HENSCHE RECHTSANWÄLTE, FACHANWALTSKANZLEI FÜR ARBEITSRECHT

ARBEITSRECHT AKTUELL // 14/380

Un­fall un­ter Al­ko­hol­ein­fluss be­rech­tigt nicht im­mer zur Kün­di­gung

Kei­ne ver­hal­tens­be­ding­te Kün­di­gung ei­nes al­ko­hol­kran­ken Be­rufs­kraft­fah­rers we­gen Un­falls un­ter Al­ko­hol­ein­fluss: Lan­des­ar­beits­ge­richt Ber­lin-Bran­den­burg, Ur­teil vom 12.08.2014, 7 Sa 852/14
Verkehrsunfall mit verletzter Frau und Sanitätern im Vordergrund

17.11.2014. Im April be­rich­te­ten wir über ein Ur­teil des Ar­beits­ge­richts Ber­lin, mit dem die ver­hal­tens­be­ding­te Kün­di­gung ei­nes al­ko­hol­kran­ken Be­rufs­kraft­fah­rer für rech­tens er­klärt wur­de, nach­dem die­ser un­ter Al­ko­hol­ein­fluss bei der Ar­beit ei­nen Un­fall ver­ur­sacht hat­te (Ar­beits­recht ak­tu­ell: 14/137 Kün­di­gung we­gen Al­ko­hols am Ar­beits­platz).

Frag­lich ist in sol­chen Fäl­len, wie weit die Krank­heit Al­ko­ho­lis­mus den Ar­beit­neh­mer vor ver­hal­tens­be­ding­ten Kün­di­gung ab­si­chert, d.h. ob der Ar­beit­ge­ber nur die Mög­lich­keit ei­ner krank­heits­be­ding­ten Kün­di­gung hat.

Vor kur­zem wur­de be­kannt, dass das Lan­des­ar­beits­ge­richt (LAG) den Fall des Ar­beits­ge­richts Ber­lin an­ders­her­um ent­schie­den hat, d.h. zu­guns­ten des Ar­beit­neh­mers: LAG Ber­lin-Bran­den­burg, Ur­teil vom 12.08.2014, 7 Sa 852/14 (Pres­se­mel­dung).

Wel­che Pflicht­verstöße ei­nes al­ko­hol­kran­ken Ar­beit­neh­mers sind durch sei­ne Krank­heit ent­schul­digt?

Al­ko­hol­kran­ken Ar­beit­neh­mern kann ihr Al­ko­hol­kon­sum im All­ge­mei­nen nicht zum Vor­wurf ge­macht wer­den, weil sie ihn krank­heits­be­dingt nicht steu­ern können. Auch wie­der­hol­te Verstöße al­ko­hol­kran­ker Ar­beit­neh­mer ge­gen be­trieb­li­che Al­ko­hol­ver­bo­te rei­chen da­her meist für ei­ne ver­hal­tens­be­ding­te Kündi­gung nicht aus.

Da­her können Ar­beit­ge­ber in sol­chen Fällen in der Re­gel nur ei­ne per­so­nen- bzw. krank­heits­be­ding­te Kündi­gung aus­spre­chen. Vor­aus­set­zung dafür ist, dass der Ar­beit­neh­mer the­ra­pie­un­wil­lig ist und/oder dass meh­re­re The­ra­pie­ver­su­che ge­schei­tert sind (Ar­beits­recht ak­tu­ell: 10/143 Vor­aus­set­zun­gen ei­ner Kündi­gung we­gen Al­ko­hol­sucht).

