HENSCHE RECHTSANWÄLTE, FACHANWALTSKANZLEI FÜR ARBEITSRECHT

 

ArbG Ber­lin, Ur­teil vom 10.08.2017, 41 Ca 12115/16

   
Schlagworte: Arbeitsbereitschaft, Bereitschaftsdienst
   
Gericht: Arbeitsgericht Berlin
Aktenzeichen: 41 Ca 12115/16
Typ: Urteil
Entscheidungsdatum: 10.08.2017
   
Leitsätze:
Vorinstanzen:
   

Ar­beits­ge­richt Ber­lin
Geschäfts­zei­chen (bit­te im­mer an­ge­ben)
41 Ca 12115/16

Verkündet

am 10.08.2017

Schmidt, Ge­richts­beschäftig­te
als Ur­kunds­be­am­ter/in
der Geschäfts­stel­le

Im Na­men des Vol­kes

Ur­teil

In Sa­chen
pp

hat das Ar­beits­ge­richt Ber­lin, 41. Kam­mer, auf die münd­li­che Ver­hand­lung vom 10.08.2017 durch den Rich­ter am Ar­beits­ge­richt Dr. S. als Vor­sit­zen­der so­wie die eh­ren­amt­li­che Rich­te­rin Frau G. und den eh­ren­amt­li­chen Rich­ter Herrn K.
für Recht er­kannt: 

I. Die Be­klag­te wird ver­ur­teilt, an den Kläger 8.152,96 (acht­tau­send­ein­hun­dert­zwei-un­dfünf­zig 96/100) € brut­to zu zah­len nebst Zin­sen i.H.v. 5 Pro­zent­punk­ten über dem je­wei­li­gen Ba­sis­zins­satz aus

594,76 (fünf­hun­dert­vier­und­neun­zig 76/100) EUR seit dem 1.2.2015
541,80 (fünf­hun­dert­ein­und­vier­zig 80/100) EUR seit dem 1.3.2015
532,88 (fünf­hun­dert­zwei­und­dreißig 88/100) EUR seit dem 1.4.2015
444,24 (vier­hun­dert­vier­und­vier­zig 24/100) EUR seit dem 1.5.2015
370,40 (drei­hun­dert­sieb­zig 40/100) EUR seit dem 1.6.2015
453,30 (vier­hun­dert­drei­undfünf­zig 30/100) EUR seit dem 1.7.2015
544,28 (fünf­hun­dert­vier­und­vier­zig 28/100) EUR seit dem 1.8.2015
462,64 (vier­hun­dert­zwei­und­sech­zig 64/100) EUR seit dem 1.9.2015
415,28 (vier­hun­dertfünf­zehn 28/100) EUR seit dem 1.10.2015
464,60 (vier­hun­dert­vier­und­sech­zig 60/100) EUR seit dem 1.11.2015
513,36 (fünf­hun­dert­drei­zehn 36/100) EUR seit dem 1.12.2015
570,76 (fünf­hun­dert­sieb­zig 76/100) EUR seit dem 1.1.2016
511,82 (fünf­hun­dert­elf 82/100) EUR seit dem 1.2.2016
663,14 (sechs­hun­dert­drei­und­sech­zig 14/100) EUR seit dem 1.3.2016
608,60 (sechs­hun­dert­acht 60/100) EUR seit dem 1.4.2016
461,10 (vier­hun­dert­ein­und­sech­zig 10/100) EUR seit dem 1.5.2016

II. Im Übri­gen wird die Kla­ge ab­ge­wie­sen.

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III. Die Be­klag­te hat die Kos­ten des Rechts­streits zu 85%, der Kläger zu 15 % zu tra­gen.

IV. Der Wert des Streit­ge­gen­stan­des wird auf 9.572,98 € fest­ge­setzt.

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Tat­be­stand

Die Be­klag­te be­treibt ein Ta­xi­un­ter­neh­men. Der Kläger ist bei der Be­klag­ten seit dem 12.08.2004 als Ta­xi­fah­rer beschäftigt. Die Par­tei­en strei­ten über ei­nen Min­dest­lohn­an­spruch des Klägers für die Zeit vom Ja­nu­ar 2015 bis ein­sch­ließlich April 2016 für strei­ti­ge Zeit der Ar­beits­be­reit­schaft bzw. Be­reit­schafts­zeit.

Nach sei­nem vor­letz­ten Ar­beits­ver­trag mit der Be­klag­ten war der Kläger mit ei­ner Wo­chen­ar­beits­zeit von 48 St­un­den un­ter Ver­ein­ba­rung ei­ner Um­satz­pro­vi­si­on beschäftigt. Im Hin­blick auf die Einführung des Min­dest­loh­nes zum 01.01.2015 ver­ein­bar­ten die Par­tei­en für die Zeit ab dem 01.01.2015 ei­nen neu­en Ar­beits­ver­trag (An­la­ge K 1). Im Ar­beits­ver­trag ist un­ter an­de­rem ge­re­gelt:

"§ 2 Ar­beits­zeit / ..
(1) Die La­ge der tägli­chen Ar­beits­zeit und der Pau­sen rich­ten sich nach den be­trieb­li­chen Ge­pflo­gen­hei­ten. Die Ar­beits­zeit um­fasst re­gelmäßig 6 Ta­ge in der Wo­che ...
§ 3 Vergütung
(1) Für sei­ne Tätig­keit erhält der Ar­beit­neh­mer ei­ne St­un­den­vergütung. Die­se beträgt grundsätz­lich min­des­tens 8,50.-€ Brut­to pro ge­ar­bei­te­te St­un­de. ...
(2) Bei­spiel Lohn­be­rech­nung ...
6Tage a 8Stunden x8,50.-€ 408.-€ Brut­to.
21Arbeitstage x 8,00St.x 8,50.-€ - 1428,00-€Brut­to. Bei die­sem Bei­spiel liegt die da­zu ein­ge­fah­re­ne Ein­fahr­sum­me bei 3.396,00.-€. ...
(3) Die Vergütung wird je­weils bis zum 30. des dem je­wei­li­gen Ka­len­der­mo­nat fol­gen­den Mo­nats auf der Grund­la­ge der durch den Ar­beit­neh­mer zu er­stel­len­den Ab­rech­nung ... über­wie­sen. ...
§ 11 Ver­fall­klau­sel
(1) Sämt­li­che Ansprüche aus dem Ar­beits­verhält­nis ... sind von bei­den Ver­trags­par­tei­en in­ner­halb ei­ner Frist von 3 Mo­na­ten nach Fällig­keit ... gel­tend zu ma­chen."

In Zif­fer 8. der Be­triebs­ord­nung (An­la­ge B 1, Bl. 61 d.A.) heißt es u.a.:
"Ar­beits­zeit":
"Die Ar­beits­zeit um­fasst die Per­so­nen­beförde­rung, Ne­bentätig­kei­ten wie Tan­ken, Wa­schen, Rei­ni­gung ist Vor- bzw. Nach­be­rei­tung. Sie be­ginnt mit der Auf­nah­me der ver­trag­lich ver­ein­bar­ten Ar­beits­zeit und en­det mit Be­en­di­gung der­sel­ben. ...
Der Ta­xa­me­ter hat Stech­uhr­ei­gen­schaf­ten und ist Ar­beits­zeit Über­wa­cher und auch so zu be­die­nen. Ei­ne ak­ti­ve Pau­se von min. 30 Mi­nu­ten bei 8 St­un­den ist ein­zu­hal­ten, pas­si­ve Pau­sen sind selbst zu re­gu­lie­ren. ...
Um den An­for­de­run­gen des Ar­beits­ver­tra­ges ge­recht zu wer­den, muss von ei­ner durch­schnitt­li­chen An­zahl von 23 Ar­beits­ta­gen pro Kol­le­ge und Mo­nat aus­ge­gan­gen wer­den."

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In der Be­nut­zung ei­nes Ta­xis wech­sel­te der Kläger sich mit ei­nem Kol­le­gen ab. Der Kläger fuhr die Ta­ges­schicht, der Kol­le­ge die Nacht­schicht. Im Ta­xi be­fin­det sich ein Ta­xa­me­ter. Die Ta­xa­me­ter der Be­klag­ten ha­ben ein "Ar­beits­zeit­er­fas­sungs­mo­dul". Das Mo­dul er­fasst, wann das Ta­xa­me­ter ein- und wann es aus­ge­schal­tet wird. Zu­dem hat es die Ei­gen­schaft, dass nach ei­ner Stand­zeit von drei Mi­nu­ten ein akus­ti­sches und op­ti­sches Si­gnal ertönt. Dies auch dann, wenn der Mo­tor noch läuft. Der Fah­rer hat nach dem Ertönen des Si­gnals 10 Se­kun­den Zeit, ei­ne Tas­te zu drücken. Drückt der Kläger die­sen Knopf, wird sei­ne Stand­zeit als Ar­beits- bzw. Be­reit­schafts­zeit auf­ge­zeich­net. Ge­schieht dies nicht, wird die Zeit nach den drei Mi­nu­ten als „Pau­se“ er­fasst. Die Be­klag­te er­stell­te mit­hil­fe ih­res Mo­duls auf der Ba­sis des Ver­hal­tens des Klägers ei­nen mo­nat­li­chen Ar­beits­zeit-Nach­weis. Die­ser weist mi­nu­ten­ge­nau den Zeit­punkt des Ein­schal­tens und des Aus­schal­tens des Ta­xa­me­ters ("Verfügungs­zeit") so­wie die Sum­me der "Ar­beits­zei­ten" und der "Pau­sen" im Sin­ne des Zeit­er­fas­sungs­sys­tems auf. Bei­spiels­wei­se wird im Ar­beits­zeit-Nach­weis für Ja­nu­ar 2015 (An­la­ge K 2) für den 03.01.3015 ein Be­ginn um 04:55 h, ein En­de um 13:57 h, da­mit ei­ne "Verfügungs­zeit" be­rei­nigt von 09:02 h, ei­ne Ar­beits­zeit von 4:31 h und ei­ne Pau­sen­zeit von 4:31 h er­fasst. Die tägli­chen Zei­ten wer­den mo­nat­lich sum­miert und führ­ten bei­spiels­wei­se für den Mo­nat 01/15 zu ei­ner be­zahl­ten Zeit von "130:02 (oh­ne Pau­sen)" und zu ei­ner "Verfügungs­zeit" von ins­ge­samt 213:16 h. Am En­de der Ar­beits­zeit-Nach­wei­se fin­det sich ei­ne vom Kläger zu un­ter­schrei­ben­de Erklärung mit dem In­halt:

"Hier­mit ver­si­che­re ich, dass ich das Ar­beits­zeit­er­fas­sungs­mo­dell des Ta­xa­me­ters ord­nungs­gemäß be­dient ha­be und die hier auf­ge­zeich­ne­ten Ar­beits­zei­ten kor­rekt sind und der Wirk­lich­keit ent­spre­chen." Der Kläger un­ter­schrieb die­se Erklärung in den Mo­na­ten 1/15 bis 10/15 so­wie in 12/15.

