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BAG, Ur­teil vom 23.05.2013, 2 AZR 102/12

   
Schlagworte: Kündigung: Verdachtskündigung, Verdachtskündigung, Kündigung: Straftat, Kündigung: Fristlos
   
Gericht: Bundesarbeitsgericht
Aktenzeichen: 2 AZR 102/12
Typ: Urteil
Entscheidungsdatum: 23.05.2013
   
Leitsätze:
Vorinstanzen: Arbeitsgericht Elmshorn, Urteil vom 13.01.2011, 3 Ca 1526 d/10
Landesarbeitsgericht Schleswig-Holstein, Urteil vom 31.08.2011, 3 Sa 29/11
   


BUN­DES­AR­BEITS­GERICHT


2 AZR 102/12
3 Sa 29/11
Lan­des­ar­beits­ge­richt

Schles­wig-Hol­stein

 

Im Na­men des Vol­kes!

Verkündet am

23. Mai 2013

UR­TEIL

Schmidt, Ur­kunds­be­am­tin

der Geschäfts­stel­le

In Sa­chen

Kläger, Be­ru­fungs­be­klag­ter und Re­vi­si­onskläger,

pp.

Be­klag­te, Be­ru­fungskläge­rin und Re­vi­si­ons­be­klag­te,

hat der Zwei­te Se­nat des Bun­des­ar­beits­ge­richts auf­grund der münd­li­chen Ver­hand­lung vom 23. Mai 2013 durch den Vor­sit­zen­den Rich­ter am Bun­des­ar­beits­ge­richt Kreft, die Rich­te­rin­nen am Bun­des­ar­beits­ge­richt Ber­ger und Dr. Rinck so­wie die eh­ren­amt­li­chen Rich­ter Be­cker­le und Fal­ke für Recht er­kannt:
 


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Die Re­vi­si­on des Klägers ge­gen das Ur­teil des Lan­des­ar­beits­ge­richts Schles­wig-Hol­stein vom 31. Au­gust 2011 - 3 Sa 29/11 - wird auf sei­ne Kos­ten zurück­ge­wie­sen.


Von Rechts we­gen!

Tat­be­stand

Die Par­tei­en strei­ten über die Wirk­sam­keit ei­ner außer­or­dent­li­chen Ver­dachtskündi­gung.

Die Be­klag­te be­treibt Tank­stel­len. Der Kläger war bei ihr seit Ju­li 2003 als Be­zirks­lei­ter für den Ver­trieb im Außen­dienst beschäftigt.


Im Au­gust 2010 ent­stand bei der Be­klag­ten der Ver­dacht, der Kläger könne an betrüge­ri­schen Auf­trags­ver­ga­ben zu ih­ren Las­ten be­tei­ligt ge­we­sen sein. Am 20. Au­gust und 30. Sep­tem­ber 2010 hörte sie den Kläger zu den aus ih­rer Sicht ver­dachts­be­gründen­den Umständen an. Er be­stritt die Vorwürfe.

Mit Schrei­ben vom 5. Ok­to­ber 2010 sprach die Be­klag­te ei­ne frist­lo­se, hilfs­wei­se or­dent­li­che Ver­dachtskündi­gung aus. Ge­gen sie er­hob der Kläger frist­ge­recht die vor­lie­gen­de Kla­ge. Am 14. Ja­nu­ar 2011 kündig­te die Be­klag­te das Ar­beits­verhält­nis er­neut frist­los. Auch da­ge­gen er­hob der Kläger - in ei­nem ei­genständi­gen Ver­fah­ren - Kla­ge.

Am 28. Ju­li 2011 stell­te ein Mit­ar­bei­ter der Be­klag­ten wei­te­re Un­re­gelmäßig­kei­ten fest. Im No­vem­ber 2009 hat­te ei­ne Bau­ge­sell­schaft der Be­klag­ten für ein Bau­vor­ha­ben an ei­ner Tank­stel­le 8.929,52 Eu­ro in Rech­nung ge­stellt. Dar­in wa­ren ua. die Lie­fe­rung und das Ver­le­gen von Ter­ras­sen­plat­ten (ter­ra­cot­ta, 40 x 40 für 80,64 m2) mit 2.056,32 Eu­ro aus­ge­wie­sen. Aus den bei­gefügten Bau­ta­ges­be­rich­ten, Gesprächs­no­ti­zen, Lie­fer­an­ge­bo­ten, Auf­trägen, Auf­maßskiz­zen und Lie­fer­schei­nen für das Bau­vor­ha­ben war er­sicht­lich, dass ent­spre­chen­de Leis­tun­gen nicht auf ei­nem Tank­stel­len­gelände der Be­klag­ten, son­dern
 


