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BAG, Ur­teil vom 21.03.2012, 5 AZR 676/11

   
Schlagworte: Arbeitszeitkonto, Minusstunden, Zeitguthaben
   
Gericht: Bundesarbeitsgericht
Aktenzeichen: 5 AZR 676/11
Typ: Urteil
Entscheidungsdatum: 21.03.2012
   
Leitsätze: Der Arbeitgeber darf das auf einem Arbeitszeitkonto ausgewiesene Zeitguthaben des Arbeitnehmers nur mit Minusstunden verrechnen, wenn ihm die der Führung des Arbeitszeitkontos zugrunde liegende Vereinbarung (Arbeitsvertrag, Betriebsvereinbarung, Tarifvertrag) die Möglichkeit dazu eröffnet.
Vorinstanzen: Arbeitsgericht Neuruppin, Urteil vom 14.09.2010 - 2 Ca 1259/09
Landesarbeitsgericht Berlin-Brandenburg, Urteil vom 3.3.2011 - 5 Sa 2328/10
   


BUN­DES­AR­BEITS­GERICHT

5 AZR 676/11
5 Sa 2328/10
Lan­des­ar­beits­ge­richt

Ber­lin-Bran­den­burg

 

Im Na­men des Vol­kes!

Verkündet am

21. März 2012

UR­TEIL

Met­ze, Ur­kunds­be­am­ter

der Geschäfts­stel­le

In Sa­chen

Be­klag­te, Be­ru­fungskläge­rin und Re­vi­si­onskläge­rin,

pp.

Kläge­rin, Be­ru­fungs­be­klag­te und Re­vi­si­ons­be­klag­te,

hat der Fünf­te Se­nat des Bun­des­ar­beits­ge­richts auf­grund der münd­li­chen Ver­hand­lung vom 21. März 2012 durch den Vi­ze­präsi­den­ten des Bun­des­ar­beits­ge­richts Dr. Müller-Glöge, die Rich­te­rin am Bun­des­ar­beits­ge­richt Dr. Laux, den
 


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Rich­ter am Bun­des­ar­beits­ge­richt Dr. Biebl so­wie die eh­ren­amt­li­chen Rich­ter Zol­ler und Pol­lert für Recht er­kannt:

1. Die Re­vi­si­on der Be­klag­ten ge­gen das Ur­teil des Lan­des­ar­beits­ge­richts Ber­lin-Bran­den­burg vom 3. März 2011 - 5 Sa 2328/10 - wird zurück­ge­wie­sen.


2. Die Be­klag­te hat die Kos­ten der Re­vi­si­on zu tra­gen.

Von Rechts we­gen!

Tat­be­stand

Die Par­tei­en strei­ten über die Be­rech­ti­gung der Be­klag­ten, in ein Ar­beits­zeit­kon­to ein­ge­stell­te St­un­den zu strei­chen.

Die Kläge­rin ist bei der Be­klag­ten in de­ren Be­trieb „Nie­der­las­sung B“ als Zu­stel­le­rin beschäftigt. Auf das Ar­beits­verhält­nis der Par­tei­en fin­den auf­grund ver­trag­li­cher Ver­ein­ba­rung die für das Un­ter­neh­men der Be­klag­ten je­weils gel­ten­den Ta­rif­verträge An­wen­dung.


Zur Ar­beits­zeit be­stimmt der Man­tel­ta­rif­ver­trag für die Ar­beit­neh­mer der Deut­schen Post AG (im Fol­gen­den: MTV-DP AG) vom 18. Ju­ni 2003 ua.:


„§ 22 Ar­beits­zeit


(1) Die re­gelmäßige Ar­beits­zeit beträgt aus­sch­ließlich der Ru­he­pau­sen 38,5 St­un­den im wöchent­li­chen Durch­schnitt. Für teil­zeit­beschäftig­te Ar­beit­neh­mer gilt die im Ar­beits­ver­trag ver­ein­bar­te Wo­chen­ar­beits­zeit als durch­schnitt­li­che re­gelmäßige wöchent­li­che Ar­beits­zeit. Ei­ne ab­wei­chen­de Ein­tei­lung der re­gelmäßigen Ar­beits­zeit ist in­ner­halb von zwölf Mo­na­ten aus­zu­glei­chen.


...