Die Be­klag­te rech­ne­te in den Mo­na­ten Ja­nu­ar 2015 bis April 2016 die in den Ar­beits­zeit-Nach­wei­sen er­rech­ne­ten Zei­ten, die nicht als „Pau­se“ er­fasst wor­den wa­ren, als "Nor­mal­stun­den" ab und zahl­te dem Kläger dafür ei­nen St­un­den­lohn i.H.v. 8,50 € brut­to. Auf den Ab­rech­nun­gen wird u.a. zusätz­lich ein "Fah­rer-Um­satz" aus­ge­wie­sen. Im Ja­nu­ar 2015 er­hielt der Kläger bei­spiel­haft so 130,03 „Nor­mal­stun­den“ ab­ge­rech­net und er­hielt ins­ge­samt 1.235,57 € brut­to. Als "Fah­rer-Um­satz" wur­den für Ja­nu­ar 2015 3.047,00 Eu­ro aus­ge­wie­sen.

Der Kläger macht die Dif­fe­renz zwi­schen den in den mo­nat­li­chen

 

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Ar­beits­zeit­nach­wei­sen der Be­klag­ten als "Verfügungs­zeit" aus­ge­wie­se­nen Zei­ten und den ab­ge­rech­ne­ten "Nor­mal­stun­den" als wei­te­re zu vergüten­de Ar­beits­zeit mit ei­nem Min­dest­lohn á 8,50 € brut­to die St­un­de gel­tend. Schriftsätz­lich auf­be­rei­tet im Schrift­satz vom 13.12.2016, S. 4 ff. (Bl. 98 d.A.).

Der Kläger ist der An­sicht, dass die ge­sam­te "Verfügungs­zeit" min­dest­lohn­pflich­ti­ge Ar­beits­zeit sei. Er be­haup­tet, die Be­klag­te ha­be ihm vor­ge­schrie­ben, den Si­gnal­knopf nur so zu betäti­gen, dass er auf ei­nen Um­satz von stünd­lich 22,00 € brut­to kom­me. Im Übri­gen sei ihm das Drücken des Si­gnal­knop­fes al­le drei Mi­nu­ten nicht zu­mut­bar und teil­wei­se nicht möglich ge­we­sen.

Der Kläger ist der An­sicht, dass § 3 (2) Ar­beits­ver­trag ei­ne Min­dest-Ein­fuhr­sum­me vor­ge­be und de­ren Er­rei­chen - u.a. durch Aus­weis der kon­kre­ten Ein­fuhr­sum­men in den mo­nat­li­chen Ab­rech­nun­gen - zur Be­din­gung der Zah­lung ei­nes Min­dest­loh­nes ge­macht wer­de. Er sei ver­pflich­tet ge­we­sen, ei­ne be­stimm­te Ein­fahr­sum­me in Höhe von 22,00 € brut­to die St­un­de ein­zu­fah­ren. Der Kläger sei stets von der Be­klag­ten auf ei­nen zu er­wirt­schaf­ten­den St­un­den­um­satz von 22,00 € hin­ge­wie­sen wor­den (Par­tei­ver­neh­mung Geschäftsführer). Dies ha­be der Geschäftsführer dem Kläger auch bei ei­nem "Kran­ken­be­such" vor­ge­hal­ten (Gedächt­nis­pro­to­koll vom 08.06.2016, An­la­ge 37). Es sei ständi­ger Te­nor der Be­klag­ten ge­genüber dem Kläger und ge­genüber sei­nen an­de­ren Kol­le­gen ge­we­sen, dass dann, wenn das Fahr­zeug ste­he, die Si­gnal­tas­te nicht zu drücken sei. Ei­ne Ein­fahr­sum­me von 22,00 € brut­to die St­un­de sei aber nur zu er­wirt­schaf­ten, wenn die Be­klag­te an sich zu be­zah­len­de Stand­zei­ten her­aus­rech­ne (Sach­verständi­gen­gut­ach­ten). Nach ei­ner Un­ter­su­chung der Se­nats­ver­wal­tung vom Ju­ni 2016 kom­me ein Ta­xi­un­ter­neh­men ab 5 Fahr­zeu­gen auf ei­nen stünd­li­chen Um­satz von nur 16,35 € (An­la­ge 35). Nach den Erklärun­gen des Be­klag­ten sei von ei­ner Wei­sung des Be­klag­ten aus­zu­ge­hen, bei Stand­zei­ten nicht die Si­gnal­tas­te zu be­nut­zen. Der Kläger ha­be we­gen der wirt­schaft­li­chen Vor­ga­be auch die Tas­te "auf Kas­se" nicht be­nutzt.

Dass das von der Be­klag­ten prak­ti­zier­te Sys­tem nicht dem Mi­LoG ent­spre­che, ge­he auch aus dem Verhält­nis von Ar­beits­zeit und an­geb­li­cher Pau­sen­zeit her­vor. Wenn der Kläger nach dem Ar­beits­zeit­nach­weis in sei­ner gan­zen Ta­ges­schicht, et­wa am 27.07.2015, nur rd. 5 St­un­den ge­ar­bei­tet und rd. 5 St­un­den Pau­se ge­macht ha­ben soll­te, wäre es klar, dass die Be­klag­te dem Kläger das Ta­xi nicht 5 St­un­den für den Pri­vat­ge­brauch zur Verfügung stel­le. Da sich Stand- gleich War­te­zei­ten und Lenk­zei­ten in et­wa die Waa­ge hiel­ten, wer­de deut­lich, dass nicht die ge­sam­te Ar­beits­zeit des

 

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Klägers er­fasst wer­de.

Der Kläger ist der An­sicht, dass die Betäti­gung des Si­gnal­knop­fes al­le drei Mi­nu­ten ihm we­der zu­mut­bar noch möglich ge­we­sen sei. Dem Kläger sei ein Drei-Mi­nu­ten-Takt nicht zu­zu­mu­ten ge­we­sen. Dies auch des­halb nicht, weil die vergütungs­pflich­ti­ge Stand- bzw. War­te­zeit die Hälf­te der Ar­beits­zeit aus­ma­che. Die Be­klag­te könne auch an­de­re Er­fas­sungs­sys­te­me be­nut­zen oder ei­ne an­de­re Mi­nu­ten­tak­tung vor­neh­men. Das Betäti­gen der Si­gnal­tas­te sei dem Kläger bei dem vor­ge­schrie­be­nem Rei­ni­gen und Be­tan­ken des Fahr­zeu­ges nicht möglich (Sach­verständi­gen­gut­ach­ten). Eben­so we­nig bei Toi­lett­engängen.

Der Kläger be­haup­tet, er ha­be während der Verfügungs­zeit kei­ne Pau­sen neh­men können. Dem Kläger hätten kei­ne im Vor­aus fest­ge­leg­te Un­ter­bre­chungs­zei­ten zur Verfügung ge­stan­den. Der Kläger sei stets und ständig per Funk zu er­rei­chen (Sach­verständi­gen­gut­ach­ten) und ver­pflich­tet ge­we­sen, ei­ne Fahrt an­zu­neh­men. Sei­ne Stand­zei­ten ha­be er am Ta­xi­stand ver­bracht und hätte im­mer mit neu­en Gästen rech­nen müssen. Sei­ne Mahl­zei­ten ha­be er spon­tan zu sich ge­nom­men. Frei verfügba­re Zei­ten ha­be es nicht ge­ge­ben. Im Übri­gen wer­de der Be­reit­schafts­dienst­cha­rak­ter auch da­durch ma­ni­fes­tiert, dass dann, wenn der Fis­kal­ta­xa­me­ter in den Pau­sen­mo­dus um­schal­te, das Dach­zei­chen des Ta­xis leuch­te (Sach­verständi­gen­gut­ach­ten). Eben­so blie­be das Auf­trags­emp­fangs­gerät auf Be­reit­schaft. Im Übri­gen ste­he der Kläger auf ei­nem Hal­te­platz und stünde ei­nem Kun­den zur Verfügung. Der Kläger ha­be nicht Pau­sen ma­chen können, wann er woll­te. Die Be­klag­te ver­s­toße mit ih­rem Sys­tem ge­gen die in § 17 Abs. 1 Mi­LoG ent­hal­te­ne Ver­pflich­tung, Be­ginn, En­de und Dau­er der tägli­chen Ar­beits­zeit der be­trof­fe­nen Ar­beit­neh­mer auf­zu­zeich­nen. Aus dem „Ar­beits­zeit­nach­weis“ der Be­klag­ten ge­he nicht her­vor, wann ge­nau der Kläger tatsächlich Pau­sen ge­macht ha­be. Die Nach­wei­se ließen die Ein­hal­tung der gemäß § 4 Satz 2 Arb­ZG ge­bo­te­nen 15minüti­ge Pau­sen nicht über­prüfen.

Der Kläger ist der An­sicht, dass es der Be­klag­ten obläge, ihm ih­re Un­ter­la­gen zur Verfügung zu stel­len. Der Kläger könne sei­ne Ar­beits­zei­ten im Nach­hin­ein nicht re­pro­du­zie­ren. Dies sei aber an­hand der Ein­zel­nach­wei­se des Fis­kal­ta­xa­me­ters möglich. Dem Kläger sei ei­ne gleich­sam "dop­pel­te Buchführung" nicht möglich. Die Be­klag­te ha­be es dem Kläger durch Nicht­vor­la­ge ih­rer Un­ter­la­gen mit An­ga­ben über We­gestre­cken oh­ne Fahr­gast, die Ge­samt­zahl der Fahr­gastüber­nah­men, die Stand­zei­ten u.s.w. unmöglich ge­macht, sämt­li­che Ar­beits­zei­ten de­tail­liert vor­zu­tra­gen. Dies lie­fe auf ei­ne Be­weis­ver­ei­te­lung hin­aus, so dass die Be­weis­last sich um­keh­re. Es

 

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sei aus­rei­chend, wenn der Kläger vor­tra­ge, wann er an­ge­fan­gen und wann er auf­gehört ha­be. Die Drei-Mi­nu­ten-Tak­tung die­ne nur dem Zweck, dem Ar­beit­neh­mer die tatsächli­che Auf­zeich­nung sei­ner ge­leis­te­ten Ar­beits­zeit unmöglich zu ma­chen.