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auf dem Wohn­grundstück des Klägers aus­geführt wor­den wa­ren. Mit Schrift­satz vom 22. Au­gust 2011 hat die Be­klag­te die­se tatsächli­chen Er­kennt­nis­se oh­ne er­neu­te Anhörung des Klägers in den vor­lie­gen­den Rechts­streit ein­geführt.

Der Kläger hat be­strit­ten, dass er auf Kos­ten der Be­klag­ten Ter­ras­sen­plat­ten in sei­ner Grundstücks­auf­fahrt ha­be ver­le­gen las­sen. Die ab­ge­rech­ne­ten Leis­tun­gen der Bau­ge­sell­schaft ständen in kei­ner Ver­bin­dung zu sei­ner Wohn­an­schrift. Dies er­ge­be sich aus den Men­gen­an­ga­ben und dem Ge­samt­ar­beits­auf­wand. Im Übri­gen hat der Kläger ge­meint, weil sie ihn da­zu zu­vor nicht an­gehört ha­be, vermöge die Be­klag­te die Kündi­gung auf die­sen Vor­wurf oh­ne­hin nicht zu stützen.

Der Kläger hat im vor­lie­gen­den Ver­fah­ren be­an­tragt 


fest­zu­stel­len, dass das zwi­schen den Par­tei­en be­ste­hen­de Ar­beits­verhält­nis durch die Kündi­gung der Be­klag­ten vom 5. Ok­to­ber 2010 nicht be­en­det wor­den ist, son­dern zu un­veränder­ten Be­din­gun­gen fort­be­steht.

Die Be­klag­te hat be­an­tragt, die Kla­ge ab­zu­wei­sen. Sie hat vor­ge­bracht, der Kläger ha­be sich betrüge­risch zu ih­ren Las­ten be­rei­chert. Er ha­be auf sei­nem Pri­vat­grundstück Bau­maßnah­men ausführen las­sen, die als Um­bau ei­ner Tank­stel­le de­kla­riert wor­den sei­en. Den auf die­sen tatsächli­chen Umständen be­ru­hen­den Kündi­gungs­grund ha­be sie nachträglich in den Rechts­streit einführen können, oh­ne dass sie den Kläger zu­vor ha­be anhören müssen.

Das Ar­beits­ge­richt hat der vor­lie­gen­den Kla­ge mit Ur­teil vom 13. Ja­nu­ar 2011, der Kla­ge ge­gen die Kündi­gung vom 14. Ja­nu­ar 2011 mit Ur­teil vom 17. März 2011 statt­ge­ge­ben. Das Lan­des­ar­beits­ge­richt hat über die Be­ru­fun­gen der Be­klag­ten in ge­trenn­ten Ver­fah­ren am sel­ben Tag ver­han­delt. Nach Ver­hand­lung und Durchführung ei­ner Be­weis­auf­nah­me im vor­lie­gen­den Ver­fah­ren hat es be­schlos­sen, ei­ne Ent­schei­dung am En­de der Sit­zung zu verkünden. In der sich an­sch­ließen­den Ver­hand­lung im Ver­fah­ren über die Kündi­gung vom 14. Ja­nu­ar 2011 hat es dar­auf hin­ge­wie­sen, dass es sich bei die­ser um ei­ne un­zulässi­ge Wie­der­ho­lungskündi­gung han­deln dürf­te. Die Be­klag­te hat dar­auf­hin die Be­ru­fung ge­gen das Ur­teil des Ar­beits­ge­richts vom 17. März 2011 zurück­ge­nom­men. Der Kläger hat der Rück­nah­me aus­drück­lich zu­ge­stimmt.
 


