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ARBEITSRECHT AKTUELL // 13/255

Streit­wer­te im Ar­beits­recht

Prä­si­den­ten und Prä­si­den­tin­nen der Lan­des­ar­beits­ge­rich­te ei­ni­gen sich auf Ver­ein­heit­li­chung der Streit­wer­te: Bun­des­ein­heit­li­cher Streit­wert­ka­ta­log für die Ar­beits­ge­richts­bar­keit, Mai 2013
Taschenrechner auf Geldscheinen Für An­wäl­te wich­tig: Streit­wer­te

31.08.2013. Die Ge­büh­ren, die ein An­walt für die Be­treu­ung ge­richt­li­cher Ver­fah­ren er­hält, er­rech­nen sich bei Ver­fah­ren vor den Ar­beits­ge­rich­ten nach dem Streit­wert.

Und auch die Ge­richts­ge­büh­ren be­rech­net das Ge­richt auf die­ser Grund­la­ge.

Da die Streit­wer­te von den Lan­des­ar­beits­ge­rich­ten (LAGs) in be­stimm­ten Zwei­fels­fäl­len un­ter­schied­lich fest­ge­setzt wer­den, soll künf­tig ein ein­heit­li­cher Streit­wert­ka­ta­log für Klar­heit sor­gen.

Auf die­sen Ka­ta­log hat sich ei­ne Streit­wert­kom­mis­si­on ge­ei­nigt, die von den Prä­si­den­tin­nen und Prä­si­den­ten der LAGs im Mai 2012 ein­ge­setzt wor­den ist und ein Jahr spä­ter, im Mai 2013, die Er­geb­nis­se ih­rer Ar­beit vor­ge­stellt hat: Bun­des­ein­heit­li­cher Streit­wert­ka­ta­log für die Ar­beits­ge­richts­bar­keit, Mai 2013.

An­walts­gebühren und Streit­wer­te

Wer ei­nen An­walt mit ei­nem Pro­zess vor dem Ar­beits­ge­richt be­auf­tragt, muss An­walts­gebühren be­zah­len. Grund­la­ge der Gebühren­be­rech­nung ist das Rechts­an­walts­vergütungs­ge­setz (RVG), das wie­der­um in Ta­bel­len­form fes­te Geld­beträge vor­schreibt, de­ren Höhe vom sog. Streit­wert abhängt.

Der Streit­wert ist die in ei­nem Geld­be­trag aus­ge­drück­te wirt­schaft­li­che Be­deu­tung der An­ge­le­gen­heit, über die vor Ge­richt ge­strit­ten wird. Dar­aus folgt, dass die An­walts­gebühren um­so höher sind, je höher der Streit­wert ist.

Soll der An­walt z.B. 20.000,00 EUR rückständi­gen Lohn ein­kla­gen, beträgt der Streit­wert 20.000,00 EUR, und auf der Grund­la­ge die­ses Streit­wer­tes be­tra­gen die An­walts­gebühren für die Kla­ge gemäß RVG-Ta­bel­le 742,00 EUR zzgl. 20,00 EUR Aus­la­gen­pau­scha­le zzgl. Um­satz­steu­er, d.h. 885,36 EUR brut­to (ein­schl. Um­satz­steu­er).

Bei ei­ner Kla­ge auf rückständi­gen Ar­beits­lohn in Höhe von 100.000,00 EUR ist der Streit­wert höher (und natürlich auch die Ver­ant­wor­tung und das Haf­tungs­ri­si­ko des An­walts), wes­halb die Gebühren nach RVG-Ta­bel­le höher sind als bei ei­nem Streit­wert von 20.000,00 EUR. Kon­kret wäre für ei­ne Kla­ge über 100.000,00 EUR ei­ne Pro­zess­gebühr in Höhe von 1.812,37 EUR zu ent­rich­ten.

Wie man an die­sen Bei­spie­len se­hen kann, ist die Erhöhung der An­walts­gebühren in Abhängig­keit von ei­nem höhe­ren Streit­wert "de­gres­siv", d.h. die Gebühren stei­gen zwar an, aber nicht eins zu eins in Abhängig­keit von der Streit­wert­erhöhung. Wenn bei ei­nem Streit­wert von 20.000,00 EUR für die Kla­ge 885,36 EUR zu ent­rich­ten sind, könn­te man beim fünf­fa­chen Streit­wert (= 100.000,00 EUR) die fünf­fa­che An­walts­gebühr er­war­ten (= 4.426,80 EUR), aber so ist es nicht: Die Gebühren sind beim fünf­fa­chen Streit­wert (100.000,00 EUR statt 20.000,00 EUR) "nur" gut dop­pelt so hoch (1.812,37 EUR statt 885,36 EUR).

Un­kla­re Streit­wer­te

Wenn sich der Streit­wert wie in die­sen Bei­spie­len di­rekt als Zah­lungs­an­trag aus der Kla­ge­schrift er­gibt, braucht man sich über ihn kei­ne Ge­dan­ken zu ma­chen. Oft wird aber vor den Ar­beits­ge­rich­ten über Kündi­gun­gen, Ab­mah­nun­gen, ein Zeug­nis oder ei­nen Be­triebsüber­gang ge­strit­ten, und dann steht der Wert die­ser Strei­tig­kei­ten nicht von vorn­her­ein fest.

