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ARBEITSRECHT AKTUELL // 13/214

So­zi­al­aus­wahl bei der Kün­di­gung von Leih­ar­beit­neh­mern

Kün­digt ei­ne Zeit­ar­beits­fir­ma ei­nem Ar­beit­neh­mer be­triebs­be­dingt, muss die So­zi­al­aus­wahl auch die bei Kun­den ein­ge­setz­ten Ar­beit­neh­mer be­rück­sich­ti­gen: Bun­des­ar­beits­ge­richt, Ur­teil vom 20.06.2013, 2 AZR 271/12
Wann sind Leih­ar­beit­neh­mer mit­ein­an­der ver­gleich­bar?

29.07.2013. Auch Zeit­ar­beits­fir­men kön­nen Ar­beit­neh­mer aus be­triebs­be­ding­ten Grün­den kün­di­gen, und zwar we­gen ei­nes dau­er­haf­ten Auf­trags­man­gels.

Frag­lich ist, wel­che Ar­beit­neh­mer dann in die So­zi­al­aus­wahl ein­zu­be­zie­hen sind. Aus Sicht des Zeit­ar­beits­un­ter­neh­mens wä­re es "prak­tisch", ein­fach die­je­ni­gen zu kün­di­gen, die ge­ra­de nicht bei ei­nem Kun­den ein­ge­setzt wer­den.

Denn die­je­ni­gen Ar­beit­neh­mer, die in­fol­ge des Auf­trags­man­gels nicht bei ei­nem Kun­den ar­bei­ten, kos­ten Geld, wäh­rend die bei Kun­den ein­ge­setz­ten Geld brin­gen.

So ein­fach kön­nen sich Zeit­ar­beits­fir­men die So­zi­al­aus­wahl aber nicht ma­chen, wie das Bun­des­ar­beits­ge­richt (BAG) in ei­ner ak­tu­el­len Ent­schei­dung klar­ge­stellt hat: BAG, Ur­teil vom 20.06.2013, 2 AZR 271/12.

Wel­che Ar­beit­neh­mer müssen Zeit­ar­beits­fir­men in die So­zi­al­aus­wahl ein­be­zie­hen, wenn sie be­triebs­be­ding­te Kündi­gun­gen aus­spre­chen?

Die meis­ten Zeit­ar­beits­fir­men können es sich nicht lan­ge leis­ten, Ar­beit­neh­mer zu beschäfti­gen, oh­ne dass die­se bei ei­nem Kun­den ein­ge­setzt wer­den und da­mit ih­ren Lohn ein­spie­len.

Da­bei hat das BAG be­reits 2006 ent­schie­den, dass der Fort­fall ei­nes ein­zel­nen Kun­den­auf­trags im All­ge­mei­nen noch nicht Grund ge­nug für ei­ne be­triebs­be­ding­te Kündi­gung ist, da kurz­fris­ti­ge Auf­trags­schwan­kun­gen zum Un­ter­neh­mer­ri­si­ko gehören, das auch Zeit­ar­beits­un­ter­neh­men tra­gen müssen. Erst bei ei­nem dau­er­haf­ten Auf­trags­man­gel kommt der Aus­spruch be­triebs­be­ding­ter Kündi­gun­gen in Be­tracht (BAG, Ur­teil 18.05.2006, 2 AZR 412/05 - wir be­rich­te­ten darüber in: Ar­beits­recht ak­tu­ell: 06/06 BAG: Kei­ne Kündi­gung ei­nes Leih­ar­beit­neh­mers we­gen Auf­trags­man­gels).

Aber auch dann, wenn ein Auf­tragsrück­gang so er­heb­lich ist, dass be­triebs­be­ding­te Kündi­gun­gen ei­nes Teils der Ar­beit­neh­mer möglich wären, sind die­se noch lan­ge kein Selbstläufer. Denn dann fragt sich, wel­che kon­kre­ten Ar­beit­neh­mer die Zeit­ar­beits­fir­ma im Er­geb­nis der So­zi­al­aus­wahl mit ei­ner Kündi­gung be­las­ten darf und wer auf­grund länge­rer Be­triebs­zu­gehörig­keit, höhe­ren Al­ters und sei­ner Un­ter­halts­pflich­ten un­ge­scho­ren blei­ben muss.

