HENSCHE RECHTSANWÄLTE, FACHANWALTSKANZLEI FÜR ARBEITSRECHT

ARBEITSRECHT AKTUELL // 12/019

Über­stun­den - Dul­dung durch Füh­rungs­kraft ge­nügt

Kennt und dul­det ei­ne Füh­rungs­kraft, dass Ar­beit­neh­mer Über­stun­den ma­chen, muss der Ar­beit­ge­ber das gel­ten las­sen: Lan­des­ar­beits­ge­richt Ber­lin-Bran­den­burg, Ur­teil vom 23.12.2011, 6 Sa 1941/11
Wanduhr

16.01.2012. Zie­hen Ar­beit­neh­mer vor das Ar­beits­ge­richt mit dem Ziel, den Ar­beit­ge­ber zur Zah­lung von Über­stun­den ver­ur­tei­len zu las­sen, geht das meist schief. Dass Über­stun­den-Zah­lungs­kla­gen meist schei­tern, ist durch die Dar­le­gungs- und Be­weis­last be­dingt: Sie liegt näm­lich weit­ge­hend beim Ar­beit­neh­mer.

Kon­kret muss der Ar­beit­neh­mer näm­lich vor Ge­richt je­de ein­zel­ne Über­stun­de be­le­gen, für die er ei­ne Ver­gü­tung ha­ben möch­te. Aber ein sol­cher Vor­trag ge­nügt noch nicht ein­mal: Ei­ne Über­stun­de be­steht ja nicht ein­fach dar­in, dass man län­ger ar­bei­tet als ei­gent­lich vor­ge­se­hen, son­dern dass dies auf An­wei­sung des Ar­beit­ge­bers ge­schieht. Zu­min­dest aber muss der Ar­beit­ne­her die Über­stun­de mit "Wis­sen und Wol­len" des Ar­beit­ge­bers ge­leis­tet ha­ben.

In ei­nem ak­tu­el­len Ur­teil hat das Lan­des­ar­beits­ge­richt Ber­lin-Bran­den­burg die Dar­le­gungs- und Be­weis­last des Ar­beit­neh­mers bei Über­stun­den-Zah­lungs­kla­gen ein we­nig ab­ge­mil­dert: Lan­des­ar­beits­ge­richt Ber­lin-Bran­den­burg, Ur­teil vom 23.12.2011, 6 Sa 1941/11.

Wie ge­nau müssen Ar­beit­neh­mer vor Ge­richt be­le­gen, wann und war­um sie Über­stun­den ge­macht ha­ben?

Wer­den Ar­beits­zei­ten nicht au­to­ma­tisch er­fasst wie z.B. mit Hil­fe ei­ner Stem­pel­uhr, fällt es nor­ma­len Ar­beit­neh­mern be­reits schwer, sich kon­kret an ih­re Ar­beits­zei­ten der ver­gan­ge­nen Wo­chen zu er­in­nern. Erst recht weiß man nor­ma­ler­wei­se nicht, wie lan­ge man in den letz­ten zwölf oder 24 Mo­na­ten im Be­trieb an­we­send war. Und schon gar nicht weiß man, wel­che Aurga­ben man an je­dem ein­zel­nen Tag nach Dienst­schluss noch er­le­digt hat, und/oder dass der Ar­beit­ge­ber kon­kre­te An­wei­sun­gen ge­ge­ben hat, sol­che Über­stun­den ab­zu­leis­ten.

Der Ar­beit­ge­ber sei­ner­seits er­in­nert sich bei ei­ner Über­stun­den-Zah­lungs­kla­ge vor Ge­richt meist an kei­ne ein­zi­ge Über­stun­de. Das ist meist kei­ne böse Ab­sicht, son­dern ent­spricht schlicht der Wahr­heit, wenn der Ar­beit­ge­ber nämlich kei­ne Auf­zeich­nun­gen über die tägli­chen Ar­beits­zei­ten der ein­zel­nen Ar­beit­neh­mer führt.

Hier hel­fen St­un­den­zet­tel oder an­de­re Auf­zeich­nun­gen über die Ar­beits­zeit, vor­aus­ge­setzt, sie wer­den ei­ni­ger­maßen re­gelmäßig geführt und sind dem Ar­beit­ge­ber be­kannt. Denn wenn der Ar­beit­ge­ber auf ei­ner sol­chen Ar­beits­zeit­er­fas­sung weiß, wie lan­ge ein­zel­ne Ar­beit­neh­mer über das re­guläre Diens­ten­de hin­aus ar­bei­ten, dann ge­hen die Ge­rich­te da­von aus, dass er die­se ihm be­kann­ten Ar­beits­zei­ten bzw. Über­stun­den "dul­det". Und ein sol­ches Dul­den von Über­stun­den durch den Ar­beit­ge­ber genügt vor Ge­richt, d.h. es hat die­sel­be recht­li­che Be­deu­tung wie ei­ne aus­drück­li­che An­ord­nung von Über­stun­den.

Aber genügt es auch, wenn ei­ne Führungs­kraft Über­stun­den dul­det?

LAG Ber­lin-Bran­den­burg: Ar­beit­ge­ber müssen sich die Dul­dung von Über­stun­den durch ih­re Führungs­kräfte zu­rech­nen las­sen.