(3) Bei Be­ginn und En­de der tägli­chen Ar­beits­zeit ein­sch­ließlich der Pau­sen so­wie der Ver­tei­lung der Ar­beits­zeit auf die ein­zel­nen Wo­chen­ta­ge hat der Be­triebs­rat nach den Be­stim­mun­gen des Be­triebs-


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ver­fas­sungs­ge­set­zes mit­zu­be­stim­men.


...“

In­ner­halb der ta­rif­li­chen re­gelmäßigen Ar­beits­zeit er­hal­ten die Ar­beit­neh­mer nach der An­la­ge 2a zum MTV-DP AG ua. ei­ne Er­ho­lungs­zeit, die zu Kurz­pau­sen zu­sam­men­zu­fas­sen und im Dienst­plan aus­zu­wei­sen ist. Bis zum 31. März 2008 be­trug nach dem Ta­rif­ver­trag Nr. 111 die Er­ho­lungs­zeit pro Ar­beits­stun­de 3,50 Mi­nu­ten, von de­nen min­des­tens 3,14 Mi­nu­ten je St­un­de Ar­beits­zeit zu Kurz­pau­sen zu­sam­men­zu­fas­sen wa­ren. Mit Wir­kung ab 1. April 2008 wur­de durch den Ta­rif­ver­trag Nr. 142a die Er­ho­lungs­zeit auf 2,25 Mi­nu­ten pro Ar­beits­stun­de verkürzt, von de­nen min­des­tens 2,03 Mi­nu­ten je St­un­de Ar­beits­zeit zu Kurz­pau­sen zu­sam­men­zu­fas­sen sind.


Zur Über­zeit­ar­beit heißt es in dem mit Wir­kung vom 1. Sep­tem­ber 2003 in Kraft ge­tre­te­nen Ent­gelt­ta­rif­ver­trag für Ar­beit­neh­mer der Deut­schen Post AG (im Fol­gen­den: ETV-DP AG):


㤠14
Über­zeit­ar­beit

(1) Ar­beits­stun­den, die auf An­ord­nung, An­for­de­rung oder mit Bil­li­gung des Dienst­vor­ge­setz­ten bzw. des von ihm hierfür Be­auf­trag­ten über die tägli­che dienst­planmäßige Ar­beits­zeit hin­aus ge­leis­tet wer­den, sind Über­stun­den. Sie dürfen nur an­ge­ord­net bzw. ge­leis­tet wer­den, wenn zwin­gen­de dienst­li­che Gründe dies er­for­dern.

...

(4) Über­stun­den wer­den durch Frei­zeit aus­ge­gli­chen. Für je­de Über­stun­de wird ein Über­stun­den­zu­schlag gemäß Abs. 5 UAbs. 2 gewährt. Er wird eben­falls in Frei­zeit aus­ge­gli­chen. Der Frei­zeit­aus­gleich für Über­stun­den und Über­stun­den­zu­schläge muss in­ner­halb von zwölf Mo­na­ten nach dem Ent­ste­hen er­fol­gen. Ist dies bis zum En­de des zwölf­ten Ka­len­der­mo­nats nach dem Mo­nat, in dem die Über­stun­den ent­stan­den sind, nicht möglich, wer­den mit der Ent­gel­tab­rech­nung für den dar­auf­fol­gen­den Ka­len­der­mo­nat das je­wei­li­ge St­un­den­ent­gelt der für den Ar­beit­neh­mer maßge­ben­den Ent­gelt­grup­pe und der Über­stun­den­zu­schlag ge­zahlt.
 


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Beim Frei­zeit­aus­gleich sind die be­trieb­li­chen Er­for­der­nis­se und die In­ter­es­sen des ein­zel­nen Ar­beit­neh­mers gleich­ge­wich­tig zu berück­sich­ti­gen.


...“

Im Be­trieb „Nie­der­las­sung B“ ist ein Be­triebs­rat ge­bil­det. Die Ar­beits­zeit in der Zu­stel­lung ist in der Be­triebs­ver­ein­ba­rung Nr. 11 ge­re­gelt, die den Ar­beit­neh­mern die Wahl zwi­schen zwei Ar­beits­zeit­mo­del­len lässt. Zu dem von der Kläge­rin gewähl­ten „Ar­beits­zeit­mo­dell B“ heißt es in der Be­triebs­ver­ein­ba­rung:

„§ 12 Ar­beits­zeit­re­ge­lun­gen

1. Für Beschäftig­te, die in­ner­halb des Mo­dells B ar­bei­ten, gilt die dienst­planmäßige Ar­beits­zeit als er­bracht.

§ 13 Über­zeit­ar­beit

1. Über­zeit­ar­beit ent­steht
• anläss­lich von Wo­chen­fei­er­ta­gen ent­spre­chend der Be­rech­nungs­re­ge­lung lt. ETV Arb § 14 Ab­satz 7
• bei Ar­beits­leis­tun­gen in be­son­de­rer Schicht
• bei Dienst­plan­wech­sel und Dienst­planände­rung
• bei Über­tra­gun­gen von Zu­stell­ab­schnit­ten in Höhe des zeit­li­chen An­teils der zu über­neh­men­den Zu­stell­ab­schnit­te
• bei War­ten vor Ab­la­gekästen und Ha­va­ri­en in Höhe der aus die­sem An­lass ver­brauch­ten Ar­beits­zeit.

2. Über­zeit­ar­beit aus über­prüfungs­bedürf­ti­ger Be­mes­sung wird - auch rück­wir­kend - an­er­kannt.“

Zur Über­zeit­ar­beit be­stimmt die Be­triebs­ver­ein­ba­rung Nr. 1 vom 12. Ju­li 7 1996 ua.:


„§ 2 Gel­tungs­be­reich

...

2. Über­zeit­ar­beit im Sin­ne die­ser Be­triebs­ver­ein­ba­rung be­inhal­tet die Über­stun­den bei Ar­bei­tern und An­ge­stell­ten und die Mehr­ar­beit bei Be­am­ten. Als Über­zeit­ar­beit gel­ten al­le Ar­beits­zei­ten, die über die



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in­di­vi­du­el­le tägli­che dienst­planmäßige Ar­beits­zeit hin­aus­ge­hen. Hier­zu zählt auch die ÜZA in­fol­ge der zusätz­li­chen Über­nah­me ei­nes Tei­les ei­nes an­de­ren Zu­stell­be­zirks (Über­tra­gung) so­wie die ÜZA in­fol­ge von War­te­zeit aus Störun­gen des Re­gel­ab­lau­fes (z. B. durch ver­späte­ten Ver­teil­schluss oder nicht zeit­ge­rech­te Be­die­nung von Ab­la­ge­stel­len) und ÜZA in­fol­ge des un­mit­tel­ba­ren Wech­sels in ei­nen an­de­ren Dienst­plan (...).


...

§ 4 Mit­be­stim­mungs­recht des Be­triebs­ra­tes

...

4. Um dem ein­zel­nen Beschäftig­ten die not­wen­di­ge Kon­trol­le über sei­ne Frei­zeit­ansprüche aus ÜZA zu ermögli­chen, stellt der Ar­beit­ge­ber si­cher, daß der Beschäftig­te sich je­der­zeit über die Höhe sei­ner noch aus­zu­glei­chen­den Frei­zeit­ansprüche aus Über­zeit­ar­beit in­for­mie­ren kann.


...

§ 6 Frei­zeit­aus­gleich für ge­leis­te­te Über­zeit­ar­beit

1. Auch un­vor­her­seh­ba­re Über­zeit­ar­beit ist ent­spre­chend den ta­rif­ver­trag­li­chen Re­ge­lun­gen in Frei­zeit aus­zu­glei­chen. Der Aus­gleich soll zeit­nah in­ner­halb von 3 Mo­na­ten er­fol­gen. Die­ser Zeit­raum soll da­zu bei­tra­gen, den ge­leis­te­ten Frei­zeit­aus­gleich ge­genüber der Be­zah­lung in den Vor­der­grund zu stel­len und auch zusätz­li­che Beschäfti­gungsmöglich­kei­ten schaf­fen zu können. Da­bei ge­hen die Be­triebs­par­tei­en von der Er­war­tung aus, daß der Frei­zeit­aus­gleich in­ner­halb der ta­rif­ver­trag­li­chen Frist gewährt wird und hin­sicht­lich der zeit­li­chen La­ge die Wünsche der Ar­beit­neh­mer im Rah­men des Mögli­chen berück­sich­tigt wer­den.


...“

Die Kläge­rin ar­bei­te­te bis zum 30. Ju­ni 2008 nach Dienst­plänen, de­nen (noch) die Er­ho­lungs­zeit nach dem TV Nr. 111 zu­grun­de lag. Die Um­set­zung der Kürzung der Er­ho­lungs­zeit nach dem TV Nr. 142a in die Dienst­pläne er­folg­te erst mit Wir­kung ab dem 1. Ju­li 2008.