An die­ser Stel­le kommt die Streit­wert­fest­set­zung durch die Ar­beits­ge­rich­te ins Spiel: Ist der Pro­zess be­en­det, setzt das Ge­richt auf An­trag den Streit­wert fest. Wer nicht ständig als An­walt ar­beits­ge­richt­li­che Ver­fah­ren be­treut, er­lebt hier oft Über­ra­schun­gen.

Zwar beträgt der Streit­wert für ei­ne Kündi­gungs­schutz­kla­ge im All­ge­mei­nen ein Vier­tel­jah­res­ge­halt des gekündig­ten Ar­beit­neh­mers. Aber hier­von wei­chen vie­le Ge­rich­te nach un­ten ab, wenn das gekündig­te Ar­beits­verhält­nis noch kei­ne sechs Mo­na­te lang be­stan­den hat. Dann beträgt der Streit­wert nach über­wie­gen­der Mei­nung nur ein Mo­nats­ge­halt.

Und man­che Ge­rich­te sa­gen so­gar, dass es den "vol­len" Kündi­gungs­streit­wert erst dann gibt, wenn das Ar­beits­verhält­nis min­des­tens ein Jahr be­stan­den hat, d.h. der Streit­wert soll bei ei­nem mehr als sechs, aber we­ni­ger als zwölf Mo­na­te be­ste­hen­dem Ar­beits­verhält­nis zwei Gehälter be­tra­gen.

Un­ter­schied­li­che Recht­spre­chung der LAGs zum The­ma Streit­wert

Da man ge­gen Streit­wert­fest­set­zun­gen durch die Ar­beits­ge­rich­te Be­schwer­de ein­le­gen kann und dann letzt­lich das zuständi­ge LAG ent­schei­det, weil man aber kei­ne wei­te­re Klärung durch das Bun­des­ar­beits­ge­richt (BAG) er­zwin­gen kann, hat je­des LAG im Lau­fe der letz­ten Jah­re sei­ne ei­ge­ne Streit­wert-Recht­spre­chung ent­wi­ckelt.

Und die­se Recht­spre­chung weicht in Ein­zel­fra­gen er­heb­lich von­ein­an­der ab. Um sie künf­tig zu ver­ein­heit­li­chen, ha­ben die Präsi­den­tin­nen und Präsi­den­ten im Mai 2012 ei­ne Streit­wert­kom­mis­si­on ein­ge­rich­tet. Die­se wie­der­um hat im Mai 2013 ei­nen ein­heit­li­chen Streit­wert­ka­ta­log für die Ar­beits­ge­richts­bar­keit vor­ge­stellt.

Neu­ig­kei­ten im Streit­wert­ka­ta­log

Die meis­ten Eck­punk­te, die der Streit­wert­ka­ta­log enthält, sind we­nig über­ra­schend, denn sie ent­spre­chen der bis­he­ri­gen über­wie­gen­den Recht­spre­chung. In­ter­es­sant sind aber ei­ni­ge Ab­wei­chun­gen, die man so nicht er­war­tet hätte.

Wird über die Be­rech­nung ei­ner Ab­mah­nung vor Ge­richt ge­strit­ten, beträgt der Streit­wert ein Mo­nats­ge­halt. Sind es meh­re­re Ab­mah­nun­gen, schlägt der Streit­wert­ka­ta­log vor, nur die ers­te Ab­mah­nung mit ei­nem vol­len, die wei­te­ren Ab­mah­nun­gen mit ei­nem Drit­tel ei­ner Mo­nats­vergütung zu be­wer­ten.

Wird im Rah­men ei­ner Kündi­gungs­schutz­kla­ge gleich­zei­tig der An­nah­me­ver­zugs­lohn für die Mo­na­te ein­ge­klagt, die der Ar­beit­ge­ber nicht be­zahlt, weil er von der Wirk­sam­keit sei­ner Kündi­gung aus­geht, so sol­len die ers­ten drei Mo­na­te nach dem Be­en­di­gungs­ter­min, der sich aus der strit­ti­gen Kündi­gung er­gibt, nicht streit­wert­erhöhend sein. Das heißt um­ge­kehrt aber auch, dass die An­nah­me­ver­zugslöhne ab dem vier­ten Mo­nat nach dem Be­en­di­gungs­ter­min gemäß der um­strit­te­nen Kündi­gung den Streit­wert erhöhen.

Das macht sich be­son­ders bei frist­lo­sen Kündi­gun­gen be­merk­bar, denn hier muss sinn­vol­ler Wei­se der An­nah­me­ver­zugs­lohn fort­lau­fend ein­ge­klagt wer­den, der sich dann bis zum Kam­mer­ter­min leicht auf sechs oder mehr Mo­nats­gehälter auf­sum­miert. Von die­sen Gehältern sind nur die ers­ten drei auf die Kündi­gung fol­gen­den Gehälter mit dem Streit­wert der Kündi­gung iden­tisch, d.h. nicht streit­wert­erhöhend, wohl aber die fol­gen­den.

