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ARBEITSRECHT AKTUELL // 15/141

Re­form der Grund­ord­nung für den kirch­li­chen Dienst

Die ka­tho­li­sche Bi­schofs­kon­fe­renz hat am 27.04.2015 ei­ne weit­rei­chen­de Re­form des kirch­li­chen Ar­beits­rechts be­schlos­sen: Grund­ord­nung des kirch­li­chen Diens­tes im Rah­men kirch­li­cher Ar­beits­ver­hält­nis­se, in der Fas­sung vom 27.04.2015
Gesetzestext mit darauf liegendem Holzkreuz

29.05.2015. In den ver­gan­ge­nen Jah­ren sorg­te das Ar­beits­recht der ka­tho­li­schen Kir­che im­mer wie­der für Schlag­zei­len, weil die Ar­beits­ge­rich­te über Kün­di­gun­gen von Kir­chen­mit­ar­bei­tern zu ent­schei­den hat­ten, die ge­gen den kirch­li­chen Glau­ben oder die kirch­li­che Sit­ten­leh­re ver­sto­ßen hat­ten.

Auch wenn die­se Pro­zes­se zum Teil für die ka­tho­li­schen Ar­beit­ge­ber aus­gin­gen, zeig­te die öf­fent­li­che Dis­kus­si­on doch, dass die Kir­che mit ih­ren An­for­de­run­gen an die Le­bens­füh­rung ih­rer Ar­beit­neh­mer kaum mehr auf Ver­ständ­nis stößt.

En­de April die­ses Jah­res hat die deut­sche Bi­schofs­kon­fe­renz da­her das ka­tho­li­sche Kir­chen­ar­beits­recht li­be­ra­li­siert: Grund­ord­nung des kirch­li­chen Diens­tes im Rah­men kirch­li­cher Ar­beits­ver­hält­nis­se, in der Fas­sung vom 27.04.2015.

Drit­ter Weg und Grund­ord­nung des kirch­li­chen Diens­tes

Wer als Ge­mein­de­hel­fer oder Kir­chen­mu­si­ker bei der ka­tho­li­schen Kir­che oder als Er­zie­he­rin, Kran­ken­schwes­ter oder Arzt in ei­ner Ein­rich­tung der ka­tho­li­schen Ca­ri­tas ar­bei­tet, hat ei­ne spe­zi­el­le ar­beits­recht­li­che Stel­lung.

Denn das Ar­beits­verhält­nis ei­nes Kir­chen­mit­ar­bei­ters rich­tet sich

  • ei­ner­seits nach den von der Kir­che vor­ge­ge­be­nen Grundsätzen des Glau­bens und der pri­va­ten Le­bensführung,
  • an­de­rer­seits aber auch nach dem für al­le Ar­beit­neh­mer in Deutsch­land gel­ten­den "nor­ma­len" Ar­beits­recht.

Grund­la­ge die­ser ar­beits­recht­li­chen Son­der­re­geln ist der sog. drit­te Weg, den die ka­tho­li­sche (wie auch die evan­ge­li­sche) Kir­che in Deutsch­land bei der Aus­ge­stal­tung ih­res Ar­beits­rechts gewählt hat.

Drit­ter Weg heißt: Die ar­beits­recht­li­chen Be­zie­hun­gen zwi­schen der Kir­che bzw. zwi­schen ka­ri­ta­ti­ven kirch­li­chen Ein­rich­tun­gen (Kin­dergärten, Kran­kenhäusern, Pfle­ge­ein­rich­tun­gen) als "Dienst­ge­ber" und dem "Dienst­neh­mer" wer­den

  • we­der - wie im Be­am­ten­recht - durch ein­sei­tig von der Kir­che vor­ge­ge­be­ne Rechts­re­geln be­stimmt (ers­ter Weg)
  • noch durch das nor­ma­le, für al­le Ar­beit­neh­mer gel­ten­de Ar­beits­recht ein­sch­ließlich der An­wen­dung von Ta­rif­verträgen (zwei­ter Weg),

son­dern durch ei­genständi­ge Rechts­re­geln zur Mit­ar­bei­ter­ver­tre­tung und zum In­di­vi­dual­ar­beits­recht, die von kirch­li­chen Gre­mi­en, den Ar­beits­ver­trags­kom­mis­sio­nen, un­ter Be­tei­li­gung der Dienst­ge­ber- und der Dienst­neh­mer­sei­te er­stellt wer­den. Leit­bild die­ser ar­beits­recht­li­chen Re­ge­lun­gen ist die "christ­li­che Dienst­ge­mein­schaft".