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Im vor­lie­gen­den Rechts­streit hat das Lan­des­ar­beits­ge­richt das erst­in­stanz­li­che Ur­teil ab­geändert und die Kla­ge ab­ge­wie­sen. Mit sei­ner Re­vi­si­on be­gehrt der Kläger die Wie­der­her­stel­lung der ar­beits­ge­richt­li­chen Ent­schei­dung. Er bringt vor, der Be­en­di­gung des Ar­beits­verhält­nis­ses durch die Kündi­gung vom 5. Ok­to­ber 2010 ste­he schon die durch die Be­ru­fungsrück­nah­me ein­ge­tre­te­ne Rechts­kraft der Ent­schei­dung vom 17. März 2011 ent­ge­gen. Die­se ent­hal­te mit­tel­bar die Fest­stel­lung, dass bei Zu­gang der Kündi­gung vom 14. Ja­nu­ar 2011 ein Ar­beits­verhält­nis mit der Be­klag­ten noch be­stan­den ha­be.


Ent­schei­dungs­gründe

Die Re­vi­si­on ist un­be­gründet. Die Kündi­gung der Be­klag­ten vom 5. Ok­to­ber 2010 hat das Ar­beits­verhält­nis der Par­tei­en be­en­det. Das Lan­des­ar­beits­ge­richt war trotz der Rechts­kraft des ar­beits­ge­richt­li­chen Ur­teils vom 17. März 2011 nicht ge­hin­dert, die Wirk­sam­keit der Kündi­gung vom 5. Ok­to­ber 2010 zu über­prüfen (I.). Sei­ne An­nah­me, die nach­ge­scho­be­nen Kündi­gungs­gründe trügen die­se Kündi­gung, ist re­vi­si­ons­recht­lich nicht zu be­an­stan­den (II.).

I. Die Rechts­kraft der Ent­schei­dung des Ar­beits­ge­richts vom 17. März 2011, der­zu­fol­ge die Kündi­gung vom 14. Ja­nu­ar 2011 das Ar­beits­verhält­nis der Par­tei­en nicht be­en­det hat, steht der An­nah­me nicht ent­ge­gen, das Ar­beits­verhält­nis sei schon durch die Kündi­gung vom 5. Ok­to­ber 2010 be­en­det wor­den.


1. Der Um­fang der Rechts­kraft ei­ner ge­richt­li­chen Ent­schei­dung im Kündi­gungs­schutz­pro­zess be­stimmt sich nach dem Streit­ge­gen­stand. Streit­ge­gen­stand ei­ner Kündi­gungs­schutz­kla­ge mit ei­nem An­trag nach § 4 Satz 1 KSchG ist, ob das Ar­beits­verhält­nis der Par­tei­en aus An­lass ei­ner be­stimm­ten Kündi­gung zu dem in ihr vor­ge­se­he­nen Ter­min auf­gelöst wor­den ist. Die be­gehr­te Fest­stel­lung er­for­dert nach dem Wort­laut der ge­setz­li­chen Be­stim­mung ei­ne Ent­schei­dung über das Be­ste­hen ei­nes Ar­beits­verhält­nis­ses zum Zeit­punkt der Kündi­gung. Mit der Rechts­kraft des der Kla­ge statt­ge­ben­den Ur­teils steht des-


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halb re­gelmäßig zu­gleich fest, dass je­den­falls im Zeit­punkt des Zu­gangs der Kündi­gung zwi­schen den strei­ten­den Par­tei­en ein Ar­beits­verhält­nis be­stan­den hat, das nicht schon zu­vor durch an­de­re Er­eig­nis­se auf­gelöst wor­den ist (BAG 22. No­vem­ber 2012 - 2 AZR 732/11 - Rn. 19; 5. Ok­to­ber 1995 - 2 AZR 909/94 - zu II 1 der Gründe, BA­GE 81, 111). Die Rechts­kraft schließt gemäß § 322 ZPO im Verhält­nis der Par­tei­en zu­ein­an­der ei­ne hier­von ab­wei­chen­de ge­richt­li­che Fest­stel­lung in ei­nem späte­ren Ver­fah­ren aus (BAG 22. No­vem­ber 2012 - 2 AZR 732/11- Rn. 19; 27. Ja­nu­ar 2011 - 2 AZR 826/09 - Rn. 13).


