re­ge­lungs­in­halt des am 1. Au­gust 1994 in Kraft ge­tre­te­nen Ge­set­zes zur Ände­rung des SGB VI - SGB VI ÄndG - vom 26. Ju­li 1994 (BGBl. I S. 1797) so­wie des Al­ters­teil­zeit­ge­set­zes. Durch die in die­sen Ge­set­zen ent­hal­te­nen be­fris­tungs­recht­li­chen Re­ge­lun­gen hat der deut­sche Ge­setz­ge­ber nicht nur die mit Al­ters­gren­zen re­gelmäßig ver­bun­de­ne beschäfti­gungs- und ar­beits­markt­po­li­ti­sche Ziel­set­zung iSd. Art. 6 Abs. 1 RL 2000/78/EG ge­bil­ligt, son­dern auch den zur Ziel­er­rei­chung be­schrit­te­nen Durchführungs­weg.

39 (a) Nach § 41 Abs. 4 Satz 3 SGB VI idF des am 1. Ja­nu­ar 1992 in Kraft ge­tre­te­nen RRG vom 18. De­zem­ber 1989 (BGBl. I S. 2261) war ei­ne Ver­ein­ba­rung, wo­nach ein Ar­beits­verhält­nis zu ei­nem Zeit­punkt en­den soll, in dem der Ar­beit­neh­mer An­spruch auf ei­ne Ren­te we­gen Al­ters hat, nur wirk­sam, wenn die Ver­ein­ba­rung in­ner­halb der letz­ten drei Jah­re vor die­sem Zeit­punkt ge­schlos­sen oder von dem Ar­beit­neh­mer bestätigt wor­den ist. Ge­ne­rel­le auf das 65. Le­bens­jahr be­zo­ge­ne ta­rif­li­che Al­ters­gren­zen, mit de­ren Er­rei­chen das Ar­beits­verhält­nis au­to­ma­tisch en­den soll­te, wa­ren nach der Se­nats­recht­spre­chung we­gen ei­nes Ver­s­toßes ge­gen § 41 Abs. 4 Satz 3 SGB VI nich­tig. Sie konn­ten die Ar­beits­verhält­nis­se der­je­ni­gen Ar­beit­neh­mer, die nach In­kraft­tre­ten des RRG am 1. Ja­nu­ar 1992 die maßgeb­li­che Al­ters­gren­ze er­reich­ten, nicht wirk­sam be­en­den (BAG 1. De­zem­ber 1993 - 7 AZR 428/93 - BA­GE 75, 166 = AP SGB VI § 41 Nr. 4 = EzA SGB VI § 41 Nr. 2, Leit­satz 1) . Durch das SGB VI ÄndG hat der Ge­setz­ge­ber die bis zum In­kraft­tre­ten des SGB VI am 1. Ja­nu­ar 1992 gel­ten­de Rechts­la­ge weit­ge­hend wie­der her­ge­stellt. Da­nach gal­ten Ver­ein­ba­run­gen, die die Be­en­di­gung ei­nes Ar­beits­verhält­nis­ses zu dem Zeit­punkt vor­sa­hen, in dem der Ar­beit­neh­mer vor­ge­zo­ge­nes Al­ters­ru­he­geld be­an­spru­chen konn­te, als auf die Voll­endung des 65. Le­bens­jah­res ab­ge­schlos­sen. Nach der in Art. 2 SGB VI ÄndG ge­trof­fe­nen Über­g­angs­re­ge­lung en­de­te das Ar­beits­verhält­nis ei­nes Ar­beit­neh­mers, das we­gen des Ver­s­toßes ei­ner Al­ters­gren­ze ge­gen § 41 Abs. 4 Satz 3 SGB VI RRG 92 über das 65. Le­bens­jahr hin­aus fort­ge­setzt wor­den war, bei feh­len­der an­der­wei­ti­ger Ver­ein­ba­rung am 30. No­vem­ber 1994. Nach der Ge­set­zes­be­gründung war die Neu­re­ge­lung ua. des­halb er­for­der­lich, weil durch ei­ne Wei­ter­ar­beit der Ar­beit­neh­mer über das 65. Le­bens­jahr hin­aus Ar­beitsplätze für Nach­wuchs­kräfte blo­ckiert wur­den (BT-Drucks. 12/8040 S. 4) und der Ar­beits­markt durch die in der Re­gel mögli­chen Neu­ein­stel­lun­gen ent­las­tet wer­den konn­te (BT-Drucks. 12/8040 S. 5). Da­bei ging der Ge­setz­ge­ber im An­schluss an die Recht­spre­chung des Bun­des­ar­beits­ge­richts zu der bis zum In­kraft­tre­ten des § 41 Abs. 4 Satz 4 SGB VI idF des RRG 92 gel­ten­den Rechts­la­ge

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von der Wirk­sam­keit ta­rif­ver­trag­li­cher Al­ters­gren­zen aus, die auf das 65. Le­bens­jahr oder den Be­zug des vol­len Al­ters­ru­he­gelds ab­stell­ten (BT-Drucks. 12/8040 S. 4 f.).

40 (b) Mit dem zum 1. Au­gust 1996 in Kraft ge­tre­te­nen Al­ters­teil­zeit­ge­setz hat der Ge­setz­ge­ber ei­nen Rah­men ge­schaf­fen, um älte­ren Ar­beit­neh­mern ab der Voll­endung des 55. Le­bens­jah­res ei­nen glei­ten­den Über­gang vom Er­werbs­le­ben in den Ru­he­stand zu ermögli­chen und zu­gleich durch ei­nen fi­nan­zi­el­len An­reiz die Be­set­zung der durch die Al­ters­teil­zeit­ver­ein­ba­rung frei­wer­den­den Ar­beitsplätze durch die Ein­stel­lung ei­nes bis­her ar­beits­lo­sen Ar­beit­neh­mers oder die Über­nah­me ei­nes Aus­zu­bil­den­den nach Be­en­di­gung der Aus­bil­dung zu fördern (BT-Drucks. 13/4336 S. 14 f.). Der Ge­setz­ge­ber hat da­zu aus­drück­lich un­ter den Vor­aus­set­zun­gen des § 8 Abs. 3 ATG die Be­fris­tung von Al­ters­teil­zeit­ar­beits­verhält­nis­sen für zulässig erklärt und auf die­se Wei­se den von ihm mit dem Al­ters­teil­zeit­ge­setz ver­folg­ten beschäfti­gungs- und ar­beits­markt­po­li­ti­schen Zweck ar­beits­recht­lich ab­ge­si­chert.