Der drit­te Weg be­ruht ver­fas­sungs­recht­lich auf Art. 4 Grund­ge­setz (GG), der die Re­li­gi­ons­frei­heit gewähr­leis­tet, und auf dem kirch­li­chen Selbst­be­stim­mungs­recht, das die Re­li­gi­ons­frei­heit ab­si­chert und durch Art. 140 GG in Ver­bin­dung mit Art.137 Abs. 3 Wei­ma­rer Rechts­ver­fas­sung (WRV) ga­ran­tiert wird.

Im Rah­men des drit­ten Wegs ver­pflich­ten die ka­tho­li­sche Kir­che und die Ein­rich­tun­gen der Ca­ri­tas ih­re Ar­beit­neh­mer per Ar­beits­ver­trag auf die Be­ach­tung der sog. "Grund­ord­nung des kirch­li­chen Diens­tes im Rah­men kirch­li­cher Ar­beits­verhält­nis­se". Die­ses Re­gel­werk um­fasst zehn Ar­ti­kel und de­fi­niert sog. Loya­litäts­pflich­ten, die Ar­beit­neh­mer ka­tho­li­scher Ar­beit­ge­ber bei der pri­va­ten Le­bensführung und in Glau­bens­fra­gen be­ach­ten müssen.

Die­se Grund­ord­nung wur­de am 27.04.2015 in we­sent­li­chen Punk­ten li­be­ra­li­siert: Grund­ord­nung des kirch­li­chen Diens­tes im Rah­men kirch­li­cher Ar­beits­verhält­nis­se, in der Fas­sung vom 27.04.2015.

Ände­run­gen bei den Loya­litätsob­lie­gen­hei­ten

Die in Art.4 der Grund­ord­nung fest­ge­leg­ten "Loya­litätsob­lie­gen­hei­ten" un­ter­schei­den wie in der bis­he­ri­gen Fas­sung der Grund­ord­nung zwi­schen

  • ka­tho­li­schen Mit­ar­bei­tern,
  • nicht ka­tho­li­schen christ­li­chen Mit­ar­bei­tern, und
  • nicht­christ­li­chen Mit­ar­bei­tern.

Während von den nicht­christ­li­chen Mit­ar­bei­tern nur er­war­tet wird, dass sie ih­re Auf­ga­ben "im Sin­ne der Kir­che" erfüllen, und von den christ­li­chen, aber nicht ka­tho­li­schen Mit­ar­bei­tern die Ach­tung der "Wahr­hei­ten und der Wer­te des Evan­ge­li­ums" ver­langt wird, sind die An­for­de­run­gen an die ka­tho­li­schen Mit­ar­bei­ter stren­ger. Sie müssen "die Grundsätze der ka­tho­li­schen Glau­bens- und Sit­ten­leh­re an­er­ken­nen und be­ach­ten".

Noch stren­ger sind die An­for­de­run­gen an Ar­beit­neh­mer, die den ka­tho­li­schen Glau­ben nach außen hin re­präsen­tie­ren. Bei die­sen Mit­ar­bei­tern ist das "persönli­che Le­bens­zeug­nis im Sin­ne der Grundsätze der ka­tho­li­schen Glau­bens- und Sit­ten­leh­re er­for­der­lich". An die­ser Stel­le gibt es ei­ne Ände­rung, denn durch die Neu­fas­sung der Grund­ord­nung wird die Zahl die­ser Re­präsen­tan­ten mit Vor­bild­funk­ti­on be­grenzt:

Während ein vor­bild­li­cher ka­tho­li­scher Le­bens­wan­del nach der bis­he­ri­gen Fas­sung der Grund­ord­nung un­ter an­de­rem

