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LAG Köln, Ur­teil vom 23.01.2012, 5 Sa 371/11

   
Schlagworte: Kündigung, Schmiergeldverbot
   
Gericht: Landesarbeitsgericht Köln
Aktenzeichen: 5 Sa 371/11
Typ: Urteil
Entscheidungsdatum: 23.01.2012
   
Leitsätze:

1. Wer sich als Arbeitnehmer bei der Ausführung von vertraglichen Aufgaben Vorteile versprechen lässt oder entgegennimmt, die dazu bestimmt oder auch nur geeignet sind, ihn in seinem geschäftlichen Verhalten zugunsten Dritter und zum Nachteil seines Arbeitgebers zu beeinflussen, und damit gegen das sog. Schmiergeldverbot verstößt, handelt den Interessen seines Arbeitgebers zuwider und gibt diesem damit regelmäßig einen Grund zur fristlosen Kündigung. Dabei kommt es grundsätzlich nicht darauf an, ob es zu einer den Arbeitgeber schädigenden Handlung gekommen ist. Es reicht vielmehr aus, dass der gewährte Vorteil allgemein die Gefahr begründet, der Annehmende werde nicht mehr allein die Interessen des Geschäftsherrn wahrnehmen. In Fällen dieser Art liegt die eigentliche Ursache dafür, dass ein solches Verhalten die außerordentliche Kündigung rechtfertigt, nicht so sehr in der Verletzung vertraglicher Pflichten, sondern in der damit zu Tage getretenen Einstellung des Arbeitnehmers, unbedenklich eigene Vorteile bei der Erfüllung von Aufgaben wahrnehmen zu wollen, obwohl er sie allein im Interesse des Arbeitgebers durchzuführen hat. Durch sein gezeigtes Verhalten zerstört er das Vertrauen in seine Zuverlässigkeit und Redlichkeit.

2. Nach § 529 Abs. 1 Nr. 1 Halbsatz 2 ZPO, der über § 64 Abs. 6 Satz 1 ArbGG auch im arbeitsgerichtlichen Berufungsverfahren Anwendung findet, ist das Berufungsgericht an die vom Erstgericht festgestellten Tatsachen gebunden, soweit nicht konkrete Anhaltspunkte Zweifel an der Richtigkeit und Vollständigkeit der entscheidungserheblichen Feststellungen begründen und hiernach eine erneute Feststellung gebieten. Konkrete Anhaltspunkte, die hiernach die Bindung des Berufungsgerichts an den vorinstanzlichen Feststellungen entfallen lassen, können sich dabei insbesondere aus Verfahrensfehlern ergeben, die dem Eingangsgericht bei der Feststellung des Sachverhalts unterlaufen sind. Liegt ein derartiger Verfahrensfehler vor, obliegt dem Berufungsgericht die tatsächliche Inhaltskontrolle des erstinstanzlichen Urteils unbeschadet einer entsprechenden Berufungsrüge.

3. Die erneute Durchführung einer Beweisaufnahme gemäß § 398 Abs. 1 ZPO ist geboten, wenn das Berufungsgericht die Glaubwürdigkeit eines Zeugen anders beurteilen will als die erste Instanz, aber auch dann, wenn sich die nicht nur theoretische Möglichkeit einer unterschiedlichen Wertung ergeben kann

Vorinstanzen: Arbeitsgericht Köln, Urteil vom 9.09.2010, Az: 8 Ca 2939/09
   

5 Sa 371/11

8 Ca 2939/09
Ar­beits­ge­richt Köln  

Verkündet am 23. Ja­nu­ar 2012

Ur­kunds­be­am­tin der Geschäfts­stel­le

 

LAN­DES­AR­BEITS­GERICHT KÖLN

IM NA­MEN DES VOL­KES

UR­TEIL

 

In dem Rechts­streit

- Kläger und Be­ru­fungskläger -

Pro­zess­be­vollmäch­tig­te:

g e g e n

- Be­klag­te und Be­ru­fungs­be­klag­te -

Pro­zess­be­vollmäch­tig­te:

hat die 5. Kam­mer des Lan­des­ar­beits­ge­richts Köln auf die münd­li­che Ver­hand­lung vom 23.01.2012 durch den Vor­sit­zen­den Rich­ter am Lan­des­ar­beits­ge­richt Dr. S als Vor­sit­zen­den so­wie den eh­ren­amt­li­chen Rich­ter Herr L und die eh­ren­amt­li­che Rich­te­rin Frau F

für R e c h t er­kannt:

1. Die Be­ru­fung des Klägers ge­gen das Ur­teil des Ar­beits­ge­richts Köln vom 09. Sep­tem­ber 2010 – 8 Ca 2939/09 – wird zurück­ge­wie­sen.

2. Der Kläger trägt die Kos­ten des Be­ru­fungs­ver­fah­rens.

3. Die Re­vi­si­on wird nicht zu­ge­las­sen.

T a t b e s t a n d

Die Par­tei­en strei­ten über die Wirk­sam­keit ei­ner ver­hal­tens­be­ding­ten Kündi­gung.
Der Kläger ist bei der Be­klag­ten seit dem 1. Mai 1986 als Müll­wer­ker zu ei­nem mo­nat­li­chen Brut­to­ge­halt von zu­letzt 2.900 Eu­ro beschäftigt. Auf das


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Ar­beits­verhält­nis fin­det kraft ein­zel­ver­trag­li­cher Be­zug­nah­me der Ta­rif­ver­trag für den öffent­li­chen Dienst (TVöD) An­wen­dung.

Die Be­klag­te mahn­te den Kläger erst­mals am 21. Ju­li 2005 ab. Sie hielt ihm vor, Müll ei­nes in ei­nem „frem­den“ Ab­fuhr­re­vier ge­le­ge­nen Su­per­markts ge­gen Gewährung von Sach­leis­tun­gen ent­sorgt zu ha­ben.

Ei­ne wei­te­re Ab­mah­nung sprach die Be­klag­te am 20. De­zem­ber 2006 we­gen des Ein­sam­melns von Geld­zu­wen­dun­gen bei Bürgern in K (sog. „Neujähr­chen“) aus.

Die Be­klag­te setzt auf ei­nem Müll­wa­gen drei Ar­beit­neh­mer (ei­nen Fah­rer und zwei Müll­wer­ker) ein. Zu dem Re­vier, dem der Kläger zu­ge­ord­net war, gehörte der Wohn­kom­plex W S. Die Müll­con­tai­ner be­fin­den sich in der Tief­ga­ra­ge. In der Ver­gan­gen­heit brach­ten die Haus­meis­ter des Wohn­kom­ple­xes die Müll­con­tai­ner zur Lee­rung nicht nach oben. Viel­mehr steu­er­ten die Fahr­zeu­ge der Be­klag­ten die Tief­ga­ra­ge an. Zwi­schen den Par­tei­en ist strei­tig, ob sich die je­wei­li­ge Be­sat­zung des Fahr­zeu­ges die­se Tätig­keit von den Haus­meis­tern ge­son­dert be­zah­len ließ. Die Be­klag­te ging ursprüng­lich da­von aus, dass die von ihr an­ge­nom­me­nen Zah­lun­gen nicht für das An­steu­ern der Tief­ga­ra­ge, son­dern für das Ent­sor­gen sog. „Ne­ben­abfälle“ er­folg­ten. Da­bei han­delt es sich um Abfälle, die sich nicht in den dafür vor­ge­se­he­nen gebühren­pflich­ti­gen Con­tai­nern be­fin­den.

Die Be­klag­te hörte den Kläger am 25. März 2009 zu dem Vor­wurf an, er ha­be in dem Ob­jekt in der WS re­gelmäßig für die Mit­nah­me von Ne­ben­abfällen Geld­zah­lun­gen ge­for­dert und er­hal­ten. Ob sie ihm wei­ter­hin vor­hielt, er ha­be am 27. Fe­bru­ar 2009 von den Haus­meis­tern Fund F für den März 2009 die Zah­lung von 60 Eu­ro ver­langt und im An­schluss vom Haus­meis­terbüro aus mit dem neu­en Ver­wal­ter Herrn R te­le­fo­niert, ist zwi­schen den Par­tei­en strei­tig. Der Kläger be­stritt die Vorwürfe.

