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BAG, Ur­teil vom 15.12.2011, 2 AZR 42/10

   
Schlagworte: Sozialauswahl: Altersgruppen, Diskriminierung: Alter, Sozialauswahl
   
Gericht: Bundesarbeitsgericht
Aktenzeichen: 2 AZR 42/10
Typ: Urteil
Entscheidungsdatum: 15.12.2011
   
Leitsätze: Die gesetzliche Vorgabe in § 1 Abs. 3 Satz 1 KSchG, das Lebensalter als eines von mehreren Kriterien bei der Sozialauswahl zu berücksichtigen, und die durch § 1 Abs. 3 Satz 2 KSchG eröffnete Möglichkeit, die Auswahl zum Zweck der Sicherung einer ausgewogenen Personalstruktur innerhalb von Altersgruppen vorzunehmen, verstoßen nicht gegen das unionsrechtliche Verbot der Altersdiskriminierung und dessen Ausgestaltung durch die Richtlinie 2000/78/EG vom 27. November 2000.
Vorinstanzen: Landesarbeitsgericht Köln, Urteil vom 14.08.2009 - 11 Sa 320/09
Arbeitsgericht Bonn, Urteil vom 07.01.2009 - 2 Ca 1849/08 EU
   


BUN­DES­AR­BEITS­GERICHT

2 AZR 42/10
11 Sa 320/09
Lan­des­ar­beits­ge­richt

Köln

 

Im Na­men des Vol­kes!

Verkündet am
15. De­zem­ber 2011

UR­TEIL

Schmidt, Ur­kunds­be­am­tin

der Geschäfts­stel­le

In Sa­chen

Kläge­rin, Be­ru­fungskläge­rin und Re­vi­si­onskläge­rin,

pp.

Be­klag­te, Be­ru­fungs­be­klag­te und Re­vi­si­ons­be­klag­te,

hat der Zwei­te Se­nat des Bun­des­ar­beits­ge­richts auf­grund der münd­li­chen Ver­hand­lung vom 15. De­zem­ber 2011 durch den Vor­sit­zen­den Rich­ter am Bun­des­ar­beits­ge­richt Kreft, die Rich­te­rin­nen am Bun­des­ar­beits­ge­richt Ber­ger und Ra­chor so­wie den eh­ren­amt­li­chen Rich­ter Dr. Sieg und die eh­ren­amt­li­che Rich­te­rin Per­reng für Recht er­kannt:
 


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Die Re­vi­si­on der Kläge­rin ge­gen das Ur­teil des Lan­des­ar­beits­ge­richts Köln vom 14. Au­gust 2009 - 11 Sa 320/09 - wird auf ih­re Kos­ten zurück­ge­wie­sen.


Von Rechts we­gen!

Tat­be­stand

Die Par­tei­en strei­ten über die Wirk­sam­keit ei­ner auf be­trieb­li­che Gründe gestütz­ten Kündi­gung.

Die im De­zem­ber 1971 ge­bo­re­ne Kläge­rin war seit Au­gust 1999 bei der Be­klag­ten als Pro­duk­ti­ons­mit­ar­bei­te­rin tätig.

Die Be­klag­te stellt Tier­nah­rung her. In ih­rem Werk E beschäftig­te sie zu Mit­te des Jah­res 2008 242 Mit­ar­bei­ter, da­von 168 ge­werb­li­che Ar­beit­neh­mer im Rah­men der Pro­duk­ti­on und ei­ni­ge mehr in der Werk­statt, im La­ger­be­reich so­wie in der Qua­litätsprüfung.


Im Ju­li 2008 be­schloss die Be­klag­te, im Pro­duk­ti­ons­be­reich 31 Stel­len ab­zu­bau­en. Am 24. Ju­li 2008 ver­ein­bar­te sie mit dem Be­triebs­rat ei­nen In­ter­es­sen­aus­gleich mit Na­mens­lis­te, ei­nen So­zi­al­plan und ei­ne „Aus­wahl­richt­li­nie gem. § 95 Be­trVG“. Die Na­mens­lis­te enthält die Na­men von 31 zu kündi­gen­den Ar­beit­neh­mern, dar­un­ter den der Kläge­rin. Nach § 1 des In­ter­es­sens­aus­gleichs be­ruht der Weg­fall der Ar­beitsplätze auf ei­ner „Li­ni­en­op­ti­mie­rung“ in ver­schie­de­nen Be­rei­chen der Pro­duk­ti­on - dies be­trifft elf Mit­ar­bei­ter -, auf ei­ner „Ma­schi­nen­lauf­zeit­re­du­zie­rung“ auf­grund ei­ner „Vo­lu­men­re­du­zie­rung im Tro­cken­be­reich“ - dies be­trifft acht Mit­ar­bei­ter - und auf dem Weg­fall zwei­er Pro­duk­te, wo­mit die Still­le­gung zwei­er Ma­schi­nen und die „Vo­lu­men­re­duk­ti­on“ ei­ner wei­te­ren Ma­schi­ne be­gründet wird - dies be­trifft zwölf Ar­beit­neh­mer.


Gemäß Nr. 2 der Aus­wahl­richt­li­nie ist die so­zia­le Aus­wahl in meh­re­ren Stu­fen zu voll­zie­hen. Zunächst ist ei­ne Ver­gleichs­grup­pen­bil­dung vor­zu­neh­men. In­so­weit verständig­ten sich die Be­triebs­par­tei­en darüber, dass „al­le ge-
 


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werb­li­chen Ar­beit­neh­mer im Sin­ne der So­zi­al­aus­wahl ver­gleich­bar“ sei­en. Außer­dem bil­de­ten sie vier Al­ters­grup­pen: Le­bens­al­ter 25 bis 34 Jah­re, 35 bis 44 Jah­re, 45 bis 54 Jah­re und über 55 Jah­re. Die Be­leg­schaft des ge­werb­li­chen Be­reichs ver­teil­te sich auf die Grup­pen - auf­stei­gend - wie folgt: 23 %, 34 %, 32 %, 11 %. Dar­an an­sch­ließend ist nach der Richt­li­nie die - ei­gent­li­che - So­zi­al­aus­wahl in­ner­halb der Al­ters­grup­pen nach ei­nem Punk­te­sche­ma durch­zuführen. Da­zu sind für die Be­triebs­zu­gehörig­keit in den ers­ten zehn Dienst­jah­ren je Dienst­jahr ein Punkt, ab dem 11. Dienst­jahr zwei Punk­te (ma­xi­mal 70 Punk­te) und für je­des vol­le Le­bens­jahr ein Punkt (ma­xi­mal 55 Punk­te) in An­satz zu brin­gen. Fer­ner sind für je­des un­ter­halts­be­rech­tig­te Kind (lt. Steu­er­kar­te) vier Punk­te, für den un­ter­halts­be­rech­tig­ten Ehe­part­ner vier Punk­te und für al­lein­er­zie­hen­de Mit­ar­bei­ter wei­te­re vier Punk­te an­zu­rech­nen. Die Schwer­be­hin­de­rung ist bei ei­nem GdB bis 50 mit fünf Punk­ten und bei je­dem um zehn höhe­ren Grad mit ei­nem wei­te­ren Punkt zu berück­sich­ti­gen.

Mit Schrei­ben vom 28. Ju­li 2008 kündig­te die Be­klag­te das Ar­beits­verhält­nis der Par­tei­en - nach Anhörung des Be­triebs­rats und mit des­sen Zu­stim­mung - zum 31. Ok­to­ber 2008.


Da­ge­gen hat die Kläge­rin recht­zei­tig die vor­lie­gen­de Kündi­gungs­schutz­kla­ge er­ho­ben. Sie hat gel­tend ge­macht, be­trieb­li­che Kündi­gungs­gründe lägen nicht vor. Die im In­ter­es­sen­aus­gleich be­schrie­be­nen or­ga­ni­sa­to­ri­schen Maßnah­men sei­en nicht, je­den­falls nicht auf Dau­er durch­geführt wor­den. Tatsächlich ha­be sich der Ar­beits­kräfte­be­darf im Jahr 2008 auf­grund der Einführung neu­er Pro­duk­te so­gar erhöht. Über­dies beschäfti­ge die Be­klag­te durchgängig ei­ne Viel­zahl von Leih­ar­beit­neh­mern. Bei den mit ih­nen be­setz­ten Ar­beitsplätzen han­de­le es sich um „freie“ Ar­beitsplätze, die die Be­klag­te vor­ran­gig mit Stamm­ar­beit­neh­mern ha­be be­set­zen müssen. Die So­zi­al­aus­wahl sei grob feh­ler­haft. Ent­ge­gen den Vor­ga­ben der Aus­wahl­richt­li­nie sei­en ver­gleich­ba­re ge­werb­li­che Ar­beit­neh­mer, die im La­ger, im Werk­statt­be­reich und der Qua­litätsprüfung beschäftigt sei­en, nicht in die Aus­wahl ein­be­zo­gen wor­den. Die Al­ters­grup­pen sei­en willkürlich gewählt und auf ein be­stimm­tes Er­geb­nis der So­zi­al­aus­wahl hin zu­ge­schnit­ten.
 


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Die Kläge­rin hat be­an­tragt 


1. fest­zu­stel­len, dass das Ar­beits­verhält­nis der Par­tei­en durch die Kündi­gung vom 28. Ju­li 2008 nicht auf­gelöst wor­den ist;


2. die Be­klag­te zu ver­ur­tei­len, sie als Pro­duk­ti­ons­mit­ar­bei­te­rin wei­ter­zu­beschäfti­gen;

3. die Be­klag­te zu ver­ur­tei­len, an sie 3.123,70 Eu­ro brut­to abzüglich 1.182,60 Eu­ro net­to nebst Zin­sen iHv. fünf Pro­zent­punk­ten über dem Ba­sis­zins­satz ab Rechtshängig­keit zu zah­len.

Die Be­klag­te hat be­an­tragt, die Kla­ge ab­zu­wei­sen. Sie hat die Kündi­gung für so­zi­al ge­recht­fer­tigt ge­hal­ten. Die Kläge­rin ha­be die nach § 1 Abs. 5 Satz 1 KSchG zu ver­mu­ten­de Be­triebs­be­dingt­heit der Kündi­gung nicht wi­der­legt. Die im In­ter­es­sen­aus­gleich dar­ge­stell­ten Maßnah­men, die auf ei­nen Rück­gang des Pro­duk­ti­ons­vo­lu­mens seit dem Jahr 2008 um mehr als 16 vH zurück­zuführen sei­en, sei­en al­le­samt durch­geführt wor­den. Zwar ha­be sie die Her­stel­lung der bei­den im In­ter­es­sen­aus­gleich be­zeich­ne­ten Pro­duk­te im Herbst des Jah­res 2008 vorüber­ge­hend wie­der auf­ge­nom­men. Dies sei je­doch auf ei­nen nicht vor­her­seh­ba­ren, tem­porären Pro­duk­ti­ons­eng­pass in ei­nem französi­schen Schwes­ter­werk zurück­zuführen ge­we­sen; an ih­rer Ent­schei­dung, die Pro­duk­ti­on der be­tref­fen­den Ar­ti­kel in E dau­er­haft ein­zu­stel­len, ha­be sich da­durch nichts geändert. Leih­ar­beit­neh­mer beschäfti­ge sie le­dig­lich zur Ab­de­ckung ei­nes über das ver­blie­be­ne Vo­lu­men von 137 Ar­beitsplätzen hin­aus­ge­hen­den, nicht vor­her­seh­ba­ren (Ver­tre­tungs-)Be­darfs. Sie sei nicht ver­pflich­tet, ei­ne ei­ge­ne Per­so­nal­re­ser­ve vor­zu­hal­ten. Die so­zia­le Aus­wahl sei nicht zu be­an­stan­den. Die außer­halb des Pro­duk­ti­ons­be­reichs täti­gen ge­werb­li­chen Ar­beit­neh­mer verfügten über ei­ne an­de­re - zu­meist tech­ni­sche - Aus­bil­dung und sei­en mit der Kläge­rin nach ar­beits­platz­be­zo­ge­nen Kri­te­ri­en nicht ver­gleich­bar. Die Bil­dung von Al­ters­grup­pen sei le­gi­tim. Da­durch sei er­reicht wor­den, die Al­ters­struk­tur im Pro­duk­ti­ons­be­reich annähernd zu er­hal­ten.
 


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Die Vor­in­stan­zen ha­ben die Kla­ge ab­ge­wie­sen. Mit ih­rer vom Lan­des­ar­beits­ge­richt zu­ge­las­se­nen Re­vi­si­on ver­folgt die Kläge­rin ih­re Anträge in vol­lem Um­fang wei­ter.

Ent­schei­dungs­gründe

Die Re­vi­si­on ist un­be­gründet. Die Kündi­gung vom 28. Ju­li 2008 hat das Ar­beits­verhält­nis der Par­tei­en auf­gelöst. Sie ist nicht so­zi­al­wid­rig iSd. § 1 Abs. 2, Abs. 3 KSchG.


