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BAG, Ur­teil vom 09.08.2011, 9 AZR 352/10

   
Schlagworte: Urlaubsabgeltung, Urlaub: Krankheit, Krankheit: Urlaub, Ausschlussfrist
   
Gericht: Bundesarbeitsgericht
Aktenzeichen: 9 AZR 352/10
Typ: Urteil
Entscheidungsdatum: 09.08.2011
   
Leitsätze:
Vorinstanzen: Arbeitsgericht Köln, Urteil vom 13.07.2009, 10 Ca 2355/09
Landesarbeitsgericht Köln, Urteil vom 20.04.2010, 12 Sa 1448/09
   

BUN­DES­AR­BEITS­GERICHT

9 AZR 352/10

12 Sa 1448/09

Lan­des­ar­beits­ge­richt Köln

Im Na­men des Vol­kes!

Verkündet am 9. Au­gust 2011

UR­TEIL

Jatz, Ur­kunds­be­am­tin der Geschäfts­stel­le

In Sa­chen

Kläge­rin, Be­ru­fungs­be­klag­te, An­schluss­be­ru­fungskläge­rin und Re­vi­si­onskläge­rin,

pp.

Be­klag­te, Be­ru­fungskläge­rin, An­schluss­be­ru­fungs­be­klag­te und Re­vi­si­ons­be­klag­te,

hat der Neun­te Se­nat des Bun­des­ar­beits­ge­richts auf­grund der münd­li­chen Ver­hand­lung vom 9. Au­gust 2011 durch den Vor­sit­zen­den Rich­ter am Bun­des-


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ar­beits­ge­richt Prof. Düwell, die Rich­ter am Bun­des­ar­beits­ge­richt Krasshöfer und Dr. Suckow so­wie die eh­ren­amt­li­chen Rich­ter Schmid und Dr. Müller für Recht er­kannt:

Die Re­vi­si­on der Kläge­rin ge­gen das Ur­teil des Lan­des­ar­beits­ge­richts Köln vom 20. April 2010 - 12 Sa 1448/09 - wird zurück­ge­wie­sen.

Die Kläge­rin hat die Kos­ten des Re­vi­si­ons­ver­fah­rens zu tra­gen.

Von Rechts we­gen!

Tat­be­stand

Die Kläge­rin ver­langt von der Be­klag­ten, den ge­setz­li­chen Min­dest-

ur­laub für die Jah­re 2007 und 2008 ab­zu­gel­ten.

Die Kläge­rin war bei der Be­klag­ten seit 1975 als Kran­ken­schwes­ter be-

schäftigt. Sie ver­dien­te zu­letzt in Teil­zeit bei ei­ner Fünf-Ta­ge-Wo­che mo­nat­lich 829,86 Eu­ro brut­to. Die Par­tei­en wen­den auf ihr Ar­beits­verhält­nis den Ta­rif­ver­trag für den öffent­li­chen Dienst der Länder vom 12. Ok­to­ber 2006 (TV-L) an.

Seit dem 19. Ok­to­ber 2006 ist die Kläge­rin durch­ge­hend ar­beits­unfähig

er­krankt. Das Ar­beits­verhält­nis en­de­te während der fort­be­ste­hen­den Ar­beits­unfähig­keit zum 31. März 2008.

Die Kläge­rin mach­te mit Schrei­ben ih­res Pro­zess­be­vollmäch­tig­ten vom

25. Fe­bru­ar 2009 ge­genüber der Be­klag­ten ver­geb­lich die Ab­gel­tung ih­res ge­setz­li­chen so­wie die Ab­gel­tung der aus dem TV-L fol­gen­den wei­te­ren Ur­laubs­ansprüche aus den Jah­ren 2007 und 2008 in Höhe von ins­ge­samt 1.613,62 Eu­ro brut­to gel­tend.


