HENSCHE RECHTSANWÄLTE, FACHANWALTSKANZLEI FÜR ARBEITSRECHT

 

BAG, Be­schluss vom 05.10.2010, 1 ABR 88/09

   
Schlagworte: Tarifvertrag
   
Gericht: Bundesarbeitsgericht
Aktenzeichen: 1 ABR 88/09
Typ: Beschluss
Entscheidungsdatum: 05.10.2010
   
Leitsätze: 1. Eine tariffähige Arbeitnehmervereinigung muss sozial mächtig und von ihrem organisatorischen Aufbau her in der Lage sein, die ihr gestellten Aufgaben einer Tarifvertragspartei zu erfüllen. Für die einzelfallbezogene Beurteilung der Mächtigkeit und Leistungsfähigkeit einer Arbeitnehmervereinigung kommt der Mitgliederzahl eine entscheidende Bedeutung zu.

2. Beteiligt sich eine noch junge Arbeitnehmerkoalition im zeitlichen Zusammenhang mit ihrer Gründung am Aushandeln von Tarifverträgen, kann ohne Angaben zur Zahl ihrer Mitglieder und organisatorischen Leistungsfähigkeit allein die Anzahl der von ihr abgeschlossenen Tarifverträge ihre Tariffähigkeit nicht belegen.
Vorinstanzen: Arbeitsgericht Paderborn, Beschluss vom 14.03.2008, 2 BV 30/07
Landesarbeitsgericht Hamm (Westfalen), Beschluss vom 13.03.2009, 10 TaBV 89/08
   


BUN­DES­AR­BEITS­GERICHT

1 ABR 88/09
10 TaBV 89/08
Lan­des­ar­beits­ge­richt

Hamm

Im Na­men des Vol­kes!

Verkündet am

5. Ok­to­ber 2010

BESCHLUSS

Rad­t­ke, Ur­kunds­be­am­tin

der Geschäfts­stel­le

In dem Be­schluss­ver­fah­ren mit den Be­tei­lig­ten

1.

An­trag­stel­le­rin, Be­schwer­deführe­rin und Rechts­be­schwer­deführe­rin,

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hat der Ers­te Se­nat des Bun­des­ar­beits­ge­richts auf­grund der Anhörung vom 5. Ok­to­ber 2010 durch die Präsi­den­tin des Bun­des­ar­beits­ge­richts Schmidt, die Rich­ter am Bun­des­ar­beits­ge­richt Dr. Linck und Dr. Koch so­wie die eh­ren­amt­li­chen Rich­ter Dr. Zum­pe und Berg für Recht er­kannt:


Auf die Rechts­be­schwer­de der In­dus­trie­ge­werk­schaft Me­tall wird der Be­schluss des Lan­des­ar­beits­ge­richts Hamm vom 13. März 2009 - 10 TaBV 89/08 - auf­ge­ho­ben und die Sa­che zur er­neu­ten Anhörung und Ent­schei­dung an das Lan­des­ar­beits­ge­richt zurück­ver­wie­sen.


Von Rechts we­gen!


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Gründe


A. Die Be­tei­lig­ten strei­ten über die Ta­riffähig­keit der Ge­werk­schaft für Kunst­stoff­ge­wer­be und Holz­ver­ar­bei­tung (GKH).

An­trag­stel­le­rin ist die In­dus­trie­ge­werk­schaft Me­tall (IG Me­tall). Zu ih­ren Auf­ga­ben gehört seit ei­ner zum 1. Ja­nu­ar 2000 wirk­sam ge­wor­de­nen Sat­zungsände­rung auch der Ab­schluss von Ta­rif­verträgen für die Be­trie­be der Wirt­schafts­grup­pen Holz­be­ar­bei­tung, Holz­ver­ar­bei­tung, Kunst­stoff­ver­ar­bei­tung und Mo­dell­bau ein­sch­ließlich der Hand­werks­be­trie­be.

Die Be­tei­lig­te zu 2) wur­de am 25. März 2003 ge­gründet. Seit April 2005 führt sie den Na­men „Ge­werk­schaft für Kunst­stoff­ge­wer­be und Holz­ver­ar­bei­tung im Christ­li­chen Ge­werk­schafts­bund“.

An den bis­her drei Mit­glie­der­ver­samm­lun­gen der GKH nahm stets der im We­sent­li­chen glei­che Teil­neh­mer­kreis von sie­ben bis neun Per­so­nen teil. Dar­un­ter be­fan­den sich auch zwei haupt­amt­li­che Funk­ti­onäre der Christ­li­chen Ge­werk­schaft Me­tall (CGM); de­ren Ge­werk­schafts­se­kretärin R wur­de auf der Gründungs­ver­samm­lung der GKH zur Bun­des­geschäftsführe­rin be­stellt.

Gem. § 1 der Sat­zung ist die GKH ei­ne ge­genüber po­li­ti­schen Par­tei­en, Kon­fes­sio­nen, Re­gie­run­gen und Un­ter­neh­men un­abhängi­ge Ge­werk­schaft mit Sitz in Pa­der­born. Ihr Or­ga­ni­sa­ti­ons­be­reich er­streckt sich auf das Ge­biet der Bun­des­re­pu­blik Deutsch­land und um­fasst die Be­rei­che des holz- und kunst-stoff­ver­ar­bei­ten­den Hand­werks (Schrei­ner­hand­werk, Fens­ter- und Türen­bau­er) so­wie des Mo­dell­bau­er­hand­werks. Sie er­strebt nach § 2 der Sat­zung die Wah­rung der geis­ti­gen, kul­tu­rel­len und ma­te­ri­el­len In­ter­es­sen der Mit­glie­der auf christ­lich-so­zia­ler Grund­la­ge, die Schaf­fung von Ei­gen­tum in Ar­beit­neh­mer­hand, die Mit­be­stim­mung in der Wirt­schaft aus Mit­be­sitz und ei­ne Staats-, Ge­sell­schafts- und Wirt­schafts­ord­nung nach christ­lich-so­zia­len Grundsätzen. Zu ih­ren Auf­ga­ben gehört ua. die Re­ge­lung der Ar­beits­be­din­gun­gen durch Ta­rif­verträge, die Un­terstützung bei ge­werk­schaft­lich geführ­ten Streiks, bei Aus­sper­run­gen und Maßre­ge­lun­gen so­wie der Rechts­schutz für Mit­glie­der in
 


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ar­beits- und so­zi­al­recht­li­chen Strei­tig­kei­ten. Die GKH er­hebt Mit­glieds­beiträge, de­ren Höhe gem. § 7 der Sat­zung das Mit­glied selbst be­stimmt. Der Min­dest­bei­trag beträgt mo­nat­lich 6,00 Eu­ro. Nach § 11 der Sat­zung glie­dert sie sich in den Bun­des­ver­band so­wie Be­triebs­grup­pen. Or­ga­ne der GKH sind gem. § 12 der Sat­zung der al­le vier Jah­re statt­fin­den­de (§ 13 Abs. 2 der Sat­zung) Bun­des­ge­werk­schafts­tag, der Haupt­vor­stand so­wie das Schieds­ge­richt. Die GKH er­kennt gem. § 23 der Sat­zung das gel­ten­de Ta­rif­recht als für sich ver­bind­lich an. Sie ist Mit­glied im Christ­li­chen Ge­werk­schafts­bund (CGB).

Die GKH beschäftigt kei­ne haupt­amt­li­chen Mit­ar­bei­ter, son­dern wird ne­ben­amt­lich durch die sie­ben Mit­glie­der des Haupt­vor­stands geführt. Auf der Grund­la­ge ei­ner Rah­men­ver­ein­ba­rung teilt sie sich Geschäfts­stel­len mit der CGM. In den Geschäfts­stel­len Pa­der­born, Ber­lin und Ge­ra sind drei haupt­amt­li­che Mit­ar­bei­ter von ih­rer Tätig­keit bei der CGM für die GKH frei­ge­stellt. Die Be­treu­ung der Mit­glie­der in ar­beits- und so­zi­al­recht­li­chen Fra­gen fin­det in bun­des­weit 17 CGM-Se­kre­ta­ria­ten durch haupt­amt­li­che Ge­werk­schafts­se­kretäre der CGM statt.


Nach An­ga­ben der GKH so­wie des Fach­ver­bands des Tisch­ler­hand­werks NRW sind im Tisch­ler­hand­werk bun­des­weit knapp 170.000 Ar­beit­neh­mer in rund 40.000 Be­trie­ben tätig, wo­bei mehr als die Hälf­te der Be­trie­be bis zu fünf und le­dig­lich ca. 6 % über 20 Beschäftig­te hat. In Nord­rhein-West­fa­len sind ar­beit­ge­ber­sei­tig knapp 4.200 Be­trie­be ta­rif­ge­bun­den und in die­sen et­wa 20.000 von ins­ge­samt 30.000 Ar­beit­neh­mern beschäftigt. Im Be­reich des Mo­dell­bau­er­hand­werks sind nach An­ga­ben der GKH so­wie des zu 5) be­tei­lig­ten Bun­des­in­nungs­ver­bands des Mo­dell­bau­er­hand­werks bun­des­weit ca. 3.000 Beschäftig­te in rund 400 Be­trie­ben, dar­un­ter et­wa 300 ar­beit­ge­ber­sei­tig ta­rif­ge­bun­de­ne Mit­glieds­be­trie­be, tätig.