Mit Schrei­ben vom 27. März 2009 hörte die Be­klag­te den Be­triebs­rat we­gen der Ab­sicht, ei­ne außer­or­dent­li­che Tatkündi­gung, hilfs­wei­se ei­ne außer­or­dent­li­che Tatkündi­gung aus­zu­spre­chen. In der Anhörung heißt es, der Kläger ha­be für die „Ent­sor­gung von Ne­ben­abfällen von Kun­den Bar­geld


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ein­ge­for­dert und an­ge­nom­men und – nach­dem die­se Zah­lun­gen nicht mehr ge­leis­tet wur­de, dem Kun­den so­gar ge­droht, zukünf­tig Ärger mit der Müll­ab­fuhr zu be­kom­men“. We­gen des wei­te­ren In­halts des Anhörungs­schrei­bens wird auf die Ko­pie Bl. 46 ff. d. A. Be­zug ge­nom­men. Der Be­triebs­rat gab kei­ne Stel­lung­nah­me ab.

Die Be­klag­te kündig­te das Ar­beits­verhält­nis mit Schrei­ben vom 2. April 2009 frist­los. Der ge­gen die Wirk­sam­keit der Kündi­gung ge­rich­te­te Kla­ge­an­trag ist am 3. April 2009 bei Ge­richt ein­ge­gan­gen.

Der Kläger hat be­strit­ten, sich pflicht­wid­rig ver­hal­ten zu ha­ben. Er ha­be für die Ab­fall­ent­sor­gung im Ob­jekt WSzu kei­nem Zeit­punkt Geld ge­for­dert oder er­hal­ten. Ne­ben­abfälle fie­len in dem Ob­jekt nicht an. Da­her ha­be er auch am 27. Fe­bru­ar 2009 von den Haus­meis­tern F und F nicht die Zah­lung von 60 Eu­ro für März 2009 ver­langt. Er ha­be auch nicht mit Herrn R te­le­fo­niert. Er hat die ord­nungs­gemäße Anhörung des Be­triebs­rats gerügt.

Der Kläger hat be­an­tragt,

1. fest­zu­stel­len, dass das Ar­beits­verhält­nis nicht durch die außer­or­dent­li­che Kündi­gung vom 03.04.2009 sein En­de ge­fun­den hat;

2. die Be­klag­te zu ver­ur­tei­len, ihn bis zum rechts­kräfti­gen Ab­schluss des Rechts­strei­tes zu den Kon­di­tio­nen des zum 01.11.1985 ge­schlos­se­nen Ar­beits­ver­tra­ges in der heu­ti­gen Aus­ge­stal­tung tatsächlich wei­ter­zu­beschäfti­gen.

Die Be­klag­te hat be­an­tragt,

die Kla­ge ab­zu­wei­sen.


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Sie hat be­haup­tet, der Kläger ha­be am 27. Fe­bru­ar 2009 von den Haus­meis­tern F und F wie be­reits in der Ver­gan­gen­heit auch die Zah­lung von 60 Eu­ro für die Ent­sor­gung von Ne­ben­abfällen im März 2009 ver­langt. Der von den Haus­meis­tern über die bis­he­ri­ge Pra­xis un­ter­rich­te­te neue Ver­wal­ter Herr R ha­be die­se an­ge­wie­sen, zukünf­tig die Zah­lung zu ver­wei­gern. Darüber hätten sie den Kläger un­ter­rich­tet. Die­se sei dar­auf­hin wütend ge­wor­den und ha­be ver­langt, den Chef zu spre­chen. Es sei im Haus­meis­terbüro ein te­le­fo­ni­scher Kon­takt zu Herrn R her­ge­stellt wor­den. Der Kläger ha­be Herrn R ge­droht, zukünf­tig den Ne­ben­ab­fall lie­gen zu las­sen und dafür zu sor­gen, dass er zukünf­tig Ärger mit der Müll­ab­fuhr ha­ben wer­de. Bei der nächs­ten Ab­ho­lung am 5. März 2009 ha­be sich der Kläger ge­wei­gert, den Müll in der Tief­ga­ra­ge ab­zu­ho­len. Er ha­be den Haus­meis­tern erklärt, er wer­de den Müll nur mit­neh­men, wenn sie ihn an die Straße bräch­ten. Sei­ne bei­den Kol­le­gen hätten in ei­ner späte­ren Be­fra­gung an­ge­ge­ben, der Kläger ha­be ih­nen mit­ge­teilt, der Be­triebs­hof ha­be ei­ne ent­spre­chen­de An­wei­sung er­teilt. Von die­sen Vorfällen sei die Sach­be­ar­bei­te­rin Frau D von Herrn R am 17. März 2009 un­ter­rich­tet wor­den. Sie ha­be dann er­mit­telt, wel­che Müll­wa­gen­be­sat­zung in Be­tracht ge­kom­men sei­en. Von die­sen sei­en Fo­tos an­ge­fer­tigt wor­den. Hier­zu hat sie ein Ori­gi­nal­fo­to des Klägers mit ei­ner von den Her­ren F und F un­ter­schrie­be­nen Erklärung (Bl. 134 d. A.) zu den Ge­richts­ak­ten ge­reicht. Sie ha­be die Fo­tos Herrn R, Herrn F und Herrn F am 25. März 2009 ge­zeigt. Herr F und Herr F hätten den Kläger als den­je­ni­gen iden­ti­fi­ziert, der mit ih­nen ge­spro­chen und mit Herrn R te­le­fo­niert ha­be.

Mit Ur­teil vom 9. Sep­tem­ber 2010 hat das Ar­beits­ge­richt der Kla­ge nach Ver­neh­mung der Zeu­gen F, F und R ab­ge­wie­sen und zur Be­gründung aus­geführt, die Vor­aus­set­zun­gen ei­ner Tatkündi­gung lägen vor. Nach der Be­weis­auf­nah­me ste­he zu der Über­zeu­gung der Kam­mer fest, dass der Kläger am 27. Fe­bru­ar 2009 von den Haus­meis­tern F und Fso­wie Herrn R die Zah­lung von 60 Eu­ro als mo­nat­li­chen Obu­lus für die Müll­ent­sor­gung ver­langt ha­be. Für die Kam­mer ste­he auch fest, dass der Kläger der­je­ni­ge Mit­ar­bei­ter der Be­klag­ten sei, der die For­de­rung er­ho­ben ha­be. Dem ste­he nicht ent­ge­gen, dass die Zeu­gen den Kläger in ih­rer Ver­neh­mung, die ein­ein­halb Jah­re nach dem Vor­fall er­folgt sei, nicht mehr zwei­fels­frei er­kannt hätten. So­wohl Herr F als auch Herr F hätten je­doch bestätigt, dass sie den Kläger bei ih­rer zeit­na­hen


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Be­fra­gung an­hand der Fo­tos si­cher iden­ti­fi­ziert hätten. We­gen des wei­te­ren In­halts des Ur­teils wird auf Bl. 150 ff d. A. Be­zug ge­nom­men.

Ge­gen das ihm am 28. Sep­tem­ber 2010 zu­ge­stell­te erst­in­stanz­li­che Ur­teil hat der Kläger mit am 8. Ok­to­ber beim Lan­des­ar­beits­ge­richt Köln ein­ge­gan­ge­nem Schrift­satz vom glei­chen Tag Be­ru­fung ein­ge­legt und die­se nach ent­spre­chen­der Verlänge­rung der Be­ru­fungs­be­gründungs­schrift mit Schrift­satz vom 29. De­zem­ber 2010, wel­cher am glei­chen Tag beim Lan­des­ar­beits­ge­richt ein­ge­gan­gen ist, be­gründet.

Der Kläger ist nach wie vor der Auf­fas­sung, die Kündi­gung vom 3. April 2009 sei wirk­sam. Er be­strei­te den Kündi­gungs­vor­wurf nach wie vor. Das Ar­beits­ge­richt ha­be ei­ne feh­ler­haf­te Be­weiswürdi­gung vor­ge­nom­men. Die Zeu­gen­aus­sa­gen sei­en wi­dersprüchlich und kol­li­dier­ten mit­ein­an­der. Von ei­ner ein­deu­ti­gen Iden­ti­fi­zie­rung sei­ner Per­son als Er­pres­ser könne kei­ne Re­de sein. Es ha­be sich nicht aufklären las­sen, wo die Müll­ton­nen am 27. Fe­bru­ar 2009 ge­stan­den hätten. Das Ar­beits­ge­richt ha­be sei­nen ge­gen­be­weis­li­chen Be­weis­an­trag zu sei­ner Be­haup­tung, dass es kei­ne Ne­ben­abfälle ge­ge­ben ha­be und da­mit auch kei­ne mo­nat­li­chen Zah­lun­gen von 60 Eu­ro, über­g­an­gen. Er ha­be auch Be­weis dafür an­ge­tre­ten, dass er mit Herrn R nicht te­le­fo­niert ha­be. Die Kündi­gung ver­s­toße auch ge­gen den Grund­satz der Gleich­be­hand­lung. Die Be­klag­te ha­be sei­ne Kol­le­gen nicht be­langt, ob­wohl ge­richts­be­kannt sein dürf­te, dass Müll­wer­ker „Hand in Hand“ ar­bei­te­ten. Die Kündi­gung sei auch des­we­gen un­wirk­sam, weil sich die Be­klag­te nun­mehr auf ei­nen ganz an­de­ren Kündi­gungs­grund stütze als in der Anhörung des Be­triebs­rats. Wenn der Be­klag­ten Ne­ben­ab­fall nicht ge­mel­det wer­de, gin­gen ihr Müll­gebühren ver­lo­ren. Nun­mehr wer­de ihm (le­dig­lich) vor­ge­hal­ten, ei­ne Gefällig­keit ge­macht und dafür ei­nen Obu­lus er­hal­ten zu ha­ben.