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In § 37 Abs. 1 TV-L heißt es: 5

„Ansprüche aus dem Ar­beits­verhält­nis ver­fal­len, wenn sie nicht in­ner­halb ei­ner Aus­schluss­frist von sechs Mo­na­ten nach Fällig­keit von den Beschäftig­ten oder vom Ar­beit­ge­ber schrift­lich gel­tend ge­macht wer­den. Für den­sel­ben Sach­ver­halt reicht die ein­ma­li­ge Gel­tend­ma­chung des An­spruchs auch für später fällig wer­den­de Leis­tun­gen aus.“

Die Kläge­rin hat die An­sicht ver­tre­ten, ihr An­spruch auf Ab­gel­tung des

ge­setz­li­chen Min­des­t­ur­laubs sei nicht nach § 37 Abs. 1 TV-L ver­fal­len. Aus der Ent­schei­dung des Ge­richts­hofs der Eu­ropäischen Uni­on zu Art. 7 der Richt­li­nie 2003/88/EG in der Rechts­sa­che Schultz-Hoff fol­ge, dass der An­spruch auf Ab­gel­tung des we­gen Ar­beits­unfähig­keit nicht ge­nom­me­nen be­zahl­ten Jah­res­ur­laubs nicht ver­fal­len dürfe. Die­se Rechts­fol­ge er­ge­be sich fer­ner aus der Un-ab­ding­bar­keit des ge­setz­li­chen Min­des­t­ur­laubs nach § 13 BUrlG.

Die Kläge­rin hat zunächst be­an­tragt,

die Be­klag­te zu ver­ur­tei­len, an sie 1.613,62 Eu­ro brut­to nebst Zin­sen in Höhe von fünf Pro­zent­punk­ten über dem Ba­sis­zins­satz seit dem 17. März 2009 zu zah­len.

Die Be­klag­te hat be­an­tragt, die Kla­ge ab­zu­wei­sen. Sie hat die Auf­fas-

sung ver­tre­ten, der Ur­laubs­ab­gel­tungs­an­spruch sei nach § 37 Abs. 1 TV-L ver­fal­len. Nach­dem auf­grund der Recht­spre­chungsände­rung der ge­setz­li­che Ur­laubs- und Ur­laubs­ab­gel­tungs­an­spruch bei lang an­dau­ern­der Ar­beits­unfähig­keit nicht mehr be­fris­tet sei, un­ter­lie­ge der Ab­gel­tungs­an­spruch den ta­rif­li­chen Aus­schluss­fris­ten.

Das Ar­beits­ge­richt hat der Kla­ge hin­sicht­lich der Ab­gel­tung des ge­setz-

li­chen Min­des­t­ur­laubs für die Jah­re 2007 und 2008 (ins­ge­samt 25 Ur­laubs­ta­ge) in Höhe von 957,50 Eu­ro brut­to statt­ge­ge­ben und sie im Übri­gen ab­ge­wie­sen. Auf die Be­ru­fung der Be­klag­ten hat das Lan­des­ar­beits­ge­richt die Kla­ge ins­ge­samt ab­ge­wie­sen. Fer­ner hat es die An­schluss­be­ru­fung der Kläge­rin zurück­ge­wie­sen. Mit der vom Lan­des­ar­beits­ge­richt zu­ge­las­se­nen Re­vi­si­on be­gehrt die Kläge­rin die Wie­der­her­stel­lung der erst­in­stanz­li­chen Ent­schei­dung.


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Ent­schei­dungs­gründe

A. Die zulässi­ge Re­vi­si­on der Kläge­rin ist un­be­gründet. Das Lan­des-

ar­beits­ge­richt hat die Kla­ge auf Ab­gel­tung des ge­setz­li­chen Min­des­t­ur­laubs zu Recht ab­ge­wie­sen. Der An­spruch ist ver­fal­len. Die Kläge­rin wahr­te nicht die sechs­mo­na­ti­ge Aus­schluss­frist des § 37 Abs. 1 TV-L.

I. Das Ar­beits­verhält­nis der Par­tei­en en­de­te zum 31. März 2008. Zu die

sem Zeit­punkt stand der Kläge­rin ein ge­setz­li­cher Min­des­t­ur­laubs­an­spruch in Höhe von ins­ge­samt 25 Ta­gen zu. Die­ser war nach § 7 Abs. 4 BUrlG mit Be­en­di­gung des Ar­beits­verhält­nis­ses ab­zu­gel­ten.