Der Kläger be­an­tragt,
1. die Be­klag­te wird ver­ur­teilt 705,30 EUR brut­to nebst 5 Pro­zent­punk­te Zin­sen über dem je­wei­li­gen Ba­sis­zins­satz seit dem 01.02.2015 zu zah­len,
2. die Be­klag­te wird ver­ur­teilt 635,12 EUR brut­to nebst 5 Pro­zent­punk­te Zin­sen über dem je­wei­li­gen Ba­sis­zins­satz seit dem 01.03.2015 zu zah­len,
3. die Be­klag­te wird ver­ur­teilt 668,69 EUR brut­to nebst 5 Pro­zent­punk­te Zin­sen über dem je­wei­li­gen Ba­sis­zins­satz seit dem 01.04.2015 zu zah­len,
4. die Be­klag­te wird ver­ur­teilt 538,74 EUR brut­to nebst 5 Pro­zent­punk­te Zin­sen über dem je­wei­li­gen Ba­sis­zins­satz seit dem 01.05.2015 zu zah­len,
5. die Be­klag­te wird ver­ur­teilt 461,04 EUR brut­to nebst 5 Pro­zent­punk­te Zin­sen über dem je­wei­li­gen Ba­sis­zins­satz seit dem 01.06.2015 zu zah­len,
6. die Be­klag­te wird ver­ur­teilt 543,92 EUR brut­to nebst 5 Pro­zent­punk­te Zin­sen über dem je­wei­li­gen Ba­sis­zins­satz seit dem 01.07.2015 zu zah­len,
7. die Be­klag­te wird ver­ur­teilt 608,28 EUR brut­to nebst 5 Pro­zent­punk­te Zin­sen über dem je­wei­li­gen Ba­sis­zins­satz seit dem 01.08.2015 zu zah­len,
8. die Be­klag­te wird ver­ur­teilt 532,05 EUR brut­to nebst 5 Pro­zent­punk­te Zin­sen über dem je­wei­li­gen Ba­sis­zins­satz seit dem 01.09.2015 zu zah­len,
9. die Be­klag­te wird ver­ur­teilt 516,12 EUR brut­to nebst 5 Pro­zent­punk­te Zin­sen über dem je­wei­li­gen Ba­sis­zins­satz seit dem 01.10.2015 zu zah­len,
10. die Be­klag­te wird ver­ur­teilt 550,71 EUR brut­to nebst 5 Pro­zent­punk­te Zin­sen über dem je­wei­li­gen Ba­sis­zins­satz seit dem 01.11.2015 zu zah­len,
11. die Be­klag­te wird ver­ur­teilt 606,81 EUR brut­to nebst 5 Pro­zent­punk­te Zin­sen über dem je­wei­li­gen Ba­sis­zins­satz seit dem 01.12.2015 zu zah­len,
12. die Be­klag­te wird ver­ur­teilt 670,99 EUR brut­to nebst 5 Pro­zent­punk­te Zin­sen über dem je­wei­li­gen Ba­sis­zins­satz seit dem 01.01.2016 zu zah­len,
13. die Be­klag­te wird ver­ur­teilt 618,29 EUR brut­to nebst 5 Pro­zent­punk­te Zin­sen über dem je­wei­li­gen Ba­sis­zins­satz seit dem 01.02.2016 zu zah­len,
14. die Be­klag­te wird ver­ur­teilt 749,45 EUR brut­to nebst 5 Pro­zent­punk­te Zin­sen über dem je­wei­li­gen Ba­sis­zins­satz seit dem 01.03.2016 zu zah­len,
15. die Be­klag­te wird ver­ur­teilt 608,60 EUR brut­to nebst 5 Pro­zent­punk­te Zin­sen über dem je­wei­li­gen Ba­sis­zins­satz seit dem 01.04.2016 zu zah­len,

 

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16. die Be­klag­te wird ver­ur­teilt 558,87 EUR brut­to nebst 5 Pro­zent­punk­te Zin­sen über dem je­wei­li­gen Ba­sis­zins­satz seit dem 01.05.2016 zu zah­len.

Die Be­klag­te be­an­tragt,

die Kla­ge ab­zu­wei­sen.

Die Be­klag­te ist der An­sicht, dass durch ihr Zeit­er­fas­sungs­sys­tem ein sach­ge­rech­ter und ge­set­zes­kon­for­mer In­ter­es­sen­aus­gleich prak­ti­ziert wer­de. Das Betäti­gen der An­we­sen­heits­tas­te sei dem Kläger zu­mut­bar. Ein Fah­rer sei für die Be­klag­te nicht kon­trol­lier­bar. Der Kläger könne frei ent­schei­den, ob er Pau­sen ma­chen oder sich ar­beits­be­reit hal­ten wol­le. Der Kläger könne z.B. ein­kau­fen, ei­nen Kaf­fee trin­ken usw. War­te der Kläger auf ei­nen Fahr­gast, so könne er sich im Wa­gen auf­hal­ten und die Tas­te betäti­gen. Auch Ne­ben­ar­bei­ten sei­en zu­mut­bar er­fass­bar. Das Ta­xi wer­de in ei­ner Wasch­s­traße ge­wa­schen. Der Kläger könne da­bei die Si­gnal­tas­te nut­zen. Beim Tan­ken könne auch die Si­gnal­tas­te betätigt wer­den. Wenn in bei­den Fällen aus­nahms­wei­se nicht, hätte der Kläger die Be­klag­te darüber in­for­mie­ren können. Würden Fahrgäste ab­ge­holt, würde der Ta­xa­me­ter be­reits an­ge­stellt. Et­wai­ge Hil­fe­leis­tun­gen würden berück­sich­tigt. Für die Zei­ten am En­de ei­ner Fahrt gäbe es die Tas­te "auf Kas­se". Das wäre be­zahl­te Ar­beits­zeit. Der Kläger könne in die­ser Zeit Fahrgästen beim Aus­la­den hel­fen etc. Es sei nicht unmöglich, in ei­ner St­un­de 22,00 € ein­zu­fah­ren. Man­che Fah­rer schaff­ten 30,00 € die St­un­de. Der Hin­weis auf die Not­wen­dig­keit ei­nes genügend ho­hen Um­sat­zes sei kei­ne Wei­sung, Ar­beits­zeit als Nicht-Ar­beits­zeit aus­zu­ge­ben. Die Be­klag­te ist der An­sicht, dass es dem Kläger zu­mut­bar und möglich ge­we­sen wäre - statt den Ar­beits­zeit­nach­weis als rich­tig zu quit­tie­ren - der Be­klag­ten mit­zu­tei­len, wenn durch das Sys­tem in Ein­z­elfällen ei­ne Ar­beits­zeit von ihm nicht er­fasst wor­den sein soll­te. Die Be­klag­te ist der An­sicht, dass sie nicht ver­pflich­tet sei, nähe­re Auskünf­te darüber zu ge­ben, wann der Kläger an den ein­zel­nen Ta­gen was ein­ge­ge­ben hat. Die Be­klag­te ist im Übri­gen der An­sicht, dass die Ansprüche des Klägers ver­fal­len sind.

Für den Sach- und Streit­stand im Übri­gen wird auf die ge­wech­sel­ten Schriftsätze der Par­tei­en ver­wie­sen.

 

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Ent­schei­dungs­gründe

Die Kla­ge ist ent­schei­dungs­reif, zulässig und über­wie­gend be­gründet.

A. Die Kla­ge ist ent­schei­dungs­reif.

Es be­durf­te kei­nes er­neu­ten recht­li­chen Hin­wei­ses an die Be­klag­te hin­sicht­lich ih­rer se­kundären Dar­le­gungs­last. In Zif­fer 8. des Hin­weis­be­schlus­ses vom 17.07.2017 wur­de die Be­klag­te auf die neue­re "Lkw-Fah­rer" - Ent­schei­dung des BAG in sei­nem Ur­teil vom 21.12.2016 - 5 AZR 362/16 mit sei­nen Über­le­gun­gen zur ge­stuf­ten Dar­le­gungs- und Be­weis­last hin­ge­wie­sen. Da­mit stand die Ge­fahr ei­ner ana­lo­gen Über­tra­gung auf den hie­si­gen Fall bei Un­wirk­sam­keit des Kon­troll­sys­tems der Be­klag­ten of­fen im Raum.

B. Die zulässi­ge Kla­ge ist über­wie­gend be­gründet.

Der Kläger hat ge­gen die Be­klag­te ei­nen An­spruch auf Zah­lung von Min­dest­lohn i.H.v. 8.152,96 € brut­to aus sei­nem Ar­beits­ver­trag i.V.m. § 611 Abs. 1 BGB i.V.m. § 1, 3 Mi­LoG so­wie ei­nen Zins­an­spruch aus §§ 286, 288, 614 BGB i.V.m. § 2 Mi­LoG. Ab­zu­wei­sen war die Kla­ge in Höhe der her­aus­zu­rech­nen­den ge­setz­li­chen Min­destru­he­zei­ten gemäß § 4 Arb­ZG nebst an­tei­li­gen Zin­sen.

I. Der Kläger hat ge­gen die Be­klag­te ei­nen An­spruch auf Zah­lung i.H.v. 8.152,96 € brut­to. Der Zah­lungs­an­spruch des Klägers ist in die­ser Höhe ent­stan­den und nicht er­lo­schen.

1. Der Zah­lungs­an­spruch ist in te­n­o­rier­ter Höhe ent­stan­den.

Der Kläger hat - aus­ge­nom­men die Pau­sen­zei­ten - sei­nen An­spruch schlüssig dar­ge­tan. Die Be­klag­te hat nicht er­heb­lich be­strit­ten. Der Vor­trag des Klägers gilt da­her als zu­ge­stan­den (§ 138 Abs. 3 ZPO).

1.1 Die An­spruchs­grund­la­ge ist der Ar­beits­ver­trag der Par­tei­en i.V.m. § 611 BGB und § 1 Abs. 1 Mi­LoG.

 

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Nach dem BAG ist § 1 Abs. 1 Mi­LoG ein ge­setz­li­cher An­spruch, der ei­genständig ne­ben den ar­beits- oder ta­rif­ver­trag­li­chen Ent­gelt­an­spruch tritt (BAG [21.12.2016] - 5 AZR 374/16 - Rn. 16 = ZIP 2017, 491). Rich­ti­ger ist, dass es sich um ei­nen ar­beits­ver­trag­li­chen Vergütungs­an­spruch i.V.m. § 611 Abs. 1 BGB han­delt, des­sen Min­desthöhe durch das Mi­LoG vor­ge­schrie­ben ist (vgl. z.B. Däubler, in: Däubler/Hjort/Schu­bert/Wol­merath, Ar­beits­recht, 4. Aufl. 2017, Mi­LoG § 1 Rn. 5). Die­se Fra­ge ist aber hier nicht ent­schei­dungs­er­heb­lich.

Ent­schei­dend ist hier, dass nach § 1 Abs. 1 Mi­LoG auch bloßer Be­reit­schafts­dienst min­dest­lohn­vergütungs­pflich­tig ist (BAG [29.06.2016] - 5 AZR 716/15 - Rn. 29 = NZA 2016, 1332). Dies ist zwi­schen den Par­tei­en in der Theo­rie auch un­strei­tig.

