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BAG, Ur­teil vom 19.08.2015, 5 AZR 975/13

   
Schlagworte: Annahmeverzug, Lohn, Lohnanspruch
   
Gericht: Bundesarbeitsgericht
Aktenzeichen: 5 AZR 975/13
Typ: Urteil
Entscheidungsdatum: 19.08.2015
   
Leitsätze:

1. Der Anspruch auf Vergütung wegen Annahmeverzugs (§ 611 Abs. 1, § 615 Satz 1 BGB) setzt ein erfüllbares, dh. tatsächlich durchführbares Arbeitsverhältnis voraus. Ein rückwirkend begründetes Arbeitsverhältnis genügt dem für die Vergangenheit nicht.


2. Der Arbeitgeber ist verantwortlich iSv. § 326 Abs. 2 Satz 1 Alt. 1 BGB, wenn er den Umstand, der zur Unmöglichkeit der Arbeitsleistung geführt hat, allein oder weit überwiegend zu vertreten hat (§§ 276, 278 BGB).

Vorinstanzen: Arbeitsgericht Ludwigshafen am Rhein, Urteil vom 25.4.2013 - 8 Ca 102/13
Landesarbeitsgericht Rheinland-Pfalz, Urteil vom 2.9.2013 - 5 Sa 233/13
   

BUN­DES­AR­BEITS­GERICHT

5 AZR 975/13
5 Sa 233/13
Lan­des­ar­beits­ge­richt
Rhein­land-Pfalz

 

Im Na­men des Vol­kes!

Verkündet am

19. Au­gust 2015

UR­TEIL

Rad­t­ke, Ur­kunds­be­am­tin

der Geschäfts­stel­le

In Sa­chen

Be­klag­te, Be­ru­fungskläge­rin und Re­vi­si­onskläge­rin,

pp.

Kläge­rin, Be­ru­fungs­be­klag­te und Re­vi­si­ons­be­klag­te,

hat der Fünf­te Se­nat des Bun­des­ar­beits­ge­richts auf­grund der münd­li­chen Ver­hand­lung vom 19. Au­gust 2015 durch den Vi­ze­präsi­den­ten des Bun­des­ar­beits­ge­richts Dr. Müller-Glöge, den Rich­ter am Bun­des­ar­beits­ge­richt Dr. Biebl, die Rich­te­rin am Bun­des­ar­beits­ge­richt Dr. Volk so­wie die eh­ren­amt­li­chen Rich­ter Busch und Man­d­ros­sa für Recht er­kannt:


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1. Auf die Re­vi­si­on der Be­klag­ten wird das Ur­teil des Lan­des­ar­beits­ge­richts Rhein­land-Pfalz vom 2. Sep­tem­ber 2013 - 5 Sa 233/13 - auf­ge­ho­ben.

2. Auf die Be­ru­fung der Be­klag­ten wird das Ur­teil des Ar­beits­ge­richts Lud­wigs­ha­fen am Rhein vom 25. April 2013 - 8 Ca 102/13 - ab­geändert und die Kla­ge ab­ge­wie­sen.

3. Die Kläge­rin hat die Kos­ten des Rechts­streits zu tra­gen.

Von Rechts we­gen!

Tat­be­stand

Die Par­tei­en strei­ten über rückständi­ges Ar­beits­ent­gelt. 

Die Kläge­rin war seit No­vem­ber 1970 bei der Be­klag­ten beschäftigt. Anläss­lich der Aus­glie­de­rung ei­nes Geschäfts­be­reichs aus der B AG schloss die Be­klag­te mit dem Be­triebs­rat ei­ne Ver­ein­ba­rung über „Rah­men­be­din­gun­gen für in das Joint­ven­ture B/S über­tre­ten­de B AG-Mit­ar­bei­ter“ (im Fol­gen­den RJV 1986), in der ua. ge­re­gelt ist:

„15. Die B AG ga­ran­tiert den am 01.01.87 in die neue Ge­sell­schaft über­wech­seln­den Mit­ar­bei­tern ein Rück­kehr­recht auf ei­nen adäqua­ten Ar­beits­platz in der B AG, so­fern ei­ne Wei­ter­beschäfti­gung in­ner­halb der neu­en Ge­sell­schaft aus be­trieb­li­chen Gründen nicht mehr möglich ist.“

