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ARBEITSRECHT AKTUELL // 13/213

Ver­fah­rens­feh­ler beim Be­triebs­rats­be­schluss

Kann ei­ne La­dung oh­ne Mit­tei­lung der Ta­ges­ord­nungs­punk­te künf­tig leich­ter ge­heilt wer­den?: Bun­des­ar­beits­ge­richt, Be­schluss vom 09.07.2013, 1 ABR 2/13 (A)
Sitzung des Betriebsrats, Betriebsratsversammlung Wann kann die Ta­ges­ord­nung spon­tan ge­än­dert wer­den?

28.07.2013. Wenn der Vor­sit­zen­de ei­nes Be­triebs­rats sei­ne Mit­strei­ter zu ei­ner Sit­zung ein­be­ruft, muss er sorg­fäl­tig ar­bei­ten, denn er muss in der La­dung die ein­zel­nen Punk­te der Ta­ges­ord­nung (TOPs) be­nen­nen.

Macht der das nicht rich­tig, d.h. ver­gisst er ei­nen der Ta­ges­ord­nungs­punk­te, über den die Mit­glie­der des Be­triebs­rats dann aber in ih­rer Sit­zung ger­ne be­schlie­ßen wür­den, wird es eng:

Denn nach der bis­he­ri­gen Recht­spre­chung des Bun­des­ar­beits­ge­richts (BAG) muss der Be­triebs­rat dann in der Sit­zung voll­zäh­lig vor­han­den sein, d.h. bei ei­nem aus neun Per­so­nen be­ste­hen­den Be­triebs­rat müs­sen auch neun Mit­glie­der bzw. Er­satz­mit­glie­der an­we­send sein. Und al­le voll­zäh­lig an­we­sen­den Be­triebs­rats­mit­glie­der müs­sen die Än­de­rung bzw. Er­gän­zung der Ta­ges­ord­nung ein­stim­mig be­schlie­ßen.

Die­se stren­gen An­for­de­run­gen an ei­ne wirk­sa­me Er­gän­zung der Ta­ges­ord­nung möch­te der ers­te Se­nat des BAG ger­ne lo­ckern: BAG, Be­schluss vom 09.07.2013, 1 ABR 2/13 (A).

Wann kann der Be­triebs­rat in ei­ner Sit­zung die in der La­dung ent­hal­te­ne Ta­ges­ord­nung ergänzen?

§ 33 Abs.1 Be­triebs­ver­fas­sungs­ge­setz (Be­trVG) schreibt vor, dass der Be­triebs­rat sei­ne Be­schlüsse in ei­ner Sit­zung mit der Mehr­heit der Stim­men der an­we­sen­den Mit­glie­der fasst. Be­schlussfähig ist der Be­triebs­rat, wenn min­des­tens die Hälf­te sei­ner Mit­glie­der an der Be­schluss­fas­sung teil­nimmt. Ist ein or­dent­li­ches Be­triebs­rats­mit­glied ver­hin­dert, kann es durch ein Er­satz­mit­glied ver­tre­ten wer­den (§ 25 Abs.1 Be­trVG).

Ein sol­cher Be­schluss ist aber nur dann wirk­sam, wenn die Be­triebs­rats­mit­glie­der zu der Sit­zung, in der der Be­schluss ge­fasst wird, zu­vor ord­nungs­gemäß ge­la­den wur­den. Denn gemäß § 29 Abs.2 Satz 3 Be­trVG muss der Be­triebs­rats­vor­sit­zen­de sämt­li­che Be­triebs­rats­mit­glie­der (bzw. Er­satz­mit­glie­der) recht­zei­tig zu der be­vor­ste­hen­den Sit­zung la­den, und zwar un­ter Mit­tei­lung der Ta­ges­ord­nung.

Nach der Recht­spre­chung ist § 29 Abs.2 Satz 3 Be­trVG ei­ne sehr wich­ti­ge Vor­schrift. Denn oh­ne vor­he­ri­ge Mit­tei­lung der Ta­ges­ord­nung können sich die Be­triebs­rats­mit­glie­der nicht vernünf­tig auf die Sit­zung vor­be­rei­ten.