Der Kläger be­an­tragt,


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1. un­ter Abände­rung des Ur­teils des Ar­beits­ge­richts Köln - 8 Ca 2939/09 - vom 09.09.2010 wird fest­ge­stellt, dass das Ar­beits­verhält­nis der Par­tei­en nicht durch die außer­or­dent­li­che Kündi­gung vom 03.04.2009 sein En­de ge­fun­den hat;

2. un­ter Abände­rung des Ur­teils des Ar­beits­ge­richts Köln 8 Ca 2939/09 vom 09.09.2010 wird die Be­klag­te ver­ur­teilt, ihn bis hin zum rechts­kräfti­gen Ab­schluss des Rechts­strei­tes zu den Kon­di­tio­nen des zum 01.11.1985 ge­schlos­se­nen Ar­beits­ver­tra­ges in der heu­ten Aus­ge­stal­tung als Müll­ab­fer­ti­ger wei­ter­zu­beschäfti­gen.

Die Be­klag­te be­an­tragt,

die Be­ru­fung zurück­zu­wei­sen.

Sie ver­tei­digt un­ter Wie­der­ho­lung und Ver­tie­fung ih­res erst­in­stanz­li­chen Vor­trags das an­ge­foch­te­ne Ur­teil. Al­ler­dings ha­be die Be­weis­auf­nah­me er­ge­ben, dass die Zah­lun­gen und die For­de­rung des Klägers nicht für das Ab­ho­len von Ne­ben­abfällen er­folgt sei­en, son­dern für das An­fah­ren der Tief­ga­ra­ge. Der Kündi­gungs­vor­wurf ände­re sich da­durch nicht. Ge­gen die an­de­ren Mit­ar­bei­ter sei sie nicht vor­ge­gan­gen, weil sie ge­gen die­se zwar ei­nen ge­wis­sen Ver­dacht ge­hegt ha­be, aber nicht be­wei­sen könne, dass sie an den Erlösen par­ti­zi­piert hätten.

We­gen der Ein­zel­hei­ten des Sach- und Streit­stan­des wird auf den Tat­be­stand des an­ge­foch­te­nen Ur­teils, das Er­geb­nis der durch­geführ­ten Be­weis­auf­nah­me, die im Be­ru­fungs­ver­fah­ren ge­wech­sel­ten Schriftsätze, die ein­ge­reich­ten Un­ter­la­gen so­wie die Sit­zungs­nie­der­schrif­ten Be­zug ge­nom­men.


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E n t s c h e i d u n g s g r ü n d e

I. Die Be­ru­fung des Klägers ist zulässig. Sie ist gemäß § 64 Abs. 1 und Abs. 2 ArbGG statt­haft und wur­de gemäß §§ 66 Abs. 1 Satz 1, 64 Abs. 6 Satz 1 und 5 ArbGG, §§ 519 und 520 ZPO frist- und form­ge­recht ein­ge­legt und be­gründet.

II. Das Rechts­mit­tel hat in der Sa­che je­doch kei­nen Er­folg. Das Ar­beits­ge­richt ist zu Recht und mit zu­tref­fen­den Erwägun­gen zu dem Er­geb­nis ge­kom­men, dass die Kündi­gung der Be­klag­ten vom 3. April 2009 als wirk­sam ist. Die Vor­aus­set­zun­gen ei­ner Tatkündi­gung lie­gen vor. Ob auch die Vor­aus­set­zun­gen ei­ner Ver­dachtskündi­gung ge­ge­ben sind, be­darf kei­ner Ent­schei­dung. Für die Kündi­gung be­steht zunächst ein Kündi­gungs­grund. Der von der Be­klag­ten er­ho­be­ne Vor­wurf, der Kläger ha­be ge­gen das so­ge­nann­te „Schmier­geld­ver­bot“ ver­s­toßen, ist „an sich“ ge­eig­net, ei­ne frist­lo­se Kündi­gung zu recht­fer­ti­gen. Nach Durchführung der Be­weis­auf­nah­me durch das Ar­beits­ge­richt steht auch zur Über­zeu­gung der Kam­mer fest, dass der Kläger am 27. Fe­bru­ar 2009 von den Haus­meis­tern F und F 60 Eu­ro dafür ver­langt hat, dass die Müll­ab­fuhr auch wei­ter­hin die Tief­ga­ra­ge des Wohn­kom­ple­xes WS anfährt. Die be­reits vom Ar­beits­ge­richt durch­geführ­te Be­weis­auf­nah­me war we­der zu wie­der­ho­len noch zu ergänzen. Es be­ste­hen kei­ne Zwei­fel an der Rich­tig­keit oder Vollständig­keit ent­schei­dungs­er­heb­li­cher Fest­stel­lun­gen. Es war ins­be­son­de­re nicht an­ge­zeigt, ei­ne Be­weis­auf­nah­me zu der Fra­ge durch­zuführen, ob der Kläger mit Herrn R te­le­fo­niert hat. Denn die Kündi­gung er­weist sich auch dann als wirk­sam, wenn zu Guns­ten des Klägers da­von aus­ge­gan­gen wird, er ha­be nicht mit Herrn R te­le­fo­niert. Kündi­gungs­grund ist nicht das Führen ei­nes Te­le­fo­nats, son­dern das an die Her­ren F und F ge­rich­te­te Ver­lan­gen, Schmier­geld zu er­hal­ten. An­ge­sichts der Schwe­re der Pflicht­ver­let­zung durch den Kläger fällt die In­ter­es­sen­abwägung zu sei­nen Las­ten aus. Die Be­klag­te hat die Kündi­gungs­erklärungs­frist des § 626 Abs. 2 BGB ge­wahrt. Der Be­triebs­rat ist zu dem Kündi­gungs­sach­ver­halt ord­nungs­gemäß an­gehört wor­den. Ein Nach­schie­ben von Kündi­gungs­gründen


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ge­genüber dem Be­triebs­rat war nicht er­for­der­lich. We­gen der Be­en­di­gung des Ar­beits­verhält­nis­ses hat der Kläger kei­nen An­spruch auf Wei­ter­beschäfti­gung.

1. Die Kündi­gung vom 3. April 2009 ist durch ei­nen wich­ti­gen Grund ISv. § 34 Abs. 2 Satz 1 TVöD, § 626 Abs. 1 TVöD ge­deckt.

a) Das Ar­beits­verhält­nis ei­nes nach § 34 Abs. 2 Satz 1 TVöD or­dent­lich unkünd­ba­ren Ar­beit­neh­mers kann nur noch aus wich­ti­gem Grund gekündigt wer­den. Der Be­griff des wich­ti­gen Grun­des iSv. § 34 Abs. 2 Satz 1 TVöD ist in­halts­gleich mit dem des § 626 Abs. 1 BGB (vgl. BAG 09. Ju­ni 2011 – 2 AZR 381/10 – NZA 2011, 1027; 26. No­vem­ber 2009 – 2 AZR 272/08 – NZA 2010, 628).

Die am Maßstab des § 626 Abs.1 BGB vor­zu­neh­men­de Prüfung ei­ner außer­or­dent­li­chen Kündi­gung hat zwei­stu­fig zu er­fol­gen. Zunächst ist zu prüfen, ob ein be­stimm­ter Sach­ver­halt oh­ne die be­son­de­ren Umstände des Ein­zel­falls an sich ge­eig­net, ist, ei­nen wich­ti­gen Kündi­gungs­grund ab­zu­ge­ben. Liegt ein sol­cher Sach­ver­halt vor, be­darf es der wei­te­ren Prüfung, ob die Fort­set­zung des Ar­beits­verhält­nis­ses un­ter Berück­sich­ti­gung der kon­kre­ten Umstände des Ein­zel­falls und der Abwägung der In­ter­es­sen bei­der Ver­trags­tei­le bis zum Ab­lauf der or­dent­li­chen Kündi­gungs­frist zu­mut­bar ist oder nicht (BAG 07. Ju­li 2011 – 2 AZR 355/10 – NJW 2011, 3803; 09. Ju­ni 2011 – 2 AZR 323/10 – NZA 2011, 1342; 6. Sep­tem­ber 2007 – 2 AZR 264/06 – NJW 2008, 1097; 27. April 2006 – 2 AZR 415/05 – AP § 626 BGB Nr. 203; 2. März 1989 – 2 AZR 280/88 – EzA § 626 BGB n.F. Nr. 118). Bei ei­nem or­dent­lich unkünd­ba­ren Ar­beit­neh­mer ist da­bei auf die fik­ti­ve Kündi­gungs­frist ab­zu­stel­len (BAG 09. Ju­ni 2011 – 2 AZR 323/10 – NZA 2011, 1342; 18. Sep­tem­ber 2008 – 2 AZR 827/06 – ezA § 626 BGB 2002 Nr. 24).

