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LAG Ber­lin-Bran­den­burg, Ur­teil vom 12.08.2014, 7 Sa 852/14

   
Schlagworte: Kündigung: Alkohol, Kündigung: Fristlos, Kündigung: Außerordentlich, Kündigung: Verhaltensbedingt
   
Gericht: Landesarbeitsgericht Berlin-Brandenburg
Aktenzeichen: 7 Sa 852/14
Typ: Urteil
Entscheidungsdatum: 12.08.2014
   
Leitsätze:

1. An eine Kündigung, die auf ein Verhalten des Arbeitnehmers gestützt wird, das im Zusammenhang mit einer Alkoholabhängigkeit steht, sind grundsätzlich die gleichen Anforderungen wie an eine krankheitsbedingte Kündigung zu stellen, da der verhaltensrelevante Schulvorwurf wegen der Alkoholabhängigkeit in Frage steht (Anschluss an BAG vom 20.12.2012 – 2 AZR 32/11).

2. In einem solchen Fall kann jedoch eine personenbedingte Kündigung sozial gerechtfertigt sein, wenn die Prognose gerechtfertigt ist, der Arbeitnehmer biete aufgrund seiner Alkoholabhängigkeit dauerhaft nicht die Gewähr, in der Lage zu sein, die vertraglich geschuldete Tätigkeit ordnungsgemäß zu erbringen (Anschluss an BAG v. 20.12.2012 – 2 AZR 32/11).

3. Dieser Schluss kann zu verneinen sein, wenn der Arbeitnehmer bereits vor Ausspruch der Kündigung eine ernsthafte Bereitschaft zu einer Therapie erklärt hat; denn dann steht die negative Prognose in Frage (Anschluss an BAG v. 20.03.2014 – 2 AZR 565/12).

4. Auch bei personenbedingten Kündigungen ist unter Anwendung des ultima-ratio-Prinzips nach milderen Mitteln zur Erreichung künftiger Vertragstreue zu suchen; hierfür kommen sowohl eine Abmahnung bei steuerbarem Verhalten als auch eine Versetzungsmöglichkeit in Betracht.

Vorinstanzen: Arbeitsgericht Berlin, Urteil vom 03.04.2014 - 24 Ca 8017/13
   

Lan­des­ar­beits­ge­richt

Ber­lin-Bran­den­burg  

Verkündet

am 12. Au­gust 2014
 


Geschäfts­zei­chen (bit­te im­mer an­ge­ben)
7 Sa 852/14

24 Ca 8017/13
Ar­beits­ge­richt Ber­lin  

L.
Ge­richts­beschäftig­te
als Ur­kunds­be­am­tin
der Geschäfts­stel­le


Im Na­men des Vol­kes

Ur­teil

 

In Sa­chen

 




ge­gen


 

hat das Lan­des­ar­beits­ge­richt Ber­lin-Bran­den­burg, Kam­mer 7,
auf die münd­li­che Ver­hand­lung vom 15. Ju­li 2014
durch die Vor­sit­zen­de Rich­te­rin am Lan­des­ar­beits­ge­richt R. als Vor­sit­zen­de
so­wie die eh­ren­amt­li­chen Rich­ter P. und T.

für Recht er­kannt:

I. Auf die Be­ru­fung des Klägers wird das Ur­teil des Ar­beits­ge­richts Ber­lin
vom 3. April 2014 - 24 Ca 8017/13 - teil­wei­se ab­geändert und

1. fest­ge­stellt, dass das Ar­beits­verhält­nis der Par­tei­en auch nicht durch die
or­dent­li­che Kündi­gung vom 27.05.2013 auf­gelöst wor­den ist.

2. Die Be­klag­te wird ver­ur­teilt, den Kläger bis zum rechts­kräfti­gen Ab­schluss
des Kündi­gungs­streits zu un­veränder­ten Ar­beits­be­din­gun­gen gemäß Ar­beits­ver­trag vom 16.05.1995 als Kraft­fah­rer zu beschäfti­gen.

II. Die wei­ter­ge­hen­de Be­ru­fung des Klägers wird zurück­ge­wie­sen.


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III. Von den Kos­ten des Rechts­streits trägt der Kläger 44%, die Be­klag­te 56%.

IV. Die Re­vi­si­on wird nur für den Kläger zu­ge­las­sen.

 

 

R.  

P.  

T.


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Tat­be­stand

Die Par­tei­en strei­ten – so­weit für das Be­ru­fungs­ver­fah­ren noch re­le­vant – über die Wirk­sam­keit ei­ner or­dent­li­chen Kündi­gung so­wie über die Höhe ei­nes an­ge­mes­se­nen Zu­schla­ges für Nacht­ar­beit.

Der am ……1966 ge­bo­re­ne, ver­hei­ra­te­te und zwei Kin­dern zum Un­ter­halt ver­pflich­te­te Kläger ist auf der Grund­la­ge ei­nes schrift­li­chen Ar­beits­ver­tra­ges vom 16.10.1995 un­ter An­er­ken­nung von Be­triebs­zu­gehörig­keits­zei­ten seit dem 29.01.1991 bei der Be­klag­ten als Kraft­fah­rer mit ei­ner re­gelmäßigen Ar­beits­zeit von 40 St­un­den wöchent­lich tätig. Nach § 7 Abs. 4 des Ar­beits­ver­tra­ges müssen al­le Ansprüche aus dem Beschäfti­gungs­verhält­nis spätes­tens drei Mo­na­te nach Fällig­keit, bei Aus­schei­den spätes­tens drei Mo­na­te nach dem Aus­schei­den schrift­lich gel­tend ge­macht wer­den, an­dern­falls ver­fal­len sie. We­gen der wei­te­ren Ein­zel­hei­ten des Ar­beits­ver­tra­ges wird auf Bl. 9 – 11 d. A. Be­zug ge­nom­men.

Die Be­klag­te zahl­te dem Kläger bis zum 30.09.2011 ei­nen St­un­den­lohn in Höhe von 15,30 Eu­ro, da­nach in Höhe von 15,63 Eu­ro. Seit Ok­to­ber 2013 zahlt die Be­klag­te ih­ren Mit­ar­bei­tern ei­nen St­un­den­lohn in Höhe von 15,90 Eu­ro. Außer­dem zahl­te die Be­klag­te an den Kläger bis zum 30.09.2011 Nacht­ar­beits­zu­schläge für die in der Zeit von 21:00 Uhr bis 06:00 Uhr ge­leis­te­ten St­un­den in Höhe 1,75 Eu­ro (11,4 %), vom 01.10.2011 bis 30.09.2012 in Höhe von 1,90 Eu­ro (12,16 %) und ab dem 1. Ok­to­ber 2012 in Höhe von 2,92 Eu­ro (18,69 %). Seit Ok­to­ber 2013 zahlt die Be­klag­te an ih­re Mit­ar­bei­ter Nacht­ar­beits­zu­schläge für die in der Zeit von 21:00 Uhr bis 6:00 Uhr ge­leis­te­te Ar­beit in Höhe von 3,18 Eu­ro pro St­un­de. Für die von der Be­klag­ten an den Kläger ge­zahl­ten Nacht­ar­beits­zu­schläge wird auf die dem Kläger er­teil­ten Ab­rech­nun­gen (An­la­ge K 11 zum Schrift­satz vom 25.02.2014, Bl. 138 – 166 d.A.) so­wie die mo­nat­li­chen Auf­stel­lun­gen des Klägers mit Schrift­satz vom 28.03.2014 (Bl. 260 – 261 d.A) Be­zug ge­nom­men.

Im Jahr 2004 ver­ur­sach­te der Kläger ei­nen Auf­fahr­un­fall, bei dem an dem von ihm ge­steu­er­ten Fahr­zeug ein Sach­scha­den in Höhe von 27.781,00 Eu­ro ent­stand. Die Be­klag­te nahm dies zum An­lass, den Kläger mit Schrei­ben vom 24.02.2004 (Bl. 90 d. A.) dar­auf hin­zu­wei­sen, dass er mehr Vor­sicht wal­ten las­sen sol­le.