Da­bei stellt sich die wei­te­re Fra­ge, wer über­haupt in die So­zi­al­aus­wahl ein­zu­be­zie­hen ist. Darf sich ein Zeit­ar­beits­un­ter­neh­men auf den Stand­punkt stel­len, dass die von ei­nem Kun­den "ab­ge­mel­de­ten" Ar­beit­neh­mer mit den­je­ni­gen Ar­beit­neh­mern, die wei­ter bei die­sem Kun­den ar­bei­ten, gar nicht ver­gleich­bar sind?

Der Streit­fall: Zeit­ar­beits­fir­ma kündigt meh­re­ren Ar­beit­neh­mern be­triebs­be­dingt, nach­dem die­se von ei­nem Kun­den "ab­ge­mel­det" wor­den wa­ren

Im Streit­fall ging es um ei­nen seit 2004 bei ei­nem Zeit­ar­beits­un­ter­neh­men beschäftig­ten Ar­beit­neh­mer, der zu­letzt ei­nem Kun­den als Flug­zeug­rei­ni­ger über­las­sen wor­den war und dort seit Ju­li 2010 als Vor­ar­bei­ter ar­bei­te­te. Nach­dem der Kun­de En­de Sep­tem­ber 2010 erklärte, dass man ihn nicht mehr benöti­ge und da­her "ab­mel­de", er­hielt er von sei­nem Ar­beit­ge­ber prompt die be­triebs­be­ding­te Kündi­gung, ob­wohl 150 sei­ner Kol­le­gen wei­ter­hin bei dem Kun­den ein­ge­setzt wa­ren.

In dem dar­auf­hin geführ­ten Kündi­gungs­schutz­pro­zess ar­gu­men­tier­te das Zeit­ar­beits­un­ter­neh­men, es ha­be im Sep­tem­ber 2010 die Ent­schei­dung ge­trof­fen, al­le Ar­beits­verhält­nis­se mit den­je­ni­gen Ar­beit­neh­mern zu kündi­gen, die von ih­rem Kun­den na­ment­lich ab­ge­mel­det wor­den wa­ren. Da der Kun­de kei­nen Beschäfti­gungs­be­darf mehr hätte, läge ei­ne lang­fris­ti­ge Auf­tragslücke vor.

Ei­ne So­zi­al­aus­wahl war nach An­sicht der Zeit­ar­beits­fir­ma nicht er­for­der­lich, da sie an die Wünsche ih­res Kun­den ge­bun­den sei. Hätte sie den ab­ge­mel­de­ten und dar­auf­hin gekündig­ten Ar­beit­neh­mer er­neut dem Kun­den über­las­sen, hätte sie ei­nen Auf­trags­ver­lust befürch­ten müssen. 

Das Ar­beits­ge­richt Frank­furt am Main (Ur­teil vom 09.02.2011, 9 Ca 7012/10) und das Hes­si­sche Lan­des­ar­beits­ge­richt (Ur­teil vom 09.12.2011, 10 Sa 438/11) ließen sich da­von nicht über­zeu­gen und erklärten die Kündi­gung für un­wirk­sam.

BAG: Bei be­triebs­be­ding­ten Kündi­gungs­wel­len in ei­nem Zeit­ar­beits­un­ter­neh­men muss die So­zi­al­aus­wahl auch die Ar­beit­neh­mer ein­be­zie­hen, die zum Kündi­gungs­zeit­punkt bei Kun­den ein­ge­setzt wer­den.

Auch vor dem BAG hat­te die Zeit­ar­beits­fir­ma kei­nen Er­folg. Das BAG wies ih­re Re­vi­si­on zurück.