1. Die Kläge­rin konn­te den ihr zu­ste­hen­den ge­setz­li­chen Min­des­t­ur­laub
nach §§ 1, 3 Abs. 1 BUrlG aus dem Jahr 2007 in Höhe von 20 Ur­laubs­ta­gen we­gen ih­rer seit 2006 un­un­ter­bro­che­nen Ar­beits­unfähig­keit we­der im Jahr 2007 noch im Über­tra­gungs­zeit­raum des Jah­res 2008 neh­men. Fer­ner stand ihr zum Zeit­punkt der Be­en­di­gung des Ar­beits­verhält­nis­ses noch für drei vol­le Mo­na­te (Ja­nu­ar bis März 2008) ein Teil­ur­laubs­an­spruch nach § 5 Abs. 1 Buchst. c BUrlG in Höhe von fünf Ur­laubs­ta­gen zu.

2. Der Ur­laubs­ab­gel­tungs­an­spruch wird auch im Fall der Ar­beits­unfähig-
keit mit Be­en­di­gung des Ar­beits­verhält­nis­ses fällig (vgl. BAG 11. Ok­to­ber 2010 - 9 AZN 418/10 - Rn. 20, AP ArbGG 1979 § 72a Nr. 75 = EzA ArbGG 1979 § 72a Nr. 125). Die seit dem 19. Ok­to­ber 2006 be­ste­hen­de und auch über den Be­en­di­gungs­zeit­punkt hin­aus an­dau­ern­de Ar­beits­unfähig­keit der Kläge­rin än­dert hier­an nichts. Denn nach der neue­ren Se­nats­recht­spre­chung in­fol­ge der Ent­schei­dung des Ge­richts­hofs der Eu­ropäischen Uni­on in der Rechts­sa­che Schultz-Hoff (EuGH 20. Ja­nu­ar 2009 - C-350/06 und C-520/06 - Slg. 2009, I-179) ist der ge­setz­li­che Min­des­t­ur­laubs­an­spruch nicht nach § 7 Abs. 3 Satz 3 BUrlG be­fris­tet, wenn der Ar­beit­neh­mer dau­ernd ar­beits­unfähig ist. Der Min­de­st­ur­laub ist bei Be­en­di­gung des Ar­beits­verhält­nis­ses un­abhängig von der


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Erfüll­bar­keit des Frei­stel­lungs­an­spruchs in ei­nem ge­dach­ten fort­be­ste­hen­den Ar­beits­verhält­nis ab­zu­gel­ten. Des­halb er­lischt der ge­setz­li­che Ur­laubs­ab­gel­tungs­an­spruch auch nicht, wenn der Ar­beit­neh­mer bis zum En­de des Ur­laubs­jah­res und/oder des Über­tra­gungs­zeit­raums er­krankt und des­we­gen ar­beits­unfähig ist (vgl. grund­le­gend BAG 24. März 2009 - 9 AZR 983/07 - Rn. 47 ff., BA­GE 130, 119; 23. März 2010 - 9 AZR 128/09 - Rn. 70, AP SGB IX § 125 Nr. 3 = EzA BUrlG § 7 Ab­gel­tung Nr. 16; zu­letzt auch 4. Mai 2010 - 9 AZR 183/09 - Rn. 18, EzA BUrlG § 7 Ab­gel­tung Nr. 17).

Da­her hat die über den ge­setz­li­chen Über­tra­gungs­zeit­raum des § 7

Abs. 3 Satz 3 BUrlG (31. März des je­wei­li­gen Fol­ge­jah­res) und auch über den ta­rif­li­chen Über­tra­gungs­zeit­raum des § 26 Abs. 2 Buchst. a Satz 2 TV-L (31. Mai des je­wei­li­gen Fol­ge­jah­res) hin­aus fort­be­ste­hen­de Ar­beits­unfähig­keit der Kläge­rin kei­ne Aus­wir­kung auf die Durch­setz­bar­keit und den Fort­be­stand des Ur­laubs­ab­gel­tungs­an­spruchs.