Ei­nen Mo­nat nach ih­rer Gründung ver­ein­bar­te die GKH mit dem „Deut­schen Han­dels- und In­dus­trie­an­ge­stell­ten-Ver­band“ (DHV) die „Ta­rif­ge­mein­schaft Christ­li­cher Ge­werk­schaf­ten für Holz-Kunst­stoff, Mo­dell­bau und Holz­in­dus­trie“. Seit­dem hat sie ih­ren ei­ge­nen An­ga­ben zu­fol­ge in al­len Bun­desländern außer Ber­lin und dem Saar­land ins­ge­samt ca. 120 Flächen­ta­rif­verträge

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im Tisch­ler- und Schrei­ner­hand­werk, Mo­dell­bau­er­hand­werk und Par­kett­le­ger­hand­werk - größten­teils in Ta­rif­ge­mein­schaft mit dem DHV - ab­ge­schlos­sen. Die IG Me­tall hat nach der zum 1. Ja­nu­ar 2000 wirk­sam ge­wor­de­nen Sat­zungs­er­wei­te­rung nur im Saar­land und in Ba­den-Würt­tem­berg Flächen­ta­rif­verträge für das Tisch­ler­hand­werk ver­ein­bart. Im Mo­dell­bau­er­hand­werk hat sie mit Aus­nah­me ei­nes Fir­men­ta­rif­ver­trags kei­ne Ta­rif­ab­schlüsse er­zielt.

Mit Be­schluss des Ar­beits­ge­richts Ge­ra vom 17. Ok­to­ber 2002 - 2 BV 3/2000 - wur­de rechts­kräftig fest­ge­stellt, dass die 1990 in Ge­ra ge­gründe­te Christ­li­che Ge­werk­schaft Deutsch­lands (CGD) kei­ne Ge­werk­schaft im ar­beits-recht­li­chen Sin­ne ist. De­ren Or­ga­ni­sa­ti­ons­be­reich er­streck­te sich auf das holz-und kunst­stoff­ver­ar­bei­ten­de Hand­werk, Mo­dell­bau-Hand­werk, Raum­aus­stat­ter-Hand­werk und den Tro­cken­bau im ge­sam­ten Bun­des­ge­biet.

Die IG Me­tall hat gel­tend ge­macht, die GKH sei aus der CGD, der das Ar­beits­ge­richt Ge­ra die Ta­riffähig­keit ab­ge­spro­chen ha­be, ent­stan­den und da­mit ei­ne bloße „Auf­fang­or­ga­ni­sa­ti­on“ für die CGD. Die Gründung der GKH sei nur fünf Ta­ge nach Zu­stel­lung der Ent­schei­dung des Ar­beits­ge­richts Ge­ra er­folgt. Der Mit­glie­der­be­stand der GKH be­ste­he of­fen­bar aus den sie­ben Mit­glie­dern des Haupt­vor­stands. Nach­dem in dem Ver­fah­ren vor dem Ar­beits­ge­richt Ge­ra von der CGD vor­ge­tra­gen wor­den sei, sie ha­be im Be­reich Holz/Kunst­stoff ca. 460 Mit­glie­der, sei man­gels an­de­rer An­ga­ben der GKH da­von aus­zu­ge­hen, dass die­se kei­nes­wegs über mehr Mit­glie­der verfüge. Ihr feh­le es an ei­ner hin­rei­chend leis­tungsfähi­gen Or­ga­ni­sa­ti­on. Die in der Ver­gan­gen­heit mit dem DHV ab­ge­schlos­se­nen Ta­rif­verträge be­leg­ten we­der so­zia­le Mäch­tig­keit noch or­ga­ni­sa­to­ri­sche Leis­tungsfähig­keit der GKH. Die­se Ta­rif­verträge sei­en nicht ei­genständig, son­dern nur mit Hil­fe des DHV aus­ge­han­delt wor­den. Sie beschäfti­ge nicht ein­mal ei­ge­ne haupt­amt­li­che Mit­ar­bei­ter, son­dern sei auf frei­ge­stell­te Beschäftig­te der CGM an­ge­wie­sen. Auch be­sit­ze die GKH kei­ne aus­rei­chen­de fi­nan­zi­el­le Leis­tungsfähig­keit. Bei ei­ner un­ter­stell­ten Über­nah­me al­ler 460 Mit­glie­der der CGD und dem von der GKH ge­for­der­ten Min­dest­bei­trag von 6,00 Eu­ro ha­be sie mo­nat­li­che Ein­nah­men von le­dig­lich 2.760,00 Eu­ro.

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Die IG Me­tall hat be­an­tragt 


fest­zu­stel­len, dass die GKH kei­ne ta­riffähi­ge Ge­werk­schaft ist.

Die GKH hat zur Be­gründung ih­res Ab­wei­sungs­an­trags gel­tend ge­macht, der An­trag sei un­zulässig, weil es der IG Me­tall nur dar­um ge­he, ei­nen Kon­kur­ren­ten zu ver­drängen. Im Übri­gen sei der An­trag un­be­gründet. Die GKH sei nicht aus der CGD her­vor­ge­gan­gen. Die zeit­li­che Nähe zwi­schen der Ent­schei­dung des Ar­beits­ge­richts Ge­ra und der Gründung der GKH sei zufälli­ger Na­tur. Als sog. Ni­schen- oder Spe­zi­al­ge­werk­schaft sei sie für klei­ne Hand­werks­be­trie­be mit ei­nem ho­hen Spe­zia­li­sie­rungs­grad zuständig. Die er­for­der­li­che Durch­set­zungsfähig­keit wer­de in aus­rei­chen­der Wei­se durch den Ab­schluss von über 120 Ta­rif­verträgen be­legt. Seit An­fang des Jah­res 2007 schließe sie ei­genständi­ge oder ge­glie­der­te Ta­rif­verträge. Auf die An­zahl der Mit­glie­der, die er­heb­lich höher lie­ge als von der IG Me­tall an­ge­nom­men, kom­me es nicht ent­schei­dend an. Die Mit­glie­der­zahl wer­de nicht of­fen­ge­legt, um ih­re rea­le Durch­set­zungsfähig­keit we­der ge­genüber der IG Me­tall noch ge­genüber dem so­zia­len Ge­gen­spie­ler zu of­fen­ba­ren. Das könne die Funk­ti­onsfähig­keit der Ta­rif­au­to­no­mie in Fra­ge stel­len. Im Tisch­ler­be­reich ha­be sie die Ta­rifführer­schaft über­nom­men. Das Lohn­ni­veau der von ihr ab­ge­schlos­se­nen Ta­rif­verträge lie­ge über dem der Ta­rif­verträge der IG Me­tall. Ih­re Ta­rif­verträge fänden un­ter Berück­sich­ti­gung ar­beits­ver­trag­li­cher Be­zug­nah­men und be­trieb­li­cher Übun­gen auf mehr als 90 % der Ar­beits­verhält­nis­se in ih­rem Or­ga­ni­sa­ti­ons­ge­biet An­wen­dung. Sie verfüge im Verhält­nis zum selbst­gewähl­ten Or­ga­ni­sa­ti­ons­be­reich über ei­ne hin­rei­chend leis­tungsfähi­ge Or­ga­ni­sa­ti­on. Die Ein­hal­tung und Um­set­zung der ab­ge­schlos­se­nen Ta­rif­verträge wer­de durch eh­ren­amt­li­che Mit­ar­bei­ter über­wacht. Sie sei aus­rei­chend fi­nan­zi­ell aus­ge­stat­tet. Die lau­fen­den Ein­nah­men ermöglich­ten die Be­zah­lung der drei haupt­amt­li­chen Mit­ar­bei­ter ne­ben den lau­fen­den Kos­ten. Bei der Zu­sam­men­ar­beit mit der CGM würden le­dig­lich Sy­ner­gie­ef­fek­te in der Ver­wal­tung ge­nutzt.
 


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Die Be­tei­lig­ten zu 3), 4), 5), 9), 10), 13) und 15) ha­ben sich in den Vor­in­stan­zen dem An­trag der GKH an­ge­schlos­sen. Die übri­gen Be­tei­lig­ten ha­ben sich nicht geäußert.


Ar­beits­ge­richt und Lan­des­ar­beits­ge­richt ha­ben den An­trag ab­ge­wie­sen. Mit der vom Lan­des­ar­beits­ge­richt zu­ge­las­se­nen Rechts­be­schwer­de ver­folgt die IG Me­tall ihr Fest­stel­lungs­be­geh­ren wei­ter.

B. Die Rechts­be­schwer­de der IG Me­tall ist be­gründet. Auf der Grund­la­ge der bis­he­ri­gen Fest­stel­lun­gen durf­te das Lan­des­ar­beits­ge­richt den An­trag nicht ab­wei­sen. Dies führt zur Auf­he­bung sei­ner Ent­schei­dung und Zurück­ver­wei­sung der Sa­che an das Lan­des­ar­beits­ge­richt. Der Se­nat kann über den An­trag nicht selbst ent­schei­den. Es fehlt an aus­rei­chen­den Fest­stel­lun­gen zur Be­ur­tei­lung der Ta­riffähig­keit der GKH.