Dem­ent­spre­chend hoch sind die An­for­de­run­gen, die das BAG an ei­ne wirk­sa­me Ände­rung der Ta­ges­ord­nung stellt, die der Be­triebs­rat erst in der Sit­zung selbst be­sch­ließt: Es müssen al­le Mit­glie­der bzw. Er­satz­mit­glie­der vollzählig an­we­send sein, d.h. bei ei­nem neunköpfi­gen Be­triebs­rat auch wirk­lich neun (Er­satz-)Mit­glie­der, und al­le müssen mit der Ände­rung der Ta­ges­ord­nung ein­ver­stan­den sein.

Das ist al­ler­dings ein ziem­li­cher Büro­kra­tis­mus, der den Be­triebs­rat im Er­geb­nis oft an­greif­bar macht: Denn der Ar­beit­ge­ber kann im Prin­zip je­den Be­schluss des Be­triebs­rats an­zwei­feln, in­dem er den Be­triebs­rat auf­for­dert, er möge doch ein­mal nach­wei­sen, dass der Be­schluss auch auf der Grund­la­ge ei­ner vor­he­ri­gen Ein­la­dung ge­fasst wur­de, die den im Be­schluss ent­hal­te­nen Ta­ges­ord­nungs­punkt kon­kret nennt.

Es fragt sich da­her, ob die Ge­rich­te die­se stren­gen An­for­de­run­gen an ei­ne kurz­fris­ti­ge Ände­rung der Ta­ges­ord­nung in der Be­triebs­rats­sit­zung nicht lo­ckern soll­ten, um die Ar­beit des Be­triebs­rats nicht unnötig zu be­hin­dern.

Der Fall des BAG: Be­triebs­rat be­strei­tet die Wirk­sam­keit ei­ner vom Vorgänger-Be­triebs­rat ab­ge­schlos­se­nen Be­triebs­ver­ein­ba­rung über Tor­kon­trol­len

Im Streit­fall ging es um die Wirk­sam­keit ei­ner Be­triebs­ver­ein­ba­rung über Tor­kon­trol­len, die der Vorgänger­be­triebs­rat mit dem Ar­beit­ge­ber ab­ge­schlos­sen hat­te.

Der neu gewähl­te Be­triebs­rat war der An­sicht, dass die­se Be­triebs­ver­ein­ba­rung un­wirk­sam sei und be­rief sich da­bei un­ter an­de­rem auf ei­nen Ver­fah­rens­feh­ler: Die Zu­stim­mung zu der strei­ti­gen Be­triebs­ver­ein­ba­rung sei nämlich in ei­ner Be­triebs­rats­sit­zung be­schlos­sen wor­den, zu der oh­ne Mit­tei­lung ei­ner Ta­ges­ord­nung ge­la­den wor­den sei.

Und weil da­mals nicht al­le Be­triebs­mit­glie­der bei der Sit­zung an­we­send wa­ren, hätte der ehe­ma­li­ge Be­triebs­rat die­sen La­dungs­man­gel in sei­ner Sit­zung nicht ausbügeln können, ob­wohl der Be­triebs­rat an sich be­schlussfähig war und auch al­le an­we­sen­den Mit­glie­der ein­stim­mig der Be­triebs­ver­ein­ba­rung zu­ge­stimmt hat­ten.

Da­her zog der neue Be­triebs­rat vor das Ar­beits­ge­richt und be­an­trag­te fest­zu­stel­len, dass die von sei­nem Vorgänger "ge­erb­te" Be­triebs­ver­ein­ba­rung un­wirk­sam sei. Da­mit hat­te er vor dem Hes­si­schen Lan­des­ar­beits­ge­richt Er­folg (Be­schluss vom 17.09.2012, 16 TaBV 109/11). Da der Ar­beit­ge­ber Rechts­be­schwer­de ein­leg­te, liegt der Fall beim BAG.

An­fra­ge des ers­ten BAG-Se­nats an den sieb­ten BAG-Se­nat: Soll die Recht­spre­chung zur Ergänzung der Ta­ges­ord­nung ge­lo­ckert wer­den?