  • von Ar­beit­neh­mern im er­zie­he­ri­schen Dienst und
  • von al­len lei­ten­den Mit­ar­bei­tern

ver­langt wur­de, gilt die­se Pflicht für die­se bei­den Ar­beit­neh­mer­grup­pen nach der Neu­fas­sung der Grund­ord­nung nur noch "in der Re­gel". Ob da­her auch künf­tig noch von ei­ner Er­zie­he­rin in ei­nem ka­tho­li­schen Kin­der­gar­ten oder von ei­nem Ober­arzt in ei­nem ka­tho­li­schen Kran­ken­hau­ses ein vor­bild­li­cher Le­bens­wan­del im Sin­ne ei­nes "persönli­che Le­bens­zeug­nis­ses" ver­langt wird, ist eher un­wahr­schein­lich.

De­fi­ni­ti­on der "schwer­wie­gen­den" Loya­litäts­pflicht­verstöße

Während nach der bis­he­ri­gen Fas­sung der Grund­ord­nung die "schwer­wie­gen­den" Verstöße ge­gen Loya­litäts­pflich­ten ein­heit­lich für ka­tho­li­sche und an­de­re Mit­ar­bei­ter fest­ge­legt wa­ren (wo­bei be­stimm­te Pflicht­verstöße wie der Kir­chen­aus­tritt natürlich nur von ka­tho­li­schen Ar­beit­neh­mern be­gan­gen wer­den konn­ten), un­ter­schei­det die Neu­fas­sung der Grund­ord­nung aus­drück­lich zwi­schen

  • Loya­litäts­pflicht­verstößen, die von al­len Mit­ar­bei­tern be­gan­gen wer­den können, und
  • Loya­litäts­pflicht­verstößen, die nur ka­tho­li­sche Ar­beit­neh­mer be­tref­fen.

In der Sa­che selbst wur­den die kündi­gungs­re­le­van­ten sog. "schwer­wie­gen­den" Loya­litäts­verstöße (Art.5 der Grund­ord­nung) er­heb­lich entschärft bzw. li­be­ra­li­siert.

Schwer­wie­gen­de Loya­litäts­verstöße, die von al­len Ar­beit­neh­mern be­gan­gen wer­den können

Schwer­wie­gen­de Loya­litäts­pflicht­verstöße, die bei al­len Mit­ar­bei­tern ei­ne Kündi­gung zur Fol­ge ha­ben können (aber nicht un­be­dingt müssen), sind nach Art.5 Abs.2 Nr.1 der ak­tu­el­len Fas­sung der Grund­ord­nung:

a)  das öffent­li­che Ein­tre­ten ge­gen tra­gen­de Grundsätze der ka­tho­li­schen Kir­che (z. B. die Pro­pa­gie­rung der Ab­trei­bung oder von Frem­den­hass),
b) schwer­wie­gen­de persönli­che sitt­li­che Ver­feh­lun­gen, die nach den kon­kre­ten Umständen ob­jek­tiv ge­eig­net sind, ein er­heb­li­ches Ärger­nis in der Dienst­ge­mein­schaft oder im be­ruf­li­chen Wir­kungs­kreis zu er­re­gen und die Glaubwürdig­keit der Kir­che zu be­ein­träch­ti­gen,
c) das Ver­un­glimp­fen oder Verhöhnen von ka­tho­li­schen Glau­bens­in­hal­ten, Ri­ten oder Gebräuchen; öffent­li­che Got­tesläste­rung und Her­vor­ru­fen von Hass und Ver­ach­tung ge­gen Re­li­gi­on und Kir­che (vgl. c. 1369 CIC); Straf­ta­ten ge­gen die kirch­li­chen Au­to­ritäten und die Frei­heit der Kir­che (vgl. cc. 1373, 1374 CIC),
d) die Pro­pa­gie­rung von re­li­giösen und welt­an­schau­li­chen Über­zeu­gun­gen, die im Wi­der­spruch zu ka­tho­li­schen Glau­bens­in­hal­ten ste­hen, während der Ar­beits­zeit oder im dienst­li­chen Zu­sam­men­hang, ins­be­son­de­re die Wer­bung für an­de­re Re­li­gi­ons- oder Welt­an­schau­ungs­ge­mein­schaf­ten.