Am 6. No­vem­ber 2008 kürz­te die Be­klag­te das Über­zeit­ar­beits­kon­to (im Fol­gen­den: ÜZA-Kon­to) der Kläge­rin um die dort ein­ge­stell­ten 7,20 St­un­den
 


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und gab da­zu un­ter der Ru­brik „Zeit­um­bu­chungs­art“ als Grund an: „0073 Ver­fall ÜZA“. Der außer­ge­richt­li­chen Auf­for­de­rung der Kläge­rin, die Kürzung ih­res Zeit­gut­ha­bens rückgängig zu ma­chen, kam die Be­klag­te nicht nach.

Mit ih­rer am 21. Sep­tem­ber 2009 ein­ge­reich­ten Kla­ge hat die Kläge­rin gel­tend ge­macht, die Be­klag­te sei zur Kürzung des Gut­ha­bens auf dem ÜZA-Kon­to nicht be­rech­tigt (ge­we­sen). Sie ha­be im streit­ge­genständ­li­chen Zeit­raum nach ihr vor­ge­ge­be­nen Dienst­plänen ge­ar­bei­tet und da­mit die ge­schul­de­te Ar­beits­zeit er­bracht. Wenn die Be­klag­te ihr zu lan­ge be­zahl­te Pau­sen gewähr­te, könne das al­len­falls ei­nen (Rück-)Zah­lungs­an­spruch be­gründen. Zu­dem ver­s­toße das Vor­ge­hen der Be­klag­ten ge­gen den ar­beits­recht­li­chen Gleich­be­hand­lungs­grund­satz, weil sie Kürzun­gen nur bei den Beschäftig­ten vor­ge­nom­men ha­be, de­ren ÜZA-Kon­to ein Gut­ha­ben auf­wies.


Die Kläge­rin hat be­an­tragt, 


die Be­klag­te zu ver­ur­tei­len, auf dem Ar­beits­zeit­kon­to der Kläge­rin ei­ne Zeit­gut­schrift iHv. 7,20 St­un­den vor­zu­neh­men.

Die Be­klag­te hat Kla­ge­ab­wei­sung be­an­tragt und gel­tend ge­macht, zur Kürzung des Gut­ha­bens auf dem ÜZA-Kon­to der Kläge­rin be­rech­tigt (ge­we­sen) zu sein. Nach der (rück­wir­ken­den) Kürzung der Er­ho­lungs­zeit pro Ar­beits­stun­de durch den Ta­rif­ver­trag Nr. 142a ha­be die Kläge­rin die ta­rif­ver­trag­lich ge­schul­de­te Ar­beits­zeit nicht vollständig er­bracht. Es sei ei­ne Ar­beits­zeit­schuld ent­stan­den, die sie ge­gen das Ar­beits­zeit­gut­ha­ben ha­be auf­rech­nen dürfen. Ge­gen den ar­beits­recht­li­chen Gleich­be­hand­lungs­grund­satz ha­be sie schon des­halb nicht ver­s­toßen, weil es an ei­ner ver­tei­len­den Ent­schei­dung feh­le. Zu­dem sei es ein sach­li­cher Grund, Beschäftig­te, de­ren ÜZA-Kon­to kein Gut­ha­ben auf­wies, nicht ins Mi­nus zu brin­gen.

Das Ar­beits­ge­richt hat der Kla­ge statt­ge­ge­ben. Das Lan­des­ar­beits­ge­richt hat die Be­ru­fung der Be­klag­ten zurück­ge­wie­sen. Mit der vom Se­nat zu­ge­las­se­nen Re­vi­si­on ver­folgt die Be­klag­te ihr Kla­ge­ab­wei­sungs­be­geh­ren wei­ter.
 


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Ent­schei­dungs­gründe


Die Re­vi­si­on der Be­klag­ten ist un­be­gründet. Das Lan­des­ar­beits­ge­richt hat die Be­ru­fung der Be­klag­ten ge­gen das der Kla­ge statt­ge­ben­de Ur­teil des Ar­beits­ge­richts zu Recht zurück­ge­wie­sen.