Mit Wir­kung vom 1. Ja­nu­ar 1987 ging das Ar­beits­verhält­nis durch Be­triebsüber­gang auf die­se neue Ge­sell­schaft, die C I GmbH, über. Im Jahr 1999 schied die Ge­sell­schaft aus dem Kon­zern­ver­bund aus und wur­de zum Fe­bru­ar 2004 auf die C D GmbH ver­schmol­zen. Im Zu­sam­men­hang da­mit er­hiel­ten die Mit­ar­bei­ter ein Schrei­ben der Be­klag­ten vom 12. De­zem­ber 2003, das ua. be­inhal­tet:


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"So­fern Sie von dem ge­nann­ten Ver­schmel­zungs­vor­ha­ben er­fasst sind und für Sie die Joint-Ven­ture-Re­ge­lung vom 04.12.1986 an­wend­bar ist, bleibt bei Vor­lie­gen der ent­spre­chen­den Vor­aus­set­zun­gen ei­ne nach Maßga­be von Zif­fer 15 der Joint-Ven­ture-Re­ge­lung et­wa be­gründe­te Rechts­po­si­ti­on von dem Ver­schmel­zungs­vor­ha­ben un­berührt.“

Im Zu­sam­men­hang mit der Aus­glie­de­rung von Tätig­kei­ten er­hiel­ten die Mit­ar­bei­ter ein wei­te­res Schrei­ben der Be­klag­ten ähn­li­chen In­halts vom 10. Fe­bru­ar 2005.

Nach Eröff­nung des In­sol­venz­ver­fah­rens über das Vermögen der C D GmbH am 1. Ok­to­ber 2009 kündig­te der In­sol­venz­ver­wal­ter das Ar­beits­verhält­nis zum 31. Ja­nu­ar 2010. Die Kläge­rin in­for­mier­te die Be­klag­te über die Kündi­gung und for­der­te außer­ge­richt­lich die Fort­set­zung des Ar­beits­verhält­nis­ses bzw. Wie­der­ein­stel­lung.

Die Be­klag­te lehn­te un­ter Hin­weis auf die Ent­schei­dung des Bun­des­ar­beits­ge­richts vom 19. Ok­to­ber 2005 (- 7 AZR 32/05 -) ab. Die­sem Ur­teil vor­an­ge­gan­gen war ein Rechts­streit der Be­klag­ten nach Aus­glie­de­rung ei­nes Geschäfts­be­reichs im Jahr 1991. Hier­zu hat­te die Be­klag­te mit dem Be­triebs­rat ei­ne „Ver­ein­ba­rung anläss­lich der Aus­glie­de­rung der Ma­gnet­pro­duk­te-Ak­ti­vitäten der B Ak­ti­en­ge­sell­schaft in die B M GmbH“ (im Fol­gen­den V 1990) ge­schlos­sen, die ua. Fol­gen­des re­gel­te:

„17. Den zum 01.01.91 über­wech­seln­den Mit­ar­bei­tern wird, so­fern ei­ne Wei­ter­beschäfti­gung in­ner­halb der B M GmbH aus be­trieb­li­chen Gründen nicht mehr möglich ist, ei­ne Rück­kehrmöglich­keit zu­ge­sagt, so-weit freie und adäqua­te Ar­beitsplätze in der B AG vor­han­den sind.“

Die ursprüng­lich kon­zern­an­gehöri­ge Ge­sell­schaft schied 1997 aus dem B-Kon­zern aus. Nach be­triebs­be­ding­ter Kündi­gung mach­te ei­ne Mit­ar­bei­te­rin das Rück­kehr­recht ge­richt­lich gel­tend. Die­se Kla­ge schei­ter­te vor dem Bun­des­ar­beits­ge­richt (BAG 19. Ok­to­ber 2005 - 7 AZR 32/05 -). Die Rück­kehr­zu­sa­ge gel­te nur bei Fort­dau­er der Kon­zern­zu­gehörig­keit.