Zu berück­sich­ti­gen ist, dass für die ver­hal­tens­be­ding­te Kündi­gung das Pro­gno­se- und nicht das Sank­ti­ons­prin­zip gilt. Ei­ne ver­hal­tens­be­ding­te Kündi­gung ist ge­recht­fer­tigt, wenn ei­ne störungs­freie Ver­trags­erfüllung in Zu­kunft nicht mehr zu er­war­ten steht, künf­ti­gen Pflicht­verstößen dem­nach nur durch die Be­en­di­gung der Ver­trags­be­zie­hung be­geg­net wer­den kann (BAG 10. Ju­ni 2010 – 2 AZR 541/09 – NZA 2010, 1227).


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Nicht ent­schei­dend ist in die­sem Zu­sam­men­hang die straf­recht­li­che Be­ur­tei­lung des Ver­hal­tens des Ar­beit­neh­mers. Maßgeb­lich ist, ob ei­ne schwer­wie­gen­de Ver­let­zung der Ver­trags­pflich­ten des Ar­beit­neh­mers vor­liegt (BAG 10. Ju­ni 2010 – 2 AZR 541/09 – NZA 2010, 1227; 24. No­vem­ber 2005 – 2 AZR 684/04 – NZA 2006, 650; 10. Ok­to­ber 2002 – 2 AZR 418/01 – EzA § 626 BGB 2002 Unkünd­bar­keit Nr. 1).

Nach § 3 Abs. 2 Satz 1 TVöD dürfen Beschäftig­te von Drit­ten Be­loh­nun­gen, Ge­schen­ke, Pro­vi­sio­nen oder sons­ti­ge Vergüns­ti­gun­gen in Be­zug auf ih­re Tätig­keit nicht an­neh­men. Aus­nah­men sind gemäß § 3 Abs. 2 Satz 2 TVöD nur mit Zu­stim­mung des Ar­beit­ge­bers möglich.

Wer sich als Ar­beit­neh­mer bei der Ausführung von ver­trag­li­chen Auf­ga­ben Vor­tei­le ver­spre­chen lässt oder ent­ge­gen­nimmt, die da­zu be­stimmt oder auch nur ge­eig­net sind, ihn in sei­nem geschäft­li­chen Ver­hal­ten zu­guns­ten Drit­ter und zum Nach­teil sei­nes Ar­beit­ge­bers zu be­ein­flus­sen, und da­mit ge­gen das sog. Schmier­geld­ver­bot verstößt, han­delt den In­ter­es­sen sei­nes Ar­beit­ge­bers zu­wi­der und gibt die­sem da­mit re­gelmäßig ei­nen Grund zur frist­lo­sen Kündi­gung. Da­bei kommt es grundsätz­lich nicht dar­auf an, ob es zu ei­ner den Ar­beit­ge­ber schädi­gen­den Hand­lung ge­kom­men ist. Es reicht viel­mehr aus, dass der gewähr­te Vor­teil all­ge­mein die Ge­fahr be­gründet, der An­neh­men­de wer­de nicht mehr al­lein die In­ter­es­sen des Geschäfts­herrn wahr­neh­men. In Fällen die­ser Art liegt die ei­gent­li­che Ur­sa­che dafür, dass ein sol­ches Ver­hal­ten die außer­or­dent­li­che Kündi­gung recht­fer­tigt, nicht so sehr in der Ver­let­zung ver­trag­li­cher Pflich­ten, son­dern in der da­mit zu Ta­ge ge­tre­te­nen Ein­stel­lung des Ar­beit­neh­mers, un­be­denk­lich ei­ge­ne Vor­tei­le bei der Erfüllung von Auf­ga­ben wahr­neh­men zu wol­len, ob­wohl er sie al­lein im In­ter­es­se des Ar­beit­ge­bers durch­zuführen hat. Durch sein ge­zeig­tes Ver­hal­ten zerstört er das Ver­trau­en in sei­ne Zu­verlässig­keit und Red­lich­keit (BAG 15. No­vem­ber 2001 – 2 AZR 605/00 – BA­GE 99, 331; 21. Ju­ni 2001 – 2 AZR 30/00 – EzA § 626 BGB Unkünd­bar­keit Nr. 7).

Liegt ein wich­ti­ger Grund zur außer­or­dent­li­chen Kündi­gung an sich vor, so kann ei­ne hier­auf gestütz­te be­ab­sich­tig­te außer­or­dent­li­che Kündi­gung gleich­wohl das Ar­beits­verhält­nis nur wirk­sam be­en­den, wenn bei der um­fas­sen­den In­ter­es­sen­abwägung das Be­en­di­gungs­in­ter­es­se des


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Ar­beit­ge­bers das Be­stands­in­ter­es­se des Ar­beit­neh­mers über­wiegt (BAG 6. Sep­tem­ber 2007 – 2 AZR 264/06 – NJW 2008, 1097; 16. De­zem­ber 2004 - 2 ABR 7/04 - AP § 626 BGB Nr. 191; 17. März 1988 - 2 AZR 576/87 - BA­GE 58, 37)

Die Umstände, an­hand de­rer zu be­ur­tei­len ist, ob dem Ar­beit­ge­ber die Wei­ter­beschäfti­gung zu­mut­bar ist oder nicht, las­sen sich nicht ab­sch­ließend fest­le­gen. Zu berück­sich­ti­gen sind aber re­gelmäßig das Ge­wicht und die Aus­wir­kun­gen ei­ner Ver­trags­pflicht­ver­let­zung, der Grad des Ver­schul­dens des Ar­beit­neh­mers, ei­ne mögli­che Wie­der­ho­lungs­ge­fahr so­wie die Dau­er des Ar­beits­verhält­nis­ses und des­sen störungs­frei­er Ver­lauf. Ei­ne außer­or­dent­li­che Kündi­gung kommt nur in Be­tracht, wenn es kei­nen an­ge­mes­se­nen Weg gibt, das Ar­beits­verhält­nis fort­zu­set­zen, weil dem Ar­beit­ge­ber sämt­li­che mil­de­ren Re­ak­ti­onsmöglich­kei­ten un­zu­mut­bar sind (BAG 09. Ju­ni 2011 – 2 AZR 323/10 – NZA 2011, 1342; 10. Ju­ni 2010 – 2 AZR 541/09 – NZA 2010, 1227).
Als mil­de­re Re­ak­tio­nen sind ins­be­son­de­re Ab­mah­nung und or­dent­li­che Kündi­gung an­zu­se­hen. Sie sind dann al­ter­na­ti­ve Ge­stal­tungs­mit­tel, wenn schon sie ge­eig­net sind, den mit der außer­or­dent­li­chen Kündi­gung ver­folg­ten Zweck - die Ver­mei­dung des Ri­si­kos künf­ti­ger Störun­gen - zu er­rei­chen (BAG 10. Ju­ni 2010 – 2 AZR 541/09 – NZA 2010, 1227).

Die Not­wen­dig­keit der Prüfung, ob ei­ne (hier recht­lich aus­ge­schlos­se­ne) frist­ge­rech­te Kündi­gung als Re­ak­ti­on aus­ge­reicht hätte, folgt schon aus dem Wort­laut des § 626 Abs. 1 BGB. Das Er­for­der­nis wei­ter­ge­hend zu prüfen, ob nicht schon ei­ne Ab­mah­nung aus­rei­chend ge­we­sen wäre, folgt aus dem Verhält­nismäßig­keits­grund­satz (die Kündi­gung als „ul­ti­ma ra­tio“) und trägt zu­gleich dem Pro­gno­se­prin­zip bei der ver­hal­tens­be­ding­ten Kündi­gung Rech­nung. Das Er­for­der­nis gilt auch bei Störun­gen im Ver­trau­ens­be­reich. Es ist nicht stets und von vor­ne­her­ein aus­ge­schlos­sen, ver­lo­re­nes Ver­trau­en durch künf­ti­ge Ver­trags­treue zurück­zu­ge­win­nen (BAG 10. Ju­ni 2010 – 2 AZR 541/09 – NZA 2010, 1227).