Es be­darf da­her für ei­nen Min­dest­lohn­an­spruch kei­ner ge­nau­en Un­ter­schei­dung von "Ar­beits­be­reit­schaft" und "Be­reit­schafts­dienst". "Ar­beits­be­reit­schaft" wird vom BAG de­fi­niert "als Zeit wa­cher Auf­merk­sam­keit im Zu­stand der Ent­span­nung" (BAG [12.12.2012] - 5 AZR 918/11 - ju­ris Rn. 19). "Ent­schei­dend ist für die Ab­gren­zung von Ar­beits­be­reit­schaft zum Be­reit­schafts­dienst ist je­doch al­lein, dass sich der Ar­beit­neh­mer bei der Ar­beits­be­reit­schaft zur Ar­beit be­reit­hal­ten muss, um er­for­der­li­chen­falls von sich aus tätig zu wer­den, während beim Be­reit­schafts­dienst der Ar­beit­neh­mer `auf An­for­de­rung´ den Dienst auf­neh­men muss" (BAG [12.12.2012] - 5 AZR 918/11 - ju­ris Rn. 19). Be­reit­schafts­zeit wird de­fi­niert "als Zeit wa­cher Auf­merk­sam­keit im Zu­stand der Ent­span­nung ... Der Ar­beit­neh­mer muss sich an ei­nem vom Ar­beit­ge­ber be­stimm­ten Ort (in­ner­halb oder außer­halb des Be­triebs) be­reit­hal­ten, um im Be­darfs­fal­le die Ar­beit auf­zu­neh­men" (BAG [29.06.2016] - 5 AZR 716/15 - Rn. 28 = NZA 2016, 1332).

Der Kläger be­haup­tet, in den von der Be­klag­ten er­fass­ten "Verfügungs­zei­ten" für die Ta­xi­zen­tra­le und für Kun­den er­reich­bar ge­we­sen zu sein. Der Kläger trägt nicht vor, ständig im Ta­xi ge­ses­sen zu ha­ben. Da­zu war der Kläger aber auch nicht ver­pflich­tet. Der Kläger soll­te nur sei­ne Ar­beits­be­reit­schaft durch das Betäti­gen des Si­gnal­knop­fes im Ta­xi do­ku­men­tie­ren und es war ihm nach Zif­fer 8. der Be­triebs­ord­nung frei­ge­stellt, "pas­si­ve Pau­sen .. selbst zu re­gu­lie­ren". Ob dies "Ar­beits­be­reit­schaft" oder "nur" zum Teil "Be­reit­schafts­zeit" war, be­darf kei­ner Ent­schei­dung. Der Kläger be­haup­tet, zu­min­dest Be­reit­schafts­zeit ge­leis­tet zu ha­ben.
Genügt für die be­an­spruch­te Vergütungshöhe das Mi­LoG, be­darf es kei­ner

 

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Ent­schei­dung, ob das BAG in sei­ner Ent­schei­dung BAG [25.02.2015] - 5 AZR 886/12 - Rn. 28 = NZA 2015, 494 = AP Nr. 136 zu § 615 BGB ver­deckt sei­ne Recht­spre­chung auf­ge­ge­ben hat, dass "rei­ne Be­reit­schafts­zeit" nur i.V.m. § 612 Abs. 2 BGB ei­nen Vergütungs­an­spruch be­gründet (vgl. Stau­din­ger/Ri­char­di/Fi­schin­ger, BGB (2016) § 611, Rn. 1071; BAG [10.06.1959] - 4 AZR 567/56 - ju­ris Rn. 20 = BA­GE 8, 25 = AP Nr. 5 zu § 7 AZO) und ob nach § 612 Abs. 2 BGB hier kon­kret bloße Be­reit­schafts­zeit wie Vol­l­ar­beit zu be­zah­len und der Vor­trag des Klägers da­zu kon­kret ge­nug wäre.

1.2 Der Kläger hat den Zah­lungs­an­spruch schlüssig dar­ge­tan. Her­aus­zu­rech­nen wa­ren le­dig­lich die von ihm selbständig zu neh­men­den und mögli­chen Ru­he­pau­sen­zei­ten.

1.2.1 Sieht man von den Pau­sen ab, so hat der Kläger sei­ner primären Dar­le­gungs­last Genüge ge­tan.

Klagt ein Ar­beit­neh­mer Ar­beits­vergütung ein, hat er dar­zu­le­gen und - im Be­strei­tens­fall - zu be­wei­sen, dass er Ar­beit ver­rich­tet oder ei­ner der Tat­bestände vor­ge­le­gen hat, der ei­ne Vergütungs­pflicht oh­ne Ar­beit re­gelt (BAG [18.04.2012] - 5 AZR 248/11 - ju­ris Rn. 14 = NZA 2012, 998).

1.2.1.-1 Es spielt kei­ne Rol­le, ob der Kläger die Vergütung von Nor­mal­ar­beits­zeit oder Mehr­ar­beit ver­langt.

Die Dar­le­gungs- und Be­weis­last ist kei­ne an­de­re, je nach­dem ob der Kläger die Vergütung von Nor­mal­ar­beits­zeit oder Über­stun­den ver­langt (vgl. BAG [16.05.2012] - 5 AZR 347/11 - Rn. 25 = NJW 2012, 2680 = AP Nr. 53 zu § 611 BGB Mehr­ar­beits­vergütung). Es ist da­her un­er­heb­lich, dass der Kläger bis auf zwei Mo­na­te mit sei­ner For­de­rung un­ter­halb der bis zur letz­ten Ar­beits­ver­tragsände­rung gel­ten­den Ar­beits­zeit im Um­fang von 48-Wo­chen­stun­den bleibt. Ob der Kläger wei­ter­ge­hend ar­beits­ver­trag­lich ver­pflich­tet war, 48 Wo­chen­stun­den zu ar­bei­ten, kann of­fen­blei­ben. Die Dar­le­gungs- und Be­weis­last wird da­durch nicht verändert.

1.2.1.-2 Bei strei­ti­ger Ar­beits­zeit gel­ten die all­ge­mei­nen Grundsätze ei­ner ab­ge­stuf­ten Dar­le­gungs- und Be­weis­last.

Trägt ein Ar­beit­neh­mer sei­ne Ar­beits­zeit sub­stan­ti­iert vor, so muss der Ar­beit­ge­ber im

 

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Rah­men ei­ner ge­stuf­ten Dar­le­gungs­last sub­stan­ti­iert er­wi­dern. Lässt er sich nicht sub­stan­ti­iert ein, gilt der Sach­vor­trag des Ar­beit­neh­mers als zu­ge­stan­den (§ 138 Abs. 3 ZPO) (BAG [21.12.2016] - 5 AZR 362/16 - Rn. 23 = NZA-RR 2017, 233 = AP Nr. 56 zu § 611 BGB Mehr­ar­beits­vergütung).

1.2.1.-3 Der Kläger genügt als Ta­xi­fah­rer sei­ner primären Dar­le­gungs­last da­mit, dass er die vom Ar­beits­zeit­er­fas­sungs­mo­dul des Ta­xa­me­ters des Ta­xis des Ar­beit­ge­bers er­fass­ten "Verfügungs­zei­ten" vorträgt und be­haup­tet, dass er in den "Verfügungs­zei­ten" für Kun­den­fahr­ten ar­beits­be­reit war.

Abs­trakt ge­spro­chen genügt ein Ar­beit­neh­mer sei­ner primären Dar­le­gungs­last, wenn er schriftsätz­lich vorträgt, an wel­chen Ta­gen er von wann bis wann Ar­beit ge­leis­tet oder sich auf Wei­sung des Ar­beit­ge­bers zur Ar­beit be­reit­ge­hal­ten hat.
Die­se Grundsätze dürfen aber nicht gleich­sam sche­ma­tisch an­ge­wandt wer­den, son­dern bedürfen stets der Berück­sich­ti­gung der im je­wei­li­gen Streit­fall zu ver­rich­ten­den Tätig­keit und der kon­kre­ten be­trieb­li­chen Abläufe (vgl. BAG [21.12.2016] - 5 AZR 362/16 - Rn. 23 = NZA-RR 2017, 233 = AP Nr. 56 zu § 611 BGB Mehr­ar­beits­vergütung).

Für Kraft­fah­rer mit vom Ar­beit­ge­ber vor­ge­ge­be­nen Tou­ren­plänen lässt das BAG es genügen, dass der Ar­beit­neh­mer - un­abhängig da­von, ob die zu­ge­wie­se­nen Fahr­ten je­den Tag im Be­trieb des Ar­beit­ge­bers be­gin­nen und en­den - vorträgt, an wel­chen Ta­gen er wel­che Tour wann be­gon­nen und wann be­en­det hat. Im Rah­men der ge­stuf­ten Dar­le­gungs­last ist es dann Sa­che des Ar­beit­ge­bers - et­wa un­ter Aus­wer­tung der Auf­zeich­nun­gen nach § 21a Abs. 7 Satz 1 Arb­ZG - sub­stan­ti­iert dar­zu­le­gen, an wel­chen Ta­gen der Ar­beit­neh­mer aus wel­chen Gründen im ge­rin­ge­ren zeit­li­chen Um­fang als von ihm be­haup­tet ge­ar­bei­tet ha­ben muss (BAG [21.12.2016] - 5 AZR 362/16 - Rn. 23 = NZA-RR 2017, 233 = AP Nr. 56 zu § 611 BGB Mehr­ar­beits­vergütung).

Auch beim Ta­xi­fah­rer als Außen­dienst­mit­ar­bei­ter der Be­klag­ten be­darf es ei­ner bran­chen­ge­rech­ten Spe­zi­fi­zie­rung der primären Dar­le­gungs­last. Es er­scheint aus­rei­chend, dass der Ta­xi­fah­rer sei­ne durch Ein­schal­ten des Ta­xa­me­ters do­ku­men­tier­te Ar­beits­be­reit­schaft vorträgt und be­haup­tet in der je­wei­li­gen „Verfügungs­zeit“ auch tatsächlich ar­beits­be­reit ge­we­sen zu sein. Ein an­ge­stell­ter Ta­xi­fah­rer erhält zwar i.d.R. von sei­nem Ar­beit­ge­ber kei­ne be­stimm­te Tou­ren vor­ge­ge­ben. Die Fahr­ten be­stim­men - in der Re­gel nicht vor­her­seh­bar - al­lein die

 

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Kun­den. Durch das Ta­xa­me­ter ist der Ar­beit­ge­ber aber mi­nu­ten­ge­nau in der La­ge zu über­prüfen, zu wel­chen Zei­ten der Ar­beit­neh­mer "an­ge­mel­det" war. In der münd­li­chen Ver­hand­lung blieb un­wi­der­spro­chen, dass die von der Be­klag­ten fest­ge­hal­te­nen "Verfügungs­zei­ten" nicht le­dig­lich die Zei­ten sind, in de­nen der Kläger das Ta­xi als Be­sitz­die­ner der Be­klag­ten hat, son­dern nur die Zei­ten sind, in de­nen der Kläger den Ta­xa­me­ter des je­wei­li­gen Ta­xis der Be­klag­ten ein­schal­tet bis zu dem Zeit­punkt, in dem er es wie­der aus­schal­tet. Das wird auch an den Ta­gen ma­ni­fest, an de­nen die Verfügungs­zeit aus­nahms­wei­se un­ter­bro­chen wur­de. Z.B. gibt es für den 08.12.2015 oder 23.12.2015 drei Zei­len für die Verfügungs­zeit mit Un­ter­bre­chun­gen (vgl. Bl. 104 d.A.). Die Ver­trags­ge­stal­tung (Lohn­be­rech­nungs­bei­spiel in § 3 (2) Ar­beits­ver­trag, Be­triebs­ord­nung) der Be­klag­ten macht deut­lich, dass der Kläger das ihm zur Verfügung ge­stell­te Ta­xi öko­no­misch bestmöglich zum Ein­satz brin­gen soll­te. Der Kläger be­haup­tet, dem ent­spro­chen zu ha­ben. Die Be­klag­te hat auch nicht be­haup­tet, dass der Kläger die er­fass­te "Verfügungs­zeit" ma­ni­pu­liert ha­be oder dass die­se im Ver­gleich an­de­rer Ta­xi­fah­rer in der Ta­ges­schicht ir­gend­wel­che Auffällig­kei­ten auf­weist. Der kläge­ri­sche Vor­trag ist da­her so zu ver­ste­hen, dass er be­haup­tet, in der in die­sem Sin­ne er­fass­ten "Verfügungs­zeit" ar­beits­be­reit (und sei es im wei­te­ren Sin­ne ei­nes Be­reit­schafts­diens­tes) ge­we­sen zu sein oder Ne­ben­ar­bei­ten (Rei­ni­gen, Tan­ken) er­le­digt zu ha­ben. Dies un­ter Be­ru­fung auf die von der Be­klag­ten mi­nu­ten­ge­nau er­fass­ten „Verfügungs­zei­ten“. Mehr ist dem Kläger nicht möglich und nicht zu­mut­bar.