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Im No­vem­ber 2009 klag­te die Kläge­rin auf Beschäfti­gung, hilfs­wei­se auf Ver­ur­tei­lung der Be­klag­ten, das An­ge­bot der Kläge­rin auf Wie­der­ein­stel­lung ab dem 1. Ok­to­ber 2009 als kaufmänni­sche An­ge­stell­te/Ver­triebs­as­sis­ten­tin bis 31. Mai 2010 zu den bei der B SE übli­chen Ar­beits­be­din­gun­gen mit ei­ner Jah­res­vergütung iHv. 64.400,00 Eu­ro brut­to un­ter An­rech­nung ei­ner Be­triebs­zu­gehörig­keit seit 1. No­vem­ber 1970 an­zu­neh­men.

Nach­dem das Ar­beits­ge­richt dem Hilfs­an­trag statt­ge­ge­ben hat­te, fass­te das Lan­des­ar­beits­ge­richt mit Ur­teil vom 25. Ja­nu­ar 2011 (- 1 Sa 516/10 -) den Ur­teils­te­nor un­ter Ab­wei­sung der Kla­ge im Übri­gen neu. Die Be­klag­te wur­de ver­ur­teilt, das An­ge­bot der Kläge­rin auf Ab­schluss ei­nes Ar­beits­ver­trags ab 1. Fe­bru­ar bis 31. Mai 2010 auf ei­nem adäqua­ten Ar­beits­platz in der B SE zu den bei der Be­klag­ten übli­chen Be­din­gun­gen an­zu­neh­men. Die Be­klag­te nahm die zunächst hier­ge­gen ge­rich­te­te Re­vi­si­on zurück, nach­dem das Bun­des­ar­beits­ge­richt in Par­al­lel­ver­fah­ren die Re­vi­sio­nen der Be­klag­ten zurück­ge­wie­sen hat­te (ua. BAG 14. März 2012 - 7 AZR 147/11 -). Das Bun­des­ar­beits­ge­richt lei­te­te ei­nen Wie­der­ein­stel­lungs­an­spruch aus Nr. 15 RJV 1986 iVm. den Schrei­ben vom 12. De­zem­ber 2003 so­wie 10. Fe­bru­ar 2005 un­abhängig von der Kon­zern­zu­gehörig­keit ab.

Seit 1. Ju­ni 2010 be­zieht die Kläge­rin Ren­te.

Die Kläge­rin be­gehrt die Fest­stel­lung, die Be­klag­te sei zur Zah­lung rückständi­ger Vergütung für die Zeit 1. Fe­bru­ar 2010 bis 31. Mai 2010 ver­pflich­tet. Die Be­klag­te schul­de Vergütung we­gen An­nah­me­ver­zugs, nach­dem das Ar­beits­verhält­nis durch Ur­teil rück­wir­kend be­gründet wor­den sei. Je­den­falls ha­be die Be­klag­te zu ver­tre­ten, dass die Ar­beits­leis­tung unmöglich ge­wor­den sei, weil sie sich nicht an ih­re Rück­kehr­zu­sa­ge ge­hal­ten ha­be.

Die Kläge­rin hat be­an­tragt

fest­zu­stel­len, dass die Be­klag­te ver­pflich­tet ist, an die Kläge­rin auf­grund des Ur­teils des Lan­des­ar­beits­ge­richts Rhein­land-Pfalz vom 25. Ja­nu­ar 2011 - 1 Sa 516/10 - rückständi­ges Ar­beits­ent­gelt ab 1. Fe­bru­ar 2010 bis 31. Mai 2010 zu zah­len.


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Die Be­klag­te hat Kla­ge­ab­wei­sung be­an­tragt. Bei ei­nem rück­wir­kend be­gründe­ten Ar­beits­verhält­nis könne kein Vergütungs­an­spruch we­gen An­nah­me­ver­zugs ent­ste­hen. Die Be­klag­te ha­be sich nicht schuld­haft ver­hal­ten. Sie ha­be sich we­gen der Ent­schei­dung des Bun­des­ar­beits­ge­richts im Jahr 2005 in ei­nem un­ver­meid­ba­ren Rechts­irr­tum be­fun­den.

Das Ar­beits­ge­richt hat der Kla­ge statt­ge­ge­ben. Das Lan­des­ar­beits­ge­richt hat die Be­ru­fung der Be­klag­ten zurück­ge­wie­sen und die Re­vi­si­on zu­ge­las­sen. Die Be­klag­te ver­folgt ih­ren Kla­ge­ab­wei­sungs­an­trag wei­ter.