41 c) Die Nach­tei­le, die von der Be­en­di­gung ih­res Ar­beits­verhält­nis­ses be­trof­fe­ne Ar­beit­neh­mer durch die in § 19 Nr. 8 RTV 2003 ent­hal­te­ne Al­ters­gren­ze er­fah­ren, sind im Hin­blick auf die da­durch be­ding­te Förde­rung der Beschäfti­gungs­chan­cen der begüns­tig­ten Ar­beit­neh­mer so­wie die Ent­las­tung des Ar­beits­markts an­ge­mes­sen und er­for­der­lich iSd. Art. 6 Abs. 1 RL 2000/78/EG.

42 aa) Nach der Recht­spre­chung des Eu­ropäischen Ge­richts­hofs ist die An­nah­me der Stel­len ei­nes Mit­glied­staats, dass die im spa­ni­schen Recht als Zwangs­ver­set­zung ei­nes Ar­beit­neh­mers in den Ru­he­stand be­zeich­ne­te Be­en­di­gung des Ar­beits­verhält­nis­ses bei Er­rei­chen der fest­ge­leg­ten Al­ters­gren­ze an­ge­mes­sen und er­for­der­lich sein kann, um das im Rah­men der na­tio­na­len Beschäfti­gungs­po­li­tik an­geführ­te le­gi­ti­me Ziel der Förde­rung von Voll­beschäfti­gung durch Begüns­ti­gung des Zu­gangs zum Ar­beits­markt zu er­rei­chen, nicht un­vernünf­tig (EuGH 16. Ok­to­ber 2007 - C-411/05 [Pa­la­ci­os de la Vil­la] - Rn. 72, EzA Richt­li­nie 2000/78 EG-Ver­trag 1999 Nr. 3) . Ei­nen kon­kre­ten Nach­weis der beschäfti­gungsfördern­den Wir­kung von Al­ters­gren­zen ver­langt der Eu­ropäische Ge­richts­hof nicht. Nach sei­ner An­sicht kann die ge­nann­te Maßnah­me auch nicht als übermäßige Be­ein­träch­ti­gung der be­rech­tig­ten Er­war­tun­gen des zwangs­wei­se in den Ru­he­stand ver­setz­ten Ar­beit­neh­mers an­ge­se­hen wer­den, wenn die ein­schlägi­ge na­tio­na­le Re­ge­lung nicht nur auf ein be­stimm­tes Al­ter ab­stellt, son­dern auch den Um­stand berück­sich­tigt, dass dem Be­trof­fe­nen am En­de sei­ner be­ruf­li­chen Lauf­bahn ein fi­nan­zi­el­ler Aus­gleich in Ge­stalt ei­ner Al­ters­ren­te zu­gu­te kommt, de­ren Höhe nicht als un­an­ge­mes­sen be­trach­tet wer­den kann (EuGH 16. Ok­to­ber 2007 - C-411/05 [Pa­la­ci­os de la Vil­la] - Rn. 73 , aaO) . Nach Auf­fas­sung des Ge­richts­hofs ist es Sa­che der zuständi­gen Stel­len der

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Mit­glied­staa­ten, ei­nen ge­rech­ten Aus­gleich zwi­schen den ver­schie­de­nen wi­der­strei­ten­den In­ter­es­sen zu fin­den. Die in die­sem Zu­sam­men­hang vor­ge­se­he­nen na­tio­na­len Maßnah­men dürfen al­ler­dings nicht über das hin­aus­ge­hen, was an­ge­mes­sen und er­for­der­lich ist, um das von dem be­tref­fen­den Mit­glied­staat ver­folg­te Ziel zu er­rei­chen (EuGH 16. Ok­to­ber 2007 - C-411/05 [Pa­la­ci­os de la Vil­la] - Rn. 71, aaO) .

43 bb) Die von den na­tio­na­len Ge­rich­ten da­nach an­zu­stel­len­de Verhält­nismäßig­keitsprüfung rich­tet sich we­gen des den Mit­glied­staa­ten nach dem 25. Erwägungs­grund der RL 2000/78/EG zu­ste­hen­den Er­mes­sens­spiel­raums nicht nach den Grundsätzen ei­ner stren­gen Verhält­nismäßig­keitsprüfung, son­dern stellt der Sa­che nach ei­ne rich­ter­li­che Plau­si­bi­litätskon­trol­le (Bay­reu­ther DB 2007, 2425, 2426; Reich­hold ZESAR 2008, 49, 52) bzw. ei­ne an­genäher­te Willkürprüfung (Tem­ming NZA 2007, 1193, 1198) der die Un­gleich­be­hand­lung be­wir­ken­den Norm ge­genüber dem le­gi­ti­men Ziel dar.

