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ARBEITSRECHT AKTUELL // 15/062

Se­xu­el­ler Über­griff am Ar­beits­platz, was tun?

Ei­ne frist­lo­se Kün­di­gung we­gen se­xu­el­ler Be­läs­ti­gung (Bu­sen­grap­schen) kann un­ver­hält­nis­mä­ßig sein bei mil­dern­den Um­stän­den (Ent­schul­di­gung, Tä­ter-Op­fer-Aus­gleich): Bun­des­ar­beits­ge­richt, Ur­teil vom 20.11.2014, 2 AZR 651/13
Sexuelle Belästigung am Arbeitsplatz

05.03.2015. Wer sich ei­ne mas­si­ve se­xu­el­le Be­läs­ti­gung am Ar­beits­platz zu­schul­den kom­men lässt, ris­kiert ei­ne au­ßer­or­dent­li­che und mit so­for­ti­ger Wir­kung (frist­los) aus­ge­spro­che­ne Kün­di­gung.

Denn der Ar­beit­ge­ber muss die be­läs­tig­te Per­son, in al­ler Re­gel weib­li­che Be­triebs­an­ge­hö­ri­ge, vor der­ar­ti­gen Über­grif­fen schüt­zen. Und "mas­siv" sind se­xu­el­le Be­läs­ti­gun­gen (nicht nur, aber je­den­falls) dann, wenn sie mit un­er­wünsch­ten kör­per­li­chen Be­rüh­run­gen ein­her­ge­hen.

Trotz­dem kann ei­ne frist­lo­se Kün­di­gung we­gen ei­ner sol­chen se­xu­el­len Be­läs­ti­gung (hier: Bu­sen­grap­schen) bei mil­dern­den Um­stän­den un­ver­hält­nis­mä­ßig sein, wie das Bun­des­ar­beits­ge­richt (BAG) vor kur­zem ent­schie­den hat: BAG, Ur­teil vom 20.11.2014, 2 AZR 651/13.

Wann sind se­xu­el­le Belästi­gung ein aus­rei­chen­der Grund für ei­ne frist­lo­se Kündi­gung?

Ei­ne se­xu­el­le Belästi­gung im Sin­ne von § 3 Abs.4 All­ge­mei­nes Gleich­be­hand­lungs­ge­setz (AGG) liegt vor, wenn

  • un­erwünsch­te
  • se­xu­ell be­stimm­te Berührun­gen oder
  • Be­mer­kun­gen se­xu­el­len In­halts
  • "be­zwe­cken oder be­wir­ken", dass die Würde des Be­trof­fe­nen ver­letzt wird.

Ar­beit­neh­mer, die ei­ne sol­che se­xu­el­le Belästi­gung im Be­trieb verüben, ver­let­zen ih­re ar­beits­ver­trag­li­chen Pflich­ten und ris­kie­ren da­her ar­beits­recht­li­che Kon­se­quen­zen. Die­se können in ei­ner Ab­mah­nung be­ste­hen, in gra­vie­ren­den Fällen aber auch in ei­ner ver­hal­tens­be­ding­ten or­dent­li­chen Kündi­gung oder so­gar in ei­ner frist­lo­sen Kündi­gung.

Die Be­rech­ti­gung des Ar­beit­ge­bers zur außer­or­dent­li­chen frist­lo­sen Kündi­gung folgt aus § 626 Bürger­li­ches Ge­setz­buch (BGB). In schwer­wie­gen­den Fällen be­steht so­gar ei­ne Pflicht zur Kündi­gung, wenn das Belästi­gungs­op­fer in an­de­rer Wei­se nicht vor wei­te­ren Überg­rif­fen geschützt wer­den kann.

Al­ler­dings muss bei je­der Kündi­gung ei­ne Ge­samt­abwägung al­ler Umstände des Ein­zel­falls vor­ge­nom­men wer­den. Da­zu gehören die Be­gleit­umstände der se­xu­el­len Belästi­gung, aber auch der bis­he­ri­ge Ver­lauf des Ar­beits­verhält­nis­ses, d.h. sei­ne Dau­er und das et­wai­ge Vor­lie­gen ein­schlägi­ger Ab­mah­nun­gen.

In ei­nem ak­tu­el­len, vom BAG ent­schie­de­nen Fall reich­te ein se­xu­el­ler Überg­riff für ei­ne frist­lo­se Kündi­gung nicht aus.