II. Der dar­aus fol­gen­de An­spruch auf Ab­gel­tung des ge­setz­li­chen Min-

de­st­ur­laubs für ins­ge­samt 25 Ur­laubs­ta­ge ist nach § 37 Abs. 1 TV-L ver­fal­len. Die Kläge­rin wahr­te nicht die dort ge­re­gel­te Aus­schluss­frist von sechs Mo­na­ten. Die erst­ma­li­ge schrift­li­che Gel­tend­ma­chung mit Schrei­ben des Pro­zess­be­vollmäch­tig­ten der Kläge­rin vom 25. Fe­bru­ar 2009 er­folg­te erst nach Ab­lauf der Aus­schluss­frist am 30. Sep­tem­ber 2008 und da­mit ver­spätet.

1. Nach § 37 Abs. 1 TV-L ver­fal­len Ansprüche aus dem Ar­beits­verhält­nis,

wenn sie nicht in­ner­halb ei­ner Aus­schluss­frist von sechs Mo­na­ten nach Fällig­keit von den Beschäftig­ten oder vom Ar­beit­ge­ber schrift­lich gel­tend ge­macht wer­den.

a) Der Ur­laubs­ab­gel­tungs­an­spruch stellt ei­nen An­spruch aus dem Ar-

beits­verhält­nis im Sin­ne des § 37 Abs. 1 TV-L dar. For­mu­lie­ren Ta­rif­ver­trags­par­tei­en - wie in der vor­lie­gen­den Ver­fall­vor­schrift - kei­ne Ein­schränkun­gen, so fal­len un­ter den Be­griff der „Ansprüche aus dem Ar­beits­verhält­nis“ al­le ge­setz­li­chen und ver­trag­li­chen Ansprüche, die Ar­beits­ver­trags­par­tei­en auf­grund ih­rer durch den Ar­beits­ver­trag be­gründe­ten Rechts­stel­lung ge­gen­ein­an­der ha­ben


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(vgl. BAG 22. Ja­nu­ar 2008 - 9 AZR 416/07 - Rn. 19, AP TVG § 4 Aus­schluss­fris­ten Nr. 191 = EzA TVG § 4 Aus­schluss­fris­ten Nr. 190; 21. Fe­bru­ar 1995 - 9 AZR 733/93 - zu I 1 der Gründe). Die­se Vor­aus­set­zung trifft glei­cher­maßen auf Ur­laubs- und Ur­laubs­ab­gel­tungs­ansprüche zu. Sie be­gründen sich aus dem Ar­beits­verhält­nis.

b) Der Um­stand, dass die Kläge­rin bei Be­en­di­gung des Ar­beits­verhält­nis

ses und darüber hin­aus ar­beits­unfähig er­krankt war, hat kei­ne Aus­wir­kung auf die Fällig­keit des Ab­gel­tungs­an­spruchs. Ins­be­son­de­re wird der Fällig­keits­zeit­punkt nicht - wie in der Su­ro­gats­theo­rie an­ge­nom­men - bis zur Wie­der­er­lan­gung der Ar­beitsfähig­keit hin­aus­ge­scho­ben.

aa) Nach § 271 Abs. 1 BGB wird ei­ne For­de­rung so­fort fällig, wenn ei­ne

Zeit für die Leis­tung we­der be­stimmt noch aus den Umständen zu ent­neh­men ist. Dem­ent­spre­chend wird der Ur­laubs­ab­gel­tungs­an­spruch mit sei­ner Ent­ste­hung bei Be­en­di­gung des Ar­beits­verhält­nis­ses fällig (vgl. BAG 11. Ok­to­ber 2010 - 9 AZN 418/10 - Rn. 20, AP ArbGG 1979 § 72a Nr. 75 = EzA ArbGG 1979 § 72a Nr. 125; 24. März 2009 - 9 AZR 983/07 - Rn. 69, BA­GE 130, 119). Die Ar­beits­unfähig­keit des aus­schei­den­den Ar­beit­neh­mers ist hier­auf oh­ne Ein­fluss.