Während nach der bis­lang gel­ten­den Grund­ord­nung "schwer­wie­gen­de persönli­che sitt­li­che Ver­feh­lun­gen" wie z.B. ein fort­ge­setz­tes ehe­bre­che­ri­sches Verhält­nis oh­ne wei­te­res be­reits als schwer­wie­gen­de Pflicht­verstöße gal­ten, ist das nach der Neu­fas­sung nur noch dann der Fall, wenn die Ver­feh­lun­gen "nach den kon­kre­ten Umständen ob­jek­tiv ge­eig­net sind, ein er­heb­li­ches Ärger­nis in der Dienst­ge­mein­schaft oder im be­ruf­li­chen Wir­kungs­kreis zu er­re­gen und die Glaubwürdig­keit der Kir­che zu be­ein­träch­ti­gen". Da­mit ist der Ehe­bruch im All­ge­mei­nen kein aus­rei­chen­der Grund mehr für ei­ne Kündi­gung.

Die in Punkt d) ge­nann­ten Hand­lun­gen wa­ren bis­lang als Pflicht­verstöße nicht aus­drück­lich ge­nannt. Jetzt wird das Wer­ben für an­de­re Re­li­gi­ons­ge­mein­schaf­ten zwar ex­pli­zit in die Lis­te von schwer­wie­gen­den Ver­feh­lun­gen auf­ge­nom­men, al­ler­dings mit dem Zu­satz, dass die­ses Wer­ben "während der Ar­beits­zeit oder im dienst­li­chen Zu­sam­men­hang" er­fol­gen muss. Außer­halb der Ar­beits­zeit bzw. im pri­va­ten Be­reich ist ein sol­ches Ver­hal­ten für den ka­tho­li­schen Ar­beit­ge­ber zwar ärger­lich, aber kein kündi­gungs­re­le­van­ter Loya­litäts­ver­s­toß.

Schwer­wie­gen­de Loya­litäts­verstöße, die nur von ka­tho­li­schen Ar­beit­neh­mern be­gan­gen wer­den können

Schwer­wie­gen­de Loya­litäts­pflicht­verstöße, die bei ka­tho­li­schen Mit­ar­bei­tern ei­ne Kündi­gung zur Fol­ge ha­ben können (aber nicht un­be­dingt müssen), sind nach Art.5 Abs.2 Nr.2 der ak­tu­el­len Fas­sung der Grund­ord­nung:

a) der Aus­tritt aus der ka­tho­li­schen Kir­che,
b) Hand­lun­gen, die kir­chen­recht­lich als ein­deu­ti­ge Dis­tan­zie­rung von der ka­tho­li­schen Kir­che an­zu­se­hen sind, vor al­lem Ab­fall vom Glau­ben (Apost­asie oder Häre­sie gemäß c. 1364 § 1 i.V. m. c. 751 CIC),
c) der kir­chen­recht­lich un­zulässi­gen Ab­schluss ei­ner Zi­vil­ehe, wenn die­se Hand­lung nach den kon­kre­ten Umständen ob­jek­tiv ge­eig­net ist, ein er­heb­li­ches Ärger­nis in der Dienst­ge­mein­schaft oder im be­ruf­li­chen Wir­kungs­kreis zu er­re­gen und die Glaubwürdig­keit der Kir­che zu be­ein­träch­ti­gen; ei­ne sol­che Eig­nung wird bei pas­to­ral oder ka­te­che­tisch täti­gen Mit­ar­bei­te­rin­nen und Mit­ar­bei­tern so­wie bei Mit­ar­bei­te­rin­nen und Mit­ar­bei­tern, die auf­grund ei­ner Mis­sio ca­no­ni­ca oder ei­ner sons­ti­gen schrift­lich er­teil­ten bischöfli­chen Be­auf­tra­gung beschäftigt wer­den, un­wi­der­leg­bar ver­mu­tet,
d) das Ein­ge­hen ei­ner ein­ge­tra­ge­nen Le­bens­part­ner­schaft; bei die­sem Loya­litäts­ver­s­toß fin­det Ziff. 2c) ent­spre­chen­de An­wen­dung.

