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ARBEITSRECHT AKTUELL // 12/086

Über­stun­den­ver­gü­tung auch oh­ne Ver­trag

Oh­ne wirk­sa­me Re­ge­lung zur Über­stun­den­ver­gü­tung im Klein­ge­druck­ten kann ein Ar­beit­neh­mer mit 1.800 EUR Mo­nats­lohn Be­zah­lung al­ler Über­stun­den er­war­ten: Bun­des­ar­beits­ge­richt, Ur­teil vom 22.02.2012, 5 AZR 765/10
Taschenrechner auf Geldscheinen Über­stun­den soll­ten ge­son­dert be­zahlt wer­den

24.02.2012. Wenn man auf Bit­ten des Ar­beit­ge­bers län­ger als ver­trag­lich vor­ge­se­hen ar­bei­tet, macht man Über­stun­den, für die man nor­ma­ler­wei­se auch ei­ne zu­sätz­li­che Be­zah­lung er­war­tet. Denn oh­ne Über­stun­den­ver­gü­tung wür­de der Ar­beit­ge­ber ja mehr be­kom­men, als vom Ar­beit­neh­mer "ein­ge­kauft" hat, und da­mit wür­de der (St­un­den-)Lohn sin­ken.

Zwar kann der Lohn im Prin­zip frei ver­ein­bart wer­den, so dass man ar­beits­ver­trag­lich re­geln kann, dass ei­ne be­stimm­te An­zahl von Über­stun­den (z.B. fünf pro Mo­nat) mit dem Mo­nats­ge­halt ab­ge­gol­ten sind, d.h. nicht ge­son­dert zu be­zah­len sind. Und Füh­rungs­kräf­te mit sehr üp­pi­ger Ver­gü­tung kön­nen mög­li­cher­wei­se gar kei­ne Über­stun­den­be­zah­lung ver­lan­gen, un­ab­hän­gig vom Um­fang ih­rer Mehr­ar­beit, so das Bun­des­ar­beits­ge­richt (BAG) im Au­gust 2011 (BAG, Ur­teil vom 17.08.2011, 5 AZR 406/10 - wir be­rich­te­ten dar­über in: Ar­beits­recht ak­tu­ell: 11/250 Über­stun­den: Be­zah­lung nicht im­mer er­for­der­lich - Ber­li­ner An­walt schei­tert vor dem BAG).

Das gilt aber nicht für ei­nen Ar­beit­neh­mer mit ei­nem Mo­nats­lohn von 1.800,00 EUR brut­to, wie das BAG vor­ges­tern klar­ge­stellt hat (BAG, Ur­teil vom 22.02.2012, 5 AZR 765/10).

Sind ver­trag­li­che Über­stun­den­pau­scha­li­sie­run­gen un­wirk­sam, sind Über­stun­den im Nor­mal­fall zu be­zah­len

Ar­beits­verträge ent­hal­ten oft Über­stun­den­re­ge­lun­gen, de­nen zu­fol­ge Über­stun­den nicht ge­son­dert zu be­zah­len sind, son­dern mit dem Fest­ge­halt ab­ge­gol­ten sind. Bei sol­chen Klau­seln han­delt es sich um All­ge­mei­ne Geschäfts­be­din­gun­gen (AGB) des Ar­beit­ge­bers, und die­se müssen klar und verständ­lich sein (§ 307 Abs.1 Satz 2 Bürger­li­ches Ge­setz­buch (BGB)).

Das sind sie aber nicht, wenn der Ar­beit­neh­mer nicht weiß, wie­vie­le Über­stun­den oh­ne Be­zah­lung auf ihn zu­kom­men können. Da­her sind Über­stun­den­ab­gel­tungs­klau­seln oh­ne zeit­li­che Ober­gren­ze un­wirk­sam (BAG, Ur­teil vom 01.09.2010, 5 AZR 517/09, wir be­rich­te­ten in: Ar­beits­recht ak­tu­ell 11/010 Kei­ne pau­scha­le Ab­gel­tung „er­for­der­li­cher Über­stun­den“ mit dem Ge­halt).

Gibt es kei­ne wirk­sa­me ver­trag­li­che Re­ge­lung zum The­ma Über­stun­den­be­zah­lung, gilt das Ge­setz, und das sieht in § 612 Abs.1 BGB vor, dass ei­ne Be­zah­lung als still­schwei­gend ver­ein­bart gilt, "wenn die Dienst­leis­tung den Umständen nach nur ge­gen ei­ne Vergütung zu er­war­ten ist".

Ei­ne still­schwei­gen­de Vergütungs­ver­ein­ba­rung hat­te das BAG in der o.g. Ent­schei­dung vom Au­gust 2011 ver­neint. Hier ging es um ei­nen Ber­li­ner An­walt mit ei­nem Jah­res­ge­halt von 88.000,00 EUR (BAG, Ur­teil vom 17.08.2011, 5 AZR 406/10). Die­ses Ur­teil gibt Ar­beit­ge­bern aber im Nor­mal­fall kei­nen Frei­brief, die Be­zah­lung von Über­stun­den zu ver­wei­gern.