I. Die Kla­ge ist mit der ge­bo­te­nen Aus­le­gung des Leis­tungs­an­trags zulässig.

1. Das Bun­des­ar­beits­ge­richt hat be­reits mehr­fach ent­schie­den, der An­trag, ei­nem Ar­beits­zeit­kon­to St­un­den „gut­zu­schrei­ben“, sei hin­rei­chend be­stimmt iSv. § 253 Abs. 2 Nr. 2 ZPO, wenn der Ar­beit­ge­ber für den Ar­beit­neh­mer ein Zeit­kon­to führt, auf dem zu er­fas­sen­de Ar­beits­zei­ten nicht auf­ge­nom­men wur­den und noch gut­ge­schrie­ben wer­den können. Glei­cher­maßen könne der Ar­beit­neh­mer die Kor­rek­tur ei­nes oder meh­re­rer auf sei­nem Ar­beits­zeit­kon­to aus­ge­wie­se­ner Sal­den be­an­tra­gen (BAG 10. No­vem­ber 2010 - 5 AZR 766/09 - Rn. 11 mwN, EzA BGB 2002 § 611 Ar­beits­zeit­kon­to Nr. 3; 17. No­vem­ber 2011 - 5 AZR 681/09 -; BAG 6. Ju­li 2011 - 4 AZR 424/09 - Rn. 27, NZA 2012, 281). Al­ler­dings ist dafür ei­ne Kon­kre­ti­sie­rung des Leis­tungs­be­geh­rens er­for­der­lich, an wel­cher Stel­le des Ar­beits­zeit­kon­tos die Gut­schrift er­fol­gen soll.


2. Die­ses für Kla­gen auf Gut­schrift bis­lang nicht in das Ar­beits­zeit­kon­to auf­ge­nom­me­ner St­un­den ent­wi­ckel­te Be­stimmt­heits­er­for­der­nis kann nicht un­be­se­hen auf ei­nen An­trag über­tra­gen wer­den, bei dem die be­gehr­te Zeit­gut­schrift le­dig­lich der Rückgängig­ma­chung der Strei­chung ei­nes Zeit­gut­ha­bens dient. Wird in ei­nem sol­chen Fall dem An­trag auf Gut­schrift statt­ge­ge­ben, weiß der Ar­beit­ge­ber, was er zu tun hat, nämlich die von ihm auf ei­nem be­stimm­ten Ar­beits­zeit­kon­to vor­ge­nom­me­ne Kürzung un­ge­sche­hen zu ma­chen.


Auf wel­chem Ar­beits­zeit­kon­to die Gut­schrift er­fol­gen soll, kommt im Wort­laut des An­trags nicht zum Aus­druck, kann aber durch Aus­le­gung er­mit­telt wer­den. Es steht zwi­schen den Par­tei­en außer Streit, dass die Be­klag­te das ÜZA-Kon­to der Kläge­rin gekürzt hat und die be­gehr­te Gut­schrift auf eben die­sem er­fol­gen soll.
 


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II. Die Kla­ge ist be­gründet. Die Be­klag­te war und ist nicht be­rech­tigt, das streit­ge­genständ­li­che Zeit­gut­ha­ben zu strei­chen. In­fol­ge des­sen ist sie ver­pflich­tet, die­se St­un­den dem ÜZA-Kon­to der Kläge­rin wie­der zu­zuführen, al­so „gut­zu­schrei­ben“.

1. Ein Ar­beits­zeit­kon­to hält fest, in wel­chem zeit­li­chen Um­fang der Ar­beit­neh­mer sei­ne Haupt­leis­tungs­pflicht nach § 611 Abs. 1 BGB er­bracht hat oder auf­grund ei­nes Ent­gelt­fort­zah­lungs­tat­be­stands (zB § 616 Satz 1 BGB, § 2 Abs. 1, § 3 Abs. 1 Ent­geltFG, § 1 BUrlG, § 37 Abs. 2 Be­trVG) nicht er­brin­gen muss­te. We­gen die­ser Do­ku­men­ta­ti­ons­funk­ti­on darf der Ar­beit­ge­ber nicht oh­ne Be­fug­nis kor­ri­gie­rend in ein Ar­beits­zeit­kon­to ein­grei­fen und dort ein­ge­stell­te St­un­den strei­chen. Ne­ben der ma­te­ri­ell­recht­li­chen Recht­fer­ti­gung muss die der Führung des Ar­beits­zeit­kon­tos zu­grun­de lie­gen­de Ver­ein­ba­rung (Ar­beits­ver­trag, Be­triebs­ver­ein­ba­rung, Ta­rif­ver­trag) dem Ar­beit­ge­ber über­haupt die Möglich­keit eröff­nen, in das Ar­beits­zeit­kon­to ein­ge­stell­te und da­mit grundsätz­lich streit­los ge­stell­te (vgl. da­zu BAG 28. Ju­li 2010 - 5 AZR 521/09 - Rn. 19, BA­GE 135, 197) Ar­beits­stun­den wie­der zu strei­chen.