I. Über die vom Lan­des­ar­beits­ge­richt an­gehörten Be­tei­lig­ten hin­aus sind am Ver­fah­ren kei­ne wei­te­ren Per­so­nen, Ver­ei­ni­gun­gen oder Stel­len be­tei­ligt.


1. Die Be­tei­li­gung an ei­nem Ver­fah­ren zur Ent­schei­dung über die Ta­riffähig­keit ei­ner Ver­ei­ni­gung von Ar­beit­neh­mern ist - wie auch sonst in Be­schluss­ver­fah­ren - noch im Rechts­be­schwer­de­ver­fah­ren von Amts we­gen zu prüfen. Per­so­nen und Stel­len, die bis da­hin zu Un­recht nicht gehört wur­den, sind auch oh­ne Rüge zum Ver­fah­ren hin­zu­zu­zie­hen. Da­ge­gen ist im Rechts­be­schwer­de­ver­fah­ren grundsätz­lich nicht von Amts we­gen zu prüfen, ob sämt­li­che in den Vor­in­stan­zen be­tei­lig­ten Per­so­nen, Ver­ei­ni­gun­gen und Stel­len zu Recht an­gehört wur­den (BAG 14. De­zem­ber 2004 - 1 ABR 51/03 - zu B I 1 der Gründe, BA­GE 113, 82).


2. In dem Ver­fah­ren nach § 97 Abs. 1 ArbGG ist der An­trag­stel­ler not­wen­dig Be­tei­lig­ter. Die wei­te­ren Be­tei­lig­ten er­ge­ben sich aus § 83 Abs. 3 ArbGG, der gem. § 97 Abs. 2 ArbGG ent­spre­chen­de An­wen­dung fin­det. Maßgeb­lich ist die un­mit­tel­ba­re Be­trof­fen­heit in der Rechts­stel­lung als Ar­beit­neh­mer- oder Ar­beit­ge­ber­ver­ei­ni­gung. Da­her ist stets die Ver­ei­ni­gung be­tei­ligt, über de­ren Ta­riffähig­keit ge­strit­ten wird. Be­tei­ligt sind fer­ner die Ar­beit­neh­mer-

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und Ar­beit­ge­ber­sei­te, so­weit die Ent­schei­dung sie berühren kann. Da­bei ist grundsätz­lich die Be­tei­li­gung der je­wei­li­gen Spit­zen­verbände aus­rei­chend. Er­streckt sich die Zuständig­keit der Ver­ei­ni­gung, de­ren Ta­riffähig­keit um­strit­ten ist, auf das Ge­biet meh­re­rer Bun­desländer, ist in dem Ver­fah­ren auch die obers­te Ar­beits­behörde des Bun­des be­tei­ligt (BAG 28. März 2006 - 1 ABR 58/04 - Rn. 19, BA­GE 117, 308).


3. Hier­nach ist nicht er­sicht­lich, dass im vor­lie­gen­den Ver­fah­ren die Anhörung ei­ner Ver­ei­ni­gung oder Stel­le un­ter­blie­ben wäre, die durch die zu tref­fen­de Ent­schei­dung in ih­rer Rechts­stel­lung als Ar­beit­neh­mer- oder Ar­beit­ge­ber­ver­ei­ni­gung un­mit­tel­bar be­trof­fen ist. Auch sind Rügen ge­gen die vom Lan­des­ar­beits­ge­richt an­ge­nom­me­ne Be­tei­li­gung von kei­ner Sei­te er­ho­ben wor­den.

II. Die Vor­in­stan­zen ha­ben den An­trag zu Recht als zulässig an­ge­se­hen. 


1. Der An­trag ist hin­rei­chend be­stimmt iSd. im ar­beits­ge­richt­li­chen Be­schluss­ver­fah­ren an­wend­ba­ren § 253 Abs. 2 Nr. 2 ZPO. Mit ihm soll geklärt wer­den, ob die GKH Ta­rif­ver­trags­par­tei iSv. § 2 Abs. 1 TVG sein kann.

2. Die IG Me­tall ist an­trags­be­rech­tigt. 


a) Gem. § 97 Abs. 1 ArbGG kann das Ver­fah­ren über die Ta­riffähig­keit ei­ner Ver­ei­ni­gung auf An­trag ei­ner räum­lich und sach­lich zuständi­gen Ge­werk­schaft, auf de­ren Ge­biet sich die Tätig­keit der Ver­ei­ni­gung er­streckt, ein­ge­lei­tet wer­den. Er­for­der­lich ist, dass sich der räum­li­che und sach­li­che Zuständig­keits­be­reich der an­trag­stel­len­den Ge­werk­schaft zu­min­dest teil­wei­se mit den Zuständig­keits­be­rei­chen der Ver­ei­ni­gung deckt, de­ren Ta­riffähig­keit be­strit­ten wird (vgl. BAG 14. De­zem­ber 2004 - 1 ABR 51/03 - zu B II 2 der Gründe, BA­GE 113, 82).


b) Die­se An­for­de­run­gen erfüllt die An­trag­stel­le­rin. Der Or­ga­ni­sa­ti­ons­be­reich der IG Me­tall er­streckt sich seit der Sat­zungsände­rung vom 1. Ja­nu­ar 2000 auch auf Hand­werks­be­trie­be im Be­reich der Holz­be­ar­bei­tung, Holz­ver-

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ar­bei­tung und Kunst­stoff­ver­ar­bei­tung. Die IG Me­tall selbst ist ta­riffähig. Die ge­ne­rel­le Ta­riffähig­keit der IG Me­tall wird auch von kei­nem Be­tei­lig­ten in Fra­ge ge­stellt. Un­er­heb­lich ist, dass die IG Me­tall im Be­reich der Holz­be­ar­bei­tung, Holz­ver­ar­bei­tung und Kunst­stoff­ver­ar­bei­tung bis­lang nur ver­ein­zelt im Saar­land und in Ba­den-Würt­tem­berg Ta­rif­ab­schlüsse er­zielt hat. Die Ta­riffähig­keit ei­ner Ar­beit­neh­mer­ver­ei­ni­gung für den be­an­spruch­ten Zuständig­keits­be­reich ist ein­heit­lich und un­teil­bar. Hierfür genügt es, dass die Ar­beit­neh­mer­ver­ei­ni­gung Durch­set­zungs­kraft und or­ga­ni­sa­to­ri­sche Leis­tungsfähig­keit in ei­nem zu­min­dest nicht un­er­heb­li­chen Teil des be­an­spruch­ten Zuständig­keits­be­reichs be­sitzt. Es gibt kei­ne par­ti­el­le, auf be­stimm­te Re­gio­nen, Be­rufs­krei­se oder Bran­chen be­schränk­te Ta­riffähig­keit (BAG 28. März 2006 - 1 ABR 58/04 - Rn. 56 ff., BA­GE 117, 308).

3. Die IG Me­tall hat an der be­gehr­ten Fest­stel­lung das nach § 256 Abs. 1 ZPO er­for­der­li­che recht­li­che In­ter­es­se. Dies folgt schon dar­aus, dass das Ge­setz in § 97 Abs. 1 ArbGG ei­ner räum­lich und fach­lich zuständi­gen Ver­ei­ni­gung von Ar­beit­neh­mern das Recht einräumt, ein Ver­fah­ren nach § 2a Abs. 1 Nr. 4 ArbGG zur Ent­schei­dung über die Ta­riffähig­keit ei­ner Ver­ei­ni­gung ein­zu­lei­ten. Aus die­sem Grund ist der An­trag der IG Me­tall auch nicht we­gen ei­nes be­ste­hen­den Kon­kur­renz­verhält­nis­ses rechts­miss­bräuch­lich. Der­art wi­der­strei­ten­de In­ter­es­sen sind Ver­fah­ren nach § 97 Abs. 1 ArbGG zur Fest­stel­lung der Ta­riffähig­keit ei­ner Ar­beit­neh­mer­ver­ei­ni­gung ty­pi­scher­wei­se ei­gen.


III. Die Rechts­be­schwer­de der IG Me­tall ist be­gründet. Das Lan­des­ar­beits­ge­richt hat auf der Grund­la­ge der bis­her ge­trof­fe­nen Fest­stel­lun­gen zu Un­recht die Ta­riffähig­keit der GKH be­jaht.