Ent­schei­dungs­gründe

Die Re­vi­si­on der Be­klag­ten ist be­gründet. Das Lan­des­ar­beits­ge­richt hat die Be­ru­fung der Be­klag­ten ge­gen das der Kla­ge statt­ge­ben­de Ur­teil des Ar­beits­ge­richts zu Un­recht zurück­ge­wie­sen. Ei­ne Pflicht zur Zah­lung rückständi­ger Vergütung be­steht nicht.

I. Der Kla­ge­an­trag ist zulässig, ins­be­son­de­re be­steht das nach § 256 Abs. 1 ZPO er­for­der­li­che Fest­stel­lungs­in­ter­es­se. Be­reits ein Fest­stel­lungs­ur­teil führt zu endgülti­ger Streit­bei­le­gung. Die Par­tei­en ha­ben im Re­vi­si­ons­ver­fah­ren ei­nen Zwi­schen­ver­gleich über den bei Un­ter­lie­gen von der Be­klag­ten zu zah­len­den Vergütungs­be­trag ge­schlos­sen. Ei­ne er­neu­te In­an­spruch­nah­me der Ge­rich­te zur Durch­set­zung des Vergütungs­an­spruchs ist da­mit nicht er­for­der­lich (vgl. Zöller/Gre­ger ZPO 30. Aufl. § 256 Rn. 8).

II. Die Kläge­rin hat kei­nen An­spruch auf rückständi­ge Vergütung. Sie kann Vergütung we­der auf An­nah­me­ver­zug iSd. § 615 Satz 1 BGB noch auf ei­nen Erfüllungs­an­spruch aus § 326 Abs. 2 Satz 1 Alt. 1 BGB stützen. Wei­te­re An­spruchs­grund­la­gen be­ste­hen nicht.

1. Der Vergütungs­an­spruch folgt nicht aus An­nah­me­ver­zug, § 611 Abs. 1, § 615 Satz 1 BGB. Der An­spruch auf Vergütung we­gen An­nah­me­ver­zugs setzt


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ein erfüll­ba­res Ar­beits­verhält­nis vor­aus. An ei­nem sol­chen fehl­te es im Streit­zeit­raum.

a) Ein Ar­beits­verhält­nis wur­de mit Ein­tritt der Rechts­kraft des Ur­teils des Lan­des­ar­beits­ge­richts vom 25. Ja­nu­ar 2011 be­gründet. Die An­nah­me­erklärung der Be­klag­ten wur­de gemäß § 894 Satz 1 ZPO fin­giert und gilt so­mit als ab­ge­ge­ben. Die Fik­ti­on be­wirkt sämt­li­che Rechts­fol­gen, die ei­ne im sel­ben Zeit­punkt ab­ge­ge­be­ne wirk­sa­me Wil­lens­erklärung der Be­klag­ten mit ent­spre­chen­dem In­halt hätte (MüKoZ­PO/Gru­ber 4. Aufl. § 894 Rn. 14; Mu­sielak/Voit/Lack­mann ZPO 12. Aufl. § 894 ZPO Rn. 10).

Der Zeit­punkt, zu dem die Ab­ga­be der Wil­lens­erklärung wirkt, be­ur­teilt sich nach ma­te­ri­el­lem Recht (BAG 19. Ok­to­ber 2011 - 7 AZR 672/10 - Rn. 26). Seit In­kraft­tre­ten des § 311a Abs. 1 BGB idF des Ge­set­zes zur Mo­der­ni­sie­rung des Schuld­rechts vom 26. No­vem­ber 2001 (BGBl. I S. 3138) kommt auch die Ver­ur­tei­lung zur Ab­ga­be ei­ner Wil­lens­erklärung in Be­tracht, mit der rück­wir­kend ein Ar­beits­verhält­nis be­gründet wer­den soll (BAG 19. Ok­to­ber 2011 - 7 AZR 672/10 - aaO; 15. Sep­tem­ber 2009 - 9 AZR 608/08 - Rn. 15, BA­GE 132, 119), auch wenn die­ses in der Ver­gan­gen­heit tatsächlich nicht durch­geführt wer­den kann (BAG 9. Fe­bru­ar 2011 - 7 AZR 91/10 - Rn. 26 mwN).