44 Die ge­richt­li­che Kon­trol­le er­for­dert kei­ne an der in­di­vi­du­el­len Si­tua­ti­on des be­trof­fe­nen Ar­beit­neh­mers ori­en­tier­te, son­dern ei­ne ge­ne­ra­li­sie­ren­de Prüfung des § 19 Nr. 8 RTV 2003 als der Norm, die die Un­gleich­be­hand­lung we­gen des Al­ters enthält. Da­nach ist auch nach Ge­mein­schafts­recht die Höhe der dem Ar­beit­neh­mer bei Aus­schei­den aus dem Ar­beits­verhält­nis zu­ste­hen­den Al­ters­ver­sor­gung oh­ne Be­deu­tung. Maßgeb­lich ist nur, dass die von der Al­ters­gren­ze be­trof­fe­nen Ar­beit­neh­mer bei Aus­schei­den aus dem Ar­beits­verhält­nis ei­ne bei­trags­be­zo­ge­ne Al­ters­ren­te be­an­spru­chen können, de­ren Höhe sich nach den in den Mit­glied­staa­ten gel­ten­den Vor­schrif­ten rich­tet. Der Eu­ropäische Ge­richts­hof hat in der Rechts­sa­che Pa­la­ci­os bei der An­ge­mes­sen­heits­prüfung der die Un­gleich­be­hand­lung be­wir­ken­den na­tio­na­len Re­ge­lung die in­di­vi­du­el­le Höhe der Al­ters­ver­sor­gung des Klägers nicht tra­gend berück­sich­tigt. Viel­mehr hat der Ge­richts­hof im Te­nor der Ent­schei­dung aus­drück­lich auf den Be­zug ei­ner “bei­trags­be­zo­ge­nen Al­ters­ren­te” ab­ge­stellt (EuGH 16. Ok­to­ber 2007 - C-411/05 [Pa­la­ci­os de la Vil­la] - EzA Richt­li­nie 2000/78 EG-Ver­trag 1999 Nr. 3) .

45 Über­dies dürf­te ei­ne Be­ur­tei­lung der sach­li­chen Recht­fer­ti­gung der Be­fris­tung ei­nes Ar­beits­ver­trags an­hand nach Ver­trags­schluss lie­gen­der Tat­sa­chen nicht im Ein­klang mit den auch im Ge­mein­schafts­recht gel­ten­den Prüfungs­maßstäben ste­hen. Die in die Be­fris­tungs­richt­li­nie 1999/70/EG in­kor­po­rier­te EGB-UN­ICE-CEEP-Rah­men­ver­ein­ba­rung geht wie der na­tio­na­le Ge­setz­ge­ber von der Prämis­se aus, dass un­be­fris­te­te Ar­beits­verträge die übli­che Form des Beschäfti­gungs­verhält­nis­ses sind. Die Richt­li­nie und die Rah­men­ver­ein­ba­rung ver­lan­gen von den Mit­glied­staa­ten zur Ver­hin­de­rung des Miss­brauchs durch auf­ein­an­der­fol­gen­de be­fris­te­te Ar­beits­verträge die Er­grei­fung ei­ner der drei in § 5 Nr. 1 Buchst. a) bis c) der Rah­men­ver­ein­ba­rung ge­nann­ten Maßnah­men. Hier­zu

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zählt nach § 5 Nr. 1 Buchst. a) der Rah­men­ver­ein­ba­rung das Er­for­der­nis sach­li­cher Gründe. Die Prüfung der sach­li­chen Recht­fer­ti­gung der Be­fris­tung ei­nes Ar­beits­ver­trags stellt da­her im Ge­mein­schafts­recht wie nach na­tio­na­lem Recht ei­ne Ver­trags­kon­trol­le dar, für die al­lein die bei Ver­trags­schluss vor­lie­gen­den Umstände maßgeb­lich sind. Nachträglich ein­tre­ten­de Er­eig­nis­se können ei­nen beim Ab­schluss des be­fris­te­ten Ar­beits­ver­trags be­ste­hen­den Sach­grund nicht in Fra­ge stel­len. Dies schließt es aus, die Höhe der bei Ver­trags­en­de er­ziel­ten Al­ters­ver­sor­gung bei der Prüfung der sach­li­chen Recht­fer­ti­gung ei­ner Al­ters­gren­ze zu berück­sich­ti­gen, da die­se bei Ver­trags­schluss nicht be­kannt ist. Dem­ent­spre­chend stellt der Se­nat auch nach na­tio­na­lem Recht bei der wirt­schaft­li­chen Ab­si­che­rung nur dar­auf ab, ob der Ar­beit­neh­mer nach dem Ver­trags­in­halt und der Ver­trags­dau­er ei­ne Al­ters­ver­sor­gung in der ge­setz­li­chen Ren­ten­ver­si­che­rung er­wer­ben kann (27. Ju­li 2005 - 7 AZR 443/04 - Rn. 30, BA­GE 115, 265 = AP BGB § 620 Al­ters­gren­ze Nr. 27 = EzA BGB 2002 § 620 Al­ters­gren­ze Nr. 6) .

46 cc) Da­nach genügt die in § 19 Nr. 8 RTV 2003 ent­hal­te­ne Al­ters­gren­ze den ge­mein­schafts­recht­li­chen Vor­ga­ben an die Er­for­der­lich­keit und An­ge­mes­sen­heit iSd. Art. 6 Abs. 1 RL 2000/78/EG, die an ei­ne auf dem Merk­mal des Al­ters be­ru­hen­de Un­gleich­be­hand­lung bei den Ent­las­sungs­be­din­gun­gen zu stel­len sind.