2. Zu berück­sich­ti­gen ist aber, dass der Ge­gen­stand der Kündi­gungs­schutz­kla­ge und da­mit der Um­fang der Rechts­kraft ei­nes ihr statt­ge­ben­den Ur­teils auf die Auflösung des Ar­beits­verhält­nis­ses durch die kon­kret an­ge­grif­fe­ne Kündi­gung be­schränkt, dh. das Be­ste­hen ei­nes Ar­beits­verhält­nis­ses im Zeit­punkt des Wirk­sam­wer­dens oder Zu­gangs der Kündi­gung ei­ner Ent­schei­dung ent­zo­gen wer­den kann (BAG 22. No­vem­ber 2012 - 2 AZR 732/11 - Rn. 20; 26. März 2009 - 2 AZR 633/07 - Rn. 16, BA­GE 130, 166). Ei­ne sol­che Ein­schränkung des Streit­ge­gen­stands und Um­fangs der Rechts­kraft be­darf deut­li­cher An­halts­punk­te, die sich aus dem An­trag und der Ent­schei­dung selbst er­ge­ben müssen. Da­bei ist nicht aus­ge­schlos­sen, für die Be­stim­mung des Streit­ge­gen­stands und des Um­fangs der Rechts­kraft Umstände her­an­zu­zie­hen, die schon mit der Ent­schei­dungs­fin­dung zu­sam­menhängen. So kann für die „Aus­klam­me­rung“ der Rechts­fol­gen ei­ner ei­genständi­gen, zeit­lich früher wir­ken­den Kündi­gung aus dem Ge­gen­stand der Kla­ge ge­gen ei­ne später wir­ken­de Kündi­gung der Um­stand spre­chen, dass die­sel­be Kam­mer des (Lan­des-)Ar­beits­ge­richts am sel­ben Tag über bei­de Kündi­gun­gen ent­schei­det. In ei­nem sol­chen Fall wol­len re­gelmäßig we­der der Kläger noch das Ge­richt das Be­ste­hen ei­nes Ar­beits­verhält­nis­ses bei Zu­gang der späte­ren Kündi­gung zum Ge­gen­stand des über de­ren Wirk­sam­keit geführ­ten Rechts­streits ma­chen (vgl. BAG 20. Mai 1999 - 2 AZR 278/98 - zu I der Gründe).

3. Im Streit­fall kann da­hin­ste­hen, wie weit die Rechts­kraft des ar­beits­ge­richt­li­chen Ur­teils vom 17. März 2011 reicht. Die Par­tei­en ha­ben mit der Zurück­nah­me der Be­ru­fung durch die Be­klag­te und der An­nah­me die­ser Erklärung

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durch den Kläger nicht nur ih­ren Rechts­streit mit der Fol­ge be­en­det, dass die Un­wirk­sam­keit der Kündi­gung vom 14. Ja­nu­ar 2011 fest­steht. Ih­re Pro­zes­serklärun­gen ha­ben viel­mehr zu­gleich ei­nen ma­te­ri­ell­recht­li­chen In­halt. Der Kläger soll aus der rechts­kräftig ge­wor­de­nen Ent­schei­dung über die Kündi­gung vom 14. Ja­nu­ar 2011 kei­ne Rech­te her­lei­ten können, die ei­ner in­halt­lich ei­genständi­gen Ent­schei­dung des Lan­des­ar­beits­ge­richts über die Kündi­gung vom 5. Ok­to­ber 2010 ent­ge­genstünden. Das er­gibt die Aus­le­gung der bei­der­sei­ti­gen Erklärun­gen (§§ 133, 157 BGB).

a) Die Wir­kun­gen der ma­te­ri­el­len Rechts­kraft un­ter­lie­gen zwar nicht der Dis­po­si­ti­on der Par­tei­en (vgl. BGH 28. Ja­nu­ar 1987 - IVb ZR 12/86 - zu 2 a der Gründe; Ro­sen­berg/Schwab/Gott­wald Zi­vil­pro­zess­recht 17. Aufl. § 152 Rn. 17; St­ein/Jo­nas/Lei­pold ZPO 22. Aufl. § 322 Rn. 212; Münch­KommZ­PO/Gott­wald 3. Aufl. § 322 Rn. 58). Die Par­tei­en können die­se Wir­kun­gen aber durch Ver­ein­ba­run­gen be­ein­flus­sen. Bei sol­chen Ab­re­den han­delt es sich nicht um un­zulässi­ge „Ein­grif­fe“ in die Rechts­kraft, son­dern um zulässi­ge, ggf. nachträgli­che Re­ge­lun­gen ih­rer ma­te­ri­el­len Fol­gen, die der Verfügung der Par­tei­en un­ter­lie­gen (vgl. Ro­sen­berg/Schwab/Gott­wald aaO Rn. 18; Zöller/Voll­kom­mer ZPO 29. Aufl. § 325 Rn. 43a).