I. Die Kündi­gung ist iSv. § 1 Abs. 2 KSchG durch drin­gen­de be­trieb­li­che Er­for­der­nis­se be­dingt, die ei­ner Wei­ter­beschäfti­gung der Kläge­rin ent­ge­gen­ste­hen. Dies ist nach § 1 Abs. 5 Satz 1 KSchG je­den­falls zu ver­mu­ten, weil die Kündi­gung auf ei­ner Be­triebsände­rung be­ruht und ihr ein In­ter­es­sen­aus­gleich mit Na­mens­lis­te zu­grun­de liegt. Die Kläge­rin hat we­der die ge­setz­li­che Ver­mu­tung wi­der­legt, noch hat sie ei­ne we­sent­li­che Ände­rung der Sach­la­ge nach Zu­stan­de­kom­men des In­ter­es­sen­aus­gleichs iSv. § 1 Abs. 5 Satz 3 KSchG auf­ge­zeigt.

1. Das Lan­des­ar­beits­ge­richt hat die tat­be­stand­li­chen Vor­aus­set­zun­gen des § 1 Abs. 5 Satz 1 KSchG als erfüllt an­ge­se­hen, oh­ne dass die Re­vi­si­on hier­ge­gen er­heb­li­che Rügen er­ho­ben hätte. Ein Rechts­feh­ler ist in­so­weit auch ob­jek­tiv nicht zu er­ken­nen.


a) Der In­ter­es­sen­aus­gleich vom 24. Ju­li 2008 sieht den Weg­fall von 31 Ar­beitsplätzen in „ver­schie­de­nen Be­rei­chen der Pro­duk­ti­on“ vor. Dies ent­spricht, be­zo­gen auf die Ge­samt­zahl der im Be­trieb E beschäftig­ten 242 Ar­beit­neh­mer, ei­nem An­teil von mehr als 10 vH der Be­leg­schaft. Der Per­so­nal­ab­bau, auf dem die Kündi­gung ba­siert, erfüllt da­mit die Vor­aus­set­zun­gen ei­ner Be­triebsände­rung iSv. § 111 Satz 1 Be­trVG iVm. § 17 Abs. 1 KSchG, oh­ne dass es noch auf die be­schlos­se­nen Ein­zel­maßnah­men ankäme (vgl. BAG 31. Mai 2007 - 2 AZR 254/06 - Rn. 16, AP Be­trVG 1972 § 111 Nr. 65 = EzA KSchG § 1 In­ter­es­sen-


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aus­gleich Nr. 12; 21. Fe­bru­ar 2002 - 2 AZR 581/00 - zu B I 3 a der Gründe, EzA KSchG § 1 In­ter­es­sen­aus­gleich Nr. 10).

b) Die Kläge­rin ist in der dem In­ter­es­sen­aus­gleich bei­gefügten, mit die­sem fest ver­bun­de­nen Lis­te der zu kündi­gen­den Ar­beit­neh­mer na­ment­lich ge­nannt. Ih­re Rüge, die der Na­mens­lis­te zu­grun­de lie­gen­de Al­ters­grup­pen­bil­dung wi­der­spre­che dem Ge­setz, lässt die ge­setz­li­che Ver­mu­tung des § 1 Abs. 5 Satz 1 KSchG un­berührt. Die be­haup­te­te Rechts­ver­let­zung führt nicht zur „Un­wirk­sam­keit“ der Na­mens­lis­te oder des In­ter­es­sen­aus­gleichs ins­ge­samt (BAG 10. Ju­ni 2010 - 2 AZR 420/09 - Rn. 14, AP KSchG 1969 § 1 So­zia­le Aus­wahl Nr. 98 = EzA KSchG § 1 In­ter­es­sen­aus­gleich Nr. 22; 5. No­vem­ber 2009 - 2 AZR 676/08 - Rn. 15, AP KSchG 1969 § 1 Be­triebs­be­ding­te Kündi­gung Nr. 183 = EzA KSchG § 1 In­ter­es­sen­aus­gleich Nr. 20; kri­tisch Tem­ming Anm. zu BAG 6. No­vem­ber 2008 - 2 AZR 523/07 - AP KSchG 1969 § 1 Be­triebs­be­ding­te Kündi­gung Nr. 182).

2. Die Kläge­rin hat die Ver­mu­tung des § 1 Abs. 5 Satz 1 KSchG nicht wi­der­legt.

a) Lie­gen die Vor­aus­set­zun­gen des § 1 Abs. 5 KSchG vor, kann der Ar­beit­neh­mer gemäß § 46 Abs. 2 Satz 1 ArbGG iVm. § 292 ZPO vor­brin­gen, dass in Wahr­heit ei­ne Möglich­keit, ihn zu beschäfti­gen, wei­ter­hin be­steht. Da­zu ist ein sub­stan­ti­ier­ter Tat­sa­chen­vor­trag er­for­der­lich, der den ge­setz­lich ver­mu­te­ten Um­stand nicht nur in Zwei­fel zieht, son­dern aus­sch­ließt (BAG 5. No­vem­ber 2009 - 2 AZR 676/08 - Rn. 17, AP KSchG 1969 § 1 Be­triebs­be­ding­te Kündi­gung Nr. 183 = EzA KSchG § 1 In­ter­es­sen­aus­gleich Nr. 20; 23. Ok­to­ber 2008 - 2 AZR 163/07 - Rn. 37, AP KSchG 1969 § 1 Na­mens­lis­te Nr. 18 = EzA KSchG § 1 In­ter­es­sen­aus­gleich Nr. 16). Der Ar­beit­neh­mer muss dar­le­gen, dass der Ar­beits­platz trotz der Be­triebsände­rung noch vor­han­den ist oder er an an­de­rer Stel­le im Be­trieb oder Un­ter­neh­men wei­ter­beschäftigt wer­den kann. Aus § 138 Abs. 1 und Abs. 2 ZPO kann sich da­bei ei­ne Mit­wir­kungs­pflicht des Ar­beit­ge­bers er­ge­ben. Ins­be­son­de­re dann, wenn der Ar­beit­neh­mer außer­halb des frag­li­chen Ge­sche­hens­ab­laufs steht und kei­ne nähe­re Kennt­nis von den maßge­ben­den Tat­sa­chen be­sitzt, kann den Ar­beit­ge­ber ei­ne (se­kundäre) Dar­le-
 


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gungs­last tref­fen und die des Ar­beit­neh­mers sich ent­spre­chend min­dern (BAG 12. März 2009 - 2 AZR 418/07 - Rn. 23, AP KSchG 1969 § 1 So­zia­le Aus­wahl Nr. 97 = EzA KSchG § 1 In­ter­es­sen­aus­gleich Nr. 17; 6. Sep­tem­ber 2007 - 2 AZR 715/06 - Rn. 38 mwN, BA­GE 124, 48). Die Ver­mu­tung der Be­triebs­be­dingt­heit der Kündi­gung ist gleich­wohl erst wi­der­legt, wenn der Ar­beit­neh­mer sub­stan­ti­iert be­haup­tet und im Be­strei­tens­fall be­weist, dass der nach dem In­ter­es­sen­aus­gleich in Be­tracht kom­men­de be­trieb­li­che Grund in Wirk­lich­keit nicht vor­liegt (BAG 5. No­vem­ber 2009 - 2 AZR 676/08 - Rn. 17, aaO; 12. März 2009 - 2 AZR 418/07 - Rn. 24, aaO).

b) Die­sen An­for­de­run­gen wird das kläge­ri­sche Vor­brin­gen nicht ge­recht. 


aa) Die Kläge­rin hat, was den Weg­fall von Ar­beitsplätzen durch „Li­ni­en­op­ti­mie­rung“ an­be­langt, nicht be­strit­ten, dass die Be­klag­te im Kündi­gungs­zeit-punkt endgültig und ernst­haft ent­schlos­sen war, die Maßnah­me durch­zuführen. Sie hat le­dig­lich in Ab­re­de ge­stellt, dass die Or­ga­ni­sa­ti­ons­ent­schei­dung auf Dau­er durch­zu­hal­ten sei. Sie hat be­haup­tet, die Be­klag­te ha­be zwar ver­sucht, die An­zahl der an den ein­zel­nen Ma­schi­nen beschäftig­ten Mit­ar­bei­ter zu re­du­zie­ren, es ha­be sich je­doch „schnell ge­zeigt“, dass die Ma­schi­nen mit we­ni­ger Per­so­nal nicht zu be­die­nen sei­en. Des­halb set­ze die Be­klag­te Mit­ar­bei­ter in un­veränder­tem Um­fang an den Li­ni­en ein.


(1) Die­ses Vor­brin­gen ist nicht ge­eig­net, die Ver­mu­tung des In­ter­es­sen­aus­gleichs zu wi­der­le­gen. Es trägt dem Pro­gno­se­cha­rak­ter der Kündi­gung nur un­zu­rei­chend Rech­nung. Ei­ne be­triebs­be­ding­te Kündi­gung ist nicht erst möglich, wenn der Ar­beits­platz tatsächlich nicht mehr zur Verfügung steht. Sie kann schon dann wirk­sam erklärt wer­den, wenn im Zeit­punkt ih­res Zu­gangs die auf Tat­sa­chen gestütz­te Vor­aus­schau ge­recht­fer­tigt ist, dass je­den­falls zum Ab­lauf der Kündi­gungs­frist der die Ent­las­sung er­for­der­lich ma­chen­de be­trieb­li­che Grund vor­lie­gen wird (vgl. BAG 23. Fe­bru­ar 2010 - 2 AZR 268/08 - Rn. 18, BA­GE 133, 240; 9. No­vem­ber 2006 - 2 AZR 509/05 - Rn. 72, BA­GE 120, 115). Stellt sich ei­ne im Kündi­gungs­zeit­punkt be­rech­tig­ter­wei­se ent­wi­ckel­te Vor­stel­lung des Ar­beit­ge­bers, es feh­le spätes­tens mit Ab­lauf der Kündi­gungs­frist an ei­ner Wei­ter­beschäfti­gungsmöglich­keit, nachträglich als un­zu­tref­fend her­aus,
 


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lässt dies die Wirk­sam­keit der Kündi­gung grundsätz­lich un­berührt. Ei­ne im Kündi­gungs­zeit­punkt nicht ab­seh­ba­re Verände­rung der be­trieb­li­chen Verhält­nis­se kann al­len­falls ei­nen Wie­der­ein­stel­lungs­an­spruch be­gründen (BAG 9. No­vem­ber 2006 - 2 AZR 509/05 - aaO). Die Kläge­rin hätte des­halb auf­zei­gen müssen, auf­grund wel­cher Umstände ei­ne Pro­gno­se der Be­klag­ten, die un­strei­tig be­ab­sich­tig­te Li­ni­en­op­ti­mie­rung sei durchführ­bar, von vorn­her­ein un­vernünf­tig ge­we­sen sein soll. Ihr Vor­brin­gen schließt statt­des­sen ei­ne für die Be­klag­te nicht vor­her­seh­ba­re, von de­ren Pro­gno­se nachträglich ab­wei­chen­de Ent­wick­lung nicht aus.