Nach An­sicht des mit dem Fall be­fass­ten ers­ten BAG-Se­nats soll­te das BAG sei­ne bis­he­ri­ge Recht­spre­chung lo­ckern. Künf­tig soll­te ei­ne Ände­rung der Ta­ges­ord­nung in der Be­triebs­rats­sit­zung be­reits dann zulässig sein,

  • wenn sämt­li­che Mit­glie­der des Be­triebs­rats recht­zei­tig ge­la­den sind,
  • wenn der Be­triebs­rat be­schlussfähig gemäß § 33 Abs.2 Be­trVG, d.h. wenn min­des­tens die Hälf­te sei­ner Mit­glie­der an der Be­schluss­fas­sung teil­nimmt, und
  • wenn die an­we­sen­den Be­triebs­rats­mit­glie­der die Ände­rung bzw. Ergänzung der Ta­ges­ord­nung ein­stim­mig be­sch­ließen.

Künf­tig soll es da­her nicht mehr er­for­der­lich sein, dass in ei­ner sol­chen Be­triebs­rats­sit­zung al­le Be­triebs­rats­mit­glie­der an­we­send sind.

Al­ler­dings hat auch der Sieb­te BAG-Se­nat bis­lang die stren­ge Auf­fas­sung ver­tre­ten, dass al­le Be­triebs­rats­mit­glie­der an­we­send sein müssen (BAG, Be­schluss vom 10.10.2007, 7 ABR 51/06; BAG, Be­schluss vom 28.10.1992, 7 ABR 14/92). Von die­ser Recht­spre­chung ei­nes an­de­ren BAG-Se­nats kann der ers­te Se­nat nicht ab­wei­chen, oh­ne den an­de­ren Se­nat of­fi­zi­ell zu fra­gen, ob er an sei­ner Rechts­auf­fas­sung wei­ter­hin festhält (§ 45 Abs.3 Satz 1 Ar­beits­ge­richts­ge­setz - ArbGG). Bleibt der vom Ers­ten Se­nat an­ge­frag­te Sieb­te Se­nat bei sei­ner Recht­spre­chung, muss der Große Se­nat des BAG ent­schei­den.

Fa­zit: Es wäre im In­ter­es­se ei­ner ra­schen und ef­fek­ti­ven Ar­beit des Be­triebs­rats und auch im In­ter­es­se der Rechts­si­cher­heit gut, wenn der Vor­s­toß des Ers­ten BAG-Se­nats von den Rich­tern des Sieb­ten Se­nats ab­ge­seg­net würde. Denn ge­ra­de klei­ne­re Be­triebsräte sind mit den bis­her gel­ten­den stren­gen Ver­fah­rens­vor­schrif­ten oft über­for­dert.

Be­triebsräte sind in al­ler Re­gel kei­ne ju­ris­ti­schen Fach­leu­te und üben ihr Amt ne­ben­her, d.h. als Eh­ren­amt aus. Die bis­he­ri­ge Recht­spre­chung führt da­her schon bei ein­fa­chen Vorgängen wie der Be­auf­tra­gung ei­ner An­walts­kanz­lei durch ei­nen Be­triebs­rat zu Zeit­verzöge­run­gen und unnötig kom­pli­zier­ten Ver­fah­rens­abläufen.

Nähe­re In­for­ma­tio­nen fin­den Sie hier:

Hin­weis: In der Zwi­schen­zeit, d.h. nach Er­stel­lung die­ses Ar­ti­kels, hat der Ers­te BAG-Se­nat sei­ne Ent­schei­dungs­gründe veröffent­licht. Außer­dem hat der Sieb­te BAG-Se­nat erklärt, dass er der Rechts­auf­fas­sung des Ers­ten Se­nats zu­stimmt (Be­schluss vom 22.01.2014, 7 AS 6/13). Die Ent­schei­dun­gen des Ers­ten und des Sieb­ten BAG-Se­nats so­wie ei­nen Kom­men­tar zu der Ent­schei­dung des Sieb­ten Se­nats fin­den Sie hier:

Letzte Überarbeitung: 2. April 2018

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