In der Nacht vom 01.05.2013 auf den 02.05.2013 ver­ur­sach­te der Kläger auf der Au­to­bahn A2 ei­nen Auf­fahr­un­fall, bei dem der Fah­rer des vor­de­ren Fahr­zeu­ges leicht ver­letzt wur­de und bei dem an bei­den Fahr­zeu­gen ein er­heb­li­cher Sach­scha­den ent­stand. Ei­ne

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Al­ko­hol­kon­trol­le er­gab beim Kläger ei­nen Wert von 0,64 Pro­mil­le, wor­auf­hin die Po­li­zei ei­ne Blut­ent­nah­me an­ord­ne­te. Der Führer­schein des Klägers wur­de si­cher­ge­stellt, ihm aber nach et­wa zwei Wo­chen zurück­ge­ge­ben. We­gen die­ses Un­falls verhäng­te das Amts­ge­richt Burg ge­gen den Kläger mit Straf­be­fehl vom 18.07.2013 we­gen fahrlässi­ger Körper­ver­let­zung ei­ne Geld­stra­fe von 15 Ta­gessätzen, ins­ge­samt 450,00 Eu­ro. In der bei der Be­klag­ten be­ste­hen­den Ar­beits­ord­nung (Bl. 84 – 86 d. A.), auf die im Ar­beits­ver­trag Be­zug ge­nom­men wur­de und de­ren Er­halt der Kläger letzt­ma­lig im Jahr 2011 bestätigt hat, ist ein Al­ko­hol­ver­bot ge­re­gelt.

Die Be­klag­te nahm die­sen Vor­fall zum An­lass, den bei ihr ge­bil­de­ten Be­triebs­rat mit Schrei­ben vom 17.05.2013 zu ei­ner außer­or­dent­li­chen, hilfs­wei­se or­dent­li­chen ver­hal­tens­be­ding­ten Kündi­gung des Klägers an­zuhören. Der Be­triebs­rat wi­der­sprach der be­ab­sich­tig­ten Kündi­gung mit Schrei­ben vom 24.05.2013 (Bl. 79 d. A.) mit der Be­gründung, der Kläger ha­be bei der te­le­fo­ni­schen Anhörung mit­ge­teilt, er wer­de sich we­gen Al­ko­hol­pro­ble­men in ärzt­li­che Be­hand­lung be­ge­ben.

Mit Schrei­ben vom 27.05.2013 (Bl. 12 d. A.), dem Kläger zu­ge­gan­gen am 29.05.2013 kündig­te die Be­klag­te das Ar­beits­verhält­nis mit dem Kläger frist­los, hilfs­wei­se frist­gemäß zum 31.12.2013, hilfs­wei­se zum nächst zulässi­gen Ter­min. Vom 29.05.2013 bis zum 17.06.2013 be­fand sich der Kläger für ei­ne Ent­zugs­be­hand­lung auf der Sucht­sta­ti­on der psych­ia­tri­schen Ab­tei­lung ei­nes Kran­ken­hau­ses. Nach der dort er­stell­ten vorläufi­gen Epi­kri­se, für die im Ein­zel­nen ein­sch­ließlich der La­bor­wer­te auf die Ab­lich­tung Bl. 53 – 56 d.A. Be­zug ge­nom­men wird, ent­wi­ckel­te der Kläger ei­ne schwe­re ve­ge­ta­ti­ve Ent­zugs­sym­pto­ma­tik, die me­di­ka­mentös be­han­delt wer­den muss­te. Im An­schluss an die­sen sta­ti­onären Auf­ent­halt nahm der Kläger an Be­ra­tungs­gesprächen der Dro­gen- und Sucht­be­ra­tung bei der Ar­bei­ter­wohl­fahrt teil. Außer­dem be­such­te der Kläger in der Zeit vom 16.10.2013 bis zum 10.01.2014 ei­ne ganztägi­ge am­bu­lan­te The­ra­pie, bei der tägli­che Ate­m­al­ko­hol­kon­trol­len durch­geführt wur­den. Aus die­ser Maßnah­me wur­de er gemäß Ent­las­sungs­be­richt der Deut­schen Ren­ten­ver­si­che­rung als Kraft­fah­rer ar­beitsfähig ent­las­sen (Bl. 345 und 346 d. A.). Im An­schluss dar­an nahm er er­neut an am­bu­lan­ten Maßnah­men der A. Dro­gen- und Sucht­be­ra­tung teil.

Mit der vor­lie­gen­den, beim Ar­beits­ge­richt am 03.06.2013 ein­ge­gan­ge­nen Kla­ge wen­det sich der Kläger ge­gen die Kündi­gung, die er man­gels Kündi­gungs­grund und we­gen feh­ler­haf­ter Be­triebs­rats­anhörung für un­wirk­sam hält. Mit der beim Ar­beits­ge­richt am 20.02.2014 ein­ge­gan­ge­nen Kla­ge­er­wei­te­rung be­gehrt der Kläger darüber hin­aus für den Zeit­raum

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Ja­nu­ar 2011 bis April 2013 die Dif­fe­renz zwi­schen den ihm be­reits ge­zahl­ten Nacht­ar­beits­zu­schlägen und Zu­schlägen in Höhe von 30 % für die von ihm ge­leis­te­ten St­un­den in der Zeit von 23:00 Uhr bis 06:00 Uhr so­wie die Fest­stel­lung, dass die Be­klag­te ver­pflich­tet ist, dem Kläger ab dem 01.05.2013 ei­nen Nacht­schicht­zu­schlag in Höhe von 30 % auf den Brut­to­stun­den­lohn zu zah­len oder ei­nen Frei­zeit­aus­gleich von 90 ge­leis­te­ten Nacht­stun­den von zwei Ar­beits­ta­gen zu gewähren. Für die Be­rech­nung der von ihm in der Zeit von 23 Uhr bis 6 Uhr ge­leis­te­ten Nacht­ar­beits­stun­den legt der Kläger die von der Be­klag­ten in den Ab­rech­nun­gen aus­ge­wie­se­nen Nacht­ar­beits­stun­den zu­grun­de und nimmt von die­sen zur Berück­sich­ti­gung des von der Be­klag­ten auch für die Zeit von 21:00 bis 23:00 Uhr ge­zahl­ten Nacht­ar­beits­zu­schlag ei­nen Ab­schlag in Höhe von 22,22 % vor.

Das Ar­beits­ge­richt hat mit Ur­teil vom 3. April 2014, auf des­sen Tat­be­stand we­gen der wei­te­ren Ein­zel­hei­ten des erst­in­stanz­li­chen Vor­brin­gens der Par­tei­en Be­zug ge­nom­men wird, fest­ge­stellt, dass das Ar­beits­verhält­nis der Par­tei­en durch die frist­lo­se Kündi­gung vom 27.05.2013 nicht be­en­det wor­den ist, im Übri­gen die Kla­ge ab­ge­wie­sen und die Kos­ten des Rechts­streits dem Kläger auf­er­legt. Zur Be­gründung hat es im We­sent­li­chen aus­geführt, die außer­or­dent­li­che Kündi­gung sei un­wirk­sam, weil die Be­klag­te die Frist nach § 626 Abs. 2 BGB nicht ge­wahrt ha­be. Die or­dent­li­che Kündi­gung sei aber so­zi­al ge­recht­fer­tigt. Das al­ko­ho­li­sier­te Führen des Fahr­zeugs und der un­ter Al­ko­hol­ein­fluss ver­ur­sach­te Un­fall sei­en schwe­re Pflicht­ver­let­zun­gen des Klägers, die die Be­klag­te zur Kündi­gung be­rech­ti­gen würden. Auf ei­ne et­wai­ge Al­ko­ho­lerkran­kung des Klägers kom­me es da­bei nicht an. Je­den­falls sei dem Kläger die Pflicht­ver­let­zung vor­werf­bar. Der Kläger ha­be nämlich noch ent­schei­den können, die Fahrt an­zu­tre­ten oder nicht. Für die Steu­er­bar­keit des Ver­hal­tens spre­che, dass dem Kläger nach sei­nem ei­ge­nen Vor­trag die Pro­ble­ma­tik sei­nes Al­ko­hol­ver­hal­tens be­wusst ge­we­sen sei. Im Rah­men der In­ter­es­sen­abwägung sei zu berück­sich­ti­gen, dass die Be­klag­te Ver­ant­wor­tung ge­genüber der All­ge­mein­heit tra­ge, die ein er­heb­li­ches In­ter­es­se dar­an ha­be, Ri­si­ken im Zu­sam­men­hang mit dem Fah­ren ei­nes 40-Ton­nen-LKw möglichst zu mi­ni­mie­ren. Außer­dem müsse ei­nem Be­rufs­kraft­fah­rer be­wusst sein, dass ein Al­ko­hol­ver­ge­hen im Straßen­ver­kehr sei­nen Ar­beits­platz gefähr­de. Auch sei­en die Aus­wir­kun­gen auf die Grup­pe der an­de­ren Fah­rer zu be­den­ken. Würde ei­ne Al­ko­hol­fahrt nur zu ei­ner Ab­mah­nung führen, könne die Be­klag­te ge­ra­de ge­genüber langjährig beschäftig­ten Ar­beit­neh­mern das ab­so­lu­te Al­ko­hol­ver­bot nicht durch­hal­ten. Der Be­triebs­rat sei ord­nungs­gemäß von den Kündi­gungs­gründen un­ter­rich­tet wor­den. Nacht­ar­beits­zu­schläge in Höhe von 30 % stünden dem Kläger nicht zu. Die von der Be­klag­ten ver­an­lass­ten Zah­lun­gen sei­en als an­ge­mes­se­ner Nacht­zu­schlag an­zu­se­hen, da sie ih­ren Mit­ar­bei­tern ei­nen St­un­den­lohn zah­le, der die in der Bran­che übli­chen Sätze

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er­heb­lich über­stei­ge und auch der Nacht­ar­beits­zu­schlag über dem lie­ge, was nach den Ta­rif­verträgen ge­schul­det sei. Mit Grund­lohn und Zu­schlägen zu­sam­men würden die nachts täti­gen Kraft­fah­rer der Be­klag­ten ei­nen an­ge­mes­se­nen Aus­gleich für die von ih­nen ge­leis­te­te Nacht­ar­beit er­hal­ten.