In den Ur­teils­gründen lässt das BAG die Fra­ge of­fen, ob zum Zeit­punkt der Kündi­gung über­haupt ein dau­er­haf­ter Auf­trags­man­gel vor­ge­le­gen hat­te oder nicht (was an­ge­sichts der ex­trem kur­zen Zeit zwi­schen der Ab­mel­dung des Ar­beit­neh­mers durch den Kun­den und der dar­auf­hin erklärten Kündi­gung kaum vor­stell­bar ist).

Je­den­falls aber war die So­zi­al­aus­wahl nicht in Ord­nung, so das BAG. Denn die bloße "Ab­mel­dung" des gekündig­ten Ar­beit­neh­mers durch den Kun­den, bei dem er zu­letzt ein­ge­setzt war, be­legt noch nicht, dass der Kun­de ihn auf kei­nen Fall mehr hätte ha­ben wol­len oder dass er nach ei­nem Aus­tausch des ab­ge­mel­de­ten ge­gen ei­nen an­de­ren Ar­beit­neh­mer den Auf­trag gekündigt hätte.

In­fol­ge­des­sen war der gekündig­te Ar­beit­neh­mer mit sei­nen un­gekündig­ten und wei­ter bei dem Kun­den ein­ge­setz­ten Kol­le­gen ver­gleich­bar. Und da er im Kündi­gungs­schutz­pro­zess nach­wei­sen konn­te, dass drei die­ser wei­ter beim Kun­den täti­gen Kol­le­gen ähn­li­che Ar­bei­ten ver­rich­te­ten und auf­grund ih­rer So­zi­al­da­ten we­ni­ger schutz­bedürf­tig wa­ren als er, war die So­zi­al­aus­wahl feh­ler­haft und die Kündi­gung da­her un­wirk­sam.

Fa­zit: Zeit­ar­beits­fir­men müssen bei be­triebs­be­ding­ten Kündi­gun­gen, die nur ei­nen Teil ih­rer Be­leg­schaft be­tref­fen, ei­ne So­zi­al­aus­wahl vor­neh­men und da­bei im All­ge­mei­nen so­wohl die ver­lie­he­nen als auch die nicht ver­lie­he­nen Ar­beit­neh­mer mit ver­gleich­ba­ren Tätig­kei­ten in die Aus­wahl ein­be­zie­hen.

Die bloße "Ab­mel­dung" ei­nes Ar­beit­neh­mers durch ei­nen Kun­den heißt noch lan­ge nicht, dass es dem Zeit­ar­beits­un­ter­neh­men unmöglich oder un­zu­mut­bar wäre, ihn dem Kun­den er­neut zu­zu­wei­sen und ei­nen so­zi­al we­ni­ger schutz­bedürf­ti­gen Ar­beit­neh­mer vom Kun­den ab­zu­zie­hen.

An­ders ist es letzt­lich nur dann, wenn der Kun­de ei­ner Zeit­ar­beits­fir­ma deut­lich macht, dass er mit ei­nem be­stimm­ten ihm über­las­se­nen Ar­beit­neh­mer un­zu­frie­den ist und sei­nen Ein­satz da­her nicht mehr wünscht. Dann be­steht bei ei­nem sol­chen Kun­den kei­ne Ein­satzmöglich­keit mehr. Verfügt die Zeit­ar­beits­fir­ma über kei­ne an­de­ren Kun­den, bei de­nen sie den "un­eh­ren­haft ab­ge­mel­de­ten" Ar­beit­neh­mer wei­ter ein­set­zen kann, kommt ei­ne Kündi­gung in Be­tracht. Die­se ist dann aber kei­ne be­triebs­be­ding­te Kündi­gung, son­dern ei­ne per­so­nen­be­ding­te oder je nach La­ge des Fal­les so­gar ei­ne ver­hal­tens­be­ding­te Kündi­gung.

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Letzte Überarbeitung: 30. März 2019

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