1.2.1.-4 Der Kläger hat sei­nen münd­li­chen Vor­trag auch schriftsätz­lich (§ 130 ZPO) zulässig vor­be­rei­tet.

An­la­gen zu Schriftsätzen können le­dig­lich der Erläute­rung oder Be­le­gung schriftsätz­li­chen Vor­trags die­nen, die­sen aber nicht er­set­zen. Die Dar­le­gung der Ar­beits­zeit und der Pau­sen hat ent­spre­chend § 130 Nr. 3 ZPO schriftsätz­lich zu er­fol­gen (BAG [28.01.2015] - 5 AZR 536/13 - Rn. 19 m.w.N. = EzA § 4 TVG Ver­kehrs­ge­wer­be Nr. 6). Die Kläger­sei­te hat in­so­fern durch den Schrift­satz vom 13.12.2016 nach­ge­bes­sert.

1.2.2 Die ge­setz­lich durch § 4 Arb­ZG vor­ge­ge­be­nen Ru­he­pau­sen, die der Kläger ar­beits­ver­trag­lich zu neh­men ver­pflich­tet war, sind her­aus­zu­rech­nen. Der kläge­ri­sche Vor­trag er­scheint hin­sicht­lich der ge­setz­lich vor­ge­schrie­be­nen Ru­he­pau­sen un­schlüssig.

 

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Zu­guns­ten des Klägers kann un­ter­stellt wer­den, dass er die gan­ze er­fass­te "Verfügungs­zeit" lang kei­ne "rich­ti­gen" Pau­sen i.S.d. § 4 Arb­ZG ge­macht, son­dern "durch­ge­ar­bei­tet" hat. Der Kläger war aber ar­beits­ver­trag­lich und ge­setz­lich ver­pflich­tet, die ge­setz­li­chen Ru­he­pau­sen zu neh­men und konn­te dies fak­tisch wie recht­lich auch.

Gemäß § 3 (3) Ar­beits­ver­trag war der Kläger ver­pflich­tet, die "zwin­gen­den ge­setz­li­chen Vor­schrif­ten im Ar­beits­zeit­ge­setz" zu be­ach­ten. Dar­an war er auch nicht durch ei­ne et­wai­ge Wei­sung oder Ziel­vor­ga­be ge­hin­dert, 22,- € die St­un­den ein­zu­fah­ren. Da­zu reich­te es, den Si­gnal­knopf nicht zu be­die­nen. Der Kläger war auch sonst fak­tisch nicht ge­hin­dert, Pau­sen zu neh­men. Der Kläger be­haup­tet, er ha­be kei­ne Ru­he­pau­sen neh­men können. Gleich­zei­tig erklärt er, dass 50% der Verfügungs­zeit aus War­ten o.ä. be­stan­den ha­be. (In der Tat dürf­te das Verhält­nis ab­ge­rech­ne­ter "Ar­beits­zeit" zu rest­li­cher "Verfügungs­zeit" nicht 50:50, wohl aber in et­wa 60:40 ge­we­sen sein.) Wenn der Kläger bei­spiels­wei­se am 3.1.2015 bei ei­ner „Verfügungs­zeit“ von 9 St­un­den aus­weis­lich des Ar­beits­zeit­nach­wei­ses min­des­tens 4,5 St­un­den "nichts zu tun hat­te", er­sch­ließt sich nicht, was ihn tatsächlich dar­an hin­der­te, ei­ne Pau­sen­zeit von ins­ge­samt 30 Mi­nu­ten in Form von zwei 15minüti­gen Pau­sen (vgl. § 4 Arb­ZG) zu neh­men. Bei die­sen Pro­por­tio­nen wird auch kei­ne Pflicht der Be­klag­ten gemäß den §§ 421 - 423 ZPO ge­se­hen, ih­re Un­ter­la­gen vor­zu­le­gen, da selbst bei ei­ner Auf­lis­tung der kon­kre­ten Mi­nu­ten der Fahrt­zei­ten und "Pau­sen­zei­ten" dar­aus für ei­ne Unmöglich­keit, 15minüti­ge Pau­sen ei­genständig zu neh­men, nichts fol­gen würde.

Der Kläger war auch in recht­li­cher Hin­sicht in der La­ge, Ru­he­pau­sen zu neh­men. Die Be­klag­te hat die Ent­schei­dung, Pau­sen zu ma­chen, wirk­sam an den Kläger de­le­giert.

Die Kläger­sei­te be­ruft sich zwar auf die ste­hen­de Wen­dung des BAG: "Pau­sen sind im Vor­aus fest­ste­hen­de Un­ter­bre­chun­gen der Ar­beit, in de­nen der Ar­beit­neh­mer we­der Ar­beit zu leis­ten noch sich dafür be­reit­zu­hal­ten hat und frei über die Nut­zung des Zeit­raums be­stim­men kann" (BAG [25.02.2015] - 5 AZR 886/12 - Rn. 21 = NZA 2015, 494 = AP Nr. 136 zu § 615 BGB). Sie ver­steht aber das Er­for­der­nis des "im Vor­aus fest­ste­hen" miss. Es ist aus­rei­chend, dass "je­den­falls bei ih­rem Be­ginn auch die Dau­er der Pau­se be­kannt sein muss" (BAG [29.10.2002] - 1 AZR 603/01 - Rn. 29 = NZA 2003, 1212). Aus § 4 Abs. 1 Arb­ZG folgt nicht die "Not­wen­dig­keit, Be­ginn und Dau­er der Ru­he­pau­se be­reits vor Be­ginn der tägli­chen Ar­beits­zeit fest­zu­le­gen" (BAG [25.02.2015] - 5 AZR 886/12 - Rn. 27 = NZA 2015, 494 = AP Nr. 136 zu § 615 BGB).

Da der Kläger in sei­ner Ar­beits­zeit­ge­stal­tung au­to­nom war, war er nicht dar­an

 

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ge­hin­dert, sich ei­ne Pau­se zu neh­men und zu ent­schei­den, dass die­se we­nigs­tens 15 Mi­nu­ten dau­ern soll­te und er in die­ser Zeit we­der für die Zen­tra­le zu spre­chen noch von ei­nem Kun­den zu be­auf­tra­gen war.

War der Kläger ver­pflich­tet und war es ihm tatsächlich und recht­lich möglich, Ru­he­pau­sen zu neh­men, kann er der Be­klag­ten ge­bo­te­ne Ru­he­pau­sen nicht als Ar­beits­zeit auf­drängen (sie­he auch ArbG Ber­lin [22.02.2017] - 31 Ca 7720/16 - un­veröff.: "Der Ar­beit­ge­ber muss sich Ar­beits­leis­tun­gen in Zei­ten, in de­nen ei­ne Ru­he­pau­se ge­nom­men wer­den soll, nicht auf­drängen las­sen.").

Ent­spre­chend war im Grund­satz bei ei­ner (nicht un­ter­bro­che­nen) Verfügungs­zeit von mehr als 6 bis 9 1/2 St­un­den ei­ne hal­be St­un­de Pau­sen­zeit und bei mehr als 9 1/2 St­un­den ei­ne Pau­sen­zeit von 45 Mi­nu­ten in Ab­zug zu brin­gen. Im Rah­men ei­ner nor­ma­ti­ven Be­trach­tungs­wei­se ist zu fra­gen, ab wel­cher be­rei­nig­ten Verfügungs­zeit vom Kläger zu ver­lan­gen und es ihm möglich war, ei­ne Pau­sen­zeit von ins­ge­samt 45 Mi­nu­ten zu neh­men. Da­bei sind die Unwägbar­kei­ten der Fahr­auf­kom­mens ein­zu­be­zie­hen. Hier wur­den dem Kläger 45 Mi­nu­ten erst bei ei­ner „Verfügungs­zeit“ ab 10 St­un­den (d.h. bei Ab­zug ei­ner Pflicht­pau­sen­zeit von 30 Mi­nu­ten al­so ab 9 h 30 Mi­nu­ten) ab­ge­zo­gen (vgl. für die Zulässig­keit ei­ner Ar­beits­zeitschätzung gemäß § 287 ZPO BAG [25.03.2015]- 5 AZR 602/13 = NZA 2015, 1002; BAG [26.10.2016] - 5 AZR 168/16). Ab ei­ner Verfügungs­zeit al­so, bei der man dem Kläger vor­hal­ten muss­te, dass er bei ei­ner so lan­gen Schicht­zeit auf je­den Fall an ei­ne wei­te­re 15minüti­ge Pau­se den­ken muss­te und dies ihm auch möglich war, so er nichts Kon­kre­tes an­de­res vorträgt. Aus­ge­nom­men sind die we­ni­gen Ta­ge, in de­nen der Kläger auch nach dem Zeit­er­fas­sungs­sys­tem sei­ne Verfügungs­zeit un­ter­bro­chen hat, die Un­ter­bre­chungs­zeit von der Dau­er her über der ge­setz­li­chen Pau­sen­zeit lag und da­mit in­so­weit Pau­sen­zeit schon her­aus­ge­rech­net ist (23.12.2015: 15 Min.; 03.02.2016: 45 Min.; 09.02.2016: 30 Min.; 11.02.2016: 15 Min.; 15.02.2015: 30 Min.).

Dies führt zu fol­gen­den schlüssig dar­ge­leg­ten Ar­beits­zei­ten:

Mo­nat be­haup­te­te
Ar­beits­zeit
be­rei­nig­te
Ar­beits­zeit
ab­ge­rech­ne­te
St­un­den
Sal­do
1/15 213:16 200:01 130:02 69:59
2/15 204:42 193:27 129:42 63:45
3/15 216:05 200:05 137:23 62:42
4/15 197:23 186:07 133:51 52:16
5/15 191:52 180:52  137:17  43:35
6/15  211:51  200:51  147:31  53:20
7/15  220:25  207:10  143:08  64:02
8/15  208:55  195:25  140:59  54:26
9/15  205:22  193:22  144:30  48:52
10/15  178:56 168:26 113:46  54:40
11/15 198:24  187:15  126:51  60:24
12/15  218:57  206:12  138:63  67:09
1/16  206:31  194:31  133:78  60:13
2/16  231:24  221:24  143:23  78:01
3/16  231:05  217:20  141:72  75:08
4/16  187:30  176:30  121:75  54:15

 

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1.3 Die Be­klag­te hat den in te­n­o­rier­ter Höhe schlüssig vor­ge­tra­ge­nen Vergütungs­an­spruch nicht wirk­sam be­strit­ten. Der Vor­trag des Klägers gilt da­her als zu­ge­stan­den (§ 138 Abs. 3 ZPO).