Be­ruht die Ver­trags­pflicht­ver­let­zung auf steu­er­ba­rem Ver­hal­ten des Ar­beit­neh­mers, ist grundsätz­lich da­von aus­zu­ge­hen, dass sein künf­ti­ges Ver­hal­ten schon durch die An­dro­hung von Fol­gen für den Be­stand des



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Ar­beits­verhält­nis­ses po­si­tiv be­ein­flusst wer­den kann. Die or­dent­li­che wie die außer­or­dent­li­che Kündi­gung we­gen ei­ner Ver­trags­pflicht­ver­let­zung set­zen des­halb re­gelmäßig ei­ne Ab­mah­nung vor­aus. Sie dient der Ob­jek­ti­vie­rung der ne­ga­ti­ven Pro­gno­se. Ist der Ar­beit­neh­mer ord­nungs­gemäß ab­ge­mahnt wor­den und ver­letzt er den­noch sei­ne ar­beits­ver­trag­li­chen Pflich­ten er­neut, kann re­gelmäßig da­von aus­ge­gan­gen wer­den, es wer­de auch zukünf­tig zu wei­te­ren Ver­tragsstörun­gen kom­men (BAG 10. Ju­ni 2010 – 2 AZR 541/09 – NZA 2010, 1227)

Nach dem Verhält­nismäßig­keits­grund­satz ist ei­ne Kündi­gung nicht ge­recht­fer­tigt, wenn es mil­de­re Mit­tel gibt, ei­ne Ver­tragsstörung zukünf­tig zu be­sei­ti­gen. Die­ser As­pekt hat durch die Re­ge­lung des § 314 Abs. 2 BGB iVm. § 323 Abs. 2 BGB ei­ne ge­setz­ge­be­ri­sche Bestäti­gung er­fah­ren Ei­ner Ab­mah­nung be­darf es in An­se­hung des Verhält­nismäßig­keits­grund­sat­zes des­halb nur dann nicht, wenn ei­ne Ver­hal­tensände­rung in Zu­kunft selbst nach Ab­mah­nung nicht zu er­war­ten steht oder es sich um ei­ne so schwe­re Pflicht­ver­let­zung han­delt, dass ei­ne Hin­nah­me durch den Ar­beit­ge­ber of­fen­sicht­lich - auch für den Ar­beit­neh­mer er­kenn­bar - aus­ge­schlos­sen ist (BAG 10. Ju­ni 2010 – 2 AZR 541/09 – NZA 2010, 1227)

Für die Zu­mut­bar­keit der Wei­ter­beschäfti­gung kann es von er­heb­li­cher Be­deu­tung sein, ob der Ar­beit­neh­mer be­reits ge­rau­me Zeit in ei­ner Ver­trau­ens­stel­lung beschäftigt war, oh­ne ver­gleich­ba­re Pflicht­ver­let­zun­gen be­gan­gen zu ha­ben. Das gilt auch bei Pflicht­verstößen im un­mit­tel­ba­ren Vermögens­be­reich. Ei­ne für lan­ge Jah­re un­gestörte Ver­trau­ens­be­zie­hung zwei­er Ver­trags­part­ner wird nicht not­wen­dig schon durch ei­ne erst­ma­li­ge Ver­trau­en­s­enttäuschung vollständig und un­wie­der­bring­lich zerstört. Je länger ei­ne Ver­trags­be­zie­hung un­gestört be­stan­den hat, des­to eher kann die Pro­gno­se be­rech­tigt sein, dass der da­durch er­ar­bei­te­te Vor­rat an Ver­trau­en durch ei­nen erst­ma­li­gen Vor­fall nicht vollständig auf­ge­zehrt wird. Da­bei kommt es nicht auf die sub­jek­ti­ve Be­find­lich­keit und Einschätzung des Ar­beit­ge­bers oder be­stimm­ter für ihn han­deln­der Per­so­nen an. Ent­schei­dend ist ein ob­jek­ti­ver Maßstab. Maßgeb­lich ist nicht, ob der Ar­beit­ge­ber hin­rei­chen­des Ver­trau­en in den Ar­beit­neh­mer tatsächlich noch hat. Maßgeb­lich ist, ob er es aus der Sicht ei­nes ob­jek­ti­ven Be­trach­ters ha­ben müss­te. Im Ar­beits­verhält­nis


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geht es nicht um ein um­fas­sen­des wech­sel­sei­ti­ges Ver­trau­en in die mo­ra­li­schen Qua­litäten der je an­de­ren Ver­trags­par­tei. Es geht al­lein um die von ei­nem ob­jek­ti­ven Stand­punkt aus zu be­ant­wor­ten­de Fra­ge, ob mit ei­ner kor­rek­ten Erfüllung der Ver­trags­pflich­ten zu rech­nen ist (BAG 07. Ju­li 2011 – 2 AZR 355/10 – NJW 2011, 3803; 10. Ju­ni 2010 – 2 AZR 541/09 – NZA 2010, 1227).

Ei­ne et­wai­ge Ver­let­zung des Gleich­be­hand­lungs­grund­sat­zes durch den Ar­beit­ge­ber führt nicht be­reits oh­ne wei­te­res und als sol­che zur Un­wirk­sam­keit der Kündi­gung. Die Berück­sich­ti­gung des Gleich­be­hand­lungs­grund­sat­zes er­folgt bei ver­hal­tens­be­ding­ten Kündi­gun­gen im Rah­men der In­ter­es­sen­abwägung (BAG 03. Ju­li 2003 – 2 AZR 617/02 – BA­GE 107, 56).

b) Nach § 529 Abs. 1 Nr. 1 Halb­satz 2 ZPO, der über § 64 Abs. 6 Satz 1 ArbGG auch im ar­beits­ge­richt­li­chen Be­ru­fungs­ver­fah­ren An­wen­dung fin­det, ist das Be­ru­fungs­ge­richt an die vom Erst­ge­richt fest­ge­stell­ten Tat­sa­chen ge­bun­den, so­weit nicht kon­kre­te An­halts­punk­te Zwei­fel an der Rich­tig­keit und Vollständig­keit der ent­schei­dungs­er­heb­li­chen Fest­stel­lun­gen be­gründen und hier­nach ei­ne er­neu­te Fest­stel­lung ge­bie­ten. Kon­kre­te An­halts­punk­te, die hier­nach die Bin­dung des Be­ru­fungs­ge­richts an den vor­in­stanz­li­chen Fest­stel­lun­gen ent­fal­len las­sen, können sich da­bei ins­be­son­de­re aus Ver­fah­rens­feh­lern er­ge­ben, die dem Ein­gangs­ge­richt bei der Fest­stel­lung des Sach­ver­halts un­ter­lau­fen sind. Liegt ein der­ar­ti­ger Ver­fah­rens­feh­ler vor, ob­liegt dem Be­ru­fungs­ge­richt die tatsächli­che In­halts­kon­trol­le des erst­in­stanz­li­chen Ur­teils un­be­scha­det ei­ner ent­spre­chen­den Be­ru­fungsrüge (BGH 12. März 2004 – V ZR 257/03 – BGHZ 158, 269; LAG Frank­furt 19. Ju­li 2004 – 16 Sa 2167/03 – NZA-RR 2005, 312).

Die er­neu­te Durchführung ei­ner Be­weis­auf­nah­me gemäß § 398 Abs. 1 ZPO ist ge­bo­ten, wenn das Be­ru­fungs­ge­richt die Glaubwürdig­keit ei­nes Zeu­gen an­ders be­ur­tei­len will als die ers­te In­stanz, aber auch dann, wenn sich die nicht nur theo­re­ti­sche Möglich­keit ei­ner un­ter­schied­li­chen Wer­tung er­ge­ben kann (BGH 14. Ju­li 2009 – VIII ZR 3/09 – NJW-RR 2009, 1291; BAG 26. April 2007 – 8 AZR 610/06 – ju­ris; LAG Rhein­land-Pfalz 21. Mai 2010 – 9 Sa 705/09 – NZA-RR 2011, 83; LAG Nie­der­sach­sen 20. Mai 2010 – 9 Sa 1914/08 – ju­ris).


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c) Nach die­sen Grundsätzen be­steht ein wich­ti­ger Grund zur Kündi­gung des Ar­beits­verhält­nis­ses des Klägers. Dies steht zu der Über­zeu­gung des Ge­richts fest, oh­ne dass es ei­ner er­neu­ten Be­weis­auf­nah­me be­durft hätte.