47 (1) § 19 Nr. 8 RTV 2003 enthält kein Ver­bot ei­ner be­stimm­ten be­ruf­li­chen Tätig­keit nach Er­rei­chen ei­nes ge­wis­sen Al­ters, son­dern be­en­det nur das in der Ver­gan­gen­heit be­gründe­te Ar­beits­verhält­nis. Die Re­ge­lung ist auch zur Er­rei­chung der mit ihr ver­folg­ten so­zi­al­po­li­ti­schen Zwe­cke er­for­der­lich. Mit der Be­en­di­gung der von der Al­ters­gren­ze er­fass­ten Ar­beits­verhält­nis­se wird die Aus­sicht an­de­rer Ar­beit­neh­mer gefördert, ei­nen frei wer­den­den Ar­beits­platz zu er­hal­ten. Die Eig­nung des gewähl­ten Mit­tels wird auch nicht da­durch in Fra­ge ge­stellt, dass die An­zahl der von der im RTV 2003 ent­hal­te­nen Al­ters­gren­ze be­trof­fe­nen Ar­beit­neh­mer mögli­cher­wei­se nicht groß ist, weil die über­wie­gen­de An­zahl der Beschäftig­ten be­reits vor Voll­endung des 65. Le­bens­jah­res aus dem Ar­beits­verhält­nis aus­schei­det (aA Ber­tels­mann AiB 2007, 689, 694) . Je­den­falls ge­genüber den Ar­beit­neh­mern, de­ren Ar­beits­verhält­nis­se auf Grund der auf das Re­gel­ren­ten­al­ter be­zo­ge­nen Al­ters­gren­ze be­en­det wer­den, ist die Re­ge­lung zur Er­rei­chung der vom Ge­setz­ge­ber gewünsch­ten beschäfti­gungs- und ar­beits­markt­po­li­ti­schen Ziel­set­zung not­wen­dig. Da­ne­ben liegt die An­nah­me na­he, dass die Be­en­di­gung der Ar­beits­verhält­nis­se ei­ner er­heb­li­chen An­zahl von Ar­beit­neh­mern be­reits vor Er­rei­chen der Re­gel­al­ters­gren­ze auf das ab­seh­ba­re Beschäfti­gungs­en­de bei Er­rei­chen des Re­gel­ren­ten­al­ters zurück­zuführen ist. Ein an­de­res, gleich wirk­sa­mes, aber für die be­trof­fe­nen Ar­beit­neh­mer we­ni­ger ein­schnei­den­des Mit­tel zur Er­rei­chung des beschäfti­gungs- und ar­beits­markt­po­li­ti­schen Ziels ist da­her nicht er­kenn­bar (zu Art. 2 SGB

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VI ÄndG: BVerfG 30. März 1999 - 1 BvR 1814/94 - EzA SGB VI § 41 Nr. 8, zu II 2 b aa der Gründe) .

48 (2) Die Nach­tei­le der Ar­beit­neh­mer, de­ren Ar­beits­verhält­nis durch ei­ne auf das Re­gel­ren­ten­al­ter be­zo­ge­nen Al­ters­gren­ze be­en­det wird, ste­hen nicht außer Verhält­nis zu dem mit dem Ein­griff ver­folg­ten beschäfti­gungs- und ar­beits­markt­po­li­ti­schen Ziel.

49 Auf Sei­ten der be­trof­fe­nen Ar­beit­neh­mer ist zu berück­sich­ti­gen, dass auch lang an­dau­ern­de Ar­beits­verhält­nis­se be­en­det wer­den und nach Er­rei­chen der Re­gel­al­ters­gren­ze viel­fach die Be­gründung ei­nes neu­en Ar­beits­verhält­nis­ses zu ver­gleich­ba­ren Be­din­gun­gen nicht möglich sein wird. Da­her wird die Be­en­di­gung des Ar­beits­verhält­nis­ses auf Grund ei­ner Al­ters­gren­ze viel­fach, wenn auch nicht zwangsläufig zur Be­en­di­gung der bis­he­ri­gen be­ruf­li­chen Tätig­keit führen. Dies wird in wirt­schaft­li­cher Hin­sicht durch den Be­zug ei­ner Al­ters­ren­te zu­min­dest teil­wei­se aus­ge­gli­chen. Der Wirk­sam­keit ei­ner auf die Re­gel­al­ters­ren­te be­zo­ge­nen Al­ters­gren­ze steht auch das all­ge­mei­ne Persönlich­keits­recht der be­trof­fe­nen Ar­beit­neh­mer nicht ent­ge­gen (aA Ber­tels­mann AiB 2007, 689, 693; Körner NZA 2008, 497, 502; Tem­ming NZA 2007, 1193, 1196). Die­se ver­lie­ren zwar zunächst die Möglich­keit, bei ih­rem bis­he­ri­gen Ar­beit­ge­ber ei­ner Beschäfti­gung nach­zu­ge­hen. Dafür er­hal­ten an­de­re Ar­beit­neh­mer Zu­gang zu ei­ner Beschäfti­gung auf dem Ar­beits­markt, der ih­nen oh­ne das Aus­schei­den der von der Al­ters­gren­ze be­trof­fe­nen Ar­beit­neh­mer ver­sagt wäre. Die hier­durch begüns­tig­ten Ar­beit­neh­mer er­hal­ten in­fol­ge des al­ters­be­ding­ten Aus­schei­dens der be­reits langjährig beschäftig­ten Ar­beit­neh­mer ih­rer­seits die Möglich­keit zur Ver­wirk­li­chung ih­res Persönlich­keits­rechts und zum Be­strei­ten ih­res Le­bens­un­ter­halts durch die Ver­wer­tung ih­rer Ar­beits­kraft. Über­dies können sie ei­ne Al­ters­ver­sor­gung auf­bau­en und tra­gen da­mit zur Si­che­rung der Al­ters­ren­te der be­reits im Ru­he­stand be­find­li­chen Ar­beit­neh­mer bei (eben­falls zu Art. 2 SGB VI ÄndG: BVerfG 30. März 1999 - 1 BvR 1814/94 - EzA SGB VI § 41 Nr. 8, zu II 2 b bb der Gründe).

7. Die Fra­gen an den EuGH wer­den wie folgt erläutert:

Zu Fra­ge 1):
Die „Richt­li­nie 2000/78/EG des Ra­tes zur Fest­le­gung ei­nes all­ge­mei­nen Rah­mens für die Ver­wirk­li­chung der Gleich­be­hand­lung in Beschäfti­gung und Be­ruf vom 27.11.2000“ ist durch das AGG vom 14.8.2006 um­ge­setzt wor­den. § 10 AGG lässt un­ter be­stimm­ten Vor­aus­set­zun­gen ei­ne un­ter­schied­li­che Be­hand­lung we­gen des Al­ters zu. § 10 AGG in der ak­tu­el­len Fas­sung lau­tet 14:

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14 BGBl I 2006, 1897.