b) Die Be­klag­te hat mit ih­rer Be­ru­fungsrück­nah­me zum Aus­druck ge­bracht, sie sei be­reit, die Un­wirk­sam­keit der zwei­ten Kündi­gung hin­zu­neh­men. Sie hat da­mit aus Sicht ei­nes ob­jek­ti­ven Empfängers - für den Kläger oh­ne Wei­te­res er­kenn­bar - nicht zu­gleich erklärt, sie wol­le auch den un­gekündig­ten Be­stand des Ar­beits­verhält­nis­ses bis zum Zu­gang der Kündi­gung vom 14. Ja­nu­ar 2011 an­er­ken­nen. Da­mit hätte sie dem nach wie vor anhängi­gen Rechts­streit über die Kündi­gung vom 5. Ok­to­ber 2010 die Grund­la­ge ent­zo­gen. Dies war er­sicht­lich nicht ge­wollt. Bei­de Par­tei­en er­war­te­ten in­so­weit viel­mehr ei­ne Sach­ent­schei­dung des Lan­des­ar­beits­ge­richts. In den Pro­zes­serklärun­gen der Par­tei­en liegt da­nach die ma­te­ri­ell­recht­li­che Ab­re­de, den Fort­be­stand ih­res Ar­beits­verhält­nis­ses al­lein von der Ent­schei­dung über die Wirk­sam­keit der Kündi­gung vom 5. Ok­to­ber 2010 abhängig ma­chen zu wol­len. Der Kläger kann sich
 


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be­reits aus die­sem Grund nicht dar­auf be­ru­fen, es ste­he rechts­kräftig fest, dass das Ar­beits­verhält­nis noch im Ja­nu­ar 2011 be­stan­den ha­be.


II. Das Lan­des­ar­beits­ge­richt hat die außer­or­dent­li­che Kündi­gung vom 5. Ok­to­ber 2010 zu Recht als wirk­sam an­ge­se­hen.

1. Nach § 626 Abs. 1 BGB kann das Ar­beits­verhält­nis aus wich­ti­gem Grund außer­or­dent­lich gekündigt wer­den, wenn Tat­sa­chen vor­lie­gen, auf­grund de­rer dem Kündi­gen­den un­ter Berück­sich­ti­gung al­ler Umstände des Ein­zel­falls und un­ter Abwägung der In­ter­es­sen bei­der Ver­trags­tei­le die Fort­set­zung des Ar­beits­verhält­nis­ses selbst bis zum Ab­lauf der Kündi­gungs­frist nicht zu­ge­mu­tet wer­den kann.

a) Auch der Ver­dacht ei­ner schwer­wie­gen­den Pflicht­ver­let­zung kann ei­nen wich­ti­gen Grund bil­den. Ein sol­cher Ver­dacht stellt ge­genüber dem Vor­wurf, der Ar­beit­neh­mer ha­be die Tat be­gan­gen, ei­nen ei­genständi­gen Kündi­gungs­grund dar. Ei­ne Ver­dachtskündi­gung kann ge­recht­fer­tigt sein, wenn sich star­ke Ver­dachts­mo­men­te auf ob­jek­ti­ve Tat­sa­chen gründen, die Ver­dachts­mo­men­te ge­eig­net sind, das für die Fort­set­zung des Ar­beits­verhält­nis­ses er­for­der­li­che Ver­trau­en zu zerstören, und der Ar­beit­ge­ber al­le zu­mut­ba­ren An­stren­gun­gen zur Aufklärung des Sach­ver­halts un­ter­nom­men, ins­be­son­de­re dem Ar­beit­neh­mer Ge­le­gen­heit zur Stel­lung­nah­me ge­ge­ben hat (st. Rspr. BAG 25. Ok­to­ber 2012 - 2 AZR 700/11 - Rn. 13; 24. Mai 2012 - 2 AZR 206/11 - Rn. 16).