Der wich­ti­ge Grund be­steht in der vom Kläger ge­genüber den Zeu­gen F und F er­ho­be­nen For­de­rung, für den März 2009 60 Eu­ro zu er­hal­ten, da­mit er dafür sorgt, dass der Müll­wa­gen die Tief­ga­ra­ge im Wohn­kom­plex W S an­steu­ert. Dar­auf, ob der Kläger die For­de­rung te­le­fo­nisch ge­genüber dem Zeu­gen R wie­der­holt und ihm ge­genüber ei­ne Dro­hung aus­ge­spro­chen hat, kommt es für die Ent­schei­dung des Rechts­streits nicht maßgeb­lich an. Selbst wenn zu Guns­ten des Klägers an­ge­nom­men wird, er ha­be nicht mit Herrn R te­le­fo­niert, er­gibt sich kei­ne an­de­re Be­trach­tung. Vor die­sem Hin­ter­grund be­stand für die Kam­mer kein An­lass, dem ge­gen­be­weis­li­chen Be­weis­an­tritt des Klägers zu sei­ner Be­haup­tung, er ha­be nicht mit Herrn R te­le­fo­niert, nach­zu­ge­hen. Die Kam­mer muss­te da­her auch nicht darüber be­fin­den, ob in­so­weit ein aus­rei­chen­der bzw. taug­li­cher Be­weis­an­tritt vor­lag.

Die For­de­rung an ei­nen Kun­den der Be­klag­ten, Geld für ei­ne Dienst­leis­tung persönlich zu er­hal­ten, stellt „an sich“ ei­nen Kündi­gungs­grund für ei­ne außer­or­dent­li­che Kündi­gung dar. Die Be­klag­te hat ein er­heb­li­ches und be­rech­tig­tes In­ter­es­se dar­an, dass noch nicht ein­mal der Ein­druck ent­steht, sie oder ein­zel­ne ih­re Mit­ar­bei­ter nähmen oh­ne recht­li­che Grund­la­ge Geld­zah­lun­gen für Dienst­leis­tun­gen ent­ge­gen. Die­ses In­ter­es­se kommt in § 3 Abs. 2 Satz 1 TVöD zum Aus­druck. Un­abhängig da­von, ob die Ab­mah­nun­gen be­rech­tigt wa­ren oder nicht, hat die Be­klag­te die­ses In­ter­es­se ge­genüber dem Kläger noch­mals in den bei­den Ab­mah­nun­gen vom 21. Ju­li 2005 und 20. De­zem­ber 2006 deut­lich zum Aus­druck ge­bracht.

Ent­ge­gen der Auf­fas­sung des Klägers be­steht zwi­schen dem Kündi­gungs­vor­wurf, ei­ne Zah­lung für das Ent­sor­gen von Ne­ben­abfällen ver­langt zu ha­ben, und dem Kündi­gungs­vor­wurf, ei­ne Zah­lung für das An­steu­ern der Tief­ga­ra­ge ver­langt zu ha­ben, kein re­le­van­ter Un­ter­schied. In bei­den Fällen geht es um ei­nen Ver­s­toß ge­gen das „Schmier­geld­ver­bot“.

Nach der vom Ar­beits­ge­richt durch­geführ­ten Be­weis­auf­nah­me steht zu der Über­zeu­gung der Kam­mer un­ter Berück­sich­ti­gung des ge­sam­ten In­halts


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der Ver­hand­lun­gen fest (§ 286 Abs. 1 ZPO), dass der Kläger ge­gen das „Schmier­geld­ver­bot“ ver­s­toßen hat, in­dem er am 27. Fe­bru­ar 2009 von den Zeu­gen F und F die Zah­lung von 60 Eu­ro für das An­steu­ern der Tief­ga­ra­ge ver­langt hat. Es lie­gen kei­ne kon­kre­ten An­halts­punk­te vor, die Zwei­fel an der Rich­tig­keit und Vollständig­keit ent­schei­dungs­er­heb­li­cher Fest­stel­lun­gen be­gründen würden. Ei­ne er­neu­te Fest­stel­lung durch die er­ken­nen­de Kam­mer war da­her nicht ge­bo­ten.

Das Ar­beits­ge­richt ist zu­tref­fend zu der An­nah­me ge­langt, dass die Schil­de­run­gen der Zeu­gen in sich schlüssig und wi­der­spruchs­frei wa­ren und bei der Dar­stel­lung der we­sent­li­chen Vorgänge in­halt­lich überein­ge­stimmt ha­ben.

Zunächst ha­ben so­wohl der Zeu­ge F als auch der Zeu­ge F den Kläger als den­je­ni­gen iden­ti­fi­ziert, der am 27. Fe­bru­ar 2009 die For­de­rung an sie ge­rich­tet hat. Dem steht nicht ent­ge­gen, dass bei­de Zeu­gen den Kläger in ih­rer Ver­neh­mung vom 22. Ju­li 2010 nicht zwei­fels­frei er­kannt ha­ben. Der Zeu­ge F hat be­kun­det, er könne nicht „ein­hun­dert­pro­zen­tig“ sa­gen, ob der Kläger die Per­son sei, mit der er da­mals ge­spro­chen ha­be. Er sei sich al­ler­dings ziem­lich si­cher, dass er es ge­we­sen sei. Als ihm das Bild vom Kläger vor­ge­legt wur­de, hat er aus­ge­sagt, dass er die auf der Rück­sei­te be­find­li­che Erklärung un­ter­schrie­ben und den Kläger im März 2009 „ein­deu­tig“ iden­ti­fi­ziert ha­be. Die Be­kun­dun­gen des Zeu­gen F sind ähn­lich. Er hat an­ge­ge­ben, er könne aus heu­ti­ger Sicht den Kläger nicht mehr mit Si­cher­heit iden­ti­fi­zie­ren. Al­ler­dings sei er sich si­cher, dass er den Kläger auf dem Fo­to er­kannt ha­be.

Auf­grund die­ser Be­kun­dun­gen steht zu der Über­zeu­gung der Kam­mer fest, dass es der Kläger und kein an­de­rer Mit­ar­bei­ter der Be­klag­ten war, der mit den Zeu­gen F und F ge­spro­chen hat. Sie ha­ben ihn, als das Ge­sche­hen noch nicht lan­ge zurück­lag, er­kannt. Es ist nach­voll­zieh­bar, dass sie sich bei der we­sent­lich später statt­fin­den Zeu­gen­ver­neh­mung nicht mehr vollständig si­cher wa­ren. Mit ih­ren Aus­sa­gen ha­ben die Zeu­gen ver­deut­licht, dass sie nicht be­din­gungs­los zu Las­ten bzw. zu Guns­ten der ei­nen oder an­de­ren Sei­te aus­ge­sagt ha­ben, son­dern um die Wahr­heit bemüht wa­ren. Der Um­stand, dass sie Er­in­ne­rungslücken freimütig ein­geräumt ha­ben, spricht nicht ge­gen den Wahr­heits­ge­halt ih­rer Aus­sa­ge, son­dern dafür. Aus den glei­chen Erwägun­gen ste­hen der Über­zeu­gung des Ge­richts auch die Wi­dersprüche in den Aus­sa­gen,


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die le­dig­lich das Rand­ge­sche­hen be­tref­fen, nicht ent­ge­gen. So hat der Zeu­ge F an­ge­ge­ben, an dem Tag (ge­meint ist der 27. Fe­bru­ar 2009) hätten sie die Con­tai­ner eben selbst her­auf­ge­bracht. Im An­schluss ha­be es noch für ein bis zwei Wo­chen Pro­ble­me ge­ge­ben. Dem­ge­genüber hat der Zeu­ge F be­kun­det, er sei sich si­cher, dass die Müll­ab­fuhr auch an die­sem Tag in der Tief­ga­ra­ge ge­we­sen sei und er sich nicht er­in­nern könne, dass sie die Con­tai­ner über­haupt ein­mal nach oben ge­bracht hätten. Die­se Wi­dersprüche ver­deut­li­chen, dass sich die Zeu­gen nicht ab­ge­spro­chen ha­ben. Der Um­stand, dass die Aus­sa­gen in Rand­be­rei­chen von­ein­an­der ab­wei­chen, lässt nicht dar­auf schließen, dass sie in den Be­rei­chen, in de­nen sie übe­rein­stim­men, un­zu­tref­fend sind.

Sch­ließlich be­durf­te es zu der Fra­ge, ob in dem Ob­jekt in der W S über­haupt Ne­ben­abfälle an­fal­len, kei­ner Be­weis­auf­nah­me. Hier­auf kommt es we­gen der dar­ge­stell­ten (ge­ringfügi­gen) Ände­rung des Kündi­gungs­vor­wurfs nicht an.