1. We­der der Be­griff noch die An­for­de­run­gen, die an die Ta­riffähig­keit ei­ner Ar­beit­neh­mer­ver­ei­ni­gung zu stel­len sind, sind ge­setz­lich ge­re­gelt. § 2 Abs. 1 TVG be­stimmt den Be­griff der ta­riffähi­gen Ge­werk­schaft nicht, son­dern setzt ihn vor­aus. Die Re­ge­lung in A III 2 des Staats­ver­trags über die Schaf­fung ei­ner Währungs-, Wirt­schafts- und So­zi­al­uni­on zwi­schen der Bun­des­re­pu­blik Deutsch­land und der Deut­schen De­mo­kra­ti­schen Re­pu­blik vom 18. Mai 1990


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und dem Ge­mein­sa­men Pro­to­koll über Leitsätze, die na­he­zu wort­gleich den von der Recht­spre­chung ent­wi­ckel­ten An­for­de­run­gen ent­spricht, stellt eben­falls kei­ne ge­setz­li­che Nor­mie­rung der an die Ta­riffähig­keit ei­ner Ar­beit­neh­mer­ver­ei­ni­gung zu stel­len­den Vor­aus­set­zun­gen dar. Sie hat zwar durch das Zu­stim­mungs­ge­setz des Bun­des­tags vom 25. Ju­ni 1990 (BGBl. II S. 518) Auf­nah­me in den Wil­len des Ge­setz­ge­bers ge­fun­den. Ma­te­ri­el­les Ge­setz ist sie da­durch aber nicht ge­wor­den (BAG 6. Ju­ni 2000 - 1 ABR 21/99 - zu B II 4 c der Gründe, BA­GE 95, 47). Es ist da­her Auf­ga­be der Ge­rich­te für Ar­beits­sa­chen, im Rah­men der an sie her­an­ge­tra­ge­nen Strei­tig­keit den un­be­stimm­ten Rechts­be­griff durch Aus­le­gung im Lich­te des Art. 9 Abs. 3 GG aus­zufüllen (vgl. BVerfG 20. Ok­to­ber 1981 - 1 BvR 404/78 - zu B I 2 der Gründe, BVerfGE 58, 233) und da­bei die im Zu­stim­mungs­ge­setz vom 25. Ju­ni 1990 zum Aus­druck ge­kom­me­ne Wil­lens­be­kun­dung der Ge­setz­ge­bungs­or­ga­ne der Bun­des­re­pu­blik Deutsch­land zu be­ach­ten (BAG 28. März 2006 - 1 ABR 58/04 - Rn. 36, BA­GE 117, 308).


2. Nach der Recht­spre­chung des Se­nats muss ei­ne Ar­beit­neh­mer­ver­ei­ni­gung be­stimm­te Min­dest­vor­aus­set­zun­gen erfüllen, um ta­riffähig zu sein.


a) Die Ko­ali­ti­on muss sich als sat­zungs­gemäße Auf­ga­be die Wahr­neh­mung der In­ter­es­sen ih­rer Mit­glie­der in de­ren Ei­gen­schaft als Ar­beit­neh­mer ge­setzt ha­ben und wil­lens sein, Ta­rif­verträge zu schließen.

b) Sie muss frei ge­bil­det, geg­ner­frei, un­abhängig und auf über­be­trieb­li­cher Grund­la­ge or­ga­ni­siert sein und das gel­ten­de Ta­rif­recht als ver­bind­lich an­er­ken­nen. Darüber hin­aus muss sie über Durch­set­zungs­kraft ge­genüber dem so­zia­len Ge­gen­spie­ler und über ei­ne leis­tungsfähi­ge Or­ga­ni­sa­ti­on verfügen (BAG 28. März 2006 - 1 ABR 58/04 - Rn. 34 mwN, BA­GE 117, 308).

aa) Das Er­for­der­nis der Geg­ner­un­abhängig­keit ist al­ler­dings nicht im for­ma­len, son­dern im ma­te­ri­el­len Sinn zu ver­ste­hen. Es soll si­cher­stel­len, dass die Ver­ei­ni­gung durch ih­re ko­ali­ti­onsmäßige Betäti­gung zu ei­ner sinn­vol­len Ord­nung des Ar­beits­le­bens bei­tra­gen kann (BVerfG 10. De­zem­ber 1985 - 1 BvR 1724/83 - zu 2 b bb der Gründe, AP Be­trVG 1972 § 40 Nr. 20a). Die
 


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er­for­der­li­che Geg­ner­un­abhängig­keit fehlt, wenn die Abhängig­keit vom so­zia­len Ge­gen­spie­ler in der Struk­tur der Ar­beit­neh­mer­ver­ei­ni­gung an­ge­legt und ver­ste­tigt und die ei­genständi­ge In­ter­es­sen­wahr­neh­mung der Ta­rif­ver­trags­par­tei durch per­so­nel­le Ver­flech­tun­gen, auf or­ga­ni­sa­to­ri­schem Weg oder durch we­sent­li­che fi­nan­zi­el­le Zu­wen­dun­gen ernst­haft gefähr­det ist. Dar­an ist ins­be­son­de­re zu den­ken, wenn sie sich im We­sent­li­chen nicht aus den Beiträgen ih­rer Mit­glie­der fi­nan­ziert und des­halb zu befürch­ten ist, dass die Ar­beit­ge­ber­sei­te durch An­dro­hung der Zah­lungs­ein­stel­lung die Wil­lens­bil­dung auf Ar­beit­neh­mer­sei­te be­ein­flus­sen kann (BAG 14. De­zem­ber 2004 - 1 ABR 51/03 - zu B III 2 d aa der Gründe mwN, BA­GE 113, 82).

bb) Ei­ne ta­riffähi­ge Ar­beit­neh­mer­ver­ei­ni­gung muss so­zi­al mäch­tig und von ih­rem or­ga­ni­sa­to­ri­schen Auf­bau her in der La­ge sein, die ihr ge­stell­ten Auf­ga­ben ei­ner Ta­rif­ver­trags­par­tei zu erfüllen (BVerfG 24. Fe­bru­ar 1999 - 1 BvR 123/93 - zu B II 2 b bb der Gründe, BVerfGE 100, 214). Der ihr da­mit ob­lie­gen­den Mit­wir­kung am Zu­stan­de­kom­men ei­nes an­ge­mes­se­nen, so­zi­al be­frie­den­den In­ter­es­sen­aus­gleichs kann sie nur sach­ge­recht nach­kom­men, wenn sie auf die Ar­beit­ge­ber­sei­te zu­min­dest so viel Druck ausüben kann, dass die­se sich ver­an­lasst sieht, sich auf Ver­hand­lun­gen über ta­rif­ver­trag­lich re­gel­ba­re Ar­beits­be­din­gun­gen ein­zu­las­sen (BAG 28. März 2006 - 1 ABR 58/04 - Rn. 39, BA­GE 117, 308).

3. Die­se An­for­de­run­gen an die Ta­riffähig­keit ei­ner Ar­beit­neh­mer­ko­ali­ti­on si­chern die Funk­ti­onsfähig­keit der Ta­rif­au­to­no­mie und sind ge­mes­sen an die­sem Re­ge­lungs­ziel ver­fas­sungs­recht­lich nicht zu be­an­stan­den.

a) Nach der Recht­spre­chung des Bun­des­ver­fas­sungs­ge­richts ist der Staat zwar ver­pflich­tet, ein Ta­rif­ver­trags­sys­tem be­reit­zu­stel­len, aber nicht ge­hal­ten, jed­we­de Ko­ali­ti­on zum Ab­schluss von Ta­rif­verträgen zu­zu­las­sen. Ta­rif­au­to­no­mie steht von Ver­fas­sungs­we­gen viel­mehr nur sol­chen Ko­ali­tio­nen zu, die in der La­ge sind, den von der staat­li­chen Rechts­ord­nung frei­ge­las­se­nen Raum des Ar­beits­le­bens durch Ta­rif­verträge sinn­voll zu ge­stal­ten. Das setzt Ge­schlos­sen­heit der Or­ga­ni­sa­ti­on und Durch­set­zungs­kraft ge­genüber dem so­zia-
 


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len Ge­gen­spie­ler vor­aus (24. Fe­bru­ar 1999 - 1 BvR 123/93 - zu B II 2 b bb der Gründe, BVerfGE 100, 214). Oh­ne die­se Fähig­keit wäre die Ar­beit­neh­mer­ver­ei­ni­gung vom gu­ten Wil­len der Ar­beit­ge­ber­sei­te und an­de­rer Ar­beit­neh­mer­ko­ali­tio­nen abhängig und könn­te den Auf­ga­ben der Ta­rif­au­to­no­mie nicht ge­recht wer­den (vgl. BVerfG 20. Ok­to­ber 1981 - 1 BvR 404/78 - zu B I 2 der Gründe, BVerfGE 58, 233).


b) Die Ta­riffähig­keit ei­ner Ar­beit­neh­mer­or­ga­ni­sa­ti­on be­stimmt sich nach ei­ner Ge­wich­tung der hierfür von der Recht­spre­chung ent­wi­ckel­ten Kri­te­ri­en ent­spre­chend den Umständen des Ein­zel­falls. Da­bei dürfen die je­wei­li­gen An­for­de­run­gen an die Ta­riffähig­keit und da­mit an die so­zia­le Mäch­tig­keit so­wie die or­ga­ni­sa­to­ri­sche Leis­tungsfähig­keit ei­ner Ar­beit­neh­mer­ver­ei­ni­gung nicht von Umständen abhängig ge­macht wer­den, die nicht von der im all­ge­mei­nen In­ter­es­se lie­gen­den Auf­ga­be der Ko­ali­tio­nen, das Ar­beits­le­ben zu ord­nen und zu be­frie­den, ge­for­dert wer­den (BVerfG 20. Ok­to­ber 1981 - 1 BvR 404/78 - zu B I 1 der Gründe, BVerfGE 58, 233). An­for­de­run­gen, die nicht zur Si­che­rung der Funk­ti­onsfähig­keit der Ta­rif­au­to­no­mie ge­eig­net, er­for­der­lich und an­ge­mes­sen sind, über­schrei­ten die Gren­ze der Aus­ge­stal­tung. Die da­mit ver­bun­de­ne Be­ein­träch­ti­gung der Ko­ali­ti­ons­betäti­gungs­frei­heit wäre ver­fas­sungs­recht­lich nicht zu recht­fer­ti­gen.