Die fin­gier­te An­nah­me­erklärung der Be­klag­ten wirkt auf den Zeit­punkt 1. Fe­bru­ar 2010 zurück. Da­mit be­stand im streit­ge­genständ­li­chen Zeit­raum ein Ar­beits­verhält­nis zwi­schen den Par­tei­en.

b) § 615 Satz 1 BGB gewährt kei­nen ei­genständi­gen An­spruch, son­dern hält den ursprüng­li­chen Erfüllungs­an­spruch auf­recht (BAG 24. Sep­tem­ber 2014 - 5 AZR 593/12 - Rn. 23). Die ge­setz­li­che Vergütungs­pflicht des Ar­beit­ge­bers knüpft nach § 611 Abs. 1 BGB an die „Leis­tung der ver­spro­che­nen Diens­te“ an, al­so an je­de im Sy­nal­lag­ma vom Ar­beit­ge­ber ver­lang­te Tätig­keit oder Maßnah­me, die mit der ei­gent­li­chen Tätig­keit oder der Art und Wei­se von de­ren Er­brin­gung un­mit­tel­bar zu­sam­menhängt (BAG 19. Sep­tem­ber 2012 - 5 AZR 678/11 - Rn. 28, BA­GE 143, 107). In An­nah­me­ver­zug kann ein Ar­beit­ge­ber nur ge­ra­ten, wenn im streit­ge­genständ­li­chen Zeit­raum ein erfüll­ba­res Ar­beits­verhält­nis be­steht, auf­grund des­sen der Ar­beit­neh­mer zur Ar­beits­leis­tung ver­pflich-


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tet ist (BAG 12. Sep­tem­ber 1985 - 2 AZR 324/84 - zu B II 1 der Gründe). Des-halb setzt der An­spruch aus § 611 Abs. 1, § 615 Satz 1 BGB ein erfüll­ba­res, dh. tatsächlich durchführ­ba­res Ar­beits­verhält­nis vor­aus. Dem genügt ein rück­wir­kend be­gründe­tes Ar­beits­verhält­nis nicht.

Die Kläge­rin hat die Neu­be­gründung ei­nes Ar­beits­verhält­nis­ses be­gin­nend ab 1. Fe­bru­ar 2010 an­ge­bo­ten. Zu die­sem An­ge­bot (= An­trag iSv. § 145 BGB) wur­de durch Ur­teil die An­nah­me­erklärung der Be­klag­ten fin­giert. Es han­delt sich um ein mit rück­wir­ken­dem Be­ginn be­gründe­tes Ar­beits­verhält­nis. Doch konn­te die Kläge­rin ih­re Ar­beits­leis­tun­gen für in der Ver­gan­gen­heit lie­gen­de Zeiträume nicht mehr nach­ho­len. Zum Zeit­punkt ih­res An­ge­bots der Ar­beits­leis­tung be­stand noch kei­ne Beschäfti­gungs­pflicht der Be­klag­ten. Der Zeit­ab­lauf führ­te die Unmöglich­keit der Ar­beits­leis­tung her­bei, weil sich in ei­nem Voll­zeit­ar­beits­verhält­nis oh­ne Möglich­keit zur ver­trags­ge­rech­ten Nach­ho­lung der Ar­beits­leis­tung der Fix­schuld­cha­rak­ter der Ar­beits­pflicht um­fas­send aus­wirkt (an­ders mögli­cher­wei­se im Fall der Teil­zeit, vgl. BAG 24. Sep­tem­ber 2003 - 5 AZR 282/02 - zu II 1 a bb der Gründe).

2. Der Vergütungs­an­spruch folgt auch nicht aus § 611 Abs. 1, § 326 Abs. 2 Satz 1 Alt. 1 BGB iVm. § 275 Abs. 1 BGB. Die Be­klag­te hat die Unmöglich­keit der Ar­beits­leis­tung nicht zu ver­ant­wor­ten.

a) Nach § 275 Abs. 1 BGB führt die Unmöglich­keit der Ar­beits­leis­tung zum Aus­schluss des Leis­tungs­an­spruchs. Der An­spruch auf die Ge­gen­leis­tung entfällt zu­gleich nach § 326 Abs. 1 BGB, bleibt aber gemäß § 326 Abs. 2 Satz 1 Alt. 1 BGB er­hal­ten, wenn der Gläubi­ger für den Um­stand al­lein oder weit über­wie­gend ver­ant­wort­lich ist, auf­grund des­sen der Schuld­ner nicht zu leis­ten braucht.