Mit den Punk­ten c) und d) wur­de die bis­he­ri­ge Rechts­la­ge er­heb­lich zu­guns­ten der ka­tho­li­schen Beschäftig­ten geändert.

Denn ob­wohl der kir­chen­recht­lich un­zulässi­ge Ab­schluss ei­ner Zi­vil­ehe, d.h. die er­neu­te stan­des­amt­li­che Hei­rat nach (bloß) zi­vil­recht­li­cher Schei­dung ei­ner ka­tho­li­schen Ehe, und auch die Ein­ge­hung ei­ner ho­mo­se­xu­el­len ein­ge­tra­ge­nen Le­bens­part­ner­schaft im Prin­zip nach wie vor als schwer­wie­gen­der Loya­litäts­ver­s­toß an­ge­se­hen wer­den können, muss nach der re­for­mier­ten Fas­sung der Grund­ord­nung hin­zu­kom­men, dass ei­ne sol­che Ehe bzw. Le­bens­part­ner­schaft "nach den kon­kre­ten Umständen ob­jek­tiv ge­eig­net ist, ein er­heb­li­ches Ärger­nis in der Dienst­ge­mein­schaft oder im be­ruf­li­chen Wir­kungs­kreis zu er­re­gen und die Glaubwürdig­keit der Kir­che zu be­ein­träch­ti­gen".

Im Er­geb­nis heißt das, dass

  • die zi­vil­recht­li­che Wie­der­ver­hei­ra­tung oh­ne vor­he­ri­ge kir­chen­recht­li­che An­nul­lie­rung ei­ner ka­tho­lisch ge­schlos­se­nen Ehe, und
  • die ho­mo­se­xu­el­le Le­bens­part­ner­schaft

im All­ge­mei­nen bzw. oh­ne wei­te­re be­son­de­re Umstände kein Grund mehr sind, ei­nen bei der Kir­che oder Ca­ri­tas beschäftig­ten ka­tho­li­schen Mit­ar­bei­ter zu kündi­gen (so aus­drück­lich die Pres­se­mel­dung der deut­schen Bi­schofs­kon­fe­renz vom 05.05.2015).

Auf der Grund­la­ge die­ser Rechtsände­run­gen wäre der be­kann­te Streit­fall des we­gen Wie­der­ver­hei­ra­tung gekündig­ten Chef­arz­tes ei­nes ka­tho­li­schen Kran­ken­hau­ses, der mit sei­ner Kündi­gungs­schutz­kla­ge in al­len drei In­stan­zen bis hin zum Bun­des­ar­beits­ge­richt (BAG) Er­folg hat­te, dann al­ler­dings ei­ne Auf­he­bung des BAG-Ur­teils durch das Bun­des­ver­fas­sungs­ge­richt (BVerfG) hin­neh­men muss­te (wir be­rich­te­ten in Ar­beits­recht ak­tu­ell: 14/388 Kündi­gung durch kirch­li­che Ar­beit­ge­ber aus sitt­lich-mo­ra­li­schen Gründen), heu­te wohl ein­deu­tig zu­guns­ten des Chef­arz­tes zu lösen. Denn da ein kon­kre­tes Ärger­nis in der Dienst­ge­mein­schaft (= Kran­ken­haus) nicht vor­lag, hätte dem Chef­arzt von vorn­her­ein nicht der Vor­wurf ge­macht wer­den können, in ei­ner schwer­wie­gen­den bzw. kündi­gungs­re­le­van­ten Wei­se ge­gen sei­ne Loya­litäts­pflich­ten ver­s­toßen zu ha­ben.