aa) Da die an die Ta­riffähig­keit zu stel­len­den An­for­de­run­gen nicht un­verhält­nismäßig auf die durch Art. 9 Abs. 3 GG geschütz­te freie Bil­dung und Betäti­gung ei­ner Ko­ali­ti­on zurück­wir­ken dürfen, kann Durch­set­zungsfähig­keit ge­genüber dem so­zia­len Ge­gen­spie­ler nicht be­deu­ten, dass die Ar­beit­neh­mer­ko­ali­ti­on die Chan­ce des vollständi­gen Sie­ges ha­ben muss. Es muss nur er­war­tet wer­den können, dass sie auf­grund ih­rer Mit­glie­der- oder Or­ga­ni­sa­ti­onsstärke vom Geg­ner ernst ge­nom­men wird und des­halb die Re­ge­lung der Ar­beits­be­din­gun­gen nicht ei­nem Dik­tat der Ar­beit­ge­ber­sei­te ent­springt (BVerfG 20. Ok­to­ber 1981 - 1 BvR 404/78 - zu B I 2 der Gründe, BVerfGE 58, 233; BAG 28. März 2006 - 1 ABR 58/04 - Rn. 39 mwN, BA­GE 117, 308).

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bb) Eben­so we­nig kann von ei­ner Ar­beit­neh­mer­ver­ei­ni­gung ei­ne Or­ga­ni­sa­ti­on ver­langt wer­den, die aus­sch­ließlich oder über­wie­gend von Mit­ar­bei­tern ge­tra­gen wird, die in ei­nem Ar­beits­verhält­nis zu ihr ste­hen. Es muss je­doch gewähr­leis­tet sein, dass die Ar­beit­neh­mer­ver­ei­ni­gung über loya­le Mit­ar­bei­ter verfügt, die ihr und ih­ren Mit­glie­dern im Kon­flikt­fall ver­pflich­tet sind und nicht dem be­stim­men­den Ein­fluss Drit­ter un­ter­lie­gen. Ent­spre­chen­des gilt, wenn ei­ne Ar­beit­neh­mer­ver­ei­ni­gung im We­sent­li­chen vom Auf­bau ei­ner ei­ge­nen Or­ga­ni­sa­ti­on ab­sieht und sich hierfür der Ein­rich­tun­gen und des Per­so­nals ei­ner an­de­ren Ar­beit­neh­mer­ver­ei­ni­gung be­dient. In ei­nem sol­chen Fall be­darf es be­son­de­rer Vor­keh­run­gen, die si­cher­stel­len, dass die Ar­beit­neh­mer­ver­ei­ni­gung nicht zum „verlänger­ten Arm“ der­je­ni­gen Ver­ei­ni­gung wird, de­ren Or­ga­ni­sa­ti­on sie sich be­dient. Da­zu gehört auch, dass die­je­ni­gen, die das Ta­rif­ge­sche­hen be­stim­men, ei­ne ge­wis­se fach­li­che Nähe hier­zu auf­wei­sen. Denn die­se ist Grund­la­ge des sog. Rich­tig­keits­ver­trau­ens in Ta­rif­verträge, an das die Er­war­tung knüpft, dass die ver­ein­bar­ten Ar­beits­be­din­gun­gen und -ent­gel­te den Be­son­der­hei­ten der je­wei­li­gen Bran­che Rech­nung tra­gen und des­halb nur ei­ner ein­ge­schränk­ten ver­fas­sungs- wie ein­fach­recht­li­chen Kon­trol­le un­ter­lie­gen (BAG 7. Ju­ni 2006 - 4 AZR 316/05 - Rn. 30, BA­GE 118, 232; 28. März 2006 - 1 ABR 58/04 - Rn. 47, BA­GE 117, 308; 24. März 2004 - 5 AZR 303/03 - zu I 2 b der Gründe, BA­GE 110, 79).


4. Für die ein­zel­fall­be­zo­ge­ne Be­ur­tei­lung der Mäch­tig­keit und Leis­tungsfähig­keit ei­ner Ar­beit­neh­mer­ver­ei­ni­gung kommt nach der Se­nats­recht­spre­chung der Mit­glie­der­zahl ei­ne ent­schei­den­de Be­deu­tung zu (14. De­zem­ber 2004 - 1 ABR 51/03 - zu B III 2 e aa der Gründe, BA­GE 113, 82). Darüber hin­aus kommt es auf die Teil­nah­me am Ta­rif­ge­sche­hen an (28. März 2006 - 1 ABR 58/04 - Rn. 63 ff., BA­GE 117, 308).


a) Die Zahl der or­ga­ni­sier­ten Ar­beit­neh­mer be­stimmt zunächst die fi­nan­zi­el­le Aus­stat­tung ei­ner Ar­beit­neh­mer­ko­ali­ti­on. Sie ent­schei­det über de­ren or­ga­ni­sa­to­ri­sche Leis­tungsfähig­keit und auch darüber, ob ei­ne Ar­beit­neh­mer­ver­ei­ni­gung in der La­ge ist, die mit dem Ab­schluss von Ta­rif­verträgen ver­bun­de­nen fi­nan­zi­el­len und per­so­nel­len Las­ten zu tra­gen (BAG 28. März 2006
 


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- 1 ABR 58/04 - Rn. 75, BA­GE 117, 308). Vor al­lem aber gibt die Mit­glie­der­zahl im selbst gewähl­ten fach­li­chen und räum­li­chen Zuständig­keits­be­reich Auf­schluss darüber, ob ei­ne Ar­beit­neh­mer­ver­ei­ni­gung un­ter Berück­sich­ti­gung ih­res or­ga­ni­sa­to­ri­schen Auf­baus über­haupt in der La­ge ist, hin­rei­chen­den Druck auf den so­zia­len Ge­gen­spie­ler auf­zu­bau­en, um Ver­hand­lun­gen über den Ab­schluss ei­nes Ta­rif­ver­trags zu er­zwin­gen. Die­se Fähig­keit kann sich auch dar­aus er­ge­ben, dass es sich bei den or­ga­ni­sier­ten Ar­beit­neh­mern um Spe­zia­lis­ten in Schlüssel­stel­lun­gen han­delt, die von der Ar­beit­ge­ber­sei­te im Fall ei­nes Ar­beits­kamp­fes kurz­fris­tig nur schwer er­setzt wer­den können. Ins­ge­samt genügt es, wenn ei­ne Ar­beit­neh­mer­ko­ali­ti­on ei­ne mit­glieds­be­zo­ge­ne Durch­set­zungsfähig­keit in ei­nem zu­min­dest nicht un­er­heb­li­chen Teil des be­an­spruch­ten Zuständig­keits­be­reichs be­sitzt. Be­reits dies lässt er­war­ten, dass sich die Ver­ei­ni­gung auch in den Be­rei­chen, in de­nen es ihr an Durch­set­zungs­kraft fehlt, beim Ab­schluss von Ta­rif­verträgen nicht den For­de­run­gen der Ar­beit­ge­ber­sei­te un­ter­wirft (BAG 28. März 2006 - 1 ABR 58/04 - Rn. 57, aaO).


b) Ver­blei­ben Zwei­fel an der durch die Mit­glie­der ver­mit­tel­ten so­zia­len Mäch­tig­keit und der or­ga­ni­sa­to­ri­schen Leis­tungsfähig­keit, kann zur Fest­stel­lung der Durch­set­zungs­kraft ei­ner Ar­beit­neh­mer­ko­ali­ti­on auch de­ren langjähri­ge Teil­nah­me am Ta­rif­ge­sche­hen in die Be­ur­tei­lung ein­be­zo­gen wer­den. Ei­ne ei­ge­ne ak­ti­ve und dau­er­haf­te Be­tei­li­gung am Pro­zess der ta­rif­li­chen Re­ge­lung von Ar­beits­be­din­gun­gen in ei­nem re­le­van­ten Teil des be­an­spruch­ten Zuständig­keits­be­reichs kann ein Be­leg dafür sein, dass die Ko­ali­ti­on von der Ar­beit­ge­ber­sei­te wahr- und ernst­ge­nom­men wird (BAG 28. März 2006 - 1 ABR 58/04 - Rn. 80 ff., BA­GE 117, 308).