(2) Un­abhängig da­von kann an­hand des Vor­trags der Kläge­rin nicht nach­voll­zo­gen wer­den, wie vie­le Ar­beit­neh­mer vor und nach Ab­lauf der Kündi­gungs­frist auf wel­chen Li­ni­en tatsächlich zum Ein­satz ka­men. Oh­ne ei­ne ent­spre­chen­de Kon­kre­ti­sie­rung ist es nicht möglich fest­zu­stel­len, ob der Beschäfti­gungs­be­darf in dem frag­li­chen Be­reich tatsächlich un­verändert ge­blie­ben ist oder sich, wie von der Be­klag­ten be­haup­tet, dau­er­haft um 31 Ar­beitsplätze ver­rin­gert hat. Die Rüge der Re­vi­si­on, das Lan­des­ar­beits­ge­richt ha­be in­so­weit die Dar­le­gungs- und Be­weis­last ver­kannt, ist an­ge­sichts der Ver­mu­tung des § 1 Abs. 5 Satz 1 KSchG un­be­gründet. Die Kläge­rin hat nicht gel­tend ge­macht, zu ei­ner Sub­stan­ti­ie­rung ih­rer pau­scha­len Be­haup­tun­gen nicht in der La­ge zu sein.


bb) Das Lan­des­ar­beits­ge­richt hat die An­for­de­run­gen an die Dar­le­gungs­last der Kläge­rin nicht über­spannt, so­weit es der Auf­fas­sung war, die­se ha­be ei­nen Rück­gang des Beschäfti­gungs­be­darfs in­fol­ge der Re­du­zie­rung der Ma­schi­nen­lauf­zeit nicht wi­der­legt. Die Kläge­rin hat aus­drück­lich zu­ge­stan­den, dass es im Be­trieb „zunächst“ zu ei­nem Rück­gang ge­kom­men sei. Den Um­stand, dass die bei­den laut In­ter­es­sen­aus­gleich weg­fal­len­den Pro­duk­te tatsächlich noch bis ge­gen En­de des Jah­res 2008 im Werk E her­ge­stellt wur­den, hat die Be­klag­te mit vorüber­ge­hen­den Pro­duk­ti­ons­engpässen in ei­nem französi­schen Schwes­ter­werk erklärt, mit de­nen sie im Kündi­gungs­zeit­punkt nicht ha­be rech­nen müssen. Die­ser Be­haup­tung ist die Kläge­rin eben­so we­nig sub­stan­ti­iert ent­ge­gen­ge­tre­ten wie den Ausführun­gen der Be­klag­ten, die be­tref­fen­den Pro­duk­ti­ons-
 


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einsätze hätten an ih­rer - zwi­schen­zeit­lich endgültig um­ge­setz­ten - Ent­schei­dung, die frag­li­chen Ma­schi­nen still­zu­le­gen, nichts geändert.


cc) Die Ver­mu­tung des § 1 Abs. 5 Satz 1 KSchG ist auch nicht durch den un­strei­ti­gen Ein­satz von Leih­ar­beit­neh­mern wi­der­legt. Das Vor­brin­gen der Kläge­rin lässt nicht er­ken­nen, dass die­se die Ar­beit gekündig­ter Stamm­ar­beit­neh­mer über­nom­men hätten und des­halb bloße Aus­tauschkündi­gun­gen vorlägen (vgl. da­zu BAG 26. Sep­tem­ber 1996 - 2 AZR 200/96 - zu II 2 d der Gründe, BA­GE 84, 209). Eben­so we­nig hat sie das Vor­han­den­sein „frei­er“ Ar­beitsplätze iSd. § 1 Abs. 2 Satz 2 KSchG auf­ge­zeigt.


(1) Die Ver­mu­tung des § 1 Abs. 5 Satz 1 KSchG er­streckt sich nicht nur auf den Weg­fall von Beschäfti­gungsmöglich­kei­ten im bis­he­ri­gen Ar­beits­be­reich des Ar­beit­neh­mers, son­dern auch auf das Feh­len der Möglich­keit, die­sen an­der­wei­tig ein­zu­set­zen (BAG 23. Ok­to­ber 2008 - 2 AZR 163/07 - Rn. 54, AP KSchG 1969 § 1 Na­mens­lis­te Nr. 18 = EzA KSchG § 1 In­ter­es­sen­aus­gleich Nr. 16; 6. Sep­tem­ber 2007 - 2 AZR 715/06 - Rn. 18 mwN, BA­GE 124, 48). Will der Ar­beit­neh­mer sie wi­der­le­gen, muss er sub­stan­ti­iert auf­zei­gen, dass im Be­trieb ein ver­gleich­ba­rer Ar­beits­platz oder ein sol­cher zu schlech­te­ren, aber zu­mut­ba­ren Ar­beits­be­din­gun­gen frei war. Als „frei” sind grundsätz­lich nur sol­che Ar­beitsplätze an­zu­se­hen, die zum Zeit­punkt des Zu­gangs der Kündi­gung un­be­setzt sind (BAG 2. Fe­bru­ar 2006 - 2 AZR 38/05 - Rn. 22, AP KSchG 1969 § 1 Be­triebs­be­ding­te Kündi­gung Nr. 142 = EzA KSchG § 1 Be­triebs­be­ding­te Kündi­gung Nr. 144).

(2) Ob die Beschäfti­gung von Leih­ar­beit­neh­mern die An­nah­me recht­fer­tigt, im Be­trieb oder Un­ter­neh­men des Ar­beit­ge­bers sei­en „freie“ Ar­beitsplätze vor­han­den, hängt von den Umständen des Ein­zel­falls ab.

(a) Wer­den Leih­ar­beit­neh­mer le­dig­lich zur Ab­de­ckung von „Auf­trags­spit­zen“ ein­ge­setzt, liegt kei­ne al­ter­na­ti­ve Beschäfti­gungsmöglich­keit iSv. § 1 Abs. 2 Satz 2 KSchG vor. Der Ar­beit­ge­ber kann dann ty­pi­scher­wei­se nicht da­von aus­ge­hen, dass er für die Auf­trags­ab­wick­lung dau­er­haft Per­so­nal benöti­ge. Es kann ihm des­halb re­gelmäßig nicht zu­ge­mu­tet wer­den, ent­spre­chen­des


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Stamm­per­so­nal vor­zu­hal­ten (vgl. BAG 17. März 2005 - 2 AZR 4/04 - zu B IV 2 d der Gründe, AP KSchG 1969 § 1 So­zia­le Aus­wahl Nr. 71 = EzA KSchG § 1 So­zia­le Aus­wahl Nr. 58; Moll/Itt­mann RdA 2008, 321, 324).

(b) An ei­nem „frei­en“ Ar­beits­platz fehlt es in der Re­gel außer­dem, so­weit der Ar­beit­ge­ber Leih­ar­beit­neh­mer als „Per­so­nal­re­ser­ve“ zur Ab­de­ckung von Ver­tre­tungs­be­darf beschäftigt. Das gilt un­abhängig von der Vor­her­seh­bar­keit der Ver­tre­tungs­zei­ten.


(aa) Es wer­den nicht „freie“ Ar­beitsplätze iSv. § 1 Abs. 2 Satz 2 KSchG be­setzt, wenn der Ar­beit­ge­ber ei­nen et­wa durch Krank­heit oder Ur­laub aus­gelösten Ver­tre­tungs­be­darf durch die (be­fris­te­te) Ein­stel­lung von Ar­beit­neh­mern ab­deckt (BAG 1. März 2007 - 2 AZR 650/05 - Rn. 25, AP KSchG 1969 § 1 Be­triebs­be­ding­te Kündi­gung Nr. 164 = EzA KSchG § 1 Be­triebs­be­ding­te Kündi­gung Nr. 154). Es bleibt der nur auf Miss­brauch und Willkür über­prüfba­ren Ent­schei­dung des Ar­beit­ge­bers über­las­sen, ob und für wie lan­ge ein aus die­sen Gründen va­kan­ter Ar­beits­platz be­setzt wer­den soll. An­dern­falls könn­te der Ar­beit­ge­ber ge­zwun­gen sein, mehr Ar­beits­verhält­nis­se zu be­gründen, als er für zweckmäßig hält. In­des­sen ist es grundsätz­lich Sa­che des Ar­beit­ge­bers, das Verhält­nis der An­zahl der Ar­beits­kräfte zum Vo­lu­men der an­fal­len­den Ar­beit zu be­stim­men. Die­se Grundsätze gel­ten nicht nur für krank­heits- oder ur­laubs­be­ding­te Ver­tre­tungsfälle, son­dern auch für länger­fris­tig be­ste­hen­de Ver­tre­tungs­zei­ten wie die El­tern­zeit (vgl. BAG 1. März 2007 - 2 AZR 650/05 - aaO). Der Ar­beits­platz ei­nes schon beschäftig­ten, aber ver­hin­der­ten Ar­beit­neh­mers ist selbst dann nicht „frei“, wenn es wahr­schein­lich ist oder gar fest­steht, dass der Mit­ar­bei­ter nicht auf ihn zurück­keh­ren wird (vgl. BAG 2. Fe­bru­ar 2006 - 2 AZR 38/05 - Rn. 25, AP KSchG 1969 § 1 Be­triebs­be­ding­te Kündi­gung Nr. 142 = EzA KSchG § 1 Be­triebs­be­ding­te Kündi­gung Nr. 144).


(bb) Die­se Über­le­gun­gen tref­fen glei­cher­maßen zu, wenn der Ar­beit­ge­ber zur Ver­tre­tung ab­we­sen­der Stamm­ar­beit­neh­mer auf den Ein­satz von Leih­ar­beit­neh­mern zurück­greift. Die­se wer­den auch dann nicht auf „frei­en“ Ar­beitsplätzen beschäftigt, wenn der Ver­tre­tungs­be­darf re­gelmäßig anfällt. An­dern­falls
 


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blie­be der Ar­beit­ge­ber nicht frei in sei­ner Ent­schei­dung, ob er Ver­tre­tungs­zei­ten über­haupt und - wenn ja - für wel­chen Zeit­raum über­brückt.


(c) Beschäftigt der Ar­beit­ge­ber Leih­ar­beit­neh­mer da­ge­gen, um mit ih­nen ein nicht schwan­ken­des, ständig vor­han­de­nes (So­ckel-)Ar­beits­vo­lu­men ab­zu­de­cken, kann von ei­ner al­ter­na­ti­ven Beschäfti­gungsmöglich­keit iSv. § 1 Abs. 2 Satz 2 KSchG aus­zu­ge­hen sein, die vor­ran­gig für sonst zur Kündi­gung an­ste­hen­de Stamm­ar­beit­neh­mer ge­nutzt wer­den muss (vgl. Ha­Ko-KSchR/Gall­ner 3. Aufl. § 1 KSchG Rn. 661; Si­mon/Greßlin BB 2007, 2454, 2456; zum un­ein­heit­li­chen Mei­nungs­stand für den Fall, dass die Beschäfti­gung von Leih­ar­beit­neh­mern auf ei­ner kon­zep­tio­nel­len Ent­schei­dung des Ar­beit­ge­bers be­ruht: ErfK/Oet­ker 11. Aufl. § 1 KSchG Rn. 275; Schaub/Linck ArbR-Hdb. 14. Aufl. § 134 Rn. 55; Ha­Ko-KSchR/Gall­ner aaO; Rein­hard in Thüsing/Laux/Lembke KSchG 2. Aufl. § 1 Rn. 739; Düwell/Dahl DB 2007, 1699; Gaul/Lud­wig DB 2010, 2334; Ha­mann NZA 2010, 1211; Rost NZA Beil. 1/2009, 23, 26).

(3) Das Vor­brin­gen der Kläge­rin ist nicht ge­eig­net die Be­haup­tung der Be­klag­ten zu wi­der­le­gen, sie set­ze Leih­ar­beit­neh­mer aus­sch­ließlich zur Ab­de­ckung von Auf­trags­spit­zen oder zur Über­brückung von Ver­tre­tungs­zei­ten ein.

(a) Nach den von der Re­vi­si­on nicht an­ge­grif­fe­nen Fest­stel­lun­gen des Lan­des­ar­beits­ge­richts wei­sen die von der Kläge­rin vor­ge­leg­ten Per­so­nal­ein­satz­pläne er­heb­li­che Schwan­kun­gen hin­sicht­lich der Zahl der „Aus­hil­fen“ auf. Für ein­zel­ne Ta­ge - so­wohl vor als auch nach Zu­gang der Kündi­gung - beläuft die­se sich auf „Null“ oder gar ei­nen ne­ga­ti­ven Wert. Dies spricht nicht ge­gen, son­dern für die Be­haup­tung der Be­klag­ten, sie set­ze Leih­ar­beit­neh­mer aus­sch­ließlich zur Ab­de­ckung ei­nes un­ste­ten Ar­beits­kräfte­be­darfs ein. Die in der Per­so­nal­pla­nung aus­ge­wie­se­nen ne­ga­ti­ven Wer­te dürf­ten zu­dem den Wil­len der Be­klag­ten do­ku­men­tie­ren, bei Ver­tre­tungs­be­darf vor­ran­gig auf ei­nen Ar­beits­kräfteüber­hang aus dem Kreis der Stamm­be­leg­schaft zurück­zu­grei­fen.