1.3.1 Die Be­klag­te hat den Vor­trag des Klägers nicht sub­stan­ti­iert be­strit­ten. Auf Grund der Un­wirk­sam­keit ih­res Kon­troll­sys­tems kann sie die mo­nat­li­chen sum­ma­ri­schen Er­geb­nis­se ih­res Zeit­er­fas­sungs­sys­tems dem Kläger nicht ent­ge­gen­hal­ten.

  • Die Be­klag­te muss­te den Vor­trag des Klägers be­strei­ten, ob­wohl der Kläger in der Re­gel auf den Ar­beits­zeit-Nach­wei­sen die for­mu­larmäßig vor­ge­ge­be­ne Erklärung un­ter­schrieb, dass er das Ar­beits­zeit­er­fas­sungs­mo­dul des Ta­xa­me­ters rich­tig be­dient ha­be.
  • Die Be­klag­te kann sich nicht schon des­halb nicht auf ihr Kon­troll­sys­tem be­ru­fen, weil sie den Kläger an­ge­wie­sen hat, das Zeit­er­fas­sungs­sys­tem so zu be­nut­zen, dass er im Er­geb­nis auf ei­ne Ein­fahr­sum­me i.H.v. 22,- € die St­un­de brut­to kommt.
  • Ent­schei­dend ist, dass das Kon­troll­sys­tem der Be­klag­ten ge­gen das All­ge­mei­ne Persönlich­keits­recht des Klägers und ge­gen § 32 BDSG ver­stieß, so dass der Kläger nicht an die ent­spre­chen­de Wei­sung der Be­klag­ten ge­bun­den war und in der Fol­ge die Kon­troll­da­ten der Be­klag­ten dem kläge­ri­schen Vor­trag nicht ef­fek­tiv ent­ge­gen­ge­hal­ten wer­den konn­ten.

1.3.1.-1 Den Erklärun­gen des Klägers auf den Ar­beits­zeit-Nach­wei­sen, er ha­be das

 

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Ar­beits­zeit­er­fas­sungs­mo­dul ord­nungs­gemäß be­dient, kommt kei­ne ei­genständi­ge Be­deu­tung zu.

Die Be­weis­kraft der Un­ter­schrift des Klägers er­streckt sich nur dar­auf, dass er die Erklärung ab­ge­ge­ben hat, nicht dar­auf, dass die Erklärung rich­tig ist, § 416 ZPO. Wenn die Be­klag­te dem Kläger in rechts­wid­ri­ger Wei­se ein Kon­troll­sys­tem ok­troy­iert, so kann sie dar­aus kein Ka­pi­tal schla­gen, wenn der Kläger in der je­den­falls sub­jek­ti­ven Mei­nung - vom Lohn­be­rech­nungs­bei­spiel der Be­klag­ten in § 3 (2) Ar­beits­ver­trag ihm na­he­ge­legt - von ihm wer­de ein be­stimm­ter St­un­den­um­satz er­war­tet, das Ar­beits­zeit­er­fas­sungs­mo­dul falsch betätigt. Nach § 3 (3) Ar­beits­ver­trag war zu­dem oh­ne Ab­rech­nung die Vergütung nicht fällig. Der Kläger muss­te er­sicht­lich das un­ter­schrei­ben, was die Be­klag­te ihm vor­leg­te, um sei­nen Lohn zu er­hal­ten. Im Übri­gen war es für die Be­klag­te un­ter Berück­sich­ti­gung der Ar­beits­ver­trags­ge­schich­te bei ei­nem Verhält­nis von „Ar­beits­zeit“ zu „Pau­sen­zeit“ von 50:50 oder 60:40 nach dem Zeit­er­fas­sungs­sys­tem of­fen­sicht­lich, dass der Kläger sei­ne Be­reit­schafts­zeit nicht rich­tig er­fass­te.

1.3.1.-2 Die Be­klag­te hat den Kläger nicht an­ge­wie­sen, das Kon­troll­sys­tem so zu be­nut­zen, dass er im Er­geb­nis auf ei­ne Ein­fahr­sum­me i.H.v. 22,- € brut­to die St­un­de kam.

Der Ar­beits­ver­trag enthält kei­ne Ver­ein­ba­rung, un­pro­duk­ti­ve Stand­zei­ten nicht auf­zu­zeich­nen. In § 3 (1) Ar­beits­ver­trag wur­de ei­ne St­un­den­vergütung „pro ge­ar­bei­te­te St­un­de“ ver­ein­bart. § 3 (2) Ar­beits­ver­trag enthält ein „Bei­spiel“ für ei­ne Lohn­be­rech­nung. Der Satz „Bei die­sem Bei­spiel liegt die da­zu ein­ge­fah­re­ne Ein­fahr­sum­me bei 3.696.- €“ be­inhal­tet kei­ne Ab­wei­chung vom St­un­den­lohn­sys­tem und kei­ne Vor­ga­be, bei ei­ner schlech­te­ren Re­la­ti­on von St­un­den­vergütung und Ein­fahr­sum­me Stand­zei­ten nicht als Be­reit­schafts­zeit an­zu­ge­ben. Der Satz drückt die wirt­schaft­li­che Er­war­tungs­hal­tung der Be­klag­ten aus, oh­ne dass die­se zur ver­trag­li­chen Vor­ga­be ge­macht wor­den wäre.

Ei­ne Wei­sung geht auch nicht aus Zif­fer 8. der Be­triebs­ord­nung her­vor. Da­nach sind „pas­si­ve Pau­sen“ .. selbst zu re­gu­lie­ren.“ Zwar wer­den in Zif­fer 8. der Be­triebs­ord­nung Stand­zei­ten nicht als Ar­beits­zeit ge­nannt. Zu­vor heißt es je­doch, dass der Ta­xa­me­ter Stech­uhr­ei­gen­schaf­ten ha­be. I.V.m. der Tech­nik des Si­gnal­knop­fes hat­te es der Kläger in der Hand, Stand­zei­ten als zu be­zah­len­de Zeit zu mar­kie­ren. Die Vor­ga­be, „pas­si­ve Pau­sen“ selbst zu re­gu­lie­ren, konn­te da­her nicht als Auf­for­de­rung ver­stan­den wer­den,

 

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bei Stand­zei­ten den Si­gnal­knopf nicht zu betäti­gen.

Ei­ne Wei­sung, nur Ar­beits­zei­ten an­zu­ge­ben, die im Verhält­nis zur Ein­fahr­sum­me rund 22,00 € die St­un­de be­deu­te­ten, er­gibt sich auch nicht aus dem Aus­weis der mo­nat­li­chen Ein­fahr­sum­me in den mo­nat­li­chen Ab­rech­nun­gen. Auch dies ist nur Aus­druck ei­ner wirt­schaft­li­chen Er­war­tungs­hal­tung der Be­klag­ten.

Ein Hin­weis des Geschäftsführers, dass der Kläger 22,00 € die St­un­de Um­satz er­brin­gen müsse, um wirt­schaft­lich ein­ge­setzt wer­den zu können, kann un­ter­stellt wer­den. Dar­aus folgt je­doch kei­ne Wei­sung, den Si­gnal­knopf am Ta­xa­me­ter bei Stand­zei­ten nicht oder ent­spre­chend we­nig zu betäti­gen.

Der von der Be­klag­ten auf­ge­bau­te Er­war­tungs­druck stellt kei­ne Wei­sung dar. Der Kläger war des­we­gen nicht ge­hin­dert, den Si­gnal­knopf während der Stand­zei­ten zu drücken.

1.3.1.-3 Das Kon­troll­sys­tem der Be­klag­ten ist je­doch rechts­wid­rig. Es verstößt ge­gen § 32 Abs. 1 Satz 1 BDSG und ge­gen das All­ge­mei­ne Persönlich­keits­recht (Art. 1, 2 GG) des Klägers.

Dies ent­ge­gen der Ent­schei­dung des ArbG Ber­lin [27.08.2015] - 38 Ca 5535/15 in ei­nem gleich ge­la­ger­ten Fall. Dort heißt es: "Dass es für den Kläger un­zu­mut­bar sein könn­te, den Ta­xa­me­ter so zu be­die­nen, dass Zei­ten, in de­nen er sich be­reithält, um im Be­darfs­fal­le die Ar­beit auf­zu­neh­men, nicht als `Pau­sen´ er­fasst wer­den, ist nicht nach­voll­zieh­bar" (hier Bl. 59 d.A.).
Die ge­gen­tei­li­ge Ent­schei­dung des ArbG Ber­lins ver­kennt je­doch, dass es hier nicht nur um die Fra­ge des Ob, son­dern auch um das Wie, d.h. um die Zu­mut­bar­keit ei­nes Drei-Mi­nu­ten-Tak­tes geht. Die Kon­troll­pra­xis der Be­klag­ten hält letzt­lich ei­ner Verhält­nismäßig­keitsprüfung nicht stand. Die­se ist nach § 32 Abs. 1 Satz 1 BDSG ge­bo­ten. Dies im Gleich­lauf zum All­ge­mei­nen Persönlich­keits­recht des Klägers.

1.3.1.-3.1 Zu­guns­ten der Be­klag­ten wird hier un­ter­stellt, dass ei­ne Kon­trol­le der für sie nicht kon­trol­lier­ba­ren Ar­beits­zeit des Klägers durch ein Zeit­er­fas­sungs­mo­dul und durch die Auf­for­de­rung, ei­nen Si­gnal­ton zur Do­ku­men­ta­ti­on der Ar­beits­be­reit­schaft in re­gelmäßigen Abständen zu drücken, nicht schon an sich ge­gen das All­ge­mei­ne Persönlich­keits­recht oder ge­gen § 32 BDSG verstößt.