bb) Der Ur­laubs­ab­gel­tungs­an­spruch stellt je­den­falls bei an­dau­ern­der

Ar­beits­unfähig­keit ei­ne auf ei­ne fi­nan­zi­el­le Vergütung im Sin­ne von Art. 7 Abs. 2 der Richt­li­nie 2003/88/EG des Eu­ropäischen Par­la­ments und des Ra­tes vom 4. No­vem­ber 2003 (sog. Ar­beits­zeit­richt­li­nie) ge­rich­te­te rei­ne Geld­for­de­rung dar (vgl. BAG 4. Mai 2010 - 9 AZR 183/09 - Rn. 17 ff., EzA BUrlG § 7 Ab­gel­tung Nr. 17; 24. März 2009 - 9 AZR 983/07 - Rn. 44 ff., BA­GE 130, 119). Des­halb ist der ge­setz­li­che Min­des­t­ur­laub bei Be­en­di­gung des Ar­beits­verhält­nis­ses un­abhängig von der Erfüll­bar­keit des Frei­stel­lungs­an­spruchs in ei­nem ge­dach­ten fort­be­ste­hen­den Ar­beits­verhält­nis nach § 7 Abs. 4 BUrlG ab­zu­gel­ten (BAG 4. Mai 2010 - 9 AZR 183/09 - Rn. 18, aaO; 23. März 2010 - 9 AZR 128/09 - Rn. 70, AP SGB IX § 125 Nr. 3 = EzA BUrlG § 7 Ab­gel­tung Nr. 16; 24. März


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2009 - 9 AZR 983/07 - Rn. 47 ff. mwN, aaO). Zu­dem bleibt die­se Ur­laubs­ab­gel-tungs­for­de­rung in ih­rem Be­stand un­berührt, wenn die Ar­beits­unfähig­keit des Ar­beit­neh­mers bis zum En­de des Über­tra­gungs­zeit­raums am 31. März des dem Ur­laubs­jahr fol­gen­den Jah­res bzw. darüber hin­aus fort­dau­ert (vgl. BAG 4. Mai 2010 - 9 AZR 183/09 - Rn. 21, aaO).

cc) Mit­hin ist der Ur­laubs­ab­gel­tungs­an­spruch nicht mehr be­fris­tet. Da­her

hat der Ab­lauf des Be­zugs- und des Über­tra­gungs­zeit­raums, wie das Lan­de­ar­beits­ge­richt rich­tig er­kannt hat, kei­ne Aus­wir­kun­gen mehr. Zu­dem geht die geänder­te Recht­spre­chung da­von aus, dass der Ur­laubs­ab­gel­tungs­an­spruch so­fort erfüll­bar ist und es ge­ra­de nicht er­for­der­lich ist, die Wie­der­her­stel­lung der Ar­beitsfähig­keit ab­zu­war­ten (vgl. zu­letzt BAG 4. Mai 2010 - 9 AZR 183/09 - Rn. 12, EzA BUrlG § 7 Ab­gel­tung Nr. 17). Sch­ließlich wird in der Re­gel ei­ne For­de­rung gleich­zei­tig fällig und erfüll­bar (vgl. Pa­landt/Grüne­berg BGB 70. Aufl. § 271 Rn. 1). Dies muss auch für den Ab­gel­tungs­an­spruch als rei­nen Geld­an­spruch bei fort­dau­ern­der Ar­beits­unfähig­keit gel­ten. An­sons­ten würde ein dau­er­haft bis zum Le­bens­en­de ar­beits­unfähig er­krank­ter Ar­beit­neh­mer, der aus ei­nem Ar­beits­verhält­nis aus­ge­schie­den ist, nie­mals ei­ne Ur­laubs­ab­gel­tung er­hal­ten. Dies wäre je­doch nach der Ent­schei­dung des Ge­richts­hofs der Eu­ropäischen Uni­on in der Rechts­sa­che Schultz-Hoff nicht mit Art. 7 der Ar­beits­zeit­richt­li­nie 2003/88/EG ver­ein­bar. Da­nach soll auch der aus­ge­schie­de­ne Ar­beit­neh­mer bei lang an­dau­ern­der Ar­beits­unfähig­keit die Möglich­keit ha­ben, in den Ge­nuss ei­ner fi­nan­zi­el­len Vergütung zu kom­men (vgl. EuGH 20. Ja­nu­ar 2009 - C-350/06 und C-520/06 - [Schultz-Hoff] Rn. 56, 62, Slg. 2009, I-179). Des­halb wird der Ur­laubs­ab­gel­tungs­an­spruch auch im Fall der Ar­beits­unfähig­keit mit Be­en­di­gung des Ar­beits­verhält­nis­ses (vgl. BAG 11. Ok­to­ber 2010 - 9 AZN 418/10 - Rn. 20, AP ArbGG 1979 § 72a Nr. 75 = EzA ArbGG 1979 § 72a Nr. 125; im Er­geb­nis so be­reits: BAG 24. März 2009 - 9 AZR 983/07 - Rn. 69, BA­GE 130, 119; MüArbR/Düwell 3. Aufl. Bd. 1 § 80 Rn. 67; Su­bat­zus DB 2009, 510, 512; Ar­nold/Till­manns/Ar­nold BUrlG 2. Aufl. § 7 Rn. 180) und da­mit im vor­lie­gen­den Fall mit Ab­lauf des 31. März 2008 fällig.