Vor­ga­ben zur Abwägung in Kündi­gungsfällen

Wie das staat­li­che Ar­beits­recht so sieht auch die Grund­ord­nung vor, dass ein schwer­wie­gen­der Pflicht­ver­s­toß als sol­cher noch nicht au­to­ma­tisch ei­ne Kündi­gung nach sich zie­hen muss, son­dern dass hier­zu im­mer die Umstände des Ein­zel­falls um­fas­send zu würdi­gen bzw. ge­gen­ein­an­der ab­zuwägen sind. Es gab und gibt nach der Grund­ord­nung kei­nen Kündi­gungs­au­to­ma­tis­mus.

Bis­lang lau­te­te die all­ge­mei­ne Vor­ga­be, die die Grund­ord­nung dem Rechts­an­wen­der für die Abwägung des kirch­li­chen Be­en­di­gungs­wun­sches ge­gen das Fort­set­zungs­in­ter­es­se des Mit­ar­bei­ters mach­te, so (bis­he­ri­ge Fas­sung der Grund­ord­nung, Art.5 Abs.4):

"Wird ei­ne Wei­ter­beschäfti­gung nicht be­reits nach Abs.3 aus­ge­schlos­sen, so hängt im übri­gen die Möglich­keit ei­ner Wei­ter­beschäfti­gung von den Ein­zel­fal­l­umständen ab, ins­be­son­de­re vom Aus­maß ei­ner Gefähr­dung der Glaubwürdig­keit von Kir­che und kirch­li­cher Ein­rich­tung, von der Be­las­tung der kirch­li­chen Dienst­ge­mein­schaft, der Art der Ein­rich­tung, dem Cha­rak­ter der über­tra­ge­nen Auf­ga­be, de­ren Nähe zum kirch­li­chen Verkündi­gungs­auf­trag, von der Stel­lung der Mit­ar­bei­te­rin oder des Mit­ar­bei­ters in der Ein­rich­tung so­wie von der Art und dem Ge­wicht der Ob­lie­gen­heits­ver­let­zung. Da­bei ist auch zu berück­sich­ti­gen, ob ei­ne Mit­ar­bei­te­rin oder ein Mit­ar­bei­ter die Leh­re der Kir­che bekämpft oder sie an­er­kennt, aber im kon­kre­ten Fall ver­sagt."

Im Un­ter­schied zu die­sen Abwägungs­ge­sichts­punk­ten, die bis auf Satz 2 die­ser Vor­schrift al­le­samt auf die Kir­che als den kündi­gen­den Dienst­ge­ber be­zo­gen sind, lau­tet die ent­spre­chen­de Re­ge­lung (Art.5 Abs.3) der ak­tu­el­len Grund­ord­nung:

"Liegt ein schwer­wie­gen­der Loya­litäts­ver­s­toß nach Ab­satz 2 vor, so hängt die Möglich­keit der Wei­ter­beschäfti­gung von der Abwägung der Ein­zel­fal­l­umstände ab. Dem Selbst­verständ­nis der Kir­che ist da­bei ein be­son­de­res Ge­wicht bei­zu­mes­sen, oh­ne dass die In­ter­es­sen der Kir­che die Be­lan­ge des Ar­beit­neh­mers da­bei prin­zi­pi­ell über­wie­gen. An­ge­mes­sen zu berück­sich­ti­gen sind un­ter an­de­rem das Be­wusst­sein der Mit­ar­bei­te­rin oder des Mit­ar­bei­ters für die be­gan­ge­ne Loya­litäts­pflicht­ver­let­zung, das In­ter­es­se an der Wah­rung des Ar­beits­plat­zes, das Al­ter, die Beschäfti­gungs­dau­er und die Aus­sich­ten auf ei­ne neue Beschäfti­gung. Bei Mit­ar­bei­te­rin­nen und Mit­ar­bei­tern, die pas­to­ral, ka­te­che­tisch, auf­grund ei­ner Mis­sio ca­no­ni­ca oder ei­ner sons­ti­gen schrift­lich er­teil­ten bischöfli­chen Be­auf­tra­gung beschäftigt wer­den, schließt das Vor­lie­gen ei­nes schwer­wie­gen­den Loya­litäts­ver­s­toßes nach Ab­satz 2 die Möglich­keit der Wei­ter­beschäfti­gung in der Re­gel aus. Von ei­ner Kündi­gung kann in die­sen Fällen aus­nahms­wei­se ab­ge­se­hen wer­den, wenn schwer­wie­gen­de Gründe des Ein­zel­fal­les die­se als un­an­ge­mes­sen er­schei­nen las­sen. Glei­ches gilt für den Aus­tritt ei­ner Mit­ar­bei­te­rin oder ei­nes Mit­ar­bei­ters aus der ka­tho­li­schen Kir­che."