Der An­wen­dungs­be­reich von § 326 Abs. 2 BGB um­fasst sämt­li­che ge­gen­sei­ti­gen Verträge und fin­det da­mit auch auf Ar­beits­verträge An­wen­dung (BAG 24. No­vem­ber 1960 - 5 AZR 545/59 - zu 4 der Gründe, BA­GE 10, 202 zur Vorgänger­re­ge­lung des § 324 Abs. 1 BGB aF). Der Ar­beit­neh­mer behält den Lohn­an­spruch, wenn der Ar­beit­ge­ber die Unmöglich­keit der Ar­beits­leis­tung zu ver­ant­wor­ten hat (BAG 13. Ju­ni 2007 - 5 AZR 564/06 - Rn. 40, BA­GE 123, 98).
 

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b) Die Be­klag­te ist für die Unmöglich­keit der Ar­beits­leis­tung nicht ver­ant­wort­lich. Sie be­fand sich in ei­nem un­ver­meid­ba­ren Rechts­irr­tum. Ihr Irr­tum be­ruh­te nicht auf Fahrlässig­keit, wie sich aus dem vom Be­ru­fungs­ge­richt ab-schließend fest­ge­stell­ten Sach­ver­halt er­gibt.

aa) Die Be­klag­te war ver­pflich­tet, das von der Kläge­rin un­ter­brei­te­te An­ge­bot auf Ab­schluss ei­nes Ar­beits­ver­trags ab 1. Fe­bru­ar 2010 an­zu­neh­men. Die Be­klag­te ist die­ser Ver­pflich­tung nicht nach­ge­kom­men, wes­halb ih­re Wil­lens­erklärung mit der Rechts­kraft des Ur­teils fin­giert wur­de. Die Ver­wei­ge­rung der An­nah­me des An­ge­bots zum Ab­schluss ei­nes Ar­beits­ver­trags ist der Um­stand iSd. § 326 Abs. 2 Satz 1 Alt. 1 BGB, auf den sich die Ver­ant­wor­tung der Be­klag­ten be­zie­hen muss.

bb) Ver­ant­wort­lich nach § 326 Abs. 2 Satz 1 Alt. 1 BGB meint Ver­tre­tenmüssen iSd. §§ 276, 278 BGB, dh. min­des­tens fahrlässi­ges Han­deln. An­ders als die Vorgänger­re­ge­lung des § 324 Abs. 1 BGB aF fin­det sich in § 326 Abs. 2 Satz 1 Alt. 1 BGB nicht, dass der Gläubi­ger den Um­stand „zu ver­tre­ten“ ha­be. Doch kann für die Be­stim­mung des Be­griffs „ver­ant­wort­lich“ auf die amt­li­chen Über­schrif­ten der §§ 276, 278 BGB zurück­ge­grif­fen wer­den, die „Ver­ant­wort­lich­keit des Schuld­ners“ bzw. „Ver­ant­wort­lich­keit des Schuld­ners für Drit­te“ lau­ten. Da­mit ist vorsätz­li­ches oder fahrlässi­ges Han­deln ge­meint. Die Ge­set­zes­be­gründung zu § 326 Abs. 2 BGB zeigt schließlich, dass der Ge­setz­ge­ber an die Vorgänger­re­ge­lung an­knüpfen woll­te, weil die Norm den „bis­he­ri­gen § 324 mit leich­ten Um­for­mu­lie­run­gen über­nimmt“ (BT-Drs. 14/6040 S. 189). Das Ver­schul­den­s­prin­zip ist auch bei der Nach­fol­ge­re­ge­lung zu­grun­de zu le­gen (BGH 22. Sep­tem­ber 2004 - VIII ZR 203/03 - zu II 3 b cc der Gründe; BAG 13. Ju­ni 2007 - 5 AZR 564/06 - Rn. 41, BA­GE 123, 98).