Der Streit­fall: Bu­sen­grap­scher ent­schul­digt sich beim Op­fer und be­tei­ligt sich am Täter-Op­fer-Aus­gleich

Im Streit­fall hat­te ein über 16 Jah­re lang beschäftig­ter Me­cha­ni­ker ei­ne Rei­ni­gungs­kraft, die für ei­ne Fremd­fir­ma ar­bei­te­te, in ei­nem Wasch­raum des Be­triebs an­ge­grab­scht. Später ent­schul­dig­te er sich dafür und zahl­te im Rah­men des sog. Täter-Op­fer-Aus­gleichs 100,00 EUR an die Rei­ni­gungs­frau. Auch im Anhörungs­gespräch ge­genüber dem Ar­beit­ge­ber zeig­te er sich re­umütig.

Der Ar­beit­ge­ber, der von dem Vor­fall von der Rei­ni­gungs­fir­ma er­fah­ren hat­te, ließ sich von den Ent­schul­di­gun­gen nicht be­ein­dru­cken und kündig­te frist­los. Da­bei ver­wies er un­ter an­de­rem dar­auf, dass er nicht nur sei­ne ei­ge­nen Ar­beit­neh­mer, son­dern auch die Ar­beit­neh­mer der Rei­ni­gungs­fir­ma schützen müsse.

Der Me­cha­ni­ker er­hob Kündi­gungs­schutz­kla­ge, hat­te da­mit aber in der ers­ten In­stanz kei­nen Er­folg (Ar­beits­ge­richt Wup­per­tal, Ur­teil vom 13.11.2012, 5 Ca 2425/12). In der Be­ru­fung vor dem Lan­des­ar­beits­ge­richt (LAG) Düssel­dorf ging er als Sie­ger vom Platz, denn das LAG hielt die Kündi­gung für un­verhält­nismäßig (LAG Düssel­dorf, Ur­teil vom 12.06.2013, 7 Sa 1878/12).

BAG: Ei­ne frist­lo­se Kündi­gung we­gen se­xu­el­ler Belästi­gung kann bei mil­dern­den Umständen un­verhält­nismäßig sein

Das BAG wies die Re­vi­si­on des Ar­beit­ge­bers zurück, weil es wie das LAG Düssel­dorf der An­sicht war, dass der Ar­beit­ge­ber hier mit der Kündi­gung zu scharf ge­schos­sen hat­te.

Ob­wohl der Ar­beit­neh­mer die Rei­ni­gungs­kraft (mas­siv) se­xu­ell belästigt hat­te, war es dem Ar­beit­ge­ber hier im Streit­fall zu­zu­mu­ten, ihn wei­ter zu beschäfti­gen. Denn nach den Umständen des Falls hätte ei­ne Ab­mah­nung als Re­ak­ti­on aus­ge­reicht, so das BAG. Maßgeb­lich für die­se Be­wer­tung wa­ren fol­gen­de Umstände:

  • Es han­del­te sich um ei­nen ein­ma­li­gen se­xu­el­len Überg­riff.
  • Der Ar­beit­neh­mer gab den Überg­riff im Per­so­nal­gespräch mit dem Ar­beit­ge­ber so­fort zu und be­teu­er­te, er tue ihm furcht­bar leid und er schäme sich dafür.
  • Der Ar­beit­neh­mer war zu­vor nicht ein­schlägig ab­ge­mahnt wor­den.
  • Das Ar­beits­verhält­nis be­stand be­reits 16 Jah­re lang oh­ne Be­an­stan­dun­gen.
  • Da­mit un­ter­schied sich der vor­lie­gen­de Fall er­heb­lich von dem Fall, über den das BAG mit Ur­teil vom 09.06.2011 (2 AZR 323/10) zu ent­schei­den hat­te. Dort war der belästi­gen­de Ar­beit­neh­mer be­reits ein­schlägig ab­ge­mahnt wor­den und hat­te ei­ne Ar­beits­kol­le­gin über zwei Ta­ge hin­weg ins­ge­samt vier­mal belästigt, oh­ne später Ein­sicht oder Reue zu zei­gen.

Fa­zit: Es gibt kei­ne "ab­so­lu­ten" Gründe für ei­ne frist­lo­se Kündi­gung, so dass auch mas­si­ve se­xu­el­le Belästi­gun­gen wie hier im Wup­per­ta­ler Streit­fall nicht un­be­se­hen zur Kündi­gung be­rech­ti­gen. Al­ler­dings ist der Ar­beit­neh­mer mit sei­nem hier verübten se­xu­el­len Überg­riff sehr knapp an ei­ner frist­lo­sen Kündi­gung vor­bei­ge­schrammt, denn sol­che Ent­glei­sun­gen be­rech­ti­gen im All­ge­mei­nen sehr wohl zu ei­ner frist­lo­sen Kündi­gung, d.h. sie sind "an sich" ein wich­ti­ger Grund im Sin­ne von § 626 BGB.

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Letzte Überarbeitung: 5. Juni 2020

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