Satz 2 die­ser Re­ge­lung enthält ei­ne wich­ti­ge An­glei­chung an das all­ge­mei­ne Ar­beits­recht, weil hier erst­mals klar­ge­stellt wird, dass bei der Abwägung in ei­nem Kündi­gungs­fall das "In­ter­es­se" (sic!) der Kir­che nicht prin­zi­pi­ell vor­ran­gig ge­genüber den Be­lan­gen des Ar­beit­neh­mers sein soll. Auch wer­den kon­kre­te, auf den Mit­ar­bei­ter be­zo­ge­ne Abwägungs­ge­sichts­punk­te, die im staat­li­chen Kündi­gungs­schutz­recht selbst­verständ­lich sind, aus­drück­lich ge­nannt, so das Al­ter, die Beschäfti­gungs­dau­er und die Aus­sich­ten auf ei­ne neue Beschäfti­gung.

Die­se Neu­re­ge­lung ist nicht nur in der Sa­che bzw. aus Ar­beit­neh­mer­sicht po­si­tiv, son­dern dient auch der Rechts­si­cher­heit. Denn bis­lang war weit­ge­hend un­klar, wel­che Ge­sichts­punk­te bei der Abwägung der wi­der­strei­ten­den Be­lan­ge von Ar­beit­neh­mer und kirch­li­chem Ar­beit­ge­ber in Kündi­gungsfällen über­haupt ei­ne Rol­le spie­len können bzw. wie sie zu ge­wich­ten sind.

Durch die Neu­re­ge­lung wird erst­mals klar ge­sagt, dass sich auch die kirch­li­chen Be­wer­tun­gen der vom Mit­ar­bei­ter be­gan­ge­nen Pflicht­verstöße ei­ne Re­la­ti­vie­rung im Pro­zess der Abwägung ge­fal­len las­sen müssen, d.h. dass die In­ter­es­sen­abwägung er­geb­nis­of­fen vor­zu­neh­men ist.

Zen­tra­le Stel­le zur Vor­ab-Be­ur­tei­lung von ge­plan­ten Kündi­gun­gen

Darüber hin­aus sieht die re­for­mier­te Grund­ord­nung in ih­rem Art.5 Abs.4 vor, dass künf­tig "zur Si­cher­stel­lung ei­ner ein­heit­li­chen Rechts­an­wen­dung" ei­ne zen­tra­le Stel­le in je­der Diöze­se oder von meh­re­ren Diöze­sen ge­bil­det wer­den soll. Auf­ga­be die­ser Stel­le ist es, in Aus­sicht ge­nom­me­ne Kündi­gun­gen we­gen Loya­litäts­verstößen vor­ab zu be­ur­tei­len. Kon­kret soll dies ein Voll­ju­rist tun, der der ka­tho­li­schen Kir­che an­gehört und über fun­dier­te Er­fah­run­gen im kirch­li­chen und welt­li­chen Ar­beits­recht verfügt.

Holt der Dienst­ge­ber, der ei­ne loya­litäts­be­ding­te Kündi­gung aus­spre­chen möch­te, kei­ne sol­che Vor­ab-Be­ur­tei­lung ein, führt dies al­ler­dings nicht zur Un­wirk­sam­keit der Kündi­gung.

Auch die­se Re­ge­lung ist zu be­grüßen, denn die Rechts­fra­gen, die mit ei­ner ver­hal­tens­be­ding­ten Kündi­gung we­gen an­geb­li­cher gra­vie­ren­der Loya­litäts­pflicht­verstöße auf­ge­wor­fen wer­den, sind so kom­pli­ziert, dass die Ein­schal­tung ei­nes kündi­gungs­recht­li­chen Kom­pe­tenz­zen­trums sinn­voll ist. Wahr­schein­lich wird in­fol­ge die­ser pro­fes­sio­nel­len ju­ris­ti­schen Vor­ab-Be­ur­tei­lung man­che Kündi­gung nicht aus­ge­spro­chen wer­den.