(b) Die ab­so­lu­te Zahl ein­ge­plan­ter Aus­hil­fen mag - wie von der Kläge­rin be­haup­tet - nach Aus­spruch der Kündi­gung an­ge­stie­gen sein. Auch die­ser Um­stand ist nicht ge­eig­net, die Ver­mu­tungs­wir­kung des In­ter­es­sen­aus­gleichs

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zu wi­der­le­gen. Die Be­klag­te hat ihn mit ei­ner erhöhten Zahl von Krank­heitsfällen und ei­nem da­mit ver­bun­de­nen Pro­duk­ti­vitätsein­bruch erklärt. Die Kläge­rin hat kei­ne Umstände dar­ge­legt, die ge­eig­net wären, die­se Be­haup­tung zu wi­der­le­gen. Viel­mehr in­di­zie­ren ih­re ei­ge­nen Be­rech­nun­gen, dass es sich bei dem zusätz­li­chen Beschäfti­gungs­be­darf nicht um „freie“ Ka­pa­zitäten iSv. § 1 Abs. 2 Satz 2 KSchG han­del­te. Hat­te die Kläge­rin ursprüng­lich vor­ge­tra­gen, die Be­klag­te benöti­ge zur Auf­recht­er­hal­tung der Pro­duk­ti­on durchgängig 134 Ar­beit­neh­mer und un­ter Berück­sich­ti­gung der im La­ger, Werk­statt­be­reich und der Qua­litätsprüfung ein­ge­setz­ten Mit­ar­bei­ter so­wie durch­schnitt­lich an­fal­len­der Krank­heits- und plan­ba­rer Ur­laubs­zei­ten wei­te­re 35, so geht sie in der Re­vi­si­on für den Pro­duk­ti­ons­be­reich von ei­nem re­gelmäßigen Ar­beits­kräfte­be­darf von 126 Ar­beit­neh­mern, für das La­ger und die übri­gen Be­rei­che von ei­nem Be­darf von wei­te­ren zehn und von ei­nem zusätz­li­chen, auf Ver­tre­tungstätig­kei­ten ent­fal­len­den Be­darf von 23 Ar­beit­neh­mern aus. Dar­aus lässt sich kein Beschäfti­gungs­vo­lu­men ab­lei­ten, das den im In­ter­es­sen­aus­gleich ver­an­schlag­ten Be­darf von 137 Ar­beitsplätzen über­stie­ge. Das von der Kläge­rin zusätz­lich er­mit­tel­te Beschäfti­gungs­vo­lu­men be­trifft Ver­tre­tungstätig­kei­ten und da­mit ge­ra­de kei­ne „frei­en“ Ka­pa­zitäten iSv. § 1 Abs. 2 Satz 2 KSchG. Die in die­sem Zu­sam­men­hang er­ho­be­nen Ver­fah­rensrügen der Kläge­rin ge­hen zu­min­dest man­gels Ent­schei­dungs­er­heb­lich­keit ins Lee­re.

3. Die Kläge­rin hat kei­ne we­sent­li­che Ände­rung der Sach­la­ge iSv. § 1 Abs. 5 Satz 3 KSchG auf­ge­zeigt.

a) § 1 Abs. 5 Satz 3 KSchG er­fasst nur sol­che Ände­run­gen, die bis zum Zu­gang der Kündi­gung ein­ge­tre­ten sind. Bei späte­ren Ände­run­gen kommt al­len­falls ein - von der Kläge­rin hier nicht er­ho­be­ner - Wie­der­ein­stel­lungs­an­spruch in Be­tracht (BAG 21. Fe­bru­ar 2001 - 2 AZR 39/00 - zu II 3 der Gründe, EzA KSchG § 1 In­ter­es­sen­aus­gleich Nr. 8). Die Be­haup­tung der Kläge­rin, die Be­klag­te ha­be ei­ni­ge der auf­grund des In­ter­es­sen­aus­gleichs be­reits erklärten Kündi­gun­gen „zurück­ge­nom­men“, nach­dem meh­re­re, nicht in der Na­mens­lis­te be­nann­te Ar­beit­neh­mer ih­re Be­reit­schaft erklärt hätten, frei­wil­lig aus dem Be­trieb aus­zu­schei­den, zielt auf ei­ne sol­che späte­re Ände­rung. Ent­spre­chen­des
 


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gilt für die Be­haup­tung, be­reits während des Laufs der Kündi­gungs­frist ha­be sich ge­zeigt, dass die der Be­triebsände­rung zu­grun­de lie­gen­den Or­ga­ni­sa­ti­ons­ent­schei­dun­gen nicht durchführ­bar sei­en.

b) Selbst wenn die in Re­de ste­hen­den Auf­he­bungs­verträge ge­schlos­sen wor­den wären, be­vor der Kläge­rin ih­re Kündi­gung zu­ging, läge dar­in kein Fall des § 1 Abs. 5 Satz 3 KSchG. Die Be­triebs­par­tei­en ha­ben die Möglich­keit ei­ner ein­ver­nehm­li­chen „Tren­nung“ der Be­klag­ten von Mit­ar­bei­tern, die nicht in der Na­mens­lis­te ge­nannt sind, un­ter § 2 des In­ter­es­sen­aus­gleichs be­dacht und ei­ner Re­ge­lung zu­geführt. Ein Weg­fall der Geschäfts­grund­la­ge, von dem § 1 Abs. 5 Satz 3 KSchG aus­geht, schei­det dann aus (vgl. BAG 12. März 2009 - 2 AZR 418/07 - Rn. 20 f., AP KSchG 1969 § 1 So­zia­le Aus­wahl Nr. 97 = EzA KSchG § 1 In­ter­es­sen­aus­gleich Nr. 17).

II. Die Kündi­gung ist nicht so­zi­al un­ge­recht­fer­tigt iSv. § 1 Abs. 3, Abs. 5 Satz 2 KSchG. Ein gro­ber Aus­wahl­feh­ler liegt nicht vor. Die für die Kündi­gung mit­ursächli­che Berück­sich­ti­gung des Le­bens­al­ters bei der So­zi­al­aus­wahl ist mit na­tio­na­lem Recht und mit Uni­ons­recht zu ver­ein­ba­ren.

1. Auf­grund der na­ment­li­chen Nen­nung der Kläge­rin in der Na­mens­lis­te des In­ter­es­sen­aus­gleichs vom 24. Ju­li 2008 kann die so­zia­le Aus­wahl nach § 1 Abs. 5 Satz 2 KSchG nur auf gro­be Feh­ler­haf­tig­keit über­prüft wer­den. Die­ser Prüfungs­maßstab gilt nicht nur für die Aus­wahl­kri­te­ri­en und re­la­ti­ve Ge­wich­tung selbst. Auch die Bil­dung der aus­wahl­re­le­van­ten Ar­beit­neh­mer­grup­pe kann ge­richt­lich nur auf gro­be Feh­ler über­prüft wer­den (st. Rspr., BAG 12. Mai 2010 - 2 AZR 551/08 - Rn. 15, AP KSchG 1969 § 1 Na­mens­lis­te Nr. 20 = EzA KSchG § 1 In­ter­es­sen­aus­gleich Nr. 21; 23. Ok­to­ber 2008 - 2 AZR 163/07 - Rn. 60, AP KSchG 1969 § 1 Na­mens­lis­te Nr. 18 = EzA KSchG § 1 In­ter­es­sen­aus­gleich Nr. 16).

2. Die So­zi­al­aus­wahl ist grob feh­ler­haft, wenn ein evi­den­ter, ins Au­ge sprin­gen­der schwe­rer Feh­ler vor­liegt und der In­ter­es­sen­aus­gleich je­de so­zia­le Aus­ge­wo­gen­heit ver­mis­sen lässt (BAG 12. März 2009 - 2 AZR 418/07 - Rn. 32, AP KSchG 1969 § 1 So­zia­le Aus­wahl Nr. 97 = EzA KSchG § 1 In­ter­es­sen­aus-

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gleich Nr. 17; 3. April 2008 - 2 AZR 879/06 - Rn. 32, AP KSchG 1969 § 1 Na­mens­lis­te Nr. 17 = EzA KSchG § 1 In­ter­es­sen­aus­gleich Nr. 15). Da­bei muss sich die ge­trof­fe­ne Aus­wahl mit Blick auf den kla­gen­den Ar­beit­neh­mer im Er­geb­nis als grob feh­ler­haft er­wei­sen (BAG 10. Ju­ni 2010 - 2 AZR 420/09 - Rn. 19, AP KSchG 1969 § 1 So­zia­le Aus­wahl Nr. 98 = EzA KSchG § 1 In­ter­es­sen­aus­gleich Nr. 22). Nicht ent­schei­dend ist, ob das gewähl­te Aus­wahl­ver­fah­ren als sol­ches zu Be­an­stan­dun­gen An­lass gibt (BAG 10. Ju­ni 2010 - 2 AZR 420/09 - aaO; 18. Ok­to­ber 2006 - 2 AZR 473/05 - Rn. 23, BA­GE 120, 18).

3. Ein evi­den­ter Aus­wahl­feh­ler liegt hier nicht des­halb vor, weil die Be­klag­te ge­werb­li­che Ar­beit­neh­mer, die im La­ger, im Werk­statt­be­reich und in der Qua­litätsprüfung beschäftigt sind, nicht in die Aus­wah­l­ent­schei­dung ein­be­zo­gen hat. Da­durch wur­de der aus­wahl­re­le­van­te Per­so­nen­kreis nicht grob ver­kannt.


a) Der Ar­beit­ge­ber hat in die So­zi­al­aus­wahl die­je­ni­gen Ar­beit­neh­mer ein­zu­be­zie­hen, die mit­ein­an­der ver­gleich­bar sind. Dies sind Ar­beit­neh­mer, die nach ar­beits­platz­be­zo­ge­nen Merk­ma­len auf­grund ih­rer Fähig­kei­ten und Kennt­nis­se so­wie nach dem In­halt der von ih­nen ver­trag­lich ge­schul­de­ten Auf­ga­ben aus­tausch­bar sind (st. Rspr., BAG 23. Ok­to­ber 2008 - 2 AZR 163/07 - Rn. 64, AP KSchG 1969 § 1 Na­mens­lis­te Nr. 18 = EzA KSchG § 1 In­ter­es­sen­aus­gleich Nr. 16; 2. Ju­ni 2005 - 2 AZR 480/04 - zu B I 4 a aa der Gründe, BA­GE 115, 92). Es geht dar­um, ob der un­mit­tel­bar kündi­gungs­be­droh­te Ar­beit­neh­mer den fort­be­ste­hen­den Ar­beits­platz des­je­ni­gen Ar­beit­neh­mers über­neh­men kann, den er für so­zi­al we­ni­ger schützens­wert hält und des­sen Ar­beits­verhält­nis nicht gekündigt wer­den soll (BAG 23. Ok­to­ber 2008 - 2 AZR 163/07 - aaO mwN).


b) Die Be­klag­te hat ih­re Aus­kunfts­pflicht nach § 1 Abs. 3 Satz 1 Halbs. 2 KSchG - die auch in den Fällen des § 1 Abs. 5 KSchG be­steht (vgl. BAG 12. März 2009 - 2 AZR 418/07 - Rn. 31, AP KSchG 1969 § 1 So­zia­le Aus­wahl Nr. 97 = EzA KSchG § 1 In­ter­es­sen­aus­gleich Nr. 17; 21. Fe­bru­ar 2002 - 2 AZR 581/00 - zu B I 5 b der Gründe, EzA KSchG § 1 In­ter­es­sen­aus­gleich Nr. 10) - erfüllt. Sie hat an­hand vor­ge­leg­ter Aus­wahl­lis­ten mit­ge­teilt, wel­che Ar­beit­neh­mer mit wel­chen So­zi­al­da­ten sie bei der Aus­wah­l­ent­schei­dung berück­sich­tigt hat. Mit Blick auf die ge­werb­li­chen Mit­ar­bei­ter, die in den Lis­ten nicht auf­geführt



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sind, hat sie vor­ge­tra­gen, die­se verfügten über ei­ne Aus­bil­dung als Schlos­ser oder Elek­tri­ker. Ih­re Ar­beits­auf­ga­be be­ste­he dar­in, die im Pro­duk­ti­ons­be­reich ein­ge­setz­ten Ma­schi­nen zu re­pa­rie­ren, und nicht dar­in, sie zu be­die­nen, wie es Auf­ga­be der Kläge­rin sei. Die Kläge­rin sei als Fach­kraft für Le­bens­mit­tel­tech­nik nicht ver­gleich­bar tech­nisch ge­schult und nicht in der La­ge, Störun­gen der Ma­schi­nen selbständig zu be­he­ben.

c) Mit die­sen Ge­sichts­punk­ten, die ge­gen ei­ne ar­beits­platz­be­zo­ge­ne Aus­tausch­bar­keit spre­chen, hat sich die Kläge­rin nicht näher aus­ein­an­der­ge­setzt. Sie hat sich aus­sch­ließlich auf die in der Aus­wahl­richt­li­nie ge­trof­fe­ne Ver­ein­ba­rung zur Ver­gleichs­grup­pen­bil­dung be­ru­fen. Die Be­triebs­par­tei­en hätten sich dar­in ver­bind­lich über ei­ne Ver­gleich­bar­keit sämt­li­cher im Be­trieb beschäftig­ter ge­werb­li­cher Ar­beit­neh­mer verständigt. Da­mit hat die Kläge­rin ei­ne gro­be Feh­ler­haf­tig­keit der So­zi­al­aus­wahl nicht dar­ge­legt.


aa) Ge­werb­li­che Ar­beit­neh­mer, die in an­de­ren Be­rei­chen als der ei­gent­li­chen Pro­duk­ti­on beschäftigt sind, wer­den von der frag­li­chen Ver­gleichs­grup­pen­re­ge­lung nicht er­fasst. Das er­gibt die Aus­le­gung der Ver­ein­ba­rung. Ihr liegt - wie un­ter Nr. 2 der Richt­li­nie fest­ge­hal­ten - die Einschätzung der Be­triebs­par­tei­en zu­grun­de, al­le Mit­ar­bei­ter „im ge­werb­li­chen Be­reich“ verfügten über ei­ne „prin­zi­pi­ell ver­gleich­ba­re Qua­li­fi­ka­ti­on“, an die Ar­beitsplätze des be­tref­fen­den Be­reichs sei­en „ver­gleich­ba­re An­for­de­run­gen“ zu stel­len. An­ge­sichts des un­ter Nr. 1 be­stimm­ten An­wen­dungs­be­reichs der Richt­li­nie, der sich aus­drück­lich nur auf sol­che Kündi­gun­gen er­streckt, die „in Um­set­zung der Per­so­nal­an­pas­sungs­maßnah­me 2008 durch­geführt wer­den“, ist da­mit un­ter dem für die Ver­gleichs­grup­pen­bil­dung maßge­ben­den „ge­werb­li­chen Be­reich“ der ei­gent­li­che Be­reich der Pro­duk­ti­on zu ver­ste­hen. Al­lein in die­sem soll­te laut § 1 des In­ter­es­sen­aus­gleichs vom 24. Ju­li 2008 der Per­so­nal­ab­bau durch­geführt wer­den. Für die­ses Verständ­nis spricht fer­ner der Um­stand, dass die Be­triebs­par­tei­en beim zeit­glei­chen Ab­schluss des In­ter­es­sen­aus­gleichs in die­sen und die zu ihm er­stell­te Na­mens­lis­te nur Ar­beitsplätze in bzw. Na­men von Mit­ar­bei­tern aus der Pro­duk­ti­on auf­ge­nom­men ha­ben. Er­sicht­lich ha­ben sie nur die­se als Ar­beitsplätze im „ge­werb­li­chen Be­reich“ iSd. Aus­wahl­richt­li­nie an­ge­se­hen.
 