Die In­ter­es­sen­abwägung fällt zu Las­ten des Klägers aus. Der Be­klag­ten ist die Fort­set­zung des Ar­beits­verhält­nis­ses un­ter Berück­sich­ti­gung der kon­kre­ten Umstände des Ein­zel­falls und der Abwägung der In­ter­es­sen bei­der Ver­trags­tei­le bis zum Ab­lauf der fik­ti­ven or­dent­li­chen Kündi­gungs­frist nicht zu­mut­bar. Sie war auch nicht ge­hal­ten, den Kläger zu­vor ab­zu­mah­nen. Da­bei kommt es nicht dar­auf an, ob die bei­den Ab­mah­nun­gen aus 2005 und 2006 zu Recht er­gan­gen sind oder nicht. Denn die Be­klag­te war be­rech­tigt, das Ar­beits­verhält­nis außer­or­dent­lich zu kündi­gen, auch oh­ne den Kläger zu­vor ab­zu­mah­nen. Dies er­gibt sich dar­aus, dass die Pflicht­ver­let­zung des Klägers der­art schwer wiegt, dass ei­ne Hin­nah­me durch die Be­klag­te of­fen­sicht­lich – auch für den Kläger er­kenn­bar - aus­ge­schlos­sen ist.

Zu die­ser An­nah­me ist das Ge­richt trotz der sehr lan­gen Be­triebs­zu­gehörig­keit des Klägers, die die Kam­mer zu Guns­ten des Klägers bei der In­ter­es­sen­abwägung berück­sich­tigt hat, ge­langt. Wie be­reits aus­geführt, hat die Be­klag­te ein er­heb­li­ches und be­rech­tig­tes In­ter­es­se dar­an, dass noch nicht ein­mal der Ein­druck ent­steht, sie oder ein­zel­ne ih­rer Mit­ar­bei­ter nähmen oh­ne recht­li­che Grund­la­ge Geld­zah­lun­gen für Dienst­leis­tun­gen ent­ge­gen. Die­ses In­ter­es­se kommt in § 3 Abs. 2 Satz 1 TVöD zum Aus­druck. Oh­ne dass es auf die Be­rech­ti­gung der Ab­mah­nun­gen ankäme, war dem Kläger auf­grund der


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Ab­mah­nun­gen sehr deut­lich er­kenn­bar, dass die Be­klag­te auf die Ein­hal­tung des Schmier­geld­ver­bots be­son­de­ren Wert legt. Sie will und kann es nicht hin­neh­men, dass ein­zel­ne Mit­ar­bei­ter bei ih­ren Kun­den und in der Bevölke­rung den Ein­druck auf­kom­men las­sen, es mit ei­nem kor­rup­ten Un­ter­neh­men zu tun zu ha­ben. Vor die­sem Hin­ter­grund kann es der Be­klag­ten auch nicht zu­ge­mu­tet wer­den, den Kläger auch nur bis zum Ab­lauf der fik­ti­ven Kündi­gungs­frist wei­ter­zu­beschäfti­gen. Dies gilt ins­be­son­de­re des­we­gen, weil sich der Kläger nicht dar­auf be­schränkt hat, für ei­ne Dienst­leis­tung ein „Trink­geld“ ent­ge­gen­zu­neh­men. Sei­ne Pflicht­ver­let­zung wiegt des­we­gen be­son­ders schwer, weil er ak­tiv auf die Zeu­gen F und F zu­ge­gan­gen und von ih­nen Zah­lun­gen für Tätig­kei­ten ge­for­dert hat, für die er kei­ne Zah­lung ver­lan­gen darf. Da­mit hat der Kläger ver­deut­licht, dass es ihm nur auf die Wah­rung sei­ner In­ter­es­sen an­kommt und er nicht be­reit ist, die In­ter­es­sen sei­ner Ar­beit­ge­be­rin zu wah­ren.

Der im Rah­men der In­ter­es­sen­abwägung zu be­ach­ten­de Grund­satz der Gleich­be­hand­lung führt nicht da­zu, dass die In­ter­es­sen­abwägung zu Guns­ten des Klägers ausfällt. Denn die Be­klag­te hat plau­si­bel dar­ge­legt, war­um sie ge­gen die Kol­le­gen nicht vor­ge­gan­gen ist. Da der Kläger und nicht die bei­den Kol­le­gen mit den Zeu­gen F und F ge­spro­chen hat, wäre es für die Be­klag­te schwer - wenn nicht so­gar unmöglich - ge­we­sen, genügend tatsächli­che Umstände dar­zu­le­gen und zu be­wei­sen, die auch nur ei­ne Ver­dachtskündi­gung hätten be­gründen können.

2. Die Kündi­gung ist nicht nach § 626 Abs. 2 BGB un­wirk­sam. Die Be­klag­te hat die ge­setz­li­che Frist zur Erklärung der Kündi­gung ge­wahrt.

a) Nach § 626 Abs. 2 Satz 1 BGB kann die außer­or­dent­li­che Kündi­gung nur in­ner­halb von zwei Wo­chen er­fol­gen. Die Frist be­ginnt nach § 626 Abs. 2 Satz 2 BGB in dem Zeit­punkt, in dem der Kündi­gungs­be­rech­tig­te von den für die Kündi­gung maßge­ben­den Tat­sa­chen Kennt­nis er­langt.

Dies ist dann der Fall, wenn der Kündi­gungs­be­rech­tig­te ei­ne zu­verlässi­ge und möglichst vollständi­ge po­si­ti­ve Kennt­nis der für die Kündi­gung maßge­ben­den Tat­sa­chen hat, die ihm die Ent­schei­dung ermöglicht, ob die Fort­set­zung des Ar­beits­verhält­nis­ses zu­mut­bar ist oder nicht. Auch grob


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fahrlässi­ge Un­kennt­nis ist oh­ne Be­deu­tung. Zu den maßge­ben­den Tat­sa­chen gehören so­wohl die für als auch die ge­gen die Kündi­gung spre­chen­den Umstände. Oh­ne Kennt­nis des Kündi­gungs­be­rech­tig­ten vom Kündi­gungs­sach­ver­halt kann das Kündi­gungs­recht nicht ver­wir­ken. Der Kündi­gen­de, der An­halts­punk­te für ei­nen Sach­ver­halt hat, der zur frist­lo­sen Kündi­gung be­rech­ti­gen könn­te, kann Er­mitt­lun­gen an­stel­len und den Be­trof­fe­nen anhören, oh­ne dass die Frist zu lau­fen be­ginnt. Sind die Er­mitt­lun­gen ab­ge­schlos­sen und hat der Kündi­gen­de nun­mehr die Kennt­nis des Kündi­gungs­sach­ver­halts, so be­ginnt die Aus­schluss­frist zu lau­fen. Die­se Er­mitt­lun­gen dürfen zwar nicht hin­aus­gezögert wer­den. Es darf je­doch nicht dar­auf ab­ge­stellt wer­den, ob die Maßnah­men des Kündi­gen­den et­was zur Aufklärung des Sach­ver­halts bei­ge­tra­gen ha­ben oder überflüssig wa­ren. Bis zur Gren­ze, die ein verständig han­deln­der Ar­beit­ge­ber be­ach­ten würde, kann der Sach­ver­halt durch er­for­der­lich er­schei­nen­de Aufklärungs­maßnah­men vollständig geklärt wer­den. Al­ler­dings be­steht für Er­mitt­lun­gen dann kein An­lass mehr, wenn der Sach­ver­halt be­reits geklärt oder vom Gekündig­ten so­gar zu­ge­stan­den wor­den ist. Der Be­ginn der Aus­schluss­frist wird ge­hemmt, so­lan­ge der Kündi­gungs­be­rech­tig­te die zur Aufklärung des Sach­ver­halts nach pflicht­gemäßem Er­mes­sen not­wen­dig er­schei­nen­den Maßnah­men mit der ge­bo­te­nen Ei­le durchführt (BAG 27. Ja­nu­ar 2011 – 2 AZR 825/09 – NZA 2011, 798; 25. No­vem­ber 2010 – 2 AZR 171/09 – NZA-RR 2011, 177; 5. De­zem­ber 2002 - 2 AZR 478/01 - AP § 123 BGB Nr. 63).

Um den Lauf der Frist nicht länger als not­wen­dig hin­aus­zu­schie­ben, muss ei­ne Anhörung al­ler­dings in­ner­halb ei­ner kur­zen Frist er­fol­gen. Die Frist darf im All­ge­mei­nen, und oh­ne dass be­son­de­re Umstände vorlägen, nicht mehr als ei­ne Wo­che be­tra­gen (BAG 27. Ja­nu­ar 2011 – 2 AZR 825/09 – NZA 2011, 798; 2. März 2006 - 2 AZR 46/05 - BA­GE 117, 168).

b) Nach die­sen Grundsätzen ist die Kündi­gungs­erklärungs­frist des § 626 Abs. 2 BGB ge­wahrt.