b) Der Ver­dacht muss auf kon­kre­te - vom Kündi­gen­den dar­zu­le­gen­de und ggf. zu be­wei­sen­de - Tat­sa­chen gestützt sein. Er muss fer­ner drin­gend sein. Es muss ei­ne große Wahr­schein­lich­keit dafür be­ste­hen, dass er zu­trifft. Die Umstände, die ihn be­gründen, dürfen nach all­ge­mei­ner Le­bens­er­fah­rung nicht eben­so gut durch ein Ge­sche­hen zu erklären sein, das ei­ne außer­or­dent­li­che Kündi­gung nicht zu recht­fer­ti­gen vermöch­te. Bloße, auf mehr oder we­ni­ger halt­ba­re Ver­mu­tun­gen gestütz­te Verdäch­ti­gun­gen rei­chen dem­ent­spre­chend zur Recht­fer­ti­gung ei­nes drin­gen­den Tat­ver­dachts nicht aus (BAG 25. Ok­to­ber 2012 - 2 AZR 700/11 - Rn. 14; 24. Mai 2012 - 2 AZR 206/11 - Rn. 17).
 


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2. Die Würdi­gung des Lan­des­ar­beits­ge­richts, der Kläger sei un­ter Berück­sich­ti­gung des im zweit­in­stanz­li­chen Ver­fah­ren „nach­ge­scho­be­nen“ Kündi­gungs­grun­des ei­ner schwer­wie­gen­den Pflicht­ver­let­zung drin­gend verdäch­tig, ist re­vi­si­ons­recht­lich nicht zu be­an­stan­den.

a) Das Lan­des­ar­beits­ge­richt hat an­ge­nom­men, die erst­in­stanz­lich ge­gen den Kläger er­ho­be­nen Vorwürfe trügen die Kündi­gung vom 5. Ok­to­ber 2010 nicht. Es be­ste­he aber der - die Kündi­gung recht­fer­ti­gen­de - drin­gen­de Ver­dacht, der Kläger ha­be auf Kos­ten der Be­klag­ten Ter­ras­sen­plat­ten an sei­ne Pri­vat­an­schrift lie­fern und dort ver­le­gen las­sen.

b) Das Lan­des­ar­beits­ge­richt durf­te die ent­spre­chen­den, von der Be­klag­ten in zwei­ter In­stanz in das Ver­fah­ren ein­geführ­ten In­di­ztat­sa­chen sei­ner Würdi­gung zu­grun­de le­gen.


aa) In ei­nem Rechts­streit über die Wirk­sam­keit ei­ner Ver­dachtskündi­gung sind nicht nur die dem Ar­beit­ge­ber bei Kündi­gungs­aus­spruch be­kann­ten tatsächli­chen Umstände von Be­deu­tung. So sind auch sol­che später be­kannt ge­wor­de­nen Umstände zu berück­sich­ti­gen - zu­min­dest wenn sie bei Kündi­gungs­zu­gang ob­jek­tiv be­reits vor­la­gen -, die den ursprüng­li­chen Ver­dacht ab­schwächen oder verstärken (BAG 24. Mai 2012 - 2 AZR 206/11 - Rn. 41). Da­ne­ben können selbst sol­che Tat­sa­chen in den Pro­zess ein­geführt wer­den, die den Ver­dacht ei­nes ei­genständi­gen - neu­en - Kündi­gungs­vor­wurfs be­gründen. Vor­aus­set­zung ist, dass der neue Kündi­gungs­grund bei Aus­spruch der Kündi­gung ob­jek­tiv schon ge­ge­ben, dem Ar­beit­ge­ber nur noch nicht be­kannt war (vgl. BAG 6. Sep­tem­ber 2007 - 2 AZR 264/06 - Rn. 21; 4. Ju­ni 1997 - 2 AZR 362/96 - zu II 3 a der Gründe, BA­GE 86, 88).

bb) Da­nach durf­te das Lan­des­ar­beits­ge­richt auf die von der Be­klag­ten nach­ge­tra­ge­nen, den Ver­dacht auf ei­nen ei­genständi­gen Ver­trags­ver­s­toß be­gründen­den Tat­sa­chen ab­stel­len.
 


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(1) Die Ver­le­gung der Ter­ras­sen­plat­ten auf dem Grundstück des Klägers war der Be­klag­ten im Zeit­punkt der Kündi­gung be­reits in Rech­nung ge­stellt und von ihr be­gli­chen wor­den. Dies wur­de ihr je­doch erst im Ju­li 2011 be­kannt.

(2) Es be­durf­te für die Be­acht­lich­keit des Vor­brin­gens kei­ner neu­er­li­chen Anhörung des Klägers.