Es kann of­fen blie­ben, ob § 32 Abs. 1 Satz 1 BDSG ei­ne ge­ne­rel­le pau­scha­le

 

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Er­fas­sung der Zei­ten von Ar­beits­be­reit­schaft durch das Kon­troll­sys­tem der Be­klag­ten ver­bie­tet, zu­mal § 16 Abs. 2 Arb­ZG der Be­klag­ten die Do­ku­men­ta­ti­on von Mehr­ar­beit aufbürdet. Die Zulässig­keit an­lass­lo­ser Dau­erüber­wa­chung wird u.a. un­ter dem Stich­wort "Stech­uhr" dis­ku­tiert. In der Li­te­ra­tur wird teil­wei­se ein ge­bo­te­ner Vor­rang ei­ner Ver­trau­ens­ar­beits­zeit be­jaht, wo­bei u.a. auf das Ge­bot der Da­ten­ver­mei­dung und Da­ten­spar­sam­keit gemäß § 3a BDSG ver­wie­sen wird (so z.B. Brink, in: Boecken/Düwell/Dil­ler/Ha­nau, Ge­sam­tes Ar­beits­recht, 2016, § 32 BDSG Rn. 36; a.A. Wellhöner/By­ers, BB 2009, 2310 (2315); Wy­bitul, BB 2010, 1085 (1087); Zöll, in: Ta­e­ger/Ga­bel, 2. Aufl. 2013, § 32 Rn. 30 m.w.N.; By­ers, Mit­ar­bei­ter­kon­trol­len, 2016, Rn. 116). Das kann aber vor­lie­gend of­fen blei­ben, da je­den­falls die Über­wa­chungs­dich­te von drei Mi­nu­ten nicht er­for­der­lich i.S.d. § 32 Abs. 1 Satz 1 BDSG ist.

1.3.1.-3.2 Die Vor­ga­be, bei Stand­zei­ten al­le drei Mi­nu­ten ei­nen Si­gnal­knopf zu drücken, verstößt ge­gen das Ge­bot der Er­for­der­lich­keit gemäß § 32 Abs. 1 Satz 1 BDSG und ist i.V.m. § 134 BGB un­wirk­sam.

Nach § 32 Abs. 1 Satz 1 BDSG dürfen "per­so­nen­be­zo­ge­ne Da­ten" ei­nes Ar­beit­neh­mers für Zwe­cke des Ar­beits­verhält­nis­ses un­ter an­de­rem er­ho­ben wer­den, wenn dies für die Durchführung des Ar­beits­verhält­nis­ses „er­for­der­lich“ ist.

1.3.1.-3.2.1 Die Be­klag­te ist zu ei­nem Kon­troll­sys­tem mit ei­ner Drei-Mi­nu­ten-Tak­tung ge­setz­lich nicht ver­pflich­tet ge­we­sen.

Dies we­der steu­er­recht­lich nach den §§ 145, 147 AO oder dem UStG noch ar­beits­zeit­schutz­recht­lich we­gen der Ver­pflich­tung nach § 16 Abs. 2 Arb­ZG, Mehr­ar­beit auf­zu­zeich­nen (zu Letz­te­rem Brink, in: Boecken/Düwell/Dil­ler/Ha­nau, Ge­sam­tes Ar­beits­recht, 2016, § 32 BDSG Rn. 36 m.w.N.).

1.3.1.-3.2.2 § 32 Abs. 1 Satz 1 BDSG ist vor­lie­gend an­wend­bar.

Durch das Drücken des Si­gnal­knop­fes des Ar­beits­zeit­er­fas­sungs­mo­duls des Ta­xa­me­ters wird ein per­so­nen­be­zo­ge­nes Da­tum des Klägers - wann er per Knopf­druck sei­ne Ar­beits­be­reit­schaft si­gna­li­siert hat - er­ho­ben und aus­weis­lich der mo­nat­li­chen Ar­beits­zeit-Nach­wei­se mi­nu­ten­ge­nau ge­spei­chert und ge­nutzt. Die Be­klag­te selbst

 

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spricht bild­haft tref­fend von ei­ner "Stech­uhr­ei­gen­schaft" ih­res Si­gnal­knopf­sys­tems. Dass darüber hin­aus nach § 32 Abs. 2 Satz 1 BDSG § 32 Abs. 1 Satz 1 BDSG auch bei nicht au­to­ma­ti­scher Ver­ar­bei­tung per­so­nen­be­zo­ge­ner Da­ten An­wen­dung fin­det, ist hier nicht ent­schei­dungs­er­heb­lich.

1.3.1.-3.2.3 Die Er­fas­sung der Ar­beits­be­reit­schaft des Klägers al­le drei Mi­nu­ten ist nicht "er­for­der­lich" i.S.d. § 32 Abs. 1 Satz 1 BDSG.

Er­for­der­lich­keit i.S.d. § 32 Abs. 1 Satz 1 BDSG be­deu­tet "Verhält­nismäßig­keit". Dies ver­langt, dass die Maßnah­me ei­nem le­gi­ti­men Zweck dient, ge­eig­net, er­for­der­lich und un­ter Berück­sich­ti­gung des Persönlich­keits­rechts des Ar­beit­neh­mers an­ge­mes­sen ist, um den er­streb­ten Zweck zu er­rei­chen (Wy­bitul, BB 2010, 1085 (1086 m.w.N.); BAG [17.11.2016] - 2 AZR 730/15 - Rn. 30 m.w.N. = NZA 2017, 394 = AP Nr. 15 zu § 626 BGB Unkünd­bar­keit). Ei­ne Er­for­der­lich­keit (i.e.S.) ist nur ge­ge­ben, wenn "kei­ne an­de­ren, zur Ziel­er­rei­chung gleich wirk­sa­men und das Persönlich­keits­recht der Ar­beit­neh­mer we­ni­ger ein­schränken­den Mit­tel zur Verfügung ste­hen" (BAG [17.11.2016] - 2 AZR 730/15 - Rn. 30 m.w.N. = NZA 2017, 394 = AP Nr. 15 zu § 626 BGB Unkünd­bar­keit). Dies un­ter Be­ach­tung der un­ter­neh­me­ri­schen Frei­heit des Ar­beit­ge­bers (Wy­bitul, BB 2010, 1085 (1086 m.w.N.)). "Die Verhält­nismäßig­keit im en­ge­ren Sin­ne [An­ge­mes­sen­heit] ist ge­wahrt, wenn die Schwe­re des Ein­griffs bei ei­ner Ge­samt­abwägung nicht außer Verhält­nis zu dem Ge­wicht der ihn recht­fer­ti­gen­den Gründe steht" (BAG [17.11.2016] - 2 AZR 730/15 - Rn. 30 m.w.N. = NZA 2017, 394 = AP Nr. 15 zu § 626 BGB Unkünd­bar­keit).

Das Drei-Mi­nu­ten-Si­gnal­sys­tem der Be­klag­ten ist je­den­falls un­an­ge­mes­sen. Ob über­haupt i.e.S. er­for­der­lich, kann of­fen­blei­ben.

In der Li­te­ra­tur wer­den Stech­uh­ren zwecks Ar­beits­zeit­er­fas­sung mehr­heit­lich (s.o.) als ge­eig­net, er­for­der­lich und an­ge­mes­sen an­ge­se­hen, nicht aber die sys­te­ma­ti­sche Er­fas­sung je­der kur­zen Pau­se oder je­den Toi­let­ten­gan­ges (Wellhöner/By­ers, BB 2009, 2310 (2315); Wy­bitul, BB 2010, 1085 (1087); Zöll, in: Ta­e­ger/Ga­bel, 2. Aufl. 2013, § 32 Rn. 30 m.w.N.; By­ers, Mit­ar­bei­ter­kon­trol­len, 2016, Rn. 116).
Hier geht es nicht um die Kon­trol­le von Vol­l­ar­beit und um de­ren Un­ter­bre­chung durch Kurz­pau­sen. Hier geht es um Kon­trol­le bloßer Ar­beits­be­reit­schaft, so dass die Kri­tik an ei­ner mi­nu­tiösen Pau­senüber­wa­chung erst recht für bloße Be­reit­schafts­zeit gilt. An­schau­lich ge­spro­chen: wenn ein Ta­xi­fah­rer 30 Mi­nu­ten an ei­nem Ta­xi­stand auf den

 

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nächs­ten Fahr­gast war­ten muss und da­bei raucht, mit dem Vor­der- oder Hin­ter­mann sich un­terhält, ein Buch im Wa­gen oder am Ta­xi an­ge­lehnt liest usw., wird da­durch sei­ne Ar­beits­be­reit­schaft i.w.S. nicht in Fra­ge ge­stellt.
In der münd­li­chen Ver­hand­lung nach ih­rem In­ter­es­se für ei­nen Drei-Mi­nu­ten-Takt be­fragt führ­te die Be­klag­te le­dig­lich an, es ge­he um "ei­ne be­triebs­wirt­schaft­li­che Größe". Durch das Si­gnal­sys­tem sol­le si­cher­ge­stellt wer­den, dass der Kläger je­der­zeit auch wirk­lich ar­beits­be­reit sei. Ein Op­ti­mie­rungs­ef­fekt ist aber kaum fest­stell­bar: Wenn ein Fah­rer außer­halb des Ta­xis ei­ne vier- bis fünf­minüti­ge Zi­ga­ret­ten-, Gesprächs- oder auch nur fri­sche Luft-Pau­se ein­legt, wird er nicht dar­an ge­hin­dert, für ei­nen na­hen­den Fahr­gast die Pau­se zu be­en­den und für den Fahr­gast da zu sein, so er die­sem nicht eh´ beim Ein­la­den von Gepäck be­hilf­lich sein muss. Selbst wenn sich durch ei­ne sol­che Pau­se sein Aufrücken in ei­ner War­te­schlan­ge verzögern soll­te, ist auch nicht er­kenn­bar, dass da­durch we­sent­lich er­schwert, verzögert oder ver­unmöglicht wird, dass ein Fahr­gast den Kläger als zwei­ten, drit­ten usw. in der War­te­schlan­ge in An­spruch nimmt, so sei­ne Kol­le­gen oder die Usan­cen des Ge­wer­bes dies über­haupt zu­las­sen.

Dem da­mit prak­tisch nicht zu Bu­che schla­gen­dem wirt­schaft­li­chen In­ter­es­se der Be­klag­ten steht ei­ne weit­ge­hen­de Kne­be­lung des Klägers in der Ge­stal­tung sei­ner Be­reit­schafts­zeit ent­ge­gen. Ob­wohl der Kläger rund 40% sei­ner Zeit nur auf Kun­den war­ten kann und in­so­fern "nichts zu tun" hat, soll er für das ge­ringfügi­ge wirt­schaft­li­che Op­ti­mie­rungs­in­ter­es­se der Be­klag­ten auf ei­ne erträgli­che Ge­stal­tung sei­ner War­te­zeit ver­zich­ten.

1.3.1.-3.3 Das Drei-Mi­nu­ten-Si­gnal-Sys­tem der Be­klag­ten verstößt zu­dem ge­gen das All­ge­mei­ne Persönlich­keits­recht (Art. 1, 2 GG) des Klägers.