Ge­gen die­ses dem Kläger am 16. April 2014 zu­ge­stell­te Ur­teil rich­tet sich sei­ne Be­ru­fung, die er mit ei­nem beim Lan­des­ar­beits­ge­richt am 29. April 2014 ein­ge­gan­ge­nen Schrift­satz ein­ge­legt und zu­gleich be­gründet hat.

Der Kläger und Be­ru­fungskläger be­haup­tet – wie schon erst­in­stanz­lich – er ha­be zum Zeit­punkt des Zu­gangs der Kündi­gung an ei­ner Al­ko­ho­lerkran­kung ge­lit­ten, die da­zu geführt ha­be, dass er ge­ra­de kei­ne Ein­sichtsfähig­keit in sein Ver­hal­ten ha­be ent­wi­ckeln können. In­so­weit sei die Kündi­gung an den Vor­aus­set­zun­gen ei­ner per­so­nen­be­ding­ten Kündi­gung zu mes­sen. Die­sen Vor­aus­set­zun­gen hal­te sie nicht stand, da er er­folg­reich ei­nen Ent­zug ab­sol­viert ha­be und kei­nen Al­ko­hol mehr trin­ke. Er sei ein Spie­gel­t­rin­ker ge­we­sen, der ei­nen be­stimm­ten Blut­al­ko­hol­spie­gel benötigt ha­be, um die Ent­zugs­sym­pto­me zu lin­dern. Er sei be­reit, sich re­gelmäßigen Al­ko­hol­kon­trol­len zu un­ter­zie­hen. Außer­dem bestünden bei der Be­klag­ten an­der­wei­ti­ge Beschäfti­gungsmöglich­kei­ten, nämlich die Möglich­keit ihn z.B. in der Wasch­s­traße ein­zu­set­zen, wo die Be­klag­te schon zu­vor Mit­ar­bei­ter, de­nen der Führer­schein ent­zo­gen wor­den sei, ein­ge­setzt ha­be. Die von der Be­klag­ten ge­zahl­ten Nacht­ar­beits­zu­schläge sei­en nicht an­ge­mes­sen. Er sei dau­er­haft in Nacht­ar­beit beschäftigt und ex­tre­men phy­si­schen und psy­chi­schen Be­las­tun­gen aus­ge­setzt. Auf den Grund­lohn könne nicht ab­ge­stellt wer­den. Grundsätz­lich sei nur ein Nacht­zu­schlag von 25 % als an­ge­mes­sen an­zu­se­hen, der we­gen der Dau­er­nacht­schicht auf 30 % zu erhöhen sei.

Der Kläger und Be­ru­fungskläger be­an­tragt,

das Ur­teil des Ar­beits­ge­richts Ber­lin, Ak­ten­zei­chen 24 Ca 8017/13, vom 03.04.2014 teil­wei­se ab­zuändern und

1. fest­zu­stel­len, dass das Ar­beits­verhält­nis der Par­tei­en durch die or­dent­li­che Kündi­gung vom 27.05.2013 nicht zum 31.12.2013 oder zu ei­nem an­de­ren Ter­min be­en­det wor­den ist.

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2. Die Be­klag­te zu ver­ur­tei­len, den Kläger bis zum rechts­kräfti­gen Ab­schluss des Rechts­streits bei un­veränder­ten Ar­beits­be­din­gun­gen gemäß Ar­beits­ver­trag vom 16.10.1995 zu beschäfti­gen.

3. Die Be­klag­te zu ver­ur­tei­len, an den Kläger 7.906,92 Eu­ro brut­to zzgl. Zin­sen in Höhe von 5 Pro­zent­punk­ten über dem Ba­sis­zins­satz seit Rechtshängig­keit zu zah­len.

4. Fest­zu­stel­len, dass die Be­klag­te ver­pflich­tet ist, dem Kläger ab dem 01.05.2013 ei­nen Nacht­schicht­zu­schlag in Höhe von 30 % auf den Brut­to­stun­den­lohn zu zah­len oder ei­nen Frei­zeit­aus­gleich für 90 ge­leis­te­te Nacht­stun­den von zwei Ar­beits­ta­gen zu gewähren.

Die Be­klag­te und Be­ru­fungs­be­klag­te be­an­tragt,

die Be­ru­fung zurück­zu­wei­sen.

Die Be­klag­te und Be­ru­fungs­be­klag­te ver­tei­digt das ar­beits­ge­richt­li­che Ur­teil un­ter Auf­recht­er­hal­ten ih­res Be­strei­tens, der Kläger sei al­ko­hol­krank ge­we­sen und ihm ha­be des­halb die Ein­sichtsfähig­keit in den Pflich­ten­ver­s­toß ge­fehlt. Es ha­be sich um ei­ne mas­si­ve ver­trag­li­che Pflicht­ver­let­zung ge­han­delt, die es ihr un­zu­mut­bar ma­che, das Ar­beits­verhält­nis über die Kündi­gungs­frist hin­aus fort­zu­set­zen. An­der­wei­ti­ge freie Ar­beitsplätze, auf de­nen sie den Kläger wei­ter­beschäfti­gen könne, sei­en nicht vor­han­den. Die Wasch­s­traße wer­de nicht von ihr be­trie­ben. Die Zah­lungs­kla­ge sei schon un­schlüssig, da der Kläger die St­un­den nicht auf­ge­schlüsselt ha­be. Der pau­scha­le Ab­zug von 22,22% für die Zeit von 21 – 23 Uhr ge­be die ge­leis­te­ten St­un­den nicht zu­tref­fend wie­der. Der von ihr ge­zahl­te Nacht­zu­schlag sei an­ge­mes­sen, wo­bei ins­be­son­de­re zu berück­sich­ti­gen sei, dass auf­grund der be­trieb­li­chen Ge­ge­ben­hei­ten die Kraft­fah­rer über­wie­gend nachts beschäftigt würden und der Ta­rif­lohn über ver­gleich­ba­ren Ta­riflöhnen lie­ge. Von den 500 beschäftig­ten Kraft­fah­rern sei­en nur 10 Pro­zent auf Ta­ges­tou­ren ein­ge­setzt.

We­gen der wei­te­ren Ein­zel­hei­ten des zweit­in­stanz­li­chen Vor­brin­gens der Par­tei­en wird auf den In­halt der zwi­schen ih­nen ge­wech­sel­ten Schriftsätze nebst An­la­ge so­wie auf das Vor­brin­gen in den münd­li­chen Ver­hand­lungs­ter­mi­nen Be­zug ge­nom­men.

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Ent­schei­dungs­gründe

1. Die gemäß §§ 8 Abs. 2, 64 Abs. 1 und 2 ArbGG, 511 ZPO statt­haf­te Be­ru­fung des Klägers ist form­ge­recht und frist­gemäß im Sin­ne von § 64 Abs. 6, § 66 Abs. 1 ArbGG, §§ 519, 520 Abs. 1 und 3 ZPO ein­ge­legt und be­gründet wor­den.

Die Be­ru­fung des Klägers ist da­her zulässig.

2. Die Be­ru­fung des Klägers hat nur teil­wei­se Er­folg. Das zwi­schen den Par­tei­en be­ste­hen­de Ar­beits­verhält­nis en­de­te nicht auf­grund der or­dent­li­chen Kündi­gung der Be­klag­ten vom 27. Mai 2013 (2.1). Die darüber hin­aus­ge­hen­de Be­ru­fung ist in­des un­be­gründet. Der Kläger hat kei­nen An­spruch auf höhe­re Nacht­ar­beits­zu­schläge (2.2).

2.1 Das zwi­schen den Par­tei­en be­ste­hen­de Ar­beits­verhält­nis wur­de nicht durch die Kündi­gung der Be­klag­ten vom 27. Mai 2013 auf­gelöst, da die­se Kündi­gung so­zi­al un­ge­recht­fer­tigt und da­mit rechts­un­wirk­sam ist. Die Kündi­gung ist nicht durch Gründe in der Per­son oder in dem Ver­hal­ten des Klägers, die sei­ner Wei­ter­beschäfti­gung ent­ge­gen­ste­hen, be­dingt (§ 1 Abs. 2 KSchG).