Der Streit­fall: Ar­beit­neh­mer mit Brut­to­lohn von 1.800,00 EUR klagt auf Be­zah­lung von Über­stun­den

In dem vom BAG ent­schie­de­nen Fall hat­te ein La­ger­lei­ter mit ei­nem Mo­nats­ge­halt von 1.800,00 EUR brut­to und ei­ner Wo­chen­ar­beits­zeit von 42 St­un­den Be­zah­lung für 968 Über­stun­den ver­langt, die er in den Jah­ren 2006 bis 2008 ge­leis­tet hat­t­te.

Da­mit hat­te er zwar vor dem Ar­beits­ge­richt Mag­de­burg kei­nen Er­folg (Ur­teil vom 20.01.2010, 7 Ca 3258/09), doch gab das Lan­des­ar­beits­ge­richt (LAG) Sach­sen-An­halt der Kla­ge im we­sent­li­chen statt (LAG Sach­sen-An­halt, Ur­teil vom 05.10.2010, 6 Sa 63/10).

BAG: Bei ei­nem Mo­nats­ge­halt von 1.800,00 EUR be­steht ei­ne Vergütungs­er­war­tung in Be­zug auf Über­stun­den

Auch das BAG ent­schied, dass der Ar­beit­ge­ber zah­len muss­te.

Denn es gab hier, so das BAG in der der­zeit al­lein vor­lie­gen­den Pres­se­mit­tei­lung, kei­ne wirk­sa­me Ver­ein­ba­rung zur Über­stun­den­vergütung, da die ver­trag­li­che pau­scha­le Über­stun­den­klau­sel un­klar und da­mit un­wirk­sam war.

Dann aber ver­pflich­tet § 612 Abs.1 BGB den Ar­beit­ge­ber zur Be­zah­lung von ge­leis­te­ten Über­stun­den, wenn er Über­stun­den im kon­kre­ten Fall nur ge­gen Be­zah­lung er­war­ten kann. Und ei­ne sol­che "ob­jek­ti­ve Vergütungs­er­war­tung" ist in der Re­gel ge­ge­ben, wenn der Ar­beit­neh­mer "kein her­aus­ge­ho­be­nes Ent­gelt" be­zieht, so das BAG.

Die Gren­ze für ein "her­aus­ge­ho­be­nes" Ent­gelt sieht das BAG bei der Bei­trags­be­mes­sungs­gren­ze in der ge­setz­li­chen Ren­ten­ver­si­che­rung. Da­zu heißt es in dem Ur­teil:

"Wer mit sei­nem aus abhängi­ger Beschäfti­gung er­ziel­ten Ent­gelt die Bei­trags­be­mes­sungs­gren­ze der ge­setz­li­chen Ren­ten­ver­si­che­rung über­schrei­tet, gehört zu den Bes­ser­ver­die­nern, die aus der Sicht der be­tei­lig­ten Krei­se nach der Erfüllung ih­rer Ar­beits­auf­ga­ben und nicht ei­nes St­un­den­solls be­ur­teilt wer­den. Ih­nen und ih­ren Ar­beit­ge­bern fehlt re­gelmäßig die ob­jek­ti­ve Vergütungs­er­war­tung für ein be­son­de­res Ent­gelt als Ge­gen­leis­tung für die über die re­gelmäßige Ar­beits­zeit hin­aus ge­leis­te­te Ar­beit."

Fa­zit: Von sog. Bes­ser­ver­die­nern ab­ge­se­hen können Ar­beit­neh­mer Be­zah­lung von Über­stun­den ver­lan­gen, falls ihr Ar­beits­ver­trag kei­ne wirk­sa­me Über­stun­den­klau­sel enthält, die ei­nen An­spruch auf Be­zah­lung erst ab ei­ner be­stimm­ten (tägli­chen, wöchent­li­chen oder mo­nat­li­chen) Zahl von Über­stun­den vor­sieht.

Sol­che Ver­trags­klau­seln sind sel­ten, da vie­le Ar­beit­ge­ber das The­ma Über­stun­den im Ar­beits­ver­trag un­gern kon­kret re­geln. Im Fal­le ei­ner Kündi­gung oder ei­nes Auf­he­bungs­ver­trags soll­ten Ar­beit­neh­mer da­her im­mer mit Hil­fe ei­nes An­walts prüfen, ob bzw. in wel­chem Um­fang ih­nen ei­ne Über­stun­den­vergütung zu­steht.

Nähe­re In­for­ma­tio­nen fin­den Sie hier:

 

Hin­weis: In der Zwi­schen­zeit, d.h. nach Er­stel­lung die­ses Ar­ti­kels, hat das BAG sei­ne Ent­schei­dungs­gründe veröffent­licht. Das vollständig be­gründe­te Ur­teil des BAG fin­den Sie hier:

Letzte Überarbeitung: 21. Juni 2019

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