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bb) Im Übri­gen läge auch dann kein gro­ber Feh­ler bei der So­zi­al­aus­wahl vor, wenn die Aus­wahl­richt­li­nie in dem von der Kläge­rin befürwor­te­ten Sin­ne zu ver­ste­hen wäre. Zwar hätten dann auf ih­rer Grund­la­ge noch wei­te­re Mit­ar­bei­ter in die So­zi­al­aus­wahl ein­be­zo­gen wer­den müssen. Es bleibt den Be­triebs­par­tei­en aber grundsätz­lich un­be­nom­men, Ver­ein­ba­run­gen über die per­so­nel­le Aus­wahl bei späte­rer oder schon bei zeit­glei­cher Ge­le­gen­heit - et­wa bei Ab­schluss ei­nes In­ter­es­sen­aus­gleichs und Er­stel­lung ei­ner Na­mens­lis­te - wie­der ab­zu­be­din­gen. Set­zen sie sich in ei­nem be­stimm­ten Punkt ge­mein­sam über ei­ne Aus­wahl­richt­li­nie hin­weg, lässt dies die Maßgeb­lich­keit der Na­mens­lis­te zu­min­dest dann un­berührt, wenn In­ter­es­sen­aus­gleich und Aus­wahl­richt­li­nie von den­sel­ben Be­triebs­par­tei­en herrühren (vgl. Lin­ge­mann/Rolf NZA 2005, 264, 268; wohl auch Ber­kow­sky Be­triebs­be­ding­te Kündi­gung 6. Aufl. S. 213). Im Übri­gen sind die Be­triebs­par­tei­en im Rah­men von § 1 Abs. 4 KSchG nicht be­rech­tigt, den Kreis der ver­gleich­ba­ren Ar­beit­neh­mer ab­wei­chend vom Ge­setz zu be­stim­men (BAG 15. Ju­ni 1989 - 2 AZR 580/88 - zu B II 2 e bb der Gründe, BA­GE 62, 116; ErfK/Oet­ker 11. Aufl. § 1 KSchG Rn. 359; KR/Grie­be­ling 9. Aufl. § 1 KSchG Rn. 696; Ey­lert in Schwar­ze/Ey­lert/Schra­der KSchG § 1 Rn. 493). Die Kläge­rin hätte des­halb Tat­sa­chen dar­le­gen müssen, aus de­nen sich bei ob­jek­ti­ver Be­trach­tung er­gibt, dass sie mit den außer­halb des Pro­duk­ti­ons­be­reichs beschäftig­ten ge­werb­li­chen Ar­beit­neh­mern ver­gleich­bar war. Dem genügt ihr Vor­brin­gen nicht, zu­mal sie in­so­weit ei­ne „gro­be Feh­ler­haf­tig­keit“ iSv. § 1 Abs. 5 Satz 2 KSchG hätte auf­zei­gen müssen.


4. Die der Na­mens­lis­te zu­grun­de lie­gen­de so­zia­le Aus­wahl ist auch im Hin­blick auf das ihr zu­grun­de lie­gen­de „Punk­te­sys­tem“ und die Al­ters­grup­pen­bil­dung nicht zu be­an­stan­den. Zwar kann die Bil­dung von Al­ters­grup­pen da­zu führen, dass Ar­beit­neh­mer gekündigt wer­den, die bei ei­ner al­lein an § 1 Abs. 3 Satz 1 KSchG ori­en­tier­ten So­zi­al­aus­wahl nicht zur Ent­las­sung an­ge­stan­den hätten. Dis­kri­mi­nie­rungs­ver­bo­te wer­den da­durch aber nicht ver­letzt.

a) Die Dis­kri­mi­nie­rungs­ver­bo­te des All­ge­mei­nen Gleich­be­hand­lungs­ge­set­zes (AGG) gel­ten auch für den Aus­spruch von Kündi­gun­gen. Sie sind im Rah­men der Prüfung der Recht­fer­ti­gung der Kündi­gung zu be­ach­ten. Ei­ne
 


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Kündi­gung kann so­zi­al­wid­rig sein, weil sie ge­gen ein im AGG näher aus­ge­stal­te­tes Be­nach­tei­li­gungs­ver­bot verstößt (BAG 5. No­vem­ber 2009 - 2 AZR 676/08 - Rn. 24, AP KSchG 1969 § 1 Be­triebs­be­ding­te Kündi­gung Nr. 183 = EzA KSchG § 1 In­ter­es­sen­aus­gleich Nr. 20; 6. No­vem­ber 2008 - 2 AZR 523/07 - Rn. 28 ff., BA­GE 128, 238). § 2 Abs. 4 AGG steht dem nicht ent­ge­gen. Die Norm zielt dar­auf ab, den Dis­kri­mi­nie­rungs­ver­bo­ten in Übe­rein­stim­mung mit dem Uni­ons­recht bei Kündi­gun­gen da­durch Gel­tung zu ver­schaf­fen, dass sie im Rah­men der Re­ge­lun­gen zum all­ge­mei­nen und be­son­de­ren Kündi­gungs­schutz berück­sich­tigt wer­den (BAG 6. No­vem­ber 2008 - 2 AZR 523/07 - Rn. 40, aaO).

b) Nach § 1 Abs. 3 Satz 1 KSchG ist das Le­bens­al­ter trotz des Ver­bots der Al­ters­dis­kri­mi­nie­rung ne­ben den wei­te­ren in der Be­stim­mung an­geführ­ten Kri­te­ri­en bei der So­zi­al­aus­wahl zu berück­sich­ti­gen. Das führt zwar in der Ten­denz zu ei­ner Be­vor­zu­gung älte­rer und un­mit­tel­ba­ren Be­nach­tei­li­gung jünge­rer Ar­beit­neh­mer. Die­se Un­gleich­be­hand­lung iSv. § 3 Abs. 1 Satz 1 AGG ist aber so­wohl durch § 10 Satz 1, Satz 2 AGG als auch durch Art. 6 Abs. 1 Un­terabs. 1, Un­terabs. 2 Buchst. a der Richt­li­nie 2000/78/EG des Ra­tes vom 27. No­vem­ber 2000 zur Fest­le­gung ei­nes all­ge­mei­nen Rah­mens für die Ver­wirk­li­chung der Gleich­be­hand­lung in Beschäfti­gung und Be­ruf ge­recht­fer­tigt (BAG 5. No­vem­ber 2009 - 2 AZR 676/08 - Rn. 25, AP KSchG 1969 § 1 Be­triebs­be­ding­te Kündi­gung Nr. 183 = EzA KSchG § 1 In­ter­es­sen­aus­gleich Nr. 20; 6. No­vem­ber 2008 - 2 AZR 523/07 - Rn. 43 ff., BA­GE 128, 238). Durch ei­ne von § 1 Abs. 3 Satz 2 KSchG ermöglich­te Bil­dung von Al­ters­grup­pen wie­der­um wird die an­dern­falls li­ne­ar an­stei­gen­de Ge­wich­tung des Le­bens­al­ters un­ter­bro­chen und zu­guns­ten jünge­rer Ar­beit­neh­mer re­la­ti­viert. Auch die­se Me­tho­de der Berück­sich­ti­gung des Le­bens­al­ters bei der So­zi­al­aus­wahl ist - so­fern sie nicht willkürlich oder ten­den­ziös auf be­stimm­te Per­so­nen zie­lend er­folgt - mit AGG und Uni­ons­recht zu ver­ein­ba­ren. Bei­des ver­mag der Se­nat oh­ne Vor­ab­ent­schei­dungs­er­su­chen nach § 267 Abs. 3 AEUV zu ent­schei­den. Das für die Be­ur­tei­lung der Ver­ein­bar­keit des Re­ge­lungs­kom­ple­xes der So­zi­al­aus­wahl mit Uni­ons­recht maßgeb­li­che Verständ­nis von Art. 6 Abs. 1 der Richt­li­nie 2000/78/EG ist durch die jünge­re Recht­spre­chung des Ge­richts­hofs der Eu­ropäischen Uni­on geklärt.
 


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aa) Gemäß Art. 6 Abs. 1 Un­terabs. 1 der Richt­li­nie 2000/78/EG können die Mit­glied­staa­ten vor­se­hen, dass Un­gleich­be­hand­lun­gen we­gen des Al­ters kei­ne Dis­kri­mi­nie­rung dar­stel­len, so­fern sie ob­jek­tiv und an­ge­mes­sen sind und im Rah­men des na­tio­na­len Rechts durch ein le­gi­ti­mes Ziel ge­recht­fer­tigt sind und die Mit­tel zur Er­rei­chung die­ses Ziels an­ge­mes­sen und er­for­der­lich sind; un­ter le­gi­ti­men Zie­len sind da­bei ins­be­son­de­re rechtmäßige Zie­le aus den Be­rei­chen Beschäfti­gungs­po­li­tik, Ar­beits­markt und be­ruf­li­che Bil­dung zu ver­ste­hen. Gemäß Art. 6 Abs. 1 Un­terabs. 2 Buchst. a der Richt­li­nie können der­ar­ti­ge Un­gleich­be­hand­lun­gen die Fest­le­gung be­son­de­rer Be­din­gun­gen für die Ent­las­sung ein­sch­ließen, um die be­ruf­li­che Ein­glie­de­rung von Ju­gend­li­chen und älte­ren Ar­beit­neh­mern zu fördern oder ih­ren Schutz si­cher­zu­stel­len. Die Mit­glied­staa­ten und ggf. die So­zi­al­part­ner auf na­tio­na­ler Ebe­ne ha­ben so­wohl bei der Ent­schei­dung, wel­ches kon­kre­te Ziel sie im Be­reich der Ar­beits­markt- und Beschäfti­gungs­po­li­tik ver­fol­gen wol­len, als auch bei der Fest­le­gung von Maßnah­men zu sei­ner Er­rei­chung ei­nen wei­ten Er­mes­sens­spiel­raum (EuGH 12. Ok­to­ber 2010 - C-499/08 - [An­der­sen] Rn. 33, AP Richt­li­nie 2000/78/EG Nr. 17 = EzA EG-Ver­trag 1999 Richt­li­nie 2000/78 Nr. 17; 12. Ok­to­ber 2010 - C-45/09 - [Ro­sen­bladt] Rn. 41, AP Richt­li­nie 2000/78/EG Nr. 18 = EzA BGB 2002 § 620 Al­ters­gren­ze Nr. 9; 16. Ok­to­ber 2007 - C-411/05 - [Pa­la­ci­os de la Vil­la] Rn. 68, Slg. 2007, I-8531; 22. No­vem­ber 2005 - C-144/04 - [Man­gold] Rn. 63, Slg. 2005, I-9981). Die­ser Spiel­raum darf al­ler­dings nicht da­zu führen, dass der Grund­satz des Ver­bots der Dis­kri­mi­nie­rung aus Gründen des Al­ters aus­gehöhlt wird (vgl. EuGH 12. Ok­to­ber 2010 - C-499/08 - [An­der­sen] Rn. 33, aaO; 5. März 2009 - C-388/07 - [Age Con­cern Eng­land] Rn. 51, Slg. 2009, I-1569).