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2. Der Lauf der Aus­schluss­frist wur­de auch nicht durch die Ar­beits­unfä-

hig­keit der Kläge­rin ent­spre­chend § 206 BGB ge­hemmt.

a) Da­bei kann da­hin­ste­hen, ob die Vor­schrif­ten über die Verjährungs-
hem­mung grundsätz­lich über­haupt ent­spre­chen­de An­wen­dung auf Aus­schluss­fris­ten fin­den (ab­leh­nend ErfK/Preis 11. Aufl. §§ 194 - 218 BGB Rn. 57; aA Däubler/Zwan­zi­ger TVG 2. Aufl. § 4 Rn. 1097). Denn nach ständi­ger Recht­spre­chung wird zu­min­dest die Re­ge­lung des § 206 BGB (§ 203 Abs. 2 BGB aF) zur Hem­mung der Verjährung bei höhe­rer Ge­walt als all­ge­meingülti­ges Recht­s­prin­zip ent­spre­chend an­ge­wandt (vgl. grund­le­gend BAG 3. März 1976 - 5 AZR 361/75 - zu 4 a der Gründe, AP ZPO § 496 Nr. 4 = EzA TVG § 4 Aus­schluss­fris­ten Nr. 26). Nach die­ser Vor­schrift ist die Verjährung ge­hemmt, so­lan­ge der Be­rech­tig­te in­ner­halb der letz­ten sechs Mo­na­te der Verjährungs­frist durch hö­he­re Ge­walt an der Rechts­ver­fol­gung ge­hin­dert ist.

b) Doch selbst un­ter Zu­grun­de­le­gung die­ses Maßstabs wird der Lauf der
Aus­schluss­frist hin­sicht­lich des Ur­laubs­ab­gel­tungs­an­spruchs re­gelmäßig nicht durch ei­ne Ar­beits­unfähig­keit des Ar­beit­neh­mers ge­hemmt. An die An­nah­me höhe­rer Ge­walt sind stren­ge An­for­de­run­gen zu stel­len. Stets ist Vor­aus­set­zung, dass der Be­rech­tig­te oh­ne je­des Ei­gen­ver­schul­den an der Kla­ge ge­hin­dert war (BAG 7. No­vem­ber 2002 - 2 AZR 297/01 - zu B I 4 b dd und ee der Gründe mwN, BA­GE 103, 290). Des­halb kann ei­ne Ar­beits­unfähig­keit nur dann den Lauf ei­ner Aus­schluss­frist hem­men, wenn dem Be­rech­tig­ten in­fol­ge sei­nes Zu­stands die Be­sor­gung sei­ner An­ge­le­gen­hei­ten schlecht­hin unmöglich wird (vgl. so be­reits zur schwe­ren Er­kran­kung als mögli­chen Hem­mungs­grund: BGH 13. No­vem­ber 1962 - VI ZR 228/60 - VersR 1963, 93). Das hat die Kläge­rin nicht be­haup­tet.