(a) Führt der Ar­beit­ge­ber le­dig­lich ver­dachts­erhärten­de neue Tat­sa­chen in den Rechts­streit ein, be­darf es da­zu schon des­halb kei­ner vor­he­ri­gen Anhörung des Ar­beit­neh­mers, weil die­ser zu dem Kündi­gungs­vor­wurf als sol­chem be­reits gehört wor­den ist. Er kann sich ge­gen den verstärk­ten Tat­ver­dacht oh­ne Wei­te­res im be­reits anhängi­gen Kündi­gungs­schutz­pro­zess ver­tei­di­gen (vgl. BAG 29. No­vem­ber 2007 - 2 AZR 1067/06 - Rn. 34).

(b) Führt der Ar­beit­ge­ber neue Tat­sa­chen in das Ver­fah­ren ein, die den Ver­dacht ei­ner wei­te­ren Pflicht­ver­let­zung be­gründen, be­darf es der - er­neu­ten - Anhörung des Ar­beit­neh­mers eben­falls nicht (noch of­fen­ge­las­sen in BAG 13. Sep­tem­ber 1995 - 2 AZR 587/94 - zu II 5 der Gründe, BA­GE 81, 27; wie hier: KR/Fi­scher­mei­er 10. Aufl. § 626 BGB Rn. 216; aA Höland Anm. AP BGB § 626 Ver­dacht straf­ba­rer Hand­lung Nr. 25; Moll/Schul­te MAH Ar­beits­recht 3. Aufl. § 44 Rn. 110; Itt­mann ArbR 2011, 6; wohl auch Hoefs Die Ver­dachtskündi­gung S. 215). Das er­gibt sich aus Sinn und Zweck des Anhörungs­er­for­der­nis­ses.


(aa) Die Not­wen­dig­keit der Anhörung des Ar­beit­neh­mers vor Aus­spruch ei­ner Ver­dachtskündi­gung ist Aus­fluss des Verhält­nismäßig­keits­prin­zips. Sie gründet in der Ver­pflich­tung des Ar­beit­ge­bers, sich um ei­ne Aufklärung des Sach­ver­halts zu bemühen. Sie soll den Ar­beit­ge­ber vor vor­ei­li­gen Ent­schei­dun­gen be­wah­ren und der Ge­fahr be­geg­nen, dass ein Un­schul­di­ger von der Kündi­gung be­trof­fen wird (vgl. BAG 24. Mai 2012 - 2 AZR 206/11 - Rn. 32; 23. Ju­ni 2009 - 2 AZR 474/07 - Rn. 51, BA­GE 131, 155). Ist aber - wie beim „Nach­schie­ben“ von Kündi­gungs­gründen - die Kündi­gung dem Ar­beit­neh­mer be­reits zu­ge­gan­gen, kann des­sen Stel­lung­nah­me sie in kei­nem Fall mehr ver­hin­dern. Die vor­he­ri­ge Anhörung des Ar­beit­neh­mers ist da­mit auch mit Blick auf den Verhält­nismäßig­keits­grund­satz nicht un­ver­zicht­bar. Die Rech­te des Ar­beit­neh-
 


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mers wer­den glei­cher­maßen da­durch ge­wahrt, dass er sich im anhängi­gen Kündi­gungs­schutz­pro­zess ge­gen den neu­en Tat­ver­dacht ver­tei­di­gen kann (KR/Fi­scher­mei­er 10. Aufl. § 626 BGB Rn. 216).

(bb) Die­ses Er­geb­nis steht nicht im Wi­der­spruch zu dem Er­for­der­nis, den Be­triebs­rat ana­log § 102 Abs. 1 Be­trVG zu den er­wei­ter­ten Kündi­gungs­gründen an­zuhören (BAG 4. Ju­ni 1997 - 2 AZR 362/96 - zu II 4 der Gründe, BA­GE 86, 88; 11. April 1985 - 2 AZR 239/84 - zu B I 2 der Gründe, BA­GE 49, 39). Die Anhörung des Be­triebs­rats dient - an­ders als die Anhörung des Ar­beit­neh­mers - nicht (nur) der Aufklärung des Sach­ver­halts. Sie soll dem Be­triebs­rat viel­mehr Ge­le­gen­heit ge­ben, auf den auf ei­nem be­stimm­ten Sach­ver­halt be­ru­hen­den Kündi­gungs­ent­schluss des Ar­beit­ge­bers ak­tiv ein­zu­wir­ken (vgl. BAG 11. April 1985 - 2 AZR 239/84 - aaO). Das lässt sich be­zo­gen auf nach­ge­scho­be­ne Gründe nur er­rei­chen, wenn die­se dem - an­ders als der Ar­beit­neh­mer am Rechts­streit nicht be­tei­lig­ten - Be­triebs­rat vor ih­rer Einführung in den lau­fen­den Pro­zess zur Kennt­nis ge­bracht wer­den. Zwar kann auch der Be­triebs­rat die schon er­folg­te Kündi­gung als sol­che nicht mehr ver­hin­dern. Er kann aber nur so sei­ne - den Ar­beit­neh­mer uU ent­las­ten­de - Sicht der Din­ge zu Gehör brin­gen.