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§ 10 Zulässi­ge un­ter­schied­li­che Be­hand­lung we­gen des Al­ters

Un­ge­ach­tet des § 8 ist ei­ne un­ter­schied­li­che Be­hand­lung we­gen des Al­ters auch zulässig, wenn sie ob­jek­tiv und an­ge­mes­sen und durch ein le­gi­ti­mes Ziel ge­recht­fer­tigt ist. Die Mit­tel zur Er­rei­chung die­ses Ziels müssen an­ge­mes­sen und er­for­der­lich sein. Der­ar­ti­ge un­ter­schied­li­che Be­hand­lun­gen können ins­be­son­de­re Fol­gen­des ein­sch­ließen:

1. die Fest­le­gung be­son­de­rer Be­din­gun­gen für den Zu­gang zur Beschäfti­gung und zur be­ruf­li­chen Bil­dung so­wie be­son­de­rer Beschäfti­gungs- und Ar­beits­be­din­gun­gen, ein­sch­ließlich der Be­din­gun­gen für Ent­loh­nung und Be­en­di­gung des Beschäfti­gungs­verhält­nis­ses, um die be­ruf­li­che Ein­glie­de­rung von Ju­gend­li­chen, älte­ren Beschäftig­ten und Per­so­nen mit Fürsor­ge­pflich­ten zu fördern oder ih­ren Schutz si­cher­zu­stel­len,

2. die Fest­le­gung von Min­dest­an­for­de­run­gen an das Al­ter, die Be­rufs­er­fah­rung oder das Dienst­al­ter für den Zu­gang zur Beschäfti­gung oder für be­stimm­te mit der Beschäfti­gung ver­bun­de­ne Vor­tei­le,

3. die Fest­set­zung ei­nes Höchst­al­ters für die Ein­stel­lung auf Grund der spe­zi­fi­schen Aus­bil­dungs­an­for­de­run­gen ei­nes be­stimm­ten Ar­beits­plat­zes oder auf Grund der Not­wen­dig­keit ei­ner an­ge­mes­se­nen Beschäfti­gungs­zeit vor dem Ein­tritt in den Ru­he­stand,

4. die Fest­set­zung von Al­ters­gren­zen bei den be­trieb­li­chen Sys­te­men der so­zia­len Si­cher­heit als Vor­aus­set­zung für die Mit­glied­schaft oder den Be­zug von Al­ters­ren­te oder von Leis­tun­gen bei In­va­li­dität ein­sch­ließlich der Fest­set­zung un­ter­schied­li­cher Al­ters­gren­zen im Rah­men die­ser Sys­te­me für be­stimm­te Beschäftig­te oder Grup­pen von Beschäftig­ten und die Ver­wen­dung von Al­ters­kri­te­ri­en im Rah­men die­ser Sys­te­me für ver­si­che­rungs­ma­the­ma­ti­sche Be­rech­nun­gen,

5. ei­ne Ver­ein­ba­rung, die die Be­en­di­gung des Beschäfti­gungs­verhält­nis­ses oh­ne Kündi­gung zu ei­nem Zeit­punkt vor­sieht, zu dem der oder die Beschäftig­te ei­ne Ren­te we­gen Al­ters be­an­tra­gen kann; § 41 des Sechs­ten Bu­ches So­zi­al­ge­setz­buch bleibt un­berührt,

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6. Dif­fe­ren­zie­run­gen von Leis­tun­gen in So­zi­alplänen im Sin­ne des Be­triebs­ver­fas­sungs­ge­set­zes, wenn die Par­tei­en ei­ne nach Al­ter oder Be­triebs­zu­gehörig­keit ge­staf­fel­te Ab­fin­dungs­re­ge­lung ge­schaf­fen ha­ben, in der die we­sent­lich vom Al­ter abhängen­den Chan­cen auf dem Ar­beits­markt durch ei­ne verhält­nismäßig star­ke Be­to­nung des Le­bens­al­ters er­kenn­bar berück­sich­tigt wor­den sind, oder Beschäftig­te von den Leis­tun­gen des So­zi­al­plans aus­ge­schlos­sen ha­ben, die wirt­schaft­lich ab­ge­si­chert sind, weil sie, ge­ge­be­nen­falls nach Be­zug von Ar­beits­lo­sen­geld, ren­ten­be­rech­tigt sind.

Mit In­kraft­tre­ten des AGG im Au­gust 2006 war nach § 10 Satz 3 Zif­fer 7 AGG a.F. ei­ne an das so­zia­le Schutz­bedürf­nis Älte­rer an­knüpfen­de kol­lek­tiv­recht­li­che Re­ge­lung zulässig. § 10 Satz 3 Zif­fer 7 AGG a.F. lau­te­te:

7. die in­di­vi­du­al- oder kol­lek­tiv­recht­li­che Ver­ein­ba­rung der Unkünd­bar­keit von Beschäftig­ten ei­nes be­stimm­ten Al­ters und ei­ner be­stimm­ten Be­triebs­zu­gehörig­keit, so­weit da­durch nicht der Kündi­gungs­schutz an­de­rer Beschäftig­ter im Rah­men der So­zi­al­aus­wahl nach § 1 Abs. 3 des Kündi­gungs­schutz­ge­set­zes grob feh­ler­haft ge­min­dert wird,

Nach knapp vier Mo­na­ten hat der deut­sche Ge­setz­ge­ber die­se Aus­nah­me­re­ge­lung er­satz­los auf­ge­ho­ben 15. Es er­scheint nun zwei­fel­haft, dass § 19 RTV als eu­ro­pa­rechts­kon­form an­ge­se­hen wer­den kann. Die recht­li­chen Kon­se­quen­zen der Strei­chung von § 10 Satz 3 Zif­fer 7 AGG sind un­klar und um­strit­ten:

Teil­wei­se wird ver­tre­ten, dass nach der Strei­chung von § 10 Satz 3 Zif­fer 7 AGG Aus­nah­men vom Dis­kri­mi­nie­rungs­ver­bot zu­guns­ten von Se­nio­ritäts­re­ge­lun­gen im Rah­men des Ver­bots der Al­ters­dis­kri­mi­nie­rung ge­ne­rell un­zulässig sind 16. Dem wird man nicht § 2 Abs. 4 AGG ent­ge­gen­hal­ten können. Ge­gen den Wort­laut die­ser Norm ist das AGG sehr wohl auch für Kündi­gun­gen re­le­vant 17. Un­zu­tref­fend er­scheint auch, dass § 2 Abs. 4 AGG nur den ge­setz­li­chen, nicht aber den ta­rif­lich be­gründe­ten Kündi­gungs­schutz er­fas­se.