Die Prüfung, ob ei­ne na­tio­na­le Re­ge­lung ei­nem rechtmäßigen Ziel iSd. Art. 6 Abs. 1 Un­terabs. 1 der Richt­li­nie 2000/78/EG dient, ob­liegt den Ge­rich­ten der Mit­glied­staa­ten. Glei­ches gilt für die Fra­ge, ob der na­tio­na­le Ge­setz- und Ver­ord­nungs­ge­ber an­ge­sichts des be­ste­hen­den Er­mes­sens­spiel­raums da­von aus­ge­hen durf­te, dass die gewähl­ten Mit­tel zur Er­rei­chung des Ziels an­ge­mes­sen und er­for­der­lich sind (EuGH 5. März 2009 - C-388/07 - [Age Con­cern Eng-
 


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land] Rn. 49 ff., Slg. 2009, I-1569; BAG 12. April 2011 - 1 AZR 743/09 - Rn. 16, EzA Be­trVG 2001 § 112 Nr. 42).

bb) Der Ge­richts­hof hat dar­auf er­kannt, dass le­gi­ti­me Zie­le iSv. Art. 6 Abs. 1 Un­terabs. 1 der Richt­li­nie 2000/78/EG we­gen der als Bei­spie­le ge­nann­ten Be­rei­che Beschäfti­gungs­po­li­tik, Ar­beits­markt und be­ruf­li­che Bil­dung sol­che aus dem Be­reich „So­zi­al­po­li­tik“ sind (EuGH 13. Sep­tem­ber 2011 - C-447/09 - [Prig­ge] Rn. 81, AP Richt­li­nie 2000/78/EG Nr. 23 = EzA EG-Ver­trag 1999 Richt­li­nie 2000/78 Nr. 22; 18. Ju­ni 2009 - C-88/08 - [Hütter] Rn. 41, Slg. 2009, I-5325; 5. März 2009 - C-388/07 - [Age Con­cern Eng­land] Rn. 46, Slg. 2009, I-1569; vgl. auch BVerfG 24.Ok­to­ber 2011 - 1 BvR 1103/11 - Rn. 15, NZA 2012, 202). Zie­le, die als „rechtmäßig“ iSd. Art. 6 Abs. 1 der Richt­li­nie 2000/78/EG an­ge­se­hen wer­den können, ste­hen als „so­zi­al­po­li­ti­sche Zie­le“ im All­ge­mein­in­ter­es­se. Da­durch un­ter­schei­den sie sich von Zie­len, die im Ei­gen­in­ter­es­se des Ar­beit­ge­bers lie­gen, wie Kos­ten­re­du­zie­rung und Ver­bes­se­rung der Wett­be­werbsfähig­keit. Frei­lich ist es nicht aus­ge­schlos­sen, dass ei­ne na­tio­na­le Vor­schrift bei der Ver­fol­gung der ge­nann­ten so­zi­al­po­li­ti­schen Zie­le den Ar­beit­ge­bern ei­nen ge­wis­sen Grad an Fle­xi­bi­lität einräumt (EuGH 21. Ju­li 2011 - C-159/10, C-160/10 - [Fuchs und Köhler] Rn. 52, AP Richt­li­nie 2000/78/EG Nr. 21 = EzA EG-Ver­trag 1999 Richt­li­nie 2000/78 Nr. 20; 5. März 2009 - C¬388/07 - [Age Con­cern Eng­land] Rn. 46, aaO). Ei­ne na­tio­na­le Re­ge­lung, die das mit ihr an­ge­streb­te Ziel nicht ge­nau an­gibt, ist nicht al­lein des­halb von ei­ner Recht­fer­ti­gung nach Art. 6 Abs. 1 der Richt­li­nie 2000/78/EG aus­ge­schlos­sen. Fehlt es an ei­ner sol­chen An­ga­be, ist es al­ler­dings wich­tig, dass an­de­re, aus dem all­ge­mei­nen Kon­text der be­tref­fen­den Maßnah­me ab­ge­lei­te­te An­halts­punk­te die Fest­stel­lung des hin­ter ihr ste­hen­den Ziels ermögli­chen, da­mit des­sen Rechtmäßig­keit so­wie die An­ge­mes­sen­heit und Er­for­der­lich­keit der zu sei­ner Er­rei­chung ein­ge­setz­ten Mit­tel ge­richt­lich über­prüft wer­den können (EuGH 21. Ju­li 2011 - C-159/10, C-160/10 - [Fuchs und Köhler] Rn. 39, aaO; 12. Ok­to­ber 2010 - C-45/09 - [Ro­sen­bladt] Rn. 58, AP Richt­li­nie 2000/78/EG Nr. 18 = EzA BGB 2002 § 620 Al­ters­gren­ze Nr. 9).
 


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cc) Da­nach durf­ten die Be­triebs­par­tei­en das Le­bens­al­ter bei der So­zi­al­aus­wahl durch die Bil­dung und so­dann im Rah­men von Al­ters­grup­pen berück­sich­ti­gen. Die dem zu­grun­de lie­gen­den Be­stim­mun­gen in § 1 Abs. 3 Satz 1, Satz 2 KSchG sind uni­ons­rechts­kon­form.

(1) Die durch § 1 Abs. 3 KSchG vor­ge­ge­be­ne Ein­be­zie­hung des Le­bens­al­ters in die So­zi­al­aus­wahl ver­folgt ein im All­ge­mein­in­ter­es­se lie­gen­des le­gi­ti­mes Ziel aus dem Be­reich der So­zi­al­po­li­tik iSv. Art. 6 Abs. 1 Un­terabs. 1 der Richt­li­nie 2000/78/EG. Älte­re Ar­beit­neh­mer, die we­gen ih­res Al­ters ty­pi­scher­wei­se schlech­te­re Chan­cen auf dem Ar­beits­markt ha­ben, sol­len bei ei­ner be­trieb­lich ver­an­lass­ten Kündi­gung stärker geschützt wer­den (EuGH 22. No¬vem­ber 2005 - C-144/04 - [Man­gold] Rn. 60, Slg. 2005, I-9981; BAG 5. No­vem­ber 2009 - 2 AZR 676/08 - Rn. 25, AP KSchG 1969 § 1 Be­triebs­be­ding­te Kündi­gung Nr. 183 = EzA KSchG § 1 In­ter­es­sen­aus­gleich Nr. 20; 6. No­vem­ber 2008 - 2 AZR 523/07 - Rn. 44, BA­GE 128, 238). Die­sen Zweck hat der Ge­setz­ge­ber zwar nicht un­mit­tel­bar in § 1 Abs. 3 Satz 1 KSchG for­mu­liert. Er kam aber deut­lich in der für ei­ne Über­g­angs­zeit (bis zu ih­rer Auf­he­bung durch das Ge­setz zur Ände­rung des Be­triebs­ren­ten­ge­set­zes und an­de­rer Ge­set­ze vom 2. De­zem­ber 2006, BGBl. I S. 2742) gel­ten­den Re­ge­lung des § 10 Satz 3 Nr. 6 AGG aF zum Aus­druck. Da­nach soll­te ei­ne Berück­sich­ti­gung des Al­ters bei der So­zi­al­aus­wahl zulässig sein, so­fern über die Aus­wahl „ins­be­son­de­re die Chan­cen auf dem Ar­beits­markt ent­schei­den“. Das lässt den Schluss zu, dass der Ge­setz­ge­ber das Le­bens­al­ter - je­den­falls im Zu­sam­men­hang mit ei­ner durch­zuführen­den So­zi­al­aus­wahl - als abs­trak­ten Maßstab für die Ver­mitt­lungs­chan­cen der Beschäftig­ten nach ei­ner Kündi­gung ver­stan­den wis­sen will.

(2) Die Mit­tel zur Er­rei­chung die­ses Ziels sind iSv. Art. 6 Abs. 1 Un­terabs. 1 der Richt­li­nie 2000/78/EG an­ge­mes­sen und er­for­der­lich.



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(a) Die Berück­sich­ti­gung des Le­bens­al­ters als So­zi­al­da­tum ist zur Ein­be­zie­hung in­di­vi­du­el­ler Ar­beits­markt­chan­cen ge­eig­net und er­for­der­lich. Mil­de­re Mit­tel, die in glei­cher Wei­se den Schutz älte­rer Ar­beit­neh­mer ver­wirk­li­chen könn­ten, sind nicht er­sicht­lich (BAG 12. März 2009 - 2 AZR 418/07 - Rn. 40, AP KSchG 1969 § 1 So­zia­le Aus­wahl Nr. 97 = EzA KSchG § 1 In­ter­es­sen­aus­gleich Nr. 17; 6. No­vem­ber 2008 - 2 AZR 523/07 - Rn. 46, BA­GE 128, 238).

(aa) Dass die Chan­cen auf dem Ar­beits­markt auf die­se Wei­se ty­pi­sie­rend und nicht in­di­vi­du­ell berück­sich­tigt wer­den, ist letzt­lich un­ver­meid­bar. Je­de Aus­sa­ge über sie muss sich an Wahr­schein­lich­kei­ten ori­en­tie­ren, die ih­rer­seits nicht oh­ne Berück­sich­ti­gung von Er­fah­rungs­wer­ten er­mit­telt wer­den können. Nach al­ler Er­fah­rung sin­ken mit stei­gen­dem Le­bens­al­ter die Ver­mitt­lungs­chan­cen auf dem Ar­beits­markt. Die­se Einschätzung des Ge­setz­ge­bers, die so­wohl § 1 Abs. 3 Satz 1 KSchG als auch dem All­ge­mei­nen Gleich­be­hand­lungs­ge­setz (vgl. BT-Drucks. 16/1780 S. 36) zu­grun­de liegt und an die die Berück­sich­ti­gung des Le­bens­al­ters im Rah­men kol­lek­ti­ver Ver­ein­ba­run­gen glei­cher­maßen an­knüpft, ist em­pi­risch nicht zu be­strei­ten (vgl. da­zu BAG 12. April 2011 - 1 AZR 764/09 - Rn. 23, EzA Be­trVG 2001 § 112 Nr. 44: für die Al­ters­grup­pen­bil­dung in ei­nem im Jahr 2007 ab­ge­schlos­se­nen So­zi­al­plan; Bau­er/Göpfert/Krie­ger AGG 3. Aufl. § 10 Rn. 45a). So­weit hier­ge­gen Be­den­ken er­ho­ben wur­den (Kai­ser/Dahm NZA 2010, 473; Körner NZA 2008, 497), über­zeu­gen die­se im Er­geb­nis nicht. Sie stützen sich im We­sent­li­chen auf die Er­werbs­be­tei­li­gungs­quo­te in der Grup­pe der Men­schen über 50 Jah­re und auf ei­ne mit an­de­ren Al­ters­grup­pen ver­gleich­ba­re Dau­er der Er­werbs­lo­sig­keit. Für die Berück­sich­ti­gung des Le­bens­al­ters bei der So­zi­al­aus­wahl kommt es aber nicht auf die all­ge­mei­ne Beschäfti­gungs­si­tua­ti­on älte­rer Ar­beit­neh­mer an, son­dern dar­auf, wie ih­re Aus­sich­ten sind, ei­nen neu­en Ar­beits­platz zu fin­den, wenn sie den bis­he­ri­gen im vor­gerück­ten Al­ter ver­lie­ren (Ha­nau ZIP 2011, 1, 3). Hierüber gibt die Er­werbstäti­gen­quo­te kei­nen hin­rei­chen­den Auf­schluss. Darüber hin­aus hängen die Chan­cen auf dem Ar­beits­markt häufig mit der Fle­xi­bi­lität des Ar­beits­su­chen­den zu­sam­men. Älte­ren Ar­beit­neh­mern be­rei­tet ein Ar­beits­platz­wech­sel mit den da­mit ver­bun­de­nen Fol­gen er­fah­rungs­gemäß mehr Schwie­rig­kei­ten als jünge­ren. Selbst bei ei­ner in­di­vi­du­el­len Chan­cen­be­wer­tung könn­te
 


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die­ser Um­stand nicht außer Be­tracht blei­ben (BAG 5. No­vem­ber 2009 - 2 AZR 676/08 - Rn. 25, AP KSchG 1969 § 1 Be­triebs­be­ding­te Kündi­gung Nr. 183 = EzA KSchG § 1 In­ter­es­sen­aus­gleich Nr. 20; 6. No­vem­ber 2008 - 2 AZR 523/07 - Rn. 46 mwN, BA­GE 128, 238).