cc) Die Be­klag­te hat we­der durch ih­re Or­ga­ne noch ih­re Erfüllungs­ge­hil­fen fahrlässig ge­han­delt, in­dem sie den Ab­schluss ei­nes Ar­beits­ver­trags ver­wei­ger­te. Es war für sie ob­jek­tiv nicht vor­her­seh­bar, dass der Rechts­streit zu­guns­ten der Kläge­rin ent­schie­den wer­den würde. Sie konn­te auf das Ur­teil des Bun­des­ar­beits­ge­richts vom 19. Ok­to­ber 2005 (- 7 AZR 32/05 -) ver­trau­en und be­fand sich des­halb in ei­nem un­ver­meid­ba­ren Rechts­irr­tum.


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(1) An ei­nen un­ver­meid­ba­ren Rechts­irr­tum sind stren­ge An­for­de­run­gen zu stel­len. Der Gel­tungs­an­spruch des Rechts er­for­dert im Grund­satz, dass der Schuld­ner das Ri­si­ko ei­nes Rechts­irr­tums selbst trägt und es nicht dem Gläubi­ger überbürden kann (BAG 16. Sep­tem­ber 2008 - 9 AZR 781/07 - Rn. 47, BA­GE 127, 353). Be­ruht die Un­ge­wiss­heit über die Schuld auf recht­li­chen Zwei­feln des Schuld­ners (sog. Rechts­irr­tum), ist die­ser ent­schuld­bar, wenn die Rechts­la­ge ob­jek­tiv zwei­fel­haft ist und der Schuld­ner sie sorgfältig ge­prüft hat. Es müssen ge­wich­ti­ge An­halts­punk­te für die Rich­tig­keit der ver­tre­te­nen Rechts­mei­nung spre­chen. Da­bei genügt die Be­ru­fung auf ei­ne güns­ti­ge An­sicht im Schrift­tum nicht, wohl aber die Be­ru­fung auf die höchst­rich­ter­li­che Recht­spre­chung (BAG 13. Mai 1998 - 7 AZR 297/97 - zu V 1 der Gründe), ins­be­son­de­re wenn ihr ein zu­min­dest ähn­li­cher Sach­ver­halt zu­grun­de liegt (BAG 3. De­zem­ber 2002 - 9 AZR 481/01 - zu A III 3 der Gründe, BA­GE 104, 45).

Ist ei­ne Rechts­fra­ge bei zu­min­dest ähn­li­cher Sach­la­ge für ei­ne be­stimm­te Par­tei be­reits vom Bun­des­ar­beits­ge­richt ent­schie­den, liegt nicht ein­mal ei­ne ob­jek­tiv zwei­fel­haf­te Rechts­la­ge vor. Viel­mehr darf ei­ne sorgfältig han­deln­de Ar­beits­ver­trags­par­tei - aus­ge­hend vom Ge­bot der Rechts­si­cher­heit - von ei­ner gleich­blei­ben­den Recht­spre­chung aus­ge­hen. In die­ser Si­tua­ti­on be­gründet die Möglich­keit ei­ner ab­wei­chen­den Ge­richts­ent­schei­dung kei­nen Grad an Vor­her­seh­bar­keit, der den Vor­wurf fahrlässi­gen Ver­hal­tens recht­fer­ti­gen würde. Über­haupt ge­hen die Sorg­falts­an­for­de­run­gen nicht so weit, dass ei­ne dem Schuld­ner ungüns­ti­ge Ent­schei­dung der Rechts­fra­ge un­denk­bar ge­we­sen sein müss­te (BAG 12. No­vem­ber 1992 - 8 AZR 503/91 - zu I 1 der Gründe, BA­GE 71, 350; un­deut­lich BAG 29. Au­gust 2013 - 2 AZR 273/12 - Rn. 34).