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15 Die Norm wur­de durch das Zwei­te Ge­setz zur Ände­rung des Be­triebs­ren­ten­ge­set­zes vom 2.12.2006 (BGBl. I S. 2742) ge­stri­chen.
16 Rust/Ber­tels­mann in Rust/Fal­ke, AGG, § 7 Rd­nr. 191; fer­ner – mit der Va­ri­an­te, dass die Ver­fol­gung ei­nes le­gi­ti­men Ge­mein­wohl­in­ter­es­ses zulässig sein soll - Däubler/Bertz­bach-Brors, AGG, 2. Aufl., § 10 Rd­nr. 25 ff.
17 BAG 6.11.2008 – 2 AZR 701/07; MüKoBGB/Thüsing, § 2 AGG, Rd­nr. 17 (eu­ro­pa­rechts­wid­rig); Däubler in Däubler/Bertz­bach, AGG, 2. Aufl., § 2 Rd­nr. 263 (nicht an­zu­wen­den); Per­reng, AiB 2007, 579 (un­wirk­sam); An­nuß, BB 2006, 1630 (eu­ro­pa­rechts­kon­for­me Aus­le­gung); ausf. Ber­tels­mann in Rust/Fal­ke, AGG, § 2 Rd­nr. 238 ff.

 

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Nach der Ge­gen­an­sicht führt die Auf­he­bung von § 10 Satz 3 Nr. 7 AGG nicht zur ge­ne­rel­len Un­wirk­sam­keit kol­lek­tiv­recht­li­cher Se­nio­ritäts­re­ge­lun­gen. Die­se wohl über­wie­gen­de Mei­nung 18 stellt dar­auf ab, dass der in § 2 Abs. 4 AGG erwähn­te Kündi­gungs­schutz nicht den „ver­ein­bar­ten“ Kündi­gungs­schutz um­fas­se bzw. dass der Ge­setz­ge­ber mit § 2 Abs. 4 AGG wie mit der Strei­chung von § 10 Satz 3 Nr. 7 AGG die bis­he­ri­ge Rechts­la­ge be­wah­ren und nicht grund­le­gend ändern woll­te. Auf die­ser Ba­sis ge­bie­tet die Richt­li­nie 2000/78/EG ei­ne eu­ro­pa­rechts­kon­for­me Ein­schränkung 19: Die Aus­wir­kun­gen der Se­nio­ritäts­re­ge­lung müssen im Sin­ne von Art. 6 Abs. 1 der Richt­li­nie verhält­nismäßig sein 20. Nach Art. 6 Abs. 1 RL 2000/78/EG stel­len Un­gleich­be­hand­lun­gen we­gen des Al­ters kei­ne nach Art. 2 RL 2000/78/EG ver­bo­te­ne Dis­kri­mi­nie­rung dar, so­fern sie ob­jek­tiv und an­ge­mes­sen sind und im Rah­men des na­tio­na­len Rechts durch ein le­gi­ti­mes Ziel ge­recht­fer­tigt sind und die Mit­tel zur Er­rei­chung die­ses Ziels an­ge­mes­sen und er­for­der­lich sind.

Al­ler­dings müssen die Mit­glieds­staa­ten im Rah­men ih­rer Ge­setz­ge­bung selbst die Le­gi­ti­ma­ti­on für al­ter­spe­zi­fi­sche Un­gleich­be­hand­lun­gen schaf­fen 21. Die Fra­ge, ob vor die­sem Hin­ter­grund über­haupt ei­ne aus­rei­chen­de Ba­sis dafür be­steht, di­rekt an die RL 2000/78/EG an­zu­knüpfen, könn­te viel­leicht mit der jüngs­ten Recht­spre­chung des Bun­des­ar­beits­ar­beits­ge­richts be­jaht wer­den: Das Bun­des­ar­beits­ge­richt knüpft an die Recht­spre­chung des Eu­ropäischen Ge­richts­hofs an, wo­nach aus Art. 6 Abs. 1 RL 2000/78/EG nicht folgt, dass ei­ne na­tio­na­le Re­ge­lung, die das an­ge­streb­te Ziel nicht ge­nau an­gibt, au­to­ma­tisch von ei­ner Recht­fer­ti­gung nach die­ser Be­stim­mung aus­ge­schlos­sen ist. Das BAG ver­weist dar­auf, dass der EuGH es für aus­rei­chend hält, wenn an­de­re, aus dem all­ge­mei­nen Kon­text der be­tref­fen­den Maßnah­me ab­ge­lei­te­te, An­halts­punk­te die Fest­stel­lung des hin­ter die­ser Maßnah­me ste­hen­den Ziels ermögli­chen, da­mit des­sen Rechtmäßig­keit so­wie die An­ge­mes­sen­heit und Er­for­der­lich­keit der zu sei­ner Er­rei­chung ein­ge­setz­ten Mit­tel ge­richt­lich über­prüft wer­den können 22. Auf die­ser Ba­sis hat das Bun­des­ar­beits­ge­richt für ei­nen Fall vor In­kraft­tre­ten des AGG für den Rah­men­ta­rif­ver­trag Gebäuderei­ni­gung auf ei­ne beschäfti­gungs- und ar­beits­markt­po­li­ti­sche Ziel­set­zung ab­ge­stellt und her­vor­ho­ben, dass ei­nem ob­jek­ti­ven und an­ge­mes­se­nen le­gi­ti­men Ziel i.S.d. Art. 6 Abs. 1 RL 2000/78/EG nicht ent­ge­gen steht, dass die­se Ziel­set­zung we­der in § 14 Abs. 1 Tz­B­fG noch im Rah­men­ta­rif­ver­trag Gebäuderei­ni­gung aus­drück­lich ge­nannt ist 23.