(bb) Die Maßnah­men zur Ver­mei­dung von Lang­zeit­ar­beits­lo­sig­keit Älte­rer im Ar­beitsförde­rungs­recht (vgl. § 421f SGB III) und das an Ar­beit­ge­ber ge­rich­te­te Ver­bot aus § 2 Abs. 1 Nr. 1, § 7, § 1 AGG, bei Ein­stel­lun­gen sach­wid­rig nach dem Al­ter zu dif­fe­ren­zie­ren, stel­len ge­genüber der Ein­be­zie­hung des Le­bens­al­ters in die So­zi­al­aus­wahl kein mil­de­res Mit­tel dar. Ent­spre­chen­de Förder-bzw. Rechts­schutzmöglich­kei­ten hel­fen nicht darüber hin­weg, dass älte­ren Ar­beit­neh­mern ten­den­zi­ell we­ni­ger Ver­trau­en in ih­re Leis­tungsfähig­keit ent­ge­gen­ge­bracht wird. Sie sind nicht in glei­cher Wei­se wie ein präven­tiv wir­ken­der Kündi­gungs­schutz ge­eig­net, die fak­tisch ungüns­ti­ge­re Si­tua­ti­on älte­rer Ar­beit­neh­mer auf dem Ar­beits­markt aus­zu­glei­chen (vgl. ErfK/Oet­ker 11. Aufl. § 1 KSchG Rn. 332; Groß Die Recht­fer­ti­gung ei­ner Al­ters­dis­kri­mi­nie­rung auf der Grund­la­ge der Richt­li­nie 2000/78/EG S. 132).

(cc) Die mit der Berück­sich­ti­gung des Le­bens­al­ters ein­her­ge­hen­de Un­gleich­be­hand­lung ist nicht des­halb ge­ne­rell un­an­ge­mes­sen, weil ne­ben sie noch das Aus­wahl­kri­te­ri­um der Dau­er der Be­triebs­zu­gehörig­keit tritt (Münch-KommBGB/Thüsing 5. Aufl. § 10 AGG Rn. 48; Ja­cobs/Krois Anm. zu BAG 6. No­vem­ber 2008 - 2 AZR 523/07 - EzA KSchG § 1 So­zia­le Aus­wahl Nr. 82; v. Hoff SAE 2009, 293, 296; aA wohl v. Ro­et­te­ken AGG Stand 2009 § 10 Rn. 271). Zwar begüns­tigt auch die­ses Kri­te­ri­um ten­den­zi­ell älte­re Ar­beit­neh­mer. Dies ist aber an­ge­sichts des mit ihm ver­folg­ten rechtmäßigen Ziels, die Be­triebs­treue des Ar­beit­neh­mers zu ho­no­rie­ren, sach­lich ge­recht­fer­tigt. Die Berück­sich­ti­gung der Beschäfti­gungs­zeit führt da­mit auch im Zu­sam­men­hang mit be­triebs­be­ding­ten Kündi­gun­gen nicht zu ei­ner mit­tel­ba­ren Dis­kri­mi­nie­rung jünge­rer Ar­beit­neh­mer (für ver­hal­tens­be­ding­te Kündi­gun­gen vgl. BAG 7. Ju­li 2011 - 2 AZR 355/10 - Rn. 24 ff., EzA BGB 2002 § 626 Nr. 38). Die Ku­mu­la­ti­on bei­der Kri­te­ri­en kann zwar in Ein­z­elfällen den Schutz älte­rer Ar­beit­neh­mer verstärken. Ei­ne sol­che Fol­ge ist aber kei­nes­wegs zwin­gend. Viel­mehr kann
 


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um­ge­kehrt das Kri­te­ri­um der Be­triebs­zu­gehörig­keit das Ge­wicht des Kri­te­ri­ums des Le­bens­al­ters so­gar re­la­ti­vie­ren, wenn jünge­re Ar­beit­neh­mer über ei­ne länge­re Zeit der Be­triebs­zu­gehörig­keit verfügen als älte­re Mit­ar­bei­ter.

(b) In glei­cher Wei­se an­ge­mes­sen und durch ein le­gi­ti­mes Ziel ge­recht­fer­tigt ist die Re­la­ti­vie­rung der Be­deu­tung des Kri­te­ri­ums des Le­bens­al­ters durch die Bil­dung von Al­ters­grup­pen.


(aa) § 1 Abs. 3 Satz 2 KSchG ermöglicht dem Ar­beit­ge­ber - und über § 1 Abs. 4, Abs. 5 KSchG den Be­triebs­par­tei­en - im be­rech­tig­ten be­trieb­li­chen In­ter­es­se, zu dem auch das­je­ni­ge an der „Si­che­rung ei­ner aus­ge­wo­ge­nen Per­so­nal­struk­tur“ zählt, be­stimm­te Ar­beit­neh­mer aus der So­zi­al­aus­wahl her­aus­zu­neh­men. Da­nach ist es zulässig, dass der Ar­beit­ge­ber in­ner­halb des zur So­zi­al­aus­wahl an­ste­hen­den Per­so­nen­krei­ses nach sach­li­chen Kri­te­ri­en Al­ters­grup­pen bil­det, die pro­zen­tua­le Ver­tei­lung der Be­leg­schaft auf die Al­ters­grup­pen fest­stellt und die Ge­samt­zahl der aus­zu­spre­chen­den Kündi­gun­gen die­sem Pro­porz ent­spre­chend auf die ein­zel­nen Al­ters­grup­pen ver­teilt - mit der Fol­ge, dass sich die So­zi­al­aus­wahl iSv. § 1 Abs. 3 Satz 1 KSchG nur in­ner­halb der Grup­pen voll­zieht und sich der An­stieg des Le­bens­al­ters nur in­ner­halb der je­wei­li­gen Al­ters­grup­pe aus­zu­wir­ken ver­mag (grund­le­gend BAG 23. No­vem­ber 2000 - 2 AZR 533/99 - zu B III 4 der Gründe, BA­GE 96, 306; seit­her st. Rspr., vgl. 18. März 2010 - 2 AZR 468/08 - Rn. 12 ff., AP KSchG 1969 § 1 Be­triebs­be­ding­te Kündi­gung Nr. 184 = EzA KSchG § 1 So­zia­le Aus­wahl Nr. 83; 6. No­vem­ber 2008 - 2 AZR 523/07 - Rn. 53, BA­GE 128, 238). Das kann be­wir­ken, dass ei­nem Ar­beit­neh­mer, der we­gen sei­nes höhe­ren Le­bens­al­ters in ei­ne höhe­re Al­ters­grup­pe fällt, zu kündi­gen ist, während ein jünge­rer Ar­beit­neh­mer mit an­sons­ten glei­chen So­zi­al­da­ten al­lein durch die Zu­ord­nung zu der an­de­ren Al­ters­grup­pe sei­nen Ar­beits­platz behält.

(bb) Die nach na­tio­na­lem Recht zulässi­ge Al­ters­grup­pen­bil­dung dient auf die­se Wei­se der Er­hal­tung ei­ner aus­ge­wo­ge­nen Al­ters­struk­tur in den Be­trie­ben, dient da­mit zu­gleich der Be­tei­li­gung al­ler Ge­ne­ra­tio­nen und Le­bens­al­ter an den not­wen­dig ge­wor­de­nen Ent­las­sun­gen, ver­hin­dert die ein­sei­ti­ge Be­nach­tei­li­gung jünge­rer Ar­beit­neh­mer und si­chert de­ren be­ruf­li­che Ein­glie­de­rung. Sie erhält
 


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ei­ne vor­han­de­ne Misch­struk­tur und ei­nen Er­fah­rungs­aus­tausch in den Be­trie­ben, be­wirkt ei­ne Viel­falt auch auf dem Ar­beits­markt und dient da­mit - al­le As­pek­te ge­mein­sam be­trach­tet - ei­nem le­gi­ti­men so­zi­al­po­li­ti­schen Ziel.

(aaa) Die un­ter­schied­li­chen Vorzüge des je­wei­li­gen Al­ters können im Be­trieb nur dann er­folg­reich aus­ge­nutzt wer­den, wenn lang­fris­tig Ar­beit­neh­mer ver­schie­de­ner Le­bens­al­ter zu­sam­men­wir­ken. Un­ter die­sem As­pekt dient die Al­ters­grup­pen­bil­dung zwar auch den - durch Art. 2 Abs. 1, Art. 12 GG ver­fas­sungs­recht­lich geschütz­ten - Wett­be­werbs­in­ter­es­sen des je­wei­li­gen Un­ter­neh­mens (vgl. BT-Drucks. 15/1204 S. 9). Gleich­wohl liegt der Er­halt ei­ner aus­ge­wo­ge­nen Al­ters­struk­tur nicht et­wa aus­sch­ließlich im in­di­vi­du­el­len Ar­beit­ge­ber­in­ter­es­se (aA wohl Däubler/Bertz­bach/Brors AGG 2. Aufl. § 10 Rn. 109 ff.). Die auf­ge­zeig­ten Vor­tei­le ei­ner al­ters­ge­misch­ten Struk­tur lie­gen viel­mehr mit Blick auf die Förde­rung des Er­fah­rungs­aus­tauschs und der In­no­va­ti­on in den Be­trie­ben so­wohl im In­ter­es­se der Ge­samt­be­leg­schaft (BAG 6. No­vem­ber 2008 - 2 AZR 523/07 - Rn. 54, BA­GE 128, 238; ein­ge­hend Spin­ner RdA 2008, 153, 159) als auch im In­ter­es­se der All­ge­mein­heit in­so­fern, als leis­tungsfähi­ge Be­trie­be und Un­ter­neh­men in ih­rer Ge­samt­heit zu den Grund­la­gen ei­nes funk­tio­nie­ren­den Wirt­schafts­sys­tems gehören (vgl. Fah­rig DB 2010, 1460, 1461; Gaul/Ni­k­las NZA-RR 2009, 457, 462; Tem­ming Anm. zu BAG 6. No­vem­ber 2008 - 2 AZR 523/07 - AP KSchG 1969 § 1 Be­triebs­be­ding­te Kündi­gung Nr. 182; Thüsing ZESAR 2010, 285, 287; Groß Die Recht­fer­ti­gung ei­ner Al­ters­dis­kri­mi­nie­rung auf der Grund­la­ge der Richt­li­nie 2000/78/EG S. 137 f.). Für die Funk­ti­onsfähig­keit der Be­rei­che der Leh­re und For­schung und des öffent­li­chen Diens­tes hat der Ge­richts­hof dies an­er­kannt. Er hat in der Zu­sam­men­ar­beit ver­schie­de­ner Ge­ne­ra­tio­nen ei­nen Bei­trag zur Qua­lität der aus­geübten Tätig­kei­ten, ins­be­son­de­re durch die Förde­rung des Er­fah­rungs­aus­tauschs er­blickt und dar­in ein le­gi­ti­mes Ziel der So­zi­al- oder Beschäfti­gungs­po­li­tik ge­se­hen (EuGH 18. No­vem­ber 2010 - C-250/09 ua. - [Ge­or­giev] Rn. 46, AP Richt­li­nie 2000/78/EG Nr. 19 = EzA EG-Ver­trag 1999 Richt­li­nie 2000/78 Nr. 18; 21. Ju­li 2011 - C-159/10, C-160/10 - [Fuchs und Köhler] Rn. 49 ff., AP Richt­li­nie 2000/78/EG Nr. 21 = EzA EG-Ver­trag 1999 Richt­li­nie 2000/78 Nr. 20). Für den Be­reich der Pri­vat­wirt­schaft gilt nach der Recht­spre­chung des Ge­richts­hofs
 


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nichts grund­le­gend an­de­res (EuGH 12. Ok­to­ber 2010 - C-45/09 - [Ro­sen­bladt] Rn. 43 ff., AP Richt­li­nie 2000/78/EG Nr. 18 = EzA BGB 2002 § 620 Al­ters­gren­ze Nr. 9). Auch so­weit der Er­halt ei­ner aus­ge­wo­ge­nen Al­ters­struk­tur in den Be­trie­ben den Be­stand pri­vat­wirt­schaft­li­cher Un­ter­neh­men zum Wohl al­ler am Wirt­schafts­le­ben Teil­ha­ben­den si­chern will, dient er ei­nem im All­ge­mein­in­ter­es­se lie­gen­den le­gi­ti­men Ziel.