aa) Hat ei­ne Ar­beit­neh­mer­ver­ei­ni­gung ori­ginär aus­ge­han­del­te, ei­genständi­ge Ta­rif­verträge in nen­nens­wer­tem Um­fang ge­schlos­sen, ist die­ser Um­stand ge­eig­net, ih­re Durch­set­zungsfähig­keit zu be­le­gen, so­weit es sich nicht um Schein- oder Gefällig­keits­ta­rif­verträge han­delt oder sol­che, die auf ei­nem Dik­tat der Ar­beit­ge­ber­sei­te be­ru­hen (BAG 28. März 2006 - 1 ABR 58/04 - Rn. 65 ff., BA­GE 117, 308; 14. De­zem­ber 2004 - 1 ABR 51/03 - zu B III 2 e aa der Gründe, BA­GE 113, 82). Ta­rif­ab­schlüsse, die von ei­ner Ta­rif­ge­mein­schaft
 


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er­zielt wer­den, können da­ge­gen nicht als ein zu­verlässi­ges In­diz dafür an-ge­se­hen wer­den, dass die ein­zel­nen Mit­glie­der der Ta­rif­ge­mein­schaft je­weils für sich ge­nom­men von den Ar­beit­ge­bern ernst ge­nom­men wer­den und je­weils die er­for­der­li­che Durch­set­zungs­kraft be­sit­zen. In die­sen Fällen kommt es viel­mehr auf­grund des ge­mein­sa­men Auf­tre­tens der in der Ta­rif­ge­mein­schaft zu­sam­men­ge­fass­ten Ar­beit­neh­mer­ver­ei­ni­gun­gen zum Ta­rif­ab­schluss, oh­ne dass den ein­zel­nen Ko­ali­tio­nen hier­bei in­di­vi­du­el­le Ver­hand­lungs­beiträge zu­ge­ord­net wer­den können.


bb) Ei­ne nen­nens­wer­te An­zahl be­reits ab­ge­schlos­se­ner Ta­rif­verträge in­di­ziert re­gelmäßig auch die or­ga­ni­sa­to­ri­sche Fähig­keit zu de­ren Vor­be­rei­tung und Ab­schluss. Für die Fähig­keit, die tatsächli­che Durchführung ei­nes Ta­rif­ver­trags zu über­wa­chen, gilt das al­ler­dings nur ein­ge­schränkt. In­so­weit genügt aber, dass die Ar­beit­neh­mer­ko­ali­ti­on im Be­darfs­fall die tatsächli­che Ein­hal­tung der von ihr ge­schlos­se­nen Ta­rif­verträge kon­trol­lie­ren und gewähr­leis­ten kann (BAG 28. März 2006 - 1 ABR 58/04 - Rn. 74, BA­GE 117, 308).

c) Be­tei­ligt sich ei­ne noch jun­ge Ar­beit­neh­mer­ko­ali­ti­on im zeit­li­chen Zu­sam­men­hang mit ih­rer Gründung am Aus­han­deln von Ta­rif­verträgen, kann oh­ne An­ga­ben zur Zahl ih­rer Mit­glie­der und or­ga­ni­sa­to­ri­schen Leis­tungsfähig­keit al­lein die An­zahl ab­ge­schlos­se­ner Ta­rif­verträge ih­re Ta­riffähig­keit nicht be­le­gen. Denn die Ta­riffähig­keit ei­ner Ar­beit­neh­mer­ko­ali­ti­on ent­steht nicht mit dem Ab­schluss von Ta­rif­verträgen, son­dern ist hierfür Wirk­sam­keits­vor­aus­set­zung (vgl. Grei­ner Anm. BAG 28. März 2006 - 1 ABR 58/04 - EzA TVG § 2 Nr. 28; Hens­s­ler So­zia­le Mäch­tig­keit und or­ga­ni­sa­to­ri­sche Leis­tungsfähig­keit als Vor­aus­set­zun­gen der Ta­riffähig­keit für Ge­werk­schaf­ten 2006 S. 43). Da­her hat ei­ne sol­che Ar­beit­neh­mer­ver­ei­ni­gung Tat­sa­chen dar­zu­le­gen und im Streit­fall zu be­wei­sen, die den Schluss recht­fer­ti­gen, die Ar­beit­ge­ber­sei­te ha­be sie be­reits beim erst­ma­li­gen Aus­han­deln von Ta­rif­verträgen nicht igno­rie­ren können. Grund­la­ge die­ser Einschätzung ist die Mit­glie­der­zahl oder Mit­glie­der­struk­tur der Ar­beit­neh­mer­ko­ali­ti­on, die ihr so­zia­le Mäch­tig­keit und Leis­tungsfähig­keit aus ei­ge­nem Ge­wicht be­reits zu die­sem Zeit­punkt ver­mit­teln muss und Grund­la­ge der An­nah­me ist, die Ar­beit­neh­mer­ver­ei­ni­gung ha­be auch für
 


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künf­ti­ge Ta­rif­ver­hand­lun­gen die er­for­der­li­che Durch­set­zungs­kraft. Das schließt zu­gleich die An­nah­me aus, die Ar­beit­ge­ber­sei­te ha­be sich nur mit dem Ziel auf Ta­rif­ver­hand­lun­gen mit ihr ein­ge­las­sen, um auf die­sem We­ge ge­setz­li­che Ta­rif­vor­be­hal­te oder -öff­nun­gen zu ih­ren Guns­ten nut­zen und die Ar­beits­be­din­gun­gen der nicht or­ga­ni­sier­ten Ar­beit­neh­mer durch ent­spre­chen­de Ver­wei­se re­geln zu können. Ent­spre­chen­de Klau­seln fin­den sich et­wa in § 310 Abs. 4, § 622 Abs. 4 Satz 1 und 2 BGB, § 8 Abs. 4 Satz 3 und 4, § 12 Abs. 3 Satz 1 und 2, § 13 Abs. 4 Satz 1 und 2, § 14 Abs. 2 Satz 3 und 4 Tz­B­fG, in § 13 Abs. 1 BUrlG, § 3 Abs. 1 Nr. 3 Satz 2 und 3 AÜG.


5. Hier­von aus­ge­hend hat das Lan­des­ar­beits­ge­richt auf der Grund­la­ge der von ihm ge­trof­fe­nen Fest­stel­lun­gen zu Un­recht den An­trag der IG Me­tall ab­ge­wie­sen.


a) Das Lan­des­ar­beits­ge­richt hat un­zu­tref­fend an­ge­nom­men, es könne von ei­ner Fest­stel­lung der Or­ga­ni­sa­ti­onsstärke der GKH ab­se­hen, weil die­se be­reits über 120 Ta­rif­verträge ab­ge­schlos­sen ha­be und da­mit ih­re Durch­set­zungsfähig­keit in­di­ziert sei. Da­bei hat es nicht hin­rei­chend be­ach­tet, dass es sich bei der GKH um ei­ne noch jun­ge Ar­beit­neh­mer­ver­ei­ni­gung han­delt, die sich be­reits kurz nach ih­rer Gründung im Jah­re 2003 am Ta­rif­ge­sche­hen durch den Ab­schluss von Ta­rif­verträgen be­tei­ligt hat. Die In­dizwir­kung der Ta­rif­ab­schlüsse bestünde nur dann, wenn die GKH - die selbst von ei­ner seit Gründung vor­han­de­nen Ta­riffähig­keit aus­geht - ab die­sem Zeit­punkt über ei­ne mit­glieds­be­zo­ge­ne so­zia­le Mäch­tig­keit verfügt hätte. Das kann aber oh­ne jed­we­de An­ga­be zur Zahl der Mit­glie­der nicht be­ur­teilt wer­den.


b) Zur Be­gründung sei­ner Rechts­auf­fas­sung kann sich das Lan­des­ar­beits­ge­richt nicht auf die Se­nats­ent­schei­dung vom 28. März 2006 (- 1 ABR 58/04 - BA­GE 117, 308) be­ru­fen. Dar­in hat der Se­nat für die Be­ur­tei­lung der so­zia­len Mäch­tig­keit ei­ner Ar­beit­neh­mer­ver­ei­ni­gung we­der al­lein auf die In­dizwir­kung von Ta­rif­ab­schlüssen ab­ge­stellt noch auf aus­sa­ge­kräfti­ge Fest­stel­lun­gen zur Mit­glie­derstärke und Or­ga­ni­sa­ti­ons­struk­tur ver­zich­tet. Da­nach ist die In­dizwir­kung von Ta­rif­ab­schlüssen viel­mehr erst dann von Be­deu­tung, wenn
 


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an­ge­sichts fest­ge­stell­ter Mit­glie­derstärke und or­ga­ni­sa­to­ri­schem Auf­bau Zwei­fel an der Durch­set­zungs- und Leis­tungsfähig­keit ei­ner Ar­beit­neh­mer­ver­ei­ni­gung blei­ben (28. März 2006 - 1 ABR 58/04 - Rn. 79, aaO).