(3) § 626 Abs. 2 Satz 1 BGB steht der Berück­sich­ti­gung nach­ge­scho­be­ner Tat­sa­chen nicht ent­ge­gen. Neu be­kannt ge­wor­de­ne, bei Kündi­gungs­aus­spruch ob­jek­tiv aber be­reits ge­ge­be­ne Gründe können noch nach Ab­lauf der Zwei­wo­chen­frist in den Pro­zess ein­geführt wer­den. Die­se Frist gilt nach dem Wort­laut der Be­stim­mung al­lein für die Ausübung des Kündi­gungs­rechts. Ist die Kündi­gung als sol­che recht­zei­tig erklärt, schließt § 626 Abs. 2 Satz 1 BGB ein Nach­schie­ben nachträglich be­kannt ge­wor­de­ner Gründe nicht aus (BAG 4. Ju­ni 1997 - 2 AZR 362/96 - zu II 3 b der Gründe, BA­GE 86, 88).


c) Die Würdi­gung des Kündi­gungs­sach­ver­halts durch das Be­ru­fungs­ge­richt ist, so­weit sie auf tatsäch­li­chem Ge­biet liegt, vom Re­vi­si­ons­ge­richt nur dar­auf­hin zu über­prüfen, ob sie in sich wi­der­spruchs­frei ist und nicht ge­gen Denk­ge­set­ze, Er­fah­rungssätze oder an­de­re Rechtssätze verstößt (vgl. BAG 24. Mai 2012 - 2 AZR 206/11 - Rn. 29; 27. Ja­nu­ar 2011 - 8 AZR 580/09 - Rn. 30). Ei­nen Rechts­feh­ler des Lan­des­ar­beits­ge­richts die­ser Art hat der Kläger nicht auf­ge-
 


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zeigt. Das Lan­des­ar­beits­ge­richt hat aus dem Um­stand, dass hin­sicht­lich der von der Bau­ge­sell­schaft ge­lie­fer­ten Ma­te­ria­li­en der Lie­fer­ort, die Flächen, die Art der Pflas­te­rung und Bau­skiz­zen mit der Auf­fahrt des Klägers übe­rein­stimm­ten, wi­der­spruchs­frei ge­fol­gert, es be­ste­he der drin­gen­de Ver­dacht, der Kläger ha­be sich auf Kos­ten der Be­klag­ten rechts­wid­rig be­rei­chert. Es hat nach­voll­zieh­bar an­ge­nom­men, je­den­falls ein Teil der den Bau­ta­ges­be­rich­ten zu ent­neh­men­den Ar­beits­stun­den ha­be sich auf das Bau­pro­jekt auf dem Grundstück des Klägers be­zo­gen. Der Kläger ist den tatsächli­chen Grund­la­gen die­ses Ver­dachts nicht sub­stan­zi­iert ent­ge­gen­ge­tre­ten. Sei­nem Vor­trag lässt sich auch nicht et­wa ent­neh­men, er ha­be die auf sei­nem Grundstück aus­geführ­ten Ar­bei­ten selbst be­zahlt.


d) Die In­ter­es­sen­abwägung des Lan­des­ar­beits­ge­richts ist frei von Rechts­feh­lern. Es hat al­le vernünf­ti­ger­wei­se in Be­tracht zu zie­hen­den Umstände des Ein­zel­falls berück­sich­tigt und ver­tret­bar ge­gen­ein­an­der ab­ge­wo­gen.

III. Die Kos­ten des Re­vi­si­ons­ver­fah­rens hat gemäß § 97 Abs. 1 ZPO der Kläger zu tra­gen.

Kreft 

Ber­ger 

Rinck

Be­cker­le 

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