An­de­rer­seits fragt sich, ob wirk­lich je­der Pflicht­ver­s­toß ei­nes Al­ko­ho­li­kers, der während der Ar­beit un­ter Al­ko­hol­ein­fluss be­gan­gen wur­de, als Grund für ei­ne ver­hal­tens­be­ding­te Kündi­gung aus­schei­det. Im April 2014 hat das Ar­beits­ge­richt Ber­lin hier ei­nen Vor­s­toß un­ter­nom­men und die ver­hal­tens­be­ding­te Kündi­gung ei­nes Be­rufs­kraft­fah­rers ab­ge­seg­net, der un­ter Al­ko­hol­ein­fluss ei­nen LKW ge­steu­ert und ei­nen Un­fall mit er­heb­li­chem Scha­den ver­ur­sacht hat­te (Ar­beits­ge­richt Ber­lin, Ur­teil vom 03.04.2014, 24 Ca 8017/13 - wir be­rich­te­ten in Ar­beits­recht ak­tu­ell: 14/137 Kündi­gung we­gen Al­ko­hols am Ar­beits­platz).

Im Streit: Kraft­fah­rer steu­ert bei der Ar­beit sei­nen LKW mit 0,64 Pro­mil­le und ver­ur­sacht ei­nen Un­fall mit Per­so­nen­scha­den

Im Streit­fall ging es um ei­nen an­ge­stell­ten Be­rufs­kraft­fah­rer. Er ver­ur­sach­te mit sei­nem Lkw un­ter Al­ko­hol­ein­fluss (0,64 Pro­mil­le) ei­nen Un­fall, bei dem der Un­fall­geg­ner ver­letzt wur­de und ein größerer Sach­scha­den ent­stand. Im Be­trieb be­stand ein ab­so­lu­tes Al­ko­hol­ver­bot.

Der Ar­beit­ge­ber erklärte dar­auf­hin die frist­lo­se Kündi­gung, hilfs­wei­se kündig­te er frist­gemäß aus ver­hal­tens­be­ding­ten Gründen, al­ler­dings oh­ne vor­he­ri­ge Ab­mah­nung.

Da­ge­gen er­hob der Kraft­fah­rer Kündi­gungs­schutz­kla­ge. Sein Ar­gu­ment: Er sei al­ko­hol­krank und ha­be da­her sei­ne ver­trag­li­chen Pflich­ten nicht schuld­haft ver­letzt.

Da­von hat sich das Ar­beits­ge­richt Ber­lin wie erwähnt nicht über­zeu­gen las­sen und die Kla­ge über­wie­gend ab­ge­wie­sen, da es die or­dent­li­che ver­hal­tens­be­ding­te Kündi­gung für rechtmäßig hielt. Die zu­gleich aus­ge­spro­che­ne frist­lo­se Kündi­gung hielt das Ge­richt aus for­ma­len Gründen für un­wirk­sam.

LAG Ber­lin-Bran­den­burg: Be­ruht ei­ne Trun­ken­heits­fahrt auf Al­ko­hol­abhängig­keit, ist dem Ar­beit­neh­mer kein Schuld­vor­wurf zu ma­chen

Vor dem LAG Ber­lin-Bran­den­burg hat­te der gekündig­te Kraft­fah­rer Er­folg, denn das LAG be­wer­te­te die Kündi­gung als un­wirk­sam. Zur Be­gründung heißt es:

Ein an­ge­stell­ter Be­rufs­kraft­fah­rer ver­letzt sei­ne ar­beits­ver­trag­li­chen Pflich­ten er­heb­lich, wenn er bei der Ar­beit un­ter Al­ko­hol­ein­fluss fährt. Be­ruht die­ses pflicht­wid­ri­ge Ver­hal­ten aber auf ei­ner Al­ko­hol­abhängig­keit, ist dem Ar­beit­neh­mer im Zeit­punkt der Ver­trags­pflicht­ver­let­zung kein Schuld­vor­wurf zu ma­chen, so das LAG.

Ei­ne Kündi­gung ist dann nur aus krank­heits­be­ding­ten Gründen möglich, und zwar dann, wenn der Ar­beit­ge­ber vor Ge­richt nach­wei­sen kann, dass der Ar­beit­neh­mer auf­grund der Al­ko­hol­abhängig­keit sei­nen ar­beits­ver­trag­li­chen Pflich­ten auch in Zu­kunft dau­er­haft nicht nach­kom­men kann. Ei­ne sol­che ne­ga­ti­ve Pro­gno­se schei­det aber aus, wenn der Ar­beit­neh­mer ernst­haft zu ei­ner Al­ko­holthe­ra­pie be­reit war.