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18 Nach­wei­se bei ErfK-Schlach­ter, 9. Aufl., § 10 AGG Rd­nr. 9.
19 Kitt­ner/Dei­nert, in: Kitt­ner/Däubler/Zwan­zi­ger, KSchR, 7. Aufl., § 1 KSchG Rd­nr. 445 a.
20 KR-Grie­be­ling, Ge­mein­schafts­kom­men­tar zum KSchG, 8. Aufl., § 1 KSchG Rd­nr. 665 d
21 Lin­sen­mai­er, RdA 2003, Son­der­bei­la­ge Heft 5, 22, 32; Wal­ter­mann, NZA 2005, 1265, 1268.
22 EuGH 16. Ok­to­ber 2007 - C-411/05 [Pa­la­ci­os de la Vil­la] - Rn. 56 f., EzA Richt­li­nie 2000/78 EG-Ver­trag 1999 Nr. 3.
23 BAG 18.6.2008 – 7 AZR 116/07, NZA 2008, 1302.

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Der EuGH wird um Aus­kunft ge­be­ten, ob vor­lie­gend von ei­ner aus­rei­chen­den ar­beits­markt­po­li­ti­schen Ziel­set­zung ge­spro­chen wer­den kann, die auch oh­ne ei­ne aus­drück­li­che na­tio­nal­staat­li­che Le­gi­ti­ma­ti­on für al­ter­spe­zi­fi­sche Un­gleich­be­hand­lun­gen den An­for­de­run­gen der Richt­li­nie genügt.


Zu Fra­gen 2 bis 4:
Die­se Fra­gen knüpfen an die Vor­ga­ben an, die der EuGH für ei­ne aus­nahms­wei­se ge­ge­be­ne Zulässig­keit von Al­ters­gren­zen nach der Richt­li­nie 2000/78/EG auf­stellt. Die­se Vor­ga­ben können wie folgt zu­sam­men­ge­fasst wer­den:

- Die Ziel­set­zung muss ins­be­son­de­re aus den Be­rei­chen Be-schäfti­gungs­po­li­tik, Ar­beits­markt oder be­ruf­li­che Bil­dung stam­men (Rn 52).

- Die Ziel­set­zung des Staa­tes muss er­kenn­bar sein, ent­we­der durch aus­drück­li­che Be­nen­nung der Zie­le oder aber da­durch, dass An­halts­punk­te für die­se Ziel­set­zung fest­stell­bar sind (Rn 54 – 56, 58).

- Die­se er­kenn­ba­ren und le­gi­ti­men Zie­le müssen so kon­kret sein, dass die An­ge­mes­sen­heit und Er­for­der­lich­keit der zu ih­rer Er­rei­chung ein­ge­setz­ten Mit­tel ge­richt­lich über­prüft wer­den können (Rn 57).

- Der Staat und ggf. die So­zi­al­part­ner ha­ben so­wohl bei der Fest­le­gung des Ziels auch als bei der Fest­le­gung der Maßnah­men zu sei­ner Er­rei­chung ei­nen wei­ten Er­mes­sens­spiel­raum, ins­be­son­de­re für die Ent­schei­dung, die Le­bens­ar­beits­zeit der Ar­beit­neh­mer zu verlängern oder, im Ge­gen­teil, ih­ren frühe­ren Ein­tritt in den Ru­he­stand vor­zu­se­hen, zu der sich die be­tref­fen­den na­tio­na­len Stel­len auf­grund po­li­ti­scher, wirt­schaft­li­cher, so­zia­ler, de­mo­gra­phi­scher und/oder haus­halts­be­zo­ge­ner Erwägun­gen und in An­be­tracht der kon­kre­ten Ar­beits­markt­la­ge ver­an­lasst se­hen können (Rn 68).

Für das Ge­richt stellt sich der Sach­ver­halt ge­genwärtig so dar, dass der Streit­fall deut­lich wei­ter von Vor­ga­ben des EuGH ent­fernt ist als im Fall Pa­la­ci­os de la Vil­la. Dass nämlich § 19 RTV da­zu die­nen würde, die Ar­beits­lo­sig­keit ein­zudämmen (EuGH 16. Ok­to­ber 2007 - C-411/05 [Pa­la­ci­os de la Vil­la] Rn. 62) ist – von Erwägun­gen all­ge­mei­ner Art ab­ge­se­hen - nicht recht er­kenn­bar.

• Für den RTV Gebäuderei­ni­gung ist die nach dem Ur­teil des EuGH vom 16.10.2007 er­for­der­li­che Ziel­set­zung nicht er­kenn­bar. Zie­le, die ei­ner Über­prüfung auf ih­re

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Verhält­nismäßig­keit zugäng­lich wären, sind we­der im Ta­rif­ver­trag noch in der All­ge­mein­ver­bind­lich­keits­erklärung des Bun­des­mi­nis­te­ri­ums für Ar­beit und Wirt­schaft be­nannt.

• Die Al­ters­gren­ze „65“ ist im RTV Gebäuderei­ni­ger­hand­werk seit vie­len Jah­ren un­verändert und un­be­ein­flusst von der je­wei­li­gen Ar­beits­markt­la­ge und - so­weit er­kenn­bar - un­be­ein­flußt von der kon­junk­tu­rel­len und de­mo­gra­fi­schen Ent­wick­lung nor­miert und da­mit au­gen­schein­lich nicht zur Lösung oder Mil­de­rung kon­kre­ter Son­der­si­tua­tio­nen auf dem Ar­beits­markt ein­ge­setzt wor­den.

• Sch­ließlich ver­bie­tet § 19 RTV nicht die Beschäfti­gung älte­rer Ar­beit­neh­mer, son­dern gibt le­dig­lich dem Ar­beit­ge­ber die Möglich­keit, sich von älte­ren Ar­beit­neh­mern zu tren­nen. In der Fir­ma der Be­klag­ten sind denn auch meh­re­re Beschäftig­te tätig, die älter als 65 und auch älter als 70 sind.