Zu­tritts­recht der Ge­werk­schaf­ten zu kirch­li­chen Be­trie­ben

Während es nach der bis­he­ri­gen Fas­sung der Grund­ord­nung nur den Mit­ar­bei­tern selbst er­laubt war, in­ner­halb ih­rer Ein­rich­tung für den Bei­tritt zu ei­ner Ge­werk­schaft zu wer­ben (Art.6 Abs.1 Satz 2 - bis­he­ri­ge Fas­sung), ist dies nach der Neu­fas­sung nun­mehr auch den Ge­werk­schaf­ten selbst er­laubt (Art.6 Abs.2 Grund­ord­nung - Neu­fas­sung). Art.6 Abs.2 der re­for­mier­ten Grund­ord­nung lau­tet:

"Die Ko­ali­tio­nen sind be­rech­tigt, im Rah­men der ver­fas­sungs­recht­li­chen Gren­zen in­ner­halb der kirch­li­chen Ein­rich­tung für den Bei­tritt zu die­sen Ko­ali­tio­nen zu wer­ben, über de­ren Auf­ga­be zu in­for­mie­ren so­wie Ko­ali­ti­ons­mit­glie­der zu be­treu­en."

Wie die Pres­se­mel­dung der deut­schen Bi­schofs­kon­fe­renz vom 05.05.2015 klar­stellt, ist die­se Neu­re­ge­lung als selbständi­ges Zu­tritts­recht der Ge­werk­schaf­ten zu ver­ste­hen, die dem­zu­fol­ge auch sol­che Ge­werk­schafts­funk­ti­onäre zu Wer­be­zwe­cken in die kirch­li­chen Ein­rich­tun­gen schi­cken dürfen, die nicht in kirch­li­chen Diens­ten ste­hen.

Durch die­se Re­ge­lung zieht das ka­tho­li­sche Kir­chen­ar­beits­recht mit dem staat­li­chen Ar­beits­recht gleich, das mitt­ler­wei­le auch ein Wer­be­zwe­cken die­nen­des Zu­tritts­recht von Ge­werk­schaf­ten zu Be­trie­ben be­inhal­tet, und zwar mit der Maßga­be, dass die Ge­werk­schaft über die Per­son des ent­sand­ten Ge­werk­schafts­funk­ti­onärs ent­schei­det und dass die­ser nicht im Be­trieb beschäftigt sein muss.

Fa­zit: Sub­stan­ti­el­le Li­be­ra­li­sie­run­gen des Kir­chen­ar­beits­rechts

Die von der Bi­schofs­kon­fe­renz be­schlos­se­nen Ände­run­gen der Grund­ord­nung des kirch­li­chen Diens­tes im Rah­men kirch­li­cher Ar­beits­verhält­nis­se be­inhal­ten sub­stan­ti­el­le Li­be­ra­li­sie­run­gen und sind da­her kein bloßes "Reförm­chen".

Am wich­tigs­ten ist da­bei die Neu­be­wer­tung ei­ner kirch­lich ungülti­gen Ehe und ei­ner ho­mo­se­xu­el­len Le­bens­part­ner­schaft, d.h. die Ab­schaf­fung der bis­he­ri­gen kir­chen­recht­li­chen Re­gel, dass sol­che "Ver­feh­lun­gen" prak­tisch im­mer ei­ne Kündi­gung zur Fol­ge hat­ten.

Aber auch die ergänzen­den Re­ge­lun­gen, ins­be­son­de­re zur Abwägung in Kündi­gungsfällen und zur Vor­ab-Be­ur­tei­lung ge­plan­ter Kündi­gun­gen, zei­gen, dass es die ka­tho­li­sche Kir­che of­fen­bar ernst meint mit der Annäherung ih­rer Grund­ord­nung an das staat­li­che Ar­beits­recht.

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Letzte Überarbeitung: 13. November 2020

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