c) Die An­nah­me der GKH, sie brau­che ih­re Mit­glie­der­zahl nicht of­fen­zu­le­gen oder nach­zu­wei­sen, weil die Ge­werk­schafts­zu­gehörig­keit zu den be­son­ders geschütz­ten Da­ten iSd. § 3 Abs. 9 BDSG gehöre und es ihr auch nicht zu­ge­mu­tet wer­den könne, ih­re Mit­glie­der­zahl der­art kon­kret an­zu­ge­ben, dass die IG Me­tall als kon­kur­rie­ren­de Ge­werk­schaft so­wie die am Ver­fah­ren be­tei­lig­ten Ar­beit­ge­ber­verbände ei­nen Ein­blick in die re­gio­nal un­ter­schied­li­chen Stärken der GKH er­hiel­ten, ist un­zu­tref­fend. Die GKH muss ih­re Mit­glie­der nicht na­ment­lich be­nen­nen und muss auch nicht den Mit­glie­der­be­stand im Ein­zel­nen re­gio­nal auf­schlüsseln. Aus ih­ren mit­glieds­be­zo­ge­nen Dar­le­gun­gen muss sich al­ler­dings er­ge­ben, dass sie nicht nur in ei­nem klei­nen un­be­deu­ten­den Teil ih­res selbst­gewähl­ten fach­li­chen und räum­li­chen Zuständig­keits­be­reichs durch­set­zungsfähig und da­mit auch in der La­ge ist, flächen­de­ckend Ta­rif­verträge aus­zu­han­deln, die den In­ter­es­sen bei­der Sei­ten ge­recht wer­den (BAG 28. März 2006 - 1 ABR 58/04 - Rn. 60, BA­GE 117, 308; vgl. BVerfG 20. Ok­to­ber 1981 - 1 BvR 404/78 - B I 3 a der Gründe, BVerfGE 58, 233). Auch wenn die An­ga­ben zur Mit­glie­der­zahl so­wohl der kon­kur­rie­ren­den Ar­beit­neh­mer­ver­ei­ni­gung als auch dem so­zia­len Ge­gen­spie­ler Rück­schlüsse auf die tatsächli­che Durch­set­zungsstärke ei­ner Ar­beit­neh­mer­ver­ei­ni­gung er­lau­ben, kann auf An­ga­ben hier­zu nicht ver­zich­tet wer­den. Die Funk­ti­onsfähig­keit der Ta­rif­au­to­no­mie ver­langt nicht den Schutz ei­ner „ima­ginären Ver­bands­macht“, son­dern be­ruht auf der rea­len Durch­set­zungsfähig­keit und Ge­schlos­sen­heit ei­ner Ar­beit­neh­mer­ver­ei­ni­gung. An­sons­ten würde sog. „Phan­tom­ge­werk­schaf­ten“ Vor­schub ge­leis­tet, al­so sol­chen Ver­ei­ni­gun­gen, de­nen kei­ne oder nur ei­ne zu ver­nachlässi­gen­de Zahl an Ar­beit­neh­mern an­gehören, de­ren Ar­beits­be­din­gun­gen zu re­geln sind und auf de­ren Ver­hand­lungs­an­ge­bot die Ar­beit­ge­ber­sei­te letzt­lich nur des­we­gen ein­geht, um die Ar­beits­be­din­gun­gen der nicht­or­ga­ni­sier­ten Ar­beit­neh­mer durch Gleich­stel­lungs­ab­re­den zu re­geln und da­mit ei­ner AGB-Kon­trol­le ent­zie­hen zu können.
 


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6. Auf der Grund­la­ge der vom Lan­des­ar­beits­ge­richt ge­trof­fe­nen Fest­stel­lun­gen kann der Se­nat über die Ta­riffähig­keit der GKH nicht selbst ent­schei­den (§ 563 Abs. 3 ZPO). Der Be­schluss des Lan­des­ar­beits­ge­richts ist da­her auf­zu­he­ben und die Sa­che zur neu­en Anhörung und Ent­schei­dung an das Lan­des­ar­beits­ge­richt zurück­zu­ver­wei­sen.

a) Bis­her fehlt es an An­ga­ben der GKH zur Zahl und Ver­tei­lung ih­rer Mit­glie­der im selbst gewähl­ten Zuständig­keits­be­reich, oh­ne die ih­re Ver­bands­macht nicht be­ur­teilt wer­den kann. Da­zu kann sich die GKH im Be­strei­tens­fall al­ler pro­zes­su­al zulässi­ger Be­weis­mit­tel be­die­nen.


b) Ob die GKH über ei­ne aus­rei­chen­de or­ga­ni­sa­to­ri­sche Leis­tungsfähig­keit verfügt, kann nach den Fest­stel­lun­gen des Lan­des­ar­beits­ge­richts nicht be­ur­teilt wer­den. Da­nach wird sie von sie­ben Mit­glie­dern des Haupt­vor­stan­des (im Ne­ben­amt) geführt. Sie beschäftigt kei­ne haupt­amt­li­chen Mit­ar­bei­ter und hat kei­ne Geschäfts­stel­le, über die sie al­lei­ne verfügt, son­dern nutzt auf­grund ei­ner Rah­men­ver­ein­ba­rung die ent­spre­chen­den Ver­wal­tungs­ein­hei­ten mit der CGM. In drei Geschäfts­stel­len (Pa­der­born, Ber­lin, Ge­ra) ist je ein haupt­amt­li­cher Ar­beit­neh­mer der CGM zu­guns­ten der GKH frei­ge­stellt. Die Be­treu­ung der Mit­glie­der der GKH er­folgt in bun­des­weit 17 CGM-Se­kre­ta­ria­ten durch de­ren haupt­amt­li­che Ge­werk­schafts­se­kretäre. Hier­aus kann nicht auf ei­ne hin­rei­chen­de or­ga­ni­sa­to­ri­sche Leis­tungsfähig­keit der GKH ge­schlos­sen wer­den. Er­for­der­lich hierfür sind viel­mehr An­ga­ben zu den die Ge­werk­schafts­ar­beit Leis­ten­den, sei­en die­se haupt- oder eh­ren­amt­lich tätig. Nach­dem sich die GKH nach ei­ge­nem Vor­trag in den Vor­in­stan­zen zur Ausführung or­ga­ni­sa­to­ri­scher und ver­wal­tungs­tech­ni­scher Ar­bei­ten aus­sch­ließlich haupt­amt­li­cher Mit­ar­bei­ter der CGM be­dient, ist be­reits nicht er­kenn­bar, ob die GKH über­haupt über Mit­ar­bei­ter verfügt, die al­lei­ne der GKH ver­pflich­tet und auch in der La­ge sind, ei­ne selbständi­ge, von der fach­lich an­ders or­ga­ni­sier­ten CGM los­gelöste und un­abhängi­ge Ge­werk­schafts­ar­beit zu leis­ten. Hin­zu kommt, dass nach dem bis­he­ri­gen Vor­brin­gen je­der Hin­weis dar­auf fehlt, ob die das Ta­rif­ge­sche­hen der GKH Be­stim­men­den über ein­schlägi­ge Er­fah­run­gen im Or­ga­ni­sa­ti­ons­be­reich der GKH verfügen. An­ge­sichts der von der GKH bis­her

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vor­ge­tra­ge­nen Or­ga­ni­sa­ti­ons­struk­tur ist al­lein der pau­scha­le Hin­weis auf ein­schlägi­ge Be­rufs­er­fah­rung von Mit­glie­dern un­zu­rei­chend.

c) Auf der Grund­la­ge der bis­he­ri­gen Fest­stel­lun­gen kann des Wei­te­ren nicht ent­schie­den wer­den, ob es sich bei der GKH um ei­ne ei­genständi­ge Ar­beit­neh­mer­ver­ei­ni­gung han­delt. Das trifft zwar for­mal zu, denn die GKH ist sat­zungs­gemäß als Ver­ein ver­fasst und in das Ver­eins­re­gis­ter des Amts­ge­richts Pa­der­born ein­ge­tra­gen. Nach ih­ren ei­ge­nen Dar­le­gun­gen be­ste­hen je­doch in zen­tra­len An­ge­le­gen­hei­ten so en­ge per­so­nel­le Ver­flech­tun­gen mit der CGM, dass Zwei­fel an der Ei­genständig­keit der GKH be­ste­hen. So war nach den Fest­stel­lun­gen des Lan­des­ar­beits­ge­richts ihr frühe­rer Bun­des­geschäftsführer, Herr M S, für Ver­wal­tungs­ar­bei­ten von sei­nen Ar­beits­pflich­ten ge­genüber der CGM be­freit. Glei­ches gilt für den Geschäftsführer der Geschäfts­stel­le Pa­der­born, Herrn A T, und ei­ne Mit­ar­bei­te­rin der CGM in de­ren Geschäfts­stel­le Ge­ra. Da die An­stel­lungs­verhält­nis­se die­ser Per­so­nen zur CGM of­fen­bar fort­be­ste­hen, hätte vom Lan­des­ar­beits­ge­richt auf­geklärt wer­den müssen, in wel­chem Um­fang und auf wel­cher Grund­la­ge sie für die GKH tätig wer­den und ob sie frei von Wei­sun­gen der CGM in ei­ner Wei­se ar­bei­ten, die Loya­litätskon­flik­te von vorn­her­ein aus­sch­ließt und der GKH ei­ne ei­genständi­ge Ver­bands­ar­beit er­laubt. Das Lan­des­ar­beits­ge­richt wird dies nach der Zurück­ver­wei­sung auf­zuklären ha­ben. Es wird da­bei auch auf Vor­trag der GKH zu ih­rem neu­en Bun­des­geschäftsführer - Herrn B Z - hin­zu­wir­ken und auf­zuklären ha­ben, wel­che Funk­tio­nen die­ser in­ne­hat und wel­che Ver­bin­dun­gen sei­ner­seits zur CGM be­ste­hen. Da­bei wird es zu berück­sich­ti­gen ha­ben, dass Herr Z nach dem In­ter­net­auf­tritt der CGM de­ren Geschäftsführer in der Geschäfts­stel­le Ber­lin ist und zu­gleich nach den An­ga­ben der GKH in de­ren In­ter­net­auf­tritt vom 27. Ja­nu­ar 2010 ihr Ver­hand­lungsführer bei den Ta­rif­ver­hand­lun­gen im Ta­rif­be­reich der Tisch­ler Ost mit dem Fach­ver­band Holz und Kunst­stoff - Ta­rif­be­reich Neue Länder - war.