(bbb) Un­abhängig da­von steht die Re­ge­lung des § 1 Abs. 3 Satz 2 KSchG nicht für sich, son­dern ist ein­ge­bet­tet in das Ge­samt­kon­zept der So­zi­al­aus­wahl (Stens­lik Anm. zu BAG 6. No­vem­ber 2008 - 2 AZR 523/07 - AP KSchG 1969 § 1 Be­triebs­be­ding­te Kündi­gung Nr. 182; Thüsing ZESAR 2010, 285, 287). Während § 1 Abs. 3 Satz 1 KSchG den mit stei­gen­dem Le­bens­al­ter re­gelmäßig sin­ken­den Chan­cen auf dem Ar­beits­markt Rech­nung trägt, wirkt die durch § 1 Abs. 3 Satz 2 KSchG ermöglich­te Al­ters­grup­pen­bil­dung der da­mit ver­bun­de­nen Be­nach­tei­li­gung jünge­rer Ar­beit­neh­mer ent­ge­gen. Das Ziel, älte­re Ar­beit­neh­mer zu schützen, und das Ziel, die Ein­glie­de­rung jünge­rer Ar­beit­neh­mer in das Er­werbs­le­ben si­cher­zu­stel­len, wer­den so zu ei­nem an­ge­mes­se­nen Aus­gleich ge­bracht. Dies dient der so­zi­al­po­li­tisch erwünsch­ten Ge­ne­ra­tio­nen­ge­rech­tig­keit und der Viel­falt im Be­reich der Beschäfti­gung und stimmt mit dem Erwägungs­grund 25 der Richt­li­nie 2000/78/EG übe­rein (vgl. EuGH 21. Ju­li 2011 - C-159/10, C-160/10 - [Fuchs und Köhler] Rn. 63 bis 65 mwN, AP Richt­li­nie 2000/78/EG Nr. 21 = EzA EG-Ver­trag 1999 Richt­li­nie 2000/78 Nr. 20; 12. Ja­nu­ar 2010 - C-341/08 - [Pe­ter­sen] Rn. 68, Slg. 2010, I-47; v. Hoff SAE 2009, 293, 297; Lin­sen­mai­er RdA Son­der­beil. 5/2003, 22, 29). Zu­gleich hin­dert die Al­ters­grup­pen­bil­dung so­wohl zu­guns­ten ei­ner an­ge­mes­se­nen Ver­tei­lung der Be­rufs­chan­cen jünge­rer und älte­rer Ar­beit­neh­mer als auch im In­ter­es­se der Funk­ti­onsfähig­keit der so­zia­len Si­che­rungs­sys­te­me, dass ei­ne Viel­zahl von Per­so­nen glei­chen Al­ters zur glei­chen Zeit auf den Ar­beits­markt drängt (vgl. Fah­rig BB 2010, 2569, 2571; Gaul/Ni­k­las NZA-RR 2009, 457, 462; Lin­sen­mai­er aaO). Auch bei die­sen Be­lan­gen han­delt es sich um le­gi­ti­me Zie­le aus den Be­rei­chen Beschäfti­gungs­po­li­tik und Ar­beits­markt iSv. Art. 6 Abs. 1 Un­terabs. 1, Un­terabs. 2 Buchst. a der Richt­li­nie 2000/78/EG.



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(cc) Nähe­rer Erörte­run­gen da­zu, in wel­chem Rang­verhält­nis hin­sicht­lich Prio­rität und in­halt­li­chen Ge­wichts die mit dem Re­ge­lungs­kom­plex der So­zi­al­aus­wahl ver­folg­ten All­ge­mein­in­ter­es­sen zu den gleich­zei­tig be­trof­fe­nen in­di­vi­du­el­len Ar­beit­ge­ber­in­ter­es­sen ste­hen, be­darf es nicht. Nach der Recht­spre­chung des Ge­richts­hofs kann ein Ziel auch dann iSv. Art. 6 Abs. 1 der Richt­li­nie 2000/78/EG le­gi­tim sein, wenn ne­ben ihm zu­gleich ein an­de­res ver­folgt wird. Die Zie­le können da­bei zu­sam­menhängen oder hier­ar­chisch ge­ord­net sein (EuGH 21. Ju­li 2011 - C-159/10, C-160/10 - [Fuchs und Köhler] Rn. 44, AP Richt­li­nie 2000/78/EG Nr. 21 = EzA EG-Ver­trag 1999 Richt­li­nie 2000/78 Nr. 20).

(dd) Die Al­ters­grup­pen­bil­dung ist ein an­ge­mes­se­nes und er­for­der­li­ches Mit­tel, um im Zu­sam­men­hang mit Ent­las­sun­gen ei­ne aus­ge­wo­ge­ne Al­ters­struk­tur zu er­hal­ten. Ein mil­de­res Mit­tel, den Schutz älte­rer Ar­beit­neh­mer vor Ar­beits­lo­sig­keit und schützens­wer­te In­ter­es­sen jünge­rer Ar­beit­neh­mer an Teil­ha­be am Be­rufs­le­ben in wirt­schaft­lich prekären Si­tua­tio­nen in ei­nen an­ge­mes­sen Aus­gleich zu brin­gen, ist bei der ge­bo­te­nen ty­pi­sie­ren­den Be­trach­tung nicht er­sicht­lich. Es ist auch nicht un­an­ge­mes­sen oder wi­dersprüchlich, dass der Ge­setz­ge­ber in § 1 Abs. 3 Satz 2 KSchG die Bil­dung von Al­ters­grup­pen nicht zwin­gend vor­schreibt, son­dern so­wohl hin­sicht­lich des „Ob“ als auch des „Wie“ der Grup­pen­bil­dung dem Ar­beit­ge­ber - ggf. ge­mein­sam mit dem Be­triebs­rat - ein Be­ur­tei­lungs- und Ge­stal­tungs­er­mes­sen einräumt. In­wie­weit Kündi­gun­gen Aus­wir­kun­gen auf die Al­ters­struk­tur des Be­triebs ha­ben und wel­che Nach­tei­le sich dar­aus er­ge­ben, hängt von den be­trieb­li­chen Verhält­nis­sen ab und kann nicht abs­trakt für al­le denk­ba­ren Fälle be­schrie­ben wer­den. Dem­ent­spre­chend muss der Ar­beit­ge­ber, wenn er sich auf § 1 Abs. 3 Satz 2 KSchG be­ru­fen will, zu die­sen Aus­wir­kun­gen und mögli­chen Nach­tei­len kon­kret vor­tra­gen (BAG 18. März 2010 - 2 AZR 468/08 - Rn. 23, AP KSchG 1969 § 1 Be­triebs­be­ding­te Kündi­gung Nr. 184 = EzA KSchG § 1 So­zia­le Aus­wahl Nr. 83). Je­den­falls wenn die An­zahl der Ent­las­sun­gen in­ner­halb ei­ner Grup­pe ver­gleich­ba­rer Ar­beit­neh­mer im Verhält­nis zur An­zahl al­ler Ar­beit­neh­mer des Be­triebs die Schwel­len­wer­te des § 17 KSchG er­reicht, kom­men ihm da­bei Er­leich­te­run­gen zu­gu­te; in die­sem Fall ist ein be­rech­tig­tes be­trieb­li­ches In­ter­es­se an der Bei­be­hal­tung der

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Al­ters­struk­tur - wi­der­leg­bar - in­di­ziert (BAG 18. März 2010 - 2 AZR 468/08 - Rn. 24, aaO; 6. No­vem­ber 2008 - 2 AZR 523/07 - Rn. 54, BA­GE 128, 238).


c) Die im Streit­fall der Na­mens­lis­te zu­grun­de lie­gen­de Punk­te­ta­bel­le und Al­ters­grup­pen­bil­dung be­geg­nen auch in ih­rer kon­kre­ten Aus­ge­stal­tung kei­nen durch­grei­fen­den Be­den­ken.


aa) Die nach § 1 Abs. 3 Satz 1 KSchG vor­zu­se­hen­den so­zia­len Ge­sichts­punk­te sind bei der Aus­wahl berück­sich­tigt wor­den. Die in der Punk­te­zu­tei­lung in Nr. 2 der Aus­wahl­richt­li­nie zum Aus­druck kom­men­de Ge­wich­tung der So­zi­al­da­ten ist in sich aus­ge­wo­gen und ver­leiht kei­nem ein­zel­nen So­zi­al­da­tum ein un­an­ge­mes­se­nen ho­hes und da­durch in der Re­gel aus­schlag­ge­ben­des Ge­wicht. So ist et­wa die Beschäfti­gungs­zeit ab dem 11. Dienst­jahr mit zwei Punk­ten ge­genüber dem Le­bens­al­ter stärker ge­wich­tet. Auch berück­sich­tigt die Zu­tei­lung von je­weils vier Punk­ten für je­des un­ter­halts­be­rech­tig­te Kind und un­ter­halts­be­rech­tig­te Ehe­part­ner hin­rei­chend die ty­pi­schen In­ter­es­sen jun­ger Fa­mi­li­en (ähn­lich BAG 12. März 2009 - 2 AZR 418/07 - Rn. 41 mwN, AP KSchG 1969 § 1 So­zia­le Aus­wahl Nr. 97 = EzA KSchG § 1 In­ter­es­sen­aus­gleich Nr. 17).


bb) Ob die Be­triebs­par­tei­en be­rech­tigt wa­ren, die Berück­sich­ti­gung von Un­ter­halts­pflich­ten ge­genüber Kin­dern von ei­ner ent­spre­chen­den Ein­tra­gung in die Lohn­steu­er­kar­te abhängig zu ma­chen (zur Pro­ble­ma­tik BAG 17. Ja­nu­ar 2008 - 2 AZR 405/06 - Rn. 23, AP KSchG 1969 § 1 So­zia­le Aus­wahl Nr. 96; 6. Ju­li 2006 - 2 AZR 520/05 - Rn. 21, AP KSchG 1969 § 1 Nr. 80 = EzA KSchG § 1 So­zia­le Aus­wahl Nr. 68; Spin­ner RdA 2008, 153, 156), kann hier da­hin­ste­hen. Selbst wenn zu Las­ten der Kläge­rin und ent­ge­gen § 1 Abs. 3 Satz 1 KSchG, der auf ob­jek­tiv be­ste­hen­de fa­mi­li­en­recht­li­che Un­ter­halts­pflich­ten ab­stellt, ein Kind un­berück­sich­tigt ge­blie­ben sein soll­te, führ­te dies nicht zur Un­wirk­sam­keit der Kündi­gung. Bei Berück­sich­ti­gung ei­nes wei­te­ren Kin­des hätte die Kläge­rin ei­ne le­dig­lich mar­gi­nal höhe­re Ge­samt­punkt­zahl er­reicht als der ers­te nicht gekündig­te Ar­beit­neh­mer. Nach Maßga­be von § 1 Abs. 3 Satz 1 KSchG wären die Aus­wahl­kri­te­ri­en wei­ter­hin „aus­rei­chend“ berück­sich­tigt. Die


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Kläge­rin er­hebt ge­gen die­se Würdi­gung des Lan­des­ar­beits­ge­richts in der Re­vi­si­on kei­ne Einwände mehr.


cc) Die Art der Al­ters­grup­pen­bil­dung er­weist sich als an­ge­mes­sen und er­for­der­lich. Wie an­hand der vor­ge­leg­ten Aus­wahl­lis­ten nach­zu­voll­zie­hen, hätte die Be­klag­te oh­ne die Al­ters­grup­pen­bil­dung mehr als die Hälf­te ih­res Per­so­nal­be­stands in der Grup­pe der 25 bis 35 Jah­re al­ten Ar­beit­neh­mer ein­gebüßt. Im Al­ters­be­reich bis zu 30 Jah­ren hätte die Be­leg­schaft fast kei­ne Mit­glie­der mehr ge­habt. Die Be­triebs­par­tei­en ha­ben die Al­ters­grup­pen be­gin­nend mit dem Al­ter von 25 Jah­ren in Zehn-Jah­res-Schrit­ten ge­bil­det und dar­an aus­ge­rich­tet den bis­he­ri­gen Al­ters­auf­bau der Be­leg­schaft im Pro­duk­ti­ons­be­reich berück­sich­tigt. Den Dar­le­gun­gen der Kläge­rin ist nicht zu ent­neh­men, dass da­bei ver­gleich­ba­re Ar­beit­neh­mer außer Be­tracht ge­las­sen wor­den wären. Die Be­tei­li­gung der Al­ters­grup­pen an der Ge­samt­zahl der Kündi­gun­gen hat­te nach der Aus­wahl­richt­li­nie gleichmäßig-pro­por­tio­nal zu er­fol­gen. Dass hier­von ab­ge­wi­chen wor­den wäre, ist nicht er­sicht­lich. An­halts­punk­te, die den Schluss zu­ließen, es sei der Be­klag­ten dar­um ge­gan­gen, be­stimm­te Ar­beit­neh­mer aus dem Be­trieb zu drängen, lie­gen nicht vor. Ei­nes nähe­ren Vor­brin­gens der Be­klag­ten zu den be­trieb­li­chen Nach­tei­len ei­ner oh­ne Al­ters­grup­pen­bil­dung durch­geführ­ten So­zi­al­aus­wahl be­durf­te es an­ge­sichts der An­zahl der Ent­las­sun­gen nicht.


III. Die Kläge­rin hat kei­nen An­spruch auf Vergütung für den Mo­nat No­vem­ber 2008. Das Ar­beits­verhält­nis der Par­tei­en ist durch die Kündi­gung vom 28. Ju­li 2008 mit Ab­lauf des 31. Ok­to­ber 2008 auf­gelöst wor­den.

IV. Der An­trag auf Wei­ter­beschäfti­gung für die Dau­er des Kündi­gungs­schutz­ver­fah­rens ist dem Se­nat nicht zur Ent­schei­dung an­ge­fal­len. Der Rechts­streit ist ab­ge­schlos­sen.
 


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V. Als un­ter­le­ge­ne Par­tei hat die Kläge­rin gemäß § 97 Abs. 1 ZPO die Kos­ten der Re­vi­si­on zu tra­gen.

Kreft 

Ra­chor 

Ber­ger

Per­reng 

Sieg

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