2. Dar­an fehlt es im Streit­fall. Die dem ÜZA-Kon­to zu­grun­de lie­gen­den Ver­ein­ba­run­gen er­lau­ben es der Be­klag­ten nicht, die­ses Ar­beits­zeit­kon­to mit Mi­nus­stun­den zu be­las­ten, die sich - mögli­cher­wei­se - aus der Nicht­ausschöpfung der ta­rif­ver­trag­li­chen Wo­chen­ar­beits­zeit in den Dienst­plänen er­ge­ben.


a) Das ÜZA-Kon­to ist ein spe­zi­el­les Ar­beits­zeit­kon­to, das nur die aus Über­zeit­ar­beit er­wor­be­nen „Gut­stun­den“, die grundsätz­lich in Frei­zeit aus­zu­glei­chen sind, er­fasst und do­ku­men­tiert. We­der § 14 ETV-DP AG, der die Über­zeit­ar­beit ma­te­ri­ell­recht­lich re­gelt, noch die Be­triebs­ver­ein­ba­run­gen Nr. 1 und Nr. 11 se­hen die Möglich­keit vor, in dem ÜZA-Kon­to Mi­nus­stun­den aus der Nicht­ausschöpfung der ta­rif­ver­trag­lich tatsächlich zu ar­bei­ten­den Zeit durch den bzw. im Dienst­plan zu ver­rech­nen.


b) Eben­so we­nig kann aus § 22 Abs. 1 MTV-DP AG ei­ne ent­spre­chen­de Be­fug­nis der Be­klag­ten her­ge­lei­tet wer­den. Ab­ge­se­hen da­von, dass die Ta­rif­norm nur die ta­rif­li­che Ar­beits­zeit re­gelt, je­doch kei­ne Vor­schrif­ten zur Führung
 


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des ÜZA-Kon­tos enthält, be­stimmt § 22 Abs. 1 Satz 3 MTV-DP AG, dass ei­ne ab­wei­chen­de Ein­tei­lung der re­gelmäßigen Ar­beits­zeit nach Satz 1 und Satz 2 in­ner­halb von zwölf Mo­na­ten aus­zu­glei­chen ist. Die Kürzung bzw. Strei­chung ei­nes Gut­ha­bens auf dem ÜZA-Kon­to, das ge­ra­de durch Ar­beit außer­halb der dienst­planmäßigen Ar­beits­zeit er­wor­ben wur­de, ist kei­ne ab­wei­chen­de Ein­tei­lung der re­gelmäßigen Ar­beits­zeit. Ei­ne sol­che muss, wie sich zu­min­dest aus dem ta­rif­li­chen Ge­samt­zu­sam­men­hang er­gibt, in die Zu­kunft ge­rich­tet sein und er­folgt durch die Fest­le­gung von Be­ginn und En­de der tägli­chen Ar­beits­zeit ein­sch­ließlich der Pau­sen so­wie der Ver­tei­lung der Ar­beits­zeit auf die ein­zel­nen Wo­chen­ta­ge, bei der der Be­triebs­rat nach § 22 Abs. 3 MTV-DP AG iVm. § 87 Abs. 1 Nr. 2 Be­trVG mit­zu­be­stim­men hat.