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d) Nach dem fest­ge­stell­ten Sach­ver­halt lässt sich auch die Fra­ge der Geg­ner­un­abhängig­keit we­der in die ei­ne noch in die an­de­re Rich­tung be­ant­wor­ten. Den vom Lan­des­ar­beits­ge­richt ge­trof­fe­nen Fest­stel­lun­gen ist nicht zu ent­neh­men, dass sich die GKH im We­sent­li­chen aus den Beiträgen ih­rer Mit­glie­der oder aus Spen­den fi­nan­ziert, die nicht vom so­zia­len Ge­gen­spie­ler er­bracht wer­den. Zu ih­rer Fi­nan­zie­rung hat die GKH kei­ner­lei Vor­trag ge­hal­ten. Es ist nicht an­satz­wei­se er­kenn­bar, wie vie­le bei­trag­zah­len­de Mit­glie­der die GKH tatsächlich hat. Nach ih­rem ei­ge­nen Be­kun­den in der Rechts­be­schwer­de­er­wi­de­rung verfügt sie zwar über genügend fi­nan­zi­el­le Mit­tel, um drei haupt­amt­li­che Mit­ar­bei­ter so­wie die lau­fen­den Ver­wal­tungs­kos­ten be­zah­len zu können. Kon­kre­te Zah­len nennt sie je­doch nicht. Nach­dem die an­trag­stel­len­de IG Me­tall vor­ge­rech­net hat, dass sich bei 460 Mit­glie­dern, was der Mit­glie­der­zahl der frühe­ren CGD ent­spricht, und ei­nem Min­dest­bei­trag von 6,00 Eu­ro ein mo­nat­li­ches Bei­trags­auf­kom­men von 2.760,00 Eu­ro er­gibt, ist of­fen­kun­dig, dass ei­ne sol­che fi­nan­zi­el­le Aus­stat­tung nicht zur De­ckung der Per­so­nal­kos­ten so­wie der lau­fen­den Aus­ga­ben ei­ner ta­riffähi­gen Ar­beit­neh­mer­ver­ei­ni­gung aus­rei­chen kann. Da­her wird das Lan­des­ar­beits­ge­richt auf sach­dien­li­chen Vor­trag der GKH zur Geg­ner­un­abhängig­keit hin­wir­ken müssen. Da­bei kommt es vor al­lem auf das Bei­trags­auf­kom­men der GKH an. An­ga­ben hier­zu dürf­ten ihr oh­ne Wei­te­res möglich sein. So verfügt sie bei­spiels­wei­se nach § 16 ih­rer Sat­zung über Kas­sen­prüfer, die al­le zwei Jah­re die Fi­nanz­un­ter­la­gen zu prüfen ha­ben. Der al­le vier Jah­re statt­fin­den­de Bun­des­ge­werk­schafts­tag hat so­dann gem. § 13 Abs. 5 der Sat­zung den Kas­sen­be­richt ent­ge­gen­zu­neh­men. Soll­ten die An­ga­ben der GKH strei­tig wer­den, wird das Lan­des­ar­beits­ge­richt die an­ge­bo­te­nen und ge­eig­ne­ten Be­wei­se zu er­he­ben ha­ben.


e) Hat die dar­le­gungs­pflich­ti­ge GKH ih­re Mit­glie­der­zahl und Ein­zel­hei­ten ih­rer Or­ga­ni­sa­ti­on dar­ge­legt und blei­ben den­noch Zwei­fel an de­ren Durch­set­zungsfähig­keit und or­ga­ni­sa­to­ri­schem Leis­tungs­vermögen, in­di­zie­ren die von der GKH ge­schlos­sen Ta­rif­verträge nicht oh­ne Wei­te­res de­ren Ta­riffähig­keit.
 


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aa) Das Lan­des­ar­beits­ge­richt hat auf­zuklären, ob die GKH auf­grund ih­rer Mit­glie­der­zahl und in­fol­ge ih­rer ei­ge­nen or­ga­ni­sa­to­ri­schen Leis­tungsfähig­keit be­reits un­mit­tel­bar nach ih­rer Gründung über ei­ne Durch­set­zungs­kraft verfügte, die den Schluss recht­fer­tigt, die Ar­beit­ge­ber­sei­te ha­be sie be­reits beim erst­ma­li­gen Aus­han­deln von Ta­rif­verträgen nicht igno­rie­ren können. Es wird da­bei zu prüfen ha­ben, ob die GKH in der La­ge war, Ta­rif­ab­schlüsse durch­zu­set­zen, oh­ne die von der nicht ta­riffähi­gen CGD mit der Ar­beit­ge­ber­sei­te ge­trof­fe­nen Ver­ein­ba­run­gen als Ta­rif­verträge zu über­neh­men. Das Lan­des­ar­beits­ge­richt wird in­so­weit auf sach­dien­li­chen Vor­trag und ggf. Be­weis­an­trit­te der GKH hin­zu­wir­ken ha­ben. So­weit die GKH in die­sem Zu­sam­men­hang gel­tend ge­macht hat, sie sei in den Hand­werks­be­trie­ben in Schlüssel­stel­lun­gen ver­tre­ten, wel­che die An­nah­me recht­fer­tig­ten, die Ar­beit­ge­ber­sei­te wer­de sich im Hin­blick auf das da­von aus­ge­hen­de Druck­po­ten­ti­al ernst­haf­ten Ver­hand­lun­gen nicht ent­zie­hen können, ist das Lan­des­ar­beits­ge­richt die­sem Vor­trag zu Recht nicht ge­folgt. Der Um­stand, dass in den Be­trie­ben im Or­ga­ni­sa­ti­ons­be­reich der GKH ganz über­wie­gend Fach­leu­te beschäftigt wer­den und Ter­mi­n­ar­beit mit Ver­trags­stra­fe­ab­re­den zu leis­ten ist, be­legt kei­ne aus­rei­chen­de Ver­bands­macht.

bb) Die von der GKH dar­ge­leg­ten Ta­rif­ab­schlüsse können darüber hin­aus auch nur in­so­weit Be­leg für die Ta­riffähig­keit der GKH sein, wie sie von die­ser al­lein ab­ge­schlos­sen wor­den sind. Die in Ta­rif­ge­mein­schaft mit dem DHV ver­ein­bar­ten Ta­rif­verträge ent­fal­ten da­ge­gen kei­ne In­dizwir­kung. Der Vor­trag der GKH im zwei­ten Rechts­zug, seit „ge­rau­mer Zeit“ bzw. seit „An­fang 2007“ schließe sie ge­glie­der­te Ta­rif­verträge mit un­ter­schied­li­chem persönli­chen Gel­tungs­be­reich oder ei­ge­ne Ta­rif­verträge, macht nicht deut­lich, auf wel­che Ta­rif­wer­ke sich die­se Dar­le­gung be­zieht. Es ist auch nicht er­kenn­bar, was die GKH über­haupt un­ter „ge­glie­der­ten Ta­rif­verträgen, die je­weils ei­genständig für den ent­spre­chen­den Zuständig­keits­be­reich ver­han­delt und ab­ge­schlos­sen wur­den“, ver­steht (vgl. zum mehr­glied­ri­gen Ta­rif­ver­trag BAG 8. No­vem­ber 2006 - 4 AZR 590/05 - Rn. 21 ff., BA­GE 120, 84). Das Lan­des­ar­beits­ge­richt wird da­her auf­zuklären ha­ben, wel­che Ta­rif­verträge die GKH ori­ginär mit der Ar­beit­ge­ber­sei­te ver­ein­bart hat und ob es sich da­bei um sol­che han­delt, die le­dig­lich

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frühe­re Ver­ein­ba­run­gen der Ta­rif­ge­mein­schaft mit der DHV über­nom­men ha­ben. Na­he­lie­gend ist es, da­zu ei­ne Aus­kunft des Bun­des­mi­nis­te­ri­ums für Ar­beit und So­zia­les zu den Ein­tra­gun­gen in dem nach §§ 6 und 7 TVG geführ­ten Ta­rif­re­gis­ter ein­zu­ho­len.

Schmidt 

Koch 

Linck

Zum­pe 

Berg

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