2.1.1 Al­ler­dings hat der Kläger am 01.05.2013 sei­ne ar­beits­ver­trag­li­che Haupt­leis­tungs­pflicht in er­heb­li­chem Maße ver­letzt, in­dem er an die­sem Tag un­ter Al­ko­hol­ein­fluss den LKW der Be­klag­ten mit Anhänger ge­steu­ert und ei­nen Auf­fahr­un­fall ver­ur­sacht hat. Es steht außer Zwei­fel, dass der Kläger sei­ne Tätig­keit als LKW-Fah­rer nicht un­ter Al­ko­hol­ein­fluss er­brin­gen darf. Dies folgt schon aus öffent­lich-recht­li­chen Vor­schrif­ten wie dem Straßen­ver­kehrs­ge­setz, dem Straf­ge­setz­buch und den Un­fall­verhütungs­vor­schrif­ten. Nach § 24 a St­VG han­delt der­je­ni­ge ord­nungs­wid­rig, der mit ei­nem Wert von 0,25 mg/l Al­ko­hol in der Atem­luft und 0,5 Pro­mil­le Al­ko­hol im Blut am Straßen­ver­kehr teil­nimmt. Nach § 15 Abs. 2 der Un­fall­verhütungs­vor­schrift „Grundsätze der Präven­ti­on“ (BGV A1 idF v. 1.Ja­nu­ar 2004) dürfen Ver­si­cher­te sich durch den Kon­sum von Al­ko­hol, Dro­gen oder an­de­ren be­rau­schen­den Mit­teln nicht in ei­nen Zu­stand ver­set­zen, durch den sie sich selbst oder an­de­re gefähr­den können. Ei­ne Ei­gen- oder Fremd­gefähr­dung liegt ins­be­son­de­re beim Führen von Fahr­zeu­gen oder selbst­fah­ren­den Ar­beits­ma­schi­nen vor (BG-Re­gel A1 zu § 15 Abs. 2). Die­se Maßga­ben spie­geln sich in der aus­drück­li­che Re­ge­lung in der Ar­beits­ord­nung der Be­klag­ten wie­der.

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2.1.2 Die Kam­mer ist da­von aus­ge­gan­gen, dass der Kläger im Zeit­punkt der Kündi­gung al­ko­hol­krank war; nach der Recht­spre­chung des Bun­des­ar­beits­ge­richts (vgl. BAG v. 20.12.2012 – 2 AZR 32/11 – EzA § 1 KSchG Per­so­nen­be­ding­te Kündi­gung Nr. 31) sind so­mit an die Kündi­gung die glei­chen An­for­de­run­gen wie an ei­ne krank­heits­be­ding­te Kündi­gung zu stel­len.

2.1.2.1 Der Kläger war im Zeit­punkt der Kündi­gung al­ko­hol­krank. Dies folgt aus dem vom Kläger ab­sol­vier­ten sta­ti­onären Al­ko­hol­ent­zug und der vom Kläger ein­ge­reich­ten Epi­kri­se über den Ver­lauf des Ent­zugs ein­sch­ließlich der La­bor­wer­te (Bl. 38 – 42 d.A.). Der Kläger wur­de nach ärzt­li­cher Be­gut­ach­tung auf der Sucht­sta­ti­on der Psych­ia­tri­schen Ab­tei­lung zur Ent­zugs­be­hand­lung auf­ge­nom­men. Die in der Epi­kri­se fest­ge­hal­te­ne ärzt­li­che Dia­gno­se lau­tet u.a. auf „Al­ko­hol­ent­zugs­syn­drom bei Al­ko­hol­abhängig­keit“. Nach den Ausführun­gen des Arz­tes in der Epi­kri­se ent­wi­ckel­te der Kläger beim Ent­zug ei­ne schwe­re ve­ge­ta­ti­ve Ent­zugs­sym­pto­ma­tik, die me­di­ka­mentös be­han­delt wer­den muss­te. Mit die­sem Sach­vor­trag hat der Kläger hin­rei­chend schlüssig vor­ge­tra­gen, al­ko­hol­krank zu sein. Das ein­fa­che Be­strei­ten der Be­klag­ten reich­te im Hin­blick auf die­sen Vor­trag nicht aus.

2.1.2.2 War der Kläger zum Zeit­punkt der Kündi­gung al­ko­hol­abhängig sind nach der Recht­spre­chung des Bun­des­ar­beits­ge­richts (vgl. BAG v. 20.12.2012 – 2 AZR 32/11 – EzA § 1 KSchG Per­so­nen­be­ding­te Kündi­gung Nr. 31) an die Kündi­gung, die auf ein Ver­hal­ten des Ar­beit­neh­mers gestützt wird, das im Zu­sam­men­hang mit ei­ner Al­ko­hol­sucht steht, grundsätz­lich die glei­chen An­for­de­run­gen wie an ei­ne krank­heits­be­ding­te Kündi­gung zu stel­len. Al­ko­hol­abhängig­keit ist ei­ne Krank­heit; verstößt der Ar­beit­neh­mer in­fol­ge sei­ner Abhängig­keit ge­gen ar­beits­ver­trag­li­che Pflich­ten, ist ihm zum Zeit­punkt der Pflicht­ver­let­zung kein Schuld­vor­wurf zu ma­chen (BAG v. 20.12.2012 – 2 AZR 32/11 – a.a.O – v. 09.04.1987 - 2 AZR 210/86 - EzA § 1 KSchG Krank­heit Nr 18). Ist im Zeit­punkt der Kündi­gung die Pro­gno­se ge­recht­fer­tigt, der Ar­beit­neh­mer bie­te auf­grund ei­ner Al­ko­hol­sucht dau­er­haft nicht die Gewähr, in der La­ge zu sein, die ver­trag­lich ge­schul­de­te Tätig­keit ord­nungs­gemäß zu er­brin­gen, kann ei­ne or­dent­li­che per­so­nen­be­ding­te Kündi­gung des Ar­beits­verhält­nis­ses ge­recht­fer­tigt sein. Vor­aus­set­zung ist, dass dar­aus ei­ne er­heb­li­che Be­ein­träch­ti­gung der be­trieb­li­chen In­ter­es­sen folgt, die­se durch mil­de­re Mit­tel – et­wa ei­ne Ver­set­zung – nicht ab­ge­wen­det wer­den kann und sie auch bei ei­ner Abwägung ge­gen die In­ter­es­sen des Ar­beit­neh­mers vom Ar­beit­ge­ber bil­li­ger­wei­se nicht mehr hin­ge­nom­men wer­den muss (BAG v. 20.03.2014 – 2 AZR 565/12 – NZA 2014, 602 – 606; BAG v. 20.12.2012 – 2 AZR 32/11- a.a.O.).

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2.1.2.3 Bei An­wen­dung die­ser Grundsätze er­weist sich die streit­ge­genständ­li­che Kündi­gung als per­so­nen­be­ding­te Kündi­gung so­zi­al un­ge­recht­fer­tigt. Im Streit­fall kann nicht da­von aus­ge­gan­gen wer­den, der Kläger bie­te auf­grund von Al­ko­hol­sucht nicht mehr die Gewähr, sei­ne Tätig­keit als LKW-Fah­rer dau­er­haft ord­nungs­gemäß er­brin­gen zu können. Der Kläger war zum Zeit­punkt der Kündi­gung the­ra­pie­be­reit. Dies hat er dem Be­triebs­rat be­reits vor Aus­spruch der Kündi­gung mit­ge­teilt. Der Be­triebs­rat hat sei­nen Wi­der­spruch ge­ra­de da­mit be­gründet, dass der Kläger an­gekündigt hat­te, er wer­de sich we­gen Al­ko­hol­pro­ble­men in ärzt­li­che Be­hand­lung be­ge­ben. Der Kläger hat die er­for­der­li­chen Maßnah­men in die We­ge ge­lei­tet, um von sei­ner Al­ko­ho­lerkran­kung ge­heilt zu wer­den. Be­reits am Tag des Zu­gangs der Kündi­gung hat der Kläger die sta­ti­onäre Be­hand­lung be­gon­nen und den Ent­zug dann auch ab­ge­schlos­sen. Es han­del­te sich da­bei auch nicht et­wa nur um ein Lip­pen­be­kennt­nis, was die nach­fol­gen­de Teil­nah­me an Be­ra­tungs­gesprächen und die Teil­nah­me an der ganztäti­gen am­bu­lan­ten The­ra­pie in der Zeit vom 16.10.2013 bis zum 10.01.2014 do­ku­men­tie­ren. Auf­grund der im Zeit­punkt der Kündi­gung be­ste­hen­den ernst­haf­ten The­ra­pie­be­reit­schaft ist aber ei­ne Pro­gno­se, der Kläger wer­de in ab­seh­ba­rer Zeit nicht von sei­ner Al­ko­ho­lerkran­kung ge­heilt, nicht ge­recht­fer­tigt. Der Kläger ist auch nicht et­wa nach ab­ge­schlos­se­ner The­ra­pie rückfällig ge­wor­den, was wie­der­um ei­ne ne­ga­ti­ve Pro­gno­se recht­fer­ti­gen könn­te (vgl. BAG v. 16.09.1999 – 2 AZR 123/99 - ).

Et­was an­de­res gilt nicht des­halb, weil – wie von der Be­klag­ten vor­ge­tra­gen – die Rück­fall­quo­te bei Al­ko­hol­abhängig­keit 50 Pro­zent be­tra­gen soll. Es kann dem Kläger nämlich nicht von vor­ne­her­ein un­ter­stellt wer­den, er zähle zu den 50 Pro­zent, die ei­nen Rück­fall er­lei­den. Et­wai­gen Un­si­cher­hei­ten über den The­ra­pie­er­folg kann die Be­klag­ten mit der An­for­de­rung ärzt­li­cher At­tes­te über den Er­folg der The­ra­pie und Al­ko­hol­kon­trol­len be­geg­nen. Da­zu hat sich der Kläger be­reit erklärt. Be­son­de­re Umstände, aus de­nen sich er­ge­ben würde, dass der Be­klag­ten sol­che Kon­trol­len un­zu­mut­bar wären, hat die Be­klag­te nicht dar­ge­tan. Da Al­ko­hol­kon­sum auch länger­fris­tig nach­weis­bar ist, bedürf­te es da­zu nicht mehr­fa­cher tägli­cher Kon­trol­len.

Dem Kläger fehl­te auch nicht auf­grund ei­ner Al­ko­ho­lerkran­kung die Eig­nung als LKW-Fah­rer tätig zu wer­den. Zwar ist nach § 3 Abs. 1 St­VG i. V. m. § 46 Abs. 3 FeV die Fahr­er­laub­nis zu ent­zie­hen, wenn sich de­ren In­ha­ber als un­ge­eig­net zum Führen von Kraft­fahr­zeu­gen er­weist. Nach Nr. 8.3 des An­hangs 4 zur FeV be­sit­zen Per­so­nen, die al­ko­hol­abhängig sind, die Fahr­eig­nung nicht. Die er­for­der­li­chen Fest­stel­lun­gen dafür sind der Fahr­er­laub­nis­behörde vor­be­hal­ten und un­ter­lie­gen dem dor­ti­gen Ver­fah­ren ein­sch­ließlich der ent­spre­chen­den Rechts­mit­tel. Die­se Behörde hat die feh­len­de Eig­nung des Klägers nicht

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fest­ge­stellt und ihm die Fahr­er­laub­nis auch nicht ent­zo­gen. Das ist zwi­schen den Par­tei­en un­strei­tig. Oh­ne ei­ne sol­che behörd­li­che Ent­schei­dung konn­te die Be­klag­te nicht zwin­gend von ei­ner (dau­er­haf­ten) feh­len­den Eig­nung aus­ge­hen. Denn nach ei­ner Ent­zugs­be­hand­lung kann die Eig­nung wie­der be­jaht wer­den (8.4 der An­la­ge 4 FeV).

2.1.2.4 Für ei­ne krank­heits­be­ding­te Kündi­gung fehlt es schon an den zu pro­gnos­ti­zie­ren­den er­heb­li­chen Fehl­zei­ten. Der sta­ti­onäre Ent­zug des Klägers dau­er­te ge­ra­de ein­mal zwei Wo­chen, die späte­re am­bu­lan­te The­ra­pie ein­ma­lig et­wa drei Mo­na­te.

2.1.2.5 Aus die­sen Gründen erfüllt die streit­ge­genständ­li­che Kündi­gung die An­for­de­run­gen an ei­ne per­so­nen­be­ding­te Kündi­gung nicht.

2.1.3 Selbst wenn man da­von aus­ge­hen woll­te, dass dem Kläger das Führen des LKW un­ter Al­ko­hol­ein­fluss vor­werf­bar wäre und die Kündi­gung mit­hin auf ih­re so­zia­le Recht­fer­ti­gung un­ter ver­hal­tens­be­ding­ten Gründen zu prüfen wäre, er­gibt sich kein an­de­res Er­geb­nis.

2.1.3.1 Ei­ne Kündi­gung ist aus Gründen im Ver­hal­ten des Ar­beit­neh­mers gemäß § 1 Abs. 2 KSchG „be­dingt“ und da­mit so­zi­al ge­recht­fer­tigt, wenn der Ar­beit­neh­mer sei­ne Ver­trags­pflich­ten er­heb­lich - in der Re­gel schuld­haft - ver­letzt hat und ei­ne dau­er­haf­te störungs­freie Ver­trags­erfüllung in Zu­kunft nicht mehr zu er­war­ten steht. Dann kann dem Ri­si­ko künf­ti­ger Störun­gen nur durch die (frist­gemäße) Be­en­di­gung des Ar­beits­verhält­nis­ses be­geg­net wer­den (std. Rspr. BAG vgl. z.B. Ur­teil vom 23. Ja­nu­ar 2014 – 2 AZR 638/13 –, ju­ris; Ur­teil vom 27. Sep­tem­ber 2012 – 2 AZR 811/11 – EzA § 1 KSchG Ver­hal­tens­be­ding­te Kündi­gung Nr 81). Das wie­der­um ist nicht der Fall, wenn schon mil­de­re Mit­tel und Re­ak­tio­nen - wie et­wa ei­ne Ab­mah­nung - von Sei­ten des Ar­beit­ge­bers ge­eig­net ge­we­sen wären, beim Ar­beit­neh­mer künf­ti­ge Ver­trags­treue zu be­wir­ken (std. Rspr. vgl. z.B BAG v. 23. Ja­nu­ar 2014 – 2 AZR 638/13 a.a.O.).

Für ei­ne ver­hal­tens­be­ding­te Kündi­gung gilt das Pro­gno­se­prin­zip. Der Zweck der Kündi­gung ist nicht ei­ne Sank­ti­on für ei­ne be­gan­ge­ne Ver­trags­pflicht­ver­let­zung, son­dern die Ver­mei­dung des Ri­si­kos wei­te­rer er­heb­li­cher Pflicht­ver­let­zun­gen. Die ver­gan­ge­ne Pflicht­ver­let­zung muss sich des­halb noch in der Zu­kunft be­las­tend aus­wir­ken (BAG v. 13.12.2007 - 2 AZR 818/06 - NZA 2008, 589-592 mwN). Ei­ne ne­ga­ti­ve Pro­gno­se liegt vor, wenn aus der kon­kre­ten Ver­trags­pflicht­ver­let­zung und der dar­aus re­sul­tie­ren­den Ver­tragsstörung ge­schlos­sen wer­den kann, der Ar­beit­neh­mer wer­de auch zukünf­tig den

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Ar­beits­ver­trag nach ei­ner Kündi­gungs­an­dro­hung er­neut in glei­cher oder ähn­li­cher Wei­se ver­let­zen (BAG v. 13.12.2007 - 2 AZR 818/06 – a.a.O.). Des­halb setzt ei­ne Kündi­gung we­gen ei­ner Ver­trags­pflicht­ver­let­zung auch re­gelmäßig ei­ne Ab­mah­nung vor­aus. Die­se dient der Ob­jek­ti­vie­rung der ne­ga­ti­ven Pro­gno­se (BAG Ur­teil vom 10. Ju­ni 2010 – 2 AZR 541/09 –BA­GE 134, 349-367). Liegt ei­ne ord­nungs­gemäße Ab­mah­nung vor und ver­letzt der Ar­beit­neh­mer er­neut sei­ne ver­trag­li­chen Pflich­ten, kann re­gelmäßig da­von aus­ge­gan­gen wer­den, es wer­de auch zukünf­tig zu wei­te­ren Ver­tragsstörun­gen kom­men

2.1.3.2 Die­sem Maßstab hält die streit­ge­genständ­li­che Kündi­gung auch dann nicht stand, wenn dem Kläger sein Ver­hal­ten vor­zu­wer­fen ist, weil er es – un­ge­ach­tet der Al­ko­ho­lerkran­kung – hätte steu­ern können. Im vor­lie­gen­den Fall fehlt es nämlich im Zeit­punkt der Kündi­gung an der auch für die ver­hal­tens­be­ding­te Kündi­gung er­for­der­li­chen ne­ga­ti­ven Pro­gno­se. Im Streit­fall kann nicht al­lein aus der Pflicht­ver­let­zung dar­auf ge­schlos­sen wer­den, der Kläger wer­de auch in Zu­kunft sei­ne ar­beits­ver­trag­li­chen Pflich­ten in glei­cher oder ähn­li­cher Wei­se ver­let­zen. Denn auch in­so­weit ist zu berück­sich­ti­gen, dass der Kläger zum Zeit­punkt der Kündi­gung al­ko­hol­krank, aber the­ra­pie­be­reit war und sich ei­ner Ent­zugs­be­hand­lung un­ter­zo­gen hat. Mit ei­nem er­folg­rei­chen Ent­zug be­sei­tigt der Kläger den Auslöser der Pflicht­ver­let­zung. Dann lässt sich nicht al­lein aus der Pflicht­ver­let­zung und de­ren Schwe­re ei­ne ne­ga­ti­ve Pro­gno­se für die Zu­kunft ab­lei­ten. Es fehlt an der Tat­sa­chen­grund­la­ge für die An­nah­me, der Kläger wer­de auch nach der Be­hand­lung sei­ner Al­ko­ho­lerkran­kung al­ko­ho­li­siert zur Ar­beit er­schei­nen.

2.1.2.3 Bei die­ser Sach­la­ge er­weist sich die Kündi­gung zu­dem als un­verhält­nismäßig, weil ei­ne Ab­mah­nung als mil­de­res Mit­tel ge­eig­net ge­we­sen wäre, zukünf­ti­ge Ver­trags­treue des Klägers zu be­wir­ken. Nach der Recht­spre­chung des BAG ist in den Fällen, in de­nen die Ver­trags­pflicht­ver­let­zung auf steu­er­ba­rem Ver­hal­ten des Ar­beit­neh­mers be­ruht, grundsätz­lich da­von aus­zu­ge­hen, dass das künf­ti­ge Ver­hal­ten be­reits durch die An­dro­hung von Fol­gen für den Be­stand des Ar­beits­verhält­nis­ses po­si­tiv be­ein­flusst wer­den kann (std. Rspr. BAG z.B. Ur­teil vom 23. Ja­nu­ar 2014 – 2 AZR 638/13 –, ju­ris mwN).

Dies gilt ge­ra­de auch im vor­lie­gen­den Fall. Der Kläger hat mit sei­ner The­ra­pie­be­reit­schaft im Zeit­punkt der Kündi­gung und dem Al­ko­hol­ent­zug, deut­lich sei­nen Wil­len zum Aus­druck ge­bracht, sei­nen Ar­beits­ver­trag zukünf­tig kor­rekt zu erfüllen. Mit dem Ent­zug und der The­ra­pie schafft er die dafür er­for­der­li­chen Vor­aus­set­zun­gen. In An­be­tracht die­ses Ver­hal­tens kann dem Kläger auch nicht un­ter­stellt wer­den, ihm feh­le die er­for­der­li­che Ein­sicht in Be­zug auf sei­nen ar­beits­ver­trag­li­chen Pflich­ten­kreis. Viel­mehr spricht für die

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Ein­sicht des Klägers als Grund­la­ge für den Er­folg ei­ner The­ra­pie und da­mit als Vor­aus­set­zung ei­ner zukünf­ti­gen ord­nungs­gemäßen Ver­trags­erfüllung der Um­stand, dass er – wenn auch viel­leicht erst im Zu­ge der von der Be­klag­ten vor­be­rei­te­ten Kündi­gung – die Er­eig­nis­se zum An­lass ge­nom­men hat, sich we­gen der Al­ko­ho­lerkran­kung in ärzt­li­che Be­hand­lung zu be­ge­ben und kon­se­quent so­fort mit dem Ent­zug be­gon­nen hat. Die vom Ar­beits­ge­richt her­an­ge­zo­ge­ne Äußerung des Klägers im Rah­men des dor­ti­gen Kam­mer­ter­mins stellt dies nicht in Fra­ge.

Ei­ne Ab­mah­nung war nicht im Hin­blick auf die Schwe­re der Pflicht­ver­let­zung ent­behr­lich. Auch wenn die Pflicht­ver­let­zung schwer­wie­gend war, war den­noch zu berück­sich­ti­gen, dass der Kläger mit dem Ent­zug das sei­ner­seits Er­for­der­li­che in An­griff ge­nom­men hat, um zukünf­ti­ge ver­gleich­ba­re Pflicht­ver­let­zun­gen zu ver­mei­den.

2.1.2.4 Zu­dem über­wo­gen im Rah­men der In­ter­es­sen­abwägung die In­ter­es­sen des Klägers am Fort­be­stand sei­nes Ar­beits­verhält­nis­ses ge­genüber den In­ter­es­sen des Be­klag­ten an des­sen Be­en­di­gung. Bei der In­ter­es­sen­abwägung war zu­guns­ten des Klägers sei­ne er­heb­li­che Be­triebs­zu­gehörig­keit zu berück­sich­ti­gen. Der Kläger hat im Zeit­punkt der Kündi­gung sei­ne Pflicht­ver­let­zung und de­ren Ur­sa­chen ein­ge­se­hen, wie sich aus sei­ner The­ra­pie­be­reit­schaft er­gibt. Er hat mit dem Ent­zug das zunächst Not­wen­di­ge ver­an­lasst und auf sich ge­nom­men, zukünf­ti­ge ver­gleich­ba­re Pflicht­ver­let­zun­gen zu ver­hin­dern. Da­mit wird auch aus­rei­chend der Ver­ant­wor­tung der Be­klag­ten ge­genüber der All­ge­mein­heit Rech­nung ge­tra­gen, nur sol­che LKW-Fah­rer ein­zu­set­zen, die den Straßen­ver­kehr nicht durch Al­ko­hol­ge­nuss gefähr­den. Die vom Ar­beits­ge­richt an­ge­spro­che­nen ge­ne­ral-präven­ti­ven Ge­sichts­punk­te zur Durch­set­zung ei­nes ab­so­lu­ten Al­ko­hol­ver­bots wer­den da­durch nicht berührt. Es geht vor­lie­gend nicht um die ein­ma­li­ge Hin­nah­me ei­ner Al­ko­hol­fahrt durch die Be­klag­te, son­dern um die Wei­ter­beschäfti­gung ei­nes al­ko­hol­kran­ken Mit­ar­bei­ters nach ei­ner The­ra­pie.

2.1.3 Aus die­sen Gründen er­weist sich die streit­ge­genständ­li­che Kündi­gung we­der als per­so­nen­be­ding­te noch als ver­hal­tens­be­ding­te Kündi­gung als so­zi­al ge­recht­fer­tigt und da­mit als rechts­un­wirk­sam. Im Hin­blick dar­auf war die Be­klag­te bis zum rechts­kräfti­gen Ab­schluss des Kündi­gungs­rechts­streits zur Wei­ter­beschäfti­gung des Klägers nach Maßga­be des zu­letzt zwi­schen den Par­tei­en ab­ge­schlos­se­nen Ar­beits­ver­tra­ges zu ver­ur­tei­len.

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2.2 Die wei­ter­ge­hen­de Be­ru­fung des Klägers ist un­be­gründet. Der Kläger hat kei­nen An­spruch auf Zah­lung von Nacht­zu­schlägen in Höhe von 30% sei­nes St­un­den­lohns. Dies gilt auch für die vom Kläger be­gehr­te Fest­stel­lung für die Zeit ab Mai 2013.

2.2.1 Die Kla­ge ist zulässig. Für den Fest­stel­lungs­an­trag liegt das gemäß § 256 ZPO er­for­der­li­che Fest­stel­lungs­in­ter­es­se vor. Zwi­schen den Par­tei­en steht im Streit, in wel­cher Höhe die Be­klag­te an den Kläger Nacht­ar­beits­zu­schläge zu zah­len bzw. dem Kläger Frei­zeit­aus­gleich zu gewähren hat. Die­ser Streit kann mit dem vor­lie­gen­den Fest­stel­lungs­an­trag ver­bind­lich zwi­schen den Par­tei­en geklärt wer­den. Nach­dem der Kläger mit sei­nem Kündi­gungs­schutz­an­trag ob­siegt hat, das Ar­beits­verhält­nis zwi­schen den Par­tei­en al­so fort­be­steht, han­delt es sich auch nicht um ei­ne rein ver­gan­gen­heits­be­zo­ge­ne Fest­stel­lung, ge­genüber der ei­ne Zah­lungs­kla­ge vor­ran­gig sein könn­te.

2.2.2 Zah­lungs- und Fest­stel­lungs­kla­ge sind je­doch un­be­gründet. Der Kläger hat kei­nen An­spruch aus § 6 Abs. 5 Arb­ZG auf Zah­lung höhe­rer Nacht­zu­schläge, als die Be­klag­te be­reits ge­zahlt hat bzw. zahlt.

2.2.2.1 Ansprüche des Klägers sind nicht ver­fal­len. Die ver­trag­li­che Aus­schluss­frist hält ei­ner Prüfung an­hand der §§ 305 ff. BGB nicht stand.

2.2.2.1.1 Bei dem schrift­li­chen Ar­beits­ver­trag han­delt es sich um all­ge­mei­ne Geschäfts­be­din­gun­gen. Nach dem äußeren Er­schei­nungs­bild und den in­halt­li­chen Re­ge­lun­gen wur­den die­se von der Be­klag­ten vor­for­mu­liert und sind für ei­ne Viel­zahl von Verträgen be­stimmt.

2.2.2.1.2 Wie das Ar­beits­ge­richt be­reits aus­geführt hat, ist die im Ar­beits­ver­trag un­ter § 7 ge­re­gel­te Aus­schluss­frist nicht Ver­trags­be­stand­teil ge­wor­den, weil es sich um ei­ne über­ra­schen­de Klau­sel han­delt (§ 305 c Abs. 1 BGB). Sie ist dort un­ter § 7 Nr. 4 ge­re­gelt, oh­ne dass sie in ir­gend­ei­ner Wei­se aus dem übri­gen Ver­trags­text her­vor­ge­ho­ben wor­den wäre. Auch der sons­ti­ge Zu­sam­men­hang in § 7 lässt für ei­nen Le­ser nicht oh­ne wei­te­res er­ken­nen, dass im letz­ten Ab­schnitt noch maßgeb­li­che Re­ge­lun­gen zur Gel­tend­ma­chung von Ansprüchen fol­gen würden. Darüber hin­aus ist die Klau­sel un­wirk­sam, da sie nicht hin­rei­chend klar und verständ­lich ist (§ 307 Abs. 1 BGB). Sie ist in sich wi­dersprüchlich, weil sie zum ei­nen für den Frist­be­ginn auf die Fällig­keit zum an­de­ren auf das Aus­schei­den des Ar­beit­neh­mers ab­stellt.

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2.2.2.2 Gemäß § 6 Abs. 5 Arb­ZG hat der Ar­beit­ge­ber dem Nacht­ar­beit­neh­mer für die während der Nacht­zeit ge­leis­te­ten Ar­beits­stun­den ei­ne an­ge­mes­se­ne Zahl be­zahl­ter frei­er Ta­ge oder ei­nen an­ge­mes­se­nen Zu­schlag auf das ihm hierfür zu­ste­hen­de Brut­to­ar­beits­ent­gelt zu gewähren.

Die Höhe des an­ge­mes­se­nen Nacht­zu­schlags nach § 6 Abs. 5 Arb­ZG rich­tet sich nach der Ge­gen­leis­tung, für die sie be­stimmt ist. Re­gelmäßig ist ein Zu­schlag von 25% als an­ge­mes­sen an­zu­se­hen, von dem aber – je nach den Umständen des Ein­zel­falls nach oben oder un­ten ab­ge­wi­chen wer­den kann (BAG 11. Fe­bru­ar 2009 – 5 AZR 148/08 –, AP Nr 9 zu § 6 Arb­ZG; vom 1. Fe­bru­ar 2006 - 5 AZR 422/04 - NZA 2006, 494; vom 27. Mai 2003 - 9 AZR 180/02 - AP Arb­ZG § 6 Nr. 5). Ein ge­rin­ge­rer Aus­gleich kann er­for­der­lich sein, wenn in die Nacht­ar­beit Ar­beits­be­reit­schaft fällt. Nach der Art der Ar­beits­leis­tung ist auch zu be­ur­tei­len, ob der vom Ge­setz­ge­ber mit dem Lohn­zu­schlag ver­folg­te Zweck, im In­ter­es­se der Ge­sund­heit des Ar­beit­neh­mers Nacht­ar­beit zu ver­teu­ern, zum Tra­gen kom­men muss (BAG 11. Fe­bru­ar 2009 - 5 AZR 148/08 - AP Arb­ZG § 6 Nr. 9). Die im Wirt­schafts­zweig des Ar­beit­ge­bers be­ste­hen­den Ta­rif­verträge können ei­ne Ori­en­tie­rung bie­ten, auch wenn ta­rif­ver­trag­li­che Re­ge­lun­gen nicht oh­ne wei­te­res an­zu­wen­den sind (vgl. BAG vom 27.05.2003 – 9 AZR 180/02 – AP Nr. 5 zu § 6 Arb­ZG). In ih­nen spie­geln sich die Be­son­der­hei­ten des je­wei­li­gen Wirt­schafts­zwei­ges und des je­wei­li­gen Bun­des­lan­des wie­der. Nicht aus­ge­schlos­sen ist auch, dass die Ar­beits­ver­trags­par­tei­en auf ei­ne ge­son­der­te Zu­schlags­re­ge­lung ver­zich­te­ten und statt­des­sen den Grund­lohn we­gen der ver­ein­bar­ten Nacht­ar­beit ent­spre­chend erhöhen (BAG vom 11.02.2009 – 5 AZR 148/08 – AP Nr. 9 zu § 6 Arb­ZG). Hierfür ist re­gelmäßig er­for­der­lich, dass in dem Ar­beits­ver­trag zwi­schen der Grund­vergütung und dem (zusätz­li­chen) Nacht­ar­beits­zu­schlag un­ter­schie­den wird; je­den­falls muss ein Be­zug zwi­schen der zu leis­ten­den Nacht­ar­beit und der Lohnhöhe her­ge­stellt sein (BAG vom 05.09.2002 – 9 AZR 202/01 aaO.).

2.2.2.3 Un­ter Berück­sich­ti­gung die­ser Grundsätze war auch im vor­lie­gen­den Fall der von der Be­klag­ten ge­zahl­te Nacht­ar­beits­zu­schlag als an­ge­mes­sen an­zu­se­hen, auch wenn er noch kei­ne 25 % beträgt.

2.2.2.3.1 Die Vor­aus­set­zun­gen von § 6 Abs. 5 Arb­ZG lie­gen vor. Der Kläger war Nacht­ar­beit­neh­mer im Sin­ne des Ar­beits­zeit­ge­set­zes. Er leis­te­te an min­des­tens 48 Ta­gen im Ka­len­der­jahr Nacht­ar­beit (§ 2 Abs. 5 Nr. 2 Arb­ZG iVm. § 2 Abs. 3 und 4 Arb­ZG). § 6 Abs. 5 Arb­ZG ist auch ein­schlägig, da Ta­rif­verträge un­strei­tig auf das Ar­beits­verhält­nis kei­ne un­mit­tel­ba­re An­wen­dung fin­den.

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2.2.2.3.2 Zu Guns­ten der Be­klag­ten war nicht schon zu berück­sich­ti­gen, dass sie ih­re be­trieb­li­che Tätig­keit über­wie­gend zu Nacht­zei­ten er­bringt. Dies ent­spricht al­lein dem wirt­schaft­li­chen Kon­zept der Be­klag­ten, nicht aber außer­halb des Un­ter­neh­mens der Be­klag­ten lie­gen­den zwin­gen­den Not­wen­dig­kei­ten, wie dies z. B. in ei­nem Kran­ken­haus­be­trieb für die Nacht­wa­che oder im Ret­tungs­dienst der Fall wäre. In­so­fern entfällt nicht der bei Nacht­ar­beits­zu­schlägen zu berück­sich­ti­gen­de ge­setz­ge­be­ri­schen Zweck, Nacht­ar­beit zu ver­teu­ern.

2.2.2.3.3 Dass die Be­klag­te die Tätig­keit ih­rer Mit­ar­bei­ter während der Nacht­zeit mit ei­nem an­ge­mes­se­nen Zu­schlag vergütet, zeigt sich in­des an­hand der be­ste­hen­den ta­rif­ver­trag­li­chen Re­ge­lun­gen für das Ver­kehrs­ge­wer­be. Auch wenn – nach den obi­gen Grundsätzen – ta­rif­ver­trag­li­che Zu­schläge nicht un­be­se­hen her­an­ge­zo­gen wer­den können, die­nen sie als Ori­en­tie­rungs­hil­fe. Die Ta­rif­ver­trags­par­tei­en ma­chen da­mit für das be­tref­fen­de Ge­wer­be deut­lich, wie die durch die Nacht­ar­beit auf­tre­ten­den Er­schwer­nis­se in ih­rem kon­kre­ten Ge­wer­be zu be­wer­ten sind. Der für die Länder Ber­lin und Bran­den­burg gel­ten­de Man­tel­ta­rif­ver­trag für Kraft­fah­rer im Güter­fern­ver­kehr sieht ei­nen pau­scha­len Zu­schlag für Nacht­ar­beit vor, der bei ei­ner Tätig­keit von mehr als vier St­un­den 6,00 Eu­ro pro Nacht­schicht beträgt. Dem ent­spre­chen die ta­rif­li­chen Re­ge­lun­gen für Bay­ern, die im Fern­ver­kehr ei­nen Zu­schlag von 5,00 Eu­ro je Nacht vor­se­hen, eben­so wie der Ta­rif­ver­trag für Rhein­land-Pfalz, wo­bei dort Über­g­angs­re­ge­lun­gen für höhe­re Nacht­zu­schläge in der Ver­gan­gen­heit vor­ge­se­hen sind. Auch wenn der Ta­rif­ver­trag für Ham­burg ei­nen Zu­schlag von 25 % vor­sieht, können die Ta­rif­verträge für an­de­re Bun­desländer nicht per se als un­an­ge­mes­se­ne Vergütung von Nacht­ar­beit an­ge­se­hen wer­den.