Zu dem durch Art. 2 Abs. 1 i.V.m. Art. 1 Abs. 1 GG geschütz­ten all­ge­mei­nen Persönlich­keits­recht gehört das Recht auf in­for­ma­tio­nel­le Selbst­be­stim­mung. Die­ses ga­ran­tiert die Be­fug­nis, selbst über die Preis­ga­be und Ver­wen­dung persönli­cher Da­ten zu be­fin­den. Das BDSG kon­kre­ti­siert und ak­tua­li­siert den Schutz des Rechts auf in­for­ma­tio­nel­le Selbst­be­stim­mung (BAG [17.11.2016] - 2 AZR 730/15 - Rn. 26 = NZA 2017, 394 = AP Nr. 15 zu § 626 BGB Unkünd­bar­keit). Durch die sys­te­ma­ti­sche Er­fas­sung der Zei­ten der Ar­beits­be­reit­schaft (i.w.S.) wird in das in­for­ma­tio­nel­le Selbst­be­stim­mungs­recht des Klägers ein­ge­grif­fen. Das hat außer­halb des hier nicht ge­ge­be­nen Kern­be­reichs des All­ge­mei­nen Persönlich­keits­rechts ei­ne

 

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Verhält­nismäßig­keitsprüfung zur Kon­se­quenz. Die­se ent­spricht der Verhält­nismäßig­keitsprüfung nach § 32 Abs. 1 Satz 1 BDSG. In­so­fern gibt es ei­nen Gleich­lauf (vgl. auch BAG [20.06.2013] - 2 AZR 546/12 - Rn. 25 = NZA 2014, 143 = AP Nr. 244 zu § 626 BGB), so dass auf die Ausführun­gen zu § 32 Abs. 1 Satz 1 BDSG ver­wie­sen wer­den kann.

1.3.1.-3.4 Die un­mit­tel­ba­re Rechts­fol­ge ist, dass die Wei­sung der Be­klag­ten an den Kläger, al­le 3 Mi­nu­ten den Si­gnal­knopf zu drücken, un­wirk­sam ist.

Ent­spre­chend war der Kläger nicht ver­pflich­tet, sei­ne Ar­beits­be­reit­schaft auf die­se Wei­se zu do­ku­men­tie­ren. Das hat wie­der­um zur Fol­ge, dass dem Drücken oder Nicht­drücken des Si­gnal­knop­fes kein Erklärungs­wert zu­kommt. Ent­spre­chend folgt aus den Ta­ges- und Mo­nats­sum­men der Ru­bri­ken „Ar­beits­zeit“ und „Pau­se“ in den Ar­beits­zeit-Nach­wei­sen nichts. Die Be­klag­te be­ruft sich aber al­lein dar­auf.

1.3.2 Die Be­klag­te kann sich nicht auf Be­strei­ten mit Nicht­wis­sen (§ 138 Abs. 4 ZPO) be­schränken.

Der Be­klag­ten hätte es im Rah­men ih­rer se­kundären Dar­le­gungs­last ob­le­gen, auf den kläge­ri­schen Vor­trag sub­stan­ti­iert zu er­wi­dern. Die Be­klag­te kann sich nicht auf ein Be­strei­ten mit Nicht­wis­sen (§ 138 Abs. 4 ZPO) be­schränken (vgl. all­ge­mein auch BAG [21.12.2016] - 5 AZR 362/16 - Rn. 26 = NZA-RR 2017, 233 = AP Nr. 56 zu § 611 BGB Mehr­ar­beits­vergütung).

Die Be­klag­te trägt das Ri­si­ko der Ver­wen­dung ei­nes über­zo­ge­nen und des­halb rechts­wid­ri­gen und un­wirk­sa­men Kon­troll­sys­tems. Es ist ihr un­ter­neh­me­ri­sches Or­ga­ni­sa­ti­ons­ri­si­ko, ein wirk­sa­mes Zeit­er­fas­sungs­sys­tem zu im­ple­men­tie­ren (vgl. auch all­ge­mein BAG [21.12.2016] - 5 AZR 362/16 - Rn. 26-28 = NZA-RR 2017, 233 = AP Nr. 56 zu § 611 BGB Mehr­ar­beits­vergütung). Die Be­klag­te hat zum ei­nen die ihr steu­er­ver­fah­rens­recht­lich (§§ 145 Abs. 2, 147 AO; UStG) vor­ge­ge­be­nen und da­mit ge­setz­lich er­laub­ten Fahr­da­ten des Klägers nach dem Ta­xa­me­ter. Zum an­de­ren ist sie zur Er­fas­sung von Mehr­ar­beit ei­nes Ta­xi­fah­rers nach § 16 Abs. 2 Arb­ZG ver­pflich­tet und da­mit auch be­rech­tigt. So­wohl steu­er­recht­lich wie ar­beits­zeit­recht­lich hat die Be­klag­te in­so­fern Auf­be­wah­rungs­pflich­ten (vgl. § 22 UStG i.V.m. §§ 63 bis 68 USt­DV, § 147 AO bzw. § 16 Abs. 2 Satz 2 Arb­ZG). Sie hat auch Ver­gleichs­da­ten an­de­rer Ar­beit­neh­mer und kann gg­fls. auf­zei­gen, dass die Kor­re­la­ti­on von Ein­fahr­sum­me und

 

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be­haup­te­ter Ar­beits­zeit/Be­reit­schafts­zeit nicht plau­si­bel ist. Sie hätte auch auf "Num­mer si­cher" ge­hen können - wie von der Kläger­sei­te ge­for­dert - und den Kläger le­dig­lich sei­ne Ru­he­pau­sen selbständig auf­schrei­ben las­sen können. Wenn man ein Si­gnal­knopf-Sys­tem über­haupt für zulässig er­ach­tet, hätte sie ei­ne an­de­re großzügi­ge­re zulässi­ge Tak­tung vor­ge­ben können. Wo die Zu­mut­bar­keits­gren­ze ist, braucht hier nicht geklärt zu wer­den. Das Ri­si­ko ei­nes Tri­al and Er­ror - Vor­ge­hens trägt al­lein die Be­klag­te.

1.4 Die Höhe des An­spruchs er­gibt sich aus dem Pro­dukt der Ar­beits­zeit des Klägers mal dem im An­spruchs­zeit­raum gel­ten­dem Min­dest­lohn i.H.v. 8,50 € brut­to.

Das er­gibt für die ein­zel­nen Mo­na­te fol­gen­de Beträge:

Mo­nat Sal­do Zeit (h:min) Sal­do in EUR
1/15 69:59 594,76
2/15 63:45 541,80
3/15  62:42 532,88
4/15 52:16 444,24
5/15 43:35 370,40
6/15  53:20 453,30
7/15  64:02  544,28
8/15  54:26  462,64
9/15  48:52  415,28
10/15  54:40  464,60
11/15  60:24  513,36
12/15  67:09  570,76
1/16  60:13  511,82
2/16  78:01  663,14
3/16  75:08  638,70 - gel­tend ge­macht i.H.v. 608,60 € (Bl. 10 d.A.)
4/16 54:15 461,10
8.152,96 €

2. Der Zah­lungs­an­spruch des Klägers ist nicht er­lo­schen.

2.1 Der An­spruch ist nicht erfüllt, § 362 BGB.

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Die Be­klag­te hat sons­ti­ge min­dest­lohn­wirk­sa­me Leis­tun­gen an den Kläger nicht be­haup­tet. Sie sind auf dem ers­ten Blick auch nicht den Lohn­ab­rech­nun­gen zu ent­neh­men.

2.2 Der An­spruch ist nicht auf Grund ei­ner Aus­schluss­frist ver­fal­len.

Die drei­mo­na­ti­ge ar­beits­ver­trag­li­che Aus­schluss­frist ist je­den­falls hin­sicht­lich ei­nes Min­dest­lohn­an­spruchs des Klägers gemäß § 3 Satz 1 Mi­LoG i.V.m. § 134 BGB un­wirk­sam. Ei­ne Aus­schluss­frist ei­nes all­ge­mein­ver­bind­li­chen Ta­rif­ver­tra­ges i.V.m. der Über­g­angs­vor­schrift des § 24 Mi­LoG gilt hier man­gels all­ge­mein­ver­bind­li­chen Ta­rif­ver­trag nicht.

2.3 Der Kläger hat auf sei­ne Ansprüche nicht (wirk­sam) ver­zich­tet.

Der Kläger hat durch sei­ne zu­meist mo­nat­li­che Erklärung, dass er die Ar­beits­zeit rich­tig er­fasst ha­be, nicht auf sei­ne Min­dest­lohn­ansprüche für die nicht er­fass­ten Zei­ten ver­zich­tet. Selbst wenn, wäre ein sol­cher Ver­zicht nach § 3 Satz 2 Mi­LoG un­wirk­sam.

2.4 Der An­spruch ist nicht verjährt, §§ 194, 195 BGB.

Es kann of­fen­blei­ben, ob die Be­klag­te durch ih­re schriftsätz­li­che Be­ru­fung auf ih­re ar­beits­ver­trag­li­che Aus­schluss­frist zu­gleich auch die Ein­re­de der Verjährung gemäß § 214 BGB er­ho­ben hat. Die Ansprüche aus dem Jahr 2015 verjähren i.V.m. §§ 195, 199 BGB erst am 31.12.2018.

2.5 Der An­spruch ist auch nicht ver­wirkt, § 242 BGB.

Die Ver­wir­kung der Min­dest­lohn­ansprüche des Klägers ist aus­ge­schlos­sen. Bei der kur­zen Verjährungs­frist un­ter­lie­gen­den Zah­lungs­ansprüchen schon aus all­ge­mei­nen Gründen (vgl. BAG [11.12.2014] - 8 AZR 838/13 - ju­ris Rn. 26 = NZA 2015, 808). Vom Ge­setz­ge­ber ist dies für den Min­dest­lohn in § 3 Satz 3 Mi­LoG oh­ne Wenn und Aber ge­setz­lich vor­ge­schrie­ben.

II. Der Zins­an­spruch folgt aus den §§ 286, 288 BGB. Der Zins­be­ginn aus § 614 BGB.

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Der ab­wei­chen­de ar­beits­ver­trag­li­che Zins­be­ginn ist un­wirk­sam, § 2 Mi­LoG. Die Fällig­keits­re­ge­lung in § 3 (3) Ar­beits­ver­trag „am 30. des dem je­wei­li­gen Ka­len­der­mo­nat fol­gen­den Mo­nats“ verstößt ge­gen § 2 Mi­LoG. Nach § 2 Abs. 1 Satz 1 Zif­fer 2 Mi­LoG ist der Min­dest­lohn „spätes­tens am letz­ten Bank­ar­beits­tag“ des Fol­ge­mo­nats fällig. Fe­bru­ar-Mo­na­te ha­ben kei­nen 30. Auch in sons­ti­gen Mo­na­ten liegt der letz­te „Bank­ar­beits­tag“ ei­nes Mo­nats mit­un­ter vor dem 30. des Mo­nats. Ei­ne bloße Teil­un­wirk­sam­keit oder gel­tungs­er­hal­te­ne Re­duk­ti­on der AGB-Klau­sel kommt nicht in Be­tracht.

C. Die Ne­ben­ent­schei­dun­gen fol­gen aus dem Ge­setz.

Die Par­tei­en ha­be im Verhält­nis ih­res Un­ter­lie­gens die Kos­ten des Rechts­streits zu tra­gen, § 46 Abs. 2 ArbGG i.V.m. § 92 ZPO. Der Wert des Streit­ge­gen­stan­des folgt aus § 46 Abs. 2 ArbGG i.V.m. §§ 3 ff. ZPO. Die Te­n­o­rie­rung des Streit­werts aus § 61 Abs. 1 ArbGG.

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