Sch­ließlich kann auch ei­nem ar­beits­unfähi­gen Ar­beit­neh­mer, des­sen

Ar­beits­verhält­nis während der Pe­ri­ode der Ar­beits­unfähig­keit ausläuft, nor­ma­ler­wei­se zu­ge­mu­tet wer­den, die fälli­ge Ur­laubs­ab­gel­tung als Zah­lungs­an­spruch von sei­nem Ar­beit­ge­ber zu ver­lan­gen und da­mit die Aus­schluss­frist zu wah­ren. Die Ab­gel­tung ei­nes tatsächlich nicht mehr erfüll­ba­ren Ur­laubs lässt sich grundsätz­lich je­der­zeit oh­ne Schwie­rig­kei­ten durchführen (vgl. so be­reits die Recht-

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spre­chung des BAG vor Einführung des Sur­rog­at­merk­mals der Erfüll­bar­keit der fik­ti­ven Frei­stel­lung: BAG 3. Fe­bru­ar 1971 - 5 AZR 282/70 - zu B c cc der Gründe, BA­GE 23, 184).

3. Die hier an­zu­wen­den­de ta­rif­li­che Aus­schluss­frist des § 37 Abs. 1 TV-L
ist nicht nach § 13 Abs. 1 BUrlG iVm. § 134 BGB un­wirk­sam, weil sie den An­spruch auf Ab­gel­tung des ge­setz­li­chen Min­des­t­ur­laubs ein­sch­ließt. Die An­wen­dung von ta­rif­li­chen Aus­schluss­fris­ten für Ur­laubs­ab­gel­tungs­ansprüche verstößt auch nicht ge­gen Art. 7 der Ar­beits­zeit­richt­li­nie. Sie ist ins­be­son­de­re mit Art. 7 Abs. 2 der Ar­beits­zeit­richt­li­nie und den hier­zu vom Ge­richts­hof der Eu­ropäischen Uni­on auf­ge­stell­ten Grundsätzen ver­ein­bar (vgl. ausführ­lich BAG 9. Au­gust 2011 - 9 AZR 365/10 - Rn. 22 ff.).

4. Die Kläge­rin kann im Hin­blick auf die Versäum­ung der ta­rif­li­chen Aus-
schluss­frist auch kei­nen Ver­trau­ens­schutz in An­spruch neh­men.

Zum Zeit­punkt der Be­en­di­gung des Ar­beits­verhält­nis­ses (31. März

2008) war der Vor­la­ge­be­schluss des Lan­des­ar­beits­ge­richts Düssel­dorf be­reits be­kannt und das Vor­ab­ent­schei­dungs­ver­fah­ren beim Ge­richts­hof der Eu­ropäischen Uni­on anhängig, so­dass die Kläge­rin zu­min­dest vor­sorg­lich ih­ren Ur­laubs­ab­gel­tungs­an­spruch ge­genüber der Be­klag­ten recht­zei­tig hätte gel­tend ma­chen können (vgl. hier­zu BAG 9. Au­gust 2011 - 9 AZR 365/10 - Rn. 31).

Im Übri­gen weist das Lan­des­ar­beits­ge­richt fer­ner zu Recht dar­auf hin,

ge­gen die Gewährung von Ver­trau­ens­schutz zu­guns­ten der Kläge­rin spre­che be­reits, dass ihr durch die Recht­spre­chungsände­rung nichts ge­nom­men wird, was ihr bei Fort­be­ste­hen der bis­he­ri­gen Recht­spre­chung zu­ge­stan­den hätte. Denn auch nach der bis­he­ri­gen Recht­spre­chung hätte die Kläge­rin kei­nen An­spruch auf Ur­laubs­ab­gel­tung ge­habt. So wäre die­ser we­gen der an­dau­ern­den Ar­beits­unfähig­keit nach Ab­lauf des ta­rif­li­chen Über­tra­gungs­zeit­raums des § 26 Abs. 2 Buchst. a TV-L zum 31. Mai 2008 bzw. zum 31. Mai 2009 er­lo­schen.


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B. Die Kläge­rin hat nach § 97 Abs. 1 ZPO die Kos­ten ih­rer er­folg­lo­sen Re-

vi­si­on zu tra­gen.

Düwell Suckow Krasshöfer

G. Müller W. Schmid

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