• Ei­ne Ver­pflich­tung des Ar­beit­ge­bers, an­stel­le ei­ner Ar­beit­neh­me­rin, die we­gen Er­rei­chens des 65. Le­bens­jah­res aus­ge­schie­den ist, ei­ne an­de­re Ar­beit­neh­me­rin ein­zu­stel­len, sieht § 19 RTV nicht vor. Dass un­abhängig vom Feh­len ei­ner der­ar­ti­gen recht­li­chen Ver­pflich­tung ei­ne weit ver­brei­te­te tatsächli­che Hand­ha­bung in die­sem Sin­ne vor­han­den wäre, ist em­pi­risch nicht fest­stell­bar be­zie­hungs­wei­se nicht be­kannt.

• Die Über­le­gung, dass die mit dem Er­rei­chen des Re­gel­ren­ten­al­ters aus dem Un­ter­neh­men aus­schei­den­den Ar­beit­neh­mer auf dem Ar­beits­markt we­gen ih­rer so­zia­len Si­che­rung durch ei­ne Al­ters­ren­te kei­ne An­schluss­beschäfti­gung su­chen würden (BVerfG 30.3.1999 - 1 BvR 1814/94), dürf­te für den Nied­rig­lohn­sek­tor kaum zu­tref­fen.

• Nach dem Ver­trags­in­halt und der Ver­trags­dau­er konn­te die Kläge­rin und kann bei ty­pi­sie­ren­der Be­trach­tungs­wei­se ei­ne teil­zeit­beschäftig­ter Ar­beit­neh­me­rin im Gebäuderei­ni­gungs­ge­wer­be kei­ne Ansprüche in der ge­setz­li­chen Al­ters­ver­sor­gung er­wer­ben, die auskömmlich sein könn­te.

Die Über­le­gung, dass die sich aus der Bei­trags­zah­lung er­ge­ben­de Ver­sor­gung vor­her­seh­bar ist und auch der Zeit­punkt des Ein­tritts in den Ru­he­stand fest steht, so dass der Ar­beit­neh­mer ge­hal­ten ist, sei­ne Le­bens­pla­nung auf die zu er­war­ten­den Ver­sor­gungs­bezüge ein­zu­stel­len (BAG 18.6.2008 – 7 AZR 116/07) er­scheint abs­trakt zu­tref­fend, hat aber mit der Le­bens­wirk­lich­keit von teil­zeit­beschäftig­ten Ar­beit­neh­me­rin­nen im Gebäuderei­ni­gungs­ge­wer­be bei Mi­ni-Jobs nur be­dingt zu tun. Bei der Vergütung, die ei­ne teil­zeit­beschäftig­te Ar­beit­neh­me­rin im Rei­ni­gungs­ge­wer­be er­zielt, be­steht re­gelmäßig

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kein Raum für die Bil­dung von Rück­la­gen oder für den Ab­schluss von zusätz­li­chen Ver­si­che­rungs­verträgen.

• Würde die Kläge­rin, nach­dem sie bei der Be­klag­ten we­gen des Er­rei­chens des Re­gel­ren­ten­al­ters aus­ge­schie­den ist, sich bei ei­nem an­de­ren Ar­beit­ge­ber oder auch bei der Be­klag­ten neu be­wer­ben, dürf­te sie we­gen ih­res Al­ters nicht ab­ge­lehnt wer­den.

• Die Ge­fahr, dass die Be­leg­schaf­ten in der Bran­che Gebäuderei­ni­gung übe­r­al­tern würden, ist nicht er­kenn­bar. Nie­mand macht gel­tend, dass ei­ne Viel­zahl von Ar­beit­neh­me­rin­nen über das 65. Le­bens­jahr hin­aus ar­bei­ten wol­len würde.

• Auch der Ge­sichts­punkt der Pla­nungs­si­cher­heit er­scheint nicht ge­eig­net, die Al­ters­dis­kri­mi­nie­rung zu recht­fer­ti­gen. Ein Ar­beit­ge­ber, der wis­sen möch­te, ob und ge­ge­be­nen­falls wie lan­ge sei­ne Ar­beit­neh­me­rin­nen über das fünf­und­sech­zigs­te Le­bens­jahr hin­aus ar­bei­ten möch­ten, kann die­se an­spre­chen und sie da­nach fra­gen. Dar­in dürf­te kein un­zu­mut­ba­rer Auf­wand zu er­bli­cken sein.

Es er­scheint nach al­lem nötig, zu er­fah­ren, ob nach Auf­fas­sung des EuGH hin­rei­chen­de Gründe er­kenn­bar sind, die im vor­lie­gen­den Ta­rif­ver­trag ei­ne 65-Jah­res-Gren­ze recht­fer­ti­gen können bzw. ob die in Re­de ste­hen­de Se­nio­ritäts­re­ge­lung noch mit dem primärrecht­li­chen Grund­satz der Gleich­be­hand­lung in Beschäfti­gung und Be­ruf und mit der Richt­li­nie 2000/78/EG ver­ein­bar ist. Durf­ten die Ta­rif­ver­trags­par­tei­en ei­ne Re­ge­lung wie in § 19 RTV ver­ein­ba­ren? Durf­ten die Bun­des­re­gie­rung § 19 RTV für all­ge­mein­ver­bind­lich erklären? Ist die all­ge­mei­ne Über­le­gung, dass die Ent­las­sung ei­nes älte­ren Ar­beit­neh­mers ei­nen po­si­ti­ven Ef­fekt für den Ar­beits­markt auslösen kann, weil mögli­cher­wei­se an­stel­le des älte­ren Ar­beit­neh­mers ein jünge­rer Ar­beit­neh­mer ein­ge­stellt wird, aus­rei­chend, um ei­ne Al­ters­dis­kri­mi­nie­rung zu recht­fer­ti­gen?


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