Im Streit­fall war ei­ne Ar­beit­neh­me­rin mit ei­nem Ge­halt von 2.000,00 EUR brut­to bei ih­rer Ein­stel­lung von ih­rem Vor­ge­setz­ten da­zu auf­ge­for­dert wor­den, Ar­beits­be­ginn und Ar­beits­en­de in ei­ne im Com­pu­ter hin­ter­leg­te An­we­sen­heits­lis­te ein­zu­tra­gen. Durch das Pro­gramm wa­ren die tägli­chen Ar­beits­stun­den und un­ter Berück­sich­ti­gung von Pau­sen­zei­ten die tägli­chen Mehr­ar­beits­zei­ten er­rech­net wor­den, wo­bei das Pro­gramm auf vol­le fünf Mi­nu­ten auf- bzw. ab­run­de­te.

Da der Ar­beit­ge­ber et­wa 380 Über­stun­den, die sich auf die­ser Grund­la­ge er­rech­ne­ten, nicht zah­len woll­te, zog die Ar­beit­neh­me­rin vor das Ar­beits­ge­richt Ber­lin, das der Kla­ge weit­ge­hend statt­gab. Denn der Ar­beit­ge­ber müsse sich, so das Ar­beits­ge­richt, das Ver­hal­ten des Vor­ge­setz­ten der Kläge­rin zu­rech­nen las­sen. Da­her sei von ei­ner Dul­dung der er­brach­ten Über­stun­den durch den ver­klag­ten Ar­beit­ge­ber aus­zu­ge­hen.

Das sah auch das LAG Ber­lin-Bran­den­burg so. Die St­un­den­auf­zeich­nun­gen wa­ren vom Vor­ge­setz­ten der Kläge­rin ver­an­lasst wor­den, d.h. der Vor­ge­setz­te be­stand auf die­ser Art von Zeit­er­fas­sung und kann­te sie, oh­ne ih­re Rich­tig­keit vor Er­he­bung der Kla­ge je­mals be­an­stan­det zu ha­ben. Dann aber kann der ver­klag­te Ar­beit­ge­ber im Pro­zess nicht ein­wen­den, er wüss­te von nichts. Und auch die ins Blaue hin­ein an­ge­stell­te Mut­maßung des Ar­beit­ge­bers, die Ar­beit­neh­me­rin hätte während der als Ar­beits­zei­ten er­fass­ten Über­stun­den gar nicht ge­ar­bei­tet, sind dann recht­lich be­deu­tungs­los.

Fa­zit: Oh­ne kon­kre­te tägli­che Ar­beits­zeit­er­fas­sung sind Über­stun­den-Zah­lungs­kla­gen meist chan­cen­los. Gibt es da­ge­gen ei­ne sol­che Ar­beits­zeit­er­fas­sung und kennt der Ar­beit­ge­ber oder ein Dienst­vor­ge­setz­ter sie, wen­det sich das Blatt: Dann kann der Ar­beit­ge­ber im Pro­zess meist kaum noch et­was Sub­stan­ti­el­les ge­gen den Über­stun­den-Vor­trag des Ar­beit­neh­mers ein­wen­den.

Nähe­re In­for­ma­tio­nen fin­den Sie hier:

Letzte Überarbeitung: 27. März 2020

Weitere Auskünfte erteilen Ihnen gern:

Dr. Martin Hensche
Rechtsanwalt
Fachanwalt für Arbeitsrecht

Kontakt:
030 / 26 39 620
hensche@hensche.de
Christoph Hildebrandt
Rechtsanwalt
Fachanwalt für Arbeitsrecht

Kontakt:
030 / 26 39 620
hildebrandt@hensche.de
Nina Wesemann
Rechtsanwältin
Fachanwältin für Arbeitsrecht

Kontakt:
040 / 69 20 68 04
wesemann@hensche.de
Bewertung: 5.0 von 5 Sternen (2 Bewertungen)

Auf Facebook teilen Auf Google+ teilen Ihren XING-Kontakten zeigen Beitrag twittern

 

Für Personaler, betriebliche Arbeitnehmervertretungen und andere Arbeitsrechtsprofis: "Update Arbeitsrecht" bringt Sie regelmäßig auf den neusten Stand der arbeitsgerichtlichen Rechtsprechung. Informationen zu den Abo-Bedingungen und ein kostenloses Ansichtsexemplar finden Sie hier:

Alle vierzehn Tage alles Wichtige
verständlich / aktuell / praxisnah

HINWEIS: Sämtliche Texte dieser Internetpräsenz mit Ausnahme der Gesetzestexte und Gerichtsentscheidungen sind urheberrechtlich geschützt. Urheber im Sinne des Gesetzes über Urheberrecht und verwandte Schutzrechte (UrhG) ist Rechtsanwalt und Fachanwalt für Arbeitsrecht Dr. Martin Hensche, Lützowstraße 32, 10785 Berlin.

Wörtliche oder sinngemäße Zitate sind nur mit vorheriger schriftlicher Genehmigung des Urhebers bzw. bei ausdrücklichem Hinweis auf die fremde Urheberschaft (Quellenangabe iSv. § 63 UrhG) rechtlich zulässig. Verstöße hiergegen werden gerichtlich verfolgt.

© 1997 - 2024:
Rechtsanwalt Dr. Martin Hensche, Berlin
Fachanwalt für Arbeitsrecht
Lützowstraße 32, 10785 Berlin
Telefon: 030 - 26 39 62 0
Telefax: 030 - 26 39 62 499
E-mail: hensche@hensche.de