(2) Die Be­klag­te durf­te sich in ih­rer Rechts­mei­nung auf das Ur­teil des Bun­des­ar­beits­ge­richts vom 19. Ok­to­ber 2005 stützen. Die­sem lag ein sehr ähn­li­cher Sach­ver­halt zu­grun­de. Auch dort wur­de ein Be­triebs­teil der Be­klag­ten in ei­ne neu zu gründen­de Ge­sell­schaft aus­ge­glie­dert mit der Fol­ge ei­nes Be­triebsüber­gangs. Eben­so wur­de ei­ne Be­triebs­ver­ein­ba­rung ab­ge­schlos­sen, die ne­ben ei­ner ver­gleich­ba­ren Rück­kehr­zu­sa­ge ei­nen in wei­ten Tei­len ähn­lich lau­ten­den In­halt auf­wies. Die da­ma­li­ge Kla­ge auf Ar­beits­ver­trags­ab­schluss hat-
 

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te vor dem Bun­des­ar­beits­ge­richt kei­nen Er­folg, nach­dem die da­ma­li­ge Kläge­rin nach Be­triebsübergängen ih­ren Ar­beits­platz erst außer­halb des Kon­zern­ver­bunds ver­lo­ren hat­te. Das Bun­des­ar­beits­ge­richt ver­nein­te die Gel­tung der Zu­sa­ge für ei­nen nicht mehr kon­zern­zu­gehöri­gen Ar­beits­platz nach Aus­le­gung der Be­triebs­ver­ein­ba­rung. Die Rück­kehr­zu­sa­ge ste­he un­ter dem un­ge­schrie­be­nen Vor­be­halt der wei­te­ren Kon­zern­zu­gehörig­keit (BAG 19. Ok­to­ber 2005 - 7 AZR 32/05 - Rn. 21).

An­ge­sichts der Ähn­lich­keit der bei­den Be­triebs­ver­ein­ba­run­gen han­del­te die Be­klag­te nicht fahrlässig, als sie ei­ne Wie­der­ein­stel­lung der Kläge­rin nach Aus­schei­den aus dem Kon­zern­ver­bund ab­lehn­te und da­durch de­ren Ar­beits­leis­tung unmöglich mach­te. We­der die Rück­kehr­zu­sa­ge selbst noch die wei­te­ren Re­ge­lun­gen der Be­triebs­ver­ein­ba­rung, ins­be­son­de­re ih­re zeit­lich be­grenz­ten Ansprüche, zei­gen der­art gra­vie­ren­de Un­ter­schie­de zu der vom Bun­des­ar­beits­ge­richt im Jahr 2005 be­ur­teil­ten Be­triebs­ver­ein­ba­rung, dass der Be­klag­ten bei der von ihr ver­tre­te­nen Rechts­auf­fas­sung Ver­ant­wort­lich­keit iSd. §§ 276, 278 BGB vor­werf­bar wäre.

Die Schrei­ben der Be­klag­ten vom 12. De­zem­ber 2003 und 10. Fe­bru­ar 2005 ste­hen dem nicht ent­ge­gen. Da­nach soll­te ei­ne „et­wa be­gründe­te Rechts­po­si­ti­on un­berührt“ blei­ben. Die Schrei­ben per­pe­tu­ier­ten le­dig­lich ein et­waig be­ste­hen­des Recht. Da die Be­klag­te mit der Recht­spre­chung des Bun­des­ar­beits­ge­richts da­von aus­ge­hen durf­te, ein Rück­kehr­recht ha­be nicht mehr be­stan­den, konn­te sie sich auch ent­schuld­bar dar­auf be­ru­fen, ein per­pe­tu­ier­tes Recht be­ste­he nicht.

3. Auf §§ 280, 286 BGB kann im Streit­fall als An­spruchs­grund­la­ge ne­ben § 326 Abs. 2 Satz 1 Alt. 1 BGB nicht zurück­ge­grif­fen wer­den. Der Um­stand, der zur Unmöglich­keit der Ar­beits­leis­tung geführt hat, ist iden­tisch mit den Tat­sa­chen, die ei­nen mögli­chen Ver­zug der Be­klag­ten mit der An­nah­me des Ver­trags­an­ge­bots be­gründen. Zu­dem gilt hin­sicht­lich des für ei­nen Scha­dens­er­satz­an­spruch not­wen­di­gen Ver­schul­dens der Be­klag­ten das Glei­che wie zu § 326 Abs. 2 Satz 1 Alt. 1 BGB.


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III. Die Kos­ten­ent­schei­dung be­ruht auf § 91 Abs. 1 ZPO. 

Müller-Glöge 

Biebl 

Volk

Busch 

Man­d­ros­sa

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