Wie das Ar­beits­ge­richt be­reits zu­tref­fend aus­geführt hat, hat der Zeu­ge Rin sei­ner Ver­neh­mung die Be­haup­tung der Be­klag­ten bestätigt, dass er die Mit­ar­bei­te­rin der Be­klag­ten Frau Dei­ni­ge Ta­ge nach dem 27. Fe­bru­ar 2009 über den Vor­gang un­ter­rich­tet hat. Un­abhängig da­von, dass Frau D nicht


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kündi­gungs­be­rech­tigt ist, hat die Be­klag­te die­se Nach­richt zum An­lass ge­nom­men, not­wen­di­ge Er­mitt­lun­gen an­zu­stel­len. Sie muss­te klären, wel­che Mit­ar­bei­ter wann an dem Ob­jekt tätig wa­ren und wel­cher die­ser Mit­ar­bei­ter als Täter in Fra­ge kam. Sie hat die Er­mitt­lun­gen nicht grund­los her­aus gezögert, son­dern bis zur Be­fra­gung des Klägers zügig durch­geführt.

3. Die Kündi­gung vom 3. Ju­li 2009 ist nicht gemäß § 102 Abs. 1 Satz 3 Be­trVG un­wirk­sam. Der Be­triebs­rat ist vor Aus­spruch der Kündi­gung ord­nungs­gemäß an­gehört wor­den.

a) Nach der ständi­gen Recht­spre­chung des Bun­des­ar­beits­ge­richts ist ei­ne Kündi­gung nicht erst dann un­wirk­sam, wenn ei­ne Un­ter­rich­tung des Be­triebs­rats ganz un­ter­blie­ben ist, son­dern schon dann, wenn der Ar­beit­ge­ber sei­ner Un­ter­rich­tungs­pflicht nicht rich­tig, ins­be­son­de­re nicht ausführ­lich ge­nug nach­kommt (BAG 21. Ju­ni 2001 – 2 AZR 30/00 – EzA § 626 BGB Unkünd­bar­keit Nr. 7; 17. Fe­bru­ar 2000 - 2 AZR 913/98 - BA­GE 93, 366 = AP Be­trVG 1972 § 102 Nr. 113; 16. Sep­tem­ber 1993 - 2 AZR 267/93 - BA­GE 74, 185 = AP Be­trVG 1972 § 102 Nr. 62). Der Ar­beit­ge­ber hat der Ar­beit­neh­mer­ver­tre­tung grundsätz­lich die Per­so­na­li­en des zu kündi­gen­den Ar­beit­neh­mers, die Beschäfti­gungs­dau­er, die Kündi­gungs­art so­wie die Kündi­gungs­gründe mit­zu­tei­len. Das Anhörungs­ver­fah­ren hat über die rei­ne Un­ter­rich­tung hin­aus den Sinn, der Ar­beit­neh­mer­ver­tre­tung Ge­le­gen­heit zu ge­ben, ih­re Über­le­gun­gen zu der Kündi­gungs­ab­sicht dem Ar­beit­ge­ber zur Kennt­nis zu brin­gen. Die Anhörung soll in ge­eig­ne­ten Fällen da­zu bei­tra­gen, dass es gar nicht zum Aus­spruch ei­ner Kündi­gung kommt (BAG 2. No­vem­ber 1983 - 7 AZR 65/82 - BA­GE 44, 201 = AP Be­trVG 1972 § 102 Nr. 29). Aus die­sem Sinn und Zweck der Anhörung folgt für den Ar­beit­ge­ber die Ver­pflich­tung, die Gründe für sei­ne Kündi­gungs­ab­sicht der­art mit­zu­tei­len, dass er dem Be­triebs­rat ei­ne nähe­re Um­schrei­bung des für die Kündi­gung maßgeb­li­chen Sach­ver­halts gibt. Die Kenn­zeich­nung des Sach­ver­halts muss so um­fas­send sein, dass der Be­triebs­rat oh­ne ei­ge­ne Nach­for­schun­gen in der La­ge ist, selbst die Stich­hal­tig­keit der Kündi­gungs­gründe zu prüfen und sich ein Bild zu ma­chen. Der Ar­beit­ge­ber genügt da­her der ihm ob­lie­gen­den Mit­tei­lungs­pflicht nicht, wenn er den Kündi­gungs­sach­ver­halt nur pau­schal, schlag­wort- oder stich­wort­ar­tig um­schreibt oder le­dig­lich ein Wert­ur­teil ab­gibt,


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oh­ne die für sei­ne Be­wer­tung maßgeb­li­chen Tat­sa­chen mit­zu­tei­len (BAG 2. No­vem­ber 1983 - 7 AZR 65/82 – a. a. O.). Al­ler­dings sind an die Mit­tei­lungs­pflich­ten des Ar­beit­ge­bers im Anhörungs­ver­fah­ren nicht die­sel­ben An­for­de­run­gen zu stel­len wie an die Dar­le­gungs­last im Kündi­gungs­schutz­pro­zess. Zu­dem gilt der Grund­satz der sub­jek­ti­ven De­ter­mi­nie­rung, dem­zu­fol­ge die Ar­beit­neh­mer­ver­tre­tung im­mer dann ord­nungs­gemäß an­gehört wor­den ist, wenn der Ar­beit­ge­ber die aus sei­ner Sicht tra­gen­den Gründe mit­ge­teilt hat (st. Rspr. des BAG, zB 21. Ju­ni 2001 – 2 AZR 30/00 – aaO; 17. Fe­bru­ar 2000 - 2 AZR 913/98 – a. a. O.).

Der Ar­beit­ge­ber kann sol­che Kündi­gungs­gründe, die ihm im Zeit­punkt der Un­ter­rich­tung des Be­triebs­rats be­reits be­kannt wa­ren, die er aber dem Be­triebs­rat nicht mit­ge­teilt hat­te, im Pro­zess nicht nach­schie­ben. Um kein Nach­schie­ben von Kündi­gungs­gründen han­delt es sich aber, wenn der Ar­beit­ge­ber die dem Be­triebs­rat mit­ge­teil­ten Kündi­gungs­gründe im Pro­zess nur wei­ter erläutert und kon­kre­ti­siert, oh­ne dass dies den Kündi­gungs­sach­ver­halt we­sent­lich verändert (BAG 27. Fe­bru­ar 1997 – 2 AZR 302/96 – NZA 1997, 761).

b) Nach die­sen Grundsätzen er­weist sich die Be­triebs­rats­anhörung als ord­nungs­gemäß.

Die Be­klag­te hat dem Be­triebs­rat die Gründe, die aus ih­rer Sicht die Kündi­gung be­gründen soll­ten, kon­kret und de­tail­liert ge­schil­dert. Die Be­triebs­rats­anhörung ist nicht des­we­gen feh­ler­haft, weil in dem Anhörungs­schrei­ben von der „Ent­sor­gung von Ne­ben­abfällen“ die Re­de ist. Wie be­reits aus­geführt, hat der Kündi­gungs­vor­wurf durch den Um­stand, dass der Kläger Zah­lung nicht für die Ent­sor­gung von Ne­ben­abfällen, son­dern für das An­fah­ren der Tief­ga­ra­ge ver­langt hat, kei­ne we­sent­li­che Verände­rung er­fah­ren. Vor die­sem Hin­ter­grund war die Be­klag­te auch nicht ge­hal­ten, ge­genüber dem Be­triebs­rat Kündi­gungs­gründe nach­zu­schie­ben. Es han­delt sich um ei­ne bloße Erläute­rung und Kon­kre­ti­sie­rung des Kündi­gungs­sach­ver­halts.

4. Der Wei­ter­beschäfti­gungs­an­trag ist we­gen der Be­en­di­gung des Ar­beits­verhält­nis­ses un­be­gründet.


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III. Die Kos­ten­ent­schei­dung folgt aus § 64 Abs. 6 Satz 1 ArbGG i.V.m. § 97 Abs. 1 ZPO.

IV. Die Re­vi­si­on war nicht gemäß § 72 Abs. 2 ArbGG zu­zu­las­sen, weil die Ent­schei­dung auf den be­son­de­ren Umständen des Ein­zel­falls be­ruht.

Rechts­mit­tel­be­leh­rung

Ge­gen die­ses Ur­teil ist ein Rechts­mit­tel nicht ge­ge­ben.

We­gen der Möglich­keit der Nicht­zu­las­sungs­be­schwer­de wird auf § 72a ArbGG ver­wie­sen.

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