Zu­dem hat die (rück­wir­ken­de) Kürzung der Er­ho­lungs­zeit durch den TV Nr. 142a nicht zu ei­ner ab­wei­chen­den Ein­tei­lung der re­gelmäßigen Ar­beits­zeit iSd. § 22 Abs. 1 Satz 3 MTV-DP AG geführt. Die nach dem 1. April 2008 gel­ten­den Dienst­pläne ha­ben wie zu­vor ei­ne re­gelmäßige Ar­beits­zeit von 38,5 St­un­den im wöchent­li­chen Durch­schnitt ver­teilt und da­bei le­dig­lich die tatsächlich zu ar­bei­ten­de Zeit in­so­weit nicht aus­geschöpft, als die Ar­beits­zeit ei­nen zu ho­hen An­teil als Er­ho­lungs­zeit be­zahl­ter Pau­sen ent­hielt. Über­dies gilt für Zu­stel­ler, die wie die Kläge­rin im Ar­beits­zeit­mo­dell B ar­bei­ten, die dienst­planmäßige Ar­beits­zeit nach § 12 Ziff. 1 Be­triebs­ver­ein­ba­rung Nr. 11 als er­bracht, un­abhängig da­von, wie lan­ge sie für die von ih­nen zu er­le­di­gen­de Zu­stelltätig­keit tatsächlich brau­chen. Die ta­rif­ver­trag­lich zu ar­bei­ten­de Zeit ist für die­se Beschäftig­ten da­her oh­ne Be­lang, wo­bei der Se­nat nicht zu ent­schei­den braucht, ob die Be­triebs­ver­ein­ba­rung Nr. 11 in­so­weit ta­rif­wid­rig ist.


3. Kürzt oder streicht der Ar­beit­ge­ber zu Un­recht ein Gut­ha­ben auf ei­nem Ar­beits­zeit­kon­to, hat der Ar­beit­neh­mer ei­nen An­spruch auf (Wie­der-)Gut­schrift der auf dem Ar­beits­zeit­kon­to ge­stri­che­nen St­un­den. Die­ser An­spruch ist je­der Ver­ein­ba­rung über die Führung ei­nes Ar­beits­zeit­kon­tos im­ma­nent.


a) Das Bun­des­ar­beits­ge­richt hat bis­lang ei­nen An­spruch des Ar­beit­neh­mers auf kor­rek­te Führung des Ar­beits­zeit­kon­tos be­jaht bzw. in Be­tracht ge­zo­gen, wenn das Ar­beits­zeit­kon­to nach der zu­grun­de lie­gen­den Ab­re­de der
 


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Ver­trags­par­tei­en den Vergütungs­an­spruch ver­bind­lich be­stimmt (vgl. BAG 19. März 2008 - 5 AZR 328/07 - Rn. 10 mwN, AP BGB § 611 Fei­er­tags­vergütung Nr. 1; 10. No­vem­ber 2010 - 5 AZR 766/09 - Rn. 16, EzA BGB 2002 § 611 Ar­beits­zeit­kon­to Nr. 3; 17. No­vem­ber 2011 - 5 AZR 681/09 -). Doch muss ein Ar­beits­zeit­kon­to nicht stets ei­nen Vergütungs­an­spruch ver­bind­lich be­stim­men, es kann auch - wie hier - für die Höhe ei­nes An­spruchs auf Frei­zeit­aus­gleich oder die Höhe ei­nes Vor­schus­ses maßge­bend sein.


b) Un­abhängig da­von, ob ein Ar­beits­zeit­kon­to den Vergütungs­an­spruch oder sons­ti­ge Ansprüche maßgeb­lich be­stimmt, kann der Ar­beit­neh­mer stets ver­lan­gen, dass der Ar­beit­ge­ber, der auf­grund ein­zel­ver­trag­li­cher Ver­ein­ba­rung, Be­triebs­ver­ein­ba­rung oder Ta­rif­ver­trag ein Ar­beits­zeit­kon­to für den Ar­beit­neh­mer un­terhält, die­ses den ver­ein­bar­ten Vor­ga­ben ent­spre­chend führt. An­dern­falls ver­mag das Ar­beits­zeit­kon­to sei­nen Zweck, den zeit­li­chen Um­fang der vom Ar­beit­neh­mer er­brach­ten Haupt­leis­tungs­pflicht zu do­ku­men­tie­ren, nicht zu erfüllen. Greift der Ar­beit­ge­ber zu Un­recht in den Sal­do ei­nes Ar­beits­zeit­kon­tos ein, hat der Ar­beit­neh­mer An­spruch auf Wie­der­her­stel­lung des Sta­tus quo an­te und da­mit auf (Wie­der-)Gut­schrift der aus dem Sal­do sei­nes Ar­beits­zeit­kon­tos ge­stri­che­nen St­un­den.

III. Die Kos­ten der Re­vi­si­on hat gemäß § 97 Abs. 1 ZPO die Be­klag­te zu tra­gen.

Müller-Glöge 

Laux 

Biebl

Zol­ler 

Pol­lert

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