Wird ei­ne Kündi­gungs­schutz­kla­ge mit ei­ner Kla­ge ge­gen ei­ner Be­triebs­er­wer­ber kom­bi­niert, weil die­ser das Vor­lie­gen ei­nes Be­triebsüber­gangs und da­mit sei­ne Ar­beit­ge­ber­stel­lung ab­strei­tet, soll der Streit­wert nach dem Streit­wert­ka­ta­log vier Mo­nats­gehälter be­tra­gen.

Das ist we­nig über­zeu­gend, weil es in ei­nem sol­chen Pro­zess um zwei völlig ge­trenn­te Be­stands­strei­tig­kei­ten geht: Ein­mal um die Wirk­sam­keit der Kündi­gung durch den al­ten Ar­beit­ge­ber und so­dann um das Vor­lie­gen ei­nes Be­triebsüber­gangs, der das Fort­be­ste­hen des Ar­beits­verhält­nis­ses mit dem (po­ten­ti­el­len) neu­en Ar­beit­ge­ber, dem (po­ten­ti­el­len) Be­triebs­er­wer­ber, zur Fol­ge hätte.

Wenn man be­denkt, wel­che "Ma­te­ri­al­schlach­ten" strei­ti­ge Be­triebsübergänge vor Ge­richt oft nach sich zie­hen, soll­te der Streit­wert sol­cher ex­trem auf­wen­di­ger Pro­zes­se mit ei­nem hal­ben Jah­res­ge­halt be­wer­tet wer­den: Ein Quar­tals­ge­halt für die Kündi­gung durch den al­ten Ar­beit­ge­ber und ein wei­te­res Quar­tals­ge­halt für den Streit über das Vor­lie­gen ei­nes Be­triebsüber­gangs.

Po­si­tiv an­zu­mer­ken ist, dass der Streit­wert­ka­ta­log Be­stands­strei­tig­kei­ten durch­weg mit ei­nem Quar­tals­ge­halt be­wer­tet und nicht mit drei Mo­nats­gehältern. Hier gibt es nämlich oft Un­klar­hei­ten, ob jähr­li­che Son­der­zah­lun­gen ein­zu­be­rech­nen sind (das wäre der Fall, wenn ein Quar­tals­ge­halt maßgeb­lich ist) oder nicht.

Zur "Ver­bind­lich­keit" des Streit­wert­ka­ta­logs

Der Streit­wert­ka­ta­log ist "nur" ein von kom­pe­ten­ten Au­to­ren er­stell­ter Vor­schlag, be­stimm­te Zwei­felsfälle in der im Ka­ta­log ent­hal­te­nen Wei­se zu be­wer­ten. Recht­lich ver­bind­lich ist er nicht, denn je­des Ge­richt muss auch künf­tig Streit­wer­te in rich­ter­li­cher Un­abhängig­keit fest­set­zen. Und bei Streit­wert­be­schwer­den ent­schei­den dann wei­ter­hin ver­schie­de­ne LAGs.

Al­ler­dings ist da­von aus­zu­ge­hen, dass die LAGs sich an dem Ka­ta­log ori­en­tie­ren wer­den, was wie­der­um Rück­wir­kun­gen auf die Spruch­pra­xis der Ar­beits­ge­rich­te ha­ben wird. Denn wenn man als Ar­beits­rich­ter weiß, dass Ab­wei­chun­gen vom Streit­wert­ka­ta­log mit ei­ner ge­wis­sen Wahr­schein­lich­keit Be­schwer­den und da­mit ab­wei­chen­de Ent­schei­dun­gen des LAG ent­spre­chend dem Streit­wert­ka­ta­log zur Fol­ge ha­ben, wird man sich sinn­vol­ler Wei­se am Ka­ta­log ori­en­tie­ren.

Auch Rechts­schutz­ver­si­che­run­gen wer­den künf­tig vor­aus­sicht­lich recht oft auf den Streit­wert­ka­ta­log ver­wei­sen, wie um­ge­kehrt Anwälte bei der Gebühren­be­rech­nung ge­genüber Rechts­schutz­ver­si­che­run­gen. Außer­dem be­tref­fen vie­le Scha­densfälle vor­ge­richt­li­che Tätig­kei­ten der Anwälte, so dass man hier von vorn­her­ein kei­ne ar­beits­ge­richt­li­chen Ent­schei­dun­gen über den Streit­wert her­beiführen kann. Dem­zu­fol­ge wird in sol­chen Fällen der Streit­wert­ka­ta­log die maßgeb­li­che Ori­en­tie­rung sein.

Al­ler­dings enthält der Ka­ta­log kei­ne Ant­wort auf al­le Fra­gen, und natürlich können Ge­rich­te wie erwähnt stets von ihm ab­wei­chen. Das kann man auch "er­ho­be­nen Haup­tes" tun, wenn nämlich der Ein­zel­fall Be­son­der­hei­ten auf­weist, die Ab­wei­chun­gen recht­fer­ti­gen.

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Letzte Überarbeitung: 12. August 2016

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