Zwar können die ta­rif­ver­trag­li­chen Re­ge­lun­gen nach den obi­gen Grundsätzen nicht un­be­se­hen auf den An­spruch nach § 6 Abs. 5 Arb­ZG über­tra­gen wer­den. Die Be­klag­te ist eben­so we­nig wie der Kläger ta­rif­ge­bun­den. In den Ta­rif­verträgen spie­gelt sich aber die Einschätzung des Wirt­schafts­zwei­ges zu den durch die Nacht­ar­beit auf­tre­ten­den Be­las­tun­gen wie­der. Aus der Dif­fe­ren­zie­rung zwi­schen dem Nah- und Fern­ver­kehr wird deut­lich, dass die Ta­rif­ver­trags­par­tei­en die durch die Nacht­ar­beit auf­tre­ten­den Be­las­tun­gen für die Fern­fahr­ten als we­ni­ger gra­vie­rend an­ge­se­hen ha­ben. Zu­dem ist hier zu berück­sich­ti­gen, dass die ta­rif­li­chen Zu­schläge nicht durch wei­te­re Re­ge­lun­gen ergänzt wer­den, die als Vergütung der Nacht­ar­beit her­an­ge­zo­gen wer­den könn­ten und ge­genüber den Vergütungs­re­ge­lun­gen der Be­klag­ten güns­ti­ger wären. Viel­mehr zahlt die Be­klag­te ge­genüber den ta­rif­li­chen Ent­gel­ten um 1/3 höhe­re St­un­denlöhne, die – wor­auf das

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Ar­beits­ge­richt be­reits ab­ge­stellt hat – bei der Prüfung der An­ge­mes­sen­heit mit­ein­be­zo­gen wer­den können. Zwar dif­fe­ren­ziert der Ar­beits­ver­trag nicht zwi­schen der Grund­vergütung und dem Nacht­zu­schlag. Der Be­zug zwi­schen der zu leis­ten­den Nacht­ar­beit und der Lohnhöhe er­gibt sich gleich­wohl aus den ver­trag­li­chen Ver­ein­ba­run­gen. Der ver­ein­bar­te St­un­den­lohn wur­de nämlich für die Nacht­ar­beit ge­zahlt. Nach ih­rem wirt­schaft­li­chen Kon­zept er­bringt die Be­klag­te über­wie­gend ih­re Tätig­keit mit Nacht­fahr­ten. Für die­se Tätig­kei­ten wur­de der Ar­beits­ver­trag ab­ge­schlos­sen. Auch der Kläger wur­de nach sei­ner mo­nat­li­chen Auf­stel­lung über­wie­gend nachts ein­ge­setzt. Nach sei­nem Vor­trag in der münd­li­chen Ver­hand­lung war Schicht­be­ginn re­gelmäßig 21 Uhr.

2.2.2.4 Er­weist sich der Zu­schlag als an­ge­mes­sen, kam es in Be­zug auf den Zah­lungs­an­trag nicht dar­auf an, ob der Kläger mit dem pau­scha­len Ab­zug von 22,22 % für die St­un­den von 21:00 Uhr bis 23:00 Uhr sei­ne Kla­ge­for­de­rung kor­rekt be­rech­net hat.

3. Ent­spre­chend des Ob­sie­gens bzw. Un­ter­lie­gens der Par­tei­en wa­ren die Kos­ten des Rechts­streits gemäß § 92 ZPO zu ver­tei­len. Hin­sicht­lich der Nacht­zu­schläge war die Re­vi­si­on gemäß § 72 Abs. 2 ArbGG für den Kläger zu­zu­las­sen. Die Zu­las­sung der Re­vi­si­on für die Be­klag­te kam vor­lie­gend nicht in Be­tracht, da es sich bei der Ent­schei­dung über die Kündi­gung um ei­ne auf den Ein­zel­fall be­zo­ge­ne Ent­schei­dung oh­ne grundsätz­li­che Be­deu­tung han­delt.

 

Rechts­mit­tel­be­leh­rung
 


Ge­gen die­ses Ur­teil kann von dem Kläger bei dem


Bun­des­ar­beits­ge­richt,
Hu­go-Preuß-Platz 1, 99084 Er­furt
(Post­adres­se: 99113 Er­furt),

Re­vi­si­on ein­ge­legt wer­den.

Die Re­vi­si­on muss in­ner­halb

ei­ner Not­frist von ei­nem Mo­nat

schrift­lich beim Bun­des­ar­beits­ge­richt ein­ge­legt wer­den.

Sie ist gleich­zei­tig oder in­ner­halb

ei­ner Frist von zwei Mo­na­ten

schrift­lich zu be­gründen.

Bei­de Fris­ten be­gin­nen mit der Zu­stel­lung des in vollständi­ger Form ab­ge­setz­ten Ur­teils, spätes­tens aber mit Ab­lauf von fünf Mo­na­ten nach der Verkündung.

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Die Re­vi­si­ons­schrift muss die Be­zeich­nung des Ur­teils, ge­gen das die Re­vi­si­on ge­rich­tet wird und die Erklärung ent­hal­ten, dass ge­gen die­ses Ur­teil Re­vi­si­on ein­ge­legt wer­de.

Die Re­vi­si­ons­schrift und die Re­vi­si­ons­be­gründung müssen von ei­nem Pro­zess­be­vollmäch­tig­ten un­ter­zeich­net sein. Als sol­che sind außer Rechts­anwälten nur fol­gen­de Stel­len zu­ge­las­sen, die zu­dem durch Per­so­nen mit Befähi­gung zum Rich­ter­amt han­deln müssen:

• Ge­werk­schaf­ten und Ver­ei­ni­gun­gen von Ar­beit­ge­bern so­wie Zu­sam­men­schlüsse sol­cher Verbände für ih­re Mit­glie­der oder für an­de­re Verbände oder Zu­sam­men­schlüsse mit ver­gleich­ba­rer Aus­rich­tung und de­ren Mit­glie­der,
• ju­ris­ti­sche Per­so­nen, de­ren An­tei­le sämt­lich im wirt­schaft­li­chen Ei­gen­tum ei­ner der vor­ge­nann­ten Or­ga­ni­sa­tio­nen ste­hen, wenn die ju­ris­ti­sche Per­son aus­sch­ließlich die Rechts­be­ra­tung und Pro­zess­ver­tre­tung die­ser Or­ga­ni­sa­ti­on und ih­rer Mit­glie­der oder an­de­rer Verbände oder Zu­sam­men­schlüsse mit ver­gleich­ba­rer Aus­rich­tung und de­ren Mit­glie­der ent­spre­chend de­ren Sat­zung durchführt, und wenn die Or­ga­ni­sa­ti­on für die Tätig­keit der Be­vollmäch­tig­ten haf­tet.

Für die Be­klag­te ist kein Rechts­mit­tel ge­ge­ben.
Auf die Möglich­keit der Nicht­zu­las­sungs­be­schwer­de gem. § 72 a ArbGG wird hin­ge­wie­sen.

Der Schrift­form wird auch durch Ein­rei­chung ei­nes elek­tro­ni­schen Do­ku­ments i. S. d. § 46 c ArbGG genügt. Nähe­re In­for­ma­tio­nen da­zu fin­den sich auf der In­ter­net­sei­te des Bun­des­ar­beits­ge­richts un­ter www.bun­des­ar­beits­ge­richt.de.

R.  

P.  

T.

Hin­weis der Geschäfts­stel­le
Das Bun­des­ar­beits­ge­richt bit­tet, sämt­li­che Schriftsätze in sie­ben­fa­cher Aus­fer­ti­gung ein­zu­rei­chen.

Weitere Auskünfte erteilen Ihnen gern:

Dr. Martin Hensche
Rechtsanwalt
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