Außer­dem, so das LAG, kann bei ei­ner be­ste­hen­den The­ra­pie­be­reit­schaft vom Ar­beit­ge­ber in der Re­gel er­war­tet wer­den, das Fehl­ver­hal­ten ab­zu­mah­nen und das Ar­beits­verhält­nis fort­zu­set­zen.

Fa­zit: Or­dent­li­che ver­hal­tens­be­ding­te Kündi­gun­gen oh­ne vor­he­ri­ge ein­schlägi­ge Ab­mah­nun­gen sind prak­tisch im­mer un­wirk­sam, weil sich der Ar­beit­ge­ber mit ei­nem sol­chen Ver­hal­ten wi­dersprüchlich verhält: Denn ist das Fehl­ver­hal­ten so schlimm, dass ei­ne Ab­mah­nung als mil­de­res Mit­tel un­zu­mut­bar ist, dann wäre ei­ne frist­lo­se Kündi­gung die an­ge­mes­se­ne Vor­ge­hens­wei­se.

Mit der or­dent­li­chen Kündi­gung hätte der Ar­beit­ge­ber da­her vor Ge­richt nur durch­kom­men können, wenn er hätte nach­wei­sen können, dass der Ar­beit­neh­mer zu ei­ner The­ra­pie nicht be­reit ist und/oder dass (wei­te­re) The­ra­pie­ver­su­che sinn­los wären. Dann wäre die or­dent­li­che Kündi­gung als krank­heits­be­ding­te Kündi­gung wirk­sam ge­we­sen. Die­sen Nach­weis konn­te der Ar­beit­ge­ber hier im Streit­fall aber of­fen­bar nicht führen.

Nähe­re In­for­ma­tio­nen fin­den Sie hier:

Letzte Überarbeitung: 1. November 2016

Weitere Auskünfte erteilen Ihnen gern:

Dr. Martin Hensche
Rechtsanwalt
Fachanwalt für Arbeitsrecht

Kontakt:
030 / 26 39 620
hensche@hensche.de
Christoph Hildebrandt
Rechtsanwalt
Fachanwalt für Arbeitsrecht

Kontakt:
030 / 26 39 620
hildebrandt@hensche.de
Nina Wesemann
Rechtsanwältin
Fachanwältin für Arbeitsrecht

Kontakt:
040 / 69 20 68 04
wesemann@hensche.de

Bewertung:

Auf Facebook teilen Auf Google+ teilen Ihren XING-Kontakten zeigen Beitrag twittern

 

Für Personaler, betriebliche Arbeitnehmervertretungen und andere Arbeitsrechtsprofis: "Update Arbeitsrecht" bringt Sie regelmäßig auf den neusten Stand der arbeitsgerichtlichen Rechtsprechung. Informationen zu den Abo-Bedingungen und ein kostenloses Ansichtsexemplar finden Sie hier:

Alle vierzehn Tage alles Wichtige
verständlich / aktuell / praxisnah

HINWEIS: Sämtliche Texte dieser Internetpräsenz mit Ausnahme der Gesetzestexte und Gerichtsentscheidungen sind urheberrechtlich geschützt. Urheber im Sinne des Gesetzes über Urheberrecht und verwandte Schutzrechte (UrhG) ist Rechtsanwalt und Fachanwalt für Arbeitsrecht Dr. Martin Hensche, Lützowstraße 32, 10785 Berlin.

Wörtliche oder sinngemäße Zitate sind nur mit vorheriger schriftlicher Genehmigung des Urhebers bzw. bei ausdrücklichem Hinweis auf die fremde Urheberschaft (Quellenangabe iSv. § 63 UrhG) rechtlich zulässig. Verstöße hiergegen werden gerichtlich verfolgt.

© 1997 - 2024:
Rechtsanwalt Dr. Martin Hensche, Berlin
Fachanwalt für Arbeitsrecht
Lützowstraße 32, 10785 Berlin
Telefon: 030 - 26 39 62 0
Telefax: 030 - 26 39 62